wie fest stehen die USA und Europa an der Seite der Ukraine gegen Russland? Der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan versicherte bei seinem Besuch in Kiew, die Vereinigten Staaten würden das Land auch nach den Kongress-Zwischenwahlen am Dienstag “unerschütterlich und unbeirrt” unterstützen. Hinter den Kulissen drängt Washington Präsident Wolodymyr Selenskyj offenbar, sich gesprächsbereit zu geben.
Friedensgespräche mit Moskau mögen derzeit sinnlos sein, aber Selenskyj soll den lauter werdenden Forderungen danach so die Spitze nehmen. Die Kriegsmüdigkeit wächst auch in Europa – in Rom demonstrierten am Samstag Zehntausende gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versicherte Selenskyj derweil der langfristigen Unterstützung der EU. Sie will diese Woche nun Pläne für ein neues Hilfspaket in Höhe von bis zu 18 Milliarden Euro vorlegen. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Die Weltklimakonferenz in Sharm el-Sheikh ist gestern mit einem ersten Erfolg der Entwicklungsländer gestartet: Der Umgang mit Verlusten und Schäden als Folge des Klimawandels im globalen Süden steht nun offiziell auf der Tagesordnung der COP27. Lukas Scheid analysiert für Sie, was von den Verhandlungen in den nächsten beiden Wochen zu erwarten ist.
Hoch umstritten ist auch der Energiecharta-Vertrag, der es Investoren erlaubt, vor Schiedsgerichten gegen die Klimapolitik von Regierungen zu klagen. Mehrere EU-Staaten wollen aus dem Vertrag austreten, im Rat aber werden sie sich voraussichtlich nicht gegen die Reform stellen, wie Charlotte Wirth erfahren hat. Experten warnen, der Spagat könnte zu rechtlichen Problemen führen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche!
Trotz aller Kritik am Energiecharta-Vertrag (ECT) werden die EU-Staaten im Rat der Reform voraussichtlich zustimmen. Die Diskussion sei “konstruktiv”, berichteten mehrere Diplomaten im Gespräch mit Europe.Table. Eine Sperrminorität sei nicht absehbar. “Niemand hat ein Interesse daran, beim alten Vertrag zu bleiben”, sagte ein Diplomat. Das gelte auch für jene Länder, die dem ECT selbst nicht weiter angehören wollten.
Mittlerweile zirkuliert ein entsprechender Vorschlag für einen Ratsbeschluss. In diesem heißt es, die EU-Position sei es, “eine Stimme abzugeben und keinen Einspruch zu erheben”. Damit würde die EU als Ganzes der Reform faktisch zustimmen.
Dabei hatten Spanien, die Niederlande, Polen, Slowenien und zuletzt Frankreich angekündigt, aus dem ECT austreten zu wollen. Italien hatte die Charta bereits 2015 verlassen.
Das Abkommen aus den 1990er-Jahren erlaubt es Investoren, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn ihre Anlagen etwa aufgrund strengerer Klimagesetze in Gefahr sind. So geschehen beispielsweise im vergangenen April, als der deutsche Energiekonzern Uniper die Niederlande wegen ihres Kohleausstiegs verklagte. Der ECT schützt in erster Linie fossile Energien, und zwar noch 20 Jahre, nachdem ein Staat aus der Charta austritt (Europe Table berichtete).
Im Juni konnten sich die Unterzeichner im Grundsatz auf eine Reform der Charta einigen. ECT-Generalsekretär Guy Lentz sprach von einem “historischen Meilenstein” auf dem Weg zur Klimaneutralität. Die EU-Staaten hatten den Wechsel des ehemaligen Beraters von Luxemburgs Energieminister Claude Turmes an die Spitze der ECT unterstützt. “Er schaffe es, das europäische Mandat zur Reform der Energiecharta umzusetzen”, lautete das Argument. Am 22. November sollen die 53 ECT-Staaten nun über die Reform abstimmen. Es gilt Einstimmigkeit.
Die Ampel-Koalition in Berlin ringt derweil um eine gemeinsame Position (Europe.Table berichtete): Der Entscheidungsprozess innerhalb der Bundesregierung sei noch nicht abgeschlossen, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage. Insbesondere die Grünen werten die Reform nicht als Erfolg.
Die Zeit drängt. Vor dem 22. November müssen sich die EU-Staaten im Rat auf eine Position einigen. Der ECT ist ein gemischter Vertrag: Nicht nur die einzelnen Mitgliedstaaten sind Mitglied, sondern auch die EU. Die EU-Kommission wirbt für den Reformtext – dieser sei eine “substanzielle Verbesserung im Sinne der europäischen Energie- und Klimaziele”. Die Mitgliedstaaten sollen ihr das Mandat geben, der Reform zuzustimmen.
Tatsächlich konnte Brüssel eine Sonderklausel aushandeln, wonach der Investitionsschutz innerhalb der EU fortan nicht mehr für fossile Energien gilt. Neue Investitionen fallen ab dem Inkrafttreten des Vertrags nicht mehr unter den Investitionsschutz. Für bestehende Investitionen aber gilt der Schutz für weitere zehn Jahre; wenn die Ratifizierung zu lange dauert, sogar bis zum 31.10.2040.
Für Investitionen in “CO2-arme” Gasprodukte, Gasinfrastrukturen und insbesondere Gaskraftwerke gelten Übergangsfristen: Sie genießen den Schutz des ECT bis Ende 2030 oder gar 2033, wenn sie Kohlekraftwerke ersetzen.
Die Definition von “CO2-arm” lässt Fachleute dabei aufhorchen. Sie fällt großzügiger aus als in der umstrittenen EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen, wo der Grenzwert bei 270 Gramm CO2 pro Kilowattstunde lag. In der ECT-Flexibilitätsklausel ist von 380 Gramm CO2/kWh die Rede. “Das ist enorm und absolut nicht nachvollziehbar”, kritisiert die Klimaexpertin Yamina Saheb. Die frühere Mitarbeiterin der Energiecharta arbeitet heute als Expertin für den Weltklimarat (IPCC).
Saheb warnt: “Auch der reformierte Text ist eine riesige Hürde im Kampf gegen den Klimawandel”. Ähnlich sehen es die Experten von Frankreichs Hohem Klimarat (HCC), dessen Aufgabe es ist, die französische Klimastrategie zu bewerten. Der ECT sei auch in seiner modernisierten Form weder mit der Dekarbonisierung des Energiesektors noch mit den Pariser Klimazielen vereinbar, urteilten sie. Der HCC empfiehlt: Die EU soll aus dem ECT austreten.
Nicht von der Flexibilitätsklausel betroffen sind Investitionen in erneuerbare- und kohlenstoffarme Energien. Fortan sollen beispielsweise auch Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe und Biomasse unter den Investorenschutz fallen. Weiterhin geschützt wird die Atomkraft. Vor diesem Hintergrund dürfte es überraschen, dass bisher weder Österreich noch Luxemburg ihren Austritt aus der Energiecharta vorbereiten. Österreich hat erst im Oktober vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen die EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen eingereicht, weil diese Atomkraft als nachhaltig einstuft. Luxemburg leistet Rechtsbeihilfe
Rechtlich begeben sich austrittswillige EU-Staaten allerdings auf dünnes Eis, wenn sie der Reform im Rat zustimmen. “Nehmen die Mitgliedstaaten den Ratsbeschluss an, einigen sie sich auf eine gemeinsame Strategie”, sagt Christina Eckes, Expertin für öffentliches Recht an der Universität Amsterdam. “Dann können einzelne Staaten nicht gleichzeitig sagen, sie wollen nun doch austreten. Sie sind an ihre Loyalitätsverpflichtung gebunden.”
Das würde sich ihr Austritt aus der Charta erheblich verzögern, warnt Eckes. Denn dann könnten EU-Staaten erst austreten, wenn ihr nationales Parlament die Ratifizierung ablehnt.
Eckes betont darüber hinaus, die EU könne sich nur innerhalb ihrer Kompetenzen an den Vertrag binden. Nimmt sie die Reform an, bindet sie alle EU-Staaten an die Schiedsgerichte. “Das kann sie aber nicht, denn es handelt sich dabei nicht um eine Kompetenz, die die EU alleine ausüben kann.”
