in Deutschland hat die Diskussion über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht gerade erst begonnen, Taiwan hat angesichts der Bedrohungslage durch die Volksrepublik bereits gehandelt und die Wehrpflicht von vier Monaten auf ein Jahr verlängert. In diesen Tagen ist die Ausweitung in Kraft getreten. Auf die konkrete Wehrhaftigkeit wird die Verlängerung der Dienstzeit allerdings wohl keine große Wirkung haben, analysiert Fabian Peltsch. Viele junge Soldaten zweifeln an der Qualität der Ausbildung und der verwendeten Ausrüstung. Länger heißt offenbar nicht unbedingt besser.
Wir haben in den vergangenen Jahren viel über wirtschaftliche Abhängigkeiten von China diskutiert. Präzise Daten, wie abhängig wir als deutsche Volkswirtschaft von der Volksrepublik wirklich sind, gibt es aber nur unzureichend. Als frisch berufener Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt will Philipp Böing die China-Forschung aus Ökonomen-Sicht stärken. Im Interview mit Marcel Grzanna erläutert er, warum das dringend nötig ist.
Einen guten Start in die Woche!
Angesichts wachsender Bedrohung vom Festland hatte Taiwans Regierung Ende 2022 angekündigt, die Wehrdienstpflicht in Taiwan von vier Monaten auf ein Jahr zu verlängern. Am vergangenen Donnerstag traten die ersten Rekruten unter dieser Regelung ihre Ausbildung an. Laut Chen Chien-yi, dem Stabschef des Armeekommandos, wurden dabei 9.127 Männer neu rekrutiert. 7.514 von ihnen werden auf die Regionen Nord, Mitte, Süd und Ost aufgeteilt. Die restlichen 1.613 beginnen ihr Militärtraining im Februar und März bei Einheiten der Marine und Luftwaffe.
Durch die Reform des Pflichtwehrdienstes erhöht sich Taiwans Truppenstärke um 60.000 bis 70.000 Mann. Laut Schätzungen der Security-Statstik-Seite Global Fire Power hat Taiwan insgesamt 2,58 Millionen Militärangehörige, davon 215.000 Soldaten im aktiven Dienst und 2,31 Millionen Reservesoldaten. Damit stünde die demokratisch regierte Insel auf Platz 24 der mächtigsten Armeen der Welt.
Die Wehrpflichtreform geht mit einem “Plan zur Neuausrichtung der Streitkräfte” einher, der bereits von der scheidenden Präsidentin Tsai Ing-wen verabschiedet wurde. Auch ihr Nachfolger im Amt, William Lai, hat erklärt, dass er die Stärkung des Militärs fortsetzen wird, einschließlich steigender Verteidigungsausgaben in Höhe von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Keine der führenden Parteien Taiwans hatte sich im Wahlkampf gegen eine Verlängerung des Wehrdienstes ausgesprochen.
Doch länger heißt nicht unbedingt besser. Su Tzu-yun vom Institute for National Defense and Security Research (INDSR), erklärte, dass Taiwan sich für seine Neuausrichtung an den Ausbildungsmethoden und Wehrpflichtsystemen in Singapur, Schweden, der Schweiz, Israel und den Vereinigten Staaten orientiert habe. Und natürlich spielte der Ausbruch des Ukraine-Kriegs eine besondere Rolle. “Die Situation in der Ukraine hat das Verständnis für Invasionsszenarien in Taiwan stark beeinflusst und die Bevölkerung insgesamt sensibilisiert”, sagt Zsuzsa Anna Ferenczy, Assistenzprofessorin an der National Dong-Hwa University in Shoufeng und ehemalige politische Beraterin im Europäischen Parlament, zu Table.Media.
Die Wehrpflichtigen verbringen mit acht statt bisher fünf Wochen nun mehr Zeit in der Grundausbildung, bevor sie zu Spezial-Aufgaben in den verschiedenen Bereichen des Militärs übergehen. Während der Grundausbildung werden Bajonettübungen durch Nahkampf-Training ersetzt. Auch der Umgang mit modernen Waffen wie Stinger-Flugabwehrraketen und Drohnen wird verstärkt gelehrt. Simulierte Stresssituationen, etwa die Versorgung von Verwundeten unter Bombenbeschuss, soll die psychologische Widerstandsfähigkeit stärken und das Training realitätsnäher machen.
Eine starke Truppenmoral ist für Taiwans Selbstverteidigung das A und O. Und hier haperte es in der Vergangenheit oft, erklärt Ferenczy. “Intern herrscht noch immer Misstrauen gegenüber der Fähigkeit des Militärs, Taiwan überhaupt verteidigen zu können, was auch die Sichtweise der Gesellschaft auf den Militärdienst geprägt hat.” Das schlechte Image des Wehrdienstes ging unter anderem darauf zurück, dass die Wehrpflichtigen ihre Zeit vor allem mit Aufgaben wie Putzen verbrachten, anstatt mit scharfer Munition zu trainieren.
Unmittelbar nach Russlands Einmarsch in die Ukraine gab es starke Unterstützung für eine Stärkung der Verteidigungskapazitäten Taiwans. Im Mai 2023 zeigten Umfragen, dass 71,9 Prozent der Bevölkerung bereit wären, die Insel zu verteidigen. Aber gerade jüngere Leute haben gemischte Gefühle, was die Wehrpflicht angeht. Eine Umfrage vom Dezember 2023 zeigte, dass 35,6 Prozent der 20- bis 24-Jährigen die Wehrpflicht befürworten, während es im März noch 56,4 Prozent waren. In der Altersgruppe, die von der Wehrdienstverlängerung betroffen ist, ist die Unterstützung also am niedrigsten – kein Wunder, aber auch kein gutes Zeichen für die Reform.
Laut einem Bericht des taiwanischen Nachrichtendienstes CNA zweifeln viele junge Soldaten noch immer an der Qualität der Ausbildung und der dabei verwendeten Ausrüstung. Der Staat will die Stimmung heben, indem er den Rekruten ermöglicht, Studium und Militär besser in Einklang zu bringen und den finanziellen Druck, etwa durch Schulkredite, verringert. Das Einberufungsalter liegt in Taiwan bei 18 Jahren, doch wird die Einberufung in der Regel für ein Hochschulstudium aufgeschoben, viele sagen auch: verschleppt. Gegen Wehrpflichtige, die den Dienst an der Waffe verweigern, können Haftstrafen von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Es gibt in der Praxis jedoch meist lediglich Geldstrafen.
Taiwans Militär müsse eine Balance zwischen konventioneller Kriegstechnik wie Schiffen und beweglichen Waffen wie Drohnen und mobilen Luftabwehrsystemen finden, sagt Lin Ying-yu, Verteidigungsexperte an der Tamkang University, zu Table.Media. Einen längeren Militärdienst hält er für eine wichtige Maßnahme zur Landesverteidigung, er weist aber auch ausdrücklich darauf hin, dass Peking nicht auf einen direkten militärischen Angriff zurückgreifen muss, um Taiwan zu erobern.
“Das Festland wird etwas einsetzen, das ich Hyperkriegsführung nenne. Der erste Schritt ist Desinformation, der zweite ist Cyberkriminalität, etwa Angriffe auf Websites. Ein weiterer Schritt sind Militärübungen rund um die Insel”, so Lin. Das Ziel sei, dass Taiwans Bürger langsam das Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Regierung verlören, Taiwan zu verteidigen. “Das wird wiederum eine Panik auslösen, die es der Volksbefreiungsarmee viel leichter macht, Taiwan anzugreifen. Wir werden lernen müssen, auf all das zu achten. Das ist unsere größte Herausforderung für die Zukunft.”
Ferenczy stimmt zu: “Die Priorität Pekings liegt nach wie vor darin, das Narrativ innerhalb Taiwans zu beeinflussen und sich in die innerstaatlichen demokratischen Prozesse, aber auch in die globalen Beziehungen Taiwans einzumischen”, sagt die Politikwissenschaftlerin. Die Beeinflussung der Stimmung im Land ist dabei mal mehr und mal weniger subtil. Nachdem Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen 2022 die Verlängerung der Wehrpflicht angekündigt hatte, warf China Taiwan vor, die junge taiwanesische Bevölkerung als “Kanonenfutter” verheizen zu wollen.
Wie steht es um die China-Kompetenz in Deutschland?
Die Dringlichkeit, Chinas Handeln hierzulande besser zu verstehen, hat zugenommen. Wir bauen dennoch nur zögerlich China-Expertise auf. Das Interesse an einem Studium mit China-Bezug ist derzeit vergleichsweise gering, und auch die Euphorie, als Manager nach China zu gehen, hat abgenommen. Ohne einen vertieften Zugang zu China ist es jedoch schwierig, das relevante Wissen zu erlangen. Vereinfacht gesagt: Es gibt in Deutschland mehr Aufmerksamkeit für China, aber nicht in gleichem Maße mehr Expertise.
Welche Konsequenzen drohen?
Ohne ein Verständnis für die Steuerungsmechanismen und Strategien Chinas ist es für deutsche Politiker und Unternehmer schwierig, fundierte Entscheidungen zu treffen. Die Gestaltung und Umsetzung der chinesischen Wirtschaftspolitik ist sehr spezifisch. Umso wichtiger ist es, diese Besonderheiten zu verstehen. China ist ein bedeutender Handelspartner, technologischer Wettbewerber und geoökonomischer Rivale, der größtmögliche Aufmerksamkeit verdient.
Mit der Professur für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China an der Goethe-Universität in Frankfurt wollen Sie die wirtschaftswissenschaftliche China-Expertise in Deutschland auf Basis evidenzbasierter Forschung stärken. Was heißt das?
Wir verfolgen einen in Deutschland bislang noch seltenen Ansatz: China-Forschung aus der Wirtschaftswissenschaft heraus, nicht aus der Sinologie oder den Regionalwissenschaften. Die Goethe-Universität bietet mit dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften und dem Interdisziplinären Zentrum für Ostasienstudien ein gutes Umfeld. Das kooperierende ZEW in Mannheim ist ergänzend auf Forschung und Politikberatung ausgerichtet.
