Table.Briefing: Europe

Sanktionen ohne SWIFT: Finanzen, Öl- und Gastechnik, Tech + Chinas Spagat + Sigmar Gabriel

  • Westen einigt sich auf Sanktionen gegen Russland
  • Finanzsektor: Wie die EU Russlands Wirtschaft treffen will
  • EU-Monitoring
  • Sanktionen für Öl- und Gastechnik
  • Technologie-Sanktionen: Indirekt wirksam
  • Chinas Balanceakt in den Beziehungen zu Russland
  • Sondersitzungen im Bundestag und EP
  • BNetzA: Acer-Entscheidung ohne Folgen
  • Sigmar Gabriel: Beim Krieg in Europa geht es nicht nur um die Ukraine
Liebe Leserin, lieber Leser,

nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die USA, die G7 und die EU auf weitreichende Sanktionen gegen Russland geeinigt. Wir nehmen die einzelnen Bereiche genauer in den Blick. Till Hoppe analysiert die geplanten Strafmaßnahmen gegen den russischen Finanzsektor. Die USA, UK und die EU erhöhen deutlich den Druck auf Russlands Banken. Doch vor dem Ausschluss der russischen Finanzindustrie aus SWIFT schreckt der Westen bislang zurück – wohl auch auf Wunsch Deutschlands.

Die Bundesrepublik gehört zu den Ländern, die besonders stark von russischem Gas abhängen. Entsprechend angespannt wird derzeit die Frage behandelt, wie es mit den Energielieferungen weitergeht. Die Sanktionen der EU zielen denn auch auf die technische Ausrüstung der russischen Öl- und Gasindustrie ab, nicht auf den Import fossiler Rohstoffe. Zugleich diskutiert die deutsche Industrie Kompensationen für weiter steigende Energiepreise, wie Manuel Berkel und Lukas Scheid berichten. 

Ausfuhrbeschränkungen für High-Tech-Produkte sollen Russlands Wirtschaft empfindlich treffen. Doch die EU allein könne in diesem Bereich nur in begrenztem Maß etwas ausrichten. In Zusammenarbeit mit den USA, Japan, UK, Südkorea und Taiwan werde allerdings starker Druck aufgebaut, schreibt Falk Steiner

Und China? Das lege zurzeit einen beachtlichen Spagat hin, schreibt Michael Radunski. Die Volksrepublik will sich nicht von Russland abwenden, aber auch nicht komplett vereinnahmen lassen. So präsentiert Peking zurzeit seine ganz eigene Sicht auf die Dinge und spricht von einem “sogenannten Angriff”. Wie der Westen auf Russland reagiert – das ist für China auch mit Blick auf die eigenen Absichten in Taiwan interessant. 

Eine ausgiebige Analyse zu den Hintergründen der russischen Invasion bietet Sigmar Gabriel in seinem Gastbeitrag. Zur Gedankenwelt und Motivation Wladimir Putins schreibt er: Russland wolle wieder eine “Großmacht in Europa” sein. Putin gehe es “um Einfluss auf die künftige Rolle Europas im Rahmen der Neuordnung der Welt, die gerade in Gang gekommen ist”.

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Sarah Schaefer
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Analyse

Westen einigt sich auf Sanktionen gegen Russland

Russland wird nach seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine mit harten und weit reichenden Wirtschaftssanktionen belegt. Die USA, die G7 und die EU kündigten am Donnerstag, wenige Stunden nach Kriegsbeginn, einen international abgestimmten Katalog mit Sanktionen gegen Russland an. US-Präsident Joe Biden sprach mit Blick auf die G7-Staaten von einem “verheerenden Paket an Sanktionen”. 

Präsident Wladimir Putin warnte vor einem Ausschluss seines Lands aus dem Weltwirtschaftssystem. “Wir wollen das System, zu dem wir gehören, nicht zerstören”, sagte Putin vor Wirtschaftsvertretern in Moskau. “Unsere Partner sollten das verstehen und sollten uns nicht aus diesem System drängen.” Allerdings könnten die westlichen Maßnahmen genau darauf hinauslaufen.

USA, G7 und EU einigen sich auf Sanktionen gegen Russland: Grafik zu Russlands Angriff auf die Ukraine; Karte mit Symbole an Orten an denen es Berichten über russische Angriffe gab, russische Truppen stationiert sind und es Truppeneinmärsche gab.

EU fordert Russland zum Abzug auf

Diplomatisch ist Russland bereits isoliert. Mit Ausnahme von China und Iran haben die meisten UNO-Mitglieder den Krieg in der Ukraine scharf verurteilt. “Voller Absicht bricht Präsident Putin mit den Grundprinzipien der Charta der Vereinten Nationen und mit der europäischen Friedensordnung”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Fernsehansprache. Putin werde “einen hohen Preis” zahlen.

EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderten Russland auf, “die Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen, sein Militär aus der Ukraine abzuziehen und die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine uneingeschränkt zu achten”. Die EU stehe in dieser Krise fest an der Seite der Ukraine und ihrer Bevölkerung. EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen erklärt auf der Pressekonferenz nach dem Zusammentreffen der EU-Staats- und Regierungschefs, dass Russlands Präsident Wladimir Putin scheitern werde. “Diese Ereignisse markieren den Beginn einer neuen Ära. Putin versucht, ein befreundetes europäisches Land zu unterjochen. Er versucht, die Landkarte Europas mit Gewalt neu zu zeichnen. Er muss und wird scheitern, sagte von der Leyen nach dem Gipfeltreffen in der Nacht.

Sanktionen auch gegen Belarus

In der Wirtschafts- und Finanzpolitik entschied sich die EU für ein abgestuftes Vorgehen. “Der Europäische Rat hat sich heute auf weitere restriktive Maßnahmen geeinigt, die massive und schwerwiegende Konsequenzen für das Vorgehen Russlands nach sich ziehen werden”, heißt es in der Erklärung des EU-Gipfels, der am Donnerstagabend in Brüssel tagte. Die Staats- und Regierungschefs forderten jedoch zugleich, weitere, noch härtere Sanktionen vorzubereiten, die sich auch auf Belarus erstrecken sollen.

Die nun angekündigte zweite Welle von Strafmaßnahmen – die erste war am Mittwoch beschlossen worden – betrifft den russischen Finanzsektor, die Energieversorgung und den Transport sowie militärisch nutzbare Dual-use-Güter. Die EU will auch Exportkontrollen für strategisch wichtige High-Tech-Produkte einführen sowie weitere Personen mit Reisesperren und anderen Strafen belegen.

Keine Rede von Ausschluss aus SWIFT

Präsident Putin wird jedoch nicht persönlich belangt. Auch von einem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Bankdatensystem SWIFT ist in dem Gipfelbeschluss keine Rede. Dagegen hatte sich vor allem Deutschland gewehrt. Scholz bestand darauf, noch nicht alle Optionen zu ziehen, sondern zunächst bei dem mit den USA verabredeten Sanktionspaket zu bleiben. Dies sei für die “Geschlossenheit und Entschlossenheit” der EU wichtig. Man müsse sich “alles andere aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, noch andere Dinge zu tun”.

Scholz berief sich bei seiner Haltung auch auf die US-Regierung. Präsident Biden hatte vor Beginn des EU-Gipfels in einer Fernsehansprache gesagt, Sanktionen gegen Russlands Präsidenten seien nach wie vor eine Option, auch wenn sie jetzt noch nicht verhängt würden. Das Gleiche gelte für einen Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT, so Biden. 

In Brüssel musste Scholz für seine abwartende Haltung allerdings auch Kritik einstecken. Mehrere Regierungschefs kritisierten, dass das aktuelle Paket nicht weit genug gehe. So forderte der belgische Premierminister Alexander De Croo zusätzliche finanzielle Sanktionen. Der slowenische Ministerpräsident Janez Janša betonte, das Sanktionspaket müsse so scharf wie möglich sein. Dazu gehöre auch ein Ausschluss Russlands aus SWIFT.

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EU und USA nehmen Russlands Banken ins Visier

Die USA, Großbritannien und EU erhöhen deutlich den Druck auf Russlands Banken. Das US-Finanzministerium kündigte gestern Abend an, auch die beiden größten Institute des Landes, Sberbank und VTB, auf die Sanktionsliste zu setzen und ihnen damit keine Transaktionen auf Dollarbasis mehr zu ermöglichen. Zudem friert Washington die Vermögenswerte mit US-Bezug von VTB und drei weiteren russischen Banken ein.

Die Sanktionen sollen die Finanzierungskosten für die Wirtschaft in Russland und so, im Verbund mit weiteren Handelsbeschränkungen (Europe.Table berichtete), die Kosten des Krieges für Moskau in die Höhe treiben. “Diese Sanktionen werden Russlands Wirtschaftswachstum drücken, die Finanzierungskosten und die Inflation erhöhen, den Kapitalabfluss beschleunigen und schrittweise die industrielle Basis erodieren“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Tatsächlich brach der russische Aktienmarkt gestern massiv ein, der Leitindex Moex verlor 34 Prozent. Der Rubelkurs sank auf ein Rekordtief zum Dollar. Offenkundig hatten die Investoren nicht damit gerechnet, dass Wladimir Putin tatsächlich eine Invasion der Ukraine anordnen würde, die Gegenmaßnahmen auslösen musste.

Sanktionen gegen Russland: Diskussion über SWIFT-Ausschluss

Dabei schrecken die westlichen Staaten noch vor der schärfsten der diskutierten Sanktionen zurück – dem Ausschluss von Russlands Finanzindustrie aus dem internationalen Zahlungsabwicklungssystem SWIFT. US-Präsident Joe Biden verwies auf den Widerstand einiger europäischer Länder, darunter Deutschlands. “Das ist immer eine Option, aber im Moment ist das nicht die Position, die der Rest Europas einnehmen möchte.” Die nun gegen die russischen Banken verhängten Sanktionen seien aber ebenso schwerwiegend.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich bei dem EU-Sondergipfel dagegen ausgesprochen, Russland zu jetzigen Zeitpunkt von SWIFT auszuschließen. Man müsse sich diese Maßnahmen “aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun”. Zuvor hatte der britische Premier Boris Johnson für Einigkeit der westlichen Staaten und auf einen SWIFT-Ausschluss Russlands gedrängt.

Stattdessen nimmt die EU weitere Banken ins Visier, die keine Geschäfte mehr mit europäischen Banken machen dürfen und deren Vermögenswerte eingefroren werden. Konkret geht es dem Vernehmen nach um die Alfa Bank, die viertgrößte des Landes. Hinzu kommt demnach die Bank Otkritie, die Nummer sieben. Die beiden mit Abstand größten Finanzinstitute, die Sberbank und VTB, bleiben hingegen vorerst verschont. Beide verwalten überwiegend die Einlagen russischer Bürger und bleiben daher wohl außen vor.

Wirtschaft in Russland von Sanktionen “nur marginal getroffen”

Daneben sollen russische Staatsunternehmen nicht mehr neu an europäischen Börsen gelistet werden. Und: Die EU will es der russischen Machtelite erschweren, ihr Geld im Ausland in Sicherheit zu bringen. Deshalb sollen die Banken in Europa keine größeren Finanzanlagen russischer Bürger mehr annehmen dürfen.

Experte halten die Wirkung dieser Maßnahmen in Russland aber für begrenzt. “Die russische Volkswirtschaft wird dadurch nur marginal getroffen“, sagt Daniel Gros, Distinguished Fellow am Centre for European Policy Studies (CEPS). Denn die russischen Banken wickelten nur einen begrenzten Teil ihrer Geschäfte im Ausland ab, ihr Inlandsgeschäft sei von den Finanzsanktionen aber nicht betroffen.

Deutlich größeren Schaden anrichten würde demnach der Ausschluss Russlands aus SWIFT. Der Dienstleister mit Sitz in Belgien wickelt Transaktionen für mehr als 11.000 Finanzinstitute ab, ohne Zugang könnten weder der russische Staat noch die Privatwirtschaft Zahlungen über die Grenzen hinweg annehmen oder verschicken. Allerdings wären auch westliche Banken betroffen – gerade deutsche Institute nutzen das System intensiv für Transaktionen mit russischen Banken. Die Bundesregierung stand dem Ausschluss Russlands auf SWIFT auch skeptisch gegenüber.

Ökonom Gros hält den Schritt für bedenkenswert: “Man kann sich durchaus fragen: wann, wenn nicht jetzt?” Russland arbeite an einem eigenen Zahlungssystem, dem System for Transfer of Financial Messages (SPFS). “In einigen Jahren wird die Waffe SWIFT daher stumpf sein”, so Gros.

China als Ausweg?

Russland könnte sich zudem stärker China zuwenden, um die westlichen Finanzsanktionen zu umgehen (China.Table berichtete). China könnte als Handelspartner einspringen, denn das Land verfügt über eine finanzielle Parallelwelt: die Zahlungsabwicklung in Yuan.

Schon jetzt laufen 17 Prozent des Handels zwischen China und Russland in Yuan, auch wenn Dollar und Euro weiterhin den Löwenanteil ausmachen. So zahlt China mit der eigenen Währung für Rohstofflieferungen. Russland fügt die eingenommenen Renminbi einerseits den eigenen Devisenreserven hinzu, von denen 12 Prozent auf Yuan lauten. Außerdem verwendet es das chinesische Geld, um Rechnungen für Industriewaren zu begleichen. Eine Stärkung dieses Trends ist bereits länger zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping ausgemacht.

So ist der Ölriese Gazprom bereits auf Yuan umgestiegen, wenn er chinesischen Fluggesellschaften auf russischen Flughäfen das Kerosin in Rechnung stellt. Schon vor zwei Jahren hat die japanische Zeitung Nikkei die Gründung einer “Finanz-Allianz” zwischen Russland und China ausgemacht, als die Verwendung des Dollar im gegenseitigen Handel unter die 50-Prozent-Marke gefallen war.