Die EU müsste dann bei jedem Austritt eines Mitgliedsstaates klarstellen, dass sie nur ECT-Mitglieder an die Investor-Staat-Beilegung bindet, nicht die ganze EU – sonst sei sie rechtlich anfechtbar. Die beste Strategie sei daher, dass die EU27 der Kommission kein Mandat für die Reformabstimmung am 22. November geben. Gleichzeitig empfiehlt Eckes den Austritt aus dem ECT, gekoppelt an eine Neutralisierung der Verfallsklausel innerhalb der EU.
Letztere würde bedeuten, dass die Schiedsgerichte der Energiecharta fortan nicht mehr mit Klagen zwischen EU-Staaten betraut werden können. Die Kommission sieht ein solches Zusatzprotokoll ohnehin vor, welches separat zwischen der EU, Euratom und den 26 EU-Mitgliedern des ECT abgeschlossen wird. Den entsprechenden Vorschlag hat die Behörde gemeinsam mit jenem für den Ratsentscheid an die EU-Staaten geschickt. Denn: Laut EuGH (Achmea 2018; Komstroy 2021) sind solche Schiedsverfahren nicht mit dem europäischen Recht vereinbar.
Ein Zusatzprotokoll würde das Klagerisiko gegen EU-Staaten deutlich verringern: Etwa zwei Drittel der ECT-Klagen dürften wegfallen. In vielen Fällen gibt es aber nicht nur einen, sondern mehrere Kläger. Nicht selten ist mindestens einer davon nicht in der EU ansässig. Beispiel: RREEF LTD und RREEF Europe gegen Spanien (2019). Unter dem Zusatzprotokoll könnte Ersterer problemlos weiter gegen EU-Staaten klagen, denn es handelt sich um eine britische Kapitalgesellschaft.
Um zu vermeiden, dass Energiekonzerne das Zusatzprotokoll dank Briefkastenfirmen umgehen, hat der reformierte Text die Definition von “Investoren” und “Vertragsparteien” verschärft. Sie müssen etwa “substanzielle Geschäftstätigkeiten” in dem Land nachweisen, unter dem sie klagen. “Ob diese Bedingungen erfüllt sind, entscheidet allerdings das Schiedsgericht, und zwar bei jeder Klage aufs Neue”, erklärt Christina Eckes.
Noch ist nicht absehbar, wie die Entscheidung am 22. November ausfallen wird. Es war insbesondere die EU, die auf die Modernisierung des Vertrages drängte. Mitglieder wie Japan oder die Türkei waren von Anfang an gegen eine Reform (Europe.Table berichtete). Das Risiko, dass es beim alten Text bleibt, ist durchaus greifbar.
Die COP27 in Sharm el-Sheikh ist mit einem ersten Erfolg der Entwicklungsländer gestartet: Der Umgang mit Verlusten und Schäden als Folge des Klimawandels im globalen Süden (Loss and Damage) wird ein sogenannter “Agenda Item” und steht somit ab sofort offiziell auf der Tagesordnung der Klimakonferenz. Das Thema Verluste und Schäden hat die reichen und armen Länder bisher gespalten. Laut Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry sei der Durchbruch nach 48 Stunden harter Verhandlungen erreicht worden. Man werde eine endgültige Entscheidung über Verluste und Schäden “spätestens 2024” anstreben, so Shoukry, der am Sonntag zum COP-Präsidenten gewählt wurde.
Schon 1991 forderten die kleinen Inselstaaten eine Art Versicherungssystem gegen die Klimakrise. Seitdem ist das Thema immer wieder aufgekommen, ernsthaft verhandelt wurde es allerdings nie. Letztes Jahr wurde immerhin mit dem Glasgow Dialogue eine Gesprächsplattform eingerichtet.
Konkret fordern die Entwicklungsländer ein Finanzierungsinstrument für Schäden und Verluste, beispielsweise bei Dürren, Überschwemmungen, aber auch für ökonomische Einbußen. Es geht darum, dass die Industrieländer als Hauptverursacher des Klimawandels auch finanziell Verantwortung für die Folgen jahrelanger CO2-Emissionen übernehmen. Die USA und einige EU-Staaten scheuen bislang einen solchen Schritt. Sie befürchten, für Naturkatastrophen haftbar gemacht zu werden und ins Unermessliche steigende Kompensationsforderungen.
Bevor sich die Europäer auf einen Finanzrahmen einlassen, wollen sie zunächst mit den Ländern des globalen Südens klären, wie groß der Bedarf ist. Das EU-Mandat für die COP beinhaltet lediglich die Bereitschaft für Gespräche. Ein hochrangiger EU-Beamter sagte am Freitag, die Bereitschaft des globalen Südens zu solchen Gesprächen sei überraschend gering. Die EU sei bereit, Finanzierung für Verluste und Schäden bereitzustellen. Allerdings müsse sich diese an der Nachfrage orientieren, da sonst jahrelange komplizierte Verhandlungen über Kompensationskriterien folgten.
Eine Option könnte sein, dass ein gedeckelter Finanzierungsrahmen vereinbart wird, aus dem Verluste und Schäden kompensiert werden. Gleichzeitig könnte ein Scheitern bei dem Thema auch ein Scheitern der gesamten Konferenz bedeuten. Die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan, ist gemeinsam mit der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas zuständig für die Verhandlungen eines Loss-and-Damage-Fahrplans.
Bei der COP27 stehen bereits beschlossene Verabredungen wieder zur Debatte. In Glasgow haben sich die Staaten darauf geeinigt, weniger fossile Brennstoffe zu nutzen und staatliche Subventionen in fossile Infrastruktur zu beenden.
Es gibt Zweifel an der Einhaltung der Vereinbarungen, weil insbesondere in der EU wieder vermehrt Kohlekraftwerke in Betrieb genommen werden sowie LNG-Lieferungen aus Aserbaidschan, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten vereinbart werden. Die klimapolitische Glaubwürdigkeit Europas und des Westens steht daher auf dem Spiel. Zudem hat China neue Kohleminen genehmigt und auch Vietnam und Indonesien versuchen, ihre Kohleförderung auszuweiten.
Besonders einige afrikanische Staaten fordern deshalb, dass ihnen die Erschließung ihrer fossilen Energiequellen gestattet wird. Diese Position könnte die Gespräche in Sharm El-Sheikh erschweren.
2009 verpflichteten sich die Industrieländer, von 2020 an jedes Jahr 100 Milliarden Dollar für Investitionen in CO2-Vermeidung und Klimaanpassungsmaßnahmen in weniger reichen Staaten zur Verfügung zu stellen. 2020 wurde das Ziel mit 83,3 Milliarden Dollar deutlich verfehlt. Laut OECD-Prognose liegen die Zahlen für 2022 bei maximal 88 Milliarden.
2023 sollen die 100 Milliarden aber zusammen kommen. Dafür müssten insbesondere die USA ihre Finanzierungszusagen erhöhen. Joe Bidens “Emergency Plan for Adaptation and Resilience” (PREPARE) sieht drei Milliarden Dollar jährlich für Klimaanpassung und eine Gesamtsumme zur Klimafinanzierung von elf Milliarden vor – allerdings erst ab 2024. Auch die EU ist gefordert. Laut eigenen Angaben haben die EU-Staaten 2021 knapp über 23 Milliarden Euro an öffentlicher Klimafinanzierung bereitgestellt. Hinzu kommt privates Kapital.
Die ägyptische COP-Präsidentschaft wird Druck auf die Industrieländer ausüben, das Versprechen spätestens im kommenden Jahr einzuhalten. Als afrikanisches Gastgeberland repräsentiert Ägypten mit seinen Forderungen auch den globalen Süden.
Wichtig dabei ist aber nicht nur allein die Summe, sondern auch, wie viel Geld in Form von Zuschüssen und wie viel als Darlehen bereitsteht. Länder wie Japan und Frankreich überfüllen ihren Anteil zur Klimafinanzierung zwar, ein Großteil besteht aber aus Darlehen. Der globale Süden fordert jedoch Zuschüsse, insbesondere für Anpassungsmaßnahmen. In Glasgow haben sich die Länder darauf geeinigt, dass mindestens 50 Prozent der Klimafinanzierung in Anpassungsmaßnahmen fließen soll.
Nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms (UNEP) betragen die bisherigen internationalen Hilfszahlungen an den globalen Süden für die Klimaanpassung (“Adaptation”) für ein Fünftel bis ein Zehntel des eigentlichen Bedarfs der Länder. Das UN-Büro für Handel und Entwicklung (UNCTAD) schätzt den Bedarf in den Entwicklungsländern bis 2030 auf 300 Milliarden Dollar. Die Industriestaaten werden sich abermals mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, zu wenig zu leisten.
Bis 2025 soll der Anteil an der Klimafinanzierung, der in Anpassungsmaßnahmen fließt, verdoppelt werden. Von aktuell rund 20 Milliarden Dollar (etwa ein Viertel der Gesamtsumme) auf dann 40 Milliarden – so wurde es in Glasgow beschlossen. Betrachtet man das 100-Milliarden-Versprechen gemeinsam mit dem Vorhaben, 50 Prozent für Adaptation bereitzustellen, müssten noch weitere zehn Milliarden fließen. Auch darauf werden die weniger entwickelten Länder pochen.
Die COP27 ist zudem der Auftakt der Gespräche über ein neues Finanzierungsziel nach 2025, das sich am Bedarf der Entwicklungsländer orientieren soll. Eine Einigung gilt jedoch als unwahrscheinlich und ist erst für die COP28 zum “Global Stocktake” – der Fortschrittsbilanz des Paris-Abkommens – geplant.
Trotz des immensen Bedarfs an Anpassungsmaßnahmen mahnt insbesondere die EU immer wieder, dass man dabei nicht die Vermeidung von klimaschädlichen CO2-Emissionen vergessen dürfe. Daran werden die europäischen Verhandler auch in Sharm el-Sheikh erinnern.
Alle Länder waren vor der COP aufgefordert, ihre Klimaziele für 2030 anzuheben. Von den Industriestaaten hat nur Australien vor der COP27 ein Update bei der UN eingereicht. Zwar ist auch die EU bereit, ihren national festgelegten Beitrag (Nationally Determined Contribution, NDC) zu erhöhen, allerdings erst nach Abschluss der Verhandlungen des Fit-for-55-Pakets.
Stattdessen sollen auf Geheiß der G7 und der EU sogenannte Just Energy Transition Partnerships (JETPs) vorangetrieben werden. Ein erstes JETP mit Südafrika (Europe.Table berichtete) über 8,5 Milliarden US-Dollar wurde in Glasgow beschlossen. Weitere sind mit Vietnam, Indonesien, Indien und dem Senegal geplant – etwa um die Nutzung von Kohle in den Ländern zu beenden.
Außerdem sind weitere Energie- und Wasserstoffpartnerschaften geplant. Die EU und Ägypten wollen auf der COP ihr gemeinsames Vorhaben besiegeln. Mit Namibia und Kasachstan wird Ursula von der Leyen noch während des High Level Segments zum Start der Konferenz gemeinsame Absichtserklärungen unterzeichnen.
Der irische Finanzminister Paschal Donohoe strebt eine zweite Amtszeit als Präsident der Eurogruppe an. Die Regierung in Dublin kündigte an, sie werde Donohoe für ein erneutes Mandat nominieren. Nach Informationen von Europe.Table sondiert die irische Regierung bereits seit geraumer Zeit unter den Eurostaaten, wie groß die Unterstützung dafür ist. Die Chancen stehen demnach gut.
Verkompliziert wird das Ansinnen durch die für Dezember geplante Kabinettsumbildung der Regierung in Dublin. Dann soll Michael McGrath das Amt des Finanzministers von Donohoe übernehmen. Donohoe soll laut Koalitionsabsprache Minister für öffentliche Ausgaben und Reformen werden. Dublin sondiert nun, ob sowohl Donohoe als auch McGrath an den Sitzungen der Finanzminister teilnehmen können.
In der Regel ist der Präsident der Eurogruppe der Finanzminister eines der Mitgliedsländer der Währungsunion. Sein Mandat beläuft sich auf zweieinhalb Jahre und kann erneuert werden. Irland beruft sich für die Doppelbesetzung in der Eurogruppe auf einen Präzedenzfall: Von 2009 bis 2012 hatte Luxemburg ebenfalls zwei Vertreter in der Eurogruppe. Jean-Claude Juncker, in dieser Zeit Premier mit Befugnissen aus dem Finanzressort, war “Mr. Euro” und übte den Vorsitz aus. Luc Frieden vertrat als Finanzminister die Interessen des Großherzogtums in der Eurogruppe.
McGrath würde dann als Vertreter Irlands und Donohoe als Vorsitzender der Gruppe agieren. Den Kreisen zufolge sollte Donohoe reelle Chancen auf ein zweites Mandat an der Spitze der Eurogruppe haben, sein laufendes endet Mitte Januar. Der Ire leiste gute Arbeit. Zudem sei Kontinuität im aktuell schwierigen wirtschaftlichen Umfeld von elementarer Bedeutung und es gebe keine anderen natürlichen Kandidaten oder Kandidatinnen für den Vorsitz. “Donohoe hätte sicherlich nicht seinen Hut in den Ring geworfen, wenn die Sondierungsgespräche gezeigt hätten, dass sein Unterfangen keine Aussicht auf Erfolg hat”, hieß es.
Allerdings wurde auch angemerkt, dass die Konstellation mit Juncker damals eine Ausnahmesituation gewesen sei, da der Luxemburger als Regierungschef einen direkten Draht in die EU-Chefetage des Europäischen Rates gehabt habe. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Staaten Kandidaten in Rennen schickten.
Die Finanzminister der 19 Eurostaaten treffen sich heute in Brüssel, um den Startschuss für den Auswahlprozess zu geben. Es wird erwartet, dass die Entscheidung über den neuen Vorsitz auf der nächsten Sitzung der Eurogruppe im Dezember fällt. Donohoe hatte den Posten als Vorsitzender der Eurogruppe Mitte Juli 2020 angetreten. Er hatte sich damals überraschend gegen seine spanische Kollegin Nadia Calviño durchgesetzt. cr
Nach dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Peking gab es am Wochenende aus Berlin und aus Brüssel sowohl Kritik als auch Zuspruch. Scholz unterrichtete am Sonntagabend US-Präsident Joe Biden über die Ergebnisse seiner Reise, wie ein Regierungssprecher mitteilte. Biden habe die klare Aussage des chinesischen Präsidenten Xi Jinping gegen die Drohung mit Atomwaffen gewürdigt, auf die Scholz ihn festgelegt hat.
SPD-Chef Lars Klingbeil warnte erneut vor einer zu starken Abhängigkeit von China. “Für mich ist völlig klar, dass wir die Fehler von Russland jetzt nicht bei China wiederholen dürfen”, sagte Klingbeil am Samstag beim Debattenkonvent der SPD in Berlin. Die China-Reise des Bundeskanzlers verteidigte Klingbeil in diesem Zusammenhang. “Ich finde wirklich richtig, dass Olaf Scholz dahin gefahren ist und diese Gespräche geführt hat.”
Der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer hat die Reise von Scholz hingegen kritisiert. “Dem Bundeskanzler ging es darum, im Gegensatz zum Koalitionsvertrag die Zeichen in der Chinapolitik auf Kontinuität zu setzen, auf Merkel as usual“, sagte der Europaabgeordnete. “Entsprechend setzte er seine Wirtschaftsdelegation zusammen, entsprechend sprach er von einer Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen.”
Der “stolzeste Ertrag” der Reise sei sicher die Warnung des chinesischen Präsidenten Xi Jinping vor einem Atomwaffeneinsatz im Ukraine-Krieg. Allerdings hätten sich führende chinesische Militärs zuvor ähnlich geäußert. “Scholz hat also erfolgreich eine offene Tür eingerannt. Ansonsten kriegte Xi, was er wollte”, sagte Bütikofer.
Bundesfinanzminister Christian Lindner äußerte erneut sein Unbehagen über eine zu starke Einflussnahme Chinas. “Mir ist nicht geheuer dabei, welche große Abhängigkeit Teile der deutschen Wirtschaft von dem chinesischen Markt haben”, sagte der FDP-Vorsitzende am Samstag beim Bundeskongress der Jungen Liberalen in Kassel. “Wir können in Deutschland chinesischen Investoren nur das gestatten, was umgekehrt auch deutschen Investoren in China erlaubt ist”, sagte Lindner. Der FDP-Parteichef sprach sich für neue Gespräche mit den USA zu Handelsbeziehungen aus.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisierte, Scholz spalte den Westen. Indem er sich ohne EU-Rückendeckung nach Peking begeben habe, schwäche er die Bündnisse zu Deutschlands traditionellen Partnern.
