Schlusspfiff nach Verlängerung auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow, die mit der finalen Abschlusserklärung am Samstagabend offiziell zu einem Ende fand. Damit liegt die COP26 längentechnisch ungefähr im Mittelfeld. Den Rekord hält der erste Klimagipfel, der 1995 in Berlin stattfand und bereits Freitagmittag beendet wurde. Am längsten dauerten die Verhandlungen vor zwei Jahren in Madrid.
Spätestens in Paris 2015 rückte der internationale Klimaschutz aus dem diplomatischen Schattendasein ins Rampenlicht und seither kam keine Klimakonferenz mehr ohne Nachspielzeit aus. Schließlich wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, das damals formulierte 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten und auch in den vergangenen zwei Wochen lautete das Credo: “keep one point five alive”.
Über lange Strecken sah es allerdings nicht danach aus. Ob es doch noch gelungen ist, warum der globale Kohleausstieg in letzter Minute verwässert wurde und wie die Einigung bei der Vollendung des Pariser Regelbuchs aussieht hat Lukas Scheid für Sie analysiert.
Sogenannte “Dark Patterns” ziehen im Netz immer wieder die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich. Mithilfe von Design-Tricks verleiten Webseiten Verbraucher:innen häufig zu Handlungen, die ihren eigentlichen Interessen widersprechen. Doch wie kann dem Problem begegnet werden? Torsten Kleinz hat sich die Regulierungsansätze genauer angesehen.
Mit einem regelrechten diplomatischen Showkampf auf offener Bühne ging am Samstag die 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow zu Ende. Über eine Stunde lang verhandelte EU-Kommissionvize Frans Timmermans an der Seite von COP-Präsident Alok Sharma und dem US-Sondergesandten John Kerry mit Indiens Umweltminister Bhupender Yadav und Chinas Chefverhandler Xie Zhenhua. Nicht etwa hinter verschlossenen Türen, sondern im großen Plenarsaal. Das Ergebnis der Abschlusserklärung in Glasgow: Aus einem “phase-out” der Kohleverstromung wurde ein “phasedown”, in einem völlig intransparenten Prozedere, in dem die mächtigsten Nationen allein über Erfolg oder Misserfolg der COP26 entschieden.
Über Zettel gebeugt und über kleinteilige Formulierungen streitend wurde der “Glasgow Climate Pact” festgezurrt – allerdings ohne finale Rücksprache mit den kleineren, weniger einflussreichen Nationen. Sie wurden sprichwörtlich an die Seitenlinie verbannt und das obwohl auch sie gerne noch Änderungswünsche eingebracht hätten, wie Mexiko anschließend bemängelte. Für sie hieß es, die Abschlusserklärung würde nicht mehr angefasst.
Was war passiert? Indien und China – unterstützt von anderen Kohlenationen wie Iran, Venezuela und Kuba – waren nicht einverstanden mit der Formulierung zum Kohleausstieg im letzten Entwurf der Abschlusserklärung in Glasgow. Dabei war darin schon nicht mehr die Rede von einem generellen Kohleausstieg, sondern lediglich vom Ende der schmutzigsten Kohleanlagen – sogenannter “unabated coal”. Modernere Kohleanlagen, die Emissionen beispielsweise durch Carbon Capture-Technologien reduzieren, wären von dieser Formulierung ohnehin bereits nicht mehr betroffen gewesen.
Doch auch mit diesem Wortlaut konnten sich die großen Kohleländer nicht arrangieren. Nachdem die langen Diskussionen vor den Augen der Weltöffentlichkeit abgeschlossen waren, eröffnete Sharma die abschließende Plenarsitzung der COP26. Bald darauf meldete sich Yadav aus Indien zu Wort und schlug ebenjene Änderung von “phase-out” hin zu “phasedown” vor – eine deutliche Verwässerung.
Die Beweggründe sind allerdings kaum von der Hand zu weisen: Die heutigen Industrienationen haben ihr Wirtschaftswachstum unter anderem auf fossilen Energieträgern aufgebaut. Der CO2-Fußabdruck pro Kopf in der EU und den USA übersteigt den von Indien und China nach wie vor – teilweise sogar deutlich. China und Indien verlangen, dass Schwellen- und Entwicklungsländer das restliche CO2-Budget des Planeten für ihr Wirtschaftswachstum verwenden dürfen, während Europa, Nordamerika und Australien die Verantwortung für ihre historischen Schuld der globalen Erwärmung übernehmen sollen. Sie wollen mehr finanzielle Unterstützung bei ihrer eigenen Energiewende. Der Vorstoß in letzter Minute in Glasgow war Ausdruck dessen.
Kleinere Länder schluckten diese “bittere Pille” zwar, wie Liechtensteins Umweltministerin Sabine Monauni es formulierte, kritisierten den Vorgang aber scharf. Sharma entschuldigte sich, zeigte Verständnis für die Entrüstung in Glasgow, doch wies daraufhin, dass die Einigung auf eine Abschlusserklärung schlichtweg Vorrang hatte. Timmermans, der den Deal mit eingefädelt hat, ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, seine Enttäuschung über die Last-Minute-Verwässerung auszudrücken und sicherte Ländern, die aus der Kohle aussteigen wollen, die Unterstützung der EU zu. Als Blaupause nannte er die Energiepartnerschaft mit Südafrika.
Von einer generellen Enttäuschung sprachen nach Abschluss der UN-Klimakonferenz dennoch nur die wenigsten. Dass der Kohle-Satz und die Abkehr von “ineffizienten” Subventionen für fossile Energieträger überhaupt in der Abschlusserklärung in Glasgow vorkommen, war für viele bereits ein historischer Erfolg. “Unabhängig von einzelnen Worten in der Abschlusserklärung bleibt das politische Signal, dass der weltweite Kohleausstieg eingeleitet und unumkehrbar ist”, teilte Bundesumweltministerin Svenja Schulze zu der Abschlusserklärung in Glasgow mit. Unternehmen und Investoren auf der ganzen Welt müssten und würden dieses Signal ernst nehmen. Zwar hatte sich die SPD-Politikerin klarere Aussagen gewünscht. “Aber ich verstehe auch, dass Indien über eine Schwelle gegangen ist, die dieses Land noch nie zuvor überschritten hat.”
Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch, bezeichnete die neue Formulierung in der Abschlusserklärung in Glasgow trotz der Abschwächung als “Wendepunkt zum weltweiten Ausstieg aus der Kohle”. Außerdem habe die internationale Gemeinschaft in einer noch vor zwei Jahren undenkbaren Klarheit betont, “dass wir weltweit auf den 1,5 Grad-Pfad kommen müssen”. Der Glasgower Klimapakt gibt dafür eine 45 Prozent-Reduzierung der globalen Emissionen bis 2030 gegenüber 2010 vor.
