Table.Briefing: Europe

Milliarden für Chipindustrie + Handel kritisch bei Ökodesign + Gesundheitsdaten

  • Handel wehrt sich gegen breite Vorgaben zur Nachhaltigkeit
  • EU-Gesundheitsdatenraum: Mega-Projekt läuft an
  • Chipindustrie: Bundesregierung will Milliarden geben
  • Wie EU-Staaten großen Energieverbrauchern helfen dürfen
  • Wettbewerbsverfahren gegen Googles Werbegeschäft
  • Taskforce soll Sanktionen durchsetzen
  • Sanktionsmonitoring
  • Presseschau
  • Im Portrait: Joachim Lang, BDI
Liebe Leserin, lieber Leser,

in die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew scheint Bewegung zu kommen: Der russische Unterhändler Leonid Sluzki sagte gestern, beide Seiten könnten sich “schon in den nächsten Tagen” auf eine gemeinsame Position verständigen. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak rechnet ebenfalls “in wenigen Tagen mit konkreten Ergebnissen”. Außenminister Dmytro Kuleba machte aber erneut deutlich, Kiew werde sich auf keine Vereinbarung einlassen, die die territoriale Integrität des Landes infrage stelle.

Russland nährt zugleich die Furcht vor einer Eskalation: Russische Raketen schlugen auf einer ukrainischen Militärbasis nahe Lwiw an, weniger als 25 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Der Angriff habe “ausländischen Söldnern” sowie aus dem Ausland gelieferten Waffen gegolten, so das russische Verteidigungsministerium. Moskau hatte bereits damit gedroht, westliche Waffenlieferungen an die Ukraine als legitimes Angriffsziel zu betrachten. Nicht nur Kuleba, auch Experten des International Institute for Strategic Studies argumentieren: Russland lasse sich von konventionellen Kriegen nicht abhalten, “solange die Nato nicht zeigt, dass sie bereit ist, ab einem Punkt militärisch zu antworten, und dass sie ihre Furcht vor einer Eskalation überwunden hat”.

Angesichts der Bedrohung durch Russland hatte Bundeskanzler Scholz einen Sonderetat von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr angekündigt. Die Kassen scheinen damit aber nicht geleert zu sein: Wie wir aus Regierungskreisen erfahren haben, hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den laufenden Haushaltsverhandlungen einen zweistelligen Milliardenbedarf angemeldet, um die heimische Chipindustrie zu fördern. Und er bekommt die Mittel wohl auch – Scholz jedenfalls unterstütze Habecks Ansinnen, heißt es. Mehr lesen Sie unten in den News. Dort erfahren Sie auch, welche konkreten Bedingungen die EU-Kommission an Staatshilfen für Unternehmen stellt, die von den Russland-Sanktionen und hohen Energiepreisen gebeutelt werden.

Bei ihrem jüngsten Gipfel in Versailles erklärten die EU-Staats- und Regierungschefs, wie wichtig eine sichere Rohstoffversorgung sei. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft wird so zum Unabhängigkeitsgarant. Der Einzelhandel aber ist nicht glücklich mit den Plänen der EU-Kommission für die neue Ökodesign-Richtlinie, wie Manuel Berkel berichtet.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Handel wehrt sich gegen breite Vorgaben zur Nachhaltigkeit

Wie wichtig eine sichere Rohstoffversorgung ist, wird in diesen Tagen immer deutlicher. In der Erklärung des informellen Rates von Versailles findet sich die Kreislaufwirtschaft als ein Instrument für eine stärkere Unabhängigkeit von russischen Energieimporten. Umso mehr Bedeutung erhält nun die neue Ökodesign-Richtlinie.

Ein kürzlich bekannt gewordener Entwurf sieht 14 neue Anforderungen an Hersteller vor, etwa Ressourceneffizienz, Anteile recycelter Materialien und Upcycling-Fähigkeit. Außerdem will die Kommission den Fokus der Richtlinie deutlich ausweiten, von energieverbrauchsrelevanten Produkten auf nahezu alle in der EU gehandelten Waren. Dieser breite Ansatz trifft beim Handel auf Kritik.

“Die Ökodesign-Richtlinie ist ein gutes Instrument, um sogenannte Nachhaltigkeitskriterien wie Reparierbarkeit, Haltbarkeit oder den Energieverbrauch von Produkten produktspezifisch zu adressieren”, so eine Sprecherin des Handelsverbands Deutschland (HDE). Wichtig ist dabei der Zusatz “produktspezifisch“. Welche Regeln für welche Produktgruppen gelten, regelt die EU bisher nämlich in Dutzenden Durchführungsverordnungen. Bekanntestes Beispiel sind die Regeln für Haushaltsbeleuchtung, die zum Verbot der Glühbirne führten. Die Ökodesign-Novelle könnte mit dem Wirrwarr aufräumen und künftig mehr horizontale Nachhaltigkeitsregeln festschreiben, die für alle Produktgruppen gelten.

Drei bis fünf Jahre pro Verordnung

“Eine horizontale Regelung im EU-Verbraucherrecht macht jedoch aufgrund der sehr unterschiedlichen Charakteristika verschiedener Produkte keinen Sinn”, sagt der HDE und begründet dies mit der steigenden Zahl an Anforderungen und einbezogenen Produkten. “Die Nachhaltigkeitskriterien müssen in spezifischen delegierten Rechtsakten und unter Beteiligung betroffener Akteure ausgearbeitet werden.”

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) sieht darin Kalkül: “Verordnungen für einzelne Produktgruppen sind für Handelsunternehmen adäquat, weil sie wissen, dass die ewig dauern”, sagte VZBV-Expertin Elke Salzmann zu Europe.Table. Seit 2005 seien Rechtsakte für lediglich 30 Produktgruppen erlassen worden. “Angesichts der Vielfalt von Waren ist das nichts und es kommen ja ständig neue Produkte hinzu – denken Sie an Staubroboter oder Smart Watches. Die Arbeit an jeder Verordnung dauert drei bis fünf Jahre. In diesem Tempo können wir nicht weitermachen.”

Eine sinnvolle horizontale Regelung wäre für Salzmann zum Beispiel die Pflicht, Akkus in allen kleinen Elektrogeräten nur noch austauschbar zu verbauen. Ebenso könnten Hersteller für alle elektrischen Geräte verpflichtet werden, Reparaturanleitungen bereitzustellen.

Die Kommission will den Konflikt im Dialog lösen, der aber seine Zeit brauchen wird. Laut dem Richtlinienentwurf will sie erst einmal einen Arbeitsplan entwickeln, der für mindestens drei Jahre gelten soll. Neben der Reihenfolge der Rechtsakte soll er auch regeln, für welche Produktgruppen es weiterhin spezifische Verordnungen geben wird und welche Produktgruppen zusammengefasst werden können.

Widerstand gegen Offenlegungspflichten

Ein weiterer Streitpunkt sind Offenlegungspflichten, welche die Kommission als Mittel gegen das massenhafte Aussortieren von unverkauften oder umgetauschten Gütern sieht. Unternehmen sollen künftig jährlich darüber berichten, wie viele Verbraucherprodukte sie aus welchen Gründen entsorgen, energetisch verwerten, recyceln oder wiederverwenden.

“Die im Entwurf enthaltene Offenlegung unverkäuflicher Warenbestände ist aus Sicht des HDE keine wirksame Strategie im Umgang mit Retouren und Warenüberhängen”, erklärt der Handelsverband dazu. Zielführender sei dagegen die Abschaffung von Regeln, die erst zu unverkäuflichen Warenbeständen führten.

Hinderliche Regeln sehen auch Verbraucherschützer. Für den Handel sei die Entsorgung günstiger als das Spenden unverkäuflicher Ware, weil dann Mehrwertsteuer fällig werde, bestätigt Salzmann. “Da ist das Bundesfinanzministerium am Zuge, um Spenden zu erleichtern.”

Der VZBV sieht allerdings auch die Händler in der Pflicht. Die verzichteten aus Rücksicht auf ihre Kunden auf Möglichkeiten, die ihnen das Fernabsatzrecht heute schon einräume. So hätten Händler bereits die Möglichkeit, den Kunden Beschädigungen oder Verschmutzungen in Rechnung zu stellen. Außerdem seien Retouren nur ein geringer Teil des Problems, hinzu käme etwa die Überproduktion bei schnell laufenden Produkten wie Textilien.

Marktüberwachung wird komplexer

Ein direktes Verbot, unverkaufte Waren zu zerstören, enthält der Richtlinienentwurf nicht. Die Kommission soll lediglich zu entsprechenden delegierten Rechtsakten ermächtigt werden. “Dieses Verbot hätte man schon in die Richtlinie schreiben können”, kritisiert Salzmann.

Sehr positiv bewertet die Verbraucherschützerin die vorgesehene Stärkung der Marktüberwachung. Diverse Gammelfleischskandale hätten gezeigt, wie wichtig intensive Kontrollen seien. Auch in Deutschland komme die Marktüberwachung nicht hinterher. “Nach dem Entwurf können die Mitgliedsstaaten stärker verpflichtet werden, eine bestimmte Zahl von Marktchecks durchzuführen und sie müssen Rechenschaft ablegen, wie viele Überprüfungen stattgefunden haben”, erläutert Salzmann.

Der Vollzug dürfte mit den vielen zusätzlichen Anforderungen der Ökodesign-Richtlinie an Produkte noch wichtiger werden. “Kriterien wie Reparierbarkeit und Ersatzteilverfügbarkeit sind schwierig zu kontrollieren und stellen ganz andere Anforderungen an die Behörden. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten und den Bundesländern muss deshalb verbessert werden”, resümiert Salzmann.

  • Kreislaufwirtschaft
  • Ökodesign

EU-Gesundheitsdatenraum: Mega-Projekt läuft an

Als Lehre aus der Covid-19-Pandemie hat sich die EU-Kommission vorgenommen, eine Gesundheitsunion aufzubauen, um besser auf künftige Krisen zu reagieren und Gesundheitssysteme widerstandsfähiger zu machen. Nun ist ein weiteres Puzzlestück hinzugekommen. Die Kommission bezeichnet den europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS) gar als Schlüsselkomponente einer starken Gesundheitsunion.

