herzlich willkommen am Europe.Table. Sie lesen die Vorab-Ausgabe des neuen Professional Briefings, das Sie in Zukunft täglich aktuell, umfassend und verlässlich über europäische Regulierungsvorhaben informieren will.
Europa steht ein tiefgreifender Wandel bevor, als Folge der beiden Megatrends unserer Zeit: Klimawandel und Digitalisierung. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich vorgenommen, diese “Twin Transition” zu gestalten. Allein zum Klimaschutz wird die Behörde mehr als 50 Richtlinien und Verordnungen vorlegen.
Das Team von Europe.Table wird seinen Fokus deshalb auf den Green Deal und die europäische Digitalpolitik richten. Wir wollen Ihnen Orientierung bieten: mit fundierten Analysen zu den Gesetzgebungsprozessen, mit Nachrichten und Hintergründen aus Brüssel und anderen europäischen Zentren. Wir werden dabei genau hinschauen, wie sich die Bundesregierung europapolitisch positioniert.
In dieser Ausgabe analysiert mein Kollege Timo Landenberger, was vom ersten großen Klima-Gesetzespaket zu erwarten ist, das die Kommission diese Woche vorlegen wird. Falk Steiner wiederum widmet sich einem Thema, das viele Unternehmen betreffen wird, dem aber bislang nur wenige Aufmerksamkeit schenken: den Veränderungen der Produktsicherheitsrichtlinie und deren Auswirkungen auf digitale Geschäftsmodelle.
Wir laden Sie herzlich ein, am Europe.Table Platz zu nehmen – als unser Gast. Wir wollen mit Ihnen ins Gespräch kommen, erfahren, was Sie von uns erwarten und Sie einladen, Ihre Sicht auf die europäische Politik mit uns zu teilen.
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Das Ziel ist klar, und inzwischen im europäischen Klimagesetz festgeschrieben: Bis zum Jahr 2050 will die EU klimaneutral sein. Um das als erster Kontinent zu erreichen, sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken, deutlich stärker als zuvor geplant.
Nun geht es darum, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Die Kommission stellt am Mittwoch ihr Maßnahmen-Paket “Fit for 55” vor, das unter Ägide von Executive Vice President Frans Timmermans erarbeitet wurde. Schon der Name sorgt für Ärger – schließlich stand dieser bereits fest, als das EU-Parlament noch 60 Prozent Reduktion gefordert hatte. Auch deshalb ist in offiziellen Verlautbarungen immer häufiger vom Fit-for-2030-Paket die Rede.
Auch inhaltlich gibt es zahlreiche Kontroversen, etwa um die Frage, wie viel über den marktwirtschaftlichen Ansatz des Europäischen Emissionshandels (ETS) geregelt werden kann und wie viel ordnungsrechtlicher Maßnahmen es bedarf (Europe.Table berichtet).
Das ETS wurde 2005 als Instrument zur Minderung der Emissionen im Energie- und Industriesektor eingeführt und funktioniert nach dem Cap-and-Trade-Prinzip. Die EU verteilt nach bestimmten Kriterien eine festgelegte Menge an Emissionsrechten (Cap) an die Unternehmen. Firmen, die ihre Emissionen stärker reduzieren als nötig, können die übrigen Zertifikate am Markt verkaufen (Trade). Ein CO2-Preis entsteht. Soweit die Theorie.
Peter Liese (CDU), umweltpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, ist von dieser Theorie überzeugt: Er spricht von einem “Kernelement der europäischen Klimapolitik, das insbesondere in den letzten drei Jahren sehr stark zur Emissionsreduktion beigetragen hat”. In der Tat ist der Preis in jüngerer Vergangenheit deutlich gestiegen und liegt aktuell bei etwa 55 Euro pro Tonne CO2.
Michael Bloss, umweltpolitischer Sprecher der Grünen, hält dagegen: “Der Preis ist nur deshalb so hoch, weil es am Markt Spekulationen auf eine starke Reform gibt”. Es gebe noch immer zu viele Zertifikate, weshalb der Preis auch schnell wieder fallen könne. “Die Anzahl der Emissionsrechte muss verringert und das Preisniveau damit stabilisiert werden”, fordert er. Einem Entwurf zur ETS-Reform zufolge ist genau das auch vorgesehen. Das Papier machte, wie so viele seiner Mitstreiter, schon vor der offiziellen Veröffentlichung die Runde und liegt Europe.Table vor. Offen ließen die Dokumente allerdings, wie genau die Verknappung der Zertifikate aussehen soll.
“Es darf keine Ausgabe von Emissionserlaubnissen mehr geben, die über dem liegt, was der Markt nachfragt”, fordert Oldag Caspar, Teamleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Die Verknappung der Zertifikate müsse mithelfen, dass die Emissionen der Industrie in den 2040er-Jahren bei annähernd Null liegen. “Damit das erreichbar ist, wird auch die freie Zuteilung an deutlich strengere Kriterien geknüpft werden müssen und sollte bis 2030 auslaufen.”
Um die europäische Industrie vor Nachteilen gegenüber Wettbewerbern aus Staaten ohne Emissionshandel zu schützen, werden einigen energieintensiven Branchen wie der Stahlindustrie die Zertifikate bislang kostenfrei zugeteilt. Diese Praxis hat jedoch hinsichtlich der CO2-Reduktion keine Lenkungswirkung. Die Reform des ETS sieht deshalb vor, die Zuteilung kostenfreier Zertifikate Schritt für Schritt auslaufen zu lassen und durch einen Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) auf Importe zu ersetzen.
Die Idee: Produkte aus Drittstaaten sollen bei der Einfuhr in die EU um den entsprechenden CO2-Preis verteuert werden. Dadurch soll auch verhindert werden, dass energieintensive Sektoren ihre Produktion und damit Emissionen aus Europa wegverlagern (Carbon Leakage). Auch der Entwurf für den Grenzausgleich gelangte bereits an die Öffentlichkeit. Demzufolge soll es eine lange Übergangsphase geben, in der die Gratis-Zuteilungen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent reduziert und bis frühestens 2035 komplett zurückgefahren werden.
CDU-Umweltexperte Liese spricht von einem “ganz schwierigen Experiment”, das sowohl zielführend als auch mit den Richtlinien der Welthandelsorganisation (WTO) kompatibel sein müsse. So ist eine enge Kopplung zwischen der Einführung des CBAM und der Reduktion der freien Emissionsrechte unabdingbar, um die europäische Industrie nicht doppelt zu subventionieren.
Zudem müssen die Einnahmen aus dem Grenzausgleich nach den WTO-Regeln konsequent an klimapolitische Maßnahmen geknüpft werden, und auch die Sonderregeln für Entwicklungsländer gemäß des Gerechtigkeitsprinzips des UN-Klimaregimes müssen beachtet werden. Daneben birgt die Einführung des CBAM das Risiko möglicher Konflikte mit Handelspartnern, warnen Handelsexperten, darunter Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Andere sehen genau darin die Chance, auch Drittländer zur Einführung eines Emissionshandelssystems zu bewegen – und bestenfalls zu einer Art Klimaallianz zusammenzubringen, wodurch ein Grenzausgleich nicht mehr notwendig wäre. So plant etwa China einen Handel mit CO2-Zertifikaten. Der Start wurde jedoch mehrfach verschoben (China.Table berichtet).
Die Wirtschaftsvereinigung Stahl sieht die Kommissionspläne daher mit Sorge: “Der bislang in der Praxis noch völlig unerprobte Grenzausgleich ist mit erheblichen Risiken verbunden”, warnt ein Sprecher. Es brauche weiterhin eine vollständige freie Zuteilung der Zertifikate, um zu verhindern, dass Stahl künftig in anderen Regionen der Welt zu schlechteren Klimaschutzauflagen produziert werde.
Auch für den Flugverkehr sollen die Freizuteilungen verkürzt werden. Daneben soll der Emissionshandel auf die Schifffahrt ausgeweitet werden. Der Vorschlag sieht einen hafenbasierten Ansatz vor, unabhängig von Eigentümer oder Flagge der Schiffe: Wer in einem europäischen Hafen an- oder ablegt, soll zur Verantwortung gezogen werden. Auch für Fahrten aus oder in Drittländer soll ein CO2-Preis anfallen, obgleich nur auf 50 Prozent der Emissionen. Begleitend will die EU-Kommission mit den Initiativen FuelEU Maritime und ReFuelEU Aviation den Einsatz alternativer und nachhaltiger Treibstoffe in den beiden Sektoren fördern.
Die Neuausrichtung des Europäischen Emissionshandels soll in einem separaten System künftig auch den Straßenverkehr und Gebäudesektor umfassen. Ein Vorschlag, der besonders den Wünschen der CDU/CSU entspricht: “Der Verkehrssektor ist der einzige Bereich, in dem die Emissionen weiter steigen. Trotz der CO2-Standards kommen wir hier nicht voran und selbst bei extrem hohen Grenzwerten werden wir im Jahr 2030 noch immer viele Verbrenner haben”, sagt Liese. “Wir brauchen also Anreize, das Auto auch mal stehen zu lassen.”
