zwei Parlamentswahlen, zwei Kopf-an-Kopf-Rennen: In Finnland verloren die Sozialdemokraten um Ministerpräsidentin Sanna Marin gestern trotz Zugewinnen, in Bulgarien (bei der fünften Wahl innerhalb von zwei Jahren) stand auch am späten Abend noch kein Wahlsieger fest. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Bundeskanzler Olaf Scholz reist heute nach Rumänien. Bei dem Besuch im Nachbarland der Ukraine stehen insbesondere die Sicherheitslage und die Folgen des Krieges auf der Tagesordnung. Scholz trifft in Bukarest auch die moldauische Präsidentin Maia Sandu – Thema dürften auch die EU-Beitrittswünsche Moldaus sein.
In der Analyse meines Kollegen Falk Steiner geht es heute um den Cyber Resilience Act. Die EU-Kommission hatte im September einen Gesetzesentwurf vorgestellt, der die Cybersicherheit mit dem Internet verbundener Geräte stärken soll. Nicola Danti, der Berichterstatter im EU-Parlament, hat nun einen ersten Berichtsentwurf vorgelegt. Er will vor allem am Zeitplan, am Pflicht-Updatezeitraum, an den zuständigen Stellen und bei Open Source-Software Veränderungen vornehmen.
Eine interessante Lektüre und einen guten Start in die Woche wünscht
Mit dem Cyber Resilience Act will die EU eine Auffangregelung für vernetzte Produkte schaffen, die nicht unter spezifischeres Recht fallen. Im September hatte die Kommission den CRA vorgestellt, nun geht es auch im Parlament voran: Rapporteur Nicola Danti hat den Berichtsentwurf an die Schattenberichterstatter übermittelt.
Laut dem Kommissionsentwurf soll unter anderem eine Mindestgarantie für Softwareupdates eingeführt werden. Hier will der italienische Renew-Politiker Hersteller zur Angabe einer “vernünftigen, erwartbaren Lebensdauer” eines Produkts verpflichten. Dazu sollen sie auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Als Mindestlebensdauer schlagen sowohl die Kommission als auch Danti fünf Jahre vor. In diesem Zeitraum müssen Anbieter cybersicherheitskritische Updates anbieten. Sobald sich das Ende ankündigt, sollen die Produkte beziehungsweise ihre Hersteller die Nutzer aktiv über das Ende des Supportzeitraums informieren.
Dantis Berichtsentwurf sieht aber auch eine Ausnahmeregelung vor. Sollten Produkte eine kürzere Lebensdauererwartung als fünf Jahre aufweisen und der Produktsupport vorher eingestellt werden, müssten die Anbieter den Sourcecode Dritten zur Verfügung stellen. Zugleich sieht Dantis Entwurf hier strenge Regelungen dafür vor, wer diese Dritten sein sollen und unter welchen Bedingungen Zugriff möglich sein soll. Zudem soll diese Pflicht nach fünf Jahren erlöschen.
Viel Kritik am CRA hatte es aus Reihen von Open Source-Entwicklern gegeben. Diese könnten regelmäßig nicht die CRA-Anforderungen erfüllen. Frei zur Verfügung gestellte Software könne nicht die vorgesehenen und kostenträchtigen Sicherheitsprüfungs-Mechanismen durchlaufen. Hier will Danti nun einen Zwischenweg gehen: Die Prüf- und Updatepflicht soll auf diejenigen übergehen, die Open-Source-Software in ihren kommerziellen Produkten verwenden.
Heimautomationssysteme sollen nach dem Willen des EP-Berichterstatters zusätzlich in die Kategorie extern zu zertifizierender Produkte aufgenommen werden. Eine Selbstzertifizierung durch die Hersteller dieser Systeme würde dann ausscheiden. Stattdessen müsste eine Überprüfung durch Dritte nach Artikel 6 des Kommissionsvorschlages stattfinden. In immer mehr Haushalten sind solche Systeme zu Hause: von intelligenten Thermostaten über Stromspeichersteuerungen bis zur Haushaltsgerätesteuerung.
Bereits heute gibt es mit dem freiwilligen IT-Sicherheitskennzeichen eine verwandte Möglichkeit in Deutschland. Allerdings sind seit 2021 erst 37 Dienstleistungen und Produkte vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert worden. Bislang sind dies ausschließlich Maildienste und Breitbandrouter. Smart Home-Endgeräte wie Fernseher, smarte Gartengeräte und Heimautomationslösungen sollen allerdings laut BSI bald folgen.
Der Kommissionsvorschlag sieht eine zweijährige Übergangsfrist nach dem Inkrafttreten des CRA in Artikel 57 vor. ITRE-Rapporteur Danti will nun 40 Monate Übergangsfrist erreichen. Auch bei den Berichtspflichten will Danti die Fristen verlängern: Sie sollen erst 20 statt zwölf Monate nach dem Inkrafttreten wirksam werden. Und schon der Kommissionsvorschlag sah vor, dass dann bereits auf dem Markt befindliche Produkte nicht unter das neue Regime fallen sollen. Würde der Industrieausschuss sich hier durchsetzen, wäre mit einer Verbesserung des IT-Sicherheitsniveaus durch den CRA wohl frühestens im Jahr 2028 zu rechnen, und auch dann nur für neue Produkte.
Einen besonderen Schwerpunkt legt Danti auf das Durchsetzungsregime: Er möchte eine klare Zuständigkeit für alle Reporting-Pflichten für Sicherheitslücken und Vorfälle. Damit der CRA wirksam wäre, will er eine One-Stop-Lösung: “Der Berichterstatter glaubt, dass die beste Institution, um diese Rolle wahrzunehmen, ENISA ist”, heißt es im Draft Report. Dafür soll die Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde mit zusätzlichen Stellen und Kompetenzen ausgestattet werden.
Damit rührt der Berichterstatter allerdings an einem alten Streit. Die Cybersicherheit wird in vielen Mitgliedstaaten vor allem als Teil der nationalen Sicherheit betrachtet. Entsprechend ist die Kompetenz nach wie vor primär national verteilt und ENISA hat primär koordinierende Funktionen. Derzeit jedenfalls sehen Experten ENISA noch nicht in der Lage, den erwartbaren großen Aufwand für die Durchsetzung des CRA zu gewährleisten.
Was dem Berichterstatter ausgesprochen wichtig ist: Mit seinem Amendment 83 will Danti eine Grundlage dafür schaffen, dass Cybersicherheits-Anforderungen mit Drittstaaten harmonisiert werden können. Danti will die Kommission auffordern, gegenseitige Anerkennungsvereinbarungen mit “like-minded” Drittstaaten zu schaffen.
Zudem sollten internationale Standards daraufhin geprüft werden, ob sie “das gleiche Schutzniveau wie die in dieser Verordnung vorgeschlagenen” aufwiesen. Diese könnten für die geplanten, harmonisierten europäischen Standards referenziert werden, hofft der Berichterstatter. Allerdings wird immer wieder kritisiert, dass chinesische Akteure aus Staat, staatsgelenkter Privatwirtschaft und nicht ausreichend staatsferner Wissenschaft in den einschlägigen Standardisierungsgremien zunehmend mächtig würden.