Klimaforscher Ottmar Edenhofer sieht in dem Verhandlungsergebnis der Glasgower Abschlusserklärung in erster Linie einen Handlungsauftrag. “Der muss aber von den Staaten auch tatsächlich eingelöst werden – weltweit, aber auch bei uns in Deutschland, deutlich stärker und rascher als bisher”, sagte der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung. Für den Verband der Chemischen Industrie können die positiven Initiativen von Glasgow nicht über Blockaden hinwegtäuschen. VCI-Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup: “Viele Länder verschieben unbequeme Maßnahmen weiter in die Zukunft”.
Dennoch sei “sehr positiv” zu bewerten, dass Klimaneutralität das “neue Normal” wurde, sagte Peter Liese, Co-Verhandlungsführer des EU-Parlaments in Glasgow. Bei der COP25 2019 in Madrid sei die EU mit diesem Ziel noch praktisch alleine gewesen. Besonders für die Zeit 2030 seien die Ambitionen noch zu gering. Hier sei die EU gefragt, mit ihrem Fit-for-55-Paket andere Partnerländer zu motivieren, so der CDU-Europaabgeordnete.
Nach Ansicht der Grünen im EU-Parlament hat die EU-Delegation in Glasgow nicht ausreichend Anstrengungen unternommen. “Unverbindliche Formulierungen und das fehlende Bekenntnis zum Kohleausstieg zeigen, dass der Green Deal seinen Lackmustest noch bestehen muss”, sagt EU-Parlamentarierin Jutta Paulus und fordert die Staats- und Regierungschefs auf, die Dynamik der Klimabewegungen zu nutzen. “Wir haben ein Jahr Zeit, den Druck von der Straße auf den Verhandlungstisch bei der COP27 in Ägypten zu bringen.”
Als größter Erfolg der COP26 in Glasgow dürfte die Finalisierung des Pariser Regelbuchs angesehen werden. Artikel 6 des Pariser Abkommens, der die Anrechnung von Emissionsminderungen durch die Finanzierung von Klimaschutzprojekten im Ausland auf die eigenen nationalen Klimaschutzziele (NDCs) regeln soll, war nach den vergangenen beiden UN-Klimakonferenzen offengeblieben. Am Samstag wurde endlich Vollzug gemeldet. Auch der freiwillige Handel mit Emissionsminderungszertifikaten für den Privatsektor ist damit geregelt und wird in einem separaten System stattfinden. Zwar sind noch immer nicht alle Schlupflöcher gestopft. Doch die wichtigsten Fragen scheinen geklärt.
Dazu zählen auch die sogenannten “Corresponding Adjustments”, die verhindern, dass sich mehrere Länder dieselben Emissionsminderungen anrechnen lassen. Solche Doppelzählungen sind nach dem neuen Regelwerk ausgeschlossen. “Das ist ein gutes Ergebnis, das mehr Klimaschutz ermöglichen wird”, kommentierte Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. Die Regelung schließe Schlupflöcher bei der Erfüllung von Klimaschutzverpflichtungen aus und schaffe ein Finanzierungsinstrument für zusätzlichen Klimaschutz in Entwicklungsländern.
Lücken gibt es aber offenbar noch beim Umgang mit Zertifikaten aus dem alten unter dem Kyoto-Protokoll etablierten “Clean Develop Mechanism”. Nach 2013 zertifizierte Emissionsminderungen können in das neue System übernommen werden. Das Problem dabei: Bereits bestehende Klimaschutzprojekte, die keinen zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz mehr leisten, dürften auch im neuen System weiter Zertifikate ausgeben. “Die Anzahl der Zertifikate, die so in das System kommen, ohne zusätzlich dem Klima zu dienen, ist nicht genau bekannt”, erklärt David Ryfisch von Germanwatch. Er fordert deshalb, dass klare Regeln aufgestellt werden, “damit Unternehmen sich nicht mit zweitklassigen Zertifikaten eindecken, um auf dem Papier ihre Klimaneutralitätsziele zu erreichen”.
Positiv sei aber, dass fünf Prozent der Einnahmen aus den Zertifikaten unter dem neuen Mechanismus an den UN-Anpassungsfonds fließen, um die besonders vom Klimawandel betroffenen Entwicklungsländer zu unterstützen, so Ryfisch. Emissionsminderungen, welche zwischen zwei Ländern gehandelt werden, sind von dieser Quasi-Steuer allerdings ausgenommen. Weitere zwei Prozent der Zertifikate werden dagegen gelöscht und kommen dem Klima zugute, ohne dass ein Unternehmen sich diese Einsparungen gutschreiben lassen kann.
In den vergangenen Monaten war in diesem Newsletter immer wieder von den sogenannten “Dark Patterns” die Rede, die mittlerweile im Fokus vieler Gesetzgeber stehen. Hierbei handelt es sich um Design-Tricks, die zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher eingesetzt werden.
Es gibt zahlreiche Gesetzesvorhaben, die das Problem angehen sollen. Etwa der Digital Services Act: “Dark Patterns sollten verboten werden”, sagt die DSA-Berichterstatterin des Europaparlaments, Christel Schaldemose (S&D). Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) will Dark Patterns im Rahmen der KI-Verordnung regulieren (Europe.Table berichtete). Auch beim Digital Governance Act und beim Data Act können Dark Patterns eine Rolle spielen. Die amerikanische Federal Trade Commission (FTC) wiederum hat Ende Oktober eine schärfere Vorgehensweise gegen Anbieter angekündigt, die Endkunden überlisten und in die Irre führen wollen.
Doch worum handelt es sich bei den “Dunklen Mustern” genau? Es stellt sich heraus: Der Begriff ist fast so schwer zu definieren wie “Pornografie” oder “Terrorismus”. Das Dark Patterns Detection Project (dapde) hat sich inzwischen eine Arbeitsdefinition zurechtgelegt: “Bei Dark Patterns handelt es sich um Designmuster, die Nutzer:innen zu einem bestimmten Verhalten verleiten, das ihren Interessen widerspricht, und dabei die Gestaltungsmacht einseitig im Interesse ihrer Verwender:innen ausnutzt”.
Das BMJV finanziert die Forschung des dapde, das ein Programm entwickeln soll, um Dark Patterns in Online-Plattformen automatisch zu identifizieren. Das Problem: Die Forscher fanden eine breite Auswahl verschiedener Tricks. Die Liste reicht von der “Click Fatigue” – also dem ständigen Wiederholen einer Frage, bis die Verbraucherinnen und Verbraucher endlich zustimmen – bis hin zu Onlineshops, die ungefragt Artikel in den Warenkorb ihrer Kunden legen.