Grüne und SPD im EU-Parlament sind von einem ETS für Gebäude und Verkehr hingegen wenig begeistert. “In Deutschland haben wir die Möglichkeit der Rückverteilung, beispielsweise über das Energiegeld. Diese Möglichkeit gibt es auf EU-Ebene nicht”, kontert Michael Bloss. Kommissionsvize Timmermanns plant deswegen die Einführung eines Climate Action Social Funds, aus dem besonders einkommensschwache Haushalte entlastet werden sollen.
Dennoch sei man darauf angewiesen, dass die Mitgliedsstaaten die Einnahmen aus dem ETS sozial gerecht an die Bürger zurückzahlen, hält Bloss dagegen. Die Gefahr sei groß, dass Brüssel hier zum Buhmann der Klimapolitik werde.
Außerdem: “Das alles könnte man in Kauf nehmen, wenn es wirksam wäre. Ist es aber nicht”, so Bloss weiter. Um einen Umstieg auf Bus, Bahn und E-Mobilität zu bewirken, sei ein Preis von mehr als 100 Euro pro Tonne CO2 nötig, eher Richtung 200 Euro. “Dann hätten wir aber 60 Cent Benzinpreiserhöhung, und das ist ganz schön heftig.” Deswegen wolle die Kommission keine hohen Preise, aber dann habe das Instrument keine Wirkung.
Beim Verband der Automobilindustrie (VDA) hingegen ist man von der Wirksamkeit des ETS überzeugt. Durch die festgelegte Menge des zulässigen CO2-Auststoßen könne das Klimaziel sicher und effizient erreicht werden, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller zu Europe.Table: “In der Folge ist es dann auch sinnvoll, die EU-Flottengrenzwerte ab 2030 nicht weiter abzusenken”.
Grüne wie SPD setzen hingegen auf das ordnungsrechtliche Instrument der Verschärfung der CO2-Standards. “Dass es bereits jetzt zu einem deutlich angewachsenen Einsatz von Elektroautos kommt, liegt an der CO2-Regulierung und den Flottenzielen und nicht am Emissionshandel”, sagt Tiemo Wölken, der für die Sozialdemokraten im Umweltausschuss des EU-Parlaments sitzt. “Das ETS wird gerne so dargestellt, als würde es Innovationen auslösen. Aber ich glaube, dass das nicht stimmt.”
Auch die Kommission will die Flottengrenzwerte deutlich verschärfen – einem ersten Entwurf zufolge auf 65 Prozent bis zum Jahr 2030 und auf 100 Prozent bis 2035. Ob es so kommt ist allerdings fraglich, denn auch innerhalb der Kommission gibt es Widerstand gegen die Pläne von Frans Timmermanns.
So favorisieren mehrere Kommissare das Jahr 2040 für ein mögliches de-facto-Aus für den Verbrennungsmotor. Die CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament positioniert sich in einem Positionspapier vorsorglich generell gegen einen Ausstiegstermin: Der Verbrennungsmotor sei “eine Technologie, die mit nachhaltigen Treibstoffen eine Zukunft hat”.
Unabdingbar sei in jedem Fall der Ausbau der Lade- und Tankinfrastruktur. Dieser müsse durch die Überarbeitung der Richtlinie über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe priorisiert und beschleunigt werden. Laut Berechnungen der EU-Kommission würde ein Flottenziel von 50 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahr 2030 europaweit sechs Millionen Ladesäulen erfordern. Aktuell sind aber nur 225.000 Ladestationen verfügbar und noch dazu sehr ungleich verteilt.
Auf neue Belastungen muss sich auch die Luftfahrt einstellen. Einem ersten Entwurf der Energiesteuerrichtlinie zufolge sollen die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, die Mindeststeuer für Energie auch auf Kerosin anzuwenden. Demnach soll die Kerosinsteuer schrittweise über zehn Jahre eingeführt werden und nur für innereuropäische Passagierflüge gelten.
Im Rat der Mitgliedsstaaten dürfte es die Neufassung der Richtlinie allerdings schwer haben: Für Steueränderungen gilt dort das Einstimmigkeitsprinzip. Die Europa-SPD fordert in einem Thesenpapier daher, in der Sache mit Mehrheit zu entscheiden.
Nicht zuletzt das Hochfahren der Elektromobilität wird den Bedarf nach grünem Strom massiv nach oben treiben. Nach Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft wird allein in Deutschland der Strombedarf bis 2030 auf rund 700 Milliarden Kilowattstunden jährlich ansteigen. Zum Vergleich: 2019 waren es noch 567,6 Milliarden kWh.
Entsprechend wird auch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) überprüft. “Das aktuelle Ziel von mindestens 32 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030 ist nicht mehr ausreichend und muss auf 38 bis 40 Prozent erhöht werden”, heißt es in einem Entwurf, der Europe.Table vorliegt. Daneben sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass gar nicht erst so viel Energie verbraucht wird. In der Neufassung der Energieeffizienzrichtlinie wird daher definiert, wie Einsparpotenziale erkannt und genutzt werden können – beispielsweise indem Verbrauchern durch mehr Transparenz Anreize zum Energiesparen erhalten.
Die Kommission will auch die Emissionen jener Bereiche senken, die wie Abfall und Landwirtschaft nicht vom ETS erfasst werden. Durch die Überarbeitung der sogenannten Lastenteilung (Effort Sharing) sollen die für die einzelnen Mitgliedsstaaten verbindlichen Jahresziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen an die neuen Klimazeile angepasst werden. Die individuellen Vorgaben richten sich vorrangig nach dem BIP pro Kopf der jeweiligen Länder. “Künftig sollten wir aber auch das Einsparpotenzial der einzelnen Staaten stärker miteinbeziehen”, fordert Tiemo Wölken.
Die im EU-Klimagesetz beschlossenen 55 Prozent Reduktion der Emissionen sind ein Netto-Ziel, in dem auch die natürliche CO2-Senkleistung, etwa durch Wälder oder Moore, berücksichtigt wird. Entsprechend wird die Europäische Land- und Forstnutzungsverordnung (LULUCF) angepasst, obgleich für die laufende Periode bis 2025 zunächst kaum Änderungen vorgesehen sind. Für 2030 soll es laut einem Entwurf ein Nettosenkenziel von 310 Millionen Tonnen CO2 geben.
Ab 2031 soll außerdem ein neuer Sektor geschaffen werden, der die Emissionen aus der Landwirtschaft mit der Landnutzung verbindet. Delara Burkhardt, umweltpolitische Sprecherin der Europa-SPD sieht das Vorhaben kritisch: “Dadurch würden einige Bereiche der Landwirtschaft, wie etwa Viehhaltung oder Düngung, künftig ihrer Verantwortung zur Treibhausgas-Reduktion entbunden.”
Aktionsplan nachhaltiges Finanzwesen
13.07.2021 10:00 MET
Akteure: Rat Wirtschaft und Finanzen
Agenda: Diskussion über die EU-Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen. Kritische Punkte: Die Einstufung von Atomenergie und Erdgas im Rahmen der EU-Taxonomie.
Hintergrund Tagesordnung
Produktsicherheitsverordnung GPSR
13.07.2021 09:30 MET
Akteure: IMCO
Agenda: Justiz- und Verbraucherkommissar Didier Reynders stellt den Entwurf der Verordnung im Binnenmarktausschuss vor.
Livestream
Fit for 55
14.07.2021 13:45 MET
Akteure: ENVI, Frans Timmermanns
Agenda: Kurz nach der Vorstellung des Fit-for-55-Pakets diskutieren die ENVI-Abgeordneten mit Kommissionsvize Frans Timmermans.
Livestream
Daten-Governance-Gesetz
15.07.2021 ab 9 Uhr
Akteure: ITRE
Agenda: Der federführende Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie stimmt über seine Position zum Data Governance Act ab, der die gemeinsame Nutzung von Daten im Binnenmarkt erleichtern soll.
Livestream
Justiz- und Verbraucherkommissar Didier Reynders wird heute im Binnenmarktausschuss seinen kürzlich vorgelegten Vorschlag für die Allgemeine Produktsicherheitsverordnung (GPSR) vorstellen. Die Parlamentarier dürften etliche Fragen an ihn haben.
Denn: Die Verordnung muss die Vorschriften für alle Produkte festlegen, für die es keine sektorspezifischen Vorgaben gibt – und zwar im Zusammenspiel mit den anderen Digitalvorhaben. Doch das zu gewährleisten ist alles andere als einfach.
Insgesamt sechs große laufende Vorhaben sollen den digitalen Binnenmarkt weiter harmonisieren, und so das berühmte Level Playing Field schaffen, damit in Europa eine prosperierende Digitalwirtschaft entstehen kann:
Deutlich wird das Ineinandergreifen der vielen verschiedenen Rechtsakte an einfachen Beispielen: Eine smarte Waschmaschine oder ein vernetztes Auto würden künftig zum einen Produktsicherheitsvorschriften unterliegen, ihre smarten Funktionen aber teilweise auch unter die Verordnung zur Künstlichen Intelligenz und die anfallenden Nutzerdaten in Datenräumen unter den Data Governance Act fallen. Die Anbieter der Software wiederum könnten vom Digital Markets Act betroffen sein, beispielsweise von dessen Interoperabilitätspflichten.