Die chinesische Staatspresse lobt Scholz für seine Absage an eine wirtschaftliche Entkopplung. Die Global Times sah darin eine “Ablehung der Block-Konfrontation entlang ideologischer Linien” wie sie die USA praktizierten. Scholz müsse den Worten nun Taten folgen lassen und sich offener gegen Washington stellen. flee/fin/rtr
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will diese Woche Pläne für ein neues Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von bis zu 18 Milliarden Euro vorlegen. Die Mittel sollten in monatliche Tranchen von jeweils 1,5 Milliarden Euro gegliedert sein, teilte die Kommission am Sonntag nach einem Telefonat von der Leyens mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit. Die Unterstützung soll demnach in Form von langlaufende Krediten fließen, bei denen die EU-Seite die Zinskosten trägt. Damit werde ein “erheblicher Beitrag” zum Finanzbedarf Kiews für 2023 geleistet.
Hintergrund ist die Finanzierungslücke im ukrainischen Staatshaushalt infolge des russischen Angriffs. Selenskyj bezifferte den Bedarf im kommenden Jahr auf 55 Milliarden Dollar. Als monatlichen Finanzbedarf nannte er zwei bis vier Milliarden Dollar. Die US-Regierung drängt die EU, ebenfalls einen erheblichen Beitrag zu leisten.
Selenskyj erklärte über Twitter lediglich, er habe mit von der Leyen über finanzielle Unterstützung für das laufende und das kommende Jahr gesprochen. Weiteres Thema sei die Bedeutung der Getreidelieferungen aus der Ukraine über das Schwarze Meer zur Unterstützung der weltweiten Nahrungssicherheit gewesen. dpa/tho
Die G7-Staaten treiben ihre Pläne für einen Preisdeckel für russisches Öl als Reaktion auf den Ukraine-Krieg voran. Gemeinsam mit Australien einigten sich die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan laut Insidern darauf, eine feste Preisobergrenze für Öllieferungen auf dem Seeweg festzulegen. Damit entschieden sie sich gegen die Option eines variablen Preises in Form eines Abschlags auf einen Index.
Der Schritt werde die Stabilität am Markt erhöhen und die Einhaltung des Preisdeckels vereinfachen, der regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden solle. Ein konkreter Anfangspreis wurde noch nicht festgelegt. Dies soll in den kommenden Wochen geschehen, damit das System am 5. Dezember starten kann. Es soll sicherstellen, dass die westlichen Sanktionen den Ölmarkt nicht abwürgen und zudem die Versorgung gewährleisten. Allerdings muss die EU den Plänen noch zustimmen.
Die Festlegung des Preises als Abschlag auf einen Index hätte zu viel Volatilität zur Folge gehabt, wie die Insider erläuterten. Es werde befürchtet, dass ein variabler Preis unter dem Referenzpreis für die Nordsee-Ölsorte Brent es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ermöglichen könnte, den Mechanismus durch eine Verknappung des Angebots zu manipulieren. Denn der Preis für russisches Öl würde ebenfalls steigen, wenn der Brent-Preis aufgrund einer Kürzung der russischen Öllieferungen zulege.
Der Nachteil des Festpreissystems sei, dass mehr Abstimmung und Bürokratie für die regelmäßigen Überprüfungen nötig seien. Der Preisdeckel soll ab dem 5. Dezember für Rohöl aus Russland und ab dem 5. Februar für Ölprodukte gelten. Russland hat bereits gedroht, kein Öl mehr an Länder zu liefern, die Preisobergrenzen festlegen. rtr
Jordan Bardella ist neuer Chef des rechtsnationalen Rassemblement National (RN). Er löste am Samstag auf einem Parteitag in Paris die bisherige Vorsitzende Marine Le Pen ab. Erstmals in der 50-jährigen Geschichte der Partei wird diese damit nicht mehr von einem Mitglied der Familie Le Pen geführt.
Bardella war bereits während des Wahlkampfs für die Präsidentschaftswahl Interimschef der Partei. Der bei Paris geborene 27-Jährige gilt als strammer Rechtsnationaler und bedient rechtsextreme Narrative. Kürzlich schrieb er im rechten Magazin “Marianne”, das französische Volk schwebe in Lebensgefahr. Es werde von den Eliten übergangen, durch rasche Immigration finde eine Auswechslung der Völker statt.
Bardella schlägt in den Medien scharfe Töne an, Le Pen überlässt er die von ihr gewünschte Rolle einer fürsorglichen Landesmutter. Den Parteivorsitz sieht er als Le Pen nachgeordnete Position. “Ich werde den Posten des Armeechefs neben dem Kaiser haben”, sagte er kürzlich dem “Journal du Dimanche”.
Unter Le Pens Führung hat es Bardella innerhalb kürzester Zeit in der Partei nach ganz oben geschafft. Vom Parteisprecher und Leiter der Jugendorganisation zum Anführer der Liste für die Europawahl kletterte er auf den Posten des Parteivizes und wurde schließlich Interimspräsident. dpa
Er ist einer der drei wichtigsten Beamten, die für die EU auf der anstehenden Klimakonferenz verhandeln: Jacob Werksman reist als Berater für internationales Klimarecht mit Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans nach Sharm El-Sheikh. In der EU-Kommission ist er der Hauptberater für die internationalen Aspekte der europäischen Klimapolitik.
“Als ich in den späten 1980er-Jahren Jura studiert habe, gab es keinen Kurs in internationalem Umweltrecht”, sagt der US-Amerikaner. Nach dem Studium stößt er auf das “Center for International Environmental Law” (CIEL). Die Organisation berät damals Entwicklungsländer, die sich auf den Earth Summit 1992 in Rio de Janeiro vorbereiten. Werksman beginnt als Praktikant beim CIEL, anschließend bleibt er für zehn Jahre. “Meine Kollegen und ich gehörten zu den ersten Anwälten, die internationales Umweltrecht als eigene Disziplin ausführten”, sagt Werksman.
Er macht Station beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, bei der Rockefeller Foundation und dem World Resources Institute. Dann holt ihn Connie Hedegaard nach Dänemark, um die Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen vorzubereiten. Als Hedegaard EU-Kommissarin wird, wechselt Werksman mit ihr nach Brüssel.
Inzwischen arbeitet er für Timmermans. Auf der anstehenden Klimakonferenz in Ägypten ist Werksman einer von drei Chef-Unterhändlern der EU. Das heißt: Was in den technischen Ausschüssen nicht entschieden wird, landet auf seinem Tisch, bevor Timmermans auf der Ministerebene verhandelt. Für die Minister blieben meist nicht mehr viele Entscheidungen übrig, sagt Werksman. Wie viele bei ihm selbst landen? “Zu viele.”
In Ägypten erwartet Werksman keine bahnbrechenden, völlig neuen Ergebnisse. Anders als in Glasgow gebe es weniger konkrete Entscheidungen zu verhandeln. Es werde um Klimaanpassung gehen, um Schäden und Verluste und Finanzierung für besonders betroffene, ärmere Staaten. “Wir werden keine dieser Fragen vollständig lösen, aber es wird einen formalen Raum geben, um Lösungen zu finden und zu beschleunigen”, sagt Werksman.
Es ist die dritte EU-Kommission, für die Werksman arbeitet. Seine Arbeit hat sich geändert, seit es den Green Deal gibt: “Zum ersten Mal mussten wir nicht mehr bei den anderen Teilen der Kommission für Klimaschutz lobbyieren. Auf einmal wurden wir ständig um Rat gefragt”, sagt Werksman. Denn seitdem müsse sich die gesamte Kommission am Klimaschutz orientieren.