Wie sieht dieser Ansatz konkret aus?
Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der Innovations- und globalen Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in China. Wir interessieren uns für die Wirksamkeit der chinesischen Industriepolitik und für ihre Auswirkungen auf den internationalen Technologiewettbewerb. Dies erfordert zum einen die Binnenbetrachtung der chinesischen Wirtschaftsprozesse, zum anderen eine Betrachtung der Außenwirkung, zum Beispiel auf das Innovationsverhalten deutscher Unternehmen.
Wie funktioniert das in der Praxis?
Der Ansatz basiert auf der Nutzung großer Datensätze. So werden beispielsweise Patentschriften quantifiziert, mit Unternehmensmerkmalen kombiniert und empirisch analysiert. Auch in der quantitativen Forschung ist es notwendig, chinesische Texte lesen zu können, um die Prozesse der Datengenerierung in China verstehen und institutionell einordnen zu können. Beispiele dafür: Subventionen führen in China zu einer Patentinflation, oder die Zweckentfremdung von Fördermitteln zu einer reduzierten Effektivität der Innovationspolitik. Solche spezifischen Phänomene müssen inhaltlich erkannt und methodisch adäquat berücksichtigt werden.
Wo liegt der Erkenntnisgewinn?
Dabei geht es vor allem um die Frage, ob die chinesische Regierung das Wirtschaftswachstum fördert oder ob ihr Einfluss verzerrend wirkt. Die Analyse ist ein fortlaufender Prozess, weil sich die nationalen und internationalen Rahmenbedingungen und somit auch das öffentliche Interesse ständig ändern. Früher war es Stahl, dann Solar- und Windenergie, heute sind es KI, Elektromobilität und Überwachungstechnologien. Mit einer aktuellen Analyse der Technologie-Souveränität Chinas im Vergleich zu Europa und den USA setzen wir ein erstes Schlaglicht: Wie ist die Verflechtung, wer ist souveräner, und variiert dies je nach Technologie?
Die Rückkopplung chinesischer Politik auf unsere eigene Wirtschaft wird seit Jahrzehnten thematisiert. Weshalb hat es bis 2024 gedauert, bis sich eine deutsche Universität diesen Zusammenhängen konkret annimmt?
In Deutschland wurde China als Forschungsgegenstand lange Zeit nur in der Sinologie oder in den Regionalwissenschaften verortet. Die Wirtschaftswissenschaften in Deutschland sind vergleichsweise konservativ aufgestellt. Eine Professur mit China-Schwerpunkt ist sehr speziell. Man fragt sich eventuell: Ist das in fünf Jahren noch relevant? Bei knappen Budgets scheuen sich die Entscheidungsträger in der Wissenschaft daher, Nägel mit Köpfen zu machen.
Weil sie glauben, dass China in fünf Jahren seine wirtschaftliche Relevanz verloren hat?
Diese Argumentation ist zumindest zu hören, wenn es um die langfristige Finanzierung geht. Hinzu kommt eine generelle Unsicherheit im Umgang mit China, wie sie aktuell wieder vom DAAD thematisiert wird. Es gibt durchaus Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland, die über China publizieren. Aber eine Universitätsprofessur, die China systematisch als Forschungsschwerpunkt aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive aufgreift, ist eher selten. Das hat bislang dazu geführt, dass Länder wie die USA uns deutlich voraus sind und die wirtschaftswissenschaftliche China-Expertise in Deutschland ausbaufähig ist.
Sie wollen mit chinesischen Partnern zusammenarbeiten. Birgt das die Gefahr, dass Sie ungewollt Informationen im Interesse der chinesischen Regierung verbreiten?
Unser Ziel ist reziproker Erkenntnisgewinn. Es gibt konkurrierende Narrative über das wirtschaftliche und technologische Entwicklungspotenzial Chinas. Unsere Basis ist die empirische Forschung. Sie liefert einen objektiven, evidenzbasierten Beitrag, der im Zweifelsfall auch bestehende Narrative korrigiert.
Wie wollen Sie die Kooperation mit chinesischen Forschern organisieren?
Durch Einbindung, aber ohne einseitige Abhängigkeit von chinesischen Partnern. Wir untersuchen Prozesse und wollen diese Informationen sowohl der Wissenschaft als auch politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung stellen. In der Regel arbeiten wir mit Co-Autoren zusammen, die vor allem institutionelle Expertise und Datenzugang einbringen. Im Gegensatz zu nationalen Publikationen bieten internationale Publikationen den chinesischen Kollegen auch mehr Freiheitsgrade bei der Themenwahl. Während der wirtschaftswissenschaftliche Diskurs in China zunehmend politisch geprägt ist und vor allem positive Aspekte betont, zeigen unsere Studien regelmäßig auch Optimierungspotenziale auf.
Philipp Böing, 41, ist Senior Researcher am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Er hat als Assistant Professor an der Peking Universität gelehrt und unter anderem die Weltbank und die deutsche Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) beraten. Am 1. Februar 2024 wird er die Professur für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main besetzen.
Das Oberste Gericht in Hongkong will am Montag entscheiden, ob Evergrande, das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen der Welt, liquidiert wird. Zwei Insidern zufolge hat sich in dieser Woche eine einflussreiche Gruppe von Anleihegläubigern auf die Seite derer geschlagen, die eine Abwicklung des strauchelnden Konzerns befürworten. Anwälte halten es nun für wahrscheinlicher, dass Richterin Linda Chan vom Obersten Gericht in Hongkong die Liquidation beschließt. Die Gläubigergruppe hält Auslandsanleihen von China Evergrande im Wert von zwei Milliarden Dollar.
Fast zwei Jahre hatte die Gruppe, zu der auch mehrere Hedgefonds gehören, mit Evergrande um eine Umschuldung der 23 Milliarden Dollar gerungen, die sich der Immobilienentwickler auf den internationalen Märkten geliehen hat. Doch Ende 2021 musste er einräumen, dass er die Schulden nicht bedienen kann. Beraten wird die Gruppe von der Investmentbank Moelis & Co. Insgesamt ist China Evergrande mit 300 Milliarden Dollar verschuldet, bei Vermögenswerten von 240 Milliarden Dollar.
Der ursprüngliche Umschuldungsplan war im September geplatzt, nachdem Ermittlungen gegen Firmengründer Hui Ka Yan bekannt wurden. Der Gläubigerausschuss hatte auch den neuesten, quasi in letzter Minute vor einer Anhörung Anfang Dezember vorgelegten Restrukturierungsplan abgelehnt. Schon damals drohte er, dass im Januar die Liquidation komme, wenn Evergrande bis dahin nicht mit einer für alle Gläubiger akzeptablen Lösung um die Ecke komme. Auch Richterin Chan hatte angekündigt, dass beim nächsten Mal eine Entscheidung fallen müsse – und klargemacht, dass sie die Abwicklung beschließen werde, wenn es keinen “konkreten” Sanierungsplan gebe.
Wenn sie ihre Ankündigung wahr macht, würde erst ein vorläufiger und danach ein offizieller Abwickler für Evergrande bestellt, der einen Verkauf der Vermögenswerte vorbereitet, um damit die Schulden zu tilgen. Aber auch dieser könnte noch einen neuen Sanierungsplan vorlegen. China Evergrande könnte den Beschluss zur Abwicklung zwar anfechten, aufhalten kann das Unternehmen den Prozess aber nicht. Aufgabe des Abwicklers ist es auch, mögliches Fehlverhalten der Evergrande-Manager an die Hongkonger Behörden zu melden.
Die Aussichten für die Gläubiger sind gering: Die Wirtschaftsprüfer von Deloitte haben laut Evergrande eine Rückzahlungsquote von 3,4 Prozent errechnet, wenn das Unternehmen abgewickelt wird. Angesichts der Ermittlungen gegen Hui Ka Yan erwarten die Gläubiger mittlerweile, dass sie eher weniger als drei Prozent ihres Einsatzes zurückbekommen. Die Dollar-Anleihen von Evergrande werden mit weniger als einem Prozent des Nennwertes gehandelt. Denn die meisten Vermögenswerte sind entweder schon verkauft oder von den Banken gepfändet. Und Käufer für die beiden in Hongkong börsennotierten Töchter Evergrande Property Services und Evergrande New Energy Vehicle dürften schwer zu finden sein. rtr
Nach dem Schweizer Solarhersteller Meyer Burger hat nun auch der Dresdner Modulproduzent Solarwatt vor einem Aus seiner Produktion gewarnt, falls es keine Unterstützung durch die Politik gebe. “Wenn gar nichts passiert, müssten wir darüber nachdenken, wie es mit unserer Produktion weitergeht”, sagte Solarwatt-Chef Detlef Neuhaus im Interview mit dem Handelsblatt. Bis Ende des Jahres müsse die Entscheidung fallen.
Die europäische Solarindustrie ist seit dem Sommer durch einen Preissturz unter Druck geraten, ausgelöst vor allem durch eine Flut günstiger Solarmodule aus China. Das Land hält 90 Prozent Weltmarktanteil bei Solaranlagen. Auch Meyer Burger, der größte Solaranlagenhersteller in Deutschland, ist dadurch in Not. Firmenchef Gunter Erfurt kündigte in der vergangenen Woche an, die Solaranlagenfabrik der Firma im sächsischen Freiberg im April zu schließen, wenn es keine Unterstützung der Politik gebe. Bis Mitte Februar müsse er über die Schließung entscheiden, um im Zweifelsfall die Gesamtfirma zu retten.
Von Berlin wünscht sich die Branche Unterstützung in Form des vom Bundesverband der Solarindustrie entwickelten “Resilienzprogramms”, das laut Erfurt von Beginn an bis hin zu konkreten Fördersätzen EU-kompatibel konzipiert worden sei. Ein solches Programm schreibt unter anderem lokalen Content in Ausschreibungen vor und finanziert den dafür nötigen Aufpreis aus der Staatskasse. Auch ein Aufruf europäischer Solarhersteller forderte kürzlich von der EU im Rahmen des geplanten EU-Net-Zero Industry Act eine Mandatierung solcher Resilienz-Auktionen in den Mitgliedsstaaten, in denen auch Nicht-Preis-Kriterien für lokale Produkte enthalten sind.