Diese Bandbreite macht es nicht nur schwer, Dark Patterns automatisch zu identifizieren, sondern auch effektive Regulierungen zu finden. Insbesondere Cookie-Banner haben dem Thema bei Politikern, Daten- und Verbraucherschützern als auch bei immer mehr Konsumenten Aufmerksamkeit verschafft. In der Tat haben viele Website-Betreiber durch gezielte Designentscheidungen Wege gefunden, die Zustimmungsraten zur Verarbeitung persönlicher Daten zu Werbezwecken hochzutreiben. Datenschützer bezweifeln, ob die so zustande gekommenen Zustimmungen den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung entsprechen. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband hat sich in einer Kampagne dem Thema gewidmet und 98 Abmahnungen an Anbieter verschickt.
Der Datenschutz-Aktivist Max Schrems bezog sich bei einer Konferenz des dpade auf Industrie-eigene Studien und behauptete, bei völlig freier Auswahl würden nur drei Prozent der Nutzer:innen der Datenfreigabe zustimmen. Im Sommer hat seine Organisation NOYB Tausende Cookie-Banner automatisiert gescannt und Beschwerde bei Datenschutzbehörden eingelegt, wenn die Juristen der NGO den Eindruck hatten, dass die Vorschriften der DSGVO verletzt wurden.
Diese verlangt, dass Nutzer fair und transparent unterrichtet werden, bevor sie einer Datenverarbeitung zustimmen können. Eine Beschwerde von NOYB handelten sich Website-Betreiber insbesondere ein, wenn sie das Ablehnen der Datenweitergabe wesentlich erschwerten. Schrems will aber auch manipulative Farbgebung vorgehen und hat dazu Farbkontraste ausmessen lassen, um einen objektiven Maßstab zu schaffen.
Wie aber kann man Dark Patterns regulieren? Experten sehen im Wesentlichen drei Ansätze. Zum einen besteht die Möglichkeit, sehr spezifische Designmuster zu untersagen oder in bestimmten Kontexten Gestaltungen vorzuschreiben. Ein Beispiel ist das Gesetz für faire Verbraucherverträge, das ab Juli 2022 in Deutschland bestimmten Anbietern einen Kündigungs-Button vorschreibt. Es gibt auch den Vorschlag, im DSA das Design für Cookie-Banner einheitlich vorzuschreiben.
Ein weiterer Ansatz Dark Patterns zu regulieren besteht darin, eher allgemeine Grundsätze aufzustellen, die im konkreten Anwendungsfall nochmal ausgelegt werden müssen. Die Tücken stecken im Detail: Sollen nur besonders vulnerable Gruppen geschützt werden, wie zum Beispiel Kinder oder Spielsüchtige? Oder werden Durchschnittskunden angenommen, die bestimmte Konzepte durchschauen können? Und wer soll es durchsetzen: Wird eine Aufsichtsbehörde benötigt, oder reicht ein Klagerecht?
Sozialdemokraten wie die DSA-Berichterstatterin Schaldemose setzen ebenso wie Vertreter von Grünen und Linken hingegen auf einen dritten, “paternalistischen” Ansatz: Sie wollen gewisse Geschäftsmodelle komplett verbieten. Die Begründung: Die Zustimmung der meisten Kunden sei sowieso nur durch Druck zu erreichen. Torsten Kleinz
Alle EU-Mitgliedsstaaten haben in den Bereichen Humankapital, Breitbandanbindung, Integration digitaler Technik in Unternehmen und digitale öffentliche Dienste im vergangenen Jahr Fortschritte erzielt. Das ist das Ergebnis des Digitalindex, des EU-Barometers für digitale Wirtschaft und Gesellschaft 2021 (DESI), den die Europäische Kommission vorgelegt hat.
Das Gesamtbild sei jedoch gespalten, heißt es in dem Bericht zum Digitalindex. So sei die Kluft zwischen den skandinavischen Ländern an der Spitze und den Schlusslichtern Bulgarien und Rumänien weiterhin groß. Deutschland landet in dem Ranking hinter Österreich und vor Belgien auf Platz 11. Trotz der erzielten Fortschritte müssten die Mitgliedsstaaten ihre Anstrengungen erhöhen, um die EU-Ziele gemäß Europas digitaler Dekade zu erfüllen, so die Kommission.
Ein Faktor, der die digitale Transformation vieler Unternehmen gemäß in der EU verlangsame, sei der Mangel an IT-Fachkräften. So gaben 55 Prozent der befragten Unternahmen an, Schwierigkeiten bei der Einstellung von Mitarbeite:innen mit Kenntnissen in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) zu haben.
Daneben zeigte der ebenfalls veröffentlichte Fortschrittsbericht für Frauen im Digitalen das weiterhin große geschlechterspezifische Gefälle in diesem Bereich. Nur 19 Prozent der IKT-Spezialist:innen und etwa ein Drittel der Hochschulabsolvent:innen in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik sind weiblich. til
Russland warnt das von ihm unterstützte Belarus davor, im Streit mit der EU Gasdurchleitungen dorthin zu stoppen. Im Interview mit dem staatlichen Fernsehen sagte der russische Präsident Wladimir Putin, ein solcher Schritt würde die Beziehungen beider Staaten belasten.
Die EU plant neue Sanktionen gegen Belarus. Sie wirft dem Land einen “hybriden Angriff” vor, indem es Flüchtlinge aus Krisenregionen in Nahost und Afrika an die EU-Außengrenze schleust. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hatte zuletzt einen Stopp von Gaslieferungen an die Europäer ins Gespräch gebracht. Betroffen wäre die Pipeline Jamal, durch die russisches Gas via Belarus nach Polen und Deutschland fließt. Der belarussische Teil der Pipeline gehört dem russischen Staatsmonopolisten Gazprom.
