einem Comeback von Donald Trump steht nichts im Wege. Die Rede ist – zum Glück – nicht von der Rückkehr ins Weiße Haus, sondern auf die Online-Plattform Twitter. Bei einer Abstimmung hatte sich eine Mehrheit dafür ausgesprochen, Trump wieder Zugang zu seinem Konto zu verschaffen. Elon Musk respektiert den Willen der Mehrheit. Doch Trump zaudert. Gut möglich, dass er den Twitter-Diensten seit dem Chaos um das Häkchen nicht mehr traut. Ein Trump will schließlich selbst die Kontrolle haben über die Fake news, die unter seinem Namen verbreitet werden.
Auf den Schlafentzug in der durch verhandelten Nacht folgt der COP-27-Kater. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigt sich unzufrieden mit den dürren Ergebnissen in Sharm el-Sheikh. “Mit der COP27 wurde ein kleiner Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit getan, aber der Planet braucht noch viel mehr”, sagt sie. “Wir haben ein paar Symptome behandelt, aber den Patienten nicht von seinem Fieber geheilt.” Mein Kollege Lukas Scheid hat die letzte Nacht der Verhandlungen am Roten Meer durchgemacht und für uns die Ergebnisse aufgeschrieben.
Von Sharm el-Sheikh ins Weltall: Meine Kollegin Corinna Visser ist dem Deal nachgegangen, den die CO-Gesetzgeber der EU letzte Woche für ein satellitengestütztes sicheres Kommunikationsnetz geschnürt haben. Weltraum-Kommissar Thierry Breton hat 2,4 Milliarden Euro an Haushaltsmittel für Iris² locker gemacht und damit seinen Ruf als Macher untermauert: Die Einigung gelang in rekordverdächtigen neun Monaten.
Nicht Breton, sondern der Kommissar für den European Way of Life, Margaritis Schinas, fährt schon in der ersten Woche zur Fußball-WM nach Qatar. Falk Steiner hält in seiner Apéropa-Kolumne der EU-Politik vor, welches Testat er ihrem Umgang mit dem Kicker-Ereignis der Scheichs im Wüstensand gibt: erschütternd wenig glaubwürdig. Kommen Sie gut in die Woche.
Noch vor einer Woche – zur Halbzeit der COP27 – galt es als nahezu ausgeschlossen, dass es einen Fonds für “Loss & Damage” geben würde. Nun ist er beschlossen und soll im nächsten Jahr in Kraft treten. Es ist eine historische Entscheidung, denn Entwicklungsländer fordern seit 30 Jahren ein Finanzinstrument, das bei Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels greift. Ein wichtiger Durchbruch, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Die Bundesregierung habe maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die EU und andere Industrieländer für diesen Fonds erwärmen konnten.
Die Einigung zu Loss & Damage auf der COP27 beinhaltet:
In der Nacht zum Sonntag wurde noch gerungen, ob nur “besonders gefährdete” Entwicklungsländer oder alle Entwicklungsländer als Empfänger für Gelder aus den “Loss & Damage”-Finanzinstrumenten infrage kommen sollten. Eine Formulierung, die alle Entwicklungsländer vom Stand 1992 als Nehmerländer einstufte, wurde kurz vor dem Abschlussplenum der COP gestrichen.
Genauso umstritten war die Frage, wer die Gelder bereitstellen sollte. Die EU und später auch einige Inselstaaten pochten darauf, dass neue Finanzquellen aufgetan werden müssten – so weit, so vage. Die ursprüngliche EU-Forderung sah vor, dass die Gruppe der Geberländer erweitert wird. Somit hätten die mittlerweile wohlhabenden Schwellenländer wie China, Indien, Südkorea, Indonesien, Mexiko und die ölreichen Staaten ebenfalls in den Fonds zahlen müssen. “Die EU wollte China und die Golfstaaten zu Beitragszahlern machen – aber sie hatte am Schluss nicht den Mut für die notwendige Konfrontation”, analysiert David Ryfisch, Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei Germanwatch.
Die neue Formulierung schließt die Erweiterung der Beitragszahler zwar nicht aus, ist aber auch nicht besonders explizit. Es ist nun Aufgabe des Übergangsausschusses, neue Finanzierungsquellen für “Loss & Damage” vorzuschlagen. Bedeutet: Die Debatte, ob China als historisch zweitgrößter Emittent auch Verantwortung für den Schaden am Klima übernehmen muss, ist keineswegs beendet, sondern lediglich auf die COP28 verschoben.
Der Fahrplan zur weltweiten Treibhausgasreduktion war für die Europäer auf der COP von enormer Bedeutung. Es sollte ein ambitionierter Pfad zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels werden. Doch er fällt hinter die Erwartungen vieler zurück. “In Glasgow haben wir die 1,5 noch erhalten können. Bei dieser COP sind wir an einer Schnittstelle, wo wir sie verlieren könnten”, sagte Franz Perrez, Chefverhandler der Schweiz.
Das Arbeitsprogramm zur Treibhausgasminderung:
Die Industriestaaten hätten sich noch ambitioniertere Vorgaben gewünscht, die sie als Hauptemittenten auch selbst am ehesten hätten umsetzen müssen. Dabei wären auch noch weniger ambitionierte Vorgaben möglich gewesen: In einer früheren Version des Texts hieß es, dass das Arbeitsprogramm nicht zu höheren Klimazielen führen dürfe. Für die EU ein absolutes No go, was sie der ägyptischen COP-Präsidentschaft auch deutlich machte. Ohne höhere Klimaziele (NDCs) wäre das 1,5-Grad-Ziel außer Reichweite. Die EU setzte sich durch, doch die Frage ist, zu welchem Preis.
Der Preis könnte ein Kuhhandel gewesen sein, denn der Abschlusstext – Cover Decision genannt – fällt hinter Glasgow zurück und dürfte noch lange für schlechte Laune unter den europäischen Verhandlern sorgen.
In der Mantelentscheidung steht:
Besonders der letzte Punkt lässt viele Fragen offen, denn “emissionsarm” bedeutet auch Gas und Atomstrom. Aus dem Umfeld von EU-Klimakommissar Frans Timmermans hieß es am Sonntag zwar, dass lediglich Gas mit CO2-Abscheidung als “emissionsarm” gilt. David Ryfisch von Germanwatch schätzt jedoch, dass andere Länder die Formulierung anders interpretieren werden.
Es gibt jedoch auch positive Signale des “Sharm el-Sheikh Implementations Plan”. So wird der beschleunigte Ausbau von Erneuerbaren Energien in der Cover Decision auch in EU-Kreisen als Fortschritt gewertet. Viel wichtiger als das, was in der Cover Decision steht, ist das, was nicht drinsteht:
Eine Allianz von 80 Staaten (darunter auch die USA, Indien und die EU) hatten am Samstagabend nachdrücklich versucht, auf den in Glasgow gezeigten Ambitionen aufzubauen. Sie forderten explizit einen “Phase-out” aller fossilen Energieträger. Doch COP-Präsident Sameh Shoukry ignorierte den Vorstoß, da der Widerstand insbesondere aus den ölreichen Ländern wie Saudi-Arabien zu massiv war. Stattdessen legte die Präsidentschaft den nun beschlossenen Text zur “Friss oder stirb”-Abstimmung vor, sagt Christoph Bals. Am Schluss hat sich nach einer durchverhandelten Nacht um 7 Uhr morgens keines der 80 Ländern nochmal zum Protest erhoben.