Die Abstimmung im Rat zum Cyber Resilience Act läuft derzeit, in der Bundesregierung ist das Bundesinnenministerium federführend, dem auch das BSI untersteht. Beteiligt sind zudem unter anderem auch das BMWK und das BMUV. Wann eine Einigung zum CRA möglich ist, ist derzeit sowohl in Rat wie Parlament noch offen.
“Das Beste an dem Vorschlag ist, dass es ihn nun gibt”, sagt René Repasi Table Media, kurz nach der Veröffentlichung des Kommissionsentwurfs für ein Recht auf Reparatur. Der SPD-Abgeordnete ist noch sichtlich verärgert von der negativen Bewertung des Regulatory Scrutiny Boards (RSB), die für eine deutliche Verzögerung gesorgt hatte. Beim Austausch im Binnenmarktausschuss (IMCO) mit Justizkommissar Didier Reynders wenige Tage später spricht Repasi von einer “unnötigen Warteschleife von einem halben Jahr” und drängt darauf, die Bearbeitung und Verhandlungen noch in dieser Legislaturperiode abzuschließen.
Am 22. März hatte Reynders den Vorschlag für die Richtlinie mit Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren, so der korrekte Titel, vorgestellt. Dieser konzentriert sich auf die Nutzungsphase von Produkten. Der Fokus der verwandten Ökodesign-Verordnung liegt hingegen auf der Produktionsphase, während die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel (beide Entwürfe wurden im März 2022 vorgestellt) bessere Informationen für Verbraucher zum Zeitpunkt des Warenkaufs vorsieht.
Das sieht der Entwurf vor:
Die IMCO-Vorsitzende Anna Cavazzini (Grüne) hält den Ansatz des Entwurfs für richtig, im Falle eines Defekts der Reparatur eines Produktes Vorrang vor dem Ersatz einzuräumen. Es gebe zu dieser Frage unterschiedliche Ansichten, sagt sie im Ausschuss, doch aus Klima- und Umweltschutzperspektive sei dies der richtige Ansatz. Der Verbraucherverband BEUC etwa spricht sich dafür aus, Verbrauchern die Entscheidung zwischen Reparatur und Ersatz selbst zu überlassen, wie es die aktuelle Warenkaufrichtlinie vorsieht.
Cavazzini bedauert, dass die Warenkaufrichtlinie darüber hinaus nicht verändert werde: Es solle nach dem Vorschlag der Kommission keine verlängerte Gewährleistung für den Fall einer Reparatur und keine Anpassung der Dauer der Gewährleistung an die erwartete Lebensdauer eines Produkts geben. Repasi erklärt jedoch: “Wenn auch nur ein Artikel einer Richtlinie geöffnet ist, ist die gesamte Richtlinie geöffnet”. Das bedeute, das Parlament könne auch Änderungen anderer Teile der Warenkaufrichtlinie vorschlagen.
Die größte Hürde für eine Reparatur blieben die Kosten, kritisiert Cavazzini während der Diskussion im Ausschuss. Dies sei im Entwurf nicht ausreichend adressiert. Verbraucherinnen müssten laut der vorgeschlagenen Reparaturverpflichtung für Hersteller nach Ablauf der zwei Jahre Gewährleistung die Kosten für die Reparatur selbst tragen. Zudem gelte dies nur für Produkte, für die es in anderen Gesetzen wie der Ökodesign-Verordnung Vorgaben zur Reparierbarkeit geben wird. Cavazzini sagt, eine Anwendung auf alle Produkte sei hier vorzuziehen.
“Die Feststellung der Kosten der Reparatur liegt voll und ganz im Ermessen des Herstellers, der – zumindest wie die Produkte im Moment ausgestaltet sind – keinen wirklichen Anreiz hat, Reparaturen durchzuführen“, kritisiert auch Repasi im Gespräch mit Table Media. Ein Design mit dem Ziel einer besseren Austauschbarkeit von Einzelteilen wie Akkus würde sich deshalb positiv auf die Kosten auswirken.
Reynders verweist die Abgeordneten auf das Zusammenspiel des Entwurfs mit der Ökodesign-Verordnung und der Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel. So sei das nachhaltige Produktdesign der erste Schritt und würde am Ende auch die Kosten für Ersatzteile und Reparatur reduzieren.
Repasi hat darüber hinaus Bedenken aufgrund der vorgeschlagenen Vollharmonisierung der Richtlinie. “Das heißt, dass Mitgliedstaaten von dem, was da steht, im Guten wie im Schlechten nicht mehr abweichen dürfen.” Er befürchtet, dass in der Konsequenz Maßnahmen, die Anreize für das Recht auf Reparatur schaffen wollen, aber nicht von dieser Richtlinie erfasst sind, nicht umgesetzt würden.
Weniger Harmonisierung könnte in diesem Fall den Mitgliedstaaten mehr Spielräume für weitergehende Maßnahmen bieten – es gebe mehr Möglichkeiten, um Maßnahmen zu testen. “Vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass dieser Entwurf viele Elemente gar nicht erfasst, die man eigentlich braucht, damit das Recht auf Reparatur zielführend ist.”
Einige Mitgliedstaaten haben bereits Maßnahmen eingeführt, die Anreize für Reparaturen schafften: Österreich bietet seit vergangenem Jahr einen Bonus von bis zu 200 Euro für die Reparatur von Elektrogeräten an, Frankreich führte Anfang 2021 einen Reparaturindex ein, der die Reparierbarkeit von Smartphones, Fernsehern und drei weiteren Produktgruppen bewertet und auf einem Produktlabel sichtbar macht.
Ein weiterer Kritikpunkt der Abgeordneten: das Problem der frühzeitigen Obsoleszenz von Produkten. Dieses werde im Vorschlag kaum adressiert, erklärte Tomislav Sokol (EVP), obwohl einige Hersteller die Lebensdauer ihrer Produkte bewusst verkürzten, sodass diese kurz nach Ablauf der Gewährleistung kaputt gingen. Darüber hinaus gibt es auch eine psychologische Obsoleszenz: der durch Marketingstrategien erzeugte Eindruck, ein Smartphone oder Laptop wäre ohne das neueste Update veraltet und nicht mehr zu gebrauchen. Auch hier bestehen Überschneidungen mit der Ökodesign-Verordnung. Man müsse noch schauen, ob und wo das Problem zielführend behandelt werden kann, sagt Repasi.
Die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Sanna Marin sind nach der Parlamentswahl in Finnland nicht mehr stärkste Kraft im Parlament. Trotz Zugewinnen lag die Partei nach Auszählung fast aller Wählerstimmen am späten Sonntagabend hinter der konservativen Nationalen Sammlungspartei und der rechtspopulistischen Partei Die Finnen nur auf Rang drei. Die Konservativen von Ex-Finanzminister Petteri Orpo standen vor einem knappen Wahlsieg und 48 der 200 Mandate. Die Finnen-Partei lag bei 46 Mandaten, Marins Sozialdemokraten bei 43. Damit steht Finnland vor einem Regierungswechsel.
Marin räumte ihre Niederlage ein und wies vor Unterstützern darauf hin, dass die Partei der Regierungsspitze erstmals seit langer Zeit Zugewinne verzeichnet habe. “Wir haben es gut gemacht”, sagte sie. “Die Demokratie hat gesprochen.”