Beschäftigt sei mit dem geforderten Programm derzeit der Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie, der dazu bereits Experten angehört habe, sagte Erfurt. Der finanzielle Aufwand für das Resilienzprogramm werde sich auf lediglich 50 Millionen Euro für 2024 belaufen – im Vergleich zu 60 Milliarden Euro fossiler Subventionen in Deutschland.
Das Wirtschaftsministerium ist für eine Förderung grundsätzlich offen. Man sei mit betroffenen Unternehmen deswegen aktuell in täglichem Austausch, sagte Minister Robert Habeck auf dem kürzlichen Handelsblatt Energie-Gipfel in Berlin. “Es geht darum, die zehn Prozent Solarpanels, die nicht aus China kommen, zu halten, sodass wir bei der technischen Entwicklung mitreden können.”
Die EU-Kommission erwägt einem Bericht der Financial Times zufolge, die europäische Solarmodulbranche vor der Flut von Billigimporten aus China schützen zu wollen. Strafzölle auf chinesische Importe lehnen die meisten Firmen allerdings ab – auch Meyer Burger. “Da sind wir uns einig mit der Downstream-Industrie”, sagte Erfurt. ck
Der Rat hat am Freitag sein Verhandlungsmandat zur Verordnung über das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit angenommen. Das Gesetz soll Produkte auf dem EU-Binnenmarkt verbieten, die in Zwangsarbeit gemäß der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt wurden. Die Mitgliedstaaten nehmen in dem Mandat mehrere Veränderungen an dem Kommissionsentwurf vor.
Generell will der Rat die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der Kommission bei der Anwendung der Verordnung stärken. Das Mandat sieht unter anderem vor, dass ein Netz aus der Kommission und Behörden in den Mitgliedstaaten gegen Zwangsarbeitsprodukte aufgebaut wird, um die Anwendung der Verordnung besser zu koordinieren. Dieses soll aktiv an allen Phasen des Verfahrens beteiligt sein, das zum Verbot eines Produkts führt.
Zudem soll ein einheitliches Portal für Zwangsarbeit eingerichtet werden. Dieses soll zum einen für das Einreichen von Informationen, für eine Datenbank und für Leitlinien zuständig sein, und zum anderen Informationen über getroffene Entscheidungen bereitstellen. Die Mitgliedstaaten wollen zudem auch Produkte einbeziehen, die im Fernabsatz angeboten werden.
Um den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Zuweisung von Fällen zu vereinfachen, stärkt das Mandat die Rolle der EU-Kommission. Diese soll auf der Grundlage aller relevanten, überprüfbaren und glaubwürdigen Informationen beurteilen, ob die betreffenden Produkte von “Unionsinteresse” sind. Dafür muss mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:
Liegt ein solches sogenanntes Unionsinteresse vor, soll die Kommission automatisch die Voruntersuchungsphase übernehmen. Andernfalls wird die Voruntersuchungsphase von einer zuständigen nationalen Behörde durchgeführt.
Das Parlament hatte bereits im November seine Position beschlossen. Für die Trilogverhandlungen bleibt nicht viel Zeit: Laut Informationen von Table.Media sind zwei Treffen auf politischer Ebene geplant. Das erste soll bereits am kommenden Dienstag, 30. Januar, stattfinden, das zweite im Februar. leo
Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, und Chinas Außenminister Wang Yi haben sich in Bangkok zu einem zwölfstündigen Gespräch getroffen. Das Treffen habe dazu gedient, mit “Wettbewerb und Spannungen” zwischen beiden Ländern verantwortungsbewusst umzugehen, sagte eine Vertreterin der US-Regierung.
Sullivan habe unter anderem die Angriffe der jemenitischen Huthi-Miliz im Roten Meer zur Sprache gebracht, sagte die US-Vertreterin weiter. Die Rebellen werden vom Iran unterstützt. Sullivan habe die Führung in Peking aufgefordert, ihre “erheblichen Druckmittel” einzusetzen. China pflegt enge Handelsbeziehungen zum Iran. “Wir haben China nicht zum ersten Mal aufgefordert, eine konstruktive Rolle zu spielen. Peking sagt, dass es diese Angelegenheit mit den Iranern bespricht”, sagte die Beamtin. Es sei aber offen, ob Peking sich in dieser Sache wirklich einbringe.
Sie wies zudem darauf hin, dass es Pläne für ein Telefonat zwischen Präsident Joe Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in den kommenden Monaten gebe. Xi und Biden waren zuletzt im November während des Gipfeltreffens des südostasiatischen Staatenbundes Asean in San Francisco zusammengekommen. Das Verhältnis der beiden größten Volkswirtschaften der Welt gilt als angespannt. Sullivan habe in dem Gespräch mit Wang zudem erneut deutlich gemacht, dass die US-Regierung einseitige Änderungen am Status quo Taiwans ablehne. flee
Von Mittwoch an erhalten litauische Staatsbürger keine Visa mehr für China. Die chinesische Vertretung in Vilnius setzt die Ausstellung von Einreiseerlaubnissen aus. Außenminister Gabrielius Landsbergis hat einen entsprechenden Bericht der litauischen Nachrichtenplattform 15min.lt bestätigte. “Wir wurden darüber informiert. Es wurden keine weiteren Informationen bereitgestellt”, sagte er vor litauischen Journalisten in Kiew. Landsbergis sagte, er wisse nichts über die Gründe und die Dauer der Sperre.
Zuletzt hatte die chinesische Vertretung Ende November 2021 die Ausstellung von Visa für litauische Staatsbürger vorübergehend ausgesetzt. Peking erklärte damals, der Schritt sei aus technischen Gründen erfolgt. Im selben Zeitraum wurden jedoch auch die diplomatischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik und dem EU-Staat offiziell auf die Ebene eines Geschäftsträgers herabgestuft. Geschäftsträger werden in der diplomatischen Rangordnung unter Botschaftern eingeordnet. Das hat sich seither nicht verändert. Hintergrund war damals die Eröffnung eines “Taiwan-Büros” in Vilnius. Peking leitete eine Handelsblockade gegen den baltischen EU-Staat ein.
Brüssel zog daraufhin vor die Welthandelsorganisation (WTO). Am Freitag setzte die Europäische Union den Streit mit China nun aus. “Dies ist ein Verfahrensschritt aus technischen Gründen im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, bestimmte Elemente zu bewerten, die sich aus der Erstellung schriftlicher Eingaben ergeben”, sagte EU-Handelssprecher Olof Gill der South China Morning Post. “Diese Aussetzung kann die EU als Beschwerdeführerin in diesem Fall jederzeit im Laufe des WTO-Verfahrens vornehmen.” Wie lange die Aussetzung dauern wird, war zunächst nicht klar. Außenminister Landsbergis hatte zuletzt erklärt, dass der Handelsstreit mit China beigelegt sei. ari
Bis zum letzten Ballwechsel kämpfte Zheng Qinwen am Samstag bei den Australian Open gegen die Niederlage in ihrem ersten Grand-Slam-Finale an. Schon ihr Einzug ins Endspiel bei dem ersten der vier prestigeträchtigsten Turniere im jährlichen Tenniskalender war eine große Überraschung. Am Ende reichte es gegen die erfahrene und kaltschnäuzige Aryna Sabalenka aus Belarus aber nicht für einen Sieg. Die Nummer zwei der Tenniswelt gewann glatt in zwei Sätzen mit 6:3, 6:2.
Ein wenig verloren wirkte Zheng dann bei der gemeinsamen Siegerinnenehrung. Doch als sie in ihrer Dankesrede den zahlreichen chinesischsprachigen Fans in Melbourne für ihre Unterstützung dankte, strahlte sie unter großem Applaus auf. Das Publikum hatte Zheng mit seinen Rufen während der zwei Wochen in Melbourne durch das Turnier getragen: “Jiāyóu” – 加油 – Auf geht’s! Bei der abschließenden Pressekonferenz mahnte Zheng sich selbst für die Zukunft vor allem zu Gelassenheit: “Màn man lái” – 慢慢来 – Immer mit der Ruhe.
Zheng Qinwen hat mit ihren 21 Jahren bereits einen langen Weg hinter sich. In ihrer Heimatstadt Shiyan in der Provinz Hubei kam sie mit sechs Jahren zum Tennissport. Ihre Eltern fuhren sie bald darauf zum Training in die Provinzhauptstadt Wuhan. Dass sie dort fortan auf ein Sportinternat gehen sollte, erfuhr sie laut eigener Aussage erst, als die Entscheidung bereits gefallen war. Drei Jahre später ging Zheng mit einem Stipendium an die Sportakademie des Starcoaches Carlos Rodriguez in Peking. Mit 15 folgte sie ihm, begleitet von ihrer Mutter, nach Barcelona, wo sie bis heute ihren Lebensmittelpunkt hat.
Coaches, die mit Zheng trainiert haben, sprechen von ihrem unbändigen Willen. Auf dem Platz wirkt sie fokussiert, abseits des Platzes versprüht sie zumeist jugendliche Leichtigkeit. Doch die Aufmerksamkeit für Zheng nimmt zu. Oft verglichen wird sie nun mit ihrem Vorbild Li Na, der bis heute erfolgreichsten chinesischen Tennisspielerin. Zheng ist nach ihr erst die zweite Chinesin, die ein Grand-Slam-Finale erreichte. Der Sportkommentator im chinesischen Staatsfernsehen CCTV stellte Zheng nach dem Australian-Open-Finale in eine Reihe mit Li und weiteren chinesischen Tennisgrößen. Nur ein Name fehlte in seiner Aufzählung, wie bei allen Berichten aus China: Peng Shuai.