Anfang April will die EU-Kommission ihren Verordnungsvorschlag für den EHDS vorlegen. Ein Entwurf, der Regeln, gemeinsame Normen und Praktiken, Infrastrukturen und einen Governance-Rahmen für die primäre und sekundäre Nutzung elektronischer Gesundheitsdaten enthält, ist vorab öffentlich geworden.

Doppelte Rechtsgrundlage

Die Verordnung zielt darauf ab, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, die Rechte der Patienten an ihren elektronischen Gesundheitsdaten zu stärken sowie die wissenschaftliche Forschung zu fördern. So erhofft sich die Kommission etwa, dass ein verbesserter Datenaustausch die Bemühungen im Rahmen des europäischen Krebsplans positiv verstärken kann. Die Bündelung und der Austausch von Wissen, Erfahrungen und Daten fördere die Entwicklung konkreter Lösungen, die Krebspatienten zugutekommen, heißt es in der Erklärung zum Verordnungsentwurf.

Die Kommission stützt ihre Verordnung gleich auf zwei Rechtsgrundlagen, den Artikel 114 AEUV (Harmonisierung des Binnenmarkts) und Artikel 16 AEUV (Datenschutz). Ursprünglich war nur der Artikel 114 AEUV als Rechtsgrundlage vorgesehen. Doch die Kommission hat offenbar erkannt, dass die Gesundheitsdaten, die nach der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) als sensibel gelten, so viel Potenzial wie Risiken bergen.

Recht auf primäre Datennutzung

In der Verordnung räumt die Kommission jedem das Recht ein auf “unverzüglichen, kostenlosen Zugang zu ihren personenbezogenen elektronischen Gesundheitsdaten in leicht lesbarer und zugänglicher Form“. Dazu gehören etwa Daten zu Impfungen, E-Rezepten, Bilder, Laborergebnisse sowie Entlassungsberichte. Die Patient:innen können ihre Daten teilen, den Zugang einschränken oder widerrufen. Mit diesem Anspruch hofft die EU-Kommission, das Recht der Patient:innen auf Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten zu stärken.

Gemäß Verordnungsentwurf muss jeder Mitgliedstaat eine nationale Einrichtung schaffen, die unter anderem die erforderlichen elektronischen Gesundheitsdienste zur Verfügung stellt. Sie müssen sie mit den personellen, technischen und finanziellen Ressourcen ausstatten, die für die wirksame Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Jede Behörde muss einen jährlichen Tätigkeitsbericht mit einem umfassenden Überblick über ihre Tätigkeiten veröffentlichen.

In Deutschland gibt es mit der Gematik als nationale Agentur für digitale Medizin eine solche Einrichtung. Die Gematik trägt nach eigenen Angaben die Gesamtverantwortung für die Telematikinfrastruktur (TI), die zentrale Plattform für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen.

Obligatorisches Zertifizierungssystem

Der geleakte Verordnungsentwurf führt ein obligatorisches Zertifizierungssystem für das System zur Datenspeicherung und Datenaustausch ein, das als “elektronisches Patientenaktensystem” (EHR) bezeichnet wird. Die Zertifizierung bescheinigt den Systemen Interoperabilität, Sicherheit und Portabilität. Das sei erforderlich, um sicherzustellen, dass die elektronischen Patientenakten untereinander kompatibel seien und einen einfachen Datentransfer ermöglichten.

Damit Patient:innen ihre Gesundheitsdaten grenzüberschreitend mit Leistungserbringern in anderen Mitgliedstaaten austauschen können, und zwar in deren Sprache, soll die Beteiligung der Mitgliedstaaten an der digitalen Infrastruktur MyHealth@EU verpflichtend sein.

Damit hofft die Kommission offenbar der vor über zehn Jahren gestarteten Infrastruktur ein neues Leben einzuhauchen. Derzeit nutzen lediglich neun EU-Länder die Plattform in einem äußerst beschränkten Umfang. In Zukunft soll über sie medizinische Bilder, Laborergebnisse, Krankenhausentlassungsberichte und schließlich die gesamte Patientenakte ausgetauscht werden. Laut Kommission planten bisher die meisten Staaten, dieser Plattform bis 2025 beizutreten. Nun soll das verbindlich werden.

Sekundäre Nutzung

Mit dem Verordnungsentwurf regelt die Kommission aber auch die sogenannte Sekundärnutzung der Gesundheitsdaten. Jeder Mitgliedstaat soll eine nationale Kontaktstelle schaffen, die unter anderem für die Bereitstellung elektronischer Gesundheitsdaten für die Sekundärnutzung – auch grenzüberschreitend – zuständig ist. Die Verarbeitung der Daten muss demnach in einer sicheren Umgebung erfolgen. Dazu definiert die Kommission eine Reihe von Sicherheitsanforderungen: So sollen Unbefugte keinen Zugang zur sicheren Verarbeitungsumgebung haben. Auch unbefugtes Lesen, Kopieren, Ändern oder Entfernen von elektronischen Gesundheitsdaten muss verhindert werden. Alle Zugriffe sind zu protokollieren.

In Deutschland soll das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ Gesundheit) als eine solche nationale Kontaktstelle fungieren, das sich allerdings noch im Aufbau befindet. Angesiedelt ist es am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das FDZ Gesundheit wurde im Jahr 2019 vom Gesetzgeber durch das Digitale-Versorgung-Gesetz initiiert. Aktuell werden nach Angaben des BfArM die rechtlichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen definiert und implementiert. Anträge auf Datennutzung können voraussichtlich im Herbst 2022 gestellt werden.

Datenkategorien und Nutzungszwecke definiert

Die Kommission definiert in dem vorliegenden Verordnungsentwurf eine Reihe von Datenkategorien für die Sekundärnutzung. Demnach umfasst sie Daten aus elektronischen Patientenakten, öffentlichen Registern und klinischen Studien, genetische und genomische Daten, aber auch Sozialdaten, die sich auf die Gesundheit auswirken. Hinzu kommen Verwaltungsdaten, einschließlich Daten über Leistungsansprüche und Kostenerstattung.

Der Katalog der zulässigen Verwendungszwecke umfasst u. a. Forschung im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die Unterstützung von Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, die Bildung, die wissenschaftliche Forschung und das Training von Algorithmen für medizinische Anwendungen.

Einige Verwendungszwecke sind dagegen ausdrücklich untersagt: Etwa, wenn die Daten genutzt werden, um Entscheidungen gegen eine Person zu treffen, bei der Berechnung von Versicherungsprämien, oder auch für kommerzielle Werbung. Der Verkauf der Gesundheitsdaten an Dritte ist ebenfalls verboten.

In einem Erwägungsgrund schlägt die Kommission vor, dass Behörden und der Gesetzgeber im Krisenfall ausnahmsweise durch Rechte des geistigen Eigentums geschützte Daten weiterverwenden können. Diese Bestimmung, die der Industrie sauer aufstoßen dürfte, taucht im Hauptteil des Textes allerdings nicht mehr auf.

EU-Ausschuss für Digital- und Gesundheitsdaten

Die Kommission skizziert im Verordnungsentwurf außerdem, wie der grenzüberschreitende Datenaustausch für Forschungszwecke laufen könnte. So sollen Antragsteller lediglich einen Antrag bei einer der zuständigen Behörde stellen müssen. Diese müssen dann die Anträge an weitere Datenstellen weiterleiten, die wiederum die angeforderten Daten zur Verfügung stellen. Die zuständigen Behörden müssen die erteilten Antragsgenehmigungen gemäß der Verordnung gegenseitig anerkennen. Die Mitgliedstaaten und die Kommission sind angehalten, den grenzüberschreitenden Zugang zu elektronischen Gesundheitsdaten zu erleichtern, die in anderen Mitgliedstaaten gespeichert sind.

Laut dem Gesetzesentwurf will die Kommission einen Europäisches Ausschuss für Digital- und Gesundheitsdaten sowie zwei Untergruppen zu Primär- beziehungsweise Sekundärdaten einrichten. Der Ausschuss soll aus Vertretern der zuständigen Behörden aller Mitgliedstaaten und der Kommission bestehen.

Er hat die Aufgabe, die Kommission bei der Ausarbeitung der Leitlinien und Anforderungen für die Kennzeichnung, Zertifizierung und Datenqualität, die für den Betrieb des europäischen Gesundheitsdatenraums erforderlich sind, zu unterstützen und zu beraten. Europäische Institutionen, Gremien und Agenturen, die sich mit Forschung, Gesundheitspolitik oder Analyse befassen, einschließlich der EMA und des ECDC, bekommen einen Beobachterstatus.

Obwohl der Entwurf stolze 100 Artikel lang ist, ist doch nicht alles abschließend geregelt. So verweist er an einigen Stellen auf andere Rechtsakte, über die teilweise noch verhandelt wird, wie den Data Act und die KI-Verordnung. In jedem Fall gibt es viel Raum für Interpretationen, Anpassungen und Änderungen, da eine ganze Reihe von Artikeln durch Sekundärrechtsakte (delegierte Rechtsakte oder Durchführungsrechtsakte) ausgestaltet werden sollen.

Die Verordnung soll 12 Monaten nach dem Inkrafttreten angewendet werden. Die Kommission wird den Gesetzesentwurf voraussichtlich am 5. April vorlegen.

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  • Gesundheitsdaten

News

Chipindustrie: Bundesregierung will Milliarden geben

Die Ampel-Koalition ist bereit, die staatliche Förderung für die Halbleiterindustrie massiv aufzustocken. Nach Informationen aus Regierungskreisen hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den laufenden Haushaltsverhandlungen einen Bedarf von rund 14 Milliarden Euro angemeldet. Kanzler Olaf Scholz unterstütze dies, heißt es, die Bundesregierung werde daher voraussichtlich einen Betrag in dieser Größenordnung in ihrer Haushaltsplanung vorsehen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wird am Mittwoch die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2023 und die Finanzplanung für die die Jahre 2022 bis 2026 vorstellen. Ein Sprecher Lindners wollte sich zu konkreten Haushaltspositionen nicht äußern. Eine Sprecherin des Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erklärte, die Fördersumme sei noch Gegenstand laufender Haushaltsabstimmungen innerhalb der Bundesregierung, daher könne sie hierzu keine Angaben machen.