Thierry Breton hat recht. Das ist rekordverdächtig. Nach nur neun Monaten Beratung haben sich Kommission, Rat und Parlament Ende vergangener Woche auf ein Programm der Union für eine sichere Konnektivität im Weltraum geeinigt. IRIS2 steht für Infrastructure for Resilience, Interconnectivity and Security by Satellite (Infrastruktur für Resilienz, Interkonnektivität und Sicherheit durch Satelliten). Und die Kommission hat auch ihren Teil der Finanzierung auf die Beine gestellt: 2,4 Milliarden Euro. So schnell kann es gehen, wenn ein Kommissar, ein Berichterstatter und ein Mitgliedstaat eine europäische Gesetzgebung pushen.
Mit IRIS2 verfolgt die Union zwei Ziele:
Damit wird auch deutlich, dass es in erster Linie darum geht, die staatlichen Bedürfnisse nach sicherer Kommunikation zu decken und nicht um günstiges Internet aus dem All für alle – wie es etwa der Schattenberichterstatter der Grünen/EFA, Niklas Nienaß, gefordert hatte. Der BDI begrüßt dagegen die Ausrichtung. Positiv sei, dass IRIS2 klar auf staatliche und militärische Bedarfe fokussiert sei und so eine Konkurrenz zu kommerziellen Anbietern und Crowding-Out-Effekte vermieden würden, schreibt Matthias Wachter, Raumfahrtexperte des BDI auf LinkdIn.
Die Franzosen, Kommissar Breton und Berichterstatter Christophe Grudler (Renew), verfolgten mutmaßlich auch eigene Ziele: die bestehende französische Raumfahrtindustrie – Airbus, Eutelsat – zu stärken. Diese Unternehmen sind prädestinierte Kandidaten, wenn es darum geht, Satelliten ins All zu schießen und dort Kommunikationsnetze aufzubauen. Das erklärt, warum die Franzosen das Projekt vorangetrieben haben.
Deutschlands Fokus liegt etwas anders. Deutschland geht es darum, abseits der etablierten Unternehmen und der Weltraumagenturen eine neue kommerzielle Weltraumwirtschaft (New Space) aufzubauen. KMU und Start-ups sollen Unternehmen wie Starlink Konkurrenz machen können. So schrieb Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem gemeinsamen Brief mit seinem italienischen Amtskollegen an Breton: “…und wir sehen die ergänzenden kommerziellen Möglichkeiten, die sich daraus für die europäische Raumfahrtindustrie im gegenwärtigen Klima des verschärften weltweiten Wettbewerbs ergeben könnten.” New Space könne der Schlüssel für Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren, Industrie 4.0 oder schnelles weltumspannendes Internet sein, ist etwa der BDI überzeugt.
Es gibt noch weitere Gründe, warum Breton aufs Tempo gedrückt hat. Wenn der Plan aufgeht, dass die ersten In-Orbit-Services der Kommission 2024 online gehen, dann wird Breton selbst sie noch in Betrieb nehmen können. Daneben gibt es aber auch gewichtigere Gründe:
Nicht zuletzt soll IRIS2 auch ein Konjunkturprogram für die europäische Weltraumwirtschaft werden. “In dem sich schnell verändernden Markt ist es wichtig, dass sich die europäische Weltraumwirtschaft zügig entwickelt”, sagt Niklas Nienaß. Insgesamt belaufen sich die geschätzten Kosten für die Satellitenkonstellation im All auf rund 6,5 Milliarden Euro.
Neben den 2,4 Milliarden von der EU soll der Rest des Geldes von der europäischen Weltraumorganisation (ESA) und deren Mitgliedstaaten kommen. Auch deswegen war Eile geboten. Denn auf der ESA-Ministerratstagung CM22, die am 22. und 23. November in Paris stattfindet, entscheiden die 22 Mitgliedstaaten über das Budget für die kommenden Jahre. Geplant ist nach Angaben von Nienaß auch, dass die ESA ein zusätzliches Programm auflegt, das auf IRIS2 aufsattelt, um weitere Services anzubieten, zum Beispiel Internet aus dem mittleren Erdorbit.
Die größten Streitpunkte, sagt Nienaß, habe es bei den Verhandlungen darüber gegeben, welche Rolle die ESA und die EUSPA in der Umsetzung des Projektes spielen werden. Denn während zur ESA auch Länder wie die Schweiz, Norwegen und Großbritannien gehören, ist die EUSPA die Weltraumorganisation der EU. “Wir haben den Kompromiss durchgesetzt, dass beide beteiligt werden”, sagt Nienaß.
Das ist von entscheidender Bedeutung. Denn wenn für IRIS2 nur von EU-Territorium aus Raketen ins All geschossen werden dürften, käme nur der 5000 Kilometer entfernte Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana in Betracht, der von der französischen Raumfahrtagentur CNES betrieben wird. Dort starten die Ariane- und Vega-Raketen.
Für den Transport von Klein-Satelliten, die an der Schnittstelle zwischen Navigation, Kommunikation, Erdbeobachtung und Digitalisierung zahlreiche neue Geschäftsmodelle ermöglichen, sind jedoch keine schweren Trägerraketen wie die Ariane notwendig. Gebraucht werden vielmehr Microlauncher, die weiter nördlich starten. Die ESA-Mitglieder Norwegen und Schottland arbeiten daran.
Aber auch in Deutschland ist ein privates Konsortium aktiv. Es plant, Microlaucher von Bord eines Spezialschiffes in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee zu starten. An der German Offshore Spaceport Alliance ist unter anderem das deutsche Raumfahrtunternehmen OHB beteiligt.
Und da in den kommenden Jahren mehr Satelliten ins All geschossen werden als je zuvor, war den Grünen noch ein anderer Aspekt wichtig: “Wir haben Nachhaltigkeitskriterien eingebracht, die jeder, der mitmachen will, einhalten muss.” Diese Kriterien sind:
Die Kommission sei nun aufgefordert, diese Kriterien in einem weiteren Rechtsakt zu konkretisieren. Nienaß sieht darin die ersten Schritte für ein Space-Traffic-Management-System – und für ein internationales Weltraumgesetz. In jedem Fall für ein europäisches Weltraumgesetz. Das gilt dann für alle, die in der EU Services aus dem All anbieten wollen.
Die im Trilog erzielte politische Einigung muss noch vom Europäischen Parlament und vom Rat förmlich verabschiedet werden.
Die EU hat kein Mandat, um am 22. November über die Modernisierung des Energiechartavertrags abzustimmen. Beim Votum im Ausschuss der ständigen Vertreter letzten Freitag konnte keine qualifizierte Mehrheit erreicht werden. Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande haben sich enthalten. Demnach kann die EU der Modernisierung des Vertrages auf der für Dienstag angesetzten Energiecharta-Konferenz in der Mongolei nicht zustimmen.
Das Ergebnis war abzusehen. Die Abstimmung im Ausschuss der ständigen Vertreter sollte eigentlich bereits am Mittwoch stattfinden, wurde aber im letzten Moment von der Tagesordnung genommen. Dies als klar wurde, dass es zu einer Sperrminorität kommen könnte. In den letzten Monaten haben immer mehr EU-Staaten ihren Austritt aus der Charta beschlossen. Die Bundesregierung hat erst vor einer Woche entschieden, die Energiecharta zu verlassen.
Die EU-Kommission will die Abstimmung über die Modernisierung der Energiecharta nun verschieben. Sie bemüht sich darum, dass die Abstimmung von der Tagesordnung der ECT-Konferenz am 22. November genommen wird. “Die Mitgliedstaaten könne nicht einzeln abstimmen, wenn es keine EU-Position gibt. Es gäbe kein Quorum”, so ein Diplomat im Gespräch mit Europe.Table.