Eine enge Anbindung an den Yuan-Handel würde Russland zum Junior-Partner des chinesischen Geschäftsmodells machen – zu einem großen Seidenstraßen-Land. Die Rolle des Rubels als C-Währung neben der B-Währung Yuan würde deutlich zutage treten. Und Peking könnte Russland womöglich großzügig mit Krediten unterstützen und ihm danach die Politik diktieren. mit Finn Mayer-Kuckuk

  • China
  • Finanzen

EU-Monitoring

25.02.2022_Monitoring

Informelles Treffen der Minister für die Kohäsionspolitik
28.02.-01.03.2022
Agenda: Themen des informellen Ministertreffens sind die zukünftigen Prioritäten einer Politik, die sich einer gerechteren, innovativeren und grüneren Wirtschaft und Gesellschaft zuwendet.
Infos

Ministerkonferenz zum Thema medizinische Versorgung und Forschung
28.02.2022
Agenda: In Abstimmung mit den beiden anderen Ländern der Trio-Ratspräsidentschaft wird diese hochrangige Konferenz das Ziel verfolgen, Empfehlungen für die Weiterentwicklung der europäischen Regelungen zu seltenen Krankheiten abzugeben.
Infos

Sitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO)
28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Berichterstattung über die laufenden interinstitutionellen Verhandlungen zum Digital Services Act (DSA), der Entwurf einer Stellungnahme zum Zugang von Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum EU-Binnenmarkt sowie eine Abstimmung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON)
28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen, die europäische grüne Anleihe sowie die Einrichtung eines Klima-Sozialfonds.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (AFET)
28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem Berichte der Kommission über Albanien, Nordmazedonien und die Türkei, die Leitlinien für den Haushaltsplan 2023 sowie eine Aussprache mit Sven Koopmans, EU-Sonderbeauftragter für den Nahost-Friedensprozess.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Haushaltsausschusses (BUDG)
28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Einrichtung eines Klima-Sozialfonds, eine Aussprache mit Olivier Dussopt (französischer Minister für staatliches Handeln und öffentliche Haushalte) sowie der Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit 2021.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Internationalen Handel (INTA)
28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems, die Zukunft der Auslandsinvestitionspolitik der EU sowie ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
28.02.2022 13:45-18:45 Uhr, 03.03.2022 13:45-18:45 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung am 28.02. stehen unter anderem der EU-Aktionsplan für die Sozialwirtschaft, das Politikprogramm für 2030 “Weg in die digitale Dekade” sowie ein Berichtsentwurf zur geistigen Gesundheit in der digitalen Arbeitswelt.
Auf der vorläufigen Tagesordnung am 03.03. stehen unter anderem die Inanspruchnahme des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung sowie angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union.
Vorläufige Tagesordnung 28.02. Vorläufige Tagesordnung 03.03.

Sitzung des Ausschusses für Entwicklung (DEVE)
28.02.2022 14:30-18:45 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem Entwürfe zur Stellungnahme zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, zum Zugang zu Wasser als Menschenrecht sowie zum Schema allgemeiner Zollpräferenzen.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI)
28.02.2022 15:45-18:45 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die zukünftige Zusammenarbeit zwischen der EU und Indien in den Bereichen Handel und Investitionen sowie die Leitlinien für den Haushaltsplan 2023.
Vorläufige Tagesordnung

Konferenz verschiedener Akteure zum Thema Kreislaufwirtschaft
01.03.-02.03.2022
Agenda: Das französische Ministerium für den ökologischen Wandel, die Europäische Kommission und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss halten in Brüssel eine Konferenz zum Thema Kreislaufwirtschaft für die breite Öffentlichkeit ab.
Infos

Wöchentliche Kommissionssitzung
02.03.2022
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung steht unter anderem die Kommunikation über Energie und über Lebensmittel. Im Anschluss an die Sitzung der Kommission findet voraussichtlich gegen 12 Uhr eine Pressekonferenz statt.
Vorläufige Tagesordnung Pressekonferenz Live

Informelle Tagung des Rats für Allgemeine Angelegenheiten
03.03.-04.03.2022
Agenda: Die mit den allgemeinen Angelegenheiten betrauten Minister treffen sich zu einem informellen Gespräch über aktuelle Themen aus dem Kompetenzbereich des Rats, dabei geht es um allgemeine Angelegenheiten sowie die Prioritäten des französischen Vorsitzes.
Infos

Rat der EU: Justiz und Inneres
03.03.-04.03.2022
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem Schlussfolgerungen zu Maßnahmen des Katastrophenschutzes angesichts des Klimawandels, die Verordnung über elektronische Beweismittel sowie eine Orientierungsaussprache über einen Rechtsakt zur Migration.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE)
03.03.2022 09:00-12:00 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Restrukturierung der Unionsrahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom, die Änderung der Menge der Treibhausgasemissionszertifikate für die Marktstabilitätsreserve bis 2030 sowie der Berichtsentwurf zur Neufassung der Energieeffizienz.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung (SEDE)
03.03.2022 09:00-12:00 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Sicherheit im Gebiet der Östlichen Partnerschaft und die Rolle der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die aktuelle Entwicklung in Mali und ihre Auswirkungen auf die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN)
03.03.2022 13:00-16:00 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem gleiche Wettbewerbsbedingungen für einen nachhaltigen Luftverkehr sowie die Restrukturierung der Unionsrahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI)
03.03.2022 13:45-17:15 Uhr
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem eine Abstimmung über Änderungen hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, der Entwurf einer Stellungnahme zur Energieeffizienz sowie ein Berichtsentwurf zu persistenten organischen Schadstoffen.
Vorläufige Tagesordnung

Informelles Treffen der Minister für Entwicklung
06.03.-07.03.2022
Agenda: Thema des informellen Ministertreffens ist die Herausforderung bei der Entwicklungszusammenarbeit in einem zunehmend wettbewerbsorientierten Umfeld in den vorrangigen Regionen der Europäischen Union sowie im Hinblick auf den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Coronakrise.
Infos

Sanktionen für Öl- und Gastechnik

Als Teil eines umfassenden neuen Pakets hat die EU Donnerstagabend auch Sanktionen gegen Energie-Unternehmen in Russland auf den Weg gebracht. Betroffen ist technische Ausrüstung zur Instandhaltung und Modernisierung bestehender Raffinerien. Die Einnahmen Russlands aus raffinierten Produkten liegen laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei rund 24 Milliarden Euro im Jahr 2019. Europa will Russland dort treffen, wo es einem der größten Rohstofflieferanten der Welt am meisten wehtut. Seit der Annexion der Krim 2014 waren bereits einzelne Fördertechnologien von internationalen Sanktionen betroffen – insbesondere für Tiefsee- sowie arktische Offshore- und Schieferprojekte.

Einen generellen Importstopp fossiler Rohstoffe aus Russland in die EU hält der Think-Tank E3G allerdings für unwahrscheinlich. “Insbesondere die deutsche Wirtschaft ist stark von russischen Importen abhängig. Ein Verzicht auf diese Lieferungen kann zu einer heftigen Wirtschaftskrise führen”, sagte Beraterin Maria Pastukhova. Ohnehin sei der europäische Gasmarkt liberalisiert, die Politik könne keinen Importstopp anordnen.

Bei anderen Energieträgern sei das Drohpotenzial Russlands dagegen geringer, analysiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). “Die Märkte für Öl und Kohle sind global gut vernetzt. Die USA zum Beispiel wären froh, wenn sie uns mehr Öl und insbesondere Kohle liefern könnten”, sagt Franziska Holz, stellvertretende Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am DIW. Kurzfristig könnten andere Länder die Weltmarktanteile des russischen Öls aber nicht ausgleichen, sagt Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW.

Umgekehrt hält Pastukhova es auch nach dem Angriff auf die Ukraine für unwahrscheinlich, dass Russland Energielieferungen komplett einstellt. Gasexporte machten sieben Prozent des russischen Staatsbudgets aus, Öl sogar ein Drittel. “Ein Exportstopp wäre für den Kreml eine Katastrophe”, so die Beraterin. Gazprom sei zudem durch langfristige Lieferverträge gebunden. Vertragsverletzungen könnten zu heftigen Strafen und Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof führen. Ob sich eventuelle Strafzahlungen wirksam durchsetzen ließen, sei allerdings eine andere Frage.

Energie-Branche müsse Sanktionen gegen Russland tragen

Klar ist: Wirtschaftliche Sanktionen würden auch unvermeidbare Folgen für die deutsche Industrie haben. Wirtschaftsminister Habeck sagte, einen gewissen Schaden müsse man hinnehmen. Frieden habe schließlich einen Preis. Einen Preis, den bei Energie-Sanktionen gegen Russland vor allem die energieintensiven Industrien tragen müssten.

Sollte Gas in Europa knapp werden, könnte die Lage für energieintensive Branchen sehr problematisch werden, sagt Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI): “Den Chemieunternehmen drohen in diesem Fall explodierende Preise für Erdgas bei einem ohnehin historisch hohen Preisniveau.” Die Branche setze derzeit rund 3,2 Millionen Tonnen Erdgas als Rohstoff (39 Prozent des Gesamtverbrauchs) und 84 Terawattstunden (61 Prozent des Verbrauchs) für die Energieerzeugung ein, teilt der VCI mit.

Zwar hat Habeck auch “Kompensationsmechanismen” für die Preisabfederung angekündigt, allerdings ist noch offen, ob es diese auch für die industrielle Fertigung geben wird oder nur für die Entlastung der Verbraucher. Das im Koalitionsausschuss am Mittwoch beschlossene Entlastungspaket richtet sich vor allem an einkommensschwache Haushalte.

Entlastungen für die Industrie

Die Industrie entlaste es zu wenig, die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage reiche angesichts der akuten Lage nicht, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Er fordert, dass Strom- und Gassteuer auf den europäischen Mindestsatz abgesenkt und das Volumen sowie der Zeitraum des Verlustrücktrags ausgeweitet werden.

Dass Energiekompensationen in Form von Steuererleichterungen oder Beihilfen mit der Gießkanne ausgeschüttet werden – ähnlich wie in der Corona-Pandemie, hält Hubertus Bardt, Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), allerdings nicht für zielführend. “Ich warne davor, alle Kostensteigerungen beim Staat abzuladen.”

Vielmehr müssten “Problem-Hotspots” ausgemacht werden, an denen strukturelle Konsequenzen für eine Branche durch die Energiepreise drohen. Eine Härtefallregelung für besonders betroffene und vor der Pleite stehende Unternehmen hält Bardt für das Sinnvollste. Er rechnet auch langfristig mit einem hohen Niveau der Energiekosten, da Russland endgültig als vertrauensvoller Energielieferant wegfallen dürfte. Manuel Berkel und Lukas Scheid

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Technologie-Sanktionen: Indirekt wirksam

Nach der Invasion Russlands in der Ukraine soll unter anderem die Anwendung der EU-Dual-Use-Verordnung für Russland deutlich ausgeweitet werden: Bestimmte Technologien, die im militärischen Bereich genutzt oder zur Unterstützung dieses eingesetzt werden könnten, sollen künftig kaum mehr nach Russland exportiert werden können. Auch eine Unterstützungsleistung, etwa eine Wartungsdienstleistung, hätte kaum mehr Chancen auf eine Genehmigung.

Dazu zählen Güter unter anderem aus den Bereichen Elektronik, Sensorik und Laser. Zudem werden Güter, deren Lieferung an den russischen Verteidigungssektor bereits seit 2014 eingeschränkt, nun auch für zivile Abnehmer genehmigungspflichtig.

EU und USA mit Technologie-Sanktionen gegen Russland

Da Sanktionen seitens der EU allein bei Hochtechnologien nur in bestimmten Bereichen Wirkung zeigen dürften, kommt der internationalen Zusammenarbeit eine besondere Bedeutung zu. Zwar gibt es in der EU einige Hersteller und Anbieter, aber insbesondere im Zusammenwirken mit den USA, Japan, dem Vereinigten Königreich, Südkorea und Taiwan wird hier starker Druck aufgebaut. Bei einem konzertierten Zusammenwirken der Staaten sind Produkte und Dienstleistungen aus diesen Ländern kaum zu ersetzen.

Die USA greifen jetzt zu einem ihrer schärfsten Sanktionsschwerter: der Foreign Product Direct Rule (FPDR) (Europe.Table berichtete). Mit ihr entfalten die Sanktionen sogar über die selbst sanktionierenden Staaten und dort ansässige Firmen hinaus massive Wirkung: Mittels FPDR werden Exportrestriktionen auch indirekt bei Produzenten wirksam. Wenn die Herstellung wesentlich von US-Produkten abhängt, etwa von Software, Bauteilen oder Chips, fallen die Endprodukte ebenfalls unter das Sanktionsregime und benötigen eine US-Ausfuhrgenehmigung.

Unmittelbar betrifft das etwa den Hardwarebereich: Ein großer Teil der weltweit verwendeten Informationstechnologie hängt von geistigem Eigentum ab, das US-Inhabern zuzurechnen ist. Dass diesem Regime selbst chinesische Anbieter nicht entgehen können, zeigte bereits die erstmalige Anwendung der FDPR auf den IT-Konzern Huawei 2019. Zudem würde ohne entsprechende Lizenzierung durch die Inhaber des geistigen Eigentums ein Export von Gütern aus Russland in weite Teile der Welt unmöglich – dass die USA bei Umgehungsversuchen der Sanktionen harte Maßnahmen ergreifen, dürfte auch allen Handelspartnern Moskaus bestens bekannt sein.

Russland könnte also auf einen Schlag vom Nachschub und dem Absatz von etlichen Produkten mit moderner Technologie abgeschnitten sein. Kurzfristig würden Auswirkungen von den Lagerbeständen in Russland abhängen. Die Ausfuhrkontrollen könnten die wirtschaftliche Entwicklung Russlands “erheblich beeinträchtigen, allerdings nur mittel- und langfristig”, sagt Daniel Gros vom Thinktank CEPS.

Mittelfristig wäre für die Sanktionswirkung wichtiger, ob Putins Wirtschaft alternative Lieferanten und Dienstleister findet, die auch das hohe Risiko eigener Betroffenheit von Sanktionen nicht scheuen. Doch das Marktvolumen der russischen Wirtschaft insgesamt ist jenseits der Förderung fossiler Energieträger und der Militärtechnologie im weltweiten Vergleich gering und nicht im Ansatz in der Lage, Marktzugangsverluste bei den G7, der EU und den USA auch nur im Ansatz auszugleichen.

Russland im Hightech-Bereich kein entscheidender Markt

Aus deutscher Perspektive ist Russland kein unwichtiger, aber doch nur ein kleiner Technologie-Absatzmarkt. Sowohl der Informations- und Telekommunikations-Verband Bitkom als auch der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI sehen die Russische Föderation nicht unter den top Zehn der Absatzländer. Seitens der Elektro- und Digitalindustrie wird etwa für 2021 das Marktvolumen mit gerade einmal 3,8 Milliarden Euro angegeben – bei einem weltweiten Gesamtexportmarkt von 225 Milliarden Euro.

Andersherum spiele Russland allerdings in der Produktion nicht nur bei den Energieträgern, sondern auch indirekt bei bestimmten Rohstoffen wie Nickel oder Aluminium eine wichtige Rolle. Hier seien die Rohstoffmärkte ohnehin bereits angespannt, was zu weiteren Preissteigerungen führen dürfte. Allerdings würden die Produkte in der Regel indirekt gehandelt, sodass kaum unmittelbare Abhängigkeiten von der Russischen Föderation bestehen.