Putin sagte nun, Lukaschenko habe mit ihm über dieses Thema nicht gesprochen. Putin fügte hinzu, selbstverständlich könne Lukaschenko die Gaslieferungen nach Europa unterbinden. “Aber dies würde eine Verletzung unseres Gastransit-Vertrags bedeuten, und ich hoffe, dass es dazu nicht kommen wird”, ergänzte Putin. Lukaschenko würde mit einem derartigen Schritt dem europäischen Energiesektor in großem Umfang schaden, ergänzte er. Außerdem wäre dies nicht hilfreich für die Beziehungen Russlands zu Belarus als Transitland.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat rasche Hilfe für die Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze gefordert. “Die Menschen werden mit einem falschen Versprechen an die Grenze zur EU gebracht. Sie werden missbraucht”, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. “Europa muss sich schnell einigen, wie diesen Menschen geholfen werden kann.” Laut Bas dürfe nicht zugelassen werden, dass Menschen und ihre Schicksale als Druckmittel benutzt würden. Die Situation zeige, dass in der EU das Thema Migration immer noch nicht gelöst sei. “Wir Deutsche stehen fest an der Seite der betroffenen EU-Staaten, vor allem Polen”, so die Parlamentspräsidentin. rtr
Er ist Europäer durch und durch, aber Europa sei für ihn nie ein Selbstzweck gewesen, sagt Bernd Hüttemann: “Für mich ist es schlicht der Ort, wo spannende Unterschiede dennoch demokratisch zueinander finden”, erklärt der Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD). Seit 2003 ist Hüttemann in dieser Funktion für den EBD tätig, eine vom Auswärtigen Amt geförderte Mittlerorganisation.
Auch schon davor war er nah am Geschehen in Brüssel, etwa als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Instituts für Europäische Politik. “Mein roter Faden war immer Neugierde auf Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Brücken der Zusammenarbeit. Und da bietet Europapolitik den hervorragenden Kitt zwischen den Menschen, die inhaltlich und räumlich Grenzen überwinden wollen, jenseits der Kirchturmmentalität“, sagt der 50-Jährige.
Als Generalsekretär der EBD ist Hüttemann in erster Linie Lobbyist, wenngleich nicht auf eine Branche spezialisiert, sondern generell für europäische Interessen unterwegs. “Wenn Sie vom ADAC, über den Bauernverband und Deutschen Bundesjugendring, Deutschen Gewerkschaftsbund, Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks auch noch die wichtigsten Parteien in ihrer Mitgliedschaft wissen, dann schafft das exklusive Zugänge“, erklärt er. Die vielseitige Mitgliedschaft mit 256 Organisationen kreiere aber auch Kontrolle und es tue ihm als Generalsekretär gut, klare Leitplanken zu haben.
Dass der Lobbyismus und gerade jener auf Brüsseler Parkett einen schlechten Ruf genieße, liege laut Hüttemann an der mangelnden Bildung zum Thema Interessenvertretung. “In meiner ‘Generation Golf’ war Europarecht nicht mal für VolljuristInnen flächendeckend verpflichtend. Es gibt nach meiner Kenntnis in Deutschland keinen Lehrstuhl für EU-Lobbyismus”, argumentiert er. Gleichzeitig seien gerade diejenigen Politikfelder europäisiert, die viel Interessenvertretung hervorgebracht haben – sprich Wirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz.
“Und Lobbyismus ist wie Wasser, es nimmt seinen Weg. Es ist schlicht kein Wunder, dass sich Lobbyist:innen vor allem da aufhalten, wo Entscheidungen getroffen werden: in Brüssel eben mehr als in Berlin“, so Hüttemann weiter. Aus seiner Sicht hat es sich mittlerweile bei Kritikern herumgesprochen, dass die Regeln für Interessenvertreter in Brüssel strenger sind als in Berlin. Was ihm in der nationalen Wahrnehmung fehle, sei Ehrlichkeit und kritische Neugierde auf Einflussnahme. Insofern werde Regulierung nur helfen, wenn EU-Gesetzgebung in ihrer Gänze besser verstanden und ernst genommen werde.
Hüttemann geht neben seiner Arbeit für die EBD auch noch anderen Tätigkeiten nach. So ist er unter anderem Lehrbeauftragter der Universität Passau und Berater der Bischöflichen Arbeitsgruppe Europa bei der Deutschen Bischofskonferenz. Angesprochen auf die größten europapolitischen Herausforderungen für die katholische Kirche sagt er: “Klimaschutz und Schutz der Geflüchteten sind Großthemen, wo sich AnhängerInnen europäischer Lösungen beim Papst und der katholischen Lehre sehr gut aufgehoben fühlen, ja aktiv unterstützt werden. Doch die Herausforderungen bestehen im Brechen von nationalen Widerständen, auch bei ultrakonservativen ChristInnen.”
Es sei daher in seinen Augen gut, dass die katholische Kirche eine klare Kante für Europas Einheit zeige. Diese klare Kante ist auch weiterhin von Hüttemann zu erwarten, ob als Berater von Entscheidungsträgern oder als Lobbyist der EBD. Constantin Eckner
Selten stand eine UN-Klimakonferenz so sehr im Licht der Öffentlichkeit wie die am Samstag zu Ende gegangene COP26. Das liegt zum einen an der Dringlichkeit. Schon im Vorfeld wurde der Konferenz in Glasgow eine noch größere Bedeutung beigemessen als jener 2015 in Paris. Damals wurde das berühmte 1,5-Grad-Ziel formuliert, aber offenbar schnell wieder vergessen. Die vergangenen zwei Wochen sollten dafür Sorge tragen, dass es in Reichweite bleibt und die Zeit drängt.
Zum anderen sorgte die enorme Präsenz zumeist jugendlicher Klima-Aktivisten für eine deutliche Senkung des ansonsten eher gehobenen Altersdurchschnitts auf derartigen diplomatischen Veranstaltungen, was der COP einen neuen Anstrich verlieh. Wenn auch nur nach außen.
Klimaschutz ist en vogue und die unbestreitbare Tatsache, dass der neuen Demo-Kultur auch ein gewisser Coolness-Faktor anhaftet, wird gerne kritisiert. Mitunter zurecht, wenn sich gut behütete Teenager im elterlichen SUV zum Schuleschwänzen fahren lassen. Wenn aber tausende Jugendliche aus aller Welt nach Glasgow pilgern, um sich Gehör zu verschaffen, dann ist das vor allem eins: bemerkenswert.
Wirklich bemerkt wurde die Jugend von den Entscheidungsträgern allerdings höchsten dann, wenn sie mal wieder im Weg stand und mit Schildern die Gänge blockierte. Gehört wurde sie schon gleich gar nicht. Dabei ernannte die UN sogar offiziell zwei Jugenddelegierte für jedes Land. Am Verhandlungstisch Platz nehmen durften davon aber die wenigsten. Ein eigens im Vorfeld ausgearbeiteter Forderungskatalog der globalen Jugend landete im Müll. Kein Wunder also, wenn hinter dem Instagram-Hashtag #COP26 häufig dieselben drei Worte zu lesen waren: blah blah blah. Timo Landenberger
Schlusspfiff nach Verlängerung auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow, die mit der finalen Abschlusserklärung am Samstagabend offiziell zu einem Ende fand. Damit liegt die COP26 längentechnisch ungefähr im Mittelfeld. Den Rekord hält der erste Klimagipfel, der 1995 in Berlin stattfand und bereits Freitagmittag beendet wurde. Am längsten dauerten die Verhandlungen vor zwei Jahren in Madrid.