Die parallele Gesetzgebung bedeutet einen enormen Kraftakt. Der Ansatz sei mit Blick auf die KI-Regulierung aber grundsätzlich positiv, sagt Oliver Klein, Referent in der BDI-Abteilung Digitalisierung und Innovation: Neben einer innovationsfreundlichen Ausgestaltung sei die Kohärenz mit bestehendem europäischem Recht maßgeblich. “Daher ist es von Vorteil, dass die EU parallel an verschiedenen Legislativakten arbeitet, die in einem Zusammenhang mit der horizontalen KI-Regulierung stehen.”
Doch in den Details des Zusammenspiels von KI- und Produktsicherheitsverordnung zeigen sich bereits erste Schwierigkeiten. “Auf jeden Fall muss der Regulierungsansatz kohärent sein, insbesondere was neuartige Herausforderungen wie das Internet der Dinge oder den Onlinehandel angeht”, fordert die sozialdemokratische Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt.
Die Grünen-Abgeordnete Alexandra Geese sieht eine klare Aufteilung der gesetzlichen Regulierungsbedarfe: Die KI-Verordnung sei als horizontales Werkzeug für die “Grundpfeiler des Zusammenlebens mit Künstlicher Intelligenz” gedacht. Sektorspezifische Regularien wie die Produktsicherheitsverordnung sollten diese als Spezialgesetze ergänzen. “Die möglichen Anwendungsfelder von Künstlicher Intelligenz sind viel zu weit, als dass sie alle umfänglich in nur einem einzigen Gesetz abschließend behandelt werden könnten”, so Geese.
Genau das aber kann die Produktsicherheitsverordnung als ebenfalls horizontale Regulierung kaum leisten – hier müssen Parlament, Kommission und Rat nun Wege finden, um die gewünschte Kohärenz zu erzielen.
Deutlich besser ineinander greifen dürfte das neue Verantwortlichkeitsregime im Fernabsatz: Wer Waren in Europa in Umlauf bringt, so ein wesentlicher Punkt des Vorschlags, soll stets Zuständige in der EU benennen müssen.
Was prädigital eine Ausnahme war, ist dank Wish, AliExpress, Amazon und Co. heute Standard: Verbraucher ordern Güter direkt aus dem außereuropäischen Ausland. Oft vertrieben über die Handelsplattformen, doch auch Direktimporte von außerhalb der EU betriebenen Auslandsshops haben stark zugenommen.
Das schafft Probleme bei der Produktsicherheit, aber auch bei Nachahmerprodukten sowie Zöllen und Steuern. Die Richtlinie soll hier für mehr Sicherheit sorgen. Von der Benennungspflicht versprechen sich die Verantwortlichen in Brüssel viel.
Kompliziert wird es wieder bei vernetzten Produkten, die unter etliche Legislativpakete fallen. Bei diesen hängt die Sicherheit auch davon ab, ob und wie sie zum Beispiel mit Softwareupdates versorgt werden (Europe.Table berichtet).
Die Neufassung der Warenkaufrichtlinie hatte den Anbietern bereits deutlich erweiterte Pflichten auferlegt und den Produktbegriff um integrale digitale Dienste erweitert. Die deutsche Umsetzung wurde in der letzten Bundestagssitzungswoche Ende Juni beschlossen und tritt Anfang 2022 in Kraft.
Doch erst mit der Überarbeitung der Produktsicherheitsrichtlinie und der Umwandlung in eine Verordnung wird sie voll zur Geltung kommen. Federführend bei den Verhandlungen zur Produktsicherheitsverordnung wird in Deutschland das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sein – eine Zuständigkeit, die auch nach der Verlagerung der Verbraucherpolitik ins Justizministerium im BMEL an der Wilhelmstraße verblieb.
Die Verhandlungen werden sich aufgrund der Vielzahl an Querbezügen zwischen den derzeit beratenen Rechtsakten kaum binnen weniger Monate abschließen lassen. Zugleich wird Deutschland ab September zur Lame Duck in Europa, bis eine neue Bundesregierung steht. Dabei gilt für alle Digitalvorhaben, dass sie spätestens Anfang 2022 verabschiedet werden sollen – es wird also ein intensiver Herbst in Brüssel und den Hauptstädten. Didier Reynders Ausschussbesuch am Dienstag dürfte da noch einer der einfacheren Termine sein.
13.07.2021 – 12 Uhr
Webinar Reform der EU-Wettbewerbspolitik für den Green Deal
Wie die Politik nachhaltigen Wettbewerb fördern kann. Hierzu hat der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold einen Aktionsplan erstellt und diskutiert diesen mit Expert:Innen. Infos und Anmeldung
15.07.2021 – 11 Uhr
Webinar Fit for 55 package: A policy framework fit for a climate-neutral EU?
Das European Policy Centre veranstaltet einen Online-Dialog zum Klimagesetzespaket mit Diederik Samsom, Kabinettchef von Kommissionsvize Frans Timmermanns, sowie der EU-Abgeordneten Jytte Guteland. Anmeldung
16.07.2021 – 10 Uhr
Online-Diskussion Fit-für-55-Paket: Die Brücke zwischen deutscher Klima- und Wirtschaftspolitik?
Was bedeutet das Paket für die nationalen Klimaziele? Welche Folgen hat es für die Automobilindustrie oder die Luftfahrt? Darüber diskutieren Bundestags- und Europaabgeordnete bei der Veranstaltung von Transport & Environment. Infos und Anmeldung
19.07.2021 – 13 Uhr
Online-Diskussion Die neue Industriepolitik für Europa – Innovativ, intelligent und international
Kerstin Jorna, Generaldirektorin der DG GROW, spricht und diskutiert auf Einladung der Landesvertretung Hessen über die Industriepolitik der Kommission. Livestream
Das Drängen der US-Regierung hat Wirkung gezeigt: Die EU-Kommission vertagt ihre Pläne für eine europäische Digitalsteuer bis auf Weiteres. Hauptpriorität der Behörde sei die Arbeit an der globalen Mindeststeuer für Unternehmen, die im Rahmen der OECD bis Oktober abgeschlossen werden soll, sagte ein Sprecher. “Deshalb haben wir entschieden, während dieser Zeit unsere Arbeiten an einem Vorschlag für eine Digitalsteuer als neue EU-Eigenmittelquelle zurückzustellen.” Im Herbst werde man die Situation neu bewerten.
US-Finanzministerin Janet Yellen hatte bereits im Vorfeld ihres Besuchs in Brüssel am Montag auf die Verschiebung des Vorschlages gedrängt, der eigentlich für kommende Woche geplant war. Sie warnt davor, US-Digitalunternehmen zu diskriminieren und fürchtet um die Zustimmung des Kongresses zur globalen Mindeststeuer, sollten bereits eingeführte Digitalsteuern wie in Frankreich nun nicht zurückgenommen werden.
Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber unterstützt die Verschiebung: Die Kommission solle sich auf das konzentrieren, was international verabredet worden sei, “und nicht immer noch eins draufsatteln”, sagte der Koordinator der EVP-Fraktion im Wirtschafts- und Währungsausschuss zu Europe.Table. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Rasmus Andresen, warnte die Kommission aber davor, ihren Vorschlag nun auf Druck der US-Regierung abzuschwächen. tho
Wie viel Wettbewerb herrscht auf einem bestimmten Markt? Die Antwort hängt daran, wie eng man dessen Grenzen zieht. Bei der Prüfung der geplanten Bahnfusion von Siemens und Alstom hatte die EU-Kommission die Linien aus Sicht der Regierungen in Paris und Berlin zu eng gezogen – und den Deal trotz der Konkurrenz aus China untersagt.
Auf Drängen der Mitgliedsstaaten hatte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Ende 2019 angekündigt, den eigenen Leitfaden für die Marktabgrenzung bei der Fusionskontrolle zu überprüfen. Am Montag präsentierte sie die Ergebnisse: Die Grundprinzipien der bald 25 Jahre alten “Market Definition Notice” seien weiterhin “stimmig”, verkündete Vestager.
Allerdings erfasse sie aktuelle Entwicklungen vor allem auf digitalen Märkten nicht ausreichend. Dazu gehören laut der Evaluation etwa Plattformen, die ihre Dienste kostenlos anbieten, oder die Marktabgrenzung in digitalen Ökosystemen. Auch Eintrittsbarrieren wie Netzwerkeffekte und Datenportabilität würden nicht ausreichend berücksichtigt.
Der binnenmarktpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Andreas Schwab, forderte weitergehende Änderungen von Vestager: Es sei wichtig, “eine bessere Einbeziehung von weltweiten Vergleichsmärkten” zu ermöglichen, sagte er Europe.Table. Große Unternehmen aus der EU seien hier “mehrfach in der vergangenen Zeit chinesischen Wettbewerbern gegenüber benachteiligt worden”. tho
In der starren Welt der Juristerei gibt es selten Themen, die an den Grundfesten eines teilweise über 100 Jahre alten Systems rütteln. Künstliche Intelligenz (KI) ist eines dieser Themen.