Differenzierter sieht das die Expertin für öffentliches EU-Recht, Christina Eckes. Bei gemischten Verträgen müsse in Ermanglung eines Ratsbeschlusses jedes EU-Mitglied einzeln abstimmen. Doch unter EU-Recht habe man es dann mit einer Verletzung der Kompetenzrechte zu tun. Das Kernproblem der Energiecharta, die ausländischen Direktinvestitionen, fallen unter die Kompetenz der EU. “Die Reform der Energiecharta ist ein Beispiel dafür, wieso die gemischte Mitgliedschaft in Verträgen so schwierig ist”, sagt Eckes.
Derweil werden die Forderungen eines EU-Austrittes aus der Energiecharta immer lauter. Mit der Abstimmung am Freitag sei “der Klimakiller-Vertrag nun auch auf EU-Ebene endgültig gescheitert. Wir fordern die EU-Kommission auf, sofort den Ausstieg einzuleiten!”, schreibt das Umweltinstitut München in einer Pressemitteilung.
Genauso sieht es die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen): “Dieser klimaschädliche Knebelvertrag kann nicht mehr gerettet werden. Auch die EU muss nun endlich aussteigen.” Seit letzter Woche kursiert bereits ein Brief, in dem Abgeordnete von den Grünen, Renew, S&D und den Linken die EU-Kommission auffordern, aus der Charta auszutreten. Am kommenden Donnerstag stimmt das EU-Parlament über eine Erschließung zur Modernisierung der Charta ab. CDU/CSU und EVP heißen die ECT-Reform gut.
Am Freitagnachmittag hat mit Luxemburg weiteres Land seinen Austritt aus der Energiecharta angekündigt. “Auch wenn mit der Modernisierung ein paar Fortschritte erzielt wurden, ist der Vertrag immer noch nicht mit den Zielen der Pariser Klimakonferenz vereinbar. Die Charta schützt weiterhin Investitionen in fossile Energien und Atomenergie”, kritisiert der grüne Energieminister Claude Turmes.
Nichtsdestotrotz hat Luxemburg im Ausschuss der ständigen Vertreter dafür gestimmt, dem Reformtext zuzustimmen. “Unsere juristische Analyse besagt, dass wir dann mit einer auf zehn Jahre verkürzten Verfallsklausel austreten können”, heißt es aus dem Energieministerium. cw
Die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten haben sich am Freitag auf neue Vorgaben für das Ökodesign von Smartphones und Tablets geeinigt. Diese sollen die Umweltauswirkungen der Gerätegruppen durch ein nachhaltigeres Produktdesign mindern: Einzelteile wie Akkus und Bildschirme sollen robuster und leichter austauschbar, Software-Updates länger und kostenlos verfügbar und Ersatzteile länger und leichter erhältlich sein. Erstmals sollen Hersteller auch Informationen über die verwendeten Rohstoffe offenlegen.
Die Verordnung ist Teil des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft 2020. Anfang September hatte die Kommission jeweils einen ersten Entwurf für neue Ökodesign-Vorgaben sowie für ein Reparatur- und Energielabel für Mobiltelefone, Smartphones und Tablets veröffentlicht (Europe.Table berichtete). Diese standen bis Ende September für eine öffentliche Konsultation zur Verfügung, die Kommission will die Verordnungen noch vor Jahresende verabschieden. Die Vorgaben würden dann im kommenden Jahr in Kraft treten und nach einer Übergangszeit von 21 Monaten für alle in der EU verkauften Geräte gelten.
Die “Right to Repair”-Kampagne, ein Bündnis aus über 100 europäischen Organisationen, sieht in dem Entwurf wesentliche Lücken. In einem offenen Brief an ein Expertengremium der Mitgliedstaaten fordert das Bündnis unter anderem, die Preise der Ersatzteile zu begrenzen und diese auch als Faktor in das geplante Reparaturlabel einzubinden. “Der Preis ist zurzeit eine der größten Hürden, wenn es darum geht, dass ein Produkt nicht nur repariert werden kann, sondern auch tatsächlich repariert wird”, heißt es in dem Schreiben. leo
Die Diskussion geht weiter. Zwar haben die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat dem Vorschlag der Ratspräsidentschaft für eine Allgemeine Ausrichtung zum AI Act am Freitag zugestimmt, auch Deutschland. Allerdings ist das – aus deutscher Sicht – noch nicht das letzte Wort. Es gebe noch einige Detailanpassungen, von denen Deutschland hoffe, dass sie im weiteren Prozess berücksichtigt werden können, ist in Brüssel zu hören.
Aus Berliner Regierungskreisen heißt es, Deutschland habe bei seiner Zustimmung am Freitag auf seine letzte Stellungnahme vom 8. November verwiesen. Darin steht, Deutschland danke der Ratspräsidentschaft für die Anpassungen der einzelnen Artikel an die von Deutschland geforderte “stärkere Berücksichtigung der Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung, insbesondere in den Bereichen Sicherheit und Migration”. Dennoch sehe Deutschland weiteren Anpassungsbedarf. “Insbesondere sind wir der Meinung, dass die Anforderungen an die Geheimhaltung und die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Datensicherheit in Artikel 70 präzisiert werden sollten.”
Und offenbar ist auch der Punkt biometrische Massenüberwachung noch nicht ganz ausdiskutiert. “Wir halten uns klar an den Wortlaut im Koalitionsvertrag”, heißt es aus den Regierungskreisen. Das Wort “biometrisch” kommt im Koalitionsvertrag nur zweimal vor. Die entsprechenden Passagen lassen Interpretationen zu.
An der einen Stelle heißt es: “Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme durch KI sind europarechtlich auszuschließen.” Dies bedeute nicht, dass diese Systeme “ausnahmslos” ausgeschlossen sein müssten, heißt es in Regierungskreisen.
An anderer Stelle steht: “Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab.” Überwachung bedeute aber nicht, dass die biometrische Erfassung nicht zu Strafverfolgungszwecken und zum Auffinden vermisster Kinder genutzt werden dürfe. vis
Die Europäische Kommission hat Anti-Dumping-Zölle auf chinesische und brasilianische Importe von zinnfreiem Stahl festgezurrt. Diese Art von beschichtetem Stahl – auf Englisch “electrolytic chromium coated steel” oder kurz ECCS – wird unter anderem in Getränkedosen und Haushaltsgeräten verwendet. Die Produkte würden innerhalb der EU zu unangemessen niedrigen Preisen verkauft, was den europäischen Herstellern schade, teilte die Brüsseler Behörde mit. Der chinesische zinnfreie Stahl sei mit Spannen zwischen 30,7 und 77,9 Prozent gedumpt, schätzten die EU-Beamten. Um dem entgegenzuwirken, genehmigte die Kommission nun Zölle in Höhe von 239 Euro bis 607 Euro pro Tonne importierten zinnfreien Stahls.
Der EU-Markt für zinnfreien Stahl wird nach Angaben der Kommission auf fast 500 Millionen Euro geschätzt. Die EU-Kommission hatte im September 2021 mit der Überprüfung der Einfuhren von zinnfreiem Stahl aus China und Brasilien begonnen, nachdem sie eine Beschwerde der European Steel Association erhalten hatte. Die EU hat bereits Schutzzölle gegen eine Reihe ausländischer Metallimporte, einschließlich zinnfreiem Stahl, eingeführt. ari
Anschaffung und Unterhalt schwimmender Flüssigerdgas-Terminals kosten Deutschland mindestens dreieinhalb Milliarden Euro mehr als geplant. Insgesamt seien derzeit rund 6,56 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln vorgesehen, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium am Sonntag. Im Haushalt für 2022 seien noch 2,94 Milliarden Euro veranschlagt worden. Die Erhöhung sei “aufgrund der sich dynamisch entwickelnden Situation notwendig”, hieß es. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat gerade erst zusätzliches Geld für die Terminals bewilligt. rtr
Die EU-Kommission will die Medienfreiheit in Europa retten – mit einer europäischen Aufsichtsbehörde. Finde den Fehler.