Spätestens in Paris 2015 rückte der internationale Klimaschutz aus dem diplomatischen Schattendasein ins Rampenlicht und seither kam keine Klimakonferenz mehr ohne Nachspielzeit aus. Schließlich wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, das damals formulierte 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten und auch in den vergangenen zwei Wochen lautete das Credo: “keep one point five alive”.
Über lange Strecken sah es allerdings nicht danach aus. Ob es doch noch gelungen ist, warum der globale Kohleausstieg in letzter Minute verwässert wurde und wie die Einigung bei der Vollendung des Pariser Regelbuchs aussieht hat Lukas Scheid für Sie analysiert.
Sogenannte “Dark Patterns” ziehen im Netz immer wieder die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich. Mithilfe von Design-Tricks verleiten Webseiten Verbraucher:innen häufig zu Handlungen, die ihren eigentlichen Interessen widersprechen. Doch wie kann dem Problem begegnet werden? Torsten Kleinz hat sich die Regulierungsansätze genauer angesehen.
Mit einem regelrechten diplomatischen Showkampf auf offener Bühne ging am Samstag die 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow zu Ende. Über eine Stunde lang verhandelte EU-Kommissionvize Frans Timmermans an der Seite von COP-Präsident Alok Sharma und dem US-Sondergesandten John Kerry mit Indiens Umweltminister Bhupender Yadav und Chinas Chefverhandler Xie Zhenhua. Nicht etwa hinter verschlossenen Türen, sondern im großen Plenarsaal. Das Ergebnis der Abschlusserklärung in Glasgow: Aus einem “phase-out” der Kohleverstromung wurde ein “phasedown”, in einem völlig intransparenten Prozedere, in dem die mächtigsten Nationen allein über Erfolg oder Misserfolg der COP26 entschieden.
Über Zettel gebeugt und über kleinteilige Formulierungen streitend wurde der “Glasgow Climate Pact” festgezurrt – allerdings ohne finale Rücksprache mit den kleineren, weniger einflussreichen Nationen. Sie wurden sprichwörtlich an die Seitenlinie verbannt und das obwohl auch sie gerne noch Änderungswünsche eingebracht hätten, wie Mexiko anschließend bemängelte. Für sie hieß es, die Abschlusserklärung würde nicht mehr angefasst.
Was war passiert? Indien und China – unterstützt von anderen Kohlenationen wie Iran, Venezuela und Kuba – waren nicht einverstanden mit der Formulierung zum Kohleausstieg im letzten Entwurf der Abschlusserklärung in Glasgow. Dabei war darin schon nicht mehr die Rede von einem generellen Kohleausstieg, sondern lediglich vom Ende der schmutzigsten Kohleanlagen – sogenannter “unabated coal”. Modernere Kohleanlagen, die Emissionen beispielsweise durch Carbon Capture-Technologien reduzieren, wären von dieser Formulierung ohnehin bereits nicht mehr betroffen gewesen.
Doch auch mit diesem Wortlaut konnten sich die großen Kohleländer nicht arrangieren. Nachdem die langen Diskussionen vor den Augen der Weltöffentlichkeit abgeschlossen waren, eröffnete Sharma die abschließende Plenarsitzung der COP26. Bald darauf meldete sich Yadav aus Indien zu Wort und schlug ebenjene Änderung von “phase-out” hin zu “phasedown” vor – eine deutliche Verwässerung.
Die Beweggründe sind allerdings kaum von der Hand zu weisen: Die heutigen Industrienationen haben ihr Wirtschaftswachstum unter anderem auf fossilen Energieträgern aufgebaut. Der CO2-Fußabdruck pro Kopf in der EU und den USA übersteigt den von Indien und China nach wie vor – teilweise sogar deutlich. China und Indien verlangen, dass Schwellen- und Entwicklungsländer das restliche CO2-Budget des Planeten für ihr Wirtschaftswachstum verwenden dürfen, während Europa, Nordamerika und Australien die Verantwortung für ihre historischen Schuld der globalen Erwärmung übernehmen sollen. Sie wollen mehr finanzielle Unterstützung bei ihrer eigenen Energiewende. Der Vorstoß in letzter Minute in Glasgow war Ausdruck dessen.
Kleinere Länder schluckten diese “bittere Pille” zwar, wie Liechtensteins Umweltministerin Sabine Monauni es formulierte, kritisierten den Vorgang aber scharf. Sharma entschuldigte sich, zeigte Verständnis für die Entrüstung in Glasgow, doch wies daraufhin, dass die Einigung auf eine Abschlusserklärung schlichtweg Vorrang hatte. Timmermans, der den Deal mit eingefädelt hat, ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, seine Enttäuschung über die Last-Minute-Verwässerung auszudrücken und sicherte Ländern, die aus der Kohle aussteigen wollen, die Unterstützung der EU zu. Als Blaupause nannte er die Energiepartnerschaft mit Südafrika.
Von einer generellen Enttäuschung sprachen nach Abschluss der UN-Klimakonferenz dennoch nur die wenigsten. Dass der Kohle-Satz und die Abkehr von “ineffizienten” Subventionen für fossile Energieträger überhaupt in der Abschlusserklärung in Glasgow vorkommen, war für viele bereits ein historischer Erfolg. “Unabhängig von einzelnen Worten in der Abschlusserklärung bleibt das politische Signal, dass der weltweite Kohleausstieg eingeleitet und unumkehrbar ist”, teilte Bundesumweltministerin Svenja Schulze zu der Abschlusserklärung in Glasgow mit. Unternehmen und Investoren auf der ganzen Welt müssten und würden dieses Signal ernst nehmen. Zwar hatte sich die SPD-Politikerin klarere Aussagen gewünscht. “Aber ich verstehe auch, dass Indien über eine Schwelle gegangen ist, die dieses Land noch nie zuvor überschritten hat.”
Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch, bezeichnete die neue Formulierung in der Abschlusserklärung in Glasgow trotz der Abschwächung als “Wendepunkt zum weltweiten Ausstieg aus der Kohle”. Außerdem habe die internationale Gemeinschaft in einer noch vor zwei Jahren undenkbaren Klarheit betont, “dass wir weltweit auf den 1,5 Grad-Pfad kommen müssen”. Der Glasgower Klimapakt gibt dafür eine 45 Prozent-Reduzierung der globalen Emissionen bis 2030 gegenüber 2010 vor.