Use Cases wie das autonome Fahren, automatisierte Produktionsprozesse oder selbstlernende Produkte müssen in das bestehende Normensystem integriert werden, bei dessen Entstehung Autos nicht einmal zum normalen Straßenbild gehörten. Manch einer stellt sich daher die berechtigte Frage, ob unser Recht modern genug ist, um diese neuen Technologien zu erfassen.
Besondere Schwierigkeiten bereitet unter anderem die Fähigkeit intelligenter Produkte, unerwünschtes und schädigendes, also unsicheres Verhalten zu erlernen. Um sowohl für Hersteller als auch Verbraucher Rechtssicherheit zu schaffen und gleichzeitig Innovationsanreize zu setzen, bedarf es eines breiten regulatorischen Konzepts für KI, das monolithische Lösungen vermeidet. Hieraus entsteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Aus sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten muss gewährleistet sein, dass Produkte, die sich nach ihrer Inverkehrgabe verändern, auch sicher bleiben. Ein wirksames Instrument hierfür ist eine Update-Verpflichtung der Hersteller. Da aber jede nachträgliche Veränderung eines Produkts in das Eigentumsrecht des jeweiligen Eigentümers eingreift, reicht es nicht, dem Hersteller einseitig Pflichten aufzuerlegen, ohne auch seine Berechtigung hierzu zu regeln.
Flankierend zur Update-Pflicht bedarf es also auch eines Update-Rechts des Herstellers. Gleichzeitig bedeutet eine Update-Verpflichtung einen Systembruch, da der Zeitpunkt der sicherheitsrechtlichen Bewertung bisher der Moment der Inverkehrgabe war. Nachträgliche Updates wären hiervon nicht mehr erfasst.
Auf der Ebene der Haftung des Herstellers für ein fehlerhaftes Produkt muss ein Interessenausgleich gefunden werden, der die Risiken selbstlernender Systeme sinnvoll verteilt. Denn der Hersteller konzipiert und stellt sein Produkt zwar her und versieht es dabei mit der im Einzelfall verwendeten KI – das konkrete schädigende Verhalten erlernt es jedoch in der Regel vom Verbraucher.
In einem solchen Fall stellt sich durchaus die Frage, ob noch ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Inverkehrgabe eines Produkts und der Entstehung eines Schadens besteht. Darüber hinaus ist die Entscheidung einer KI in der Regel – wenn überhaupt – nur schwer nachzuvollziehen beziehungsweise zu erklären.
Aus diesem Umstand zeichnen sich bereits Beweisprobleme ab, die sowohl den Hersteller als auch den Verbraucher treffen. Denn während dem geschädigten Verbraucher grundsätzlich der Beweis obliegt, dass das Produkt einen Fehler hat, der kausal zu dem jeweiligen Schaden geführt hat, hat der Hersteller Ausschlusstatbestände zu beweisen, die seine Haftung in diesem spezifischen Fall entfallen lassen. Wie aber kann der Beweis bezüglich eines Produktverhaltens gelingen, das nicht erklärbar und auch nicht reproduzierbar ist?
Auch das Vertragsrecht wird durch den Einsatz von KI beeinflusst. Wie kommen durch Künstliche Intelligenz geschlossene Verträge zustande? Wer wird dadurch berechtigt und wer verpflichtet? Bedarf es letztendlich doch einer neuen juristischen ePerson?
Bei den angesprochenen Problemen handelt es sich nur um einige vieler weiterer. Die EU versucht, diese Herausforderungen auf mehreren Ebenen mit Verordnungen und Richtlinien zur Regulierung von KI zu adressieren.
Hierzu zählen neben der KI-Verordnung auch die Produkthaftungsrichtlinie und die Maschinenverordnung, die sich jedoch allesamt noch im Entwurfsstadium befinden. Der Entwurf der Maschinenverordnung erwähnt den Begriff der KI zwar – allerdings nur, um den Anwendungsbereich hierfür einzuschränken.
Dies will nicht so recht zu dem eher breiten Ansatz des Entwurfes der KI-Verordnung passen, der auch Technologien als KI einstuft, die tatsächlich keine KI sind. Es wird also noch einige Zeit dauern, bis es einen funktionierenden regulatorischen Rahmen für KI gibt. Es bleibt abzuwarten, wie gut die verschiedenen Regelwerke letztlich ineinandergreifen.
Für Hersteller und Produktentwickler bedeutet Regulierung immer auch Umstellungen und Aufwände. Ausschlaggebend wird daher sein, inwiefern der Gesetzgeber ihnen mit Übergangsfristen, technischen Standards und Normen die Hand reicht, um sich den neuen Anforderungen anzupassen und auch den Nachweis zu führen, dass das jeweilige Produkt mit den regulatorischen Vorgaben übereinstimmt.
Hieran fehlt es bisher weitestgehend. Technische Standards bieten aber den Vorteil, dass sie leichter veränderbar sind als ein Gesetz und wären somit ein geeignetes Mittel, damit das Recht mit dem technischen Fortschritt Schritt hält.
Niklas Weidner ist Rechtsanwalt bei Reuschlaw Legal Consultants in Berlin. Sein Fokus liegt auf der Beratung im Bereich Produkthaftung und Produktsicherheit und der Prozessführung. Zurzeit promoviert er zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Lieferkette
17 Grad und etwa 400 Kilometer trennen Claudia Kemfert an diesem heißen Montagnachmittag in Berlin von ihrem kühleren zweiten Wohnsitz in Oldenburg. Die Energieökonomin ächzt ein wenig unter der Hitze, sagt, dass sie grade lieber in Niedersachsen wäre und lässt die Kamera beim Webex-Call aus.
Die 52-Jährige setzt sich dafür ein, dass die Erde nicht überhitzt. Wer wissen will, was dafür getan werden muss, fragt sie. Seit 2004 leitet sie die Abteilung “Energie, Verkehr, Umwelt” am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), an der Leuphana Universität Lüneburg ist sie Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik.
Sie berät als Ko-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen die Bundesregierung, hatte Professuren an der Hertie School of Governance und der Humboldt-Universität inne und gewann diverse Forschungspreise. Auch in Brüssel war sie bereits aktiv, als Beraterin des früheren EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso.
Kurz: Claudia Kemfert ist viel herumgekommen. Und bemüht sich, dabei die eigenen Prinzipien zu leben: Ihre Flugmeilen kompensiere sie, sagt sie, von Berlin nach Oldenburg komme sie meistens mit der Bahn, zur Arbeit fahre sie mit dem Fahrrad. Zehn Kilometer hin, zehn zurück. Wenn sie Zeit hat, radelt sie an der Nordsee entlang, auch bei Gegenwind. “Es gibt viele tolle Fahrradstrecken, 95 Prozent fahre ich mit meinem normalen Rad, manchmal auch mit dem E-Bike.”
Die Klimapolitik entwickelt sich aus ihrer Sicht in die richtige Richtung – vor allem in Brüssel: “Mit dem Green Deal haben wir einen Rahmen, der Hoffnung macht”. Nötig sei ein radikales Umsteuern: “Wir dürfen jetzt nicht mehr in fossile Energien oder Infrastrukturen investieren, sondern ausschließlich in erneuerbare Energien. Was dann aber auch heißt: keine Wirtschaftshilfen mehr für fossile Infrastrukturen.”
In ihrer Rolle als Beraterin der Bundesregierung will sie in Brüssel darauf hinwirken, dass die Verhandlungsprozesse die gewünschte Richtung nehmen. In der Verantwortung sieht sie aber auch die Mitgliedsstaaten: “Wünschenswert wären Ausbauziele für erneuerbare Energien insbesondere auf nationaler Ebene, weil dort die Gesetze gemacht werden.”
Zufrieden ist Kemfert noch lange nicht: “Mehr geht immer”, sagt sie. “Aber man ist zumindest nicht auf dem völlig falschen Weg.” Gabriel Bub
Seit Wochen schon sind Berliner Hauptstadtjournalisten und politische Konkurrenz damit beschäftigt, der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock allerhand Vergehen nachzuweisen. Eine Übung, die anderswo in Europa eher mit einem müden Lächeln verfolgt wird. Das Publikum kennt ganz andere Sündenfälle von seinen Politikern als aufgehübschte Lebensläufe oder abgeschriebene Buchpassagen.
Bisweilen auch von Grünen. Etwa in Luxemburg, wo sie in der Regierung sitzen. Da wäre ein grüner Bürgermeister, der sich ein luxuriöses Gartenhaus in ein Naturschutzgebiet bauen lässt. Eine Ministerin, deren Familienbetrieb die Umweltauflagen ignoriert. Oder eine Umweltdirektion, die es nicht zu stören scheint, wenn ein Stahlkonzern im Ländchen eine illegale Giftmülldeponie betreibt.
Mitgefühl ob überharter Kritik kann Annalena Baerbock aus dem Nachbarland dennoch nicht erwarten. “Die Grünen sind jetzt Teil der Familie”, sagt der Sozialist Marc Angel. “Als Teil des Establishments müssen sie lernen, mit Attacken und Fehlern umzugehen.” Charlotte Wirth
herzlich willkommen am Europe.Table. Sie lesen die Vorab-Ausgabe des neuen Professional Briefings, das Sie in Zukunft täglich aktuell, umfassend und verlässlich über europäische Regulierungsvorhaben informieren will.