Aber von vorne. Seit Jahren gibt es in einigen Mitgliedstaaten der EU einen Rückgang der Pressefreiheit. Insbesondere, aber nicht nur, in Ungarn und in Polen stehen unabhängige Medien unter Druck. Der Rule of Law Report und der Media Pluralism Monitor der EU kommen zu dem Schluss, dass die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien in der EU in Gefahr ist.
Es gibt also Handlungsbedarf. Die EU-Kommission wählt als Reaktion dafür einen Weg, der das Gegenteil des Nötigen erreichen wird. Statt jenen Staaten, die Medienfreiheit nicht gewährleisten, mit den vorhandenen durchaus scharfen Werkzeugen des EU-Rechts zu begegnen, soll ein Regulierungskorsett für Medien überall in Europa geschnürt werden. Nicht nur aus Deutschland kommt darum Kritik an dem Verordnungsvorschlag, den die Kommission im September vorgelegt hat. Der Entwurf sei ein “kompetenzüberschreitender Eingriff” in die Kultur- und Medienhoheit der EU-Staaten, sagte Staatssekretärin Heike Raab auf den Medientagen in München zurecht. Im Bundesrat wird eine Subsidiaritätsrüge diskutiert. Die deutschen Presseverlage befürchten “politische Vereinnahmung”.
In ihrer Rede zur Lage der Union hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen 2021 den European Media Freedom Act (EMFA) groß angekündigt und versprochen, der Vorschlag solle ein Jahr später veröffentlicht werden. Im Medienumfeld hat das Vorhaben große Fragezeichen aufgeworfen. Medienregulierung auf europäischer Ebene kommt einer Art Tabubruch gleich. Denn bisher hatte die EU sich nicht über eine Regulierung des auf mitgliedstaatlicher Ebene ohnehin bereits intensiv reglementierten Rundfunks hinausgewagt. Aus gutem Grund: eine Zuständigkeit der EU für Medien und insbesondere die Presse ist in den Verträgen schlichtweg nicht vorgesehen. Im Gegenteil, die Mitgliedstaaten haben das höchstempfindliche Feld der Medienpolitik stets als ihre alleinige Zuständigkeit verstanden. Der EMFA stellt also einen Paradigmenwechsel dar.
Der Aufruhr in Deutschland ist schon darum gut zu verstehen. Aber auch der Inhalt des Kommissionsvorschlags bietet medienpolitischen Sprengstoff. Insbesondere die Pläne zur Schaffung des “Gremiums”, einer Art europäischen Medienaufsichtsbehörde, brechen mit zentralen Grundsätzen der Pressefreiheit. Denn nicht nur soll diese Behörde, die aus dem Zusammenschluss der nationalen Medienaufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten entstehen soll, auch für die Presse zuständig sein. Die EU-Kommission selbst soll gleich noch die Führung dieser Einrichtung übernehmen. Für die Presse, die in der modernen Demokratie aus gutem Grund für ihre Inhalte allein vor Gesetz und Richter verantwortlich ist, ein Affront.
Das Gremium würde aber nicht nur bedeuten, dass die Presse in Europa erstmals unter behördliche Aufsicht gestellt würde, sondern auch, dass einige von der EU-Kommission kritisch betrachtete Länder zukünftig auch Befugnisse für die gesamte europäische Medienlandschaft erhalten. So würden etwa die ungarischen und polnischen Medienaufsichtsbehörden zukünftig auch bei der Regulierung deutscher Medien am Tisch sitzen. Daraus wird ein wesentlicher Fehler des Gesamtvorhabens deutlich: Die unterschiedlichen Medienlandschaften Europas, die durch sprachliche, kulturelle und demografische Unterschiede geprägt sind, lassen sich nicht über einen Kamm scheren.
Die immensen Probleme in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten müssen gelöst werden, das steht außer Frage. Aber eine europäische Medienregulierung ist hier mit Sicherheit nicht der richtige Weg. Gerade wenn es eben darum geht, die Freiheit und Vielfalt der Medien zu schützen, kann die Politik es sich nicht erlauben, übergriffig zu werden. Weder die Kommission noch die Regierungen der Mitgliedstaaten haben ihre politischen Handlungsmöglichkeiten bislang erschöpft.
Die Kommission stellt den European Media Freedom Act gerne als letzte Chance für eine Kehrtwende dar, aber das kann in Anbetracht des ehrgeizlosen Handelns der EU und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in ihren eigenen Reihen schlichtweg nicht zugelassen werden. Augen auf bei der Wahl der Werkzeuge. Die EU darf die Medienfreiheit nicht dort untergraben, wo sie noch Bestand hat.
Wie verlogen ist die europäische Kritik an der Fußballweltmeisterschaft in Qatar? Hat FIFA-Boss Gianni Infantino gar recht, wenn er den Kritikern Scheinheiligkeit vorwirft?
Sport und Politik pflegen schon lange eine komplizierte Beziehung. Dass Sportveranstaltungen unpolitisch seien, ist schon seit der Antike eine glatte Lüge. In der modernen Sportgeschichte gibt es viele Beispiele – die Blockkonfrontationsboykotte bei Olympia in Moskau 1980 und Los Angeles 1984, natürlich auch Olympia 1936 in Berlin. Auch die Fußball-WM 2018 in Russland – vier Jahre nach dem Angriff auf Krim und die Ostukraine, die Winterspiele in Peking 2022 und die Sommerspiele 2008 ebenda. Sport und Politik sind eng verbunden, ob bei Kabinenbesuchen oder beim Versuch, unpopuläre Gesetzesvorhaben während großer Sportwettkämpfe abzuräumen.
Wenn das Parlament am heutigen Montag die Menschenrechtssituation in Qatar auf die Plenaragenda hebt, ist die Wirkung für die Arbeiter vor Ort absehbar klein. Die erhoffte Medienpräsenz für das EP hingegen groß. Auch das ist wenig mehr als eine Anbiederung an König Fußball – eine politische Schwalbe. Der Vorgang könnte wenigstens etwas glaubwürdiger sein, würde nicht halb Europa derzeit bei den Scheichs auf der Suche nach Flüssiggas im Fanblock stehen. Aber Menschenrechte interessieren in der EU größere Kreise eben doch vor allem dann, wenn sie auf die eigene Wahrnehmung einzahlen. EP-Präsidentin Roberta Metsola, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel hegen bislang demonstrativ keine Reisepläne – während der belgische König sich einen Besuch wohl kaum wird verkneifen können.
Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas formulierte es prägnant: “The power of football is the power of the people of Europe.” Da passt es, dass ausgerechnet er in Doha die EU-Kommission repräsentiert. Schinas bescheinigte dem Gastgeber Qatar am Wochenende gleich präventiv, “beträchtlichen und spürbaren Fortschritt” bei den Arbeiterrechten vollzogen zu haben – vollständig kritikfrei. Was in diesem Fall dann wohl als Eingeständnis europäischer Machtlosigkeit zu verstehen ist.
einem Comeback von Donald Trump steht nichts im Wege. Die Rede ist – zum Glück – nicht von der Rückkehr ins Weiße Haus, sondern auf die Online-Plattform Twitter. Bei einer Abstimmung hatte sich eine Mehrheit dafür ausgesprochen, Trump wieder Zugang zu seinem Konto zu verschaffen. Elon Musk respektiert den Willen der Mehrheit. Doch Trump zaudert. Gut möglich, dass er den Twitter-Diensten seit dem Chaos um das Häkchen nicht mehr traut. Ein Trump will schließlich selbst die Kontrolle haben über die Fake news, die unter seinem Namen verbreitet werden.
Auf den Schlafentzug in der durch verhandelten Nacht folgt der COP-27-Kater. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigt sich unzufrieden mit den dürren Ergebnissen in Sharm el-Sheikh. “Mit der COP27 wurde ein kleiner Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit getan, aber der Planet braucht noch viel mehr”, sagt sie. “Wir haben ein paar Symptome behandelt, aber den Patienten nicht von seinem Fieber geheilt.” Mein Kollege Lukas Scheid hat die letzte Nacht der Verhandlungen am Roten Meer durchgemacht und für uns die Ergebnisse aufgeschrieben.
Von Sharm el-Sheikh ins Weltall: Meine Kollegin Corinna Visser ist dem Deal nachgegangen, den die CO-Gesetzgeber der EU letzte Woche für ein satellitengestütztes sicheres Kommunikationsnetz geschnürt haben. Weltraum-Kommissar Thierry Breton hat 2,4 Milliarden Euro an Haushaltsmittel für Iris² locker gemacht und damit seinen Ruf als Macher untermauert: Die Einigung gelang in rekordverdächtigen neun Monaten.
Nicht Breton, sondern der Kommissar für den European Way of Life, Margaritis Schinas, fährt schon in der ersten Woche zur Fußball-WM nach Qatar. Falk Steiner hält in seiner Apéropa-Kolumne der EU-Politik vor, welches Testat er ihrem Umgang mit dem Kicker-Ereignis der Scheichs im Wüstensand gibt: erschütternd wenig glaubwürdig. Kommen Sie gut in die Woche.
Noch vor einer Woche – zur Halbzeit der COP27 – galt es als nahezu ausgeschlossen, dass es einen Fonds für “Loss & Damage” geben würde. Nun ist er beschlossen und soll im nächsten Jahr in Kraft treten. Es ist eine historische Entscheidung, denn Entwicklungsländer fordern seit 30 Jahren ein Finanzinstrument, das bei Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels greift. Ein wichtiger Durchbruch, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Die Bundesregierung habe maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die EU und andere Industrieländer für diesen Fonds erwärmen konnten.
Die Einigung zu Loss & Damage auf der COP27 beinhaltet:
In der Nacht zum Sonntag wurde noch gerungen, ob nur “besonders gefährdete” Entwicklungsländer oder alle Entwicklungsländer als Empfänger für Gelder aus den “Loss & Damage”-Finanzinstrumenten infrage kommen sollten. Eine Formulierung, die alle Entwicklungsländer vom Stand 1992 als Nehmerländer einstufte, wurde kurz vor dem Abschlussplenum der COP gestrichen.
Genauso umstritten war die Frage, wer die Gelder bereitstellen sollte. Die EU und später auch einige Inselstaaten pochten darauf, dass neue Finanzquellen aufgetan werden müssten – so weit, so vage. Die ursprüngliche EU-Forderung sah vor, dass die Gruppe der Geberländer erweitert wird. Somit hätten die mittlerweile wohlhabenden Schwellenländer wie China, Indien, Südkorea, Indonesien, Mexiko und die ölreichen Staaten ebenfalls in den Fonds zahlen müssen. “Die EU wollte China und die Golfstaaten zu Beitragszahlern machen – aber sie hatte am Schluss nicht den Mut für die notwendige Konfrontation”, analysiert David Ryfisch, Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei Germanwatch.
Die neue Formulierung schließt die Erweiterung der Beitragszahler zwar nicht aus, ist aber auch nicht besonders explizit. Es ist nun Aufgabe des Übergangsausschusses, neue Finanzierungsquellen für “Loss & Damage” vorzuschlagen. Bedeutet: Die Debatte, ob China als historisch zweitgrößter Emittent auch Verantwortung für den Schaden am Klima übernehmen muss, ist keineswegs beendet, sondern lediglich auf die COP28 verschoben.
Der Fahrplan zur weltweiten Treibhausgasreduktion war für die Europäer auf der COP von enormer Bedeutung. Es sollte ein ambitionierter Pfad zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels werden. Doch er fällt hinter die Erwartungen vieler zurück. “In Glasgow haben wir die 1,5 noch erhalten können. Bei dieser COP sind wir an einer Schnittstelle, wo wir sie verlieren könnten”, sagte Franz Perrez, Chefverhandler der Schweiz.
Das Arbeitsprogramm zur Treibhausgasminderung:
Die Industriestaaten hätten sich noch ambitioniertere Vorgaben gewünscht, die sie als Hauptemittenten auch selbst am ehesten hätten umsetzen müssen. Dabei wären auch noch weniger ambitionierte Vorgaben möglich gewesen: In einer früheren Version des Texts hieß es, dass das Arbeitsprogramm nicht zu höheren Klimazielen führen dürfe. Für die EU ein absolutes No go, was sie der ägyptischen COP-Präsidentschaft auch deutlich machte. Ohne höhere Klimaziele (NDCs) wäre das 1,5-Grad-Ziel außer Reichweite. Die EU setzte sich durch, doch die Frage ist, zu welchem Preis.
Der Preis könnte ein Kuhhandel gewesen sein, denn der Abschlusstext – Cover Decision genannt – fällt hinter Glasgow zurück und dürfte noch lange für schlechte Laune unter den europäischen Verhandlern sorgen.
In der Mantelentscheidung steht:
Besonders der letzte Punkt lässt viele Fragen offen, denn “emissionsarm” bedeutet auch Gas und Atomstrom. Aus dem Umfeld von EU-Klimakommissar Frans Timmermans hieß es am Sonntag zwar, dass lediglich Gas mit CO2-Abscheidung als “emissionsarm” gilt. David Ryfisch von Germanwatch schätzt jedoch, dass andere Länder die Formulierung anders interpretieren werden.
Es gibt jedoch auch positive Signale des “Sharm el-Sheikh Implementations Plan”. So wird der beschleunigte Ausbau von Erneuerbaren Energien in der Cover Decision auch in EU-Kreisen als Fortschritt gewertet. Viel wichtiger als das, was in der Cover Decision steht, ist das, was nicht drinsteht:
Eine Allianz von 80 Staaten (darunter auch die USA, Indien und die EU) hatten am Samstagabend nachdrücklich versucht, auf den in Glasgow gezeigten Ambitionen aufzubauen. Sie forderten explizit einen “Phase-out” aller fossilen Energieträger. Doch COP-Präsident Sameh Shoukry ignorierte den Vorstoß, da der Widerstand insbesondere aus den ölreichen Ländern wie Saudi-Arabien zu massiv war. Stattdessen legte die Präsidentschaft den nun beschlossenen Text zur “Friss oder stirb”-Abstimmung vor, sagt Christoph Bals. Am Schluss hat sich nach einer durchverhandelten Nacht um 7 Uhr morgens keines der 80 Ländern nochmal zum Protest erhoben.