Die nach Li Na erfolgreichste chinesische Tennisspielerin der letzten Jahre hatte Anfang November 2021 in einem Post auf der Plattform Weibo dem ehemaligen Vizepremierminister Chinas Zhang Gaoli vorgeworfen, sie sexuell bedrängt und ausgenutzt zu haben. Der Post blieb nur rund 20 Minuten zugänglich auf der Plattform. Peng Shuai verschwand nach den Anschuldigungen über Wochen aus der Öffentlichkeit. Keines der Treffen Pengs mit Funktionären des Internationalen Olympischen Komitees, des Frauentennisverbands WTA und mit internationalen Journalisten konnte im Anschluss grundlegende Zweifel zerstreuen, dass sie nach ihren Aussagen unter Druck gesetzt wurde.
Die WTA strich in Solidarität mit Peng zwischenzeitlich alle Turniere in China aus ihrem Tour-Kalender und hob die Sperre erst zur Saison 2023 wieder auf. In China gab es bis heute keine offizielle Untersuchung gegen Zhang Gaoli. Als sich Xi Jinping im Oktober 2022 beim 20. Nationalen Parteikongress für fünf weitere Jahre zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei wählen ließ, saß Zhang in der ersten Reihe.
Über Peng Shuai finden sich in chinesischen Medien nur noch Informationen aus der Zeit vor dem Skandal. Dessen Hintergründe verweisen auf ein System der Verstrickung zwischen männlicher politischer Macht und sexuellem Zwang, das sich mutmaßlich durch große Teile der politischen Elite in China zieht. Es scheint, dass Peng trotz ihrer Prominenz und ihres Widerstands diesem System ausgeliefert geblieben ist.
Zu dem Fall Peng äußerte sich Zheng Qinwen nicht. Auch Zheng wird die unsichtbaren Grenzen des Sagbaren für sich innerlich gezogen haben und dies immer wieder aufs Neue tun müssen. Vielleicht ist es ihr Glück, dass sie, anders als Peng, früh in ihrer Karriere räumliche Distanz zu China schaffte. Doch aus den Verstrickungen zwischen Sport und Politik, zwischen persönlichem Erfolg und projiziertem Nationalstolz, wird auch sie sich wohl nie ganz lösen können.
Derzeit wirkt Zheng von dem Trubel um sie noch weitestgehend ungerührt. Wenn sie Abstand nehmen will, geht sie Karaoke singen oder schreibt in eins ihrer Tagebücher. Bei öffentlichen Statements beweist sie persönliche Reife und zuweilen Mut. So sprach sie nach ihrer Niederlage gegen die Weltranglisten-Erste Ashleigh Barty bei den French Open 2022 offen über die Periodenschmerzen, die sie bei der Partie behinderten. Hierfür bekam sie viel Aufmerksamkeit und Zuspruch, international wie in China.
Der weibliche Tennissport bringt stets aufs neue Geschichten kometenhaften Aufstiegs und manches leisen oder dramatischen Abstiegs hervor. Vielleicht war es daher auch Zhengs Glück, dass sie ihr erstes großes Finale verlor, auf dass sie nun etwas mehr Raum zugestanden bekommt, um ein inneres Gleichgewicht zu entwickeln. “Jiāyóu!” mag man ihr zurufen, und auch: “Màn man lái.” Leonardo Pape
Kristian Elvefors wird zum Global Head of Sales bei Polestar, dem Joint Venture von Volvo und Geely, ernannt. Elvefors, der zuletzt als UK-Chef von Volvo tätig war, ersetzt Mike Whittington, der Polestar nach einer Übergangsphase verlassen wird.
Per Ansgar übernimmt vorübergehend als Interims- CFO bei Polestar, nachdem der bisherige Stelleninhaber Johan Malmqvist aus dem Unternehmen ausscheidet. Ansgar kommt von Volvo. Er hatte mehrere Führungspositionen im Finanzbereich von Volvo Cars inne.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Was hat den Kopf eines Kamels, die Ohren eines Ochsen, die Hörner eines Hirsches, den Hals einer Schlange, den Hinterleib einer Muschel, die Klauen eines Adlers, die Tatzen eines Tigers, den schuppigen Körper eines Fisches und die feurigen Augen eines Teufels? Richtig, ein Drache. Zumindest aus der Warte der chinesischen Mythologie.
Der Drache ist quasi ein jahrhundertealter Markenbotschafter der chinesischen Kultur. Er ist zum Beispiel nicht nur in der Verbotenen Stadt in Beijing – dem Kaiserpalast – allgegenwärtig, sondern poltert auch das ganze Jahr über durch Souvenir-Kollektionen im ganzen Land. Insbesondere jetzt, da sich China anschickt, in der Nacht vom 9. auf den 10. Februar ins Jahr des Drachen zu starten, schlängelt sich das Tierkreiszeichen auf und über allerlei Taobao-Fundstücke. Vom Drachen-Häkelüberzieher für die Türklinke über den Drachenanzug für zuhause (nicht nur für Hausdrachen geeignet) bis hin zur Drachenzahnbürste, ja sogar Drachenunterhose ist alles zu haben. Selbst das Olympia-Maskottchen, der Panda Bing Dundun, hat sich pünktlich zum chinesischen Jahreswechsel in ein Drachen-Kostümchen gezwängt.
Die Chinesen verbindet traditionell eine besondere Beziehung zu den schuppigen Fabelwesen, nicht nur im Drachenjahr. In China gelten sie nämlich nicht als fauchend, böse und feindlich, sondern als Urahnen der Menschen. Als sympathische Ungeheuer symbolisieren sie bis heute Reichtum, Glück, Güte und Intelligenz.
Solche Drachenmythologie und Kultursymbolik krallt Sie wenig und erinnert Sie nur an angestaubte Reiseführer? Dann halten Sie sich besser fest! Denn jetzt geht es auf einen teuflischen Drachenritt durch den chinesischen Alltag beziehungsweise die chinesische Alltagssprache. In China sind Drachen nämlich nicht nur zum Drachenjahr im wahrsten Wortsinne in aller Munde. Und sie sind teils an Orten zu finden, wo man sie kaum erwartet hätte – zum Beispiel auf Zootouren, Speiseplänen und Stadtautobahnen, manchmal auch in der Wettervorhersage, ja sogar als “Hausdrache” in jedem Badezimmer!
In chinesischen (und deutschen) Tiergärten trifft man zum Beispiel auf “Drachenkatzen” (龙猫 lóngmāo) – besser bekannt als Chinchillas – sowie “Farbwechseldrachen” (变色龙 biànsèlóng – Chamäleons) oder die ihrem Namen wenig Ehre machenden, da spindeldürren “Meerdrachen” (海龙 hǎilóng), bei uns Seenadeln genannt. Ausgestorben sind “Fürchtedrachen” (恐龙 kǒnglóng), also Dinosaurier, und da allen voran der “Brutalodrache” (暴龙 bàolóng) alias Tyrannosaurus.
Zu den im Westen bekanntesten kulinarischen Drachengattungen gehören in erster Linie zwei Flüssigdrachen: der grüne “Drachenbrunnentee” (龙井茶 lóngjǐngchá) und der “Schwarzdrachentee” (乌龙茶 wūlóngchá), letzteren kennen wir als Oolong. Doch vielleicht haben Sie auch schon mal unbewusst “Drachenaugen” (龙眼 lóngyǎn) verspeist, sprich Longanfrüchte, oder standen beim ersten Restaurant-Rendezvous auf Kriegsfuß mit einer “Drachengarnele” (龙虾 lóngxiā), also einem Hummer.
Das Verspeisen von “Minidrachengarnelen” (小龙虾 xiǎolóngxiā) – das ist der possierliche kleine Bruder des feuerroten Getiers, nämlich der Flusskrebs – zelebrieren die Chinesen gerne als geselliges Schalen-Massaker. Wer sich jetzt in die Gemüsewelt flüchtet, bleibt in China leider auch nicht verschont und gerät früher oder später in die Fänge der schmackhaften zackigen “Drachenbohne” (龙豆 lóngdòu). Darf’s zum Abschluss als Nachtisch noch ein “Pferdeklammerdrache” sein? Hat zum Glück nichts mit geklammerten Pferden oder gehuften Drachen zu tun, sondern ist einfach die sympathische lautliche Übertragung zuckerzarter französischer Macarons. Nicht verwechseln bitte mit dem (süßen?) französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron – der heißt auf Chinesisch “Makelong” (马克龙 Mǎkèlóng), auch nur eine lautliche Anlehnung, ließe sich aber ganz wörtlich mit “Pferdebezwingerdrache” übersetzen.
Viele chinesische Kaiser sollen sich als direkte Nachfahren der Drachen verstanden haben. Ist natürlich heute widerlegt. Trotzdem hat sich die Denke, dass besondere Persönlichkeiten es drachenmäßig drauf haben, im chinesischen Wörterbuch verfestigt. 成龙chénglóng “zu einem Drachen werden” bedeutet bis heute “es zu etwas bringen” beziehungsweise “groß rauskommen”. Diese Redensart inspirierte einst einen jungen Hongkonger Kampfkunstkünstler mit Nachnamen 成 dazu, sich das Künstler-Pseudonym 成龙 (Chéng Lóng) zuzulegen. Der Name hat seinen Zweck erfüllt und der Rest ist Geschichte. Im Westen kennen wir ihn heute als Jacky Chan.
Dass Drachenmetaphorik den Chinesen auf der Zunge liegt, zeigt sich auch beim Anblick einiger weiterer Alltagsbegriffe. So schlängeln sich aus chinesischer Sicht da, wo wir im Deutschen Schlangen sehen, vielmehr Drachen: etwa im Falle von Menschenschlangen (auf Chinesisch 人龙 rénlóng “Menschendrachen”) oder Autoschlangen (auf Chinesisch 车龙 chēlóng “Wagendrachen”). Endlose Feierabend-Blechkarawanen oder wildes Getümmel in den Straßen kommentieren Chinesen als 车水马龙 chē shuǐ mǎ lóng – frei übersetzt: “Autos wie Wasser und Pferde wie Drachen”, sprich: hohes Verkehrsaufkommen oder heilloses Tohuwabohu.