Europa steht ein tiefgreifender Wandel bevor, als Folge der beiden Megatrends unserer Zeit: Klimawandel und Digitalisierung. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich vorgenommen, diese “Twin Transition” zu gestalten. Allein zum Klimaschutz wird die Behörde mehr als 50 Richtlinien und Verordnungen vorlegen.
Das Team von Europe.Table wird seinen Fokus deshalb auf den Green Deal und die europäische Digitalpolitik richten. Wir wollen Ihnen Orientierung bieten: mit fundierten Analysen zu den Gesetzgebungsprozessen, mit Nachrichten und Hintergründen aus Brüssel und anderen europäischen Zentren. Wir werden dabei genau hinschauen, wie sich die Bundesregierung europapolitisch positioniert.
In dieser Ausgabe analysiert mein Kollege Timo Landenberger, was vom ersten großen Klima-Gesetzespaket zu erwarten ist, das die Kommission diese Woche vorlegen wird. Falk Steiner wiederum widmet sich einem Thema, das viele Unternehmen betreffen wird, dem aber bislang nur wenige Aufmerksamkeit schenken: den Veränderungen der Produktsicherheitsrichtlinie und deren Auswirkungen auf digitale Geschäftsmodelle.
Wir laden Sie herzlich ein, am Europe.Table Platz zu nehmen – als unser Gast. Wir wollen mit Ihnen ins Gespräch kommen, erfahren, was Sie von uns erwarten und Sie einladen, Ihre Sicht auf die europäische Politik mit uns zu teilen.
Wenn Ihnen der erste Europe.Table gefällt – empfehlen Sie uns bitte weiter. Und schreiben Sie mir gerne, was wir besser machen können: till.hoppe@table.media
Das Ziel ist klar, und inzwischen im europäischen Klimagesetz festgeschrieben: Bis zum Jahr 2050 will die EU klimaneutral sein. Um das als erster Kontinent zu erreichen, sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken, deutlich stärker als zuvor geplant.
Nun geht es darum, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Die Kommission stellt am Mittwoch ihr Maßnahmen-Paket “Fit for 55” vor, das unter Ägide von Executive Vice President Frans Timmermans erarbeitet wurde. Schon der Name sorgt für Ärger – schließlich stand dieser bereits fest, als das EU-Parlament noch 60 Prozent Reduktion gefordert hatte. Auch deshalb ist in offiziellen Verlautbarungen immer häufiger vom Fit-for-2030-Paket die Rede.
Auch inhaltlich gibt es zahlreiche Kontroversen, etwa um die Frage, wie viel über den marktwirtschaftlichen Ansatz des Europäischen Emissionshandels (ETS) geregelt werden kann und wie viel ordnungsrechtlicher Maßnahmen es bedarf (Europe.Table berichtet).
Das ETS wurde 2005 als Instrument zur Minderung der Emissionen im Energie- und Industriesektor eingeführt und funktioniert nach dem Cap-and-Trade-Prinzip. Die EU verteilt nach bestimmten Kriterien eine festgelegte Menge an Emissionsrechten (Cap) an die Unternehmen. Firmen, die ihre Emissionen stärker reduzieren als nötig, können die übrigen Zertifikate am Markt verkaufen (Trade). Ein CO2-Preis entsteht. Soweit die Theorie.
Peter Liese (CDU), umweltpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, ist von dieser Theorie überzeugt: Er spricht von einem “Kernelement der europäischen Klimapolitik, das insbesondere in den letzten drei Jahren sehr stark zur Emissionsreduktion beigetragen hat”. In der Tat ist der Preis in jüngerer Vergangenheit deutlich gestiegen und liegt aktuell bei etwa 55 Euro pro Tonne CO2.
Michael Bloss, umweltpolitischer Sprecher der Grünen, hält dagegen: “Der Preis ist nur deshalb so hoch, weil es am Markt Spekulationen auf eine starke Reform gibt”. Es gebe noch immer zu viele Zertifikate, weshalb der Preis auch schnell wieder fallen könne. “Die Anzahl der Emissionsrechte muss verringert und das Preisniveau damit stabilisiert werden”, fordert er. Einem Entwurf zur ETS-Reform zufolge ist genau das auch vorgesehen. Das Papier machte, wie so viele seiner Mitstreiter, schon vor der offiziellen Veröffentlichung die Runde und liegt Europe.Table vor. Offen ließen die Dokumente allerdings, wie genau die Verknappung der Zertifikate aussehen soll.
“Es darf keine Ausgabe von Emissionserlaubnissen mehr geben, die über dem liegt, was der Markt nachfragt”, fordert Oldag Caspar, Teamleiter Deutsche und Europäische Klimapolitik bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Die Verknappung der Zertifikate müsse mithelfen, dass die Emissionen der Industrie in den 2040er-Jahren bei annähernd Null liegen. “Damit das erreichbar ist, wird auch die freie Zuteilung an deutlich strengere Kriterien geknüpft werden müssen und sollte bis 2030 auslaufen.”
Um die europäische Industrie vor Nachteilen gegenüber Wettbewerbern aus Staaten ohne Emissionshandel zu schützen, werden einigen energieintensiven Branchen wie der Stahlindustrie die Zertifikate bislang kostenfrei zugeteilt. Diese Praxis hat jedoch hinsichtlich der CO2-Reduktion keine Lenkungswirkung. Die Reform des ETS sieht deshalb vor, die Zuteilung kostenfreier Zertifikate Schritt für Schritt auslaufen zu lassen und durch einen Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) auf Importe zu ersetzen.
Die Idee: Produkte aus Drittstaaten sollen bei der Einfuhr in die EU um den entsprechenden CO2-Preis verteuert werden. Dadurch soll auch verhindert werden, dass energieintensive Sektoren ihre Produktion und damit Emissionen aus Europa wegverlagern (Carbon Leakage). Auch der Entwurf für den Grenzausgleich gelangte bereits an die Öffentlichkeit. Demzufolge soll es eine lange Übergangsphase geben, in der die Gratis-Zuteilungen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent reduziert und bis frühestens 2035 komplett zurückgefahren werden.
CDU-Umweltexperte Liese spricht von einem “ganz schwierigen Experiment”, das sowohl zielführend als auch mit den Richtlinien der Welthandelsorganisation (WTO) kompatibel sein müsse. So ist eine enge Kopplung zwischen der Einführung des CBAM und der Reduktion der freien Emissionsrechte unabdingbar, um die europäische Industrie nicht doppelt zu subventionieren.
Zudem müssen die Einnahmen aus dem Grenzausgleich nach den WTO-Regeln konsequent an klimapolitische Maßnahmen geknüpft werden, und auch die Sonderregeln für Entwicklungsländer gemäß des Gerechtigkeitsprinzips des UN-Klimaregimes müssen beachtet werden. Daneben birgt die Einführung des CBAM das Risiko möglicher Konflikte mit Handelspartnern, warnen Handelsexperten, darunter Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Andere sehen genau darin die Chance, auch Drittländer zur Einführung eines Emissionshandelssystems zu bewegen – und bestenfalls zu einer Art Klimaallianz zusammenzubringen, wodurch ein Grenzausgleich nicht mehr notwendig wäre. So plant etwa China einen Handel mit CO2-Zertifikaten. Der Start wurde jedoch mehrfach verschoben (China.Table berichtet).
Die Wirtschaftsvereinigung Stahl sieht die Kommissionspläne daher mit Sorge: “Der bislang in der Praxis noch völlig unerprobte Grenzausgleich ist mit erheblichen Risiken verbunden”, warnt ein Sprecher. Es brauche weiterhin eine vollständige freie Zuteilung der Zertifikate, um zu verhindern, dass Stahl künftig in anderen Regionen der Welt zu schlechteren Klimaschutzauflagen produziert werde.
Auch für den Flugverkehr sollen die Freizuteilungen verkürzt werden. Daneben soll der Emissionshandel auf die Schifffahrt ausgeweitet werden. Der Vorschlag sieht einen hafenbasierten Ansatz vor, unabhängig von Eigentümer oder Flagge der Schiffe: Wer in einem europäischen Hafen an- oder ablegt, soll zur Verantwortung gezogen werden. Auch für Fahrten aus oder in Drittländer soll ein CO2-Preis anfallen, obgleich nur auf 50 Prozent der Emissionen. Begleitend will die EU-Kommission mit den Initiativen FuelEU Maritime und ReFuelEU Aviation den Einsatz alternativer und nachhaltiger Treibstoffe in den beiden Sektoren fördern.
Die Neuausrichtung des Europäischen Emissionshandels soll in einem separaten System künftig auch den Straßenverkehr und Gebäudesektor umfassen. Ein Vorschlag, der besonders den Wünschen der CDU/CSU entspricht: “Der Verkehrssektor ist der einzige Bereich, in dem die Emissionen weiter steigen. Trotz der CO2-Standards kommen wir hier nicht voran und selbst bei extrem hohen Grenzwerten werden wir im Jahr 2030 noch immer viele Verbrenner haben”, sagt Liese. “Wir brauchen also Anreize, das Auto auch mal stehen zu lassen.”