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Beziehungen zu Russland: Chinas Balanceakt

Es ist ein atemberaubender Balanceakt, den China derzeit in der Russland-Ukraine-Krise aufführt. Während Russlands Präsident Wladimir Putin seine Truppen in die Ukraine schickt und aus allen Teilen des Landes Raketenangriffe gemeldet werden, übt sich die Führung in Peking in chinesischer Extrem-Dialektik. Das heißt: Festhalten an der Souveränität und Territorialität der Ukraine – und gleichzeitig keine Verurteilung des russischen Angriffs, der just diese Souveränität und Territorialität in Stücke reißt.

Um einen derartigen Gedanken-Spagat hinzubekommen, bestritt das Außenministerium in Peking am Donnerstag, dass es sich bei dem russischen Vormarsch überhaupt um eine Invasion handelt. “Das ist vielleicht ein Unterschied zwischen China und Ihnen Westlern. Wir werden nicht zu einem voreiligen Schluss kommen”, sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying auf der täglichen Pressekonferenz.

China: Keine Sanktionen gegen Russland nach Angriff auf die Ukraine

Auch dass selbst die chinesische Botschaft in Kiew zu diesem Zeitpunkt die eigenen Staatsbürger vor Explosionen warnt und von Kriegszustand spricht, konnte Hua nicht von ihrer Linie abbringen. Sie sprach lieber von einem “sogenannten Angriff” und von einem “komplizierten historischen Hintergrund, der bis heute andauert. Es ist vielleicht nicht das, was jeder sehen möchte.” Offenbar hat China einen ganz eigenen Blick auf die Lage.

Strafmaßnahmen gegen Russland aufgrund des Angriffs auf die Ukraine, wie sie derzeit von Deutschland, Europa und den USA diskutiert und beschlossen werden, kommen für China ohnehin nicht infrage. Schon am Mittwoch hieß es in Peking dazu: “Sanktionen waren noch nie ein wirksamer Weg zur Lösung von Problemen.” Vielleicht ließ US-Präsident Joe Biden deshalb auch bei seiner gestrigen Pressekonferenz die Frage unkommentiert, ob er China zu Sanktionen drängen wolle.

Ebenfalls am Donnerstag bestätigte die chinesische Außenamtssprecherin nochmals, dass China den Handel mit Russland aufrechterhalten werde, Lieferungen von Öl und Erdgas eingeschlossen. Bemerkenswert: Die Grundpfeiler der chinesischen Außenpolitik – Achtung der Souveränität von Staaten, Gebot der Nichteinmischung und Wahrung der Territorialität – kamen Hua Chunying an diesem Tag nicht über die Lippen.

Dabei ist es noch keine Woche her, da erklärte Chinas Außenminister Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass auch in diesen Zeiten die Souveränität aller Nationen respektiert werden müsse. “Und die Ukraine ist keine Ausnahme”, sagte Wang in München.

Wang und Lawrow stimmen sich ab

Jener Wang Yi telefonierte am Donnerstag dann auch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, um die aktuelle Lage in der Ukraine zu besprechen. Das russische Außenministerium in Moskau gab den Inhalt des Gesprächs anschließend wie folgt wieder: “Die Minister haben ihrer gemeinsamen Überzeugung Ausdruck verliehen, dass der Grund der aktuellen Krise die von den USA und deren Verbündeten ermutigte Weigerung Kiews ist, das vom UN-Sicherheitsrat genehmigte Maßnahmenpaket von Minsk umzusetzen.”

Das chinesische Staatsfernsehen CCTV hingegen hielt am Pekinger Balanceakt fest: Demnach habe Wang Yi durchaus klargestellt, dass China die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder respektiere. “Gleichzeitig sehen wir, dass die Ukraine-Frage ihre komplexen und historischen Besonderheiten hat, und wir verstehen die berechtigten Bedenken Russlands in Sicherheitsfragen“, soll Wang gegenüber Lawrow gesagt haben. “China tritt dafür ein, dass die Mentalität des Kalten Krieges vollständig aufgegeben und durch Dialog und Verhandlungen endlich ein ausgewogener, effektiver und nachhaltiger europäischer Sicherheitsmechanismus geschaffen werden sollte.”

Mögen es auch nur Nuancen sein, die Unterschiede zwischen den beiden Stellungnahmen sind dennoch bemerkenswert. Sie verdeutlichen, wie sehr China versucht, diesen schier unmöglichen Balanceakt zu meistern. China will sich von Russland nicht abwenden, aber komplett vereinnahmen lassen will man sich auch nicht. 

Feng Yujun, Direktor des Zentrums für russische und zentralasiatische Studien an der Fudan-Universität in Shanghai, warnte denn auch: Russland versuche, die Konfrontation zwischen China und den USA auszunutzen, um seine eigenen Ziele zu erreichen. China müsse aufpassen, denn einige Länder würden in der aktuellen Krise ausschließlich ihre eigenen geopolitischen Ziele verfolgen, sagte der Wissenschaftler im Interview mit dem chinesischen TV-Sender Phoenix.

Russland und Ukraine als wichtige Partner von China

Die Lage Chinas ist kompliziert: Russland und China sehen sich als strategische Partner. Als Putin zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Peking gereist war, zelebrierten die beiden Präsidenten ihre grenzenlose Freundschaft. Es wirkte, als passe kein Blatt zwischen die beiden autoritären Großmächte (China.Table berichtete). Die beiden autokratischen Machthaber verbindet eine tiefe Ablehnung der westlichen Ordnung unter Führung der USA.

Doch gleichzeitig ist auch die Ukraine ein wichtiger Partner Chinas. Seit 2020 ist das Land Mitglied der chinesischen “Belt and Road”-Initiative. Auch liefert es große Mengen an Getreide und Mais nach China. Zudem versorgt die Ukraine China mit wichtigen Rüstungsgütern wie Gasturbinen-Motoren für Lenkwaffenzerstörer oder mit Technologie für Luftkissenlandungsboote, die gerade im Hinblick auf Taiwan wichtig sind.

Denn auch dieser Aspekt spielt in den Entscheidungen Pekings eine wichtige Rolle. Etliche Analysten vermuten, dass Xi Jinping sich genau die Reaktion des Westens anschaut und das russische Vorgehen in der Ukraine eventuell als Blaupause für einen Schlag gegen Taiwan nutzen könnte. Es wird kein Zufall gewesen sein, dass am Donnerstag acht chinesische J-16-Kampfjets und ein Y-8-Aufklärungsflugzeug in den taiwanischen Luftraum eingedrungen sind, wie das dortige Verteidigungsministerium meldet. Und nur wenige Stunden zuvor versicherte Ma Xiaoguang, Sprecher des Büros für Taiwan-Angelegenheiten des chinesischen Staatsrats: Chinas nationale Wiedervereinigung muss und wird sicher verwirklicht werden.

China bleibt außenpolitische Priorität der USA

So lavierend sich China am Donnerstag auch gab, klar und eindeutig war man dann wieder bei der Benennung des Hauptschuldigen: die USA. “Was wir heute sehen, ist nicht das, was wir uns zu sehen gewünscht haben”, sagte Hua Chunying. “Die USA fachen die Flammen an.”

Schon sind erste Stimmen zu hören, die daraus einen originären Nutzen für China ableiten wollen. Geopolitisch spräche für ein von Russland ausgelöstes Chaos in der Ukraine, dass es die USA militärisch vom ostpazifischen Raum ablenken könnte, meint Shi Yinhong. Die USA müssten “Aufmerksamkeit und Ressourcen auf China im Indopazifik reduzieren”, sagte der Professor für internationale Beziehungen an der Pekinger Renmin-Universität der Zeitung “South China Morning Post”.

Doch Peking sollte sich nichts vormachen. Die USA haben China als außenpolitische Priorität identifiziert – und daran wird auch der Krieg in der Ukraine nichts ändernDas zeigt auch die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, keine US-Truppen in die Ukraine zu schicken.

Im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Interessen in der Ukraine hat Peking bis in die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass es durchaus bereit ist, wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen, um seine politischen Ziele zu erreichen.

Daher ist es nun an der Zeit, China beim Wort zu nehmen. Seit Jahren präsentiert sich die Volksrepublik auf der internationalen Bühne selbstbewusst als vermeintlich verantwortungsvoller Partner. Dialektische Verrenkungen passen dazu nicht. Im Gegenteil: Nun wäre ein guter Moment für verantwortungsvolles Handeln. Michael Radunski

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News

Sondersitzungen im Bundestag und EP

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist Anlass für Sondersitzungen im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament. Am Sonntag kommt der Bundestag auf Wunsch von Bundeskanzler Olaf Scholz außerplanmäßig zusammen. Scholz kündigte an, eine Regierungserklärung zu halten. 

Kommenden Dienstag findet auf Anregung von EP-Präsidentin Roberta Metsola und den Fraktionsvorsitzenden eine außerordentliche Plenarsitzung in Brüssel statt. Man werde über die Reaktion des Parlaments auf den russischen Einmarsch in die Ukraine debattieren und eine Entschließung verabschieden, so die Ankündigung.

Die Konferenz der Präsidenten des EP verurteilte den Angriff auf die Ukraine gestern in einer gemeinsamen Erklärung. “Die Invasion ist ungerechtfertigt und illegal”, hieß es. Das Parlament unterstütze eine “beispiellose europäische und internationale Reaktion, einschließlich neuer und strenger Sanktionen“.  Der Kreml müsse für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden. sas

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BNetzA: ACER-Entscheidung ohne Folgen

Das Scheitern des aktuellen Berichts zur Versorgungssicherheit der europäischen Stromnetzbetreiber (Europe.Table berichtete) hat laut Bundesnetzagentur “für Deutschland keine weiteren Auswirkungen”, wie ein BNetzA-Sprecher am Donnerstag auf Anfrage mitteilte. Die europäische Regulierungsagentur ACER hatte tags zuvor die erste “Abschätzung der Angemessenheit der Ressourcen auf europäischer Ebene” des europäischen Übertragungsnetzbetreiberverbands ENTSO-E wegen Mängeln nicht genehmigt. Laut Strombinnenmarktverordnung hat der Bericht auch Auswirkungen auf nationale Entscheidungen über Kapazitätsmärkte für neue Kraftwerke.

Wie die Bundesnetzagentur nun klarstellte, bleibt die europäische Abschätzung beziehungsweise deren Scheitern aber vorerst ohne Wirkung: “Für die deutschen Gegebenheiten ist das Nationale Versorgungssicherheits-Monitoring nach §51 Energiewirtschaftsgesetz entscheidend, solange das European Resource Adequacy Assessement nicht den von ACER aufgestellten Voraussetzungen entspricht.” ber

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Presseschau

EU-Eliten treten aus russischen Vorständen aus FT
Habeck plant nationale Kohlereserve SPIEGEL
Woidke stellt Kohleausstieg bis 2030 infrage TAGESSPIEGEL
Sicherheitsbehörden fürchten massive Attacken russischer Hacker TAGESSPIEGEL
Ukraine offenbar mit Zerstörungssoftware angegriffen SPIEGEL
Bauminister fordern von Robert Habeck verlässliche Bauförderung ZEIT
Energiepolitik: Kritik am Milliardenpaket der Ampel-Koalition SUEDDEUTSCHE
EU-Datengesetz: “Großer Wurf”, aber auch ein Drahtseilakt HEISE
Tinder’s bid to woo young French voters DW
Warum sich die Windkraftindustrie immer mehr aus Europa zurückzieht HANDELSBLATT

Standpunkt

Krieg in Europa: Es geht nicht nur um die Ukraine

Von Sigmar Gabriel
Russland-Ukraine-Konflikt und der Krieg in Europa: Sigmar Gabriel, Bundesminister a. D., bei einer Pressekonferenz vor blauem Hintergrund mit Brille
Sigmar Gabriel, Bundesminister a. D., Vorsitzender der Atlantik-Brücke e. V.

Ohnmächtig muss Europa und muss der Westen zusehen, wie Russland-Präsident Wladimir Putin den Frieden in Europa bricht und die Ukraine mit militärischer Gewalt überzieht. Krieg mitten in Europa? Wer hätte sich das hierzulande noch vor wenigen Monaten vorstellen können? 

Und bevor jetzt wieder die vor allem in Deutschland verbreiteten Selbstbezichtigungen kommen, nach denen “der Westen” es mit der “Einkreisung Russlands übertrieben” habe und wir selbst schuld daran seien, dass der “russische Bär jetzt gereizt reagiert”, lohnt sich ein Blick in die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Begründung seiner als “Anerkennung” der ostukrainischen Separatistengebiete getarnten Annexion. Und es geht schon gar nicht um den angeblich notwendigen Schutz des russischen Teils der Bevölkerung in der Ost-Ukraine, die man angeblich vor dem “Genozid” und einer “faschistischen Regierung in Kiew” schützen müsse. 

Es geht um etwas ganz anderes: um die Rückkehr Russlands als Großmacht, das eher an das Zarenreich anknüpft als an die frühere Sowjetunion. Anders als in der früheren Sowjetunion sollen in diesem Russland nicht verschiedene Völker vereint, sondern ein hegemonialer Anspruch einer angeblich einzigartigen russischen Zivilisation verankert werden, die aus den drei ostslawischen Völkern – Russen, Ukrainer und Belarussen – hervorgegangen sei und die sich als grundverschieden zur “westlichen Zivilisation” versteht.

Die darauf beruhende “russische Nation” kennt keine eigenständigen Staaten in der Ukraine, in Weißrussland und vermutlich auch nicht im Kaukasus, Teilen Zentralasiens und vermutlich nicht einmal in Finnland. Nicht nur die Europäer werden deshalb die Rede des russischen Präsidenten mit Aufmerksamkeit und Besorgnis gehört haben. Vor allem aber soll diese “russische Nation” nach dem Willen Wladimir Putins auch wieder zur europäischen Großmacht werden, die über die Zukunft und das Schicksal Europas mindestens mitentscheiden soll. Ganz so, wie es mit dem zaristischen Russland über Jahrhunderte der Fall war.

Russland bleibt nur das Militär als Instrument

Der russische Präsident will eine Entwicklung rückgängig machen, in der Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kontinuierlich an Einfluss in Europa verloren hat und immer mehr auf die Rolle eines Energielieferanten herabgestiegen ist. Geopolitisch haben die USA seit 1945 den Westen Europas und seit 1989 ganz Europa dominiert. Russland spielte keine Rolle mehr, stattdessen hat in den vergangenen Jahren China seinen Einfluss in Europa ausgebaut. Russland ist global, aber eben auch in Europa der große geopolitische Verlierer. Diesen Trend will der russische Präsident stoppen und umkehren. Und da Russland weder wirtschaftlich noch politisch attraktiv ist, bleibt “nur” das Militär als Instrument, um das Land wieder als eine europäische Macht zu etablieren.

In gewisser Weise hat der russische Präsident dieses Ziel bereits erreicht, denn die USA verhandeln wieder mit ihm über das Schicksal Europas. Aus russischer Sicht ist das die Rückkehr zur Normalität: Russland hat 1945 mit den USA über die Zukunft Europas verhandelt, 1989/1990 erneut im Rahmen der deutschen Einheit und auch 1997 mit der NATO-Russland-Grundakte. 