Klimaforscher Ottmar Edenhofer sieht in dem Verhandlungsergebnis der Glasgower Abschlusserklärung in erster Linie einen Handlungsauftrag. “Der muss aber von den Staaten auch tatsächlich eingelöst werden – weltweit, aber auch bei uns in Deutschland, deutlich stärker und rascher als bisher”, sagte der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung. Für den Verband der Chemischen Industrie können die positiven Initiativen von Glasgow nicht über Blockaden hinwegtäuschen. VCI-Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup: “Viele Länder verschieben unbequeme Maßnahmen weiter in die Zukunft”.
Dennoch sei “sehr positiv” zu bewerten, dass Klimaneutralität das “neue Normal” wurde, sagte Peter Liese, Co-Verhandlungsführer des EU-Parlaments in Glasgow. Bei der COP25 2019 in Madrid sei die EU mit diesem Ziel noch praktisch alleine gewesen. Besonders für die Zeit 2030 seien die Ambitionen noch zu gering. Hier sei die EU gefragt, mit ihrem Fit-for-55-Paket andere Partnerländer zu motivieren, so der CDU-Europaabgeordnete.
Nach Ansicht der Grünen im EU-Parlament hat die EU-Delegation in Glasgow nicht ausreichend Anstrengungen unternommen. “Unverbindliche Formulierungen und das fehlende Bekenntnis zum Kohleausstieg zeigen, dass der Green Deal seinen Lackmustest noch bestehen muss”, sagt EU-Parlamentarierin Jutta Paulus und fordert die Staats- und Regierungschefs auf, die Dynamik der Klimabewegungen zu nutzen. “Wir haben ein Jahr Zeit, den Druck von der Straße auf den Verhandlungstisch bei der COP27 in Ägypten zu bringen.”
Als größter Erfolg der COP26 in Glasgow dürfte die Finalisierung des Pariser Regelbuchs angesehen werden. Artikel 6 des Pariser Abkommens, der die Anrechnung von Emissionsminderungen durch die Finanzierung von Klimaschutzprojekten im Ausland auf die eigenen nationalen Klimaschutzziele (NDCs) regeln soll, war nach den vergangenen beiden UN-Klimakonferenzen offengeblieben. Am Samstag wurde endlich Vollzug gemeldet. Auch der freiwillige Handel mit Emissionsminderungszertifikaten für den Privatsektor ist damit geregelt und wird in einem separaten System stattfinden. Zwar sind noch immer nicht alle Schlupflöcher gestopft. Doch die wichtigsten Fragen scheinen geklärt.
Dazu zählen auch die sogenannten “Corresponding Adjustments”, die verhindern, dass sich mehrere Länder dieselben Emissionsminderungen anrechnen lassen. Solche Doppelzählungen sind nach dem neuen Regelwerk ausgeschlossen. “Das ist ein gutes Ergebnis, das mehr Klimaschutz ermöglichen wird”, kommentierte Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. Die Regelung schließe Schlupflöcher bei der Erfüllung von Klimaschutzverpflichtungen aus und schaffe ein Finanzierungsinstrument für zusätzlichen Klimaschutz in Entwicklungsländern.
Lücken gibt es aber offenbar noch beim Umgang mit Zertifikaten aus dem alten unter dem Kyoto-Protokoll etablierten “Clean Develop Mechanism”. Nach 2013 zertifizierte Emissionsminderungen können in das neue System übernommen werden. Das Problem dabei: Bereits bestehende Klimaschutzprojekte, die keinen zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz mehr leisten, dürften auch im neuen System weiter Zertifikate ausgeben. “Die Anzahl der Zertifikate, die so in das System kommen, ohne zusätzlich dem Klima zu dienen, ist nicht genau bekannt”, erklärt David Ryfisch von Germanwatch. Er fordert deshalb, dass klare Regeln aufgestellt werden, “damit Unternehmen sich nicht mit zweitklassigen Zertifikaten eindecken, um auf dem Papier ihre Klimaneutralitätsziele zu erreichen”.
Positiv sei aber, dass fünf Prozent der Einnahmen aus den Zertifikaten unter dem neuen Mechanismus an den UN-Anpassungsfonds fließen, um die besonders vom Klimawandel betroffenen Entwicklungsländer zu unterstützen, so Ryfisch. Emissionsminderungen, welche zwischen zwei Ländern gehandelt werden, sind von dieser Quasi-Steuer allerdings ausgenommen. Weitere zwei Prozent der Zertifikate werden dagegen gelöscht und kommen dem Klima zugute, ohne dass ein Unternehmen sich diese Einsparungen gutschreiben lassen kann.
In den vergangenen Monaten war in diesem Newsletter immer wieder von den sogenannten “Dark Patterns” die Rede, die mittlerweile im Fokus vieler Gesetzgeber stehen. Hierbei handelt es sich um Design-Tricks, die zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher eingesetzt werden.
Es gibt zahlreiche Gesetzesvorhaben, die das Problem angehen sollen. Etwa der Digital Services Act: “Dark Patterns sollten verboten werden”, sagt die DSA-Berichterstatterin des Europaparlaments, Christel Schaldemose (S&D). Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) will Dark Patterns im Rahmen der KI-Verordnung regulieren (Europe.Table berichtete). Auch beim Digital Governance Act und beim Data Act können Dark Patterns eine Rolle spielen. Die amerikanische Federal Trade Commission (FTC) wiederum hat Ende Oktober eine schärfere Vorgehensweise gegen Anbieter angekündigt, die Endkunden überlisten und in die Irre führen wollen.
Doch worum handelt es sich bei den “Dunklen Mustern” genau? Es stellt sich heraus: Der Begriff ist fast so schwer zu definieren wie “Pornografie” oder “Terrorismus”. Das Dark Patterns Detection Project (dapde) hat sich inzwischen eine Arbeitsdefinition zurechtgelegt: “Bei Dark Patterns handelt es sich um Designmuster, die Nutzer:innen zu einem bestimmten Verhalten verleiten, das ihren Interessen widerspricht, und dabei die Gestaltungsmacht einseitig im Interesse ihrer Verwender:innen ausnutzt”.
Das BMJV finanziert die Forschung des dapde, das ein Programm entwickeln soll, um Dark Patterns in Online-Plattformen automatisch zu identifizieren. Das Problem: Die Forscher fanden eine breite Auswahl verschiedener Tricks. Die Liste reicht von der “Click Fatigue” – also dem ständigen Wiederholen einer Frage, bis die Verbraucherinnen und Verbraucher endlich zustimmen – bis hin zu Onlineshops, die ungefragt Artikel in den Warenkorb ihrer Kunden legen.