Die Vorgängerregierung hatte bereits rund drei Milliarden Euro für das zweite IPCEI-Förderprogramm für die Mikroelektronik eingeplant. Bayern und Baden-Württemberg haben überdies eigene Mittel in Aussicht gestellt. Vor Weihnachten gab der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck bekannt, für das Programm seien 32 Einzelprojekte ausgewählt worden. An diesen beteiligen sich laut Industriekreisen unter anderem Bosch, Infineon und Globalfoundries. Auf EU-Ebene sind 20 Mitgliedstaten und mehr als 100 Unternehmen in das IPCEI-Vorhaben eingebunden.

Die Staaten dürfen in diesem beihilferechtlichen Rahmen bis zu 100 Prozent der Finanzierungslücke schließen, die die privaten Investoren nicht anderweitig aufbringen können. Für die 32 deutschen Einzelprojekte summiert sich diese Lücke auf etwa das Dreifache des bislang von Bund und Länder vorgesehenen Betrages. Die Forderung des BMWK in den Haushaltsverhandlungen würde die Lücke weitgehend schließen.

Allerdings ist noch nicht klar, ob die Gelder allein den IPCEI-Projekten zu Gute kommen soll, oder auch anderen Investitionsvorhaben, die ebenfalls Milliardensubventionen erfordern könnten. So prüft der US-Chipkonzern Intel seit Monaten den Bau einer Fabrik in Deutschland, als Standort sind u. a. Magdeburg und Dresden im Gespräch. Auch der taiwanesische Hersteller TSMC aus Taiwan ist in Gesprächen über eine neue Fab. Vor allem die von Lieferengpässen geplagten Kunden aus der Autoindustrie drängen den weltgrößten Auftragsfertiger, einen Standort in Europa zu errichten. tho

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EU-Staaten dürfen großen Energieverbrauchern helfen

Die Mitgliedstaaten sollen energieintensiven Unternehmen die Hälfte der Kosten ersetzen können, die diesen durch den jüngsten starken Anstieg der Gas- und Strompreise entstehen. Das sieht der Entwurf des temporären Beihilferahmens vor, den die EU-Kommission am Donnerstag zur Konsultation an die Regierungen verschickt hat und von “Contexte” veröffentlicht wurde. Die Staatshilfen sollen demnach bei 25 Millionen Euro pro Betrieb gedeckelt werden. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen wegen der Preisanstiege nach der russischen Invasion in der Ukraine operativ Verluste erwirtschaftet.

Bei nicht-energieintensiven Unternehmen sollen die Schwellen laut dem Entwurf niedriger liegen: bei 30 Prozent der entstandenen Kosten bis zu einer Grenze von 2 Millionen Euro. Als erstattungsfähig gelten dabei die zusätzlichen Energiekosten, die zwischen 1. März und Jahresende entstehen, soweit diese mehr als 140 Prozent der durchschnittlichen Kosten im Zeitraum 1. November bis 31. Januar betragen – einer Periode also, in der die Strom- und Gaspreise bereits deutlich erhöht waren.

Die Mitgliedsstaaten dürfen laut dem neuen Beihilferahmen Staatshilfen auch für andere Lasten gewähren, die ihre Unternehmen im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine und der daraufhin verhängten Sanktionen erlitten haben. Die Hilfsprogramme können demnach unterschiedliche Formen der Unterstützung gewähren, etwa Zuschüsse, Steuervorteile oder Kreditgarantien.

DIHK fordert kurzfristige Maßnahmen

Der Verband der Chemischen Industrie lobt den Schritt: “Es ist gut, dass die EU-Kommission jetzt den Rahmen schaffen will, mit dem die Mitgliedsstaaten auf kurzfristige Problemlagen bei den Unternehmen reagieren können”, sagte VCI-Energieexperte Jörg Rothermel. Noch wichtiger sei aber, dass schnell die Voraussetzungen geschaffen würden, damit Unternehmen Investitionen tätigen und so mittelfristig die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren könnten: “Dazu brauchen wir längerfristige Planungssicherheit, etwa mit einem wettbewerbsfähigen Industriestrompreis“.

Die sehr hohen Gas- und Strompreise treffen besonders die Energieversorger hart. Die EnBW-Tochter Verbundnetz Gas (VNG) beantragte laut “Handelsblatt” bei der Förderbank KfW eine Kreditoption, um sich für einen Ausfall russischer Gaslieferungen abzusichern. 

Der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks forderte die Bundesregierung zu kurzfristigen Maßnahmen auf. Die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage reiche nicht aus, nötig sei etwa eine Absenkung der staatlichen Umlagen und der Stromsteuer zusammen mit zinsgünstigen KfW-Krediten oder direkten Notfallzahlungen, sagte er. Laut einer DIHK-Befragung hat jedes zweite Unternehmen in Deutschland seine Strom- und Gasversorgung für das laufende Jahr noch nicht vertraglich abgesichert. Diesen drohe damit eine “Kostenexplosion, die kaum aufzufangen ist”, so Dercks.

Die Bundesregierung arbeitet derzeit an Wirtschaftshilfen. Es werde an einem Kredit-Hilfsprogramm gearbeitet, um diejenigen Unternehmen zu helfen, die von den EU-Sanktionen gegen Russland hart getroffen würden, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums am Freitag. Die genaue Ausgestaltung hänge dabei vom EU-Beihilferahmen ab. tho

  • Beihilfen
  • Energie

Wettbewerbsverfahren gegen Googles Werbegeschäft

Die Europäische Kommission und die britische Wettbewerbsbehörde CMA haben Verfahren gegen Facebook und Google eröffnet, weil diese über illegale Absprachen den Markt für Onlinewerbung manipuliert haben sollen. Kern der Vorwürfe ist das Programm “Jedi Blue”, das bereits im Fokus einer Klage von 15 US-Bundesstaaten steht.

Hierbei geht es um programmatische Anzeigen, die in Sekundenbruchteilen versteigert werden, während eine Webseite im Browser lädt. Beschwerdeführer werfen Google vor, seine Marktmacht etwa bei Adservern systematisch zu missbrauchen, um Angebot und Nachfrage auf die eigenen Werbemarktplätze zu lotsen und damit die eigenen Gewinne zu steigern.

Mit “Jedi Blue” soll Google das sogenannte “Header Bidding” behindert haben, mit denen Betreiber von Websites verschiedene Werbebörsen gegeneinander antreten lassen können, um die höchstmöglichen Preise zu erzielen. In der nun untersuchten Vereinbarung sollen Facebook bevorzugte Konditionen vereinbart haben, damit der Konzern sich Googles “Open Bidding” anschließt und somit dem Header Bidding Nachfrage entzieht.

Google und Meta bestreiten die Vorwürfe. Google hatte bereits im vergangenen Jahr die Klagebegründung der texanischen Justizbehörde rundheraus zurückgewiesen: Die Vereinbarung mit Facebook aus dem Jahr 2018 sei weder geheim, noch exklusiv. Zudem zwinge Google Publisher nicht dazu, den Google-Dienst zu nutzen und manipuliere Auktionen auch nicht zu seinen Gunsten. Ein Firmensprecher ergänzte zur Eröffnung des neuen Verfahrens: “Wir werden die Fragen der Kommission und der CMA gerne beantworten”.

Beweisführung schwierig

Das US-Verfahren stützt sich insbesondere auf E-Mails, die die Staatsanwälte im Zuge der Beweiserhebung von beiden Firmen erhalten hatten. Hier werfen Google-Angestellte ein kritisches Licht auf die Geschäftspraktiken des Konzerns. Allerdings werden in der Klageschrift die belastenden Stellen sehr selektiv zitiert.

Eine Beweisführung aufgrund des Datenmaterials ist hingegen äußerst aufwendig. Der Markt für Onlinewerbung ist notorisch schwer zu durchschauen. Zum Beispiel wurde jetzt bekannt, dass der US-Verlag Gannett, der unter anderem die “USA Today” herausgibt, gegenüber Werbetreibenden falsche Angaben machte, wo ihre Anzeigen ausgespielt wurden. Der Fehler war erst nach neun Monaten aufgefallen und behoben worden.

Die CMA hatte allerdings bereits 2019 in einer aufwändigen Untersuchung Erfahrungen gesammelt. Damals hatten die britischen Wettbewerbshüter insbesondere den hohen Marktanteil von Facebook und Google auf den verschiedenen Wertschöpfungsebenen des Werbemarktes thematisiert und ermittelt, dass von den Werbeausgaben im Schnitt nur 65 Prozent bei den Website-Betreibern ankamen. Die britische Behörde soll nach Regierungsplänen um eine “Digital Markets Unit” erweitert werden, die komplexe Ermittlungen bei Digitalkonzernen vornehmen kann. Auch die Europäische Kommission hat die amerikanischen Digital-Konzerne in den Fokus genommen. tmk

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Taskforce soll Sanktionen durchsetzen

Die Bundesregierung richtet eine Taskforce ein, um die Umsetzung von Sanktionen gegen russische Firmen und Oligarchen besser zu koordinieren. Die Arbeitsgruppe mit Vertretern zahlreicher Behörden und Ministerien werde auf Wunsch von Bundeskanzler Olaf Scholz vom Kanzleramt koordiniert, sagte eine Sprecherin. Geleitet werde sie von Jörg Kukies, dem Staatssekretär im Kanzleramt. Welche Behörde die Federführung in den einzelnen Sanktionsbereichen übernehme, werde im Moment zwischen den Ressorts festgelegt.

Der “Spiegel” hatte zuvor berichtet, es gebe in Deutschland kein etabliertes Verfahren, um Vermögensgegenstände wie Jachten, Privatjets oder Häuser zu beschlagnahmen. Dies gehe aus einem internen Vermerk des Bundeswirtschaftsministeriums hervor. In Italien setzten die Behörden hingegen eine weitere Megajacht fest, wie die Regierung in Rom bestätigte. Sie soll dem russischen Kohle-Milliardär Andrej Melnitschenko gehören.