Thierry Breton hat recht. Das ist rekordverdächtig. Nach nur neun Monaten Beratung haben sich Kommission, Rat und Parlament Ende vergangener Woche auf ein Programm der Union für eine sichere Konnektivität im Weltraum geeinigt. IRIS2 steht für Infrastructure for Resilience, Interconnectivity and Security by Satellite (Infrastruktur für Resilienz, Interkonnektivität und Sicherheit durch Satelliten). Und die Kommission hat auch ihren Teil der Finanzierung auf die Beine gestellt: 2,4 Milliarden Euro. So schnell kann es gehen, wenn ein Kommissar, ein Berichterstatter und ein Mitgliedstaat eine europäische Gesetzgebung pushen.
Mit IRIS2 verfolgt die Union zwei Ziele:
Damit wird auch deutlich, dass es in erster Linie darum geht, die staatlichen Bedürfnisse nach sicherer Kommunikation zu decken und nicht um günstiges Internet aus dem All für alle – wie es etwa der Schattenberichterstatter der Grünen/EFA, Niklas Nienaß, gefordert hatte. Der BDI begrüßt dagegen die Ausrichtung. Positiv sei, dass IRIS2 klar auf staatliche und militärische Bedarfe fokussiert sei und so eine Konkurrenz zu kommerziellen Anbietern und Crowding-Out-Effekte vermieden würden, schreibt Matthias Wachter, Raumfahrtexperte des BDI auf LinkdIn.
Die Franzosen, Kommissar Breton und Berichterstatter Christophe Grudler (Renew), verfolgten mutmaßlich auch eigene Ziele: die bestehende französische Raumfahrtindustrie – Airbus, Eutelsat – zu stärken. Diese Unternehmen sind prädestinierte Kandidaten, wenn es darum geht, Satelliten ins All zu schießen und dort Kommunikationsnetze aufzubauen. Das erklärt, warum die Franzosen das Projekt vorangetrieben haben.
Deutschlands Fokus liegt etwas anders. Deutschland geht es darum, abseits der etablierten Unternehmen und der Weltraumagenturen eine neue kommerzielle Weltraumwirtschaft (New Space) aufzubauen. KMU und Start-ups sollen Unternehmen wie Starlink Konkurrenz machen können. So schrieb Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem gemeinsamen Brief mit seinem italienischen Amtskollegen an Breton: “…und wir sehen die ergänzenden kommerziellen Möglichkeiten, die sich daraus für die europäische Raumfahrtindustrie im gegenwärtigen Klima des verschärften weltweiten Wettbewerbs ergeben könnten.” New Space könne der Schlüssel für Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren, Industrie 4.0 oder schnelles weltumspannendes Internet sein, ist etwa der BDI überzeugt.
Es gibt noch weitere Gründe, warum Breton aufs Tempo gedrückt hat. Wenn der Plan aufgeht, dass die ersten In-Orbit-Services der Kommission 2024 online gehen, dann wird Breton selbst sie noch in Betrieb nehmen können. Daneben gibt es aber auch gewichtigere Gründe:
Nicht zuletzt soll IRIS2 auch ein Konjunkturprogram für die europäische Weltraumwirtschaft werden. “In dem sich schnell verändernden Markt ist es wichtig, dass sich die europäische Weltraumwirtschaft zügig entwickelt”, sagt Niklas Nienaß. Insgesamt belaufen sich die geschätzten Kosten für die Satellitenkonstellation im All auf rund 6,5 Milliarden Euro.
Neben den 2,4 Milliarden von der EU soll der Rest des Geldes von der europäischen Weltraumorganisation (ESA) und deren Mitgliedstaaten kommen. Auch deswegen war Eile geboten. Denn auf der ESA-Ministerratstagung CM22, die am 22. und 23. November in Paris stattfindet, entscheiden die 22 Mitgliedstaaten über das Budget für die kommenden Jahre. Geplant ist nach Angaben von Nienaß auch, dass die ESA ein zusätzliches Programm auflegt, das auf IRIS2 aufsattelt, um weitere Services anzubieten, zum Beispiel Internet aus dem mittleren Erdorbit.
Die größten Streitpunkte, sagt Nienaß, habe es bei den Verhandlungen darüber gegeben, welche Rolle die ESA und die EUSPA in der Umsetzung des Projektes spielen werden. Denn während zur ESA auch Länder wie die Schweiz, Norwegen und Großbritannien gehören, ist die EUSPA die Weltraumorganisation der EU. “Wir haben den Kompromiss durchgesetzt, dass beide beteiligt werden”, sagt Nienaß.
Das ist von entscheidender Bedeutung. Denn wenn für IRIS2 nur von EU-Territorium aus Raketen ins All geschossen werden dürften, käme nur der 5000 Kilometer entfernte Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana in Betracht, der von der französischen Raumfahrtagentur CNES betrieben wird. Dort starten die Ariane- und Vega-Raketen.
Für den Transport von Klein-Satelliten, die an der Schnittstelle zwischen Navigation, Kommunikation, Erdbeobachtung und Digitalisierung zahlreiche neue Geschäftsmodelle ermöglichen, sind jedoch keine schweren Trägerraketen wie die Ariane notwendig. Gebraucht werden vielmehr Microlauncher, die weiter nördlich starten. Die ESA-Mitglieder Norwegen und Schottland arbeiten daran.
Aber auch in Deutschland ist ein privates Konsortium aktiv. Es plant, Microlaucher von Bord eines Spezialschiffes in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee zu starten. An der German Offshore Spaceport Alliance ist unter anderem das deutsche Raumfahrtunternehmen OHB beteiligt.
Und da in den kommenden Jahren mehr Satelliten ins All geschossen werden als je zuvor, war den Grünen noch ein anderer Aspekt wichtig: “Wir haben Nachhaltigkeitskriterien eingebracht, die jeder, der mitmachen will, einhalten muss.” Diese Kriterien sind:
Die Kommission sei nun aufgefordert, diese Kriterien in einem weiteren Rechtsakt zu konkretisieren. Nienaß sieht darin die ersten Schritte für ein Space-Traffic-Management-System – und für ein internationales Weltraumgesetz. In jedem Fall für ein europäisches Weltraumgesetz. Das gilt dann für alle, die in der EU Services aus dem All anbieten wollen.
Die im Trilog erzielte politische Einigung muss noch vom Europäischen Parlament und vom Rat förmlich verabschiedet werden.
Die EU hat kein Mandat, um am 22. November über die Modernisierung des Energiechartavertrags abzustimmen. Beim Votum im Ausschuss der ständigen Vertreter letzten Freitag konnte keine qualifizierte Mehrheit erreicht werden. Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande haben sich enthalten. Demnach kann die EU der Modernisierung des Vertrages auf der für Dienstag angesetzten Energiecharta-Konferenz in der Mongolei nicht zustimmen.
Das Ergebnis war abzusehen. Die Abstimmung im Ausschuss der ständigen Vertreter sollte eigentlich bereits am Mittwoch stattfinden, wurde aber im letzten Moment von der Tagesordnung genommen. Dies als klar wurde, dass es zu einer Sperrminorität kommen könnte. In den letzten Monaten haben immer mehr EU-Staaten ihren Austritt aus der Charta beschlossen. Die Bundesregierung hat erst vor einer Woche entschieden, die Energiecharta zu verlassen.
Die EU-Kommission will die Abstimmung über die Modernisierung der Energiecharta nun verschieben. Sie bemüht sich darum, dass die Abstimmung von der Tagesordnung der ECT-Konferenz am 22. November genommen wird. “Die Mitgliedstaaten könne nicht einzeln abstimmen, wenn es keine EU-Position gibt. Es gäbe kein Quorum”, so ein Diplomat im Gespräch mit Europe.Table.