Während uns im deutschsprachigen Raum alte Wasserleitungen mit hahnenkammartigem Drehknauf einst an Federvieh erinnert haben, fließt das Nass in China nicht aus dem Wasserhahn, sondern dem “Wasserdrachenkopf” (水龙头 shuǐlóngtóu). Vielleicht lag diese Assoziation auch deshalb nahe, weil der Drache den Chinesen als Beherrscher des Wassers gilt. Er bestimmt die Jahreszeiten und die Ernte und soll im Winter in Gewässern leben und im Frühsommer in den Himmel aufsteigen. Und dort treibt er laut chinesischer Meteorologen-Sprache sein Unwesen als “Drachenwirbelwind” (龙卷风 lóngjuǎnfēng) – das ist die Bezeichnung für Tornado.
Sogar das Wirtschaftsvokabular haben die Drachen sich gekrallt. Kein Wunder, gilt der Drache in der chinesischen Kultur schließlich als wohlstandsverheißend. Branchen- und Marktführer adelt das Putonghua deshalb als “Drachenköpfe” (龙头 lóngtóu) und spricht von “Marktdrachenköpfen” (市场龙头 shìchǎng lóngtóu = Marktführer), “Drachenkopfprodukten” (龙头产品 lóngtóu chǎnpǐn = führende Produkte) und “Drachenkopffirmen” (龙头企业 lóngtóu qǐyè = führende Unternehmen). Und wenn Sie die einst aufstrebenden ost- und südostasiatischen Wirtschaften noch als “Tigerstaaten” kannten, wird Sie auch hier das Chinesische eines Besseren belehren. Denn in China hießen Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur in diesem Zusammenhang schon immer 亚洲四小龙 Yàzhōu sì xiǎolóng – die “vier Drachenbabys Asiens“.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
in Deutschland hat die Diskussion über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht gerade erst begonnen, Taiwan hat angesichts der Bedrohungslage durch die Volksrepublik bereits gehandelt und die Wehrpflicht von vier Monaten auf ein Jahr verlängert. In diesen Tagen ist die Ausweitung in Kraft getreten. Auf die konkrete Wehrhaftigkeit wird die Verlängerung der Dienstzeit allerdings wohl keine große Wirkung haben, analysiert Fabian Peltsch. Viele junge Soldaten zweifeln an der Qualität der Ausbildung und der verwendeten Ausrüstung. Länger heißt offenbar nicht unbedingt besser.
Wir haben in den vergangenen Jahren viel über wirtschaftliche Abhängigkeiten von China diskutiert. Präzise Daten, wie abhängig wir als deutsche Volkswirtschaft von der Volksrepublik wirklich sind, gibt es aber nur unzureichend. Als frisch berufener Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt will Philipp Böing die China-Forschung aus Ökonomen-Sicht stärken. Im Interview mit Marcel Grzanna erläutert er, warum das dringend nötig ist.
Einen guten Start in die Woche!
Angesichts wachsender Bedrohung vom Festland hatte Taiwans Regierung Ende 2022 angekündigt, die Wehrdienstpflicht in Taiwan von vier Monaten auf ein Jahr zu verlängern. Am vergangenen Donnerstag traten die ersten Rekruten unter dieser Regelung ihre Ausbildung an. Laut Chen Chien-yi, dem Stabschef des Armeekommandos, wurden dabei 9.127 Männer neu rekrutiert. 7.514 von ihnen werden auf die Regionen Nord, Mitte, Süd und Ost aufgeteilt. Die restlichen 1.613 beginnen ihr Militärtraining im Februar und März bei Einheiten der Marine und Luftwaffe.
Durch die Reform des Pflichtwehrdienstes erhöht sich Taiwans Truppenstärke um 60.000 bis 70.000 Mann. Laut Schätzungen der Security-Statstik-Seite Global Fire Power hat Taiwan insgesamt 2,58 Millionen Militärangehörige, davon 215.000 Soldaten im aktiven Dienst und 2,31 Millionen Reservesoldaten. Damit stünde die demokratisch regierte Insel auf Platz 24 der mächtigsten Armeen der Welt.
Die Wehrpflichtreform geht mit einem “Plan zur Neuausrichtung der Streitkräfte” einher, der bereits von der scheidenden Präsidentin Tsai Ing-wen verabschiedet wurde. Auch ihr Nachfolger im Amt, William Lai, hat erklärt, dass er die Stärkung des Militärs fortsetzen wird, einschließlich steigender Verteidigungsausgaben in Höhe von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Keine der führenden Parteien Taiwans hatte sich im Wahlkampf gegen eine Verlängerung des Wehrdienstes ausgesprochen.
Doch länger heißt nicht unbedingt besser. Su Tzu-yun vom Institute for National Defense and Security Research (INDSR), erklärte, dass Taiwan sich für seine Neuausrichtung an den Ausbildungsmethoden und Wehrpflichtsystemen in Singapur, Schweden, der Schweiz, Israel und den Vereinigten Staaten orientiert habe. Und natürlich spielte der Ausbruch des Ukraine-Kriegs eine besondere Rolle. “Die Situation in der Ukraine hat das Verständnis für Invasionsszenarien in Taiwan stark beeinflusst und die Bevölkerung insgesamt sensibilisiert”, sagt Zsuzsa Anna Ferenczy, Assistenzprofessorin an der National Dong-Hwa University in Shoufeng und ehemalige politische Beraterin im Europäischen Parlament, zu Table.Media.
Die Wehrpflichtigen verbringen mit acht statt bisher fünf Wochen nun mehr Zeit in der Grundausbildung, bevor sie zu Spezial-Aufgaben in den verschiedenen Bereichen des Militärs übergehen. Während der Grundausbildung werden Bajonettübungen durch Nahkampf-Training ersetzt. Auch der Umgang mit modernen Waffen wie Stinger-Flugabwehrraketen und Drohnen wird verstärkt gelehrt. Simulierte Stresssituationen, etwa die Versorgung von Verwundeten unter Bombenbeschuss, soll die psychologische Widerstandsfähigkeit stärken und das Training realitätsnäher machen.
Eine starke Truppenmoral ist für Taiwans Selbstverteidigung das A und O. Und hier haperte es in der Vergangenheit oft, erklärt Ferenczy. “Intern herrscht noch immer Misstrauen gegenüber der Fähigkeit des Militärs, Taiwan überhaupt verteidigen zu können, was auch die Sichtweise der Gesellschaft auf den Militärdienst geprägt hat.” Das schlechte Image des Wehrdienstes ging unter anderem darauf zurück, dass die Wehrpflichtigen ihre Zeit vor allem mit Aufgaben wie Putzen verbrachten, anstatt mit scharfer Munition zu trainieren.
Unmittelbar nach Russlands Einmarsch in die Ukraine gab es starke Unterstützung für eine Stärkung der Verteidigungskapazitäten Taiwans. Im Mai 2023 zeigten Umfragen, dass 71,9 Prozent der Bevölkerung bereit wären, die Insel zu verteidigen. Aber gerade jüngere Leute haben gemischte Gefühle, was die Wehrpflicht angeht. Eine Umfrage vom Dezember 2023 zeigte, dass 35,6 Prozent der 20- bis 24-Jährigen die Wehrpflicht befürworten, während es im März noch 56,4 Prozent waren. In der Altersgruppe, die von der Wehrdienstverlängerung betroffen ist, ist die Unterstützung also am niedrigsten – kein Wunder, aber auch kein gutes Zeichen für die Reform.
Laut einem Bericht des taiwanischen Nachrichtendienstes CNA zweifeln viele junge Soldaten noch immer an der Qualität der Ausbildung und der dabei verwendeten Ausrüstung. Der Staat will die Stimmung heben, indem er den Rekruten ermöglicht, Studium und Militär besser in Einklang zu bringen und den finanziellen Druck, etwa durch Schulkredite, verringert. Das Einberufungsalter liegt in Taiwan bei 18 Jahren, doch wird die Einberufung in der Regel für ein Hochschulstudium aufgeschoben, viele sagen auch: verschleppt. Gegen Wehrpflichtige, die den Dienst an der Waffe verweigern, können Haftstrafen von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Es gibt in der Praxis jedoch meist lediglich Geldstrafen.
Taiwans Militär müsse eine Balance zwischen konventioneller Kriegstechnik wie Schiffen und beweglichen Waffen wie Drohnen und mobilen Luftabwehrsystemen finden, sagt Lin Ying-yu, Verteidigungsexperte an der Tamkang University, zu Table.Media. Einen längeren Militärdienst hält er für eine wichtige Maßnahme zur Landesverteidigung, er weist aber auch ausdrücklich darauf hin, dass Peking nicht auf einen direkten militärischen Angriff zurückgreifen muss, um Taiwan zu erobern.
“Das Festland wird etwas einsetzen, das ich Hyperkriegsführung nenne. Der erste Schritt ist Desinformation, der zweite ist Cyberkriminalität, etwa Angriffe auf Websites. Ein weiterer Schritt sind Militärübungen rund um die Insel”, so Lin. Das Ziel sei, dass Taiwans Bürger langsam das Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Regierung verlören, Taiwan zu verteidigen. “Das wird wiederum eine Panik auslösen, die es der Volksbefreiungsarmee viel leichter macht, Taiwan anzugreifen. Wir werden lernen müssen, auf all das zu achten. Das ist unsere größte Herausforderung für die Zukunft.”
Ferenczy stimmt zu: “Die Priorität Pekings liegt nach wie vor darin, das Narrativ innerhalb Taiwans zu beeinflussen und sich in die innerstaatlichen demokratischen Prozesse, aber auch in die globalen Beziehungen Taiwans einzumischen”, sagt die Politikwissenschaftlerin. Die Beeinflussung der Stimmung im Land ist dabei mal mehr und mal weniger subtil. Nachdem Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen 2022 die Verlängerung der Wehrpflicht angekündigt hatte, warf China Taiwan vor, die junge taiwanesische Bevölkerung als “Kanonenfutter” verheizen zu wollen.