Zuvor hatte Finnland einen packenden Wahlabend erlebt. Ein erster Trend unmittelbar nach Schließung der Wahllokale hatte Konservative und Sozialdemokraten fast gleichauf gesehen. Die Rechtspopulisten um ihre Vorsitzende Riikka Purra folgten zu dem Zeitpunkt mit kleinerem Abstand, holten im Laufe des Abends aber auf. Nach Auszählung von über 99 Prozent der Stimmen lagen die Konservativen mit 20,8 Prozent vor der Finnen-Partei mit 20,0 und Marins Sozialdemokraten mit 19,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 71,9 Prozent und damit in etwa auf dem Niveau der letzten Parlamentswahl 2019.
Sanna Marin ist seit Ende 2019 finnische Regierungschefin. Die 37 Jahre alte Sozialdemokratin führt eine aus fünf Parteien bestehende Mitte-links-Koalition an. Ihre Regierung führte das nördlichste Land der EU erst durch die Corona-Pandemie und dann gemeinsam mit Präsident Sauli Niinistö durch den Nato-Beitrittsprozess, der in Kürze abgeschlossen sein wird: Alle 30 derzeitigen Bündnismitglieder haben der Aufnahme der Finnen nun zugestimmt, in wenigen Tagen wird Finnland nach Nato-Angaben offiziell 31. Mitglied der Verteidigungsallianz.
Im Wahlkampf hatte der Nato-Beitritt allerdings keine Rolle gespielt. Stattdessen ging es vor allem um innenpolitische Themen wie die gestiegenen Staatsausgaben. Marins Gegner werfen ihr vor, die Staatsschulden in die Höhe getrieben zu haben. Orpo versprach eine neue Wirtschaftspolitik.
Die drei größten Parteien lagen allesamt recht deutlich über ihren Stimmanteilen von 2019. Alle aktuellen Regierungsparteien bis auf die Sozialdemokraten erlebten dagegen Verluste, besonders die Grünen stürzten deutlich ab. Da sich der Wahlkampf sehr auf die Teilung zwischen links und rechts fokussiert habe, sei es für ihre Partei schwierig gewesen, sich Gehör zu verschaffen, sagte Grünen-Chefin Maria Ohisalo schon früh am Abend. “Natürlich ist das eine Enttäuschung.” dpa/leo
Bei der Parlamentswahl in Bulgarien zeichnet sich zunächst kein klarer Wahlsieger ab. Ersten Prognosen zufolge war der prowestliche Reformblock PP-DP mit knappem Abstand als stärkste Kraft hervorgegangen. Der liberal-konservative Block sollte demnach auf gut 26 Prozent der Stimmen kommen. Auf Platz zwei landete mit rund 25 Prozent der Stimmen das 2021 nach Korruptionsvorwürfen abgewählte ebenso prowestliche Mitte-Rechts-Bündnis der GERB-SDS. Anderen Berichten zufolge lag bei einer weiteren Auszählung das Bündnis der GERB-SDS um einen Prozentpunkt vorn.
Außenpolitisch sind sich beide Lager über die Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg, auch mit Waffenlieferungen, einig.
Fünf Parteien werden den Prognosen zufolge mit Sicherheit ins Parlament in Sofia einziehen. Unter ihnen sei mit gut 13 Prozent die prorussische und nationalistische Partei Wasraschdane (Wiedergeburt).
Politologen sehen die wichtigste Frage nach der Wahl darin, welche Partei eine Regierung auf die Beine stellen kann, und nicht welche die Wahl gewonnen hat. Im 240 Sitze zählenden Parlament wird den Prognosen zufolge keine Partei eine ausreichende Mehrheit haben, um alleine zu regieren. Spitzenpolitiker wollten sich erst nach Bekanntwerden von amtlichen Ergebnissen zu ihren Plänen äußern.
Angesichts der erwarteten Kräfteverhältnisse dürfte sich die Bildung einer neuen Regierung auch nach dieser fünften Wahl binnen zwei Jahren schwierig gestalten. Im Wahlkampf haben sich die Parteien Anschuldigungen und Beleidigungen geliefert und viele rote Linien gezogen – etwa bei der Haltung zum Ukrainekrieg, zur Justizreform oder zur Einführung des Euro.
“Ich erwarte, dass der Verstand und die Prinzipien in der bulgarischen Politik überwiegen”, sagte Staatspräsident Rumen Radew bei der Stimmabgabe. Der Staatschef kündigte an, er werde die Vergabe des Regierungsauftrags nicht hinauszögern. Ein von ihm eingesetztes Übergangskabinett führt angesichts der Neuwahl die Regierungsgeschäfte.
Das EU-Land braucht nach Auffassung von Politologen dringend eine reguläre Regierung. Ein geschäftsführendes Kabinett könne keinesfalls Lösungen für die Probleme bieten, sagte die Politologin Rumjana Kolarowa. Da das Parlament vor einer Neuwahl immer wieder aufgelöst wurde, blieben wichtige Gesetze auf der Strecke – wie die Gesetze zur Umsetzung des EU-Wiederaufbauplans des Landes oder für eine Preisbremse.
Weitere Baustellen einer künftigen Regierung wären die Korruptionsbekämpfung, der angestrebte Beitritt des Landes zum Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen sowie die Einführung des Euro. Wegen der hohen Inflation wurde der ursprünglich für 2024 geplante Beitritt zur Euro-Zone aufgeschoben. dpa/leo
Die EU-Kommission hat einen Konsultationsprozess eingeleitet, um ein Klimaziel für das Jahr 2040 festzulegen. Damit will sie das Europäische Klimagesetz ergänzen, das die Festlegung eines Zwischenziels auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 vorsieht. Laut der am Freitag veröffentlichten Mitteilung wird die Kommission nach der Konsultation, die bis zum 23. Juni läuft, eine Folgenabschätzung erstellen. Diese soll dann in einen Gesetzesentwurf einfließen.
Ein “klarer Pfad zur Verringerung der Treibhausgasemissionen auch nach 2030 in Richtung des Ziels der Klimaneutralität im Jahr 2050″ sei erforderlich, heißt es in der Mitteilung. Die politischen Optionen sollen sich auf unterschiedliche Verringerungen der Netto-Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040 gegenüber 1990 konzentrieren und die jeweiligen Auswirkungen auf das Treibhausgasbudget für 2030 bis 2050 berücksichtigen. Auch die Rolle der Entnahme von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) soll im Rahmen dieser Initiative untersucht werden. Den Gesetzesentwurf will die Kommission im ersten Quartal 2024 veröffentlichen. leo
Deutschland und Australien wollen ihre Kooperation in den Bereichen kritische Rohstoffe und Wasserstoff stärken. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) Franziska Brantner ist deshalb gestern mit einer 16-köpfigen Wirtschaftsdelegation nach Sydney gereist. Sie will sich dort unter anderem für eine stärkere Vernetzung von Unternehmen aus beiden Ländern einsetzen. In Perth wird Brantner anschließend die australische Rohstoffministerin Madeleine King treffen.
Beide Länder planen ein gemeinsames Projekt, die “Australia-Germany Critical Minerals Supply Chains Study”, um die Wertschöpfungspotenziale bei kritischen Rohstoffen zwischen der Industrie in Australien und in Deutschland zu identifizieren und die Potenziale für eine stärkere Zusammenarbeit zielgerichtet nutzen zu können, erfuhr Table Media von einem Sprecher des BMWK. Dabei geht es um eine Reihe an Rohstoffen, darunter Lithium und Seltene Erden.