Diese Bandbreite macht es nicht nur schwer, Dark Patterns automatisch zu identifizieren, sondern auch effektive Regulierungen zu finden. Insbesondere Cookie-Banner haben dem Thema bei Politikern, Daten- und Verbraucherschützern als auch bei immer mehr Konsumenten Aufmerksamkeit verschafft. In der Tat haben viele Website-Betreiber durch gezielte Designentscheidungen Wege gefunden, die Zustimmungsraten zur Verarbeitung persönlicher Daten zu Werbezwecken hochzutreiben. Datenschützer bezweifeln, ob die so zustande gekommenen Zustimmungen den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung entsprechen. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband hat sich in einer Kampagne dem Thema gewidmet und 98 Abmahnungen an Anbieter verschickt.
Der Datenschutz-Aktivist Max Schrems bezog sich bei einer Konferenz des dpade auf Industrie-eigene Studien und behauptete, bei völlig freier Auswahl würden nur drei Prozent der Nutzer:innen der Datenfreigabe zustimmen. Im Sommer hat seine Organisation NOYB Tausende Cookie-Banner automatisiert gescannt und Beschwerde bei Datenschutzbehörden eingelegt, wenn die Juristen der NGO den Eindruck hatten, dass die Vorschriften der DSGVO verletzt wurden.
Diese verlangt, dass Nutzer fair und transparent unterrichtet werden, bevor sie einer Datenverarbeitung zustimmen können. Eine Beschwerde von NOYB handelten sich Website-Betreiber insbesondere ein, wenn sie das Ablehnen der Datenweitergabe wesentlich erschwerten. Schrems will aber auch manipulative Farbgebung vorgehen und hat dazu Farbkontraste ausmessen lassen, um einen objektiven Maßstab zu schaffen.
Wie aber kann man Dark Patterns regulieren? Experten sehen im Wesentlichen drei Ansätze. Zum einen besteht die Möglichkeit, sehr spezifische Designmuster zu untersagen oder in bestimmten Kontexten Gestaltungen vorzuschreiben. Ein Beispiel ist das Gesetz für faire Verbraucherverträge, das ab Juli 2022 in Deutschland bestimmten Anbietern einen Kündigungs-Button vorschreibt. Es gibt auch den Vorschlag, im DSA das Design für Cookie-Banner einheitlich vorzuschreiben.
Ein weiterer Ansatz Dark Patterns zu regulieren besteht darin, eher allgemeine Grundsätze aufzustellen, die im konkreten Anwendungsfall nochmal ausgelegt werden müssen. Die Tücken stecken im Detail: Sollen nur besonders vulnerable Gruppen geschützt werden, wie zum Beispiel Kinder oder Spielsüchtige? Oder werden Durchschnittskunden angenommen, die bestimmte Konzepte durchschauen können? Und wer soll es durchsetzen: Wird eine Aufsichtsbehörde benötigt, oder reicht ein Klagerecht?
Sozialdemokraten wie die DSA-Berichterstatterin Schaldemose setzen ebenso wie Vertreter von Grünen und Linken hingegen auf einen dritten, “paternalistischen” Ansatz: Sie wollen gewisse Geschäftsmodelle komplett verbieten. Die Begründung: Die Zustimmung der meisten Kunden sei sowieso nur durch Druck zu erreichen. Torsten Kleinz
Alle EU-Mitgliedsstaaten haben in den Bereichen Humankapital, Breitbandanbindung, Integration digitaler Technik in Unternehmen und digitale öffentliche Dienste im vergangenen Jahr Fortschritte erzielt. Das ist das Ergebnis des Digitalindex, des EU-Barometers für digitale Wirtschaft und Gesellschaft 2021 (DESI), den die Europäische Kommission vorgelegt hat.
Das Gesamtbild sei jedoch gespalten, heißt es in dem Bericht zum Digitalindex. So sei die Kluft zwischen den skandinavischen Ländern an der Spitze und den Schlusslichtern Bulgarien und Rumänien weiterhin groß. Deutschland landet in dem Ranking hinter Österreich und vor Belgien auf Platz 11. Trotz der erzielten Fortschritte müssten die Mitgliedsstaaten ihre Anstrengungen erhöhen, um die EU-Ziele gemäß Europas digitaler Dekade zu erfüllen, so die Kommission.
Ein Faktor, der die digitale Transformation vieler Unternehmen gemäß in der EU verlangsame, sei der Mangel an IT-Fachkräften. So gaben 55 Prozent der befragten Unternahmen an, Schwierigkeiten bei der Einstellung von Mitarbeite:innen mit Kenntnissen in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) zu haben.
Daneben zeigte der ebenfalls veröffentlichte Fortschrittsbericht für Frauen im Digitalen das weiterhin große geschlechterspezifische Gefälle in diesem Bereich. Nur 19 Prozent der IKT-Spezialist:innen und etwa ein Drittel der Hochschulabsolvent:innen in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik sind weiblich. til
Russland warnt das von ihm unterstützte Belarus davor, im Streit mit der EU Gasdurchleitungen dorthin zu stoppen. Im Interview mit dem staatlichen Fernsehen sagte der russische Präsident Wladimir Putin, ein solcher Schritt würde die Beziehungen beider Staaten belasten.
Die EU plant neue Sanktionen gegen Belarus. Sie wirft dem Land einen “hybriden Angriff” vor, indem es Flüchtlinge aus Krisenregionen in Nahost und Afrika an die EU-Außengrenze schleust. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hatte zuletzt einen Stopp von Gaslieferungen an die Europäer ins Gespräch gebracht. Betroffen wäre die Pipeline Jamal, durch die russisches Gas via Belarus nach Polen und Deutschland fließt. Der belarussische Teil der Pipeline gehört dem russischen Staatsmonopolisten Gazprom.