Russland will diese Entwicklung nach 1989/90 wieder rückgängig machen und sich wie zuvor jahrhundertelang als Großmacht in Europa positionieren. Es geht ihm um Einfluss auf die künftige Rolle Europas im Rahmen der Neuordnung der Welt, die gerade in Gang gekommen ist. Denn die Nachkriegsordnung des Zweiten Weltkrieges ist mit ein bisschen Verspätung zu Ende gegangen. Was wir als globale Ordnung gewohnt waren, entstand, als Staaten wie China und Indien noch Entwicklungsländer waren, die zur sogenannten “Dritten Welt” gehörten.

Entschieden wurde in der “ersten Welt”: in den USA, der UdSSR und den demokratischen Industriestaaten des Westens. Mit dem Niedergang der Sowjetunion und dem Aufstieg Chinas verband sich auch – anfangs weitgehend unbemerkt – das Ende der “Pax Americana”. Die Vereinigten Staaten waren immer weniger in der Lage, sowohl führende Wirtschafts- und Technologienation zu sein wie die globale Ordnung aufrechtzuerhalten. 

Europa muss sich dem Machtanspruch entgegenstellen

Schon lange vor Donald Trump begannen die USA, sich aus ihrer traditionellen Rolle als globale Ordnungsmacht Schritt für Schritt zurückzuziehen, um ihre Kraft auf den neuen Wettbewerb mit China konzentrieren zu können. Nicht mehr Europa und der Atlantik bilden heute das Gravitationszentrum der Welt, sondern der Indo-Pazifik. Dort lebt inzwischen die Mehrheit der Weltbevölkerung, dort wird der Großteil des weltweiten Sozialprodukts erarbeitet, und längst sind in diesem Teil der Welt auch fünf Nuklearstaaten mit der Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen entstanden. Wir sind Zeitzeugen einer geradezu tektonischen Verschiebung der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Machtachsen der Welt. 

Noch ist unklar, wie die neue Weltordnung aussehen wird, Russland allerdings will dabei wieder eine entscheidende Rolle spielen. Von Zentralasien und dem Kaukasus und dem Nahen Osten bis nach West-Afrika reicht inzwischen das militärische Engagement Russlands. Und nun nutzt das Land seine militärischen Fähigkeiten auch, um Europas Rolle bei dieser Neuordnung der Welt zu beeinflussen und wenn möglich zu bestimmen. Es geht also um weit mehr als um die Ukraine oder das angeblich bedrohte Sicherheitsbedürfnis von Russlands. Es geht um seinen imperialen Machtanspruch, die Zukunft Europas zu bestimmen. Europa ist gut beraten, sich diesem Machtanspruch entgegenzustellen.

Denn machtlos oder gar ohnmächtig ist Europa nicht, auch wenn man wieder einmal den Einruck haben kann, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs froh darüber sind, dass die Vereinigten Staaten noch einmal bereit sind, über die Zukunft Europas mit einer fremden Macht zu verhandeln. Aus russischer Sicht ist das normal, denn Europa ist Objekt russischer Politik und nicht Subjekt, mit dem es etwas auszuhandeln gilt.

Allzu sicher sollten wir Europäer uns allerdings im Schutz unseres traditionellen Bündnispartners auf der anderen Seite des Atlantiks allerdings nicht sein. Denn es ist keinesfalls gewiss, dass der nächste amerikanische Präsident sich noch in der Verantwortung für Europa empfindet. Der parteiübergreifende politische Trend in den USA geht jedenfalls wieder weit mehr in den Isolationismus, als sich noch als “indispensible nation” für die Aufrechterhaltung einer demokratischen und friedlichen Ordnung in Europa zu empfinden. 

Russland-Ukraine-Konflikt: Keine militärischen Mittel von Europa

So unvorstellbar das in den westlichen Demokratien Europas war, so selbstverständlich scheint Krieg aus Sicht der russischen Eliten nach wie vor ein Mittel der Politik zu sein. Wir in Europa haben weitestgehend verdrängt, dass Russland 2008 mit einem ähnlichen Drehbuch wie derzeit in der Ukraine seinen Nachbarn Georgien überfallen hat. Seit 2014 annektiert Russland nicht nur die Krim, sondern unterstützt die Separatisten in der Ost-Ukraine militärisch und führt dort seit acht Jahren Krieg, wenn auch bislang einen begrenzten.

Syrien erscheint uns weit entfernt, aber dort ist Russland bereit, mit dem brutalen Menschenschinder Assad gemeinsame Sache zu machen. Und wer der russischen Sprache mächtig ist, konnte in den vergangenen Wochen zur besten Sendezeit Diskussionen im russischen Fernsehen verfolgen, in denen ohne großen Widerspruch nach einem neuen Krieg gerufen wurde – einerseits um das eigene Land wieder zu einen, andererseits um “dem Westen” mal seine Grenzen aufzuzeigen. 

Aus wohlüberlegten Gründen werden weder die USA noch Europa der Ukraine mit militärischen Mitteln im Russland-Konflikt zur Seite stehen. Eine direkte militärische Konfrontation mit dem Atomwaffenstaat Russland scheut die NATO zurecht, denn ein solcher Krieg würde schnell außer Kontrolle geraten, an seinem Ende könnten atomare Verwüstungen in weiten Teilen Europas stehen. Das weiß auch der russische Präsident und deshalb wirken wir wie hilflose Zuschauer, denen gerade die Illusion eines zwar nicht konfliktfreien, aber doch friedlichen Miteinanders in Europa genommen wird.

Mitten aus der Vision eines immer grüner und klimafreundlicher werdenden Europas, dem Streben nach Gendergerechtigkeit und der Suche nach dem angemessenen Sprachgebrauch für die Diversität unserer Gesellschaften schlagen wir hart in einer ganz anderen Realität auf. In ihr geht es nicht um Werte – jedenfalls nicht um die des demokratischen Westens und der Aufklärung, sondern um Macht und um deren weitgehend rücksichtslose Durchsetzung. Das macht uns im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. 

China wird Einigkeit des Westens genau beobachten

Natürlich können und müssen wir jetzt harte Sanktionen gegen Russland ergreifen. Härter und konsequenter als alles, was wir bisher vorstellen konnten. Aber wir ahnen bereits, dass Russland diese Sanktionen bereits in die Kosten seines Krieges “eingepreist” hat: Weder der Stopp des Erdgasprojekts Nord Stream 2 noch das Einfrieren von Vermögen der russischen Oligarchen oder die Entkoppelung Russlands vom europäischen und amerikanischen Finanzmarkt werden die russische Führung zur Umkehr bewegen.

Sanktionen sind für Russland eine Art “Großmachtsteuer”, die man bereit sein muss zu zahlen, wenn man geopolitisch ein Machtfaktor sein will. Und selbst wenn wir weitergehen und uns vollständig vom russischen Energiemarkt abkoppeln und Russland aus dem internationalen Zahlungsverkehr ausschließen: Nichts davon wird schnell wirken, zumal mit China ein neuer wirtschaftlicher Partner für Russland zur Verfügung steht. 

Eigentlich widerspricht Russlands Invasion in der Ukraine den chinesischen Prinzipien der Nichteinmischung in anderen Staaten – aber so weit, dass es sich an westlichen Sanktionen beteiligen würde, wird das Reich der Mitte nicht gehen. Zu groß ist die geopolitische Rivalität Chinas mit den USA. Im Gegenteil: Aus Sicht der politischen Führung Chinas wird dieser Konflikt eine hohe Aufmerksamkeit erhalten.

Insbesondere mit Blick auf Chinas Anspruch auf Taiwan wird Peking genauestens studieren, ob und wie lange Europa und die USA zusammenstehen oder ob sich möglicherweise irgendwann Risse in dieser Einigkeit beobachten lassen. China will mit Blick auf drohende US-Sanktionen aus dem aktuellen Konflikt zwischen Russland und dem Westen lernen. Zudem ist aus chinesischer Sicht gut, wenn die USA Teile ihrer Kraft wieder auf Europa und auf Russland konzentrieren müssen, weil das zugleich den amerikanischen Fokus auf den Indo-Pazifik behindert. Der Konflikt mit Russland hat also durchaus globale Folgen.

Rückkehr zu militärischer Abschreckung

Trotzdem bleiben Sanktionen richtig, denn sie sind die einzig vorhandene Möglichkeit einer Reaktion auf diesen eklatanten Bruch des Völkerrechts und des Friedens in Europa. Würden wir gar nichts tun, wäre das geradezu eine Einladung an Russland, es demnächst an anderer Stelle erneut zu versuchen. Es dürfte nur die Mitgliedschaft in der NATO sein, die die drei baltischen Republiken davor schützt, das nächste Opfer russischer Großmachtpolitik zu werden. Denn auch umgekehrt scheut Putin die direkte Konfrontation mit dem westlichen Verteidigungsbündnis. Wer in den letzten Jahren an der Sinnhaftigkeit der NATO und des nuklearen Schutzschildes der USA für Europa gezweifelt hat, sollte jetzt eines Besseren belehrt sein. 

So bitter und entsetzlich es ist: Wir sind zurück in einer Zeit, in der wir in Europa auch auf militärische Abschreckung setzen müssen. Russland wird jetzt das erleben, was es angeblich verhindern wollte: Die Stationierung von NATO-Truppenverbänden und modernen Waffensystemen in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Denn genau das ist entgegen der russischen Propaganda bislang nicht der Fall. Es grenzen zwar Mitgliedsstaaten der NATO an Russland und doch “steht” die NATO nicht Truppenverbänden oder Waffensystemen an der Grenze zu Russland.

Beides ist in der NATO-Russland-Grundakte ausgeschlossen, um trotz der Osterweiterung der NATO den Sicherheitsbedürfnissen Russlands entgegenzukommen. Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine diesen und mehrere andere Verträge gebrochen. Die Folge wird sein, dass es wieder wie bis 1989 eine lange Grenze geben wird, in der sich die militärischen Verbände Russlands und der NATO unmittelbar gegenüber stehen. Aus Sicht der Ukraine rächt sich jetzt, dass das Land 2008 nicht in die NATO aufgenommen wurde.

Einigkeit in Europa ist Voraussetzung im Russland-Ukraine-Konflikt

Die wichtigste Voraussetzung, die Europa jetzt braucht, um den Russland-Ukraine-Konflikt durchzustehen, ist Einigkeit. Russland testet uns. Der russische Präsident weiß um die wirtschaftlichen Sorgen in einigen EU-Mitgliedsstaaten, um die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von relativ preiswertem russischen Gas und Öl und er kennt die inneren Spaltungen zwischen West- und Osteuropa. Nach seiner Überzeugung sind die westlichen Demokratien verweichlicht und halten einen harten Kurs gegen Russland nicht lange durch. Wir sollten ihn eines Besseren belehren.

Das beginnt übrigens damit, dass wir uns gegenseitig helfen: zuallererst der Ukraine. Wenn nicht durch die Lieferung von defensiven Waffensystemen, dann aber beim Schutz vor Cyberattacken. Wir sehen zwar derzeit die “gewohnten” Bilder eines Krieges, aber es ist zu vermuten, dass die hybride Kriegsführung mit Cyberangriffen auf die Infrastruktur des Landes noch weit größere Schäden anrichten wird.

Und wir müssen innerhalb Europas denjenigen helfen, die wirtschaftlich und finanziell schwächer sind und für die Sanktionen gegen Russland negative Folgen im eigenen Land haben werden. Vergleichbar dem European Recovery Programm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas nach der Pandemie braucht es gemeinschaftlich finanzierte Hilfen für die schwächeren Mitgliedsstaaten der EU und des westlichen Balkans.

In europäische Souveränität investieren 

Wenn Europa ein ernstzunehmender Gegenspieler gegen die Hegemonialansprüche Russlands sein und zum “globalen Akteur” werden will, wie es die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen formuliert hat, dann müssen die Mitgliedsstaaten der EU bereit sein, in die europäische Souveränität zu investieren. Dabei geht es nicht zuallererst um den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik oder gar einer europäischen Armee. Denn militärisch ist der Konflikt mit der Nuklearmacht Russland ohnehin nicht zu führen und schon gar nicht zu gewinnen.

Die eigentliche Kraft Europas ist wirtschaftlicher und finanzieller Natur. Den Binnenmarkt zu vertiefen, eine gemeinsame Energie– und Industriepolitik zu entwickeln, die Kapitalmarktunion herbeizuführen und nicht zuletzt die Europäische Währungsunion gemeinsam zu verbürgen und den Euro zu einer internationalen Reservewährung zu entwickeln, sind keine technokratischen Projekte, in deren Mittelpunkt der jeweilige wirtschaftliche Eigennutz der Betroffenen steht. Sondern all das dient der wirtschaftlichen und finanziellen Souveränität Europas, die man gerade jetzt einsetzen muss, um den Preis für weitere militärische Gewaltakte Russlands so hoch wie möglich zu machen.

Deutschland wird Energielieferanten diversifizieren

Das wird manches “über den Haufen” werfen, was wir uns in Deutschland an finanziellen und investiven Zielen gesetzt haben. Aber harte Sanktionen gegen Russland halten wir gemeinsam nur durch, wenn wir uns auch gegenseitig helfen. Das gilt auch innerstaatlich in der Energiepolitik: Deutschland wird – ganz unabhängig vom Ausgang der Krise mit Russland – seine Energielieferanten diversifizieren.

Der Grund, warum Russland der bevorzugte Energielieferant wurde, ist natürlich der kostengünstige Preis russischer Energierohstoffe. Da die Energiepreise auch ohne die aktuelle Krise mit Russland bereits hoch waren, muss die Bundesregierung Entlastung schaffen, wenn der Konflikt mit Russland die Preise für Öl und Gas noch mehr steigen lässt. Das wird Geld kosten. Geld, das entweder für anderes eingeplant war oder das wir uns am Kreditmarkt leihen müssen. Letzteres ist bei steigenden Zinsen infolge der aktuellen Inflationsentwicklung auch kein einfaches Unterfangen. 