Für Werksman ist es auch eines der wichtigsten Beispiele dafür, wie sich international verhandelte Ziele auf regionaler und nationaler Ebene durchsetzen – so hat es der Experte für internationales Recht noch nie erlebt: “Ich glaube, von außen wurde nie richtig wertgeschätzt, wie revolutionär das war.” Jana Hemmersmeier
wie fest stehen die USA und Europa an der Seite der Ukraine gegen Russland? Der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan versicherte bei seinem Besuch in Kiew, die Vereinigten Staaten würden das Land auch nach den Kongress-Zwischenwahlen am Dienstag “unerschütterlich und unbeirrt” unterstützen. Hinter den Kulissen drängt Washington Präsident Wolodymyr Selenskyj offenbar, sich gesprächsbereit zu geben.
Friedensgespräche mit Moskau mögen derzeit sinnlos sein, aber Selenskyj soll den lauter werdenden Forderungen danach so die Spitze nehmen. Die Kriegsmüdigkeit wächst auch in Europa – in Rom demonstrierten am Samstag Zehntausende gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versicherte Selenskyj derweil der langfristigen Unterstützung der EU. Sie will diese Woche nun Pläne für ein neues Hilfspaket in Höhe von bis zu 18 Milliarden Euro vorlegen. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Die Weltklimakonferenz in Sharm el-Sheikh ist gestern mit einem ersten Erfolg der Entwicklungsländer gestartet: Der Umgang mit Verlusten und Schäden als Folge des Klimawandels im globalen Süden steht nun offiziell auf der Tagesordnung der COP27. Lukas Scheid analysiert für Sie, was von den Verhandlungen in den nächsten beiden Wochen zu erwarten ist.
Hoch umstritten ist auch der Energiecharta-Vertrag, der es Investoren erlaubt, vor Schiedsgerichten gegen die Klimapolitik von Regierungen zu klagen. Mehrere EU-Staaten wollen aus dem Vertrag austreten, im Rat aber werden sie sich voraussichtlich nicht gegen die Reform stellen, wie Charlotte Wirth erfahren hat. Experten warnen, der Spagat könnte zu rechtlichen Problemen führen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche!
Trotz aller Kritik am Energiecharta-Vertrag (ECT) werden die EU-Staaten im Rat der Reform voraussichtlich zustimmen. Die Diskussion sei “konstruktiv”, berichteten mehrere Diplomaten im Gespräch mit Europe.Table. Eine Sperrminorität sei nicht absehbar. “Niemand hat ein Interesse daran, beim alten Vertrag zu bleiben”, sagte ein Diplomat. Das gelte auch für jene Länder, die dem ECT selbst nicht weiter angehören wollten.
Mittlerweile zirkuliert ein entsprechender Vorschlag für einen Ratsbeschluss. In diesem heißt es, die EU-Position sei es, “eine Stimme abzugeben und keinen Einspruch zu erheben”. Damit würde die EU als Ganzes der Reform faktisch zustimmen.
Dabei hatten Spanien, die Niederlande, Polen, Slowenien und zuletzt Frankreich angekündigt, aus dem ECT austreten zu wollen. Italien hatte die Charta bereits 2015 verlassen.
Das Abkommen aus den 1990er-Jahren erlaubt es Investoren, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn ihre Anlagen etwa aufgrund strengerer Klimagesetze in Gefahr sind. So geschehen beispielsweise im vergangenen April, als der deutsche Energiekonzern Uniper die Niederlande wegen ihres Kohleausstiegs verklagte. Der ECT schützt in erster Linie fossile Energien, und zwar noch 20 Jahre, nachdem ein Staat aus der Charta austritt (Europe Table berichtete).
Im Juni konnten sich die Unterzeichner im Grundsatz auf eine Reform der Charta einigen. ECT-Generalsekretär Guy Lentz sprach von einem “historischen Meilenstein” auf dem Weg zur Klimaneutralität. Die EU-Staaten hatten den Wechsel des ehemaligen Beraters von Luxemburgs Energieminister Claude Turmes an die Spitze der ECT unterstützt. “Er schaffe es, das europäische Mandat zur Reform der Energiecharta umzusetzen”, lautete das Argument. Am 22. November sollen die 53 ECT-Staaten nun über die Reform abstimmen. Es gilt Einstimmigkeit.
Die Ampel-Koalition in Berlin ringt derweil um eine gemeinsame Position (Europe.Table berichtete): Der Entscheidungsprozess innerhalb der Bundesregierung sei noch nicht abgeschlossen, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage. Insbesondere die Grünen werten die Reform nicht als Erfolg.
Die Zeit drängt. Vor dem 22. November müssen sich die EU-Staaten im Rat auf eine Position einigen. Der ECT ist ein gemischter Vertrag: Nicht nur die einzelnen Mitgliedstaaten sind Mitglied, sondern auch die EU. Die EU-Kommission wirbt für den Reformtext – dieser sei eine “substanzielle Verbesserung im Sinne der europäischen Energie- und Klimaziele”. Die Mitgliedstaaten sollen ihr das Mandat geben, der Reform zuzustimmen.
Tatsächlich konnte Brüssel eine Sonderklausel aushandeln, wonach der Investitionsschutz innerhalb der EU fortan nicht mehr für fossile Energien gilt. Neue Investitionen fallen ab dem Inkrafttreten des Vertrags nicht mehr unter den Investitionsschutz. Für bestehende Investitionen aber gilt der Schutz für weitere zehn Jahre; wenn die Ratifizierung zu lange dauert, sogar bis zum 31.10.2040.
Für Investitionen in “CO2-arme” Gasprodukte, Gasinfrastrukturen und insbesondere Gaskraftwerke gelten Übergangsfristen: Sie genießen den Schutz des ECT bis Ende 2030 oder gar 2033, wenn sie Kohlekraftwerke ersetzen.
Die Definition von “CO2-arm” lässt Fachleute dabei aufhorchen. Sie fällt großzügiger aus als in der umstrittenen EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen, wo der Grenzwert bei 270 Gramm CO2 pro Kilowattstunde lag. In der ECT-Flexibilitätsklausel ist von 380 Gramm CO2/kWh die Rede. “Das ist enorm und absolut nicht nachvollziehbar”, kritisiert die Klimaexpertin Yamina Saheb. Die frühere Mitarbeiterin der Energiecharta arbeitet heute als Expertin für den Weltklimarat (IPCC).
Saheb warnt: “Auch der reformierte Text ist eine riesige Hürde im Kampf gegen den Klimawandel”. Ähnlich sehen es die Experten von Frankreichs Hohem Klimarat (HCC), dessen Aufgabe es ist, die französische Klimastrategie zu bewerten. Der ECT sei auch in seiner modernisierten Form weder mit der Dekarbonisierung des Energiesektors noch mit den Pariser Klimazielen vereinbar, urteilten sie. Der HCC empfiehlt: Die EU soll aus dem ECT austreten.
Nicht von der Flexibilitätsklausel betroffen sind Investitionen in erneuerbare- und kohlenstoffarme Energien. Fortan sollen beispielsweise auch Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe und Biomasse unter den Investorenschutz fallen. Weiterhin geschützt wird die Atomkraft. Vor diesem Hintergrund dürfte es überraschen, dass bisher weder Österreich noch Luxemburg ihren Austritt aus der Energiecharta vorbereiten. Österreich hat erst im Oktober vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen die EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen eingereicht, weil diese Atomkraft als nachhaltig einstuft. Luxemburg leistet Rechtsbeihilfe
Rechtlich begeben sich austrittswillige EU-Staaten allerdings auf dünnes Eis, wenn sie der Reform im Rat zustimmen. “Nehmen die Mitgliedstaaten den Ratsbeschluss an, einigen sie sich auf eine gemeinsame Strategie”, sagt Christina Eckes, Expertin für öffentliches Recht an der Universität Amsterdam. “Dann können einzelne Staaten nicht gleichzeitig sagen, sie wollen nun doch austreten. Sie sind an ihre Loyalitätsverpflichtung gebunden.”
Das würde sich ihr Austritt aus der Charta erheblich verzögern, warnt Eckes. Denn dann könnten EU-Staaten erst austreten, wenn ihr nationales Parlament die Ratifizierung ablehnt.
Eckes betont darüber hinaus, die EU könne sich nur innerhalb ihrer Kompetenzen an den Vertrag binden. Nimmt sie die Reform an, bindet sie alle EU-Staaten an die Schiedsgerichte. “Das kann sie aber nicht, denn es handelt sich dabei nicht um eine Kompetenz, die die EU alleine ausüben kann.”