Wie steht es um die China-Kompetenz in Deutschland?
Die Dringlichkeit, Chinas Handeln hierzulande besser zu verstehen, hat zugenommen. Wir bauen dennoch nur zögerlich China-Expertise auf. Das Interesse an einem Studium mit China-Bezug ist derzeit vergleichsweise gering, und auch die Euphorie, als Manager nach China zu gehen, hat abgenommen. Ohne einen vertieften Zugang zu China ist es jedoch schwierig, das relevante Wissen zu erlangen. Vereinfacht gesagt: Es gibt in Deutschland mehr Aufmerksamkeit für China, aber nicht in gleichem Maße mehr Expertise.
Welche Konsequenzen drohen?
Ohne ein Verständnis für die Steuerungsmechanismen und Strategien Chinas ist es für deutsche Politiker und Unternehmer schwierig, fundierte Entscheidungen zu treffen. Die Gestaltung und Umsetzung der chinesischen Wirtschaftspolitik ist sehr spezifisch. Umso wichtiger ist es, diese Besonderheiten zu verstehen. China ist ein bedeutender Handelspartner, technologischer Wettbewerber und geoökonomischer Rivale, der größtmögliche Aufmerksamkeit verdient.
Mit der Professur für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China an der Goethe-Universität in Frankfurt wollen Sie die wirtschaftswissenschaftliche China-Expertise in Deutschland auf Basis evidenzbasierter Forschung stärken. Was heißt das?
Wir verfolgen einen in Deutschland bislang noch seltenen Ansatz: China-Forschung aus der Wirtschaftswissenschaft heraus, nicht aus der Sinologie oder den Regionalwissenschaften. Die Goethe-Universität bietet mit dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften und dem Interdisziplinären Zentrum für Ostasienstudien ein gutes Umfeld. Das kooperierende ZEW in Mannheim ist ergänzend auf Forschung und Politikberatung ausgerichtet.
Wie sieht dieser Ansatz konkret aus?
Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der Innovations- und globalen Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in China. Wir interessieren uns für die Wirksamkeit der chinesischen Industriepolitik und für ihre Auswirkungen auf den internationalen Technologiewettbewerb. Dies erfordert zum einen die Binnenbetrachtung der chinesischen Wirtschaftsprozesse, zum anderen eine Betrachtung der Außenwirkung, zum Beispiel auf das Innovationsverhalten deutscher Unternehmen.
Wie funktioniert das in der Praxis?
Der Ansatz basiert auf der Nutzung großer Datensätze. So werden beispielsweise Patentschriften quantifiziert, mit Unternehmensmerkmalen kombiniert und empirisch analysiert. Auch in der quantitativen Forschung ist es notwendig, chinesische Texte lesen zu können, um die Prozesse der Datengenerierung in China verstehen und institutionell einordnen zu können. Beispiele dafür: Subventionen führen in China zu einer Patentinflation, oder die Zweckentfremdung von Fördermitteln zu einer reduzierten Effektivität der Innovationspolitik. Solche spezifischen Phänomene müssen inhaltlich erkannt und methodisch adäquat berücksichtigt werden.
Wo liegt der Erkenntnisgewinn?
Dabei geht es vor allem um die Frage, ob die chinesische Regierung das Wirtschaftswachstum fördert oder ob ihr Einfluss verzerrend wirkt. Die Analyse ist ein fortlaufender Prozess, weil sich die nationalen und internationalen Rahmenbedingungen und somit auch das öffentliche Interesse ständig ändern. Früher war es Stahl, dann Solar- und Windenergie, heute sind es KI, Elektromobilität und Überwachungstechnologien. Mit einer aktuellen Analyse der Technologie-Souveränität Chinas im Vergleich zu Europa und den USA setzen wir ein erstes Schlaglicht: Wie ist die Verflechtung, wer ist souveräner, und variiert dies je nach Technologie?
Die Rückkopplung chinesischer Politik auf unsere eigene Wirtschaft wird seit Jahrzehnten thematisiert. Weshalb hat es bis 2024 gedauert, bis sich eine deutsche Universität diesen Zusammenhängen konkret annimmt?
In Deutschland wurde China als Forschungsgegenstand lange Zeit nur in der Sinologie oder in den Regionalwissenschaften verortet. Die Wirtschaftswissenschaften in Deutschland sind vergleichsweise konservativ aufgestellt. Eine Professur mit China-Schwerpunkt ist sehr speziell. Man fragt sich eventuell: Ist das in fünf Jahren noch relevant? Bei knappen Budgets scheuen sich die Entscheidungsträger in der Wissenschaft daher, Nägel mit Köpfen zu machen.
Weil sie glauben, dass China in fünf Jahren seine wirtschaftliche Relevanz verloren hat?
Diese Argumentation ist zumindest zu hören, wenn es um die langfristige Finanzierung geht. Hinzu kommt eine generelle Unsicherheit im Umgang mit China, wie sie aktuell wieder vom DAAD thematisiert wird. Es gibt durchaus Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland, die über China publizieren. Aber eine Universitätsprofessur, die China systematisch als Forschungsschwerpunkt aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive aufgreift, ist eher selten. Das hat bislang dazu geführt, dass Länder wie die USA uns deutlich voraus sind und die wirtschaftswissenschaftliche China-Expertise in Deutschland ausbaufähig ist.
Sie wollen mit chinesischen Partnern zusammenarbeiten. Birgt das die Gefahr, dass Sie ungewollt Informationen im Interesse der chinesischen Regierung verbreiten?
Unser Ziel ist reziproker Erkenntnisgewinn. Es gibt konkurrierende Narrative über das wirtschaftliche und technologische Entwicklungspotenzial Chinas. Unsere Basis ist die empirische Forschung. Sie liefert einen objektiven, evidenzbasierten Beitrag, der im Zweifelsfall auch bestehende Narrative korrigiert.
Wie wollen Sie die Kooperation mit chinesischen Forschern organisieren?
Durch Einbindung, aber ohne einseitige Abhängigkeit von chinesischen Partnern. Wir untersuchen Prozesse und wollen diese Informationen sowohl der Wissenschaft als auch politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung stellen. In der Regel arbeiten wir mit Co-Autoren zusammen, die vor allem institutionelle Expertise und Datenzugang einbringen. Im Gegensatz zu nationalen Publikationen bieten internationale Publikationen den chinesischen Kollegen auch mehr Freiheitsgrade bei der Themenwahl. Während der wirtschaftswissenschaftliche Diskurs in China zunehmend politisch geprägt ist und vor allem positive Aspekte betont, zeigen unsere Studien regelmäßig auch Optimierungspotenziale auf.
Philipp Böing, 41, ist Senior Researcher am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Er hat als Assistant Professor an der Peking Universität gelehrt und unter anderem die Weltbank und die deutsche Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) beraten. Am 1. Februar 2024 wird er die Professur für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main besetzen.
Das Oberste Gericht in Hongkong will am Montag entscheiden, ob Evergrande, das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen der Welt, liquidiert wird. Zwei Insidern zufolge hat sich in dieser Woche eine einflussreiche Gruppe von Anleihegläubigern auf die Seite derer geschlagen, die eine Abwicklung des strauchelnden Konzerns befürworten. Anwälte halten es nun für wahrscheinlicher, dass Richterin Linda Chan vom Obersten Gericht in Hongkong die Liquidation beschließt. Die Gläubigergruppe hält Auslandsanleihen von China Evergrande im Wert von zwei Milliarden Dollar.
Fast zwei Jahre hatte die Gruppe, zu der auch mehrere Hedgefonds gehören, mit Evergrande um eine Umschuldung der 23 Milliarden Dollar gerungen, die sich der Immobilienentwickler auf den internationalen Märkten geliehen hat. Doch Ende 2021 musste er einräumen, dass er die Schulden nicht bedienen kann. Beraten wird die Gruppe von der Investmentbank Moelis & Co. Insgesamt ist China Evergrande mit 300 Milliarden Dollar verschuldet, bei Vermögenswerten von 240 Milliarden Dollar.
Der ursprüngliche Umschuldungsplan war im September geplatzt, nachdem Ermittlungen gegen Firmengründer Hui Ka Yan bekannt wurden. Der Gläubigerausschuss hatte auch den neuesten, quasi in letzter Minute vor einer Anhörung Anfang Dezember vorgelegten Restrukturierungsplan abgelehnt. Schon damals drohte er, dass im Januar die Liquidation komme, wenn Evergrande bis dahin nicht mit einer für alle Gläubiger akzeptablen Lösung um die Ecke komme. Auch Richterin Chan hatte angekündigt, dass beim nächsten Mal eine Entscheidung fallen müsse – und klargemacht, dass sie die Abwicklung beschließen werde, wenn es keinen “konkreten” Sanierungsplan gebe.
Wenn sie ihre Ankündigung wahr macht, würde erst ein vorläufiger und danach ein offizieller Abwickler für Evergrande bestellt, der einen Verkauf der Vermögenswerte vorbereitet, um damit die Schulden zu tilgen. Aber auch dieser könnte noch einen neuen Sanierungsplan vorlegen. China Evergrande könnte den Beschluss zur Abwicklung zwar anfechten, aufhalten kann das Unternehmen den Prozess aber nicht. Aufgabe des Abwicklers ist es auch, mögliches Fehlverhalten der Evergrande-Manager an die Hongkonger Behörden zu melden.