Auch die G7-Staaten wollen den Druck auf die russischen Eliten erhöhen. Dafür soll eine internationale Taskforce eingesetzt werden. Einzelheiten sollten die Finanz-, Justiz- und Innenminister der G7 in dieser Woche klären, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die G7-Staaten hatten sich am Freitagnachmittag im Grundsatz auf ein viertes Sanktionspaket verständigt, das nun ausgearbeitet werden soll. Zuvor hatten die EU-Staaten im Verbund mit den USA und anderen Ländern bereits scharfe Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor und zahlreiche Wirtschaftsvertreter verhängt sowie Aus- und Einfuhrbeschränkungen beschlossen (unser laufend aktualisiertes Sanktionsmonitoring finden Sie hier).

Zudem hatten sie die Devisenreserven der Zentralbank eingefroren. Dadurch könne Russland etwa die Hälfte seiner Finanzreserven derzeit nicht nutzen, sagte Finanzminister Anton Siluanow im russischen Staatsfernsehen: “Wir verfügen über eine Gesamtmenge von rund 640 Milliarden Dollar, ungefähr 300 Milliarden dieser Reserven befinden sich jetzt in einem Zustand, in dem wir sie nicht nutzen können.” Wegen der eingefrorenen Mittel habe Russland Probleme, einige Verpflichtungen einzuhalten.

Neu hinzukommen sollen nun folgende Strafmaßnahmen:

  • Stahl: Laut von der Leyen soll die Einfuhr von “wesentlichen Gütern im Eisen- und Stahlsektor aus der Russischen Föderation” untersagt werden. Dies bringe das Land um Ausfuhrerlöse in Milliardenhöhe. Laut Wirtschaftsvereinigung Stahl ist die EU mit einem Anteil von 30 Prozent an den Ausfuhren die größte Abnehmerregion für russischen Stahl. Umgekehrt kam im vergangenen Jahr ein Fünftel aller Stahlimporte in die EU aus Russland. Laut Bundesverband Deutscher Stahlhandel (BDS) handelt es sich dabei vor allem um Massenstähle, die etwa in der Bauindustrie zum Einsatz kommen. Die Händler versuchten nun, die ausfallenden Mengen woanders auf dem Weltmarkt zu beschaffen. Die Frachtraten seien weltweit aber um ein Mehrfaches gestiegen, was Lieferungen aus entfernten Ländern wie Indien und China unrentabler mache.
  • Energiesektor: Von der Leyen will überdies ein umfassendes Verbot von Investitionen in den gesamten russischen Energiesektor vorschlagen. Dieses erstrecke sich auf alle Investitionen, Finanzdienstleistungen und Technologietransfer für die Erschließung von Energiequellen und die Energieerzeugung. Bislang hat die EU lediglich ein Exportverbot von Technologie für Ölraffinerien verhängt. Etliche westliche Energieunternehmen haben sich nach dem Einmarsch bereits aus Russland zurückgezogen.
  • WTO: Die G7-Staaten wollen den Weg bereiten für weitere Handelshemmnisse für russische Exporteure. Dafür wollen sie, gemeinsam mit einer breiten Koalition von Ländern, für Russland das Meistbegünstigungsprinzip bei der Welthandelsorganisation außer Kraft setzen. Dieses garantiert ansonsten, dass die WTO-Mitglieder nicht einzelne Länder über höhere Zölle oder nicht-tarifäre Hürden benachteiligen. Der geplante Schritt komme faktisch einem Ausschluss aus der WTO sehr nahe, sagte die Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, Lisandra Flach.
  • Luxusgüter: Ein Ausfuhrverbot für Luxusgüter zielt vor allem auf die reichen Unterstützer von Präsident Wladimir Putin ab. “Diejenigen, die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten, sollten nicht länger ihrem pompösen Lebensstil frönen können, während Bomben auf unschuldige Menschen in der Ukraine fallen”, sagte von der Leyen. dpa/tho
  • Sanktionen

Sanktionsmonitoring

14.03.2022_Sanktions-Monitoring

Die Europäische Union, die USA und die Schweiz haben mit verschiedenen Sanktionen auf die Invasion Russlands in der Ukraine reagiert. Hier finden Sie die aktuell verhängten EU-Sanktionen (soweit im Amtsblatt der EU veröffentlicht). Eine Übersicht über alle seit Beginn des Ukraine-Kriegs durch die EU, die USA und die Schweiz verhängten Sanktionen finden Sie hier.

Rechtsvorschfrift L84
Durchführungsverordnung (EU) 2022/408 des Rates vom 10. März 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen

Beschluss (GASP) 2022/411 des Rates vom 10. März 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen
Details

Presseschau

US officials say Russia has asked China for military help in Ukraine FT
EU-Kommissar Timmermans lehnt Gas- und Ölboykott vorerst ab DEUTSCHLANDFUNK
EU stellt die Weichen für eine Verteidigungsunion – doch der Weg dahin ist steinig HANDELSBLATT
Zelenskiy urges Nato to implement no-fly zone – as it happened THE GUARDIAN
Österreichs Kanzler Nehammer: EU-Partner in der Nato schützen auch Österreich DER STANDARD
Europe Awakens: Russia’s invasion of Ukraine has unexpectedly transformed Europe NY TIMES
Ukraine-Flüchtlinge: Außenministerin Annalena Baerbock sichert Moldau Unterstützung zu TAGESSCHAU
Italien befürchtet Inflation von 8 Prozent RAI-NEWS
EU ermittelt zu Wettbewerbsverstoß von Google und Meta RND
Rumänien beschließt umstrittenes Justizgesetz – EU-Kommission besorgt RND
Neue EU-Frauenquote setzt deutsche Konzerne unter Druck HANDELSBLATT
Wohin mit dem Atommüll? Europa auf der Suche nach Endlagern HANDELSBLATT
EU-Parlament will verklebte Akkus verbieten T3N
EU beschließt Ziel für Mikrochip-Produktion: 20 Prozent bis 2030 HEISE
Cyanide maker suspends Europe production as energy costs soar FT

Portrait

Joachim Lang – ein “glühender Europäer”

Joachim Lang ist Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums des BDI.
Joachim Lang ist Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums des BDI.

Joachim Langs Interesse an Europa ist kein Geheimnis. Im vergangenen Jahr hat er ein ganzes Buch dazu herausgegeben. Als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) hat Joachim Lang auch die Ausrichtung des Verbands beeinflusst, ihm deutlich mehr europapolitisches Profil gegeben. Ob der Industrieverband diesen Kurs nach Langs Ausscheiden Ende Mai beibehalten wird, bleibt abzuwarten.

Das Thema begleitet ihn bereit seine gesamte Laufbahn. 1967 in Wülfrath in der Nähe von Wuppertal geboren, studierte Lang Rechts- und Politikwissenschaften in Tübingen und Bonn, wo er nebenbei im Bundestag arbeitete. Er promovierte, absolvierte das Zweite Staatsexamen und machte schließlich noch einen Magister in Europastudien.

Lange Zeit arbeitete er danach in politischen Institutionen: im Verteidigungsministerium, im Sekretariat des Bundesrates, in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, im Bundeskanzleramt. Dort koordinierte er während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 die Europapolitik der Bundesregierung. Er begleitete Kanzlerin Angela Merkel zu ihren Terminen nach Brüssel und lernte so “die EU-Institutionen von einer ganz pragmatischen Seite kennen”, erzählt er. “Da erlebt man hautnah, wie Europa und sein ganzes Räderwerk wirklich funktioniert.”

Auch die Defizite der Europäischen Union sind Joachim Lang dort noch stärker aufgefallen. Heute ruft er dazu auf, den Schwächen realistischer zu begegnen: “Es war nicht hilfreich, dass die Freunde Europas in der Vergangenheit nicht über die Defizite der EU sprechen wollten”, sagt er. “Sie dachten, dass sie damit Europa schaden. Aber durch das Negieren der Probleme – die in einer Großfamilie mit 27 Mitgliedern normal und nachvollziehbar sind – hat man der EU keinen Gefallen getan, etwa bei der Architektur der Eurozone oder der EU-Migrationspolitik.” Langs Strategie: die negativen Aspekte benennen und überwinden – und gleichzeitig betonen, was in Europa gut läuft.

Nicht länger Zuschauer am Wegesrand

Joachim Lang selbst bezeichnet sich als “überzeugten und glühenden Europäer”, unterstreicht immer wieder den Mehrwert, den die EU vor allem für Deutschland hat. Gemeinsam mit BDI-Präsident Siegfried Russwurm hat Joachim Lang einen Sammelband herausgegeben mit dem Titel “Die europäische Alternative”. Die Message: Europa sollte im Kräftemessen zwischen den Mächten USA, China und Russland nicht “Zuschauer am Wegesrand” sein wie bisher. Europa könne eine Alternative sein, ein gesellschaftspolitisches Vorbild – wenn es nur erfolgreich sei. Europa müsse aufwachen, die soziale Marktwirtschaft als Erfolgsmodell und sich selbst als geopolitische Kraft etablieren.

Dazu benötige Europa aber innere Stärke und Geschlossenheit. “Die EU muss mehr politischen Druck ausüben und einfordern, dass die Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Pfad zurückkehren”, sagt Lang. Um einzelne Akteure von der europäischen Idee zu überzeugen, müssen die EU-Institutionen sie stärker mitnehmen: Um Projekte wie die Taxonomie oder den Green Deal möglichst realitätsnah zu gestalten, sollte die EU die direkt Betroffenen, insbesondere die Unternehmen, stärker einbinden.

Lang plädiert dafür, Ziele und Instrumente früher gemeinsam festzulegen und einen Plan zu entwerfen, mit welchen Schritten das Ziel erreicht werden kann. “Investoren aus dem Ausland halten sich in Europa zurück. Vielen ist nicht klar, in welcher Reihenfolge erforderliche Schritte geplant und durchgeführt werden müssen.”