Die EU müsste dann bei jedem Austritt eines Mitgliedsstaates klarstellen, dass sie nur ECT-Mitglieder an die Investor-Staat-Beilegung bindet, nicht die ganze EU – sonst sei sie rechtlich anfechtbar. Die beste Strategie sei daher, dass die EU27 der Kommission kein Mandat für die Reformabstimmung am 22. November geben. Gleichzeitig empfiehlt Eckes den Austritt aus dem ECT, gekoppelt an eine Neutralisierung der Verfallsklausel innerhalb der EU.
Letztere würde bedeuten, dass die Schiedsgerichte der Energiecharta fortan nicht mehr mit Klagen zwischen EU-Staaten betraut werden können. Die Kommission sieht ein solches Zusatzprotokoll ohnehin vor, welches separat zwischen der EU, Euratom und den 26 EU-Mitgliedern des ECT abgeschlossen wird. Den entsprechenden Vorschlag hat die Behörde gemeinsam mit jenem für den Ratsentscheid an die EU-Staaten geschickt. Denn: Laut EuGH (Achmea 2018; Komstroy 2021) sind solche Schiedsverfahren nicht mit dem europäischen Recht vereinbar.
Ein Zusatzprotokoll würde das Klagerisiko gegen EU-Staaten deutlich verringern: Etwa zwei Drittel der ECT-Klagen dürften wegfallen. In vielen Fällen gibt es aber nicht nur einen, sondern mehrere Kläger. Nicht selten ist mindestens einer davon nicht in der EU ansässig. Beispiel: RREEF LTD und RREEF Europe gegen Spanien (2019). Unter dem Zusatzprotokoll könnte Ersterer problemlos weiter gegen EU-Staaten klagen, denn es handelt sich um eine britische Kapitalgesellschaft.
Um zu vermeiden, dass Energiekonzerne das Zusatzprotokoll dank Briefkastenfirmen umgehen, hat der reformierte Text die Definition von “Investoren” und “Vertragsparteien” verschärft. Sie müssen etwa “substanzielle Geschäftstätigkeiten” in dem Land nachweisen, unter dem sie klagen. “Ob diese Bedingungen erfüllt sind, entscheidet allerdings das Schiedsgericht, und zwar bei jeder Klage aufs Neue”, erklärt Christina Eckes.
Noch ist nicht absehbar, wie die Entscheidung am 22. November ausfallen wird. Es war insbesondere die EU, die auf die Modernisierung des Vertrages drängte. Mitglieder wie Japan oder die Türkei waren von Anfang an gegen eine Reform (Europe.Table berichtete). Das Risiko, dass es beim alten Text bleibt, ist durchaus greifbar.
Die COP27 in Sharm el-Sheikh ist mit einem ersten Erfolg der Entwicklungsländer gestartet: Der Umgang mit Verlusten und Schäden als Folge des Klimawandels im globalen Süden (Loss and Damage) wird ein sogenannter “Agenda Item” und steht somit ab sofort offiziell auf der Tagesordnung der Klimakonferenz. Das Thema Verluste und Schäden hat die reichen und armen Länder bisher gespalten. Laut Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry sei der Durchbruch nach 48 Stunden harter Verhandlungen erreicht worden. Man werde eine endgültige Entscheidung über Verluste und Schäden “spätestens 2024” anstreben, so Shoukry, der am Sonntag zum COP-Präsidenten gewählt wurde.
Schon 1991 forderten die kleinen Inselstaaten eine Art Versicherungssystem gegen die Klimakrise. Seitdem ist das Thema immer wieder aufgekommen, ernsthaft verhandelt wurde es allerdings nie. Letztes Jahr wurde immerhin mit dem Glasgow Dialogue eine Gesprächsplattform eingerichtet.
Konkret fordern die Entwicklungsländer ein Finanzierungsinstrument für Schäden und Verluste, beispielsweise bei Dürren, Überschwemmungen, aber auch für ökonomische Einbußen. Es geht darum, dass die Industrieländer als Hauptverursacher des Klimawandels auch finanziell Verantwortung für die Folgen jahrelanger CO2-Emissionen übernehmen. Die USA und einige EU-Staaten scheuen bislang einen solchen Schritt. Sie befürchten, für Naturkatastrophen haftbar gemacht zu werden und ins Unermessliche steigende Kompensationsforderungen.
Bevor sich die Europäer auf einen Finanzrahmen einlassen, wollen sie zunächst mit den Ländern des globalen Südens klären, wie groß der Bedarf ist. Das EU-Mandat für die COP beinhaltet lediglich die Bereitschaft für Gespräche. Ein hochrangiger EU-Beamter sagte am Freitag, die Bereitschaft des globalen Südens zu solchen Gesprächen sei überraschend gering. Die EU sei bereit, Finanzierung für Verluste und Schäden bereitzustellen. Allerdings müsse sich diese an der Nachfrage orientieren, da sonst jahrelange komplizierte Verhandlungen über Kompensationskriterien folgten.
Eine Option könnte sein, dass ein gedeckelter Finanzierungsrahmen vereinbart wird, aus dem Verluste und Schäden kompensiert werden. Gleichzeitig könnte ein Scheitern bei dem Thema auch ein Scheitern der gesamten Konferenz bedeuten. Die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan, ist gemeinsam mit der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas zuständig für die Verhandlungen eines Loss-and-Damage-Fahrplans.
Bei der COP27 stehen bereits beschlossene Verabredungen wieder zur Debatte. In Glasgow haben sich die Staaten darauf geeinigt, weniger fossile Brennstoffe zu nutzen und staatliche Subventionen in fossile Infrastruktur zu beenden.
Es gibt Zweifel an der Einhaltung der Vereinbarungen, weil insbesondere in der EU wieder vermehrt Kohlekraftwerke in Betrieb genommen werden sowie LNG-Lieferungen aus Aserbaidschan, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten vereinbart werden. Die klimapolitische Glaubwürdigkeit Europas und des Westens steht daher auf dem Spiel. Zudem hat China neue Kohleminen genehmigt und auch Vietnam und Indonesien versuchen, ihre Kohleförderung auszuweiten.
Besonders einige afrikanische Staaten fordern deshalb, dass ihnen die Erschließung ihrer fossilen Energiequellen gestattet wird. Diese Position könnte die Gespräche in Sharm El-Sheikh erschweren.
2009 verpflichteten sich die Industrieländer, von 2020 an jedes Jahr 100 Milliarden Dollar für Investitionen in CO2-Vermeidung und Klimaanpassungsmaßnahmen in weniger reichen Staaten zur Verfügung zu stellen. 2020 wurde das Ziel mit 83,3 Milliarden Dollar deutlich verfehlt. Laut OECD-Prognose liegen die Zahlen für 2022 bei maximal 88 Milliarden.
2023 sollen die 100 Milliarden aber zusammen kommen. Dafür müssten insbesondere die USA ihre Finanzierungszusagen erhöhen. Joe Bidens “Emergency Plan for Adaptation and Resilience” (PREPARE) sieht drei Milliarden Dollar jährlich für Klimaanpassung und eine Gesamtsumme zur Klimafinanzierung von elf Milliarden vor – allerdings erst ab 2024. Auch die EU ist gefordert. Laut eigenen Angaben haben die EU-Staaten 2021 knapp über 23 Milliarden Euro an öffentlicher Klimafinanzierung bereitgestellt. Hinzu kommt privates Kapital.
Die ägyptische COP-Präsidentschaft wird Druck auf die Industrieländer ausüben, das Versprechen spätestens im kommenden Jahr einzuhalten. Als afrikanisches Gastgeberland repräsentiert Ägypten mit seinen Forderungen auch den globalen Süden.
Wichtig dabei ist aber nicht nur allein die Summe, sondern auch, wie viel Geld in Form von Zuschüssen und wie viel als Darlehen bereitsteht. Länder wie Japan und Frankreich überfüllen ihren Anteil zur Klimafinanzierung zwar, ein Großteil besteht aber aus Darlehen. Der globale Süden fordert jedoch Zuschüsse, insbesondere für Anpassungsmaßnahmen. In Glasgow haben sich die Länder darauf geeinigt, dass mindestens 50 Prozent der Klimafinanzierung in Anpassungsmaßnahmen fließen soll.
Nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms (UNEP) betragen die bisherigen internationalen Hilfszahlungen an den globalen Süden für die Klimaanpassung (“Adaptation”) für ein Fünftel bis ein Zehntel des eigentlichen Bedarfs der Länder. Das UN-Büro für Handel und Entwicklung (UNCTAD) schätzt den Bedarf in den Entwicklungsländern bis 2030 auf 300 Milliarden Dollar. Die Industriestaaten werden sich abermals mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, zu wenig zu leisten.
Bis 2025 soll der Anteil an der Klimafinanzierung, der in Anpassungsmaßnahmen fließt, verdoppelt werden. Von aktuell rund 20 Milliarden Dollar (etwa ein Viertel der Gesamtsumme) auf dann 40 Milliarden – so wurde es in Glasgow beschlossen. Betrachtet man das 100-Milliarden-Versprechen gemeinsam mit dem Vorhaben, 50 Prozent für Adaptation bereitzustellen, müssten noch weitere zehn Milliarden fließen. Auch darauf werden die weniger entwickelten Länder pochen.
Die COP27 ist zudem der Auftakt der Gespräche über ein neues Finanzierungsziel nach 2025, das sich am Bedarf der Entwicklungsländer orientieren soll. Eine Einigung gilt jedoch als unwahrscheinlich und ist erst für die COP28 zum “Global Stocktake” – der Fortschrittsbilanz des Paris-Abkommens – geplant.
Trotz des immensen Bedarfs an Anpassungsmaßnahmen mahnt insbesondere die EU immer wieder, dass man dabei nicht die Vermeidung von klimaschädlichen CO2-Emissionen vergessen dürfe. Daran werden die europäischen Verhandler auch in Sharm el-Sheikh erinnern.
Alle Länder waren vor der COP aufgefordert, ihre Klimaziele für 2030 anzuheben. Von den Industriestaaten hat nur Australien vor der COP27 ein Update bei der UN eingereicht. Zwar ist auch die EU bereit, ihren national festgelegten Beitrag (Nationally Determined Contribution, NDC) zu erhöhen, allerdings erst nach Abschluss der Verhandlungen des Fit-for-55-Pakets.
Stattdessen sollen auf Geheiß der G7 und der EU sogenannte Just Energy Transition Partnerships (JETPs) vorangetrieben werden. Ein erstes JETP mit Südafrika (Europe.Table berichtete) über 8,5 Milliarden US-Dollar wurde in Glasgow beschlossen. Weitere sind mit Vietnam, Indonesien, Indien und dem Senegal geplant – etwa um die Nutzung von Kohle in den Ländern zu beenden.
Außerdem sind weitere Energie- und Wasserstoffpartnerschaften geplant. Die EU und Ägypten wollen auf der COP ihr gemeinsames Vorhaben besiegeln. Mit Namibia und Kasachstan wird Ursula von der Leyen noch während des High Level Segments zum Start der Konferenz gemeinsame Absichtserklärungen unterzeichnen.
Der irische Finanzminister Paschal Donohoe strebt eine zweite Amtszeit als Präsident der Eurogruppe an. Die Regierung in Dublin kündigte an, sie werde Donohoe für ein erneutes Mandat nominieren. Nach Informationen von Europe.Table sondiert die irische Regierung bereits seit geraumer Zeit unter den Eurostaaten, wie groß die Unterstützung dafür ist. Die Chancen stehen demnach gut.
Verkompliziert wird das Ansinnen durch die für Dezember geplante Kabinettsumbildung der Regierung in Dublin. Dann soll Michael McGrath das Amt des Finanzministers von Donohoe übernehmen. Donohoe soll laut Koalitionsabsprache Minister für öffentliche Ausgaben und Reformen werden. Dublin sondiert nun, ob sowohl Donohoe als auch McGrath an den Sitzungen der Finanzminister teilnehmen können.
In der Regel ist der Präsident der Eurogruppe der Finanzminister eines der Mitgliedsländer der Währungsunion. Sein Mandat beläuft sich auf zweieinhalb Jahre und kann erneuert werden. Irland beruft sich für die Doppelbesetzung in der Eurogruppe auf einen Präzedenzfall: Von 2009 bis 2012 hatte Luxemburg ebenfalls zwei Vertreter in der Eurogruppe. Jean-Claude Juncker, in dieser Zeit Premier mit Befugnissen aus dem Finanzressort, war “Mr. Euro” und übte den Vorsitz aus. Luc Frieden vertrat als Finanzminister die Interessen des Großherzogtums in der Eurogruppe.
McGrath würde dann als Vertreter Irlands und Donohoe als Vorsitzender der Gruppe agieren. Den Kreisen zufolge sollte Donohoe reelle Chancen auf ein zweites Mandat an der Spitze der Eurogruppe haben, sein laufendes endet Mitte Januar. Der Ire leiste gute Arbeit. Zudem sei Kontinuität im aktuell schwierigen wirtschaftlichen Umfeld von elementarer Bedeutung und es gebe keine anderen natürlichen Kandidaten oder Kandidatinnen für den Vorsitz. “Donohoe hätte sicherlich nicht seinen Hut in den Ring geworfen, wenn die Sondierungsgespräche gezeigt hätten, dass sein Unterfangen keine Aussicht auf Erfolg hat”, hieß es.
Allerdings wurde auch angemerkt, dass die Konstellation mit Juncker damals eine Ausnahmesituation gewesen sei, da der Luxemburger als Regierungschef einen direkten Draht in die EU-Chefetage des Europäischen Rates gehabt habe. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Staaten Kandidaten in Rennen schickten.
Die Finanzminister der 19 Eurostaaten treffen sich heute in Brüssel, um den Startschuss für den Auswahlprozess zu geben. Es wird erwartet, dass die Entscheidung über den neuen Vorsitz auf der nächsten Sitzung der Eurogruppe im Dezember fällt. Donohoe hatte den Posten als Vorsitzender der Eurogruppe Mitte Juli 2020 angetreten. Er hatte sich damals überraschend gegen seine spanische Kollegin Nadia Calviño durchgesetzt. cr
Nach dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Peking gab es am Wochenende aus Berlin und aus Brüssel sowohl Kritik als auch Zuspruch. Scholz unterrichtete am Sonntagabend US-Präsident Joe Biden über die Ergebnisse seiner Reise, wie ein Regierungssprecher mitteilte. Biden habe die klare Aussage des chinesischen Präsidenten Xi Jinping gegen die Drohung mit Atomwaffen gewürdigt, auf die Scholz ihn festgelegt hat.
SPD-Chef Lars Klingbeil warnte erneut vor einer zu starken Abhängigkeit von China. “Für mich ist völlig klar, dass wir die Fehler von Russland jetzt nicht bei China wiederholen dürfen”, sagte Klingbeil am Samstag beim Debattenkonvent der SPD in Berlin. Die China-Reise des Bundeskanzlers verteidigte Klingbeil in diesem Zusammenhang. “Ich finde wirklich richtig, dass Olaf Scholz dahin gefahren ist und diese Gespräche geführt hat.”
Der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer hat die Reise von Scholz hingegen kritisiert. “Dem Bundeskanzler ging es darum, im Gegensatz zum Koalitionsvertrag die Zeichen in der Chinapolitik auf Kontinuität zu setzen, auf Merkel as usual“, sagte der Europaabgeordnete. “Entsprechend setzte er seine Wirtschaftsdelegation zusammen, entsprechend sprach er von einer Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen.”
Der “stolzeste Ertrag” der Reise sei sicher die Warnung des chinesischen Präsidenten Xi Jinping vor einem Atomwaffeneinsatz im Ukraine-Krieg. Allerdings hätten sich führende chinesische Militärs zuvor ähnlich geäußert. “Scholz hat also erfolgreich eine offene Tür eingerannt. Ansonsten kriegte Xi, was er wollte”, sagte Bütikofer.
Bundesfinanzminister Christian Lindner äußerte erneut sein Unbehagen über eine zu starke Einflussnahme Chinas. “Mir ist nicht geheuer dabei, welche große Abhängigkeit Teile der deutschen Wirtschaft von dem chinesischen Markt haben”, sagte der FDP-Vorsitzende am Samstag beim Bundeskongress der Jungen Liberalen in Kassel. “Wir können in Deutschland chinesischen Investoren nur das gestatten, was umgekehrt auch deutschen Investoren in China erlaubt ist”, sagte Lindner. Der FDP-Parteichef sprach sich für neue Gespräche mit den USA zu Handelsbeziehungen aus.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisierte, Scholz spalte den Westen. Indem er sich ohne EU-Rückendeckung nach Peking begeben habe, schwäche er die Bündnisse zu Deutschlands traditionellen Partnern.