Die Aussichten für die Gläubiger sind gering: Die Wirtschaftsprüfer von Deloitte haben laut Evergrande eine Rückzahlungsquote von 3,4 Prozent errechnet, wenn das Unternehmen abgewickelt wird. Angesichts der Ermittlungen gegen Hui Ka Yan erwarten die Gläubiger mittlerweile, dass sie eher weniger als drei Prozent ihres Einsatzes zurückbekommen. Die Dollar-Anleihen von Evergrande werden mit weniger als einem Prozent des Nennwertes gehandelt. Denn die meisten Vermögenswerte sind entweder schon verkauft oder von den Banken gepfändet. Und Käufer für die beiden in Hongkong börsennotierten Töchter Evergrande Property Services und Evergrande New Energy Vehicle dürften schwer zu finden sein. rtr
Nach dem Schweizer Solarhersteller Meyer Burger hat nun auch der Dresdner Modulproduzent Solarwatt vor einem Aus seiner Produktion gewarnt, falls es keine Unterstützung durch die Politik gebe. “Wenn gar nichts passiert, müssten wir darüber nachdenken, wie es mit unserer Produktion weitergeht”, sagte Solarwatt-Chef Detlef Neuhaus im Interview mit dem Handelsblatt. Bis Ende des Jahres müsse die Entscheidung fallen.
Die europäische Solarindustrie ist seit dem Sommer durch einen Preissturz unter Druck geraten, ausgelöst vor allem durch eine Flut günstiger Solarmodule aus China. Das Land hält 90 Prozent Weltmarktanteil bei Solaranlagen. Auch Meyer Burger, der größte Solaranlagenhersteller in Deutschland, ist dadurch in Not. Firmenchef Gunter Erfurt kündigte in der vergangenen Woche an, die Solaranlagenfabrik der Firma im sächsischen Freiberg im April zu schließen, wenn es keine Unterstützung der Politik gebe. Bis Mitte Februar müsse er über die Schließung entscheiden, um im Zweifelsfall die Gesamtfirma zu retten.
Von Berlin wünscht sich die Branche Unterstützung in Form des vom Bundesverband der Solarindustrie entwickelten “Resilienzprogramms”, das laut Erfurt von Beginn an bis hin zu konkreten Fördersätzen EU-kompatibel konzipiert worden sei. Ein solches Programm schreibt unter anderem lokalen Content in Ausschreibungen vor und finanziert den dafür nötigen Aufpreis aus der Staatskasse. Auch ein Aufruf europäischer Solarhersteller forderte kürzlich von der EU im Rahmen des geplanten EU-Net-Zero Industry Act eine Mandatierung solcher Resilienz-Auktionen in den Mitgliedsstaaten, in denen auch Nicht-Preis-Kriterien für lokale Produkte enthalten sind.
Beschäftigt sei mit dem geforderten Programm derzeit der Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie, der dazu bereits Experten angehört habe, sagte Erfurt. Der finanzielle Aufwand für das Resilienzprogramm werde sich auf lediglich 50 Millionen Euro für 2024 belaufen – im Vergleich zu 60 Milliarden Euro fossiler Subventionen in Deutschland.
Das Wirtschaftsministerium ist für eine Förderung grundsätzlich offen. Man sei mit betroffenen Unternehmen deswegen aktuell in täglichem Austausch, sagte Minister Robert Habeck auf dem kürzlichen Handelsblatt Energie-Gipfel in Berlin. “Es geht darum, die zehn Prozent Solarpanels, die nicht aus China kommen, zu halten, sodass wir bei der technischen Entwicklung mitreden können.”
Die EU-Kommission erwägt einem Bericht der Financial Times zufolge, die europäische Solarmodulbranche vor der Flut von Billigimporten aus China schützen zu wollen. Strafzölle auf chinesische Importe lehnen die meisten Firmen allerdings ab – auch Meyer Burger. “Da sind wir uns einig mit der Downstream-Industrie”, sagte Erfurt. ck
Der Rat hat am Freitag sein Verhandlungsmandat zur Verordnung über das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit angenommen. Das Gesetz soll Produkte auf dem EU-Binnenmarkt verbieten, die in Zwangsarbeit gemäß der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt wurden. Die Mitgliedstaaten nehmen in dem Mandat mehrere Veränderungen an dem Kommissionsentwurf vor.
Generell will der Rat die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der Kommission bei der Anwendung der Verordnung stärken. Das Mandat sieht unter anderem vor, dass ein Netz aus der Kommission und Behörden in den Mitgliedstaaten gegen Zwangsarbeitsprodukte aufgebaut wird, um die Anwendung der Verordnung besser zu koordinieren. Dieses soll aktiv an allen Phasen des Verfahrens beteiligt sein, das zum Verbot eines Produkts führt.
Zudem soll ein einheitliches Portal für Zwangsarbeit eingerichtet werden. Dieses soll zum einen für das Einreichen von Informationen, für eine Datenbank und für Leitlinien zuständig sein, und zum anderen Informationen über getroffene Entscheidungen bereitstellen. Die Mitgliedstaaten wollen zudem auch Produkte einbeziehen, die im Fernabsatz angeboten werden.
Um den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Zuweisung von Fällen zu vereinfachen, stärkt das Mandat die Rolle der EU-Kommission. Diese soll auf der Grundlage aller relevanten, überprüfbaren und glaubwürdigen Informationen beurteilen, ob die betreffenden Produkte von “Unionsinteresse” sind. Dafür muss mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:
Liegt ein solches sogenanntes Unionsinteresse vor, soll die Kommission automatisch die Voruntersuchungsphase übernehmen. Andernfalls wird die Voruntersuchungsphase von einer zuständigen nationalen Behörde durchgeführt.
Das Parlament hatte bereits im November seine Position beschlossen. Für die Trilogverhandlungen bleibt nicht viel Zeit: Laut Informationen von Table.Media sind zwei Treffen auf politischer Ebene geplant. Das erste soll bereits am kommenden Dienstag, 30. Januar, stattfinden, das zweite im Februar. leo
Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, und Chinas Außenminister Wang Yi haben sich in Bangkok zu einem zwölfstündigen Gespräch getroffen. Das Treffen habe dazu gedient, mit “Wettbewerb und Spannungen” zwischen beiden Ländern verantwortungsbewusst umzugehen, sagte eine Vertreterin der US-Regierung.
Sullivan habe unter anderem die Angriffe der jemenitischen Huthi-Miliz im Roten Meer zur Sprache gebracht, sagte die US-Vertreterin weiter. Die Rebellen werden vom Iran unterstützt. Sullivan habe die Führung in Peking aufgefordert, ihre “erheblichen Druckmittel” einzusetzen. China pflegt enge Handelsbeziehungen zum Iran. “Wir haben China nicht zum ersten Mal aufgefordert, eine konstruktive Rolle zu spielen. Peking sagt, dass es diese Angelegenheit mit den Iranern bespricht”, sagte die Beamtin. Es sei aber offen, ob Peking sich in dieser Sache wirklich einbringe.
Sie wies zudem darauf hin, dass es Pläne für ein Telefonat zwischen Präsident Joe Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in den kommenden Monaten gebe. Xi und Biden waren zuletzt im November während des Gipfeltreffens des südostasiatischen Staatenbundes Asean in San Francisco zusammengekommen. Das Verhältnis der beiden größten Volkswirtschaften der Welt gilt als angespannt. Sullivan habe in dem Gespräch mit Wang zudem erneut deutlich gemacht, dass die US-Regierung einseitige Änderungen am Status quo Taiwans ablehne. flee
Von Mittwoch an erhalten litauische Staatsbürger keine Visa mehr für China. Die chinesische Vertretung in Vilnius setzt die Ausstellung von Einreiseerlaubnissen aus. Außenminister Gabrielius Landsbergis hat einen entsprechenden Bericht der litauischen Nachrichtenplattform 15min.lt bestätigte. “Wir wurden darüber informiert. Es wurden keine weiteren Informationen bereitgestellt”, sagte er vor litauischen Journalisten in Kiew. Landsbergis sagte, er wisse nichts über die Gründe und die Dauer der Sperre.
Zuletzt hatte die chinesische Vertretung Ende November 2021 die Ausstellung von Visa für litauische Staatsbürger vorübergehend ausgesetzt. Peking erklärte damals, der Schritt sei aus technischen Gründen erfolgt. Im selben Zeitraum wurden jedoch auch die diplomatischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik und dem EU-Staat offiziell auf die Ebene eines Geschäftsträgers herabgestuft. Geschäftsträger werden in der diplomatischen Rangordnung unter Botschaftern eingeordnet. Das hat sich seither nicht verändert. Hintergrund war damals die Eröffnung eines “Taiwan-Büros” in Vilnius. Peking leitete eine Handelsblockade gegen den baltischen EU-Staat ein.
Brüssel zog daraufhin vor die Welthandelsorganisation (WTO). Am Freitag setzte die Europäische Union den Streit mit China nun aus. “Dies ist ein Verfahrensschritt aus technischen Gründen im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, bestimmte Elemente zu bewerten, die sich aus der Erstellung schriftlicher Eingaben ergeben”, sagte EU-Handelssprecher Olof Gill der South China Morning Post. “Diese Aussetzung kann die EU als Beschwerdeführerin in diesem Fall jederzeit im Laufe des WTO-Verfahrens vornehmen.” Wie lange die Aussetzung dauern wird, war zunächst nicht klar. Außenminister Landsbergis hatte zuletzt erklärt, dass der Handelsstreit mit China beigelegt sei. ari
Bis zum letzten Ballwechsel kämpfte Zheng Qinwen am Samstag bei den Australian Open gegen die Niederlage in ihrem ersten Grand-Slam-Finale an. Schon ihr Einzug ins Endspiel bei dem ersten der vier prestigeträchtigsten Turniere im jährlichen Tenniskalender war eine große Überraschung. Am Ende reichte es gegen die erfahrene und kaltschnäuzige Aryna Sabalenka aus Belarus aber nicht für einen Sieg. Die Nummer zwei der Tenniswelt gewann glatt in zwei Sätzen mit 6:3, 6:2.