Deutschland und Australien haben 2017 eine formalisierte Kooperation zu Energie und Rohstoffen beschlossen und diese 2021 in eine Energiepartnerschaft umgewandelt. Diese wird nun auf den Bereich Klimaschutz ausgeweitet. 2021 unterzeichneten beide Partner zudem den Deutsch-Australischen Wasserstoff-Akkord. Im Dezember hatten bereits der australische Handelsminister Don Farrell und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Berlin erklärt, die wirtschaftliche Zusammenarbeit insbesondere in den Bereichen Wasserstoff und Rohstoffe ausbauen und vertiefen zu wollen.
Die EU-Kommission verhandelt außerdem ein Freihandelsabkommen mit Australien und will die Verhandlungen noch vor dem Sommer abschließen. Das Abkommen soll auch ein Kapitel zu kritischen Rohstoffen enthalten. Während sich beide Partner in diesem Thema einig sind, besteht nach Informationen von Table Media noch Diskussionsbedarf im Bereich Landwirtschaft. leo
Polen kann sich eine stärkere Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato vorstellen – auch ohne Atombomben auf seinem Staatsgebiet zu stationieren. “Polen wäre potenziell bereit, seine Beteiligung und Zusammenarbeit im Rahmen der nuklearen Abschreckung der Nato auszuweiten und Verantwortung zu übernehmen”, sagte der Sicherheitsberater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, Jacek Siewiera, in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. “Die Stationierung von Atomwaffen ist aber etwas Anderes”, fügte er hinzu.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte vor wenigen Tagen angekündigt, Atomwaffen in Belarus stationieren zu wollen. Nato-Staaten wie die USA und Deutschland hatten darauf gelassen reagiert. Die USA haben seit vielen Jahrzehnten Atomwaffen in mehreren europäischen Ländern stationiert, darunter Deutschland, die Niederlande, Belgien, Italien und die Türkei. Expertenschätzungen zufolge sollen es insgesamt noch etwa 100 sein. Mit Großbritannien und Frankreich besitzen zwei weitere Nato-Staaten eigene Atomwaffen.
Im Nato-Jargon wird das “nukleare Teilhabe” genannt. Polen ist bislang nur an Beratungen darüber beteiligt, etwa in der Nuklearen Planungsgruppe der Nato, die streng geheim tagt. Siewiera sagte nicht, wie genau er sich eine stärke Beteiligung vorstellt. Er verwies aber darauf, dass zur nuklearen Teilhabe auch Flugzeuge gehörten, die “spezielle Waffen” tragen könnten.
Der polnische Präsident Duda hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres sein grundsätzliches Interesse an einer stärkeren Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato angemeldet. “Wir haben mit führenden amerikanischen Politikern darüber gesprochen, ob die Vereinigten Staaten eine solche Möglichkeit in Betracht ziehen. Das Thema ist offen”, sagte Duda damals der polnischen Zeitschrift “Gazeta Polska”. Er wurde damals so verstanden, dass die Stationierung von Atomwaffen auf polnischem Territorium für ihn eine Option sei. dpa
Wenn Uta-Bettina von Altenbockum einmal in Fahrt kommt, dann ist sie kaum noch zu bremsen. Nachhaltige Standards in der EU? “Sehr gern”, sagt die Leiterin des Fachbereichs Nachhaltigkeit und Kommunikation am Deutschen Aktieninstitut, “aber doch bitte in realistischem Maße“. Zu häufig seien die Ideen der EU schön und gut, doch kaum umzusetzen. Viel zu kleinteilig, zu bürokratisch, zu aufwendig für Unternehmen.
“Ich verstehe, dass bei dem Thema Nachhaltigkeit immer ein gewisser Zeitdruck besteht, alle wollen gerne jetzt handeln”, sagt die 57-jährige. Aber wenn Standards “durchgepeitscht” würden, bringe das nichts. Dann würden die Standards “am Ende nicht die Informationen bringen, die wir brauchen, um eine Transformation der Wirtschaft voranzubringen”, sagt Altenbockum.
Gerade bei den neuen EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) sieht sie dafür einige Anhaltspunkte: So habe es eine verkürzte Konsultationspflicht gegeben und auch das Sustainability Reporting Board (SRB) habe nur zehn Wochen Zeit gehabt, um umfangreiche Rückläufe der Konsultation auszuwerten. Hier hätte sich Altenbockum etwa gewünscht, die Themen nicht alle gleichzeitig anzugehen oder diese zumindest in reduzierter Form vorzulegen.
Deshalb will das Deutsche Aktieninstitut, das 200 Mitglieder zählt und 85 Prozent der Marktkapitalisierung deutscher, börsennotierter Unternehmen abdeckt, jetzt mitreden. Mit einer Neuaufstellung vor einigen Monaten schuf es erstmals einen Fachbereich Nachhaltigkeit. Einen solchen im Jahr 2023 zu gründen, das ist spät – und Altenbockum an die Spitze zu setzen, kann durchaus verschiedene Lesarten haben. Einerseits ist das Thema im Lobbyverband endlich auf der Führungsebene angekommen. Andererseits hat das Thema eine Leiterin bekommen, die noch einen anderen Bereich betreut. Denn sie bleibt Kommunikationschefin.
Auch bisher lag das Thema Nachhaltigkeit schon zu großen Teilen bei ihr, sagt die Juristin. In der Presse ist sie allerdings eher selten mit weitreichenden Vorschlägen zu Nachhaltigkeitsstandards aufgefallen. Generell sieht sie viele Regulierungsvorhaben – ähnlich wie ihr Arbeitgeber – kritisch. In den neuesten Statements forderte das Deutsche Aktieninstitut unter anderem, die Berichtspflichten für Unternehmen schlanker zu gestalten und hielt eine Konsultation der europäischen Aufsichtsbehörden beim Thema Greenwashing für “verfrüht”.
Das dürfte die Meinung vieler Unternehmen widerspiegeln, deren Stimme Altenbockum als Leiterin des Fachbereichs stärken will. Zu oft, sagt sie, seien Unternehmen in den vergangenen Jahren überrollt worden von den politischen Initiativen. Das will sie geraderücken und hat deshalb bereits in anderen Verbänden nach Verbündeten für ihre Vorschläge gesucht. Statt all die Regulatorik über die Unternehmen zu stülpen, hätte man sich etwa einige wenige europäische Konzerne greifen und mit diesen Pilotprojekte durchführen sollen, sagt Altenbockum.
Argumentativ ist sie damit sicher liberal eingestellt, was bei ihrem Werdegang aber auch nicht übermäßig verwundert. Ursprünglich hatte sie ihre Karriere bei der Sparkassen gestartet, lebte dann unter anderem in Schweden, wo sie die Aktienrendite erlebte und für großartig befand. In der Zwischenzeit promovierte sie in Jura. Doch nach einigen Jahren als Mutter bei den Kindern fand sie, es wäre wieder Zeit, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Als über zwei Ecken der Kontakt zum Aktieninstitut kam, begann sie als Praktikantin, wurde Referentin, später Leiterin der Pressestelle, Kommunikationschefin und teilweise Gesicht des Instituts. Jetzt muss sie beweisen, dass der Verband im Bereich Nachhaltigkeit auch eine Rolle spielen kann. In ihrer E-Mail-Signatur jedenfalls steht der neue Titel schon – wenn auch an zweiter Stelle. Nils Wischmeyer
zwei Parlamentswahlen, zwei Kopf-an-Kopf-Rennen: In Finnland verloren die Sozialdemokraten um Ministerpräsidentin Sanna Marin gestern trotz Zugewinnen, in Bulgarien (bei der fünften Wahl innerhalb von zwei Jahren) stand auch am späten Abend noch kein Wahlsieger fest. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Bundeskanzler Olaf Scholz reist heute nach Rumänien. Bei dem Besuch im Nachbarland der Ukraine stehen insbesondere die Sicherheitslage und die Folgen des Krieges auf der Tagesordnung. Scholz trifft in Bukarest auch die moldauische Präsidentin Maia Sandu – Thema dürften auch die EU-Beitrittswünsche Moldaus sein.