Als Erfolg betrachtet Joachim Lang die Datenschutz-Grundverordnung: “Auch wenn die Meinungen über den Erfolg der DSGVO immer noch auseinandergehen, haben die Europäer es damit immerhin geschafft, eine Regulierung gemeinsam nach vorn zu denken und eine Blaupause für ähnliche Regelungen weltweit zu liefern – das sollten wir öfter machen.” Er schlägt vor, sich im Entstehungsprozess von Regulierungen mit anderen Ländern wie China oder den USA auszutauschen. So könnte man sich auf technische Standards einigen und Unternehmen hohe Anpassungskosten ersparen. Leonie Düngefeld

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Handel wehrt sich gegen breite Vorgaben zur Nachhaltigkeit
    • EU-Gesundheitsdatenraum: Mega-Projekt läuft an
    • Chipindustrie: Bundesregierung will Milliarden geben
    • Wie EU-Staaten großen Energieverbrauchern helfen dürfen
    • Wettbewerbsverfahren gegen Googles Werbegeschäft
    • Taskforce soll Sanktionen durchsetzen
    • Sanktionsmonitoring
    • Presseschau
    • Im Portrait: Joachim Lang, BDI
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    in die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew scheint Bewegung zu kommen: Der russische Unterhändler Leonid Sluzki sagte gestern, beide Seiten könnten sich “schon in den nächsten Tagen” auf eine gemeinsame Position verständigen. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak rechnet ebenfalls “in wenigen Tagen mit konkreten Ergebnissen”. Außenminister Dmytro Kuleba machte aber erneut deutlich, Kiew werde sich auf keine Vereinbarung einlassen, die die territoriale Integrität des Landes infrage stelle.

    Russland nährt zugleich die Furcht vor einer Eskalation: Russische Raketen schlugen auf einer ukrainischen Militärbasis nahe Lwiw an, weniger als 25 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Der Angriff habe “ausländischen Söldnern” sowie aus dem Ausland gelieferten Waffen gegolten, so das russische Verteidigungsministerium. Moskau hatte bereits damit gedroht, westliche Waffenlieferungen an die Ukraine als legitimes Angriffsziel zu betrachten. Nicht nur Kuleba, auch Experten des International Institute for Strategic Studies argumentieren: Russland lasse sich von konventionellen Kriegen nicht abhalten, “solange die Nato nicht zeigt, dass sie bereit ist, ab einem Punkt militärisch zu antworten, und dass sie ihre Furcht vor einer Eskalation überwunden hat”.

    Angesichts der Bedrohung durch Russland hatte Bundeskanzler Scholz einen Sonderetat von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr angekündigt. Die Kassen scheinen damit aber nicht geleert zu sein: Wie wir aus Regierungskreisen erfahren haben, hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den laufenden Haushaltsverhandlungen einen zweistelligen Milliardenbedarf angemeldet, um die heimische Chipindustrie zu fördern. Und er bekommt die Mittel wohl auch – Scholz jedenfalls unterstütze Habecks Ansinnen, heißt es. Mehr lesen Sie unten in den News. Dort erfahren Sie auch, welche konkreten Bedingungen die EU-Kommission an Staatshilfen für Unternehmen stellt, die von den Russland-Sanktionen und hohen Energiepreisen gebeutelt werden.

    Bei ihrem jüngsten Gipfel in Versailles erklärten die EU-Staats- und Regierungschefs, wie wichtig eine sichere Rohstoffversorgung sei. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft wird so zum Unabhängigkeitsgarant. Der Einzelhandel aber ist nicht glücklich mit den Plänen der EU-Kommission für die neue Ökodesign-Richtlinie, wie Manuel Berkel berichtet.

    Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche.

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Handel wehrt sich gegen breite Vorgaben zur Nachhaltigkeit

    Wie wichtig eine sichere Rohstoffversorgung ist, wird in diesen Tagen immer deutlicher. In der Erklärung des informellen Rates von Versailles findet sich die Kreislaufwirtschaft als ein Instrument für eine stärkere Unabhängigkeit von russischen Energieimporten. Umso mehr Bedeutung erhält nun die neue Ökodesign-Richtlinie.

    Ein kürzlich bekannt gewordener Entwurf sieht 14 neue Anforderungen an Hersteller vor, etwa Ressourceneffizienz, Anteile recycelter Materialien und Upcycling-Fähigkeit. Außerdem will die Kommission den Fokus der Richtlinie deutlich ausweiten, von energieverbrauchsrelevanten Produkten auf nahezu alle in der EU gehandelten Waren. Dieser breite Ansatz trifft beim Handel auf Kritik.

    “Die Ökodesign-Richtlinie ist ein gutes Instrument, um sogenannte Nachhaltigkeitskriterien wie Reparierbarkeit, Haltbarkeit oder den Energieverbrauch von Produkten produktspezifisch zu adressieren”, so eine Sprecherin des Handelsverbands Deutschland (HDE). Wichtig ist dabei der Zusatz “produktspezifisch“. Welche Regeln für welche Produktgruppen gelten, regelt die EU bisher nämlich in Dutzenden Durchführungsverordnungen. Bekanntestes Beispiel sind die Regeln für Haushaltsbeleuchtung, die zum Verbot der Glühbirne führten. Die Ökodesign-Novelle könnte mit dem Wirrwarr aufräumen und künftig mehr horizontale Nachhaltigkeitsregeln festschreiben, die für alle Produktgruppen gelten.

    Drei bis fünf Jahre pro Verordnung

    “Eine horizontale Regelung im EU-Verbraucherrecht macht jedoch aufgrund der sehr unterschiedlichen Charakteristika verschiedener Produkte keinen Sinn”, sagt der HDE und begründet dies mit der steigenden Zahl an Anforderungen und einbezogenen Produkten. “Die Nachhaltigkeitskriterien müssen in spezifischen delegierten Rechtsakten und unter Beteiligung betroffener Akteure ausgearbeitet werden.”

    Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) sieht darin Kalkül: “Verordnungen für einzelne Produktgruppen sind für Handelsunternehmen adäquat, weil sie wissen, dass die ewig dauern”, sagte VZBV-Expertin Elke Salzmann zu Europe.Table. Seit 2005 seien Rechtsakte für lediglich 30 Produktgruppen erlassen worden. “Angesichts der Vielfalt von Waren ist das nichts und es kommen ja ständig neue Produkte hinzu – denken Sie an Staubroboter oder Smart Watches. Die Arbeit an jeder Verordnung dauert drei bis fünf Jahre. In diesem Tempo können wir nicht weitermachen.”

    Eine sinnvolle horizontale Regelung wäre für Salzmann zum Beispiel die Pflicht, Akkus in allen kleinen Elektrogeräten nur noch austauschbar zu verbauen. Ebenso könnten Hersteller für alle elektrischen Geräte verpflichtet werden, Reparaturanleitungen bereitzustellen.

    Die Kommission will den Konflikt im Dialog lösen, der aber seine Zeit brauchen wird. Laut dem Richtlinienentwurf will sie erst einmal einen Arbeitsplan entwickeln, der für mindestens drei Jahre gelten soll. Neben der Reihenfolge der Rechtsakte soll er auch regeln, für welche Produktgruppen es weiterhin spezifische Verordnungen geben wird und welche Produktgruppen zusammengefasst werden können.

    Widerstand gegen Offenlegungspflichten

    Ein weiterer Streitpunkt sind Offenlegungspflichten, welche die Kommission als Mittel gegen das massenhafte Aussortieren von unverkauften oder umgetauschten Gütern sieht. Unternehmen sollen künftig jährlich darüber berichten, wie viele Verbraucherprodukte sie aus welchen Gründen entsorgen, energetisch verwerten, recyceln oder wiederverwenden.

    “Die im Entwurf enthaltene Offenlegung unverkäuflicher Warenbestände ist aus Sicht des HDE keine wirksame Strategie im Umgang mit Retouren und Warenüberhängen”, erklärt der Handelsverband dazu. Zielführender sei dagegen die Abschaffung von Regeln, die erst zu unverkäuflichen Warenbeständen führten.

    Hinderliche Regeln sehen auch Verbraucherschützer. Für den Handel sei die Entsorgung günstiger als das Spenden unverkäuflicher Ware, weil dann Mehrwertsteuer fällig werde, bestätigt Salzmann. “Da ist das Bundesfinanzministerium am Zuge, um Spenden zu erleichtern.”

    Der VZBV sieht allerdings auch die Händler in der Pflicht. Die verzichteten aus Rücksicht auf ihre Kunden auf Möglichkeiten, die ihnen das Fernabsatzrecht heute schon einräume. So hätten Händler bereits die Möglichkeit, den Kunden Beschädigungen oder Verschmutzungen in Rechnung zu stellen. Außerdem seien Retouren nur ein geringer Teil des Problems, hinzu käme etwa die Überproduktion bei schnell laufenden Produkten wie Textilien.

    Marktüberwachung wird komplexer

    Ein direktes Verbot, unverkaufte Waren zu zerstören, enthält der Richtlinienentwurf nicht. Die Kommission soll lediglich zu entsprechenden delegierten Rechtsakten ermächtigt werden. “Dieses Verbot hätte man schon in die Richtlinie schreiben können”, kritisiert Salzmann.

    Sehr positiv bewertet die Verbraucherschützerin die vorgesehene Stärkung der Marktüberwachung. Diverse Gammelfleischskandale hätten gezeigt, wie wichtig intensive Kontrollen seien. Auch in Deutschland komme die Marktüberwachung nicht hinterher. “Nach dem Entwurf können die Mitgliedsstaaten stärker verpflichtet werden, eine bestimmte Zahl von Marktchecks durchzuführen und sie müssen Rechenschaft ablegen, wie viele Überprüfungen stattgefunden haben”, erläutert Salzmann.

    Der Vollzug dürfte mit den vielen zusätzlichen Anforderungen der Ökodesign-Richtlinie an Produkte noch wichtiger werden. “Kriterien wie Reparierbarkeit und Ersatzteilverfügbarkeit sind schwierig zu kontrollieren und stellen ganz andere Anforderungen an die Behörden. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten und den Bundesländern muss deshalb verbessert werden”, resümiert Salzmann.

    • Kreislaufwirtschaft
    • Ökodesign

    EU-Gesundheitsdatenraum: Mega-Projekt läuft an

    Als Lehre aus der Covid-19-Pandemie hat sich die EU-Kommission vorgenommen, eine Gesundheitsunion aufzubauen, um besser auf künftige Krisen zu reagieren und Gesundheitssysteme widerstandsfähiger zu machen. Nun ist ein weiteres Puzzlestück hinzugekommen. Die Kommission bezeichnet den europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS) gar als Schlüsselkomponente einer starken Gesundheitsunion.

    Anfang April will die EU-Kommission ihren Verordnungsvorschlag für den EHDS vorlegen. Ein Entwurf, der Regeln, gemeinsame Normen und Praktiken, Infrastrukturen und einen Governance-Rahmen für die primäre und sekundäre Nutzung elektronischer Gesundheitsdaten enthält, ist vorab öffentlich geworden.

