Thema des Tages | Schwarz-rote Koalition
Erscheinungsdatum: 08. August 2025

Sondervermögen: Warum die Nachhaltigkeitswirkung limitiert bleibt

Bundeskanzler Friedrich Merz bei der Kabinettssitzung: Im Vergabebeschleunigungsgesetz wurde ein entscheidender Paragraf gestrichen. (picture alliance / dts-Agentur | -)
Deutschland wird in den kommenden Jahren hunderte Milliarden Euro investieren. Nachhaltigkeitskriterien spielen dabei kaum eine Rolle. Es fehlen verpflichtende Vorgaben für die öffentliche Beschaffung und ein umfassender Nachhaltigkeitshaushalt.

Für den Großteil der öffentlichen Beschaffung soll es erst einmal keine Pflicht geben, Nachhaltigkeitsfaktoren zu berücksichtigen. Das sieht das am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossene Vergabebeschleunigungsgesetz vor. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat einen entsprechenden Paragrafen gestrichen, den die vorherige Bundesregierung für die Reform vorgesehen hatte. Jetzt bleibt ihr nur die Möglichkeit, eine klimafreundliche Beschaffung durch Verordnungen vorzugeben. 

Dabei könne die öffentliche Beschaffung durch verbindliche Vorgaben „eine Schlüsselfunktion“ für das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz ausüben, heißt es in einer Stellungnahme der Stiftung Klimawirtschaft. Der Unternehmensverband fordert von der Bundespolitik, dass sie in dem Gesetz verpflichtende Kriterien für Klimaschutz, Zirkularität und lokale Wertschöpfung ergänzt. Dies sei notwendig, um die von der Bundesregierung geplanten Leitmärkte für nachhaltige Produkte aufzubauen – was sie im Koalitionsvertrag vereinbart habe. 

Noch ist die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit bei der Vergabe in Deutschland nicht weit verbreitet. Fachleute sagen, dass die Rechtsunsicherheit zu groß sei, es zu wenig Kapazitäten gebe und die Verwaltung zu wenig Expertise habe. Dabei könne die öffentliche Beschaffung „einen signifikanten Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten“, wenn sie ihre Marktmacht von 350 bis 500 Milliarden Euro pro Jahr nutze, heißt es etwa in einer aktuellen Veröffentlichung der Bertelsmann Stiftung. Sie empfiehlt, schrittweise die Berücksichtigung von Klimafolgenkosten (durch CO₂-Schattenpreise) in der Vergabe von öffentlichen Aufträgen verpflichtend zu machen. 

Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, ziel- und wirkungsorientiert zu handeln. Für das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland ist deshalb klar, dass auch öffentliche Vergaben verbindliche Vorgaben enthalten müssen, schreibt es in einer Stellungnahme. Doch bei einem der Kernelemente dieser ziel- und wirkungsorientierten Politik – einer entsprechend ausgerichteten Haushaltsführung – kommt Deutschland nur langsam voran. Das zeigt die vergangene Woche veröffentlichte 12. Spending Review des Bundesfinanzministeriums. Laut dieser Analyse des Haushalts, die seit 2015 jedes Jahr durchgeführt wird, ist noch viel Vorarbeit notwendig, um die Wirkung von Ausgaben messen zu können. 

„Die aktuelle Art der Haushaltsführung führt eher nicht dazu, dass das Sondervermögen ziel- und wirkungsorientiert ausgegeben wird“, sagt Albrecht Bohne, Forscher am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Die Potenziale des ziel- und wirkungsorientierten Ansatzes seien zwar groß, die vollständige Umsetzung brauche aber noch Zeit. Die durch die Spending Review vorgeschlagene schrittweise Einführung des sogenannten „Analysing“ – der systematischen Verknüpfung von Zielen sowie Ausgaben und ihrer Wirkung – hält Bohne für gut. Um die Wirkungsorientierung schon beim Sondervermögen zu erhöhen, könnten laut ihm „für alle Maßnahmen verpflichtende Evaluierungsstrategien beschlossen werden“. 

„Damit die staatlichen Stellen das Geld aus dem Sondervermögen sinnvoll investieren können, müssen mehrere Hindernisse aus dem Weg geräumt werden“, sagt Michael Thöne, Direktor des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln. Schon jetzt schrumpfe der Personalbestand in den Verwaltungsabteilungen, die für die Planung zuständig seien. „Statt jetzt schon viel von Ansätzen wie der ziel- und wirkungsorientierten Haushaltsführung zu erwarten, sollten Mitarbeiter in Verwaltungen also befähigt werden, gute Entscheidungen zu treffen“, sagt Thöne. 

Motivieren könne man Mitarbeiter des öffentlichen Diensts, wenn unnötige Regeln abgeschafft, Kompetenzen zusammengelegt und Entscheidungen ermöglicht werden, erklärt der Ökonom. Für das geplante Sondervermögen bedeute dies: „Das Geld in größere Töpfe statt in detailreich ausformulierte Programme stecken, schlanke Erfolgsindikatoren finden und Fehler erlauben.“ Denn die ziel- und wirkungsorientierte Haushaltsführung sei zwar sinnvoll. „Sie nehme der Politik aber nicht die Entscheidung ab, welche Investitionen priorisiert werden sollen“, ergänzt Thöne. 

„Mit dem Sondervermögen rasch Erfolge erzielen zu müssen, führt zu einem Dilemma“, sagt Henrik Scheller, Teamleiter Wirtschaft, Finanzen und Nachhaltigkeitsindikatorik beim Deutschen Institut für Urbanistik. Insbesondere infolge der schlechten finanziellen Lage der Kommunen lasse sich eine zunehmende Infragestellung von Nachhaltigkeit und der damit verbundenen Berichtspflichten beobachten.  

Laut dem Statistischen Bundesamt hatten die Kommunen 2024 ein Finanzierungsdefizit von knapp 25 Milliarden Euro – ein historischer Höchststand. „Daher beschäftigen sich die meisten Kommunen eben nicht mit der weiteren Integration von Nachhaltigkeit in ihren Haushalten“, obwohl das laut des Politologen mit Blick auf einen effizienten Mitteleinsatz geboten wäre. 

Nachdem sich die vergangenen drei Spending Reviews mit der ziel- und wirkungsorientierten Haushaltsführung beschäftigt hatten, geht es im kommenden Jahr um Verbesserungen des Forderungsmanagements des Bundes. Das Vergabebeschleunigungsgesetz muss noch das parlamentarische Verfahren durchlaufen.

Alle bisherigen Beiträge der Serie zum Sondervermögen finden Sie hier.

Letzte Aktualisierung: 08. August 2025
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