In der Analyse meines Kollegen Falk Steiner geht es heute um den Cyber Resilience Act. Die EU-Kommission hatte im September einen Gesetzesentwurf vorgestellt, der die Cybersicherheit mit dem Internet verbundener Geräte stärken soll. Nicola Danti, der Berichterstatter im EU-Parlament, hat nun einen ersten Berichtsentwurf vorgelegt. Er will vor allem am Zeitplan, am Pflicht-Updatezeitraum, an den zuständigen Stellen und bei Open Source-Software Veränderungen vornehmen.
Eine interessante Lektüre und einen guten Start in die Woche wünscht
Mit dem Cyber Resilience Act will die EU eine Auffangregelung für vernetzte Produkte schaffen, die nicht unter spezifischeres Recht fallen. Im September hatte die Kommission den CRA vorgestellt, nun geht es auch im Parlament voran: Rapporteur Nicola Danti hat den Berichtsentwurf an die Schattenberichterstatter übermittelt.
Laut dem Kommissionsentwurf soll unter anderem eine Mindestgarantie für Softwareupdates eingeführt werden. Hier will der italienische Renew-Politiker Hersteller zur Angabe einer “vernünftigen, erwartbaren Lebensdauer” eines Produkts verpflichten. Dazu sollen sie auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Als Mindestlebensdauer schlagen sowohl die Kommission als auch Danti fünf Jahre vor. In diesem Zeitraum müssen Anbieter cybersicherheitskritische Updates anbieten. Sobald sich das Ende ankündigt, sollen die Produkte beziehungsweise ihre Hersteller die Nutzer aktiv über das Ende des Supportzeitraums informieren.
Dantis Berichtsentwurf sieht aber auch eine Ausnahmeregelung vor. Sollten Produkte eine kürzere Lebensdauererwartung als fünf Jahre aufweisen und der Produktsupport vorher eingestellt werden, müssten die Anbieter den Sourcecode Dritten zur Verfügung stellen. Zugleich sieht Dantis Entwurf hier strenge Regelungen dafür vor, wer diese Dritten sein sollen und unter welchen Bedingungen Zugriff möglich sein soll. Zudem soll diese Pflicht nach fünf Jahren erlöschen.
Viel Kritik am CRA hatte es aus Reihen von Open Source-Entwicklern gegeben. Diese könnten regelmäßig nicht die CRA-Anforderungen erfüllen. Frei zur Verfügung gestellte Software könne nicht die vorgesehenen und kostenträchtigen Sicherheitsprüfungs-Mechanismen durchlaufen. Hier will Danti nun einen Zwischenweg gehen: Die Prüf- und Updatepflicht soll auf diejenigen übergehen, die Open-Source-Software in ihren kommerziellen Produkten verwenden.
Heimautomationssysteme sollen nach dem Willen des EP-Berichterstatters zusätzlich in die Kategorie extern zu zertifizierender Produkte aufgenommen werden. Eine Selbstzertifizierung durch die Hersteller dieser Systeme würde dann ausscheiden. Stattdessen müsste eine Überprüfung durch Dritte nach Artikel 6 des Kommissionsvorschlages stattfinden. In immer mehr Haushalten sind solche Systeme zu Hause: von intelligenten Thermostaten über Stromspeichersteuerungen bis zur Haushaltsgerätesteuerung.
Bereits heute gibt es mit dem freiwilligen IT-Sicherheitskennzeichen eine verwandte Möglichkeit in Deutschland. Allerdings sind seit 2021 erst 37 Dienstleistungen und Produkte vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert worden. Bislang sind dies ausschließlich Maildienste und Breitbandrouter. Smart Home-Endgeräte wie Fernseher, smarte Gartengeräte und Heimautomationslösungen sollen allerdings laut BSI bald folgen.
Der Kommissionsvorschlag sieht eine zweijährige Übergangsfrist nach dem Inkrafttreten des CRA in Artikel 57 vor. ITRE-Rapporteur Danti will nun 40 Monate Übergangsfrist erreichen. Auch bei den Berichtspflichten will Danti die Fristen verlängern: Sie sollen erst 20 statt zwölf Monate nach dem Inkrafttreten wirksam werden. Und schon der Kommissionsvorschlag sah vor, dass dann bereits auf dem Markt befindliche Produkte nicht unter das neue Regime fallen sollen. Würde der Industrieausschuss sich hier durchsetzen, wäre mit einer Verbesserung des IT-Sicherheitsniveaus durch den CRA wohl frühestens im Jahr 2028 zu rechnen, und auch dann nur für neue Produkte.
Einen besonderen Schwerpunkt legt Danti auf das Durchsetzungsregime: Er möchte eine klare Zuständigkeit für alle Reporting-Pflichten für Sicherheitslücken und Vorfälle. Damit der CRA wirksam wäre, will er eine One-Stop-Lösung: “Der Berichterstatter glaubt, dass die beste Institution, um diese Rolle wahrzunehmen, ENISA ist”, heißt es im Draft Report. Dafür soll die Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde mit zusätzlichen Stellen und Kompetenzen ausgestattet werden.
Damit rührt der Berichterstatter allerdings an einem alten Streit. Die Cybersicherheit wird in vielen Mitgliedstaaten vor allem als Teil der nationalen Sicherheit betrachtet. Entsprechend ist die Kompetenz nach wie vor primär national verteilt und ENISA hat primär koordinierende Funktionen. Derzeit jedenfalls sehen Experten ENISA noch nicht in der Lage, den erwartbaren großen Aufwand für die Durchsetzung des CRA zu gewährleisten.
Was dem Berichterstatter ausgesprochen wichtig ist: Mit seinem Amendment 83 will Danti eine Grundlage dafür schaffen, dass Cybersicherheits-Anforderungen mit Drittstaaten harmonisiert werden können. Danti will die Kommission auffordern, gegenseitige Anerkennungsvereinbarungen mit “like-minded” Drittstaaten zu schaffen.
Zudem sollten internationale Standards daraufhin geprüft werden, ob sie “das gleiche Schutzniveau wie die in dieser Verordnung vorgeschlagenen” aufwiesen. Diese könnten für die geplanten, harmonisierten europäischen Standards referenziert werden, hofft der Berichterstatter. Allerdings wird immer wieder kritisiert, dass chinesische Akteure aus Staat, staatsgelenkter Privatwirtschaft und nicht ausreichend staatsferner Wissenschaft in den einschlägigen Standardisierungsgremien zunehmend mächtig würden.