    Doppelte Rechtsgrundlage

    Die Verordnung zielt darauf ab, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, die Rechte der Patienten an ihren elektronischen Gesundheitsdaten zu stärken sowie die wissenschaftliche Forschung zu fördern. So erhofft sich die Kommission etwa, dass ein verbesserter Datenaustausch die Bemühungen im Rahmen des europäischen Krebsplans positiv verstärken kann. Die Bündelung und der Austausch von Wissen, Erfahrungen und Daten fördere die Entwicklung konkreter Lösungen, die Krebspatienten zugutekommen, heißt es in der Erklärung zum Verordnungsentwurf.

    Die Kommission stützt ihre Verordnung gleich auf zwei Rechtsgrundlagen, den Artikel 114 AEUV (Harmonisierung des Binnenmarkts) und Artikel 16 AEUV (Datenschutz). Ursprünglich war nur der Artikel 114 AEUV als Rechtsgrundlage vorgesehen. Doch die Kommission hat offenbar erkannt, dass die Gesundheitsdaten, die nach der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) als sensibel gelten, so viel Potenzial wie Risiken bergen.

    Recht auf primäre Datennutzung

    In der Verordnung räumt die Kommission jedem das Recht ein auf “unverzüglichen, kostenlosen Zugang zu ihren personenbezogenen elektronischen Gesundheitsdaten in leicht lesbarer und zugänglicher Form“. Dazu gehören etwa Daten zu Impfungen, E-Rezepten, Bilder, Laborergebnisse sowie Entlassungsberichte. Die Patient:innen können ihre Daten teilen, den Zugang einschränken oder widerrufen. Mit diesem Anspruch hofft die EU-Kommission, das Recht der Patient:innen auf Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten zu stärken.

    Gemäß Verordnungsentwurf muss jeder Mitgliedstaat eine nationale Einrichtung schaffen, die unter anderem die erforderlichen elektronischen Gesundheitsdienste zur Verfügung stellt. Sie müssen sie mit den personellen, technischen und finanziellen Ressourcen ausstatten, die für die wirksame Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Jede Behörde muss einen jährlichen Tätigkeitsbericht mit einem umfassenden Überblick über ihre Tätigkeiten veröffentlichen.

    In Deutschland gibt es mit der Gematik als nationale Agentur für digitale Medizin eine solche Einrichtung. Die Gematik trägt nach eigenen Angaben die Gesamtverantwortung für die Telematikinfrastruktur (TI), die zentrale Plattform für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen.

    Obligatorisches Zertifizierungssystem

    Der geleakte Verordnungsentwurf führt ein obligatorisches Zertifizierungssystem für das System zur Datenspeicherung und Datenaustausch ein, das als “elektronisches Patientenaktensystem” (EHR) bezeichnet wird. Die Zertifizierung bescheinigt den Systemen Interoperabilität, Sicherheit und Portabilität. Das sei erforderlich, um sicherzustellen, dass die elektronischen Patientenakten untereinander kompatibel seien und einen einfachen Datentransfer ermöglichten.

    Damit Patient:innen ihre Gesundheitsdaten grenzüberschreitend mit Leistungserbringern in anderen Mitgliedstaaten austauschen können, und zwar in deren Sprache, soll die Beteiligung der Mitgliedstaaten an der digitalen Infrastruktur MyHealth@EU verpflichtend sein.

    Damit hofft die Kommission offenbar der vor über zehn Jahren gestarteten Infrastruktur ein neues Leben einzuhauchen. Derzeit nutzen lediglich neun EU-Länder die Plattform in einem äußerst beschränkten Umfang. In Zukunft soll über sie medizinische Bilder, Laborergebnisse, Krankenhausentlassungsberichte und schließlich die gesamte Patientenakte ausgetauscht werden. Laut Kommission planten bisher die meisten Staaten, dieser Plattform bis 2025 beizutreten. Nun soll das verbindlich werden.

    Sekundäre Nutzung

    Mit dem Verordnungsentwurf regelt die Kommission aber auch die sogenannte Sekundärnutzung der Gesundheitsdaten. Jeder Mitgliedstaat soll eine nationale Kontaktstelle schaffen, die unter anderem für die Bereitstellung elektronischer Gesundheitsdaten für die Sekundärnutzung – auch grenzüberschreitend – zuständig ist. Die Verarbeitung der Daten muss demnach in einer sicheren Umgebung erfolgen. Dazu definiert die Kommission eine Reihe von Sicherheitsanforderungen: So sollen Unbefugte keinen Zugang zur sicheren Verarbeitungsumgebung haben. Auch unbefugtes Lesen, Kopieren, Ändern oder Entfernen von elektronischen Gesundheitsdaten muss verhindert werden. Alle Zugriffe sind zu protokollieren.

    In Deutschland soll das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ Gesundheit) als eine solche nationale Kontaktstelle fungieren, das sich allerdings noch im Aufbau befindet. Angesiedelt ist es am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das FDZ Gesundheit wurde im Jahr 2019 vom Gesetzgeber durch das Digitale-Versorgung-Gesetz initiiert. Aktuell werden nach Angaben des BfArM die rechtlichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen definiert und implementiert. Anträge auf Datennutzung können voraussichtlich im Herbst 2022 gestellt werden.

    Datenkategorien und Nutzungszwecke definiert

    Die Kommission definiert in dem vorliegenden Verordnungsentwurf eine Reihe von Datenkategorien für die Sekundärnutzung. Demnach umfasst sie Daten aus elektronischen Patientenakten, öffentlichen Registern und klinischen Studien, genetische und genomische Daten, aber auch Sozialdaten, die sich auf die Gesundheit auswirken. Hinzu kommen Verwaltungsdaten, einschließlich Daten über Leistungsansprüche und Kostenerstattung.

    Der Katalog der zulässigen Verwendungszwecke umfasst u. a. Forschung im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die Unterstützung von Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, die Bildung, die wissenschaftliche Forschung und das Training von Algorithmen für medizinische Anwendungen.

    Einige Verwendungszwecke sind dagegen ausdrücklich untersagt: Etwa, wenn die Daten genutzt werden, um Entscheidungen gegen eine Person zu treffen, bei der Berechnung von Versicherungsprämien, oder auch für kommerzielle Werbung. Der Verkauf der Gesundheitsdaten an Dritte ist ebenfalls verboten.

    In einem Erwägungsgrund schlägt die Kommission vor, dass Behörden und der Gesetzgeber im Krisenfall ausnahmsweise durch Rechte des geistigen Eigentums geschützte Daten weiterverwenden können. Diese Bestimmung, die der Industrie sauer aufstoßen dürfte, taucht im Hauptteil des Textes allerdings nicht mehr auf.

    EU-Ausschuss für Digital- und Gesundheitsdaten

    Die Kommission skizziert im Verordnungsentwurf außerdem, wie der grenzüberschreitende Datenaustausch für Forschungszwecke laufen könnte. So sollen Antragsteller lediglich einen Antrag bei einer der zuständigen Behörde stellen müssen. Diese müssen dann die Anträge an weitere Datenstellen weiterleiten, die wiederum die angeforderten Daten zur Verfügung stellen. Die zuständigen Behörden müssen die erteilten Antragsgenehmigungen gemäß der Verordnung gegenseitig anerkennen. Die Mitgliedstaaten und die Kommission sind angehalten, den grenzüberschreitenden Zugang zu elektronischen Gesundheitsdaten zu erleichtern, die in anderen Mitgliedstaaten gespeichert sind.

    Laut dem Gesetzesentwurf will die Kommission einen Europäisches Ausschuss für Digital- und Gesundheitsdaten sowie zwei Untergruppen zu Primär- beziehungsweise Sekundärdaten einrichten. Der Ausschuss soll aus Vertretern der zuständigen Behörden aller Mitgliedstaaten und der Kommission bestehen.

    Er hat die Aufgabe, die Kommission bei der Ausarbeitung der Leitlinien und Anforderungen für die Kennzeichnung, Zertifizierung und Datenqualität, die für den Betrieb des europäischen Gesundheitsdatenraums erforderlich sind, zu unterstützen und zu beraten. Europäische Institutionen, Gremien und Agenturen, die sich mit Forschung, Gesundheitspolitik oder Analyse befassen, einschließlich der EMA und des ECDC, bekommen einen Beobachterstatus.

    Obwohl der Entwurf stolze 100 Artikel lang ist, ist doch nicht alles abschließend geregelt. So verweist er an einigen Stellen auf andere Rechtsakte, über die teilweise noch verhandelt wird, wie den Data Act und die KI-Verordnung. In jedem Fall gibt es viel Raum für Interpretationen, Anpassungen und Änderungen, da eine ganze Reihe von Artikeln durch Sekundärrechtsakte (delegierte Rechtsakte oder Durchführungsrechtsakte) ausgestaltet werden sollen.

    Die Verordnung soll 12 Monaten nach dem Inkrafttreten angewendet werden. Die Kommission wird den Gesetzesentwurf voraussichtlich am 5. April vorlegen.

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    • Gesundheitsdaten

    News

    Chipindustrie: Bundesregierung will Milliarden geben

    Die Ampel-Koalition ist bereit, die staatliche Förderung für die Halbleiterindustrie massiv aufzustocken. Nach Informationen aus Regierungskreisen hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den laufenden Haushaltsverhandlungen einen Bedarf von rund 14 Milliarden Euro angemeldet. Kanzler Olaf Scholz unterstütze dies, heißt es, die Bundesregierung werde daher voraussichtlich einen Betrag in dieser Größenordnung in ihrer Haushaltsplanung vorsehen.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wird am Mittwoch die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2023 und die Finanzplanung für die die Jahre 2022 bis 2026 vorstellen. Ein Sprecher Lindners wollte sich zu konkreten Haushaltspositionen nicht äußern. Eine Sprecherin des Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erklärte, die Fördersumme sei noch Gegenstand laufender Haushaltsabstimmungen innerhalb der Bundesregierung, daher könne sie hierzu keine Angaben machen.