Differenzierter sieht das die Expertin für öffentliches EU-Recht, Christina Eckes. Bei gemischten Verträgen müsse in Ermanglung eines Ratsbeschlusses jedes EU-Mitglied einzeln abstimmen. Doch unter EU-Recht habe man es dann mit einer Verletzung der Kompetenzrechte zu tun. Das Kernproblem der Energiecharta, die ausländischen Direktinvestitionen, fallen unter die Kompetenz der EU. “Die Reform der Energiecharta ist ein Beispiel dafür, wieso die gemischte Mitgliedschaft in Verträgen so schwierig ist”, sagt Eckes.
Derweil werden die Forderungen eines EU-Austrittes aus der Energiecharta immer lauter. Mit der Abstimmung am Freitag sei “der Klimakiller-Vertrag nun auch auf EU-Ebene endgültig gescheitert. Wir fordern die EU-Kommission auf, sofort den Ausstieg einzuleiten!”, schreibt das Umweltinstitut München in einer Pressemitteilung.
Genauso sieht es die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen): “Dieser klimaschädliche Knebelvertrag kann nicht mehr gerettet werden. Auch die EU muss nun endlich aussteigen.” Seit letzter Woche kursiert bereits ein Brief, in dem Abgeordnete von den Grünen, Renew, S&D und den Linken die EU-Kommission auffordern, aus der Charta auszutreten. Am kommenden Donnerstag stimmt das EU-Parlament über eine Erschließung zur Modernisierung der Charta ab. CDU/CSU und EVP heißen die ECT-Reform gut.
Am Freitagnachmittag hat mit Luxemburg weiteres Land seinen Austritt aus der Energiecharta angekündigt. “Auch wenn mit der Modernisierung ein paar Fortschritte erzielt wurden, ist der Vertrag immer noch nicht mit den Zielen der Pariser Klimakonferenz vereinbar. Die Charta schützt weiterhin Investitionen in fossile Energien und Atomenergie”, kritisiert der grüne Energieminister Claude Turmes.
Nichtsdestotrotz hat Luxemburg im Ausschuss der ständigen Vertreter dafür gestimmt, dem Reformtext zuzustimmen. “Unsere juristische Analyse besagt, dass wir dann mit einer auf zehn Jahre verkürzten Verfallsklausel austreten können”, heißt es aus dem Energieministerium. cw
Die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten haben sich am Freitag auf neue Vorgaben für das Ökodesign von Smartphones und Tablets geeinigt. Diese sollen die Umweltauswirkungen der Gerätegruppen durch ein nachhaltigeres Produktdesign mindern: Einzelteile wie Akkus und Bildschirme sollen robuster und leichter austauschbar, Software-Updates länger und kostenlos verfügbar und Ersatzteile länger und leichter erhältlich sein. Erstmals sollen Hersteller auch Informationen über die verwendeten Rohstoffe offenlegen.
Die Verordnung ist Teil des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft 2020. Anfang September hatte die Kommission jeweils einen ersten Entwurf für neue Ökodesign-Vorgaben sowie für ein Reparatur- und Energielabel für Mobiltelefone, Smartphones und Tablets veröffentlicht (Europe.Table berichtete). Diese standen bis Ende September für eine öffentliche Konsultation zur Verfügung, die Kommission will die Verordnungen noch vor Jahresende verabschieden. Die Vorgaben würden dann im kommenden Jahr in Kraft treten und nach einer Übergangszeit von 21 Monaten für alle in der EU verkauften Geräte gelten.
Die “Right to Repair”-Kampagne, ein Bündnis aus über 100 europäischen Organisationen, sieht in dem Entwurf wesentliche Lücken. In einem offenen Brief an ein Expertengremium der Mitgliedstaaten fordert das Bündnis unter anderem, die Preise der Ersatzteile zu begrenzen und diese auch als Faktor in das geplante Reparaturlabel einzubinden. “Der Preis ist zurzeit eine der größten Hürden, wenn es darum geht, dass ein Produkt nicht nur repariert werden kann, sondern auch tatsächlich repariert wird”, heißt es in dem Schreiben. leo
Die Diskussion geht weiter. Zwar haben die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat dem Vorschlag der Ratspräsidentschaft für eine Allgemeine Ausrichtung zum AI Act am Freitag zugestimmt, auch Deutschland. Allerdings ist das – aus deutscher Sicht – noch nicht das letzte Wort. Es gebe noch einige Detailanpassungen, von denen Deutschland hoffe, dass sie im weiteren Prozess berücksichtigt werden können, ist in Brüssel zu hören.
Aus Berliner Regierungskreisen heißt es, Deutschland habe bei seiner Zustimmung am Freitag auf seine letzte Stellungnahme vom 8. November verwiesen. Darin steht, Deutschland danke der Ratspräsidentschaft für die Anpassungen der einzelnen Artikel an die von Deutschland geforderte “stärkere Berücksichtigung der Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung, insbesondere in den Bereichen Sicherheit und Migration”. Dennoch sehe Deutschland weiteren Anpassungsbedarf. “Insbesondere sind wir der Meinung, dass die Anforderungen an die Geheimhaltung und die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Datensicherheit in Artikel 70 präzisiert werden sollten.”
Und offenbar ist auch der Punkt biometrische Massenüberwachung noch nicht ganz ausdiskutiert. “Wir halten uns klar an den Wortlaut im Koalitionsvertrag”, heißt es aus den Regierungskreisen. Das Wort “biometrisch” kommt im Koalitionsvertrag nur zweimal vor. Die entsprechenden Passagen lassen Interpretationen zu.
An der einen Stelle heißt es: “Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme durch KI sind europarechtlich auszuschließen.” Dies bedeute nicht, dass diese Systeme “ausnahmslos” ausgeschlossen sein müssten, heißt es in Regierungskreisen.
An anderer Stelle steht: “Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab.” Überwachung bedeute aber nicht, dass die biometrische Erfassung nicht zu Strafverfolgungszwecken und zum Auffinden vermisster Kinder genutzt werden dürfe. vis
Die Europäische Kommission hat Anti-Dumping-Zölle auf chinesische und brasilianische Importe von zinnfreiem Stahl festgezurrt. Diese Art von beschichtetem Stahl – auf Englisch “electrolytic chromium coated steel” oder kurz ECCS – wird unter anderem in Getränkedosen und Haushaltsgeräten verwendet. Die Produkte würden innerhalb der EU zu unangemessen niedrigen Preisen verkauft, was den europäischen Herstellern schade, teilte die Brüsseler Behörde mit. Der chinesische zinnfreie Stahl sei mit Spannen zwischen 30,7 und 77,9 Prozent gedumpt, schätzten die EU-Beamten. Um dem entgegenzuwirken, genehmigte die Kommission nun Zölle in Höhe von 239 Euro bis 607 Euro pro Tonne importierten zinnfreien Stahls.