Die Abstimmung im Rat zum Cyber Resilience Act läuft derzeit, in der Bundesregierung ist das Bundesinnenministerium federführend, dem auch das BSI untersteht. Beteiligt sind zudem unter anderem auch das BMWK und das BMUV. Wann eine Einigung zum CRA möglich ist, ist derzeit sowohl in Rat wie Parlament noch offen.
“Das Beste an dem Vorschlag ist, dass es ihn nun gibt”, sagt René Repasi Table Media, kurz nach der Veröffentlichung des Kommissionsentwurfs für ein Recht auf Reparatur. Der SPD-Abgeordnete ist noch sichtlich verärgert von der negativen Bewertung des Regulatory Scrutiny Boards (RSB), die für eine deutliche Verzögerung gesorgt hatte. Beim Austausch im Binnenmarktausschuss (IMCO) mit Justizkommissar Didier Reynders wenige Tage später spricht Repasi von einer “unnötigen Warteschleife von einem halben Jahr” und drängt darauf, die Bearbeitung und Verhandlungen noch in dieser Legislaturperiode abzuschließen.
Am 22. März hatte Reynders den Vorschlag für die Richtlinie mit Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren, so der korrekte Titel, vorgestellt. Dieser konzentriert sich auf die Nutzungsphase von Produkten. Der Fokus der verwandten Ökodesign-Verordnung liegt hingegen auf der Produktionsphase, während die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel (beide Entwürfe wurden im März 2022 vorgestellt) bessere Informationen für Verbraucher zum Zeitpunkt des Warenkaufs vorsieht.
Das sieht der Entwurf vor:
Die IMCO-Vorsitzende Anna Cavazzini (Grüne) hält den Ansatz des Entwurfs für richtig, im Falle eines Defekts der Reparatur eines Produktes Vorrang vor dem Ersatz einzuräumen. Es gebe zu dieser Frage unterschiedliche Ansichten, sagt sie im Ausschuss, doch aus Klima- und Umweltschutzperspektive sei dies der richtige Ansatz. Der Verbraucherverband BEUC etwa spricht sich dafür aus, Verbrauchern die Entscheidung zwischen Reparatur und Ersatz selbst zu überlassen, wie es die aktuelle Warenkaufrichtlinie vorsieht.
Cavazzini bedauert, dass die Warenkaufrichtlinie darüber hinaus nicht verändert werde: Es solle nach dem Vorschlag der Kommission keine verlängerte Gewährleistung für den Fall einer Reparatur und keine Anpassung der Dauer der Gewährleistung an die erwartete Lebensdauer eines Produkts geben. Repasi erklärt jedoch: “Wenn auch nur ein Artikel einer Richtlinie geöffnet ist, ist die gesamte Richtlinie geöffnet”. Das bedeute, das Parlament könne auch Änderungen anderer Teile der Warenkaufrichtlinie vorschlagen.
Die größte Hürde für eine Reparatur blieben die Kosten, kritisiert Cavazzini während der Diskussion im Ausschuss. Dies sei im Entwurf nicht ausreichend adressiert. Verbraucherinnen müssten laut der vorgeschlagenen Reparaturverpflichtung für Hersteller nach Ablauf der zwei Jahre Gewährleistung die Kosten für die Reparatur selbst tragen. Zudem gelte dies nur für Produkte, für die es in anderen Gesetzen wie der Ökodesign-Verordnung Vorgaben zur Reparierbarkeit geben wird. Cavazzini sagt, eine Anwendung auf alle Produkte sei hier vorzuziehen.
“Die Feststellung der Kosten der Reparatur liegt voll und ganz im Ermessen des Herstellers, der – zumindest wie die Produkte im Moment ausgestaltet sind – keinen wirklichen Anreiz hat, Reparaturen durchzuführen“, kritisiert auch Repasi im Gespräch mit Table Media. Ein Design mit dem Ziel einer besseren Austauschbarkeit von Einzelteilen wie Akkus würde sich deshalb positiv auf die Kosten auswirken.
Reynders verweist die Abgeordneten auf das Zusammenspiel des Entwurfs mit der Ökodesign-Verordnung und der Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel. So sei das nachhaltige Produktdesign der erste Schritt und würde am Ende auch die Kosten für Ersatzteile und Reparatur reduzieren.
Repasi hat darüber hinaus Bedenken aufgrund der vorgeschlagenen Vollharmonisierung der Richtlinie. “Das heißt, dass Mitgliedstaaten von dem, was da steht, im Guten wie im Schlechten nicht mehr abweichen dürfen.” Er befürchtet, dass in der Konsequenz Maßnahmen, die Anreize für das Recht auf Reparatur schaffen wollen, aber nicht von dieser Richtlinie erfasst sind, nicht umgesetzt würden.
Weniger Harmonisierung könnte in diesem Fall den Mitgliedstaaten mehr Spielräume für weitergehende Maßnahmen bieten – es gebe mehr Möglichkeiten, um Maßnahmen zu testen. “Vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass dieser Entwurf viele Elemente gar nicht erfasst, die man eigentlich braucht, damit das Recht auf Reparatur zielführend ist.”
Einige Mitgliedstaaten haben bereits Maßnahmen eingeführt, die Anreize für Reparaturen schafften: Österreich bietet seit vergangenem Jahr einen Bonus von bis zu 200 Euro für die Reparatur von Elektrogeräten an, Frankreich führte Anfang 2021 einen Reparaturindex ein, der die Reparierbarkeit von Smartphones, Fernsehern und drei weiteren Produktgruppen bewertet und auf einem Produktlabel sichtbar macht.
Ein weiterer Kritikpunkt der Abgeordneten: das Problem der frühzeitigen Obsoleszenz von Produkten. Dieses werde im Vorschlag kaum adressiert, erklärte Tomislav Sokol (EVP), obwohl einige Hersteller die Lebensdauer ihrer Produkte bewusst verkürzten, sodass diese kurz nach Ablauf der Gewährleistung kaputt gingen. Darüber hinaus gibt es auch eine psychologische Obsoleszenz: der durch Marketingstrategien erzeugte Eindruck, ein Smartphone oder Laptop wäre ohne das neueste Update veraltet und nicht mehr zu gebrauchen. Auch hier bestehen Überschneidungen mit der Ökodesign-Verordnung. Man müsse noch schauen, ob und wo das Problem zielführend behandelt werden kann, sagt Repasi.
Die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Sanna Marin sind nach der Parlamentswahl in Finnland nicht mehr stärkste Kraft im Parlament. Trotz Zugewinnen lag die Partei nach Auszählung fast aller Wählerstimmen am späten Sonntagabend hinter der konservativen Nationalen Sammlungspartei und der rechtspopulistischen Partei Die Finnen nur auf Rang drei. Die Konservativen von Ex-Finanzminister Petteri Orpo standen vor einem knappen Wahlsieg und 48 der 200 Mandate. Die Finnen-Partei lag bei 46 Mandaten, Marins Sozialdemokraten bei 43. Damit steht Finnland vor einem Regierungswechsel.
Marin räumte ihre Niederlage ein und wies vor Unterstützern darauf hin, dass die Partei der Regierungsspitze erstmals seit langer Zeit Zugewinne verzeichnet habe. “Wir haben es gut gemacht”, sagte sie. “Die Demokratie hat gesprochen.”