    Die Vorgängerregierung hatte bereits rund drei Milliarden Euro für das zweite IPCEI-Förderprogramm für die Mikroelektronik eingeplant. Bayern und Baden-Württemberg haben überdies eigene Mittel in Aussicht gestellt. Vor Weihnachten gab der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck bekannt, für das Programm seien 32 Einzelprojekte ausgewählt worden. An diesen beteiligen sich laut Industriekreisen unter anderem Bosch, Infineon und Globalfoundries. Auf EU-Ebene sind 20 Mitgliedstaten und mehr als 100 Unternehmen in das IPCEI-Vorhaben eingebunden.

    Die Staaten dürfen in diesem beihilferechtlichen Rahmen bis zu 100 Prozent der Finanzierungslücke schließen, die die privaten Investoren nicht anderweitig aufbringen können. Für die 32 deutschen Einzelprojekte summiert sich diese Lücke auf etwa das Dreifache des bislang von Bund und Länder vorgesehenen Betrages. Die Forderung des BMWK in den Haushaltsverhandlungen würde die Lücke weitgehend schließen.

    Allerdings ist noch nicht klar, ob die Gelder allein den IPCEI-Projekten zu Gute kommen soll, oder auch anderen Investitionsvorhaben, die ebenfalls Milliardensubventionen erfordern könnten. So prüft der US-Chipkonzern Intel seit Monaten den Bau einer Fabrik in Deutschland, als Standort sind u. a. Magdeburg und Dresden im Gespräch. Auch der taiwanesische Hersteller TSMC aus Taiwan ist in Gesprächen über eine neue Fab. Vor allem die von Lieferengpässen geplagten Kunden aus der Autoindustrie drängen den weltgrößten Auftragsfertiger, einen Standort in Europa zu errichten. tho

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    EU-Staaten dürfen großen Energieverbrauchern helfen

    Die Mitgliedstaaten sollen energieintensiven Unternehmen die Hälfte der Kosten ersetzen können, die diesen durch den jüngsten starken Anstieg der Gas- und Strompreise entstehen. Das sieht der Entwurf des temporären Beihilferahmens vor, den die EU-Kommission am Donnerstag zur Konsultation an die Regierungen verschickt hat und von “Contexte” veröffentlicht wurde. Die Staatshilfen sollen demnach bei 25 Millionen Euro pro Betrieb gedeckelt werden. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen wegen der Preisanstiege nach der russischen Invasion in der Ukraine operativ Verluste erwirtschaftet.

    Bei nicht-energieintensiven Unternehmen sollen die Schwellen laut dem Entwurf niedriger liegen: bei 30 Prozent der entstandenen Kosten bis zu einer Grenze von 2 Millionen Euro. Als erstattungsfähig gelten dabei die zusätzlichen Energiekosten, die zwischen 1. März und Jahresende entstehen, soweit diese mehr als 140 Prozent der durchschnittlichen Kosten im Zeitraum 1. November bis 31. Januar betragen – einer Periode also, in der die Strom- und Gaspreise bereits deutlich erhöht waren.

    Die Mitgliedsstaaten dürfen laut dem neuen Beihilferahmen Staatshilfen auch für andere Lasten gewähren, die ihre Unternehmen im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine und der daraufhin verhängten Sanktionen erlitten haben. Die Hilfsprogramme können demnach unterschiedliche Formen der Unterstützung gewähren, etwa Zuschüsse, Steuervorteile oder Kreditgarantien.

    DIHK fordert kurzfristige Maßnahmen

    Der Verband der Chemischen Industrie lobt den Schritt: “Es ist gut, dass die EU-Kommission jetzt den Rahmen schaffen will, mit dem die Mitgliedsstaaten auf kurzfristige Problemlagen bei den Unternehmen reagieren können”, sagte VCI-Energieexperte Jörg Rothermel. Noch wichtiger sei aber, dass schnell die Voraussetzungen geschaffen würden, damit Unternehmen Investitionen tätigen und so mittelfristig die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren könnten: “Dazu brauchen wir längerfristige Planungssicherheit, etwa mit einem wettbewerbsfähigen Industriestrompreis“.

    Die sehr hohen Gas- und Strompreise treffen besonders die Energieversorger hart. Die EnBW-Tochter Verbundnetz Gas (VNG) beantragte laut “Handelsblatt” bei der Förderbank KfW eine Kreditoption, um sich für einen Ausfall russischer Gaslieferungen abzusichern. 

    Der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks forderte die Bundesregierung zu kurzfristigen Maßnahmen auf. Die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage reiche nicht aus, nötig sei etwa eine Absenkung der staatlichen Umlagen und der Stromsteuer zusammen mit zinsgünstigen KfW-Krediten oder direkten Notfallzahlungen, sagte er. Laut einer DIHK-Befragung hat jedes zweite Unternehmen in Deutschland seine Strom- und Gasversorgung für das laufende Jahr noch nicht vertraglich abgesichert. Diesen drohe damit eine “Kostenexplosion, die kaum aufzufangen ist”, so Dercks.

    Die Bundesregierung arbeitet derzeit an Wirtschaftshilfen. Es werde an einem Kredit-Hilfsprogramm gearbeitet, um diejenigen Unternehmen zu helfen, die von den EU-Sanktionen gegen Russland hart getroffen würden, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums am Freitag. Die genaue Ausgestaltung hänge dabei vom EU-Beihilferahmen ab. tho

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    Wettbewerbsverfahren gegen Googles Werbegeschäft

    Die Europäische Kommission und die britische Wettbewerbsbehörde CMA haben Verfahren gegen Facebook und Google eröffnet, weil diese über illegale Absprachen den Markt für Onlinewerbung manipuliert haben sollen. Kern der Vorwürfe ist das Programm “Jedi Blue”, das bereits im Fokus einer Klage von 15 US-Bundesstaaten steht.

    Hierbei geht es um programmatische Anzeigen, die in Sekundenbruchteilen versteigert werden, während eine Webseite im Browser lädt. Beschwerdeführer werfen Google vor, seine Marktmacht etwa bei Adservern systematisch zu missbrauchen, um Angebot und Nachfrage auf die eigenen Werbemarktplätze zu lotsen und damit die eigenen Gewinne zu steigern.

    Mit “Jedi Blue” soll Google das sogenannte “Header Bidding” behindert haben, mit denen Betreiber von Websites verschiedene Werbebörsen gegeneinander antreten lassen können, um die höchstmöglichen Preise zu erzielen. In der nun untersuchten Vereinbarung sollen Facebook bevorzugte Konditionen vereinbart haben, damit der Konzern sich Googles “Open Bidding” anschließt und somit dem Header Bidding Nachfrage entzieht.

    Google und Meta bestreiten die Vorwürfe. Google hatte bereits im vergangenen Jahr die Klagebegründung der texanischen Justizbehörde rundheraus zurückgewiesen: Die Vereinbarung mit Facebook aus dem Jahr 2018 sei weder geheim, noch exklusiv. Zudem zwinge Google Publisher nicht dazu, den Google-Dienst zu nutzen und manipuliere Auktionen auch nicht zu seinen Gunsten. Ein Firmensprecher ergänzte zur Eröffnung des neuen Verfahrens: “Wir werden die Fragen der Kommission und der CMA gerne beantworten”.

    Beweisführung schwierig

    Das US-Verfahren stützt sich insbesondere auf E-Mails, die die Staatsanwälte im Zuge der Beweiserhebung von beiden Firmen erhalten hatten. Hier werfen Google-Angestellte ein kritisches Licht auf die Geschäftspraktiken des Konzerns. Allerdings werden in der Klageschrift die belastenden Stellen sehr selektiv zitiert.

    Eine Beweisführung aufgrund des Datenmaterials ist hingegen äußerst aufwendig. Der Markt für Onlinewerbung ist notorisch schwer zu durchschauen. Zum Beispiel wurde jetzt bekannt, dass der US-Verlag Gannett, der unter anderem die “USA Today” herausgibt, gegenüber Werbetreibenden falsche Angaben machte, wo ihre Anzeigen ausgespielt wurden. Der Fehler war erst nach neun Monaten aufgefallen und behoben worden.

    Die CMA hatte allerdings bereits 2019 in einer aufwändigen Untersuchung Erfahrungen gesammelt. Damals hatten die britischen Wettbewerbshüter insbesondere den hohen Marktanteil von Facebook und Google auf den verschiedenen Wertschöpfungsebenen des Werbemarktes thematisiert und ermittelt, dass von den Werbeausgaben im Schnitt nur 65 Prozent bei den Website-Betreibern ankamen. Die britische Behörde soll nach Regierungsplänen um eine “Digital Markets Unit” erweitert werden, die komplexe Ermittlungen bei Digitalkonzernen vornehmen kann. Auch die Europäische Kommission hat die amerikanischen Digital-Konzerne in den Fokus genommen. tmk

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    Taskforce soll Sanktionen durchsetzen

    Die Bundesregierung richtet eine Taskforce ein, um die Umsetzung von Sanktionen gegen russische Firmen und Oligarchen besser zu koordinieren. Die Arbeitsgruppe mit Vertretern zahlreicher Behörden und Ministerien werde auf Wunsch von Bundeskanzler Olaf Scholz vom Kanzleramt koordiniert, sagte eine Sprecherin. Geleitet werde sie von Jörg Kukies, dem Staatssekretär im Kanzleramt. Welche Behörde die Federführung in den einzelnen Sanktionsbereichen übernehme, werde im Moment zwischen den Ressorts festgelegt.

    Der “Spiegel” hatte zuvor berichtet, es gebe in Deutschland kein etabliertes Verfahren, um Vermögensgegenstände wie Jachten, Privatjets oder Häuser zu beschlagnahmen. Dies gehe aus einem internen Vermerk des Bundeswirtschaftsministeriums hervor. In Italien setzten die Behörden hingegen eine weitere Megajacht fest, wie die Regierung in Rom bestätigte. Sie soll dem russischen Kohle-Milliardär Andrej Melnitschenko gehören.

    Auch die G7-Staaten wollen den Druck auf die russischen Eliten erhöhen. Dafür soll eine internationale Taskforce eingesetzt werden. Einzelheiten sollten die Finanz-, Justiz- und Innenminister der G7 in dieser Woche klären, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

    Die G7-Staaten hatten sich am Freitagnachmittag im Grundsatz auf ein viertes Sanktionspaket verständigt, das nun ausgearbeitet werden soll. Zuvor hatten die EU-Staaten im Verbund mit den USA und anderen Ländern bereits scharfe Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor und zahlreiche Wirtschaftsvertreter verhängt sowie Aus- und Einfuhrbeschränkungen beschlossen (unser laufend aktualisiertes Sanktionsmonitoring finden Sie hier).