Grüne und SPD im EU-Parlament sind von einem ETS für Gebäude und Verkehr hingegen wenig begeistert. “In Deutschland haben wir die Möglichkeit der Rückverteilung, beispielsweise über das Energiegeld. Diese Möglichkeit gibt es auf EU-Ebene nicht”, kontert Michael Bloss. Kommissionsvize Timmermanns plant deswegen die Einführung eines Climate Action Social Funds, aus dem besonders einkommensschwache Haushalte entlastet werden sollen.
Dennoch sei man darauf angewiesen, dass die Mitgliedsstaaten die Einnahmen aus dem ETS sozial gerecht an die Bürger zurückzahlen, hält Bloss dagegen. Die Gefahr sei groß, dass Brüssel hier zum Buhmann der Klimapolitik werde.
Außerdem: “Das alles könnte man in Kauf nehmen, wenn es wirksam wäre. Ist es aber nicht”, so Bloss weiter. Um einen Umstieg auf Bus, Bahn und E-Mobilität zu bewirken, sei ein Preis von mehr als 100 Euro pro Tonne CO2 nötig, eher Richtung 200 Euro. “Dann hätten wir aber 60 Cent Benzinpreiserhöhung, und das ist ganz schön heftig.” Deswegen wolle die Kommission keine hohen Preise, aber dann habe das Instrument keine Wirkung.
Beim Verband der Automobilindustrie (VDA) hingegen ist man von der Wirksamkeit des ETS überzeugt. Durch die festgelegte Menge des zulässigen CO2-Auststoßen könne das Klimaziel sicher und effizient erreicht werden, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller zu Europe.Table: “In der Folge ist es dann auch sinnvoll, die EU-Flottengrenzwerte ab 2030 nicht weiter abzusenken”.
Grüne wie SPD setzen hingegen auf das ordnungsrechtliche Instrument der Verschärfung der CO2-Standards. “Dass es bereits jetzt zu einem deutlich angewachsenen Einsatz von Elektroautos kommt, liegt an der CO2-Regulierung und den Flottenzielen und nicht am Emissionshandel”, sagt Tiemo Wölken, der für die Sozialdemokraten im Umweltausschuss des EU-Parlaments sitzt. “Das ETS wird gerne so dargestellt, als würde es Innovationen auslösen. Aber ich glaube, dass das nicht stimmt.”
Auch die Kommission will die Flottengrenzwerte deutlich verschärfen – einem ersten Entwurf zufolge auf 65 Prozent bis zum Jahr 2030 und auf 100 Prozent bis 2035. Ob es so kommt ist allerdings fraglich, denn auch innerhalb der Kommission gibt es Widerstand gegen die Pläne von Frans Timmermanns.
So favorisieren mehrere Kommissare das Jahr 2040 für ein mögliches de-facto-Aus für den Verbrennungsmotor. Die CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament positioniert sich in einem Positionspapier vorsorglich generell gegen einen Ausstiegstermin: Der Verbrennungsmotor sei “eine Technologie, die mit nachhaltigen Treibstoffen eine Zukunft hat”.
Unabdingbar sei in jedem Fall der Ausbau der Lade- und Tankinfrastruktur. Dieser müsse durch die Überarbeitung der Richtlinie über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe priorisiert und beschleunigt werden. Laut Berechnungen der EU-Kommission würde ein Flottenziel von 50 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahr 2030 europaweit sechs Millionen Ladesäulen erfordern. Aktuell sind aber nur 225.000 Ladestationen verfügbar und noch dazu sehr ungleich verteilt.
Auf neue Belastungen muss sich auch die Luftfahrt einstellen. Einem ersten Entwurf der Energiesteuerrichtlinie zufolge sollen die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, die Mindeststeuer für Energie auch auf Kerosin anzuwenden. Demnach soll die Kerosinsteuer schrittweise über zehn Jahre eingeführt werden und nur für innereuropäische Passagierflüge gelten.
Im Rat der Mitgliedsstaaten dürfte es die Neufassung der Richtlinie allerdings schwer haben: Für Steueränderungen gilt dort das Einstimmigkeitsprinzip. Die Europa-SPD fordert in einem Thesenpapier daher, in der Sache mit Mehrheit zu entscheiden.
Nicht zuletzt das Hochfahren der Elektromobilität wird den Bedarf nach grünem Strom massiv nach oben treiben. Nach Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft wird allein in Deutschland der Strombedarf bis 2030 auf rund 700 Milliarden Kilowattstunden jährlich ansteigen. Zum Vergleich: 2019 waren es noch 567,6 Milliarden kWh.
Entsprechend wird auch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) überprüft. “Das aktuelle Ziel von mindestens 32 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030 ist nicht mehr ausreichend und muss auf 38 bis 40 Prozent erhöht werden”, heißt es in einem Entwurf, der Europe.Table vorliegt. Daneben sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass gar nicht erst so viel Energie verbraucht wird. In der Neufassung der Energieeffizienzrichtlinie wird daher definiert, wie Einsparpotenziale erkannt und genutzt werden können – beispielsweise indem Verbrauchern durch mehr Transparenz Anreize zum Energiesparen erhalten.
Die Kommission will auch die Emissionen jener Bereiche senken, die wie Abfall und Landwirtschaft nicht vom ETS erfasst werden. Durch die Überarbeitung der sogenannten Lastenteilung (Effort Sharing) sollen die für die einzelnen Mitgliedsstaaten verbindlichen Jahresziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen an die neuen Klimazeile angepasst werden. Die individuellen Vorgaben richten sich vorrangig nach dem BIP pro Kopf der jeweiligen Länder. “Künftig sollten wir aber auch das Einsparpotenzial der einzelnen Staaten stärker miteinbeziehen”, fordert Tiemo Wölken.
Die im EU-Klimagesetz beschlossenen 55 Prozent Reduktion der Emissionen sind ein Netto-Ziel, in dem auch die natürliche CO2-Senkleistung, etwa durch Wälder oder Moore, berücksichtigt wird. Entsprechend wird die Europäische Land- und Forstnutzungsverordnung (LULUCF) angepasst, obgleich für die laufende Periode bis 2025 zunächst kaum Änderungen vorgesehen sind. Für 2030 soll es laut einem Entwurf ein Nettosenkenziel von 310 Millionen Tonnen CO2 geben.
Ab 2031 soll außerdem ein neuer Sektor geschaffen werden, der die Emissionen aus der Landwirtschaft mit der Landnutzung verbindet. Delara Burkhardt, umweltpolitische Sprecherin der Europa-SPD sieht das Vorhaben kritisch: “Dadurch würden einige Bereiche der Landwirtschaft, wie etwa Viehhaltung oder Düngung, künftig ihrer Verantwortung zur Treibhausgas-Reduktion entbunden.”
Aktionsplan nachhaltiges Finanzwesen
13.07.2021 10:00 MET
Akteure: Rat Wirtschaft und Finanzen
Agenda: Diskussion über die EU-Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen. Kritische Punkte: Die Einstufung von Atomenergie und Erdgas im Rahmen der EU-Taxonomie.
Hintergrund Tagesordnung
Produktsicherheitsverordnung GPSR
13.07.2021 09:30 MET
Akteure: IMCO
Agenda: Justiz- und Verbraucherkommissar Didier Reynders stellt den Entwurf der Verordnung im Binnenmarktausschuss vor.
Livestream
Fit for 55
14.07.2021 13:45 MET
Akteure: ENVI, Frans Timmermanns
Agenda: Kurz nach der Vorstellung des Fit-for-55-Pakets diskutieren die ENVI-Abgeordneten mit Kommissionsvize Frans Timmermans.
Livestream
Daten-Governance-Gesetz
15.07.2021 ab 9 Uhr
Akteure: ITRE
Agenda: Der federführende Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie stimmt über seine Position zum Data Governance Act ab, der die gemeinsame Nutzung von Daten im Binnenmarkt erleichtern soll.
Livestream
Justiz- und Verbraucherkommissar Didier Reynders wird heute im Binnenmarktausschuss seinen kürzlich vorgelegten Vorschlag für die Allgemeine Produktsicherheitsverordnung (GPSR) vorstellen. Die Parlamentarier dürften etliche Fragen an ihn haben.
Denn: Die Verordnung muss die Vorschriften für alle Produkte festlegen, für die es keine sektorspezifischen Vorgaben gibt – und zwar im Zusammenspiel mit den anderen Digitalvorhaben. Doch das zu gewährleisten ist alles andere als einfach.
Insgesamt sechs große laufende Vorhaben sollen den digitalen Binnenmarkt weiter harmonisieren, und so das berühmte Level Playing Field schaffen, damit in Europa eine prosperierende Digitalwirtschaft entstehen kann:
Deutlich wird das Ineinandergreifen der vielen verschiedenen Rechtsakte an einfachen Beispielen: Eine smarte Waschmaschine oder ein vernetztes Auto würden künftig zum einen Produktsicherheitsvorschriften unterliegen, ihre smarten Funktionen aber teilweise auch unter die Verordnung zur Künstlichen Intelligenz und die anfallenden Nutzerdaten in Datenräumen unter den Data Governance Act fallen. Die Anbieter der Software wiederum könnten vom Digital Markets Act betroffen sein, beispielsweise von dessen Interoperabilitätspflichten.