Zuvor hatte Finnland einen packenden Wahlabend erlebt. Ein erster Trend unmittelbar nach Schließung der Wahllokale hatte Konservative und Sozialdemokraten fast gleichauf gesehen. Die Rechtspopulisten um ihre Vorsitzende Riikka Purra folgten zu dem Zeitpunkt mit kleinerem Abstand, holten im Laufe des Abends aber auf. Nach Auszählung von über 99 Prozent der Stimmen lagen die Konservativen mit 20,8 Prozent vor der Finnen-Partei mit 20,0 und Marins Sozialdemokraten mit 19,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 71,9 Prozent und damit in etwa auf dem Niveau der letzten Parlamentswahl 2019.
Sanna Marin ist seit Ende 2019 finnische Regierungschefin. Die 37 Jahre alte Sozialdemokratin führt eine aus fünf Parteien bestehende Mitte-links-Koalition an. Ihre Regierung führte das nördlichste Land der EU erst durch die Corona-Pandemie und dann gemeinsam mit Präsident Sauli Niinistö durch den Nato-Beitrittsprozess, der in Kürze abgeschlossen sein wird: Alle 30 derzeitigen Bündnismitglieder haben der Aufnahme der Finnen nun zugestimmt, in wenigen Tagen wird Finnland nach Nato-Angaben offiziell 31. Mitglied der Verteidigungsallianz.
Im Wahlkampf hatte der Nato-Beitritt allerdings keine Rolle gespielt. Stattdessen ging es vor allem um innenpolitische Themen wie die gestiegenen Staatsausgaben. Marins Gegner werfen ihr vor, die Staatsschulden in die Höhe getrieben zu haben. Orpo versprach eine neue Wirtschaftspolitik.
Die drei größten Parteien lagen allesamt recht deutlich über ihren Stimmanteilen von 2019. Alle aktuellen Regierungsparteien bis auf die Sozialdemokraten erlebten dagegen Verluste, besonders die Grünen stürzten deutlich ab. Da sich der Wahlkampf sehr auf die Teilung zwischen links und rechts fokussiert habe, sei es für ihre Partei schwierig gewesen, sich Gehör zu verschaffen, sagte Grünen-Chefin Maria Ohisalo schon früh am Abend. “Natürlich ist das eine Enttäuschung.” dpa/leo
Bei der Parlamentswahl in Bulgarien zeichnet sich zunächst kein klarer Wahlsieger ab. Ersten Prognosen zufolge war der prowestliche Reformblock PP-DP mit knappem Abstand als stärkste Kraft hervorgegangen. Der liberal-konservative Block sollte demnach auf gut 26 Prozent der Stimmen kommen. Auf Platz zwei landete mit rund 25 Prozent der Stimmen das 2021 nach Korruptionsvorwürfen abgewählte ebenso prowestliche Mitte-Rechts-Bündnis der GERB-SDS. Anderen Berichten zufolge lag bei einer weiteren Auszählung das Bündnis der GERB-SDS um einen Prozentpunkt vorn.
Außenpolitisch sind sich beide Lager über die Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg, auch mit Waffenlieferungen, einig.
Fünf Parteien werden den Prognosen zufolge mit Sicherheit ins Parlament in Sofia einziehen. Unter ihnen sei mit gut 13 Prozent die prorussische und nationalistische Partei Wasraschdane (Wiedergeburt).
Politologen sehen die wichtigste Frage nach der Wahl darin, welche Partei eine Regierung auf die Beine stellen kann, und nicht welche die Wahl gewonnen hat. Im 240 Sitze zählenden Parlament wird den Prognosen zufolge keine Partei eine ausreichende Mehrheit haben, um alleine zu regieren. Spitzenpolitiker wollten sich erst nach Bekanntwerden von amtlichen Ergebnissen zu ihren Plänen äußern.
Angesichts der erwarteten Kräfteverhältnisse dürfte sich die Bildung einer neuen Regierung auch nach dieser fünften Wahl binnen zwei Jahren schwierig gestalten. Im Wahlkampf haben sich die Parteien Anschuldigungen und Beleidigungen geliefert und viele rote Linien gezogen – etwa bei der Haltung zum Ukrainekrieg, zur Justizreform oder zur Einführung des Euro.
“Ich erwarte, dass der Verstand und die Prinzipien in der bulgarischen Politik überwiegen”, sagte Staatspräsident Rumen Radew bei der Stimmabgabe. Der Staatschef kündigte an, er werde die Vergabe des Regierungsauftrags nicht hinauszögern. Ein von ihm eingesetztes Übergangskabinett führt angesichts der Neuwahl die Regierungsgeschäfte.
Das EU-Land braucht nach Auffassung von Politologen dringend eine reguläre Regierung. Ein geschäftsführendes Kabinett könne keinesfalls Lösungen für die Probleme bieten, sagte die Politologin Rumjana Kolarowa. Da das Parlament vor einer Neuwahl immer wieder aufgelöst wurde, blieben wichtige Gesetze auf der Strecke – wie die Gesetze zur Umsetzung des EU-Wiederaufbauplans des Landes oder für eine Preisbremse.
Weitere Baustellen einer künftigen Regierung wären die Korruptionsbekämpfung, der angestrebte Beitritt des Landes zum Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen sowie die Einführung des Euro. Wegen der hohen Inflation wurde der ursprünglich für 2024 geplante Beitritt zur Euro-Zone aufgeschoben. dpa/leo
Die EU-Kommission hat einen Konsultationsprozess eingeleitet, um ein Klimaziel für das Jahr 2040 festzulegen. Damit will sie das Europäische Klimagesetz ergänzen, das die Festlegung eines Zwischenziels auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 vorsieht. Laut der am Freitag veröffentlichten Mitteilung wird die Kommission nach der Konsultation, die bis zum 23. Juni läuft, eine Folgenabschätzung erstellen. Diese soll dann in einen Gesetzesentwurf einfließen.
Ein “klarer Pfad zur Verringerung der Treibhausgasemissionen auch nach 2030 in Richtung des Ziels der Klimaneutralität im Jahr 2050″ sei erforderlich, heißt es in der Mitteilung. Die politischen Optionen sollen sich auf unterschiedliche Verringerungen der Netto-Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040 gegenüber 1990 konzentrieren und die jeweiligen Auswirkungen auf das Treibhausgasbudget für 2030 bis 2050 berücksichtigen. Auch die Rolle der Entnahme von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) soll im Rahmen dieser Initiative untersucht werden. Den Gesetzesentwurf will die Kommission im ersten Quartal 2024 veröffentlichen. leo
Deutschland und Australien wollen ihre Kooperation in den Bereichen kritische Rohstoffe und Wasserstoff stärken. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) Franziska Brantner ist deshalb gestern mit einer 16-köpfigen Wirtschaftsdelegation nach Sydney gereist. Sie will sich dort unter anderem für eine stärkere Vernetzung von Unternehmen aus beiden Ländern einsetzen. In Perth wird Brantner anschließend die australische Rohstoffministerin Madeleine King treffen.
Beide Länder planen ein gemeinsames Projekt, die “Australia-Germany Critical Minerals Supply Chains Study”, um die Wertschöpfungspotenziale bei kritischen Rohstoffen zwischen der Industrie in Australien und in Deutschland zu identifizieren und die Potenziale für eine stärkere Zusammenarbeit zielgerichtet nutzen zu können, erfuhr Table Media von einem Sprecher des BMWK. Dabei geht es um eine Reihe an Rohstoffen, darunter Lithium und Seltene Erden.