Der EU-Markt für zinnfreien Stahl wird nach Angaben der Kommission auf fast 500 Millionen Euro geschätzt. Die EU-Kommission hatte im September 2021 mit der Überprüfung der Einfuhren von zinnfreiem Stahl aus China und Brasilien begonnen, nachdem sie eine Beschwerde der European Steel Association erhalten hatte. Die EU hat bereits Schutzzölle gegen eine Reihe ausländischer Metallimporte, einschließlich zinnfreiem Stahl, eingeführt. ari
Anschaffung und Unterhalt schwimmender Flüssigerdgas-Terminals kosten Deutschland mindestens dreieinhalb Milliarden Euro mehr als geplant. Insgesamt seien derzeit rund 6,56 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln vorgesehen, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium am Sonntag. Im Haushalt für 2022 seien noch 2,94 Milliarden Euro veranschlagt worden. Die Erhöhung sei “aufgrund der sich dynamisch entwickelnden Situation notwendig”, hieß es. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat gerade erst zusätzliches Geld für die Terminals bewilligt. rtr
Die EU-Kommission will die Medienfreiheit in Europa retten – mit einer europäischen Aufsichtsbehörde. Finde den Fehler.
Aber von vorne. Seit Jahren gibt es in einigen Mitgliedstaaten der EU einen Rückgang der Pressefreiheit. Insbesondere, aber nicht nur, in Ungarn und in Polen stehen unabhängige Medien unter Druck. Der Rule of Law Report und der Media Pluralism Monitor der EU kommen zu dem Schluss, dass die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien in der EU in Gefahr ist.
Es gibt also Handlungsbedarf. Die EU-Kommission wählt als Reaktion dafür einen Weg, der das Gegenteil des Nötigen erreichen wird. Statt jenen Staaten, die Medienfreiheit nicht gewährleisten, mit den vorhandenen durchaus scharfen Werkzeugen des EU-Rechts zu begegnen, soll ein Regulierungskorsett für Medien überall in Europa geschnürt werden. Nicht nur aus Deutschland kommt darum Kritik an dem Verordnungsvorschlag, den die Kommission im September vorgelegt hat. Der Entwurf sei ein “kompetenzüberschreitender Eingriff” in die Kultur- und Medienhoheit der EU-Staaten, sagte Staatssekretärin Heike Raab auf den Medientagen in München zurecht. Im Bundesrat wird eine Subsidiaritätsrüge diskutiert. Die deutschen Presseverlage befürchten “politische Vereinnahmung”.
In ihrer Rede zur Lage der Union hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen 2021 den European Media Freedom Act (EMFA) groß angekündigt und versprochen, der Vorschlag solle ein Jahr später veröffentlicht werden. Im Medienumfeld hat das Vorhaben große Fragezeichen aufgeworfen. Medienregulierung auf europäischer Ebene kommt einer Art Tabubruch gleich. Denn bisher hatte die EU sich nicht über eine Regulierung des auf mitgliedstaatlicher Ebene ohnehin bereits intensiv reglementierten Rundfunks hinausgewagt. Aus gutem Grund: eine Zuständigkeit der EU für Medien und insbesondere die Presse ist in den Verträgen schlichtweg nicht vorgesehen. Im Gegenteil, die Mitgliedstaaten haben das höchstempfindliche Feld der Medienpolitik stets als ihre alleinige Zuständigkeit verstanden. Der EMFA stellt also einen Paradigmenwechsel dar.
Der Aufruhr in Deutschland ist schon darum gut zu verstehen. Aber auch der Inhalt des Kommissionsvorschlags bietet medienpolitischen Sprengstoff. Insbesondere die Pläne zur Schaffung des “Gremiums”, einer Art europäischen Medienaufsichtsbehörde, brechen mit zentralen Grundsätzen der Pressefreiheit. Denn nicht nur soll diese Behörde, die aus dem Zusammenschluss der nationalen Medienaufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten entstehen soll, auch für die Presse zuständig sein. Die EU-Kommission selbst soll gleich noch die Führung dieser Einrichtung übernehmen. Für die Presse, die in der modernen Demokratie aus gutem Grund für ihre Inhalte allein vor Gesetz und Richter verantwortlich ist, ein Affront.
Das Gremium würde aber nicht nur bedeuten, dass die Presse in Europa erstmals unter behördliche Aufsicht gestellt würde, sondern auch, dass einige von der EU-Kommission kritisch betrachtete Länder zukünftig auch Befugnisse für die gesamte europäische Medienlandschaft erhalten. So würden etwa die ungarischen und polnischen Medienaufsichtsbehörden zukünftig auch bei der Regulierung deutscher Medien am Tisch sitzen. Daraus wird ein wesentlicher Fehler des Gesamtvorhabens deutlich: Die unterschiedlichen Medienlandschaften Europas, die durch sprachliche, kulturelle und demografische Unterschiede geprägt sind, lassen sich nicht über einen Kamm scheren.
Die immensen Probleme in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten müssen gelöst werden, das steht außer Frage. Aber eine europäische Medienregulierung ist hier mit Sicherheit nicht der richtige Weg. Gerade wenn es eben darum geht, die Freiheit und Vielfalt der Medien zu schützen, kann die Politik es sich nicht erlauben, übergriffig zu werden. Weder die Kommission noch die Regierungen der Mitgliedstaaten haben ihre politischen Handlungsmöglichkeiten bislang erschöpft.
Die Kommission stellt den European Media Freedom Act gerne als letzte Chance für eine Kehrtwende dar, aber das kann in Anbetracht des ehrgeizlosen Handelns der EU und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in ihren eigenen Reihen schlichtweg nicht zugelassen werden. Augen auf bei der Wahl der Werkzeuge. Die EU darf die Medienfreiheit nicht dort untergraben, wo sie noch Bestand hat.
Wie verlogen ist die europäische Kritik an der Fußballweltmeisterschaft in Qatar? Hat FIFA-Boss Gianni Infantino gar recht, wenn er den Kritikern Scheinheiligkeit vorwirft?
Sport und Politik pflegen schon lange eine komplizierte Beziehung. Dass Sportveranstaltungen unpolitisch seien, ist schon seit der Antike eine glatte Lüge. In der modernen Sportgeschichte gibt es viele Beispiele – die Blockkonfrontationsboykotte bei Olympia in Moskau 1980 und Los Angeles 1984, natürlich auch Olympia 1936 in Berlin. Auch die Fußball-WM 2018 in Russland – vier Jahre nach dem Angriff auf Krim und die Ostukraine, die Winterspiele in Peking 2022 und die Sommerspiele 2008 ebenda. Sport und Politik sind eng verbunden, ob bei Kabinenbesuchen oder beim Versuch, unpopuläre Gesetzesvorhaben während großer Sportwettkämpfe abzuräumen.
Wenn das Parlament am heutigen Montag die Menschenrechtssituation in Qatar auf die Plenaragenda hebt, ist die Wirkung für die Arbeiter vor Ort absehbar klein. Die erhoffte Medienpräsenz für das EP hingegen groß. Auch das ist wenig mehr als eine Anbiederung an König Fußball – eine politische Schwalbe. Der Vorgang könnte wenigstens etwas glaubwürdiger sein, würde nicht halb Europa derzeit bei den Scheichs auf der Suche nach Flüssiggas im Fanblock stehen. Aber Menschenrechte interessieren in der EU größere Kreise eben doch vor allem dann, wenn sie auf die eigene Wahrnehmung einzahlen. EP-Präsidentin Roberta Metsola, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel hegen bislang demonstrativ keine Reisepläne – während der belgische König sich einen Besuch wohl kaum wird verkneifen können.
Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas formulierte es prägnant: “The power of football is the power of the people of Europe.” Da passt es, dass ausgerechnet er in Doha die EU-Kommission repräsentiert. Schinas bescheinigte dem Gastgeber Qatar am Wochenende gleich präventiv, “beträchtlichen und spürbaren Fortschritt” bei den Arbeiterrechten vollzogen zu haben – vollständig kritikfrei. Was in diesem Fall dann wohl als Eingeständnis europäischer Machtlosigkeit zu verstehen ist.