Die chinesische Staatspresse lobt Scholz für seine Absage an eine wirtschaftliche Entkopplung. Die Global Times sah darin eine “Ablehung der Block-Konfrontation entlang ideologischer Linien” wie sie die USA praktizierten. Scholz müsse den Worten nun Taten folgen lassen und sich offener gegen Washington stellen. flee/fin/rtr
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will diese Woche Pläne für ein neues Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von bis zu 18 Milliarden Euro vorlegen. Die Mittel sollten in monatliche Tranchen von jeweils 1,5 Milliarden Euro gegliedert sein, teilte die Kommission am Sonntag nach einem Telefonat von der Leyens mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit. Die Unterstützung soll demnach in Form von langlaufende Krediten fließen, bei denen die EU-Seite die Zinskosten trägt. Damit werde ein “erheblicher Beitrag” zum Finanzbedarf Kiews für 2023 geleistet.
Hintergrund ist die Finanzierungslücke im ukrainischen Staatshaushalt infolge des russischen Angriffs. Selenskyj bezifferte den Bedarf im kommenden Jahr auf 55 Milliarden Dollar. Als monatlichen Finanzbedarf nannte er zwei bis vier Milliarden Dollar. Die US-Regierung drängt die EU, ebenfalls einen erheblichen Beitrag zu leisten.
Selenskyj erklärte über Twitter lediglich, er habe mit von der Leyen über finanzielle Unterstützung für das laufende und das kommende Jahr gesprochen. Weiteres Thema sei die Bedeutung der Getreidelieferungen aus der Ukraine über das Schwarze Meer zur Unterstützung der weltweiten Nahrungssicherheit gewesen. dpa/tho
Die G7-Staaten treiben ihre Pläne für einen Preisdeckel für russisches Öl als Reaktion auf den Ukraine-Krieg voran. Gemeinsam mit Australien einigten sich die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan laut Insidern darauf, eine feste Preisobergrenze für Öllieferungen auf dem Seeweg festzulegen. Damit entschieden sie sich gegen die Option eines variablen Preises in Form eines Abschlags auf einen Index.
Der Schritt werde die Stabilität am Markt erhöhen und die Einhaltung des Preisdeckels vereinfachen, der regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden solle. Ein konkreter Anfangspreis wurde noch nicht festgelegt. Dies soll in den kommenden Wochen geschehen, damit das System am 5. Dezember starten kann. Es soll sicherstellen, dass die westlichen Sanktionen den Ölmarkt nicht abwürgen und zudem die Versorgung gewährleisten. Allerdings muss die EU den Plänen noch zustimmen.
Die Festlegung des Preises als Abschlag auf einen Index hätte zu viel Volatilität zur Folge gehabt, wie die Insider erläuterten. Es werde befürchtet, dass ein variabler Preis unter dem Referenzpreis für die Nordsee-Ölsorte Brent es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ermöglichen könnte, den Mechanismus durch eine Verknappung des Angebots zu manipulieren. Denn der Preis für russisches Öl würde ebenfalls steigen, wenn der Brent-Preis aufgrund einer Kürzung der russischen Öllieferungen zulege.
Der Nachteil des Festpreissystems sei, dass mehr Abstimmung und Bürokratie für die regelmäßigen Überprüfungen nötig seien. Der Preisdeckel soll ab dem 5. Dezember für Rohöl aus Russland und ab dem 5. Februar für Ölprodukte gelten. Russland hat bereits gedroht, kein Öl mehr an Länder zu liefern, die Preisobergrenzen festlegen. rtr
Jordan Bardella ist neuer Chef des rechtsnationalen Rassemblement National (RN). Er löste am Samstag auf einem Parteitag in Paris die bisherige Vorsitzende Marine Le Pen ab. Erstmals in der 50-jährigen Geschichte der Partei wird diese damit nicht mehr von einem Mitglied der Familie Le Pen geführt.
Bardella war bereits während des Wahlkampfs für die Präsidentschaftswahl Interimschef der Partei. Der bei Paris geborene 27-Jährige gilt als strammer Rechtsnationaler und bedient rechtsextreme Narrative. Kürzlich schrieb er im rechten Magazin “Marianne”, das französische Volk schwebe in Lebensgefahr. Es werde von den Eliten übergangen, durch rasche Immigration finde eine Auswechslung der Völker statt.
Bardella schlägt in den Medien scharfe Töne an, Le Pen überlässt er die von ihr gewünschte Rolle einer fürsorglichen Landesmutter. Den Parteivorsitz sieht er als Le Pen nachgeordnete Position. “Ich werde den Posten des Armeechefs neben dem Kaiser haben”, sagte er kürzlich dem “Journal du Dimanche”.
Unter Le Pens Führung hat es Bardella innerhalb kürzester Zeit in der Partei nach ganz oben geschafft. Vom Parteisprecher und Leiter der Jugendorganisation zum Anführer der Liste für die Europawahl kletterte er auf den Posten des Parteivizes und wurde schließlich Interimspräsident. dpa
Er ist einer der drei wichtigsten Beamten, die für die EU auf der anstehenden Klimakonferenz verhandeln: Jacob Werksman reist als Berater für internationales Klimarecht mit Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans nach Sharm El-Sheikh. In der EU-Kommission ist er der Hauptberater für die internationalen Aspekte der europäischen Klimapolitik.
“Als ich in den späten 1980er-Jahren Jura studiert habe, gab es keinen Kurs in internationalem Umweltrecht”, sagt der US-Amerikaner. Nach dem Studium stößt er auf das “Center for International Environmental Law” (CIEL). Die Organisation berät damals Entwicklungsländer, die sich auf den Earth Summit 1992 in Rio de Janeiro vorbereiten. Werksman beginnt als Praktikant beim CIEL, anschließend bleibt er für zehn Jahre. “Meine Kollegen und ich gehörten zu den ersten Anwälten, die internationales Umweltrecht als eigene Disziplin ausführten”, sagt Werksman.
Er macht Station beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, bei der Rockefeller Foundation und dem World Resources Institute. Dann holt ihn Connie Hedegaard nach Dänemark, um die Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen vorzubereiten. Als Hedegaard EU-Kommissarin wird, wechselt Werksman mit ihr nach Brüssel.
Inzwischen arbeitet er für Timmermans. Auf der anstehenden Klimakonferenz in Ägypten ist Werksman einer von drei Chef-Unterhändlern der EU. Das heißt: Was in den technischen Ausschüssen nicht entschieden wird, landet auf seinem Tisch, bevor Timmermans auf der Ministerebene verhandelt. Für die Minister blieben meist nicht mehr viele Entscheidungen übrig, sagt Werksman. Wie viele bei ihm selbst landen? “Zu viele.”
In Ägypten erwartet Werksman keine bahnbrechenden, völlig neuen Ergebnisse. Anders als in Glasgow gebe es weniger konkrete Entscheidungen zu verhandeln. Es werde um Klimaanpassung gehen, um Schäden und Verluste und Finanzierung für besonders betroffene, ärmere Staaten. “Wir werden keine dieser Fragen vollständig lösen, aber es wird einen formalen Raum geben, um Lösungen zu finden und zu beschleunigen”, sagt Werksman.
Es ist die dritte EU-Kommission, für die Werksman arbeitet. Seine Arbeit hat sich geändert, seit es den Green Deal gibt: “Zum ersten Mal mussten wir nicht mehr bei den anderen Teilen der Kommission für Klimaschutz lobbyieren. Auf einmal wurden wir ständig um Rat gefragt”, sagt Werksman. Denn seitdem müsse sich die gesamte Kommission am Klimaschutz orientieren.
Für Werksman ist es auch eines der wichtigsten Beispiele dafür, wie sich international verhandelte Ziele auf regionaler und nationaler Ebene durchsetzen – so hat es der Experte für internationales Recht noch nie erlebt: “Ich glaube, von außen wurde nie richtig wertgeschätzt, wie revolutionär das war.” Jana Hemmersmeier