Die parallele Gesetzgebung bedeutet einen enormen Kraftakt. Der Ansatz sei mit Blick auf die KI-Regulierung aber grundsätzlich positiv, sagt Oliver Klein, Referent in der BDI-Abteilung Digitalisierung und Innovation: Neben einer innovationsfreundlichen Ausgestaltung sei die Kohärenz mit bestehendem europäischem Recht maßgeblich. “Daher ist es von Vorteil, dass die EU parallel an verschiedenen Legislativakten arbeitet, die in einem Zusammenhang mit der horizontalen KI-Regulierung stehen.”
Doch in den Details des Zusammenspiels von KI- und Produktsicherheitsverordnung zeigen sich bereits erste Schwierigkeiten. “Auf jeden Fall muss der Regulierungsansatz kohärent sein, insbesondere was neuartige Herausforderungen wie das Internet der Dinge oder den Onlinehandel angeht”, fordert die sozialdemokratische Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt.
Die Grünen-Abgeordnete Alexandra Geese sieht eine klare Aufteilung der gesetzlichen Regulierungsbedarfe: Die KI-Verordnung sei als horizontales Werkzeug für die “Grundpfeiler des Zusammenlebens mit Künstlicher Intelligenz” gedacht. Sektorspezifische Regularien wie die Produktsicherheitsverordnung sollten diese als Spezialgesetze ergänzen. “Die möglichen Anwendungsfelder von Künstlicher Intelligenz sind viel zu weit, als dass sie alle umfänglich in nur einem einzigen Gesetz abschließend behandelt werden könnten”, so Geese.
Genau das aber kann die Produktsicherheitsverordnung als ebenfalls horizontale Regulierung kaum leisten – hier müssen Parlament, Kommission und Rat nun Wege finden, um die gewünschte Kohärenz zu erzielen.
Deutlich besser ineinander greifen dürfte das neue Verantwortlichkeitsregime im Fernabsatz: Wer Waren in Europa in Umlauf bringt, so ein wesentlicher Punkt des Vorschlags, soll stets Zuständige in der EU benennen müssen.
Was prädigital eine Ausnahme war, ist dank Wish, AliExpress, Amazon und Co. heute Standard: Verbraucher ordern Güter direkt aus dem außereuropäischen Ausland. Oft vertrieben über die Handelsplattformen, doch auch Direktimporte von außerhalb der EU betriebenen Auslandsshops haben stark zugenommen.
Das schafft Probleme bei der Produktsicherheit, aber auch bei Nachahmerprodukten sowie Zöllen und Steuern. Die Richtlinie soll hier für mehr Sicherheit sorgen. Von der Benennungspflicht versprechen sich die Verantwortlichen in Brüssel viel.
Kompliziert wird es wieder bei vernetzten Produkten, die unter etliche Legislativpakete fallen. Bei diesen hängt die Sicherheit auch davon ab, ob und wie sie zum Beispiel mit Softwareupdates versorgt werden (Europe.Table berichtet).
Die Neufassung der Warenkaufrichtlinie hatte den Anbietern bereits deutlich erweiterte Pflichten auferlegt und den Produktbegriff um integrale digitale Dienste erweitert. Die deutsche Umsetzung wurde in der letzten Bundestagssitzungswoche Ende Juni beschlossen und tritt Anfang 2022 in Kraft.
Doch erst mit der Überarbeitung der Produktsicherheitsrichtlinie und der Umwandlung in eine Verordnung wird sie voll zur Geltung kommen. Federführend bei den Verhandlungen zur Produktsicherheitsverordnung wird in Deutschland das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sein – eine Zuständigkeit, die auch nach der Verlagerung der Verbraucherpolitik ins Justizministerium im BMEL an der Wilhelmstraße verblieb.
Die Verhandlungen werden sich aufgrund der Vielzahl an Querbezügen zwischen den derzeit beratenen Rechtsakten kaum binnen weniger Monate abschließen lassen. Zugleich wird Deutschland ab September zur Lame Duck in Europa, bis eine neue Bundesregierung steht. Dabei gilt für alle Digitalvorhaben, dass sie spätestens Anfang 2022 verabschiedet werden sollen – es wird also ein intensiver Herbst in Brüssel und den Hauptstädten. Didier Reynders Ausschussbesuch am Dienstag dürfte da noch einer der einfacheren Termine sein.
13.07.2021 – 12 Uhr
Webinar Reform der EU-Wettbewerbspolitik für den Green Deal
Wie die Politik nachhaltigen Wettbewerb fördern kann. Hierzu hat der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold einen Aktionsplan erstellt und diskutiert diesen mit Expert:Innen. Infos und Anmeldung
15.07.2021 – 11 Uhr
Webinar Fit for 55 package: A policy framework fit for a climate-neutral EU?
Das European Policy Centre veranstaltet einen Online-Dialog zum Klimagesetzespaket mit Diederik Samsom, Kabinettchef von Kommissionsvize Frans Timmermanns, sowie der EU-Abgeordneten Jytte Guteland. Anmeldung
16.07.2021 – 10 Uhr
Online-Diskussion Fit-für-55-Paket: Die Brücke zwischen deutscher Klima- und Wirtschaftspolitik?
Was bedeutet das Paket für die nationalen Klimaziele? Welche Folgen hat es für die Automobilindustrie oder die Luftfahrt? Darüber diskutieren Bundestags- und Europaabgeordnete bei der Veranstaltung von Transport & Environment. Infos und Anmeldung
19.07.2021 – 13 Uhr
Online-Diskussion Die neue Industriepolitik für Europa – Innovativ, intelligent und international
Kerstin Jorna, Generaldirektorin der DG GROW, spricht und diskutiert auf Einladung der Landesvertretung Hessen über die Industriepolitik der Kommission. Livestream
Das Drängen der US-Regierung hat Wirkung gezeigt: Die EU-Kommission vertagt ihre Pläne für eine europäische Digitalsteuer bis auf Weiteres. Hauptpriorität der Behörde sei die Arbeit an der globalen Mindeststeuer für Unternehmen, die im Rahmen der OECD bis Oktober abgeschlossen werden soll, sagte ein Sprecher. “Deshalb haben wir entschieden, während dieser Zeit unsere Arbeiten an einem Vorschlag für eine Digitalsteuer als neue EU-Eigenmittelquelle zurückzustellen.” Im Herbst werde man die Situation neu bewerten.
US-Finanzministerin Janet Yellen hatte bereits im Vorfeld ihres Besuchs in Brüssel am Montag auf die Verschiebung des Vorschlages gedrängt, der eigentlich für kommende Woche geplant war. Sie warnt davor, US-Digitalunternehmen zu diskriminieren und fürchtet um die Zustimmung des Kongresses zur globalen Mindeststeuer, sollten bereits eingeführte Digitalsteuern wie in Frankreich nun nicht zurückgenommen werden.
Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber unterstützt die Verschiebung: Die Kommission solle sich auf das konzentrieren, was international verabredet worden sei, “und nicht immer noch eins draufsatteln”, sagte der Koordinator der EVP-Fraktion im Wirtschafts- und Währungsausschuss zu Europe.Table. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Rasmus Andresen, warnte die Kommission aber davor, ihren Vorschlag nun auf Druck der US-Regierung abzuschwächen. tho
Wie viel Wettbewerb herrscht auf einem bestimmten Markt? Die Antwort hängt daran, wie eng man dessen Grenzen zieht. Bei der Prüfung der geplanten Bahnfusion von Siemens und Alstom hatte die EU-Kommission die Linien aus Sicht der Regierungen in Paris und Berlin zu eng gezogen – und den Deal trotz der Konkurrenz aus China untersagt.
Auf Drängen der Mitgliedsstaaten hatte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Ende 2019 angekündigt, den eigenen Leitfaden für die Marktabgrenzung bei der Fusionskontrolle zu überprüfen. Am Montag präsentierte sie die Ergebnisse: Die Grundprinzipien der bald 25 Jahre alten “Market Definition Notice” seien weiterhin “stimmig”, verkündete Vestager.
Allerdings erfasse sie aktuelle Entwicklungen vor allem auf digitalen Märkten nicht ausreichend. Dazu gehören laut der Evaluation etwa Plattformen, die ihre Dienste kostenlos anbieten, oder die Marktabgrenzung in digitalen Ökosystemen. Auch Eintrittsbarrieren wie Netzwerkeffekte und Datenportabilität würden nicht ausreichend berücksichtigt.
Der binnenmarktpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Andreas Schwab, forderte weitergehende Änderungen von Vestager: Es sei wichtig, “eine bessere Einbeziehung von weltweiten Vergleichsmärkten” zu ermöglichen, sagte er Europe.Table. Große Unternehmen aus der EU seien hier “mehrfach in der vergangenen Zeit chinesischen Wettbewerbern gegenüber benachteiligt worden”. tho
In der starren Welt der Juristerei gibt es selten Themen, die an den Grundfesten eines teilweise über 100 Jahre alten Systems rütteln. Künstliche Intelligenz (KI) ist eines dieser Themen.