Deutschland und Australien haben 2017 eine formalisierte Kooperation zu Energie und Rohstoffen beschlossen und diese 2021 in eine Energiepartnerschaft umgewandelt. Diese wird nun auf den Bereich Klimaschutz ausgeweitet. 2021 unterzeichneten beide Partner zudem den Deutsch-Australischen Wasserstoff-Akkord. Im Dezember hatten bereits der australische Handelsminister Don Farrell und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Berlin erklärt, die wirtschaftliche Zusammenarbeit insbesondere in den Bereichen Wasserstoff und Rohstoffe ausbauen und vertiefen zu wollen.
Die EU-Kommission verhandelt außerdem ein Freihandelsabkommen mit Australien und will die Verhandlungen noch vor dem Sommer abschließen. Das Abkommen soll auch ein Kapitel zu kritischen Rohstoffen enthalten. Während sich beide Partner in diesem Thema einig sind, besteht nach Informationen von Table Media noch Diskussionsbedarf im Bereich Landwirtschaft. leo
Polen kann sich eine stärkere Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato vorstellen – auch ohne Atombomben auf seinem Staatsgebiet zu stationieren. “Polen wäre potenziell bereit, seine Beteiligung und Zusammenarbeit im Rahmen der nuklearen Abschreckung der Nato auszuweiten und Verantwortung zu übernehmen”, sagte der Sicherheitsberater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, Jacek Siewiera, in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. “Die Stationierung von Atomwaffen ist aber etwas Anderes”, fügte er hinzu.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte vor wenigen Tagen angekündigt, Atomwaffen in Belarus stationieren zu wollen. Nato-Staaten wie die USA und Deutschland hatten darauf gelassen reagiert. Die USA haben seit vielen Jahrzehnten Atomwaffen in mehreren europäischen Ländern stationiert, darunter Deutschland, die Niederlande, Belgien, Italien und die Türkei. Expertenschätzungen zufolge sollen es insgesamt noch etwa 100 sein. Mit Großbritannien und Frankreich besitzen zwei weitere Nato-Staaten eigene Atomwaffen.
Im Nato-Jargon wird das “nukleare Teilhabe” genannt. Polen ist bislang nur an Beratungen darüber beteiligt, etwa in der Nuklearen Planungsgruppe der Nato, die streng geheim tagt. Siewiera sagte nicht, wie genau er sich eine stärke Beteiligung vorstellt. Er verwies aber darauf, dass zur nuklearen Teilhabe auch Flugzeuge gehörten, die “spezielle Waffen” tragen könnten.
Der polnische Präsident Duda hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres sein grundsätzliches Interesse an einer stärkeren Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato angemeldet. “Wir haben mit führenden amerikanischen Politikern darüber gesprochen, ob die Vereinigten Staaten eine solche Möglichkeit in Betracht ziehen. Das Thema ist offen”, sagte Duda damals der polnischen Zeitschrift “Gazeta Polska”. Er wurde damals so verstanden, dass die Stationierung von Atomwaffen auf polnischem Territorium für ihn eine Option sei. dpa
Wenn Uta-Bettina von Altenbockum einmal in Fahrt kommt, dann ist sie kaum noch zu bremsen. Nachhaltige Standards in der EU? “Sehr gern”, sagt die Leiterin des Fachbereichs Nachhaltigkeit und Kommunikation am Deutschen Aktieninstitut, “aber doch bitte in realistischem Maße“. Zu häufig seien die Ideen der EU schön und gut, doch kaum umzusetzen. Viel zu kleinteilig, zu bürokratisch, zu aufwendig für Unternehmen.
“Ich verstehe, dass bei dem Thema Nachhaltigkeit immer ein gewisser Zeitdruck besteht, alle wollen gerne jetzt handeln”, sagt die 57-jährige. Aber wenn Standards “durchgepeitscht” würden, bringe das nichts. Dann würden die Standards “am Ende nicht die Informationen bringen, die wir brauchen, um eine Transformation der Wirtschaft voranzubringen”, sagt Altenbockum.
Gerade bei den neuen EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) sieht sie dafür einige Anhaltspunkte: So habe es eine verkürzte Konsultationspflicht gegeben und auch das Sustainability Reporting Board (SRB) habe nur zehn Wochen Zeit gehabt, um umfangreiche Rückläufe der Konsultation auszuwerten. Hier hätte sich Altenbockum etwa gewünscht, die Themen nicht alle gleichzeitig anzugehen oder diese zumindest in reduzierter Form vorzulegen.
Deshalb will das Deutsche Aktieninstitut, das 200 Mitglieder zählt und 85 Prozent der Marktkapitalisierung deutscher, börsennotierter Unternehmen abdeckt, jetzt mitreden. Mit einer Neuaufstellung vor einigen Monaten schuf es erstmals einen Fachbereich Nachhaltigkeit. Einen solchen im Jahr 2023 zu gründen, das ist spät – und Altenbockum an die Spitze zu setzen, kann durchaus verschiedene Lesarten haben. Einerseits ist das Thema im Lobbyverband endlich auf der Führungsebene angekommen. Andererseits hat das Thema eine Leiterin bekommen, die noch einen anderen Bereich betreut. Denn sie bleibt Kommunikationschefin.
Auch bisher lag das Thema Nachhaltigkeit schon zu großen Teilen bei ihr, sagt die Juristin. In der Presse ist sie allerdings eher selten mit weitreichenden Vorschlägen zu Nachhaltigkeitsstandards aufgefallen. Generell sieht sie viele Regulierungsvorhaben – ähnlich wie ihr Arbeitgeber – kritisch. In den neuesten Statements forderte das Deutsche Aktieninstitut unter anderem, die Berichtspflichten für Unternehmen schlanker zu gestalten und hielt eine Konsultation der europäischen Aufsichtsbehörden beim Thema Greenwashing für “verfrüht”.
Das dürfte die Meinung vieler Unternehmen widerspiegeln, deren Stimme Altenbockum als Leiterin des Fachbereichs stärken will. Zu oft, sagt sie, seien Unternehmen in den vergangenen Jahren überrollt worden von den politischen Initiativen. Das will sie geraderücken und hat deshalb bereits in anderen Verbänden nach Verbündeten für ihre Vorschläge gesucht. Statt all die Regulatorik über die Unternehmen zu stülpen, hätte man sich etwa einige wenige europäische Konzerne greifen und mit diesen Pilotprojekte durchführen sollen, sagt Altenbockum.
Argumentativ ist sie damit sicher liberal eingestellt, was bei ihrem Werdegang aber auch nicht übermäßig verwundert. Ursprünglich hatte sie ihre Karriere bei der Sparkassen gestartet, lebte dann unter anderem in Schweden, wo sie die Aktienrendite erlebte und für großartig befand. In der Zwischenzeit promovierte sie in Jura. Doch nach einigen Jahren als Mutter bei den Kindern fand sie, es wäre wieder Zeit, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Als über zwei Ecken der Kontakt zum Aktieninstitut kam, begann sie als Praktikantin, wurde Referentin, später Leiterin der Pressestelle, Kommunikationschefin und teilweise Gesicht des Instituts. Jetzt muss sie beweisen, dass der Verband im Bereich Nachhaltigkeit auch eine Rolle spielen kann. In ihrer E-Mail-Signatur jedenfalls steht der neue Titel schon – wenn auch an zweiter Stelle. Nils Wischmeyer