Europa müsse “die Sprache der Macht lernen”, so der Hohe Beauftragte der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, lange vor dem Beginn der Russlandkrise. Davon ist Europa noch weit entfernt. Aber die Erkenntnis, dass Krieg in Europa wieder möglich ist, könnte zum Wendepunkt Europas werden, um bei der anstehenden Neuordnung der Welt ein starker Spieler zu werden statt ein Spielball fremder Mächte.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Westen einigt sich auf Sanktionen gegen Russland
    • Finanzsektor: Wie die EU Russlands Wirtschaft treffen will
    • EU-Monitoring
    • Sanktionen für Öl- und Gastechnik
    • Technologie-Sanktionen: Indirekt wirksam
    • Chinas Balanceakt in den Beziehungen zu Russland
    • Sondersitzungen im Bundestag und EP
    • BNetzA: Acer-Entscheidung ohne Folgen
    • Sigmar Gabriel: Beim Krieg in Europa geht es nicht nur um die Ukraine
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die USA, die G7 und die EU auf weitreichende Sanktionen gegen Russland geeinigt. Wir nehmen die einzelnen Bereiche genauer in den Blick. Till Hoppe analysiert die geplanten Strafmaßnahmen gegen den russischen Finanzsektor. Die USA, UK und die EU erhöhen deutlich den Druck auf Russlands Banken. Doch vor dem Ausschluss der russischen Finanzindustrie aus SWIFT schreckt der Westen bislang zurück – wohl auch auf Wunsch Deutschlands.

    Die Bundesrepublik gehört zu den Ländern, die besonders stark von russischem Gas abhängen. Entsprechend angespannt wird derzeit die Frage behandelt, wie es mit den Energielieferungen weitergeht. Die Sanktionen der EU zielen denn auch auf die technische Ausrüstung der russischen Öl- und Gasindustrie ab, nicht auf den Import fossiler Rohstoffe. Zugleich diskutiert die deutsche Industrie Kompensationen für weiter steigende Energiepreise, wie Manuel Berkel und Lukas Scheid berichten. 

    Ausfuhrbeschränkungen für High-Tech-Produkte sollen Russlands Wirtschaft empfindlich treffen. Doch die EU allein könne in diesem Bereich nur in begrenztem Maß etwas ausrichten. In Zusammenarbeit mit den USA, Japan, UK, Südkorea und Taiwan werde allerdings starker Druck aufgebaut, schreibt Falk Steiner

    Und China? Das lege zurzeit einen beachtlichen Spagat hin, schreibt Michael Radunski. Die Volksrepublik will sich nicht von Russland abwenden, aber auch nicht komplett vereinnahmen lassen. So präsentiert Peking zurzeit seine ganz eigene Sicht auf die Dinge und spricht von einem “sogenannten Angriff”. Wie der Westen auf Russland reagiert – das ist für China auch mit Blick auf die eigenen Absichten in Taiwan interessant. 

    Eine ausgiebige Analyse zu den Hintergründen der russischen Invasion bietet Sigmar Gabriel in seinem Gastbeitrag. Zur Gedankenwelt und Motivation Wladimir Putins schreibt er: Russland wolle wieder eine “Großmacht in Europa” sein. Putin gehe es “um Einfluss auf die künftige Rolle Europas im Rahmen der Neuordnung der Welt, die gerade in Gang gekommen ist”.

    Ihre
    Sarah Schaefer
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    Analyse

    Westen einigt sich auf Sanktionen gegen Russland

    Russland wird nach seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine mit harten und weit reichenden Wirtschaftssanktionen belegt. Die USA, die G7 und die EU kündigten am Donnerstag, wenige Stunden nach Kriegsbeginn, einen international abgestimmten Katalog mit Sanktionen gegen Russland an. US-Präsident Joe Biden sprach mit Blick auf die G7-Staaten von einem “verheerenden Paket an Sanktionen”. 

    Präsident Wladimir Putin warnte vor einem Ausschluss seines Lands aus dem Weltwirtschaftssystem. “Wir wollen das System, zu dem wir gehören, nicht zerstören”, sagte Putin vor Wirtschaftsvertretern in Moskau. “Unsere Partner sollten das verstehen und sollten uns nicht aus diesem System drängen.” Allerdings könnten die westlichen Maßnahmen genau darauf hinauslaufen.

    USA, G7 und EU einigen sich auf Sanktionen gegen Russland: Grafik zu Russlands Angriff auf die Ukraine; Karte mit Symbole an Orten an denen es Berichten über russische Angriffe gab, russische Truppen stationiert sind und es Truppeneinmärsche gab.

    EU fordert Russland zum Abzug auf

    Diplomatisch ist Russland bereits isoliert. Mit Ausnahme von China und Iran haben die meisten UNO-Mitglieder den Krieg in der Ukraine scharf verurteilt. “Voller Absicht bricht Präsident Putin mit den Grundprinzipien der Charta der Vereinten Nationen und mit der europäischen Friedensordnung”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Fernsehansprache. Putin werde “einen hohen Preis” zahlen.

    EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderten Russland auf, “die Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen, sein Militär aus der Ukraine abzuziehen und die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine uneingeschränkt zu achten”. Die EU stehe in dieser Krise fest an der Seite der Ukraine und ihrer Bevölkerung. EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen erklärt auf der Pressekonferenz nach dem Zusammentreffen der EU-Staats- und Regierungschefs, dass Russlands Präsident Wladimir Putin scheitern werde. “Diese Ereignisse markieren den Beginn einer neuen Ära. Putin versucht, ein befreundetes europäisches Land zu unterjochen. Er versucht, die Landkarte Europas mit Gewalt neu zu zeichnen. Er muss und wird scheitern, sagte von der Leyen nach dem Gipfeltreffen in der Nacht.

    Sanktionen auch gegen Belarus

    In der Wirtschafts- und Finanzpolitik entschied sich die EU für ein abgestuftes Vorgehen. “Der Europäische Rat hat sich heute auf weitere restriktive Maßnahmen geeinigt, die massive und schwerwiegende Konsequenzen für das Vorgehen Russlands nach sich ziehen werden”, heißt es in der Erklärung des EU-Gipfels, der am Donnerstagabend in Brüssel tagte. Die Staats- und Regierungschefs forderten jedoch zugleich, weitere, noch härtere Sanktionen vorzubereiten, die sich auch auf Belarus erstrecken sollen.

    Die nun angekündigte zweite Welle von Strafmaßnahmen – die erste war am Mittwoch beschlossen worden – betrifft den russischen Finanzsektor, die Energieversorgung und den Transport sowie militärisch nutzbare Dual-use-Güter. Die EU will auch Exportkontrollen für strategisch wichtige High-Tech-Produkte einführen sowie weitere Personen mit Reisesperren und anderen Strafen belegen.

    Keine Rede von Ausschluss aus SWIFT

    Präsident Putin wird jedoch nicht persönlich belangt. Auch von einem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Bankdatensystem SWIFT ist in dem Gipfelbeschluss keine Rede. Dagegen hatte sich vor allem Deutschland gewehrt. Scholz bestand darauf, noch nicht alle Optionen zu ziehen, sondern zunächst bei dem mit den USA verabredeten Sanktionspaket zu bleiben. Dies sei für die “Geschlossenheit und Entschlossenheit” der EU wichtig. Man müsse sich “alles andere aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, noch andere Dinge zu tun”.

    Scholz berief sich bei seiner Haltung auch auf die US-Regierung. Präsident Biden hatte vor Beginn des EU-Gipfels in einer Fernsehansprache gesagt, Sanktionen gegen Russlands Präsidenten seien nach wie vor eine Option, auch wenn sie jetzt noch nicht verhängt würden. Das Gleiche gelte für einen Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT, so Biden. 

    In Brüssel musste Scholz für seine abwartende Haltung allerdings auch Kritik einstecken. Mehrere Regierungschefs kritisierten, dass das aktuelle Paket nicht weit genug gehe. So forderte der belgische Premierminister Alexander De Croo zusätzliche finanzielle Sanktionen. Der slowenische Ministerpräsident Janez Janša betonte, das Sanktionspaket müsse so scharf wie möglich sein. Dazu gehöre auch ein Ausschluss Russlands aus SWIFT.

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    EU und USA nehmen Russlands Banken ins Visier

    Die USA, Großbritannien und EU erhöhen deutlich den Druck auf Russlands Banken. Das US-Finanzministerium kündigte gestern Abend an, auch die beiden größten Institute des Landes, Sberbank und VTB, auf die Sanktionsliste zu setzen und ihnen damit keine Transaktionen auf Dollarbasis mehr zu ermöglichen. Zudem friert Washington die Vermögenswerte mit US-Bezug von VTB und drei weiteren russischen Banken ein.

    Die Sanktionen sollen die Finanzierungskosten für die Wirtschaft in Russland und so, im Verbund mit weiteren Handelsbeschränkungen (Europe.Table berichtete), die Kosten des Krieges für Moskau in die Höhe treiben. “Diese Sanktionen werden Russlands Wirtschaftswachstum drücken, die Finanzierungskosten und die Inflation erhöhen, den Kapitalabfluss beschleunigen und schrittweise die industrielle Basis erodieren“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

    Tatsächlich brach der russische Aktienmarkt gestern massiv ein, der Leitindex Moex verlor 34 Prozent. Der Rubelkurs sank auf ein Rekordtief zum Dollar. Offenkundig hatten die Investoren nicht damit gerechnet, dass Wladimir Putin tatsächlich eine Invasion der Ukraine anordnen würde, die Gegenmaßnahmen auslösen musste.

    Sanktionen gegen Russland: Diskussion über SWIFT-Ausschluss

    Dabei schrecken die westlichen Staaten noch vor der schärfsten der diskutierten Sanktionen zurück – dem Ausschluss von Russlands Finanzindustrie aus dem internationalen Zahlungsabwicklungssystem SWIFT. US-Präsident Joe Biden verwies auf den Widerstand einiger europäischer Länder, darunter Deutschlands. “Das ist immer eine Option, aber im Moment ist das nicht die Position, die der Rest Europas einnehmen möchte.” Die nun gegen die russischen Banken verhängten Sanktionen seien aber ebenso schwerwiegend.

    Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich bei dem EU-Sondergipfel dagegen ausgesprochen, Russland zu jetzigen Zeitpunkt von SWIFT auszuschließen. Man müsse sich diese Maßnahmen “aufbehalten für eine Situation, wo das notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun”. Zuvor hatte der britische Premier Boris Johnson für Einigkeit der westlichen Staaten und auf einen SWIFT-Ausschluss Russlands gedrängt.

    Stattdessen nimmt die EU weitere Banken ins Visier, die keine Geschäfte mehr mit europäischen Banken machen dürfen und deren Vermögenswerte eingefroren werden. Konkret geht es dem Vernehmen nach um die Alfa Bank, die viertgrößte des Landes. Hinzu kommt demnach die Bank Otkritie, die Nummer sieben. Die beiden mit Abstand größten Finanzinstitute, die Sberbank und VTB, bleiben hingegen vorerst verschont. Beide verwalten überwiegend die Einlagen russischer Bürger und bleiben daher wohl außen vor.

    Wirtschaft in Russland von Sanktionen “nur marginal getroffen”

    Daneben sollen russische Staatsunternehmen nicht mehr neu an europäischen Börsen gelistet werden. Und: Die EU will es der russischen Machtelite erschweren, ihr Geld im Ausland in Sicherheit zu bringen. Deshalb sollen die Banken in Europa keine größeren Finanzanlagen russischer Bürger mehr annehmen dürfen.

    Experte halten die Wirkung dieser Maßnahmen in Russland aber für begrenzt. “Die russische Volkswirtschaft wird dadurch nur marginal getroffen“, sagt Daniel Gros, Distinguished Fellow am Centre for European Policy Studies (CEPS). Denn die russischen Banken wickelten nur einen begrenzten Teil ihrer Geschäfte im Ausland ab, ihr Inlandsgeschäft sei von den Finanzsanktionen aber nicht betroffen.

    Deutlich größeren Schaden anrichten würde demnach der Ausschluss Russlands aus SWIFT. Der Dienstleister mit Sitz in Belgien wickelt Transaktionen für mehr als 11.000 Finanzinstitute ab, ohne Zugang könnten weder der russische Staat noch die Privatwirtschaft Zahlungen über die Grenzen hinweg annehmen oder verschicken. Allerdings wären auch westliche Banken betroffen – gerade deutsche Institute nutzen das System intensiv für Transaktionen mit russischen Banken. Die Bundesregierung stand dem Ausschluss Russlands auf SWIFT auch skeptisch gegenüber.

    Ökonom Gros hält den Schritt für bedenkenswert: “Man kann sich durchaus fragen: wann, wenn nicht jetzt?” Russland arbeite an einem eigenen Zahlungssystem, dem System for Transfer of Financial Messages (SPFS). “In einigen Jahren wird die Waffe SWIFT daher stumpf sein”, so Gros.

    China als Ausweg?

    Russland könnte sich zudem stärker China zuwenden, um die westlichen Finanzsanktionen zu umgehen (China.Table berichtete). China könnte als Handelspartner einspringen, denn das Land verfügt über eine finanzielle Parallelwelt: die Zahlungsabwicklung in Yuan.

    Schon jetzt laufen 17 Prozent des Handels zwischen China und Russland in Yuan, auch wenn Dollar und Euro weiterhin den Löwenanteil ausmachen. So zahlt China mit der eigenen Währung für Rohstofflieferungen. Russland fügt die eingenommenen Renminbi einerseits den eigenen Devisenreserven hinzu, von denen 12 Prozent auf Yuan lauten. Außerdem verwendet es das chinesische Geld, um Rechnungen für Industriewaren zu begleichen. Eine Stärkung dieses Trends ist bereits länger zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping ausgemacht.

    So ist der Ölriese Gazprom bereits auf Yuan umgestiegen, wenn er chinesischen Fluggesellschaften auf russischen Flughäfen das Kerosin in Rechnung stellt. Schon vor zwei Jahren hat die japanische Zeitung Nikkei die Gründung einer “Finanz-Allianz” zwischen Russland und China ausgemacht, als die Verwendung des Dollar im gegenseitigen Handel unter die 50-Prozent-Marke gefallen war.