Use Cases wie das autonome Fahren, automatisierte Produktionsprozesse oder selbstlernende Produkte müssen in das bestehende Normensystem integriert werden, bei dessen Entstehung Autos nicht einmal zum normalen Straßenbild gehörten. Manch einer stellt sich daher die berechtigte Frage, ob unser Recht modern genug ist, um diese neuen Technologien zu erfassen.
Besondere Schwierigkeiten bereitet unter anderem die Fähigkeit intelligenter Produkte, unerwünschtes und schädigendes, also unsicheres Verhalten zu erlernen. Um sowohl für Hersteller als auch Verbraucher Rechtssicherheit zu schaffen und gleichzeitig Innovationsanreize zu setzen, bedarf es eines breiten regulatorischen Konzepts für KI, das monolithische Lösungen vermeidet. Hieraus entsteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Aus sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten muss gewährleistet sein, dass Produkte, die sich nach ihrer Inverkehrgabe verändern, auch sicher bleiben. Ein wirksames Instrument hierfür ist eine Update-Verpflichtung der Hersteller. Da aber jede nachträgliche Veränderung eines Produkts in das Eigentumsrecht des jeweiligen Eigentümers eingreift, reicht es nicht, dem Hersteller einseitig Pflichten aufzuerlegen, ohne auch seine Berechtigung hierzu zu regeln.
Flankierend zur Update-Pflicht bedarf es also auch eines Update-Rechts des Herstellers. Gleichzeitig bedeutet eine Update-Verpflichtung einen Systembruch, da der Zeitpunkt der sicherheitsrechtlichen Bewertung bisher der Moment der Inverkehrgabe war. Nachträgliche Updates wären hiervon nicht mehr erfasst.
Auf der Ebene der Haftung des Herstellers für ein fehlerhaftes Produkt muss ein Interessenausgleich gefunden werden, der die Risiken selbstlernender Systeme sinnvoll verteilt. Denn der Hersteller konzipiert und stellt sein Produkt zwar her und versieht es dabei mit der im Einzelfall verwendeten KI – das konkrete schädigende Verhalten erlernt es jedoch in der Regel vom Verbraucher.
In einem solchen Fall stellt sich durchaus die Frage, ob noch ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Inverkehrgabe eines Produkts und der Entstehung eines Schadens besteht. Darüber hinaus ist die Entscheidung einer KI in der Regel – wenn überhaupt – nur schwer nachzuvollziehen beziehungsweise zu erklären.
Aus diesem Umstand zeichnen sich bereits Beweisprobleme ab, die sowohl den Hersteller als auch den Verbraucher treffen. Denn während dem geschädigten Verbraucher grundsätzlich der Beweis obliegt, dass das Produkt einen Fehler hat, der kausal zu dem jeweiligen Schaden geführt hat, hat der Hersteller Ausschlusstatbestände zu beweisen, die seine Haftung in diesem spezifischen Fall entfallen lassen. Wie aber kann der Beweis bezüglich eines Produktverhaltens gelingen, das nicht erklärbar und auch nicht reproduzierbar ist?
Auch das Vertragsrecht wird durch den Einsatz von KI beeinflusst. Wie kommen durch Künstliche Intelligenz geschlossene Verträge zustande? Wer wird dadurch berechtigt und wer verpflichtet? Bedarf es letztendlich doch einer neuen juristischen ePerson?
Bei den angesprochenen Problemen handelt es sich nur um einige vieler weiterer. Die EU versucht, diese Herausforderungen auf mehreren Ebenen mit Verordnungen und Richtlinien zur Regulierung von KI zu adressieren.
Hierzu zählen neben der KI-Verordnung auch die Produkthaftungsrichtlinie und die Maschinenverordnung, die sich jedoch allesamt noch im Entwurfsstadium befinden. Der Entwurf der Maschinenverordnung erwähnt den Begriff der KI zwar – allerdings nur, um den Anwendungsbereich hierfür einzuschränken.
Dies will nicht so recht zu dem eher breiten Ansatz des Entwurfes der KI-Verordnung passen, der auch Technologien als KI einstuft, die tatsächlich keine KI sind. Es wird also noch einige Zeit dauern, bis es einen funktionierenden regulatorischen Rahmen für KI gibt. Es bleibt abzuwarten, wie gut die verschiedenen Regelwerke letztlich ineinandergreifen.
Für Hersteller und Produktentwickler bedeutet Regulierung immer auch Umstellungen und Aufwände. Ausschlaggebend wird daher sein, inwiefern der Gesetzgeber ihnen mit Übergangsfristen, technischen Standards und Normen die Hand reicht, um sich den neuen Anforderungen anzupassen und auch den Nachweis zu führen, dass das jeweilige Produkt mit den regulatorischen Vorgaben übereinstimmt.
Hieran fehlt es bisher weitestgehend. Technische Standards bieten aber den Vorteil, dass sie leichter veränderbar sind als ein Gesetz und wären somit ein geeignetes Mittel, damit das Recht mit dem technischen Fortschritt Schritt hält.
Niklas Weidner ist Rechtsanwalt bei Reuschlaw Legal Consultants in Berlin. Sein Fokus liegt auf der Beratung im Bereich Produkthaftung und Produktsicherheit und der Prozessführung. Zurzeit promoviert er zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Lieferkette
17 Grad und etwa 400 Kilometer trennen Claudia Kemfert an diesem heißen Montagnachmittag in Berlin von ihrem kühleren zweiten Wohnsitz in Oldenburg. Die Energieökonomin ächzt ein wenig unter der Hitze, sagt, dass sie grade lieber in Niedersachsen wäre und lässt die Kamera beim Webex-Call aus.
Die 52-Jährige setzt sich dafür ein, dass die Erde nicht überhitzt. Wer wissen will, was dafür getan werden muss, fragt sie. Seit 2004 leitet sie die Abteilung “Energie, Verkehr, Umwelt” am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), an der Leuphana Universität Lüneburg ist sie Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik.
Sie berät als Ko-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen die Bundesregierung, hatte Professuren an der Hertie School of Governance und der Humboldt-Universität inne und gewann diverse Forschungspreise. Auch in Brüssel war sie bereits aktiv, als Beraterin des früheren EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso.
Kurz: Claudia Kemfert ist viel herumgekommen. Und bemüht sich, dabei die eigenen Prinzipien zu leben: Ihre Flugmeilen kompensiere sie, sagt sie, von Berlin nach Oldenburg komme sie meistens mit der Bahn, zur Arbeit fahre sie mit dem Fahrrad. Zehn Kilometer hin, zehn zurück. Wenn sie Zeit hat, radelt sie an der Nordsee entlang, auch bei Gegenwind. “Es gibt viele tolle Fahrradstrecken, 95 Prozent fahre ich mit meinem normalen Rad, manchmal auch mit dem E-Bike.”
Die Klimapolitik entwickelt sich aus ihrer Sicht in die richtige Richtung – vor allem in Brüssel: “Mit dem Green Deal haben wir einen Rahmen, der Hoffnung macht”. Nötig sei ein radikales Umsteuern: “Wir dürfen jetzt nicht mehr in fossile Energien oder Infrastrukturen investieren, sondern ausschließlich in erneuerbare Energien. Was dann aber auch heißt: keine Wirtschaftshilfen mehr für fossile Infrastrukturen.”
In ihrer Rolle als Beraterin der Bundesregierung will sie in Brüssel darauf hinwirken, dass die Verhandlungsprozesse die gewünschte Richtung nehmen. In der Verantwortung sieht sie aber auch die Mitgliedsstaaten: “Wünschenswert wären Ausbauziele für erneuerbare Energien insbesondere auf nationaler Ebene, weil dort die Gesetze gemacht werden.”
Zufrieden ist Kemfert noch lange nicht: “Mehr geht immer”, sagt sie. “Aber man ist zumindest nicht auf dem völlig falschen Weg.” Gabriel Bub
Seit Wochen schon sind Berliner Hauptstadtjournalisten und politische Konkurrenz damit beschäftigt, der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock allerhand Vergehen nachzuweisen. Eine Übung, die anderswo in Europa eher mit einem müden Lächeln verfolgt wird. Das Publikum kennt ganz andere Sündenfälle von seinen Politikern als aufgehübschte Lebensläufe oder abgeschriebene Buchpassagen.
Bisweilen auch von Grünen. Etwa in Luxemburg, wo sie in der Regierung sitzen. Da wäre ein grüner Bürgermeister, der sich ein luxuriöses Gartenhaus in ein Naturschutzgebiet bauen lässt. Eine Ministerin, deren Familienbetrieb die Umweltauflagen ignoriert. Oder eine Umweltdirektion, die es nicht zu stören scheint, wenn ein Stahlkonzern im Ländchen eine illegale Giftmülldeponie betreibt.
Mitgefühl ob überharter Kritik kann Annalena Baerbock aus dem Nachbarland dennoch nicht erwarten. “Die Grünen sind jetzt Teil der Familie”, sagt der Sozialist Marc Angel. “Als Teil des Establishments müssen sie lernen, mit Attacken und Fehlern umzugehen.” Charlotte Wirth