    Zudem hatten sie die Devisenreserven der Zentralbank eingefroren. Dadurch könne Russland etwa die Hälfte seiner Finanzreserven derzeit nicht nutzen, sagte Finanzminister Anton Siluanow im russischen Staatsfernsehen: “Wir verfügen über eine Gesamtmenge von rund 640 Milliarden Dollar, ungefähr 300 Milliarden dieser Reserven befinden sich jetzt in einem Zustand, in dem wir sie nicht nutzen können.” Wegen der eingefrorenen Mittel habe Russland Probleme, einige Verpflichtungen einzuhalten.

    Neu hinzukommen sollen nun folgende Strafmaßnahmen:

    • Stahl: Laut von der Leyen soll die Einfuhr von “wesentlichen Gütern im Eisen- und Stahlsektor aus der Russischen Föderation” untersagt werden. Dies bringe das Land um Ausfuhrerlöse in Milliardenhöhe. Laut Wirtschaftsvereinigung Stahl ist die EU mit einem Anteil von 30 Prozent an den Ausfuhren die größte Abnehmerregion für russischen Stahl. Umgekehrt kam im vergangenen Jahr ein Fünftel aller Stahlimporte in die EU aus Russland. Laut Bundesverband Deutscher Stahlhandel (BDS) handelt es sich dabei vor allem um Massenstähle, die etwa in der Bauindustrie zum Einsatz kommen. Die Händler versuchten nun, die ausfallenden Mengen woanders auf dem Weltmarkt zu beschaffen. Die Frachtraten seien weltweit aber um ein Mehrfaches gestiegen, was Lieferungen aus entfernten Ländern wie Indien und China unrentabler mache.
    • Energiesektor: Von der Leyen will überdies ein umfassendes Verbot von Investitionen in den gesamten russischen Energiesektor vorschlagen. Dieses erstrecke sich auf alle Investitionen, Finanzdienstleistungen und Technologietransfer für die Erschließung von Energiequellen und die Energieerzeugung. Bislang hat die EU lediglich ein Exportverbot von Technologie für Ölraffinerien verhängt. Etliche westliche Energieunternehmen haben sich nach dem Einmarsch bereits aus Russland zurückgezogen.
    • WTO: Die G7-Staaten wollen den Weg bereiten für weitere Handelshemmnisse für russische Exporteure. Dafür wollen sie, gemeinsam mit einer breiten Koalition von Ländern, für Russland das Meistbegünstigungsprinzip bei der Welthandelsorganisation außer Kraft setzen. Dieses garantiert ansonsten, dass die WTO-Mitglieder nicht einzelne Länder über höhere Zölle oder nicht-tarifäre Hürden benachteiligen. Der geplante Schritt komme faktisch einem Ausschluss aus der WTO sehr nahe, sagte die Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, Lisandra Flach.
    • Luxusgüter: Ein Ausfuhrverbot für Luxusgüter zielt vor allem auf die reichen Unterstützer von Präsident Wladimir Putin ab. “Diejenigen, die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten, sollten nicht länger ihrem pompösen Lebensstil frönen können, während Bomben auf unschuldige Menschen in der Ukraine fallen”, sagte von der Leyen. dpa/tho
    • Sanktionen

    Sanktionsmonitoring

    14.03.2022_Sanktions-Monitoring

    Die Europäische Union, die USA und die Schweiz haben mit verschiedenen Sanktionen auf die Invasion Russlands in der Ukraine reagiert. Hier finden Sie die aktuell verhängten EU-Sanktionen (soweit im Amtsblatt der EU veröffentlicht). Eine Übersicht über alle seit Beginn des Ukraine-Kriegs durch die EU, die USA und die Schweiz verhängten Sanktionen finden Sie hier.

    Rechtsvorschfrift L84
    Durchführungsverordnung (EU) 2022/408 des Rates vom 10. März 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen

    Beschluss (GASP) 2022/411 des Rates vom 10. März 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen
    Details

    Presseschau

    US officials say Russia has asked China for military help in Ukraine FT
    EU-Kommissar Timmermans lehnt Gas- und Ölboykott vorerst ab DEUTSCHLANDFUNK
    EU stellt die Weichen für eine Verteidigungsunion – doch der Weg dahin ist steinig HANDELSBLATT
    Zelenskiy urges Nato to implement no-fly zone – as it happened THE GUARDIAN
    Österreichs Kanzler Nehammer: EU-Partner in der Nato schützen auch Österreich DER STANDARD
    Europe Awakens: Russia’s invasion of Ukraine has unexpectedly transformed Europe NY TIMES
    Ukraine-Flüchtlinge: Außenministerin Annalena Baerbock sichert Moldau Unterstützung zu TAGESSCHAU
    Italien befürchtet Inflation von 8 Prozent RAI-NEWS
    EU ermittelt zu Wettbewerbsverstoß von Google und Meta RND
    Rumänien beschließt umstrittenes Justizgesetz – EU-Kommission besorgt RND
    Neue EU-Frauenquote setzt deutsche Konzerne unter Druck HANDELSBLATT
    Wohin mit dem Atommüll? Europa auf der Suche nach Endlagern HANDELSBLATT
    EU-Parlament will verklebte Akkus verbieten T3N
    EU beschließt Ziel für Mikrochip-Produktion: 20 Prozent bis 2030 HEISE
    Cyanide maker suspends Europe production as energy costs soar FT

    Portrait

    Joachim Lang – ein “glühender Europäer”

    Joachim Lang ist Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums des BDI.
    Joachim Lang ist Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums des BDI.

    Joachim Langs Interesse an Europa ist kein Geheimnis. Im vergangenen Jahr hat er ein ganzes Buch dazu herausgegeben. Als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) hat Joachim Lang auch die Ausrichtung des Verbands beeinflusst, ihm deutlich mehr europapolitisches Profil gegeben. Ob der Industrieverband diesen Kurs nach Langs Ausscheiden Ende Mai beibehalten wird, bleibt abzuwarten.

    Das Thema begleitet ihn bereit seine gesamte Laufbahn. 1967 in Wülfrath in der Nähe von Wuppertal geboren, studierte Lang Rechts- und Politikwissenschaften in Tübingen und Bonn, wo er nebenbei im Bundestag arbeitete. Er promovierte, absolvierte das Zweite Staatsexamen und machte schließlich noch einen Magister in Europastudien.

    Lange Zeit arbeitete er danach in politischen Institutionen: im Verteidigungsministerium, im Sekretariat des Bundesrates, in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, im Bundeskanzleramt. Dort koordinierte er während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 die Europapolitik der Bundesregierung. Er begleitete Kanzlerin Angela Merkel zu ihren Terminen nach Brüssel und lernte so “die EU-Institutionen von einer ganz pragmatischen Seite kennen”, erzählt er. “Da erlebt man hautnah, wie Europa und sein ganzes Räderwerk wirklich funktioniert.”

    Auch die Defizite der Europäischen Union sind Joachim Lang dort noch stärker aufgefallen. Heute ruft er dazu auf, den Schwächen realistischer zu begegnen: “Es war nicht hilfreich, dass die Freunde Europas in der Vergangenheit nicht über die Defizite der EU sprechen wollten”, sagt er. “Sie dachten, dass sie damit Europa schaden. Aber durch das Negieren der Probleme – die in einer Großfamilie mit 27 Mitgliedern normal und nachvollziehbar sind – hat man der EU keinen Gefallen getan, etwa bei der Architektur der Eurozone oder der EU-Migrationspolitik.” Langs Strategie: die negativen Aspekte benennen und überwinden – und gleichzeitig betonen, was in Europa gut läuft.

    Nicht länger Zuschauer am Wegesrand

    Joachim Lang selbst bezeichnet sich als “überzeugten und glühenden Europäer”, unterstreicht immer wieder den Mehrwert, den die EU vor allem für Deutschland hat. Gemeinsam mit BDI-Präsident Siegfried Russwurm hat Joachim Lang einen Sammelband herausgegeben mit dem Titel “Die europäische Alternative”. Die Message: Europa sollte im Kräftemessen zwischen den Mächten USA, China und Russland nicht “Zuschauer am Wegesrand” sein wie bisher. Europa könne eine Alternative sein, ein gesellschaftspolitisches Vorbild – wenn es nur erfolgreich sei. Europa müsse aufwachen, die soziale Marktwirtschaft als Erfolgsmodell und sich selbst als geopolitische Kraft etablieren.

    Dazu benötige Europa aber innere Stärke und Geschlossenheit. “Die EU muss mehr politischen Druck ausüben und einfordern, dass die Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Pfad zurückkehren”, sagt Lang. Um einzelne Akteure von der europäischen Idee zu überzeugen, müssen die EU-Institutionen sie stärker mitnehmen: Um Projekte wie die Taxonomie oder den Green Deal möglichst realitätsnah zu gestalten, sollte die EU die direkt Betroffenen, insbesondere die Unternehmen, stärker einbinden.

    Lang plädiert dafür, Ziele und Instrumente früher gemeinsam festzulegen und einen Plan zu entwerfen, mit welchen Schritten das Ziel erreicht werden kann. “Investoren aus dem Ausland halten sich in Europa zurück. Vielen ist nicht klar, in welcher Reihenfolge erforderliche Schritte geplant und durchgeführt werden müssen.”

    Als Erfolg betrachtet Joachim Lang die Datenschutz-Grundverordnung: “Auch wenn die Meinungen über den Erfolg der DSGVO immer noch auseinandergehen, haben die Europäer es damit immerhin geschafft, eine Regulierung gemeinsam nach vorn zu denken und eine Blaupause für ähnliche Regelungen weltweit zu liefern – das sollten wir öfter machen.” Er schlägt vor, sich im Entstehungsprozess von Regulierungen mit anderen Ländern wie China oder den USA auszutauschen. So könnte man sich auf technische Standards einigen und Unternehmen hohe Anpassungskosten ersparen. Leonie Düngefeld

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