    Eine enge Anbindung an den Yuan-Handel würde Russland zum Junior-Partner des chinesischen Geschäftsmodells machen – zu einem großen Seidenstraßen-Land. Die Rolle des Rubels als C-Währung neben der B-Währung Yuan würde deutlich zutage treten. Und Peking könnte Russland womöglich großzügig mit Krediten unterstützen und ihm danach die Politik diktieren. mit Finn Mayer-Kuckuk

    • China
    • Finanzen

    EU-Monitoring

    25.02.2022_Monitoring

    Informelles Treffen der Minister für die Kohäsionspolitik
    28.02.-01.03.2022
    Agenda: Themen des informellen Ministertreffens sind die zukünftigen Prioritäten einer Politik, die sich einer gerechteren, innovativeren und grüneren Wirtschaft und Gesellschaft zuwendet.
    Infos

    Ministerkonferenz zum Thema medizinische Versorgung und Forschung
    28.02.2022
    Agenda: In Abstimmung mit den beiden anderen Ländern der Trio-Ratspräsidentschaft wird diese hochrangige Konferenz das Ziel verfolgen, Empfehlungen für die Weiterentwicklung der europäischen Regelungen zu seltenen Krankheiten abzugeben.
    Infos

    Sitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO)
    28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Berichterstattung über die laufenden interinstitutionellen Verhandlungen zum Digital Services Act (DSA), der Entwurf einer Stellungnahme zum Zugang von Waren und Dienstleistungen aus Drittländern zum EU-Binnenmarkt sowie eine Abstimmung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON)
    28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen, die europäische grüne Anleihe sowie die Einrichtung eines Klima-Sozialfonds.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (AFET)
    28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem Berichte der Kommission über Albanien, Nordmazedonien und die Türkei, die Leitlinien für den Haushaltsplan 2023 sowie eine Aussprache mit Sven Koopmans, EU-Sonderbeauftragter für den Nahost-Friedensprozess.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Haushaltsausschusses (BUDG)
    28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Einrichtung eines Klima-Sozialfonds, eine Aussprache mit Olivier Dussopt (französischer Minister für staatliches Handeln und öffentliche Haushalte) sowie der Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit 2021.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Internationalen Handel (INTA)
    28.02.2022 13:45-18:45 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems, die Zukunft der Auslandsinvestitionspolitik der EU sowie ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
    28.02.2022 13:45-18:45 Uhr, 03.03.2022 13:45-18:45 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung am 28.02. stehen unter anderem der EU-Aktionsplan für die Sozialwirtschaft, das Politikprogramm für 2030 “Weg in die digitale Dekade” sowie ein Berichtsentwurf zur geistigen Gesundheit in der digitalen Arbeitswelt.
    Auf der vorläufigen Tagesordnung am 03.03. stehen unter anderem die Inanspruchnahme des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung sowie angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union.
    Vorläufige Tagesordnung 28.02. Vorläufige Tagesordnung 03.03.

    Sitzung des Ausschusses für Entwicklung (DEVE)
    28.02.2022 14:30-18:45 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem Entwürfe zur Stellungnahme zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, zum Zugang zu Wasser als Menschenrecht sowie zum Schema allgemeiner Zollpräferenzen.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI)
    28.02.2022 15:45-18:45 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die zukünftige Zusammenarbeit zwischen der EU und Indien in den Bereichen Handel und Investitionen sowie die Leitlinien für den Haushaltsplan 2023.
    Vorläufige Tagesordnung

    Konferenz verschiedener Akteure zum Thema Kreislaufwirtschaft
    01.03.-02.03.2022
    Agenda: Das französische Ministerium für den ökologischen Wandel, die Europäische Kommission und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss halten in Brüssel eine Konferenz zum Thema Kreislaufwirtschaft für die breite Öffentlichkeit ab.
    Infos

    Wöchentliche Kommissionssitzung
    02.03.2022
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung steht unter anderem die Kommunikation über Energie und über Lebensmittel. Im Anschluss an die Sitzung der Kommission findet voraussichtlich gegen 12 Uhr eine Pressekonferenz statt.
    Vorläufige Tagesordnung Pressekonferenz Live

    Informelle Tagung des Rats für Allgemeine Angelegenheiten
    03.03.-04.03.2022
    Agenda: Die mit den allgemeinen Angelegenheiten betrauten Minister treffen sich zu einem informellen Gespräch über aktuelle Themen aus dem Kompetenzbereich des Rats, dabei geht es um allgemeine Angelegenheiten sowie die Prioritäten des französischen Vorsitzes.
    Infos

    Rat der EU: Justiz und Inneres
    03.03.-04.03.2022
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem Schlussfolgerungen zu Maßnahmen des Katastrophenschutzes angesichts des Klimawandels, die Verordnung über elektronische Beweismittel sowie eine Orientierungsaussprache über einen Rechtsakt zur Migration.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE)
    03.03.2022 09:00-12:00 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Restrukturierung der Unionsrahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom, die Änderung der Menge der Treibhausgasemissionszertifikate für die Marktstabilitätsreserve bis 2030 sowie der Berichtsentwurf zur Neufassung der Energieeffizienz.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung (SEDE)
    03.03.2022 09:00-12:00 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Sicherheit im Gebiet der Östlichen Partnerschaft und die Rolle der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die aktuelle Entwicklung in Mali und ihre Auswirkungen auf die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN)
    03.03.2022 13:00-16:00 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem gleiche Wettbewerbsbedingungen für einen nachhaltigen Luftverkehr sowie die Restrukturierung der Unionsrahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI)
    03.03.2022 13:45-17:15 Uhr
    Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem eine Abstimmung über Änderungen hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, der Entwurf einer Stellungnahme zur Energieeffizienz sowie ein Berichtsentwurf zu persistenten organischen Schadstoffen.
    Vorläufige Tagesordnung

    Informelles Treffen der Minister für Entwicklung
    06.03.-07.03.2022
    Agenda: Thema des informellen Ministertreffens ist die Herausforderung bei der Entwicklungszusammenarbeit in einem zunehmend wettbewerbsorientierten Umfeld in den vorrangigen Regionen der Europäischen Union sowie im Hinblick auf den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Coronakrise.
    Infos

    Sanktionen für Öl- und Gastechnik

    Als Teil eines umfassenden neuen Pakets hat die EU Donnerstagabend auch Sanktionen gegen Energie-Unternehmen in Russland auf den Weg gebracht. Betroffen ist technische Ausrüstung zur Instandhaltung und Modernisierung bestehender Raffinerien. Die Einnahmen Russlands aus raffinierten Produkten liegen laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei rund 24 Milliarden Euro im Jahr 2019. Europa will Russland dort treffen, wo es einem der größten Rohstofflieferanten der Welt am meisten wehtut. Seit der Annexion der Krim 2014 waren bereits einzelne Fördertechnologien von internationalen Sanktionen betroffen – insbesondere für Tiefsee- sowie arktische Offshore- und Schieferprojekte.

    Einen generellen Importstopp fossiler Rohstoffe aus Russland in die EU hält der Think-Tank E3G allerdings für unwahrscheinlich. “Insbesondere die deutsche Wirtschaft ist stark von russischen Importen abhängig. Ein Verzicht auf diese Lieferungen kann zu einer heftigen Wirtschaftskrise führen”, sagte Beraterin Maria Pastukhova. Ohnehin sei der europäische Gasmarkt liberalisiert, die Politik könne keinen Importstopp anordnen.

    Bei anderen Energieträgern sei das Drohpotenzial Russlands dagegen geringer, analysiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). “Die Märkte für Öl und Kohle sind global gut vernetzt. Die USA zum Beispiel wären froh, wenn sie uns mehr Öl und insbesondere Kohle liefern könnten”, sagt Franziska Holz, stellvertretende Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am DIW. Kurzfristig könnten andere Länder die Weltmarktanteile des russischen Öls aber nicht ausgleichen, sagt Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW.

    Umgekehrt hält Pastukhova es auch nach dem Angriff auf die Ukraine für unwahrscheinlich, dass Russland Energielieferungen komplett einstellt. Gasexporte machten sieben Prozent des russischen Staatsbudgets aus, Öl sogar ein Drittel. “Ein Exportstopp wäre für den Kreml eine Katastrophe”, so die Beraterin. Gazprom sei zudem durch langfristige Lieferverträge gebunden. Vertragsverletzungen könnten zu heftigen Strafen und Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof führen. Ob sich eventuelle Strafzahlungen wirksam durchsetzen ließen, sei allerdings eine andere Frage.

    Energie-Branche müsse Sanktionen gegen Russland tragen

    Klar ist: Wirtschaftliche Sanktionen würden auch unvermeidbare Folgen für die deutsche Industrie haben. Wirtschaftsminister Habeck sagte, einen gewissen Schaden müsse man hinnehmen. Frieden habe schließlich einen Preis. Einen Preis, den bei Energie-Sanktionen gegen Russland vor allem die energieintensiven Industrien tragen müssten.

    Sollte Gas in Europa knapp werden, könnte die Lage für energieintensive Branchen sehr problematisch werden, sagt Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI): “Den Chemieunternehmen drohen in diesem Fall explodierende Preise für Erdgas bei einem ohnehin historisch hohen Preisniveau.” Die Branche setze derzeit rund 3,2 Millionen Tonnen Erdgas als Rohstoff (39 Prozent des Gesamtverbrauchs) und 84 Terawattstunden (61 Prozent des Verbrauchs) für die Energieerzeugung ein, teilt der VCI mit.

    Zwar hat Habeck auch “Kompensationsmechanismen” für die Preisabfederung angekündigt, allerdings ist noch offen, ob es diese auch für die industrielle Fertigung geben wird oder nur für die Entlastung der Verbraucher. Das im Koalitionsausschuss am Mittwoch beschlossene Entlastungspaket richtet sich vor allem an einkommensschwache Haushalte.

    Entlastungen für die Industrie

    Die Industrie entlaste es zu wenig, die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage reiche angesichts der akuten Lage nicht, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Er fordert, dass Strom- und Gassteuer auf den europäischen Mindestsatz abgesenkt und das Volumen sowie der Zeitraum des Verlustrücktrags ausgeweitet werden.

    Dass Energiekompensationen in Form von Steuererleichterungen oder Beihilfen mit der Gießkanne ausgeschüttet werden – ähnlich wie in der Corona-Pandemie, hält Hubertus Bardt, Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), allerdings nicht für zielführend. “Ich warne davor, alle Kostensteigerungen beim Staat abzuladen.”

    Vielmehr müssten “Problem-Hotspots” ausgemacht werden, an denen strukturelle Konsequenzen für eine Branche durch die Energiepreise drohen. Eine Härtefallregelung für besonders betroffene und vor der Pleite stehende Unternehmen hält Bardt für das Sinnvollste. Er rechnet auch langfristig mit einem hohen Niveau der Energiekosten, da Russland endgültig als vertrauensvoller Energielieferant wegfallen dürfte. Manuel Berkel und Lukas Scheid

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    Technologie-Sanktionen: Indirekt wirksam

    Nach der Invasion Russlands in der Ukraine soll unter anderem die Anwendung der EU-Dual-Use-Verordnung für Russland deutlich ausgeweitet werden: Bestimmte Technologien, die im militärischen Bereich genutzt oder zur Unterstützung dieses eingesetzt werden könnten, sollen künftig kaum mehr nach Russland exportiert werden können. Auch eine Unterstützungsleistung, etwa eine Wartungsdienstleistung, hätte kaum mehr Chancen auf eine Genehmigung.

    Dazu zählen Güter unter anderem aus den Bereichen Elektronik, Sensorik und Laser. Zudem werden Güter, deren Lieferung an den russischen Verteidigungssektor bereits seit 2014 eingeschränkt, nun auch für zivile Abnehmer genehmigungspflichtig.

    EU und USA mit Technologie-Sanktionen gegen Russland

    Da Sanktionen seitens der EU allein bei Hochtechnologien nur in bestimmten Bereichen Wirkung zeigen dürften, kommt der internationalen Zusammenarbeit eine besondere Bedeutung zu. Zwar gibt es in der EU einige Hersteller und Anbieter, aber insbesondere im Zusammenwirken mit den USA, Japan, dem Vereinigten Königreich, Südkorea und Taiwan wird hier starker Druck aufgebaut. Bei einem konzertierten Zusammenwirken der Staaten sind Produkte und Dienstleistungen aus diesen Ländern kaum zu ersetzen.

    Die USA greifen jetzt zu einem ihrer schärfsten Sanktionsschwerter: der Foreign Product Direct Rule (FPDR) (Europe.Table berichtete). Mit ihr entfalten die Sanktionen sogar über die selbst sanktionierenden Staaten und dort ansässige Firmen hinaus massive Wirkung: Mittels FPDR werden Exportrestriktionen auch indirekt bei Produzenten wirksam. Wenn die Herstellung wesentlich von US-Produkten abhängt, etwa von Software, Bauteilen oder Chips, fallen die Endprodukte ebenfalls unter das Sanktionsregime und benötigen eine US-Ausfuhrgenehmigung.

    Unmittelbar betrifft das etwa den Hardwarebereich: Ein großer Teil der weltweit verwendeten Informationstechnologie hängt von geistigem Eigentum ab, das US-Inhabern zuzurechnen ist. Dass diesem Regime selbst chinesische Anbieter nicht entgehen können, zeigte bereits die erstmalige Anwendung der FDPR auf den IT-Konzern Huawei 2019. Zudem würde ohne entsprechende Lizenzierung durch die Inhaber des geistigen Eigentums ein Export von Gütern aus Russland in weite Teile der Welt unmöglich – dass die USA bei Umgehungsversuchen der Sanktionen harte Maßnahmen ergreifen, dürfte auch allen Handelspartnern Moskaus bestens bekannt sein.

    Russland könnte also auf einen Schlag vom Nachschub und dem Absatz von etlichen Produkten mit moderner Technologie abgeschnitten sein. Kurzfristig würden Auswirkungen von den Lagerbeständen in Russland abhängen. Die Ausfuhrkontrollen könnten die wirtschaftliche Entwicklung Russlands “erheblich beeinträchtigen, allerdings nur mittel- und langfristig”, sagt Daniel Gros vom Thinktank CEPS.

    Mittelfristig wäre für die Sanktionswirkung wichtiger, ob Putins Wirtschaft alternative Lieferanten und Dienstleister findet, die auch das hohe Risiko eigener Betroffenheit von Sanktionen nicht scheuen. Doch das Marktvolumen der russischen Wirtschaft insgesamt ist jenseits der Förderung fossiler Energieträger und der Militärtechnologie im weltweiten Vergleich gering und nicht im Ansatz in der Lage, Marktzugangsverluste bei den G7, der EU und den USA auch nur im Ansatz auszugleichen.

    Russland im Hightech-Bereich kein entscheidender Markt

    Aus deutscher Perspektive ist Russland kein unwichtiger, aber doch nur ein kleiner Technologie-Absatzmarkt. Sowohl der Informations- und Telekommunikations-Verband Bitkom als auch der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI sehen die Russische Föderation nicht unter den top Zehn der Absatzländer. Seitens der Elektro- und Digitalindustrie wird etwa für 2021 das Marktvolumen mit gerade einmal 3,8 Milliarden Euro angegeben – bei einem weltweiten Gesamtexportmarkt von 225 Milliarden Euro.

    Andersherum spiele Russland allerdings in der Produktion nicht nur bei den Energieträgern, sondern auch indirekt bei bestimmten Rohstoffen wie Nickel oder Aluminium eine wichtige Rolle. Hier seien die Rohstoffmärkte ohnehin bereits angespannt, was zu weiteren Preissteigerungen führen dürfte. Allerdings würden die Produkte in der Regel indirekt gehandelt, sodass kaum unmittelbare Abhängigkeiten von der Russischen Föderation bestehen.

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    Beziehungen zu Russland: Chinas Balanceakt

    Es ist ein atemberaubender Balanceakt, den China derzeit in der Russland-Ukraine-Krise aufführt. Während Russlands Präsident Wladimir Putin seine Truppen in die Ukraine schickt und aus allen Teilen des Landes Raketenangriffe gemeldet werden, übt sich die Führung in Peking in chinesischer Extrem-Dialektik. Das heißt: Festhalten an der Souveränität und Territorialität der Ukraine – und gleichzeitig keine Verurteilung des russischen Angriffs, der just diese Souveränität und Territorialität in Stücke reißt.