Putin sagte nun, Lukaschenko habe mit ihm über dieses Thema nicht gesprochen. Putin fügte hinzu, selbstverständlich könne Lukaschenko die Gaslieferungen nach Europa unterbinden. “Aber dies würde eine Verletzung unseres Gastransit-Vertrags bedeuten, und ich hoffe, dass es dazu nicht kommen wird”, ergänzte Putin. Lukaschenko würde mit einem derartigen Schritt dem europäischen Energiesektor in großem Umfang schaden, ergänzte er. Außerdem wäre dies nicht hilfreich für die Beziehungen Russlands zu Belarus als Transitland.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat rasche Hilfe für die Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze gefordert. “Die Menschen werden mit einem falschen Versprechen an die Grenze zur EU gebracht. Sie werden missbraucht”, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. “Europa muss sich schnell einigen, wie diesen Menschen geholfen werden kann.” Laut Bas dürfe nicht zugelassen werden, dass Menschen und ihre Schicksale als Druckmittel benutzt würden. Die Situation zeige, dass in der EU das Thema Migration immer noch nicht gelöst sei. “Wir Deutsche stehen fest an der Seite der betroffenen EU-Staaten, vor allem Polen”, so die Parlamentspräsidentin. rtr
Er ist Europäer durch und durch, aber Europa sei für ihn nie ein Selbstzweck gewesen, sagt Bernd Hüttemann: “Für mich ist es schlicht der Ort, wo spannende Unterschiede dennoch demokratisch zueinander finden”, erklärt der Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD). Seit 2003 ist Hüttemann in dieser Funktion für den EBD tätig, eine vom Auswärtigen Amt geförderte Mittlerorganisation.
Auch schon davor war er nah am Geschehen in Brüssel, etwa als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Instituts für Europäische Politik. “Mein roter Faden war immer Neugierde auf Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Brücken der Zusammenarbeit. Und da bietet Europapolitik den hervorragenden Kitt zwischen den Menschen, die inhaltlich und räumlich Grenzen überwinden wollen, jenseits der Kirchturmmentalität“, sagt der 50-Jährige.
Als Generalsekretär der EBD ist Hüttemann in erster Linie Lobbyist, wenngleich nicht auf eine Branche spezialisiert, sondern generell für europäische Interessen unterwegs. “Wenn Sie vom ADAC, über den Bauernverband und Deutschen Bundesjugendring, Deutschen Gewerkschaftsbund, Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks auch noch die wichtigsten Parteien in ihrer Mitgliedschaft wissen, dann schafft das exklusive Zugänge“, erklärt er. Die vielseitige Mitgliedschaft mit 256 Organisationen kreiere aber auch Kontrolle und es tue ihm als Generalsekretär gut, klare Leitplanken zu haben.
Dass der Lobbyismus und gerade jener auf Brüsseler Parkett einen schlechten Ruf genieße, liege laut Hüttemann an der mangelnden Bildung zum Thema Interessenvertretung. “In meiner ‘Generation Golf’ war Europarecht nicht mal für VolljuristInnen flächendeckend verpflichtend. Es gibt nach meiner Kenntnis in Deutschland keinen Lehrstuhl für EU-Lobbyismus”, argumentiert er. Gleichzeitig seien gerade diejenigen Politikfelder europäisiert, die viel Interessenvertretung hervorgebracht haben – sprich Wirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz.
“Und Lobbyismus ist wie Wasser, es nimmt seinen Weg. Es ist schlicht kein Wunder, dass sich Lobbyist:innen vor allem da aufhalten, wo Entscheidungen getroffen werden: in Brüssel eben mehr als in Berlin“, so Hüttemann weiter. Aus seiner Sicht hat es sich mittlerweile bei Kritikern herumgesprochen, dass die Regeln für Interessenvertreter in Brüssel strenger sind als in Berlin. Was ihm in der nationalen Wahrnehmung fehle, sei Ehrlichkeit und kritische Neugierde auf Einflussnahme. Insofern werde Regulierung nur helfen, wenn EU-Gesetzgebung in ihrer Gänze besser verstanden und ernst genommen werde.
Hüttemann geht neben seiner Arbeit für die EBD auch noch anderen Tätigkeiten nach. So ist er unter anderem Lehrbeauftragter der Universität Passau und Berater der Bischöflichen Arbeitsgruppe Europa bei der Deutschen Bischofskonferenz. Angesprochen auf die größten europapolitischen Herausforderungen für die katholische Kirche sagt er: “Klimaschutz und Schutz der Geflüchteten sind Großthemen, wo sich AnhängerInnen europäischer Lösungen beim Papst und der katholischen Lehre sehr gut aufgehoben fühlen, ja aktiv unterstützt werden. Doch die Herausforderungen bestehen im Brechen von nationalen Widerständen, auch bei ultrakonservativen ChristInnen.”
Es sei daher in seinen Augen gut, dass die katholische Kirche eine klare Kante für Europas Einheit zeige. Diese klare Kante ist auch weiterhin von Hüttemann zu erwarten, ob als Berater von Entscheidungsträgern oder als Lobbyist der EBD. Constantin Eckner
Selten stand eine UN-Klimakonferenz so sehr im Licht der Öffentlichkeit wie die am Samstag zu Ende gegangene COP26. Das liegt zum einen an der Dringlichkeit. Schon im Vorfeld wurde der Konferenz in Glasgow eine noch größere Bedeutung beigemessen als jener 2015 in Paris. Damals wurde das berühmte 1,5-Grad-Ziel formuliert, aber offenbar schnell wieder vergessen. Die vergangenen zwei Wochen sollten dafür Sorge tragen, dass es in Reichweite bleibt und die Zeit drängt.
Zum anderen sorgte die enorme Präsenz zumeist jugendlicher Klima-Aktivisten für eine deutliche Senkung des ansonsten eher gehobenen Altersdurchschnitts auf derartigen diplomatischen Veranstaltungen, was der COP einen neuen Anstrich verlieh. Wenn auch nur nach außen.
Klimaschutz ist en vogue und die unbestreitbare Tatsache, dass der neuen Demo-Kultur auch ein gewisser Coolness-Faktor anhaftet, wird gerne kritisiert. Mitunter zurecht, wenn sich gut behütete Teenager im elterlichen SUV zum Schuleschwänzen fahren lassen. Wenn aber tausende Jugendliche aus aller Welt nach Glasgow pilgern, um sich Gehör zu verschaffen, dann ist das vor allem eins: bemerkenswert.
Wirklich bemerkt wurde die Jugend von den Entscheidungsträgern allerdings höchsten dann, wenn sie mal wieder im Weg stand und mit Schildern die Gänge blockierte. Gehört wurde sie schon gleich gar nicht. Dabei ernannte die UN sogar offiziell zwei Jugenddelegierte für jedes Land. Am Verhandlungstisch Platz nehmen durften davon aber die wenigsten. Ein eigens im Vorfeld ausgearbeiteter Forderungskatalog der globalen Jugend landete im Müll. Kein Wunder also, wenn hinter dem Instagram-Hashtag #COP26 häufig dieselben drei Worte zu lesen waren: blah blah blah. Timo Landenberger