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Erscheinungsdatum: 06. September 2024

Verdrehte Nachhaltigkeit: Erst Gas und Atomkraft, nun Waffen? 

Zuerst erklärte die EU vor zwei Jahren Investitionen in Gas und Atomkraft als „grün“. Nun gesellen sich voraussichtlich Rüstungsgüter als „sozial“ dazu. Damit droht Nachhaltigkeit zum Beliebigkeits-Buzzword zu verkommen.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen Geld anlegen und lassen sich dazu bei Ihrer Bank beraten. Sie entscheiden sich für einen Fonds mit Nachhaltigkeitszertifikat. Später stellen Sie fest, dass dieser nachhaltige Fonds nicht nur Aktien von Gas- und Atom-Konzernen enthält, sondern auch von Waffenherstellern. Und das ganz legal.

Verkehrte Welt? Wenn es nach der Bundesregierung geht, könnte dies bald Normalität sein. Im Entwurf ihres Strategiepapiers zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) heißt es: „Die Anforderungen der Zeitenwende einerseits und die Signalwirkung von Environmental, Social and Corporate Governance (ESG)-Kriterien auf den Zugang der SVI zum Finanzmarkt andererseits müssen in Einklang gebracht werden.“ Soll wohl heißen: Das ESG-Label soll helfen, mehr Anleger für die militärische Zeitenwende zu finden.

Durch diese Entwicklung wird Nachhaltigkeit ein Buzzword der Beliebigkeit. Als Vorständin der GLS Bank kann ich nur davor warnen. Mit meinem Verständnis von Nachhaltigkeit im Sinne einer ökologischen und sozialen, generationengerechten Zukunftsfähigkeit hat das nichts mehr zu tun. Die Produktion von Waffen, ihr Export und ihr Einsatz sind nicht nachhaltig! Krieg ist nicht nachhaltig. Und Dividenden aus zur Kriegsführung hergestellten Gütern können nicht nachhaltig sein.

Sie generieren ein wirtschaftliches Interesse, den Umsatz von Rüstungsgütern zu erhöhen. Die Idee, dass nur so viele Waffen produziert werden, wie es zur Verteidigung braucht, wird ad absurdum geführt. Dieses System wollen wir nicht unterstützen. Deswegen schließt die GLS Bank Investitionen in Rüstung in ihrem sozial-ökologischen Bankgeschäft konsequent aus.

Infolge der russischen Aggression gilt ein neues Paradigma in der Sicherheitspolitik, das da heißt: Aufrüstung bringt Sicherheit. Um die vielen Milliarden Euro für Rüstungsgüter aufzubringen, forderte EU-Kommissarin Mairead McGuinness deshalb schon vergangenes Jahr, nachhaltige Finanzen sollten im Einklang mit erleichtertem Kapitalzugang für die europäische Verteidigungsindustrie stehen. Ein Beispiel von vielen, das den Paradigmenwechsel deutlich macht.

Die Europäische Investitionsbank (EIB), die einen Großteil ihrer Investitionen in die grüne Transformation steckt, revidierte im Mai dieses Jahres ihre Vorgaben zu sogenannten Dual-Use-Gütern. Diese können sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden. Die EIB plant jährlich sechs Milliarden Euro für den Bereich Sicherheit und Verteidigung bereitzustellen. Das verlautete im Juni aus dem Finanzausschuss des Bundestages. Die bisherige Vorgabe, dass EIB-finanzierte Projekte nur zur zivilen Nutzung bestimmt sein sollen, entfällt.

Ich möchte betonen: Wenn Regierungen in Sicherheit und Verteidigung ihres Territoriums und ihrer Bürger investieren, erfüllen sie ihre ureigene Aufgabe. Laut Grundgesetz hat der deutsche Staat in Form von Polizei und Bundeswehr das Macht- und Gewaltmonopol inne. Der Export von „zur Kriegsführung bestimmter Waffen“ ist dabei verboten (Artikel 26). Unter strengen gesetzlichen Regelungen sind Exporte durch den Staat dennoch möglich, nachdem er die militärische Ausrüstung selbst eingekauft hat. Private Rüstungsunternehmen handeln also immer in staatlichem Auftrag. Sie tragen dadurch nicht das übliche unternehmerische Risiko wie etwa Konsumunternehmen.

Vor diesem Hintergrund ist es absurd, wenn über eine Nachhaltigkeitskennzeichnung privates Kapital für die Waffenindustrie gesammelt wird, die am Ende dieses staatlich abgesicherten Handels privatwirtschaftliche Gewinne abschreibt. Und das in großem Stil: Deutschland gehört zu den fünf größten Rüstungsexporteuren. Sowohl Privatpersonen als auch institutionelle Investoren können Aktien börsennotierter Rüstungsunternehmen kaufen. Sie profitieren von steigenden Kursen und Dividenden. Sie bereichern sich also über ein Finanzprodukt am Krieg. Das ist schon jetzt möglich und muss nicht auch noch durch ein ESG-Label aufgewertet werden.

Wenn unsere Nachhaltigkeitskriterien im Interesse einer neuen Verteidigungspolitik umgestaltet werden, hat das große Auswirkungen auf den Schutz von Anlegern. Mir fehlt ein kritischer Diskurs darüber, dass hier eine Marktstruktur geschaffen werden soll, in der ich als Privatperson Renditen aus Investitionen in Munition oder Panzer erhalte und dies im gleichen Sinne nachhaltig sein soll wie eine Investition in einen Windpark oder Biolandwirtschaft.

Es geht aber noch weiter. Bei einem Panzer mag es offensichtlich sein, aber es gibt auch die Dual-Use-Güter. Das sind Produkte, die sowohl militärisch als auch zivil verwendet werden können. Spätestens hier wird es für Anlegende nahezu unmöglich einzuschätzen, wie ihr Geld wirkt.

Wir orientieren uns in unserem Handeln an der Friedenslogik: Frieden entsteht niemals durch Krieg. Unseren Beitrag als GLS Bank sehen wir in dieser Situation in Investitionen in eine Friedenswirtschaft. Eine Wirtschaft also, die sich an den Grundbedürfnissen von Menschen ausrichtet wie: bezahlbarer Wohnraum, erneuerbare Energien, kultureller Austausch und Bildung.

Statt privater Investitionen in Rüstungsgüter braucht es klare Signale für mehr private Investitionen in diese Wirtschaftszweige, die unser aller Zukunft mitgestalten. Immerhin benötigen wir hier, je nach Einschätzung, 50 bis 70 Milliarden Euro. Pro Jahr. Ein Nachhaltigkeitsbegriff, der mit Waffen aufgeweicht wird, untergräbt nicht nur den Verbraucherschutz, sondern gefährdet im Zweifel auch dringende Kapitalströme in eine zukunftsfähige Wirtschaftsstruktur. Darum mein Appell der Aufgabenteilung: Der Staat kümmert sich um Verteidigung, und wir finanzieren die Privatwirtschaft der Zukunft.

Aysel Osmanoglu ist Vorstandsprecherin der GLS Bank und verantwortet die Ressorts Strategie und Entwicklung, Menschen und Wertekultur, Kommunikation, Gesamtbanksteuerung und die Kreditsicherung. Sie hat Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Heidelberg und Frankfurt am Main studiert und ist diplomierte Bankbetriebswirtin.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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