    Um einen derartigen Gedanken-Spagat hinzubekommen, bestritt das Außenministerium in Peking am Donnerstag, dass es sich bei dem russischen Vormarsch überhaupt um eine Invasion handelt. “Das ist vielleicht ein Unterschied zwischen China und Ihnen Westlern. Wir werden nicht zu einem voreiligen Schluss kommen”, sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying auf der täglichen Pressekonferenz.

    China: Keine Sanktionen gegen Russland nach Angriff auf die Ukraine

    Auch dass selbst die chinesische Botschaft in Kiew zu diesem Zeitpunkt die eigenen Staatsbürger vor Explosionen warnt und von Kriegszustand spricht, konnte Hua nicht von ihrer Linie abbringen. Sie sprach lieber von einem “sogenannten Angriff” und von einem “komplizierten historischen Hintergrund, der bis heute andauert. Es ist vielleicht nicht das, was jeder sehen möchte.” Offenbar hat China einen ganz eigenen Blick auf die Lage.

    Strafmaßnahmen gegen Russland aufgrund des Angriffs auf die Ukraine, wie sie derzeit von Deutschland, Europa und den USA diskutiert und beschlossen werden, kommen für China ohnehin nicht infrage. Schon am Mittwoch hieß es in Peking dazu: “Sanktionen waren noch nie ein wirksamer Weg zur Lösung von Problemen.” Vielleicht ließ US-Präsident Joe Biden deshalb auch bei seiner gestrigen Pressekonferenz die Frage unkommentiert, ob er China zu Sanktionen drängen wolle.

    Ebenfalls am Donnerstag bestätigte die chinesische Außenamtssprecherin nochmals, dass China den Handel mit Russland aufrechterhalten werde, Lieferungen von Öl und Erdgas eingeschlossen. Bemerkenswert: Die Grundpfeiler der chinesischen Außenpolitik – Achtung der Souveränität von Staaten, Gebot der Nichteinmischung und Wahrung der Territorialität – kamen Hua Chunying an diesem Tag nicht über die Lippen.

    Dabei ist es noch keine Woche her, da erklärte Chinas Außenminister Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass auch in diesen Zeiten die Souveränität aller Nationen respektiert werden müsse. “Und die Ukraine ist keine Ausnahme”, sagte Wang in München.

    Wang und Lawrow stimmen sich ab

    Jener Wang Yi telefonierte am Donnerstag dann auch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, um die aktuelle Lage in der Ukraine zu besprechen. Das russische Außenministerium in Moskau gab den Inhalt des Gesprächs anschließend wie folgt wieder: “Die Minister haben ihrer gemeinsamen Überzeugung Ausdruck verliehen, dass der Grund der aktuellen Krise die von den USA und deren Verbündeten ermutigte Weigerung Kiews ist, das vom UN-Sicherheitsrat genehmigte Maßnahmenpaket von Minsk umzusetzen.”

    Das chinesische Staatsfernsehen CCTV hingegen hielt am Pekinger Balanceakt fest: Demnach habe Wang Yi durchaus klargestellt, dass China die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder respektiere. “Gleichzeitig sehen wir, dass die Ukraine-Frage ihre komplexen und historischen Besonderheiten hat, und wir verstehen die berechtigten Bedenken Russlands in Sicherheitsfragen“, soll Wang gegenüber Lawrow gesagt haben. “China tritt dafür ein, dass die Mentalität des Kalten Krieges vollständig aufgegeben und durch Dialog und Verhandlungen endlich ein ausgewogener, effektiver und nachhaltiger europäischer Sicherheitsmechanismus geschaffen werden sollte.”

    Mögen es auch nur Nuancen sein, die Unterschiede zwischen den beiden Stellungnahmen sind dennoch bemerkenswert. Sie verdeutlichen, wie sehr China versucht, diesen schier unmöglichen Balanceakt zu meistern. China will sich von Russland nicht abwenden, aber komplett vereinnahmen lassen will man sich auch nicht. 

    Feng Yujun, Direktor des Zentrums für russische und zentralasiatische Studien an der Fudan-Universität in Shanghai, warnte denn auch: Russland versuche, die Konfrontation zwischen China und den USA auszunutzen, um seine eigenen Ziele zu erreichen. China müsse aufpassen, denn einige Länder würden in der aktuellen Krise ausschließlich ihre eigenen geopolitischen Ziele verfolgen, sagte der Wissenschaftler im Interview mit dem chinesischen TV-Sender Phoenix.

    Russland und Ukraine als wichtige Partner von China

    Die Lage Chinas ist kompliziert: Russland und China sehen sich als strategische Partner. Als Putin zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Peking gereist war, zelebrierten die beiden Präsidenten ihre grenzenlose Freundschaft. Es wirkte, als passe kein Blatt zwischen die beiden autoritären Großmächte (China.Table berichtete). Die beiden autokratischen Machthaber verbindet eine tiefe Ablehnung der westlichen Ordnung unter Führung der USA.

    Doch gleichzeitig ist auch die Ukraine ein wichtiger Partner Chinas. Seit 2020 ist das Land Mitglied der chinesischen “Belt and Road”-Initiative. Auch liefert es große Mengen an Getreide und Mais nach China. Zudem versorgt die Ukraine China mit wichtigen Rüstungsgütern wie Gasturbinen-Motoren für Lenkwaffenzerstörer oder mit Technologie für Luftkissenlandungsboote, die gerade im Hinblick auf Taiwan wichtig sind.

    Denn auch dieser Aspekt spielt in den Entscheidungen Pekings eine wichtige Rolle. Etliche Analysten vermuten, dass Xi Jinping sich genau die Reaktion des Westens anschaut und das russische Vorgehen in der Ukraine eventuell als Blaupause für einen Schlag gegen Taiwan nutzen könnte. Es wird kein Zufall gewesen sein, dass am Donnerstag acht chinesische J-16-Kampfjets und ein Y-8-Aufklärungsflugzeug in den taiwanischen Luftraum eingedrungen sind, wie das dortige Verteidigungsministerium meldet. Und nur wenige Stunden zuvor versicherte Ma Xiaoguang, Sprecher des Büros für Taiwan-Angelegenheiten des chinesischen Staatsrats: Chinas nationale Wiedervereinigung muss und wird sicher verwirklicht werden.

    China bleibt außenpolitische Priorität der USA

    So lavierend sich China am Donnerstag auch gab, klar und eindeutig war man dann wieder bei der Benennung des Hauptschuldigen: die USA. “Was wir heute sehen, ist nicht das, was wir uns zu sehen gewünscht haben”, sagte Hua Chunying. “Die USA fachen die Flammen an.”

    Schon sind erste Stimmen zu hören, die daraus einen originären Nutzen für China ableiten wollen. Geopolitisch spräche für ein von Russland ausgelöstes Chaos in der Ukraine, dass es die USA militärisch vom ostpazifischen Raum ablenken könnte, meint Shi Yinhong. Die USA müssten “Aufmerksamkeit und Ressourcen auf China im Indopazifik reduzieren”, sagte der Professor für internationale Beziehungen an der Pekinger Renmin-Universität der Zeitung “South China Morning Post”.

    Doch Peking sollte sich nichts vormachen. Die USA haben China als außenpolitische Priorität identifiziert – und daran wird auch der Krieg in der Ukraine nichts ändernDas zeigt auch die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, keine US-Truppen in die Ukraine zu schicken.

    Im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Interessen in der Ukraine hat Peking bis in die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass es durchaus bereit ist, wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen, um seine politischen Ziele zu erreichen.

    Daher ist es nun an der Zeit, China beim Wort zu nehmen. Seit Jahren präsentiert sich die Volksrepublik auf der internationalen Bühne selbstbewusst als vermeintlich verantwortungsvoller Partner. Dialektische Verrenkungen passen dazu nicht. Im Gegenteil: Nun wäre ein guter Moment für verantwortungsvolles Handeln. Michael Radunski

    • China
    • International

    News

    Sondersitzungen im Bundestag und EP

    Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist Anlass für Sondersitzungen im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament. Am Sonntag kommt der Bundestag auf Wunsch von Bundeskanzler Olaf Scholz außerplanmäßig zusammen. Scholz kündigte an, eine Regierungserklärung zu halten. 

    Kommenden Dienstag findet auf Anregung von EP-Präsidentin Roberta Metsola und den Fraktionsvorsitzenden eine außerordentliche Plenarsitzung in Brüssel statt. Man werde über die Reaktion des Parlaments auf den russischen Einmarsch in die Ukraine debattieren und eine Entschließung verabschieden, so die Ankündigung.

    Die Konferenz der Präsidenten des EP verurteilte den Angriff auf die Ukraine gestern in einer gemeinsamen Erklärung. “Die Invasion ist ungerechtfertigt und illegal”, hieß es. Das Parlament unterstütze eine “beispiellose europäische und internationale Reaktion, einschließlich neuer und strenger Sanktionen“.  Der Kreml müsse für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden. sas

    • Deutschland
    • Europapolitik

    BNetzA: ACER-Entscheidung ohne Folgen

    Das Scheitern des aktuellen Berichts zur Versorgungssicherheit der europäischen Stromnetzbetreiber (Europe.Table berichtete) hat laut Bundesnetzagentur “für Deutschland keine weiteren Auswirkungen”, wie ein BNetzA-Sprecher am Donnerstag auf Anfrage mitteilte. Die europäische Regulierungsagentur ACER hatte tags zuvor die erste “Abschätzung der Angemessenheit der Ressourcen auf europäischer Ebene” des europäischen Übertragungsnetzbetreiberverbands ENTSO-E wegen Mängeln nicht genehmigt. Laut Strombinnenmarktverordnung hat der Bericht auch Auswirkungen auf nationale Entscheidungen über Kapazitätsmärkte für neue Kraftwerke.

    Wie die Bundesnetzagentur nun klarstellte, bleibt die europäische Abschätzung beziehungsweise deren Scheitern aber vorerst ohne Wirkung: “Für die deutschen Gegebenheiten ist das Nationale Versorgungssicherheits-Monitoring nach §51 Energiewirtschaftsgesetz entscheidend, solange das European Resource Adequacy Assessement nicht den von ACER aufgestellten Voraussetzungen entspricht.” ber

    • Deutschland
    • Energie
    • Energiepolitik
    • Strom

    Presseschau

    EU-Eliten treten aus russischen Vorständen aus FT
    Habeck plant nationale Kohlereserve SPIEGEL
    Woidke stellt Kohleausstieg bis 2030 infrage TAGESSPIEGEL
    Sicherheitsbehörden fürchten massive Attacken russischer Hacker TAGESSPIEGEL
    Ukraine offenbar mit Zerstörungssoftware angegriffen SPIEGEL
    Bauminister fordern von Robert Habeck verlässliche Bauförderung ZEIT
    Energiepolitik: Kritik am Milliardenpaket der Ampel-Koalition SUEDDEUTSCHE
    EU-Datengesetz: “Großer Wurf”, aber auch ein Drahtseilakt HEISE
    Tinder’s bid to woo young French voters DW
    Warum sich die Windkraftindustrie immer mehr aus Europa zurückzieht HANDELSBLATT

    Standpunkt

    Krieg in Europa: Es geht nicht nur um die Ukraine

    Von Sigmar Gabriel
    Russland-Ukraine-Konflikt und der Krieg in Europa: Sigmar Gabriel, Bundesminister a. D., bei einer Pressekonferenz vor blauem Hintergrund mit Brille
    Sigmar Gabriel, Bundesminister a. D., Vorsitzender der Atlantik-Brücke e. V.

    Ohnmächtig muss Europa und muss der Westen zusehen, wie Russland-Präsident Wladimir Putin den Frieden in Europa bricht und die Ukraine mit militärischer Gewalt überzieht. Krieg mitten in Europa? Wer hätte sich das hierzulande noch vor wenigen Monaten vorstellen können? 

    Und bevor jetzt wieder die vor allem in Deutschland verbreiteten Selbstbezichtigungen kommen, nach denen “der Westen” es mit der “Einkreisung Russlands übertrieben” habe und wir selbst schuld daran seien, dass der “russische Bär jetzt gereizt reagiert”, lohnt sich ein Blick in die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Begründung seiner als “Anerkennung” der ostukrainischen Separatistengebiete getarnten Annexion. Und es geht schon gar nicht um den angeblich notwendigen Schutz des russischen Teils der Bevölkerung in der Ost-Ukraine, die man angeblich vor dem “Genozid” und einer “faschistischen Regierung in Kiew” schützen müsse. 

    Es geht um etwas ganz anderes: um die Rückkehr Russlands als Großmacht, das eher an das Zarenreich anknüpft als an die frühere Sowjetunion. Anders als in der früheren Sowjetunion sollen in diesem Russland nicht verschiedene Völker vereint, sondern ein hegemonialer Anspruch einer angeblich einzigartigen russischen Zivilisation verankert werden, die aus den drei ostslawischen Völkern – Russen, Ukrainer und Belarussen – hervorgegangen sei und die sich als grundverschieden zur “westlichen Zivilisation” versteht.

    Die darauf beruhende “russische Nation” kennt keine eigenständigen Staaten in der Ukraine, in Weißrussland und vermutlich auch nicht im Kaukasus, Teilen Zentralasiens und vermutlich nicht einmal in Finnland. Nicht nur die Europäer werden deshalb die Rede des russischen Präsidenten mit Aufmerksamkeit und Besorgnis gehört haben. Vor allem aber soll diese “russische Nation” nach dem Willen Wladimir Putins auch wieder zur europäischen Großmacht werden, die über die Zukunft und das Schicksal Europas mindestens mitentscheiden soll. Ganz so, wie es mit dem zaristischen Russland über Jahrhunderte der Fall war.

    Russland bleibt nur das Militär als Instrument

    Der russische Präsident will eine Entwicklung rückgängig machen, in der Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kontinuierlich an Einfluss in Europa verloren hat und immer mehr auf die Rolle eines Energielieferanten herabgestiegen ist. Geopolitisch haben die USA seit 1945 den Westen Europas und seit 1989 ganz Europa dominiert. Russland spielte keine Rolle mehr, stattdessen hat in den vergangenen Jahren China seinen Einfluss in Europa ausgebaut. Russland ist global, aber eben auch in Europa der große geopolitische Verlierer. Diesen Trend will der russische Präsident stoppen und umkehren. Und da Russland weder wirtschaftlich noch politisch attraktiv ist, bleibt “nur” das Militär als Instrument, um das Land wieder als eine europäische Macht zu etablieren.

    In gewisser Weise hat der russische Präsident dieses Ziel bereits erreicht, denn die USA verhandeln wieder mit ihm über das Schicksal Europas. Aus russischer Sicht ist das die Rückkehr zur Normalität: Russland hat 1945 mit den USA über die Zukunft Europas verhandelt, 1989/1990 erneut im Rahmen der deutschen Einheit und auch 1997 mit der NATO-Russland-Grundakte. 

    Russland will diese Entwicklung nach 1989/90 wieder rückgängig machen und sich wie zuvor jahrhundertelang als Großmacht in Europa positionieren. Es geht ihm um Einfluss auf die künftige Rolle Europas im Rahmen der Neuordnung der Welt, die gerade in Gang gekommen ist. Denn die Nachkriegsordnung des Zweiten Weltkrieges ist mit ein bisschen Verspätung zu Ende gegangen. Was wir als globale Ordnung gewohnt waren, entstand, als Staaten wie China und Indien noch Entwicklungsländer waren, die zur sogenannten “Dritten Welt” gehörten.

    Entschieden wurde in der “ersten Welt”: in den USA, der UdSSR und den demokratischen Industriestaaten des Westens. Mit dem Niedergang der Sowjetunion und dem Aufstieg Chinas verband sich auch – anfangs weitgehend unbemerkt – das Ende der “Pax Americana”. Die Vereinigten Staaten waren immer weniger in der Lage, sowohl führende Wirtschafts- und Technologienation zu sein wie die globale Ordnung aufrechtzuerhalten. 

    Europa muss sich dem Machtanspruch entgegenstellen

    Schon lange vor Donald Trump begannen die USA, sich aus ihrer traditionellen Rolle als globale Ordnungsmacht Schritt für Schritt zurückzuziehen, um ihre Kraft auf den neuen Wettbewerb mit China konzentrieren zu können. Nicht mehr Europa und der Atlantik bilden heute das Gravitationszentrum der Welt, sondern der Indo-Pazifik. Dort lebt inzwischen die Mehrheit der Weltbevölkerung, dort wird der Großteil des weltweiten Sozialprodukts erarbeitet, und längst sind in diesem Teil der Welt auch fünf Nuklearstaaten mit der Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen entstanden. Wir sind Zeitzeugen einer geradezu tektonischen Verschiebung der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Machtachsen der Welt. 

    Noch ist unklar, wie die neue Weltordnung aussehen wird, Russland allerdings will dabei wieder eine entscheidende Rolle spielen. Von Zentralasien und dem Kaukasus und dem Nahen Osten bis nach West-Afrika reicht inzwischen das militärische Engagement Russlands. Und nun nutzt das Land seine militärischen Fähigkeiten auch, um Europas Rolle bei dieser Neuordnung der Welt zu beeinflussen und wenn möglich zu bestimmen. Es geht also um weit mehr als um die Ukraine oder das angeblich bedrohte Sicherheitsbedürfnis von Russlands. Es geht um seinen imperialen Machtanspruch, die Zukunft Europas zu bestimmen. Europa ist gut beraten, sich diesem Machtanspruch entgegenzustellen.

    Denn machtlos oder gar ohnmächtig ist Europa nicht, auch wenn man wieder einmal den Einruck haben kann, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs froh darüber sind, dass die Vereinigten Staaten noch einmal bereit sind, über die Zukunft Europas mit einer fremden Macht zu verhandeln. Aus russischer Sicht ist das normal, denn Europa ist Objekt russischer Politik und nicht Subjekt, mit dem es etwas auszuhandeln gilt.

    Allzu sicher sollten wir Europäer uns allerdings im Schutz unseres traditionellen Bündnispartners auf der anderen Seite des Atlantiks allerdings nicht sein. Denn es ist keinesfalls gewiss, dass der nächste amerikanische Präsident sich noch in der Verantwortung für Europa empfindet. Der parteiübergreifende politische Trend in den USA geht jedenfalls wieder weit mehr in den Isolationismus, als sich noch als “indispensible nation” für die Aufrechterhaltung einer demokratischen und friedlichen Ordnung in Europa zu empfinden. 

    Russland-Ukraine-Konflikt: Keine militärischen Mittel von Europa

    So unvorstellbar das in den westlichen Demokratien Europas war, so selbstverständlich scheint Krieg aus Sicht der russischen Eliten nach wie vor ein Mittel der Politik zu sein. Wir in Europa haben weitestgehend verdrängt, dass Russland 2008 mit einem ähnlichen Drehbuch wie derzeit in der Ukraine seinen Nachbarn Georgien überfallen hat. Seit 2014 annektiert Russland nicht nur die Krim, sondern unterstützt die Separatisten in der Ost-Ukraine militärisch und führt dort seit acht Jahren Krieg, wenn auch bislang einen begrenzten.

    Syrien erscheint uns weit entfernt, aber dort ist Russland bereit, mit dem brutalen Menschenschinder Assad gemeinsame Sache zu machen. Und wer der russischen Sprache mächtig ist, konnte in den vergangenen Wochen zur besten Sendezeit Diskussionen im russischen Fernsehen verfolgen, in denen ohne großen Widerspruch nach einem neuen Krieg gerufen wurde – einerseits um das eigene Land wieder zu einen, andererseits um “dem Westen” mal seine Grenzen aufzuzeigen. 

    Aus wohlüberlegten Gründen werden weder die USA noch Europa der Ukraine mit militärischen Mitteln im Russland-Konflikt zur Seite stehen. Eine direkte militärische Konfrontation mit dem Atomwaffenstaat Russland scheut die NATO zurecht, denn ein solcher Krieg würde schnell außer Kontrolle geraten, an seinem Ende könnten atomare Verwüstungen in weiten Teilen Europas stehen. Das weiß auch der russische Präsident und deshalb wirken wir wie hilflose Zuschauer, denen gerade die Illusion eines zwar nicht konfliktfreien, aber doch friedlichen Miteinanders in Europa genommen wird.

    Mitten aus der Vision eines immer grüner und klimafreundlicher werdenden Europas, dem Streben nach Gendergerechtigkeit und der Suche nach dem angemessenen Sprachgebrauch für die Diversität unserer Gesellschaften schlagen wir hart in einer ganz anderen Realität auf. In ihr geht es nicht um Werte – jedenfalls nicht um die des demokratischen Westens und der Aufklärung, sondern um Macht und um deren weitgehend rücksichtslose Durchsetzung. Das macht uns im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. 

    China wird Einigkeit des Westens genau beobachten

    Natürlich können und müssen wir jetzt harte Sanktionen gegen Russland ergreifen. Härter und konsequenter als alles, was wir bisher vorstellen konnten. Aber wir ahnen bereits, dass Russland diese Sanktionen bereits in die Kosten seines Krieges “eingepreist” hat: Weder der Stopp des Erdgasprojekts Nord Stream 2 noch das Einfrieren von Vermögen der russischen Oligarchen oder die Entkoppelung Russlands vom europäischen und amerikanischen Finanzmarkt werden die russische Führung zur Umkehr bewegen.

    Sanktionen sind für Russland eine Art “Großmachtsteuer”, die man bereit sein muss zu zahlen, wenn man geopolitisch ein Machtfaktor sein will. Und selbst wenn wir weitergehen und uns vollständig vom russischen Energiemarkt abkoppeln und Russland aus dem internationalen Zahlungsverkehr ausschließen: Nichts davon wird schnell wirken, zumal mit China ein neuer wirtschaftlicher Partner für Russland zur Verfügung steht. 

    Eigentlich widerspricht Russlands Invasion in der Ukraine den chinesischen Prinzipien der Nichteinmischung in anderen Staaten – aber so weit, dass es sich an westlichen Sanktionen beteiligen würde, wird das Reich der Mitte nicht gehen. Zu groß ist die geopolitische Rivalität Chinas mit den USA. Im Gegenteil: Aus Sicht der politischen Führung Chinas wird dieser Konflikt eine hohe Aufmerksamkeit erhalten.

    Insbesondere mit Blick auf Chinas Anspruch auf Taiwan wird Peking genauestens studieren, ob und wie lange Europa und die USA zusammenstehen oder ob sich möglicherweise irgendwann Risse in dieser Einigkeit beobachten lassen. China will mit Blick auf drohende US-Sanktionen aus dem aktuellen Konflikt zwischen Russland und dem Westen lernen. Zudem ist aus chinesischer Sicht gut, wenn die USA Teile ihrer Kraft wieder auf Europa und auf Russland konzentrieren müssen, weil das zugleich den amerikanischen Fokus auf den Indo-Pazifik behindert. Der Konflikt mit Russland hat also durchaus globale Folgen.

    Rückkehr zu militärischer Abschreckung

    Trotzdem bleiben Sanktionen richtig, denn sie sind die einzig vorhandene Möglichkeit einer Reaktion auf diesen eklatanten Bruch des Völkerrechts und des Friedens in Europa. Würden wir gar nichts tun, wäre das geradezu eine Einladung an Russland, es demnächst an anderer Stelle erneut zu versuchen. Es dürfte nur die Mitgliedschaft in der NATO sein, die die drei baltischen Republiken davor schützt, das nächste Opfer russischer Großmachtpolitik zu werden. Denn auch umgekehrt scheut Putin die direkte Konfrontation mit dem westlichen Verteidigungsbündnis. Wer in den letzten Jahren an der Sinnhaftigkeit der NATO und des nuklearen Schutzschildes der USA für Europa gezweifelt hat, sollte jetzt eines Besseren belehrt sein. 

    So bitter und entsetzlich es ist: Wir sind zurück in einer Zeit, in der wir in Europa auch auf militärische Abschreckung setzen müssen. Russland wird jetzt das erleben, was es angeblich verhindern wollte: Die Stationierung von NATO-Truppenverbänden und modernen Waffensystemen in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Denn genau das ist entgegen der russischen Propaganda bislang nicht der Fall. Es grenzen zwar Mitgliedsstaaten der NATO an Russland und doch “steht” die NATO nicht Truppenverbänden oder Waffensystemen an der Grenze zu Russland.

    Beides ist in der NATO-Russland-Grundakte ausgeschlossen, um trotz der Osterweiterung der NATO den Sicherheitsbedürfnissen Russlands entgegenzukommen. Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine diesen und mehrere andere Verträge gebrochen. Die Folge wird sein, dass es wieder wie bis 1989 eine lange Grenze geben wird, in der sich die militärischen Verbände Russlands und der NATO unmittelbar gegenüber stehen. Aus Sicht der Ukraine rächt sich jetzt, dass das Land 2008 nicht in die NATO aufgenommen wurde.

    Einigkeit in Europa ist Voraussetzung im Russland-Ukraine-Konflikt

    Die wichtigste Voraussetzung, die Europa jetzt braucht, um den Russland-Ukraine-Konflikt durchzustehen, ist Einigkeit. Russland testet uns. Der russische Präsident weiß um die wirtschaftlichen Sorgen in einigen EU-Mitgliedsstaaten, um die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von relativ preiswertem russischen Gas und Öl und er kennt die inneren Spaltungen zwischen West- und Osteuropa. Nach seiner Überzeugung sind die westlichen Demokratien verweichlicht und halten einen harten Kurs gegen Russland nicht lange durch. Wir sollten ihn eines Besseren belehren.

    Das beginnt übrigens damit, dass wir uns gegenseitig helfen: zuallererst der Ukraine. Wenn nicht durch die Lieferung von defensiven Waffensystemen, dann aber beim Schutz vor Cyberattacken. Wir sehen zwar derzeit die “gewohnten” Bilder eines Krieges, aber es ist zu vermuten, dass die hybride Kriegsführung mit Cyberangriffen auf die Infrastruktur des Landes noch weit größere Schäden anrichten wird.

    Und wir müssen innerhalb Europas denjenigen helfen, die wirtschaftlich und finanziell schwächer sind und für die Sanktionen gegen Russland negative Folgen im eigenen Land haben werden. Vergleichbar dem European Recovery Programm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas nach der Pandemie braucht es gemeinschaftlich finanzierte Hilfen für die schwächeren Mitgliedsstaaten der EU und des westlichen Balkans.

    In europäische Souveränität investieren 

    Wenn Europa ein ernstzunehmender Gegenspieler gegen die Hegemonialansprüche Russlands sein und zum “globalen Akteur” werden will, wie es die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen formuliert hat, dann müssen die Mitgliedsstaaten der EU bereit sein, in die europäische Souveränität zu investieren. Dabei geht es nicht zuallererst um den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik oder gar einer europäischen Armee. Denn militärisch ist der Konflikt mit der Nuklearmacht Russland ohnehin nicht zu führen und schon gar nicht zu gewinnen.

    Die eigentliche Kraft Europas ist wirtschaftlicher und finanzieller Natur. Den Binnenmarkt zu vertiefen, eine gemeinsame Energie– und Industriepolitik zu entwickeln, die Kapitalmarktunion herbeizuführen und nicht zuletzt die Europäische Währungsunion gemeinsam zu verbürgen und den Euro zu einer internationalen Reservewährung zu entwickeln, sind keine technokratischen Projekte, in deren Mittelpunkt der jeweilige wirtschaftliche Eigennutz der Betroffenen steht. Sondern all das dient der wirtschaftlichen und finanziellen Souveränität Europas, die man gerade jetzt einsetzen muss, um den Preis für weitere militärische Gewaltakte Russlands so hoch wie möglich zu machen.

    Deutschland wird Energielieferanten diversifizieren

    Das wird manches “über den Haufen” werfen, was wir uns in Deutschland an finanziellen und investiven Zielen gesetzt haben. Aber harte Sanktionen gegen Russland halten wir gemeinsam nur durch, wenn wir uns auch gegenseitig helfen. Das gilt auch innerstaatlich in der Energiepolitik: Deutschland wird – ganz unabhängig vom Ausgang der Krise mit Russland – seine Energielieferanten diversifizieren.

    Der Grund, warum Russland der bevorzugte Energielieferant wurde, ist natürlich der kostengünstige Preis russischer Energierohstoffe. Da die Energiepreise auch ohne die aktuelle Krise mit Russland bereits hoch waren, muss die Bundesregierung Entlastung schaffen, wenn der Konflikt mit Russland die Preise für Öl und Gas noch mehr steigen lässt. Das wird Geld kosten. Geld, das entweder für anderes eingeplant war oder das wir uns am Kreditmarkt leihen müssen. Letzteres ist bei steigenden Zinsen infolge der aktuellen Inflationsentwicklung auch kein einfaches Unterfangen. 

    Europa müsse “die Sprache der Macht lernen”, so der Hohe Beauftragte der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, lange vor dem Beginn der Russlandkrise. Davon ist Europa noch weit entfernt. Aber die Erkenntnis, dass Krieg in Europa wieder möglich ist, könnte zum Wendepunkt Europas werden, um bei der anstehenden Neuordnung der Welt ein starker Spieler zu werden statt ein Spielball fremder Mächte.

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    Europe.Table Redaktion

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