Ein wenig verloren wirkte Zheng dann bei der gemeinsamen Siegerinnenehrung. Doch als sie in ihrer Dankesrede den zahlreichen chinesischsprachigen Fans in Melbourne für ihre Unterstützung dankte, strahlte sie unter großem Applaus auf. Das Publikum hatte Zheng mit seinen Rufen während der zwei Wochen in Melbourne durch das Turnier getragen: “Jiāyóu” – 加油 – Auf geht’s! Bei der abschließenden Pressekonferenz mahnte Zheng sich selbst für die Zukunft vor allem zu Gelassenheit: “Màn man lái” – 慢慢来 – Immer mit der Ruhe.
Zheng Qinwen hat mit ihren 21 Jahren bereits einen langen Weg hinter sich. In ihrer Heimatstadt Shiyan in der Provinz Hubei kam sie mit sechs Jahren zum Tennissport. Ihre Eltern fuhren sie bald darauf zum Training in die Provinzhauptstadt Wuhan. Dass sie dort fortan auf ein Sportinternat gehen sollte, erfuhr sie laut eigener Aussage erst, als die Entscheidung bereits gefallen war. Drei Jahre später ging Zheng mit einem Stipendium an die Sportakademie des Starcoaches Carlos Rodriguez in Peking. Mit 15 folgte sie ihm, begleitet von ihrer Mutter, nach Barcelona, wo sie bis heute ihren Lebensmittelpunkt hat.
Coaches, die mit Zheng trainiert haben, sprechen von ihrem unbändigen Willen. Auf dem Platz wirkt sie fokussiert, abseits des Platzes versprüht sie zumeist jugendliche Leichtigkeit. Doch die Aufmerksamkeit für Zheng nimmt zu. Oft verglichen wird sie nun mit ihrem Vorbild Li Na, der bis heute erfolgreichsten chinesischen Tennisspielerin. Zheng ist nach ihr erst die zweite Chinesin, die ein Grand-Slam-Finale erreichte. Der Sportkommentator im chinesischen Staatsfernsehen CCTV stellte Zheng nach dem Australian-Open-Finale in eine Reihe mit Li und weiteren chinesischen Tennisgrößen. Nur ein Name fehlte in seiner Aufzählung, wie bei allen Berichten aus China: Peng Shuai.
Die nach Li Na erfolgreichste chinesische Tennisspielerin der letzten Jahre hatte Anfang November 2021 in einem Post auf der Plattform Weibo dem ehemaligen Vizepremierminister Chinas Zhang Gaoli vorgeworfen, sie sexuell bedrängt und ausgenutzt zu haben. Der Post blieb nur rund 20 Minuten zugänglich auf der Plattform. Peng Shuai verschwand nach den Anschuldigungen über Wochen aus der Öffentlichkeit. Keines der Treffen Pengs mit Funktionären des Internationalen Olympischen Komitees, des Frauentennisverbands WTA und mit internationalen Journalisten konnte im Anschluss grundlegende Zweifel zerstreuen, dass sie nach ihren Aussagen unter Druck gesetzt wurde.
Die WTA strich in Solidarität mit Peng zwischenzeitlich alle Turniere in China aus ihrem Tour-Kalender und hob die Sperre erst zur Saison 2023 wieder auf. In China gab es bis heute keine offizielle Untersuchung gegen Zhang Gaoli. Als sich Xi Jinping im Oktober 2022 beim 20. Nationalen Parteikongress für fünf weitere Jahre zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei wählen ließ, saß Zhang in der ersten Reihe.
Über Peng Shuai finden sich in chinesischen Medien nur noch Informationen aus der Zeit vor dem Skandal. Dessen Hintergründe verweisen auf ein System der Verstrickung zwischen männlicher politischer Macht und sexuellem Zwang, das sich mutmaßlich durch große Teile der politischen Elite in China zieht. Es scheint, dass Peng trotz ihrer Prominenz und ihres Widerstands diesem System ausgeliefert geblieben ist.
Zu dem Fall Peng äußerte sich Zheng Qinwen nicht. Auch Zheng wird die unsichtbaren Grenzen des Sagbaren für sich innerlich gezogen haben und dies immer wieder aufs Neue tun müssen. Vielleicht ist es ihr Glück, dass sie, anders als Peng, früh in ihrer Karriere räumliche Distanz zu China schaffte. Doch aus den Verstrickungen zwischen Sport und Politik, zwischen persönlichem Erfolg und projiziertem Nationalstolz, wird auch sie sich wohl nie ganz lösen können.
Derzeit wirkt Zheng von dem Trubel um sie noch weitestgehend ungerührt. Wenn sie Abstand nehmen will, geht sie Karaoke singen oder schreibt in eins ihrer Tagebücher. Bei öffentlichen Statements beweist sie persönliche Reife und zuweilen Mut. So sprach sie nach ihrer Niederlage gegen die Weltranglisten-Erste Ashleigh Barty bei den French Open 2022 offen über die Periodenschmerzen, die sie bei der Partie behinderten. Hierfür bekam sie viel Aufmerksamkeit und Zuspruch, international wie in China.
Der weibliche Tennissport bringt stets aufs neue Geschichten kometenhaften Aufstiegs und manches leisen oder dramatischen Abstiegs hervor. Vielleicht war es daher auch Zhengs Glück, dass sie ihr erstes großes Finale verlor, auf dass sie nun etwas mehr Raum zugestanden bekommt, um ein inneres Gleichgewicht zu entwickeln. “Jiāyóu!” mag man ihr zurufen, und auch: “Màn man lái.” Leonardo Pape
Kristian Elvefors wird zum Global Head of Sales bei Polestar, dem Joint Venture von Volvo und Geely, ernannt. Elvefors, der zuletzt als UK-Chef von Volvo tätig war, ersetzt Mike Whittington, der Polestar nach einer Übergangsphase verlassen wird.
Per Ansgar übernimmt vorübergehend als Interims- CFO bei Polestar, nachdem der bisherige Stelleninhaber Johan Malmqvist aus dem Unternehmen ausscheidet. Ansgar kommt von Volvo. Er hatte mehrere Führungspositionen im Finanzbereich von Volvo Cars inne.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Was hat den Kopf eines Kamels, die Ohren eines Ochsen, die Hörner eines Hirsches, den Hals einer Schlange, den Hinterleib einer Muschel, die Klauen eines Adlers, die Tatzen eines Tigers, den schuppigen Körper eines Fisches und die feurigen Augen eines Teufels? Richtig, ein Drache. Zumindest aus der Warte der chinesischen Mythologie.
Der Drache ist quasi ein jahrhundertealter Markenbotschafter der chinesischen Kultur. Er ist zum Beispiel nicht nur in der Verbotenen Stadt in Beijing – dem Kaiserpalast – allgegenwärtig, sondern poltert auch das ganze Jahr über durch Souvenir-Kollektionen im ganzen Land. Insbesondere jetzt, da sich China anschickt, in der Nacht vom 9. auf den 10. Februar ins Jahr des Drachen zu starten, schlängelt sich das Tierkreiszeichen auf und über allerlei Taobao-Fundstücke. Vom Drachen-Häkelüberzieher für die Türklinke über den Drachenanzug für zuhause (nicht nur für Hausdrachen geeignet) bis hin zur Drachenzahnbürste, ja sogar Drachenunterhose ist alles zu haben. Selbst das Olympia-Maskottchen, der Panda Bing Dundun, hat sich pünktlich zum chinesischen Jahreswechsel in ein Drachen-Kostümchen gezwängt.
Die Chinesen verbindet traditionell eine besondere Beziehung zu den schuppigen Fabelwesen, nicht nur im Drachenjahr. In China gelten sie nämlich nicht als fauchend, böse und feindlich, sondern als Urahnen der Menschen. Als sympathische Ungeheuer symbolisieren sie bis heute Reichtum, Glück, Güte und Intelligenz.
Solche Drachenmythologie und Kultursymbolik krallt Sie wenig und erinnert Sie nur an angestaubte Reiseführer? Dann halten Sie sich besser fest! Denn jetzt geht es auf einen teuflischen Drachenritt durch den chinesischen Alltag beziehungsweise die chinesische Alltagssprache. In China sind Drachen nämlich nicht nur zum Drachenjahr im wahrsten Wortsinne in aller Munde. Und sie sind teils an Orten zu finden, wo man sie kaum erwartet hätte – zum Beispiel auf Zootouren, Speiseplänen und Stadtautobahnen, manchmal auch in der Wettervorhersage, ja sogar als “Hausdrache” in jedem Badezimmer!
In chinesischen (und deutschen) Tiergärten trifft man zum Beispiel auf “Drachenkatzen” (龙猫 lóngmāo) – besser bekannt als Chinchillas – sowie “Farbwechseldrachen” (变色龙 biànsèlóng – Chamäleons) oder die ihrem Namen wenig Ehre machenden, da spindeldürren “Meerdrachen” (海龙 hǎilóng), bei uns Seenadeln genannt. Ausgestorben sind “Fürchtedrachen” (恐龙 kǒnglóng), also Dinosaurier, und da allen voran der “Brutalodrache” (暴龙 bàolóng) alias Tyrannosaurus.
Zu den im Westen bekanntesten kulinarischen Drachengattungen gehören in erster Linie zwei Flüssigdrachen: der grüne “Drachenbrunnentee” (龙井茶 lóngjǐngchá) und der “Schwarzdrachentee” (乌龙茶 wūlóngchá), letzteren kennen wir als Oolong. Doch vielleicht haben Sie auch schon mal unbewusst “Drachenaugen” (龙眼 lóngyǎn) verspeist, sprich Longanfrüchte, oder standen beim ersten Restaurant-Rendezvous auf Kriegsfuß mit einer “Drachengarnele” (龙虾 lóngxiā), also einem Hummer.
Das Verspeisen von “Minidrachengarnelen” (小龙虾 xiǎolóngxiā) – das ist der possierliche kleine Bruder des feuerroten Getiers, nämlich der Flusskrebs – zelebrieren die Chinesen gerne als geselliges Schalen-Massaker. Wer sich jetzt in die Gemüsewelt flüchtet, bleibt in China leider auch nicht verschont und gerät früher oder später in die Fänge der schmackhaften zackigen “Drachenbohne” (龙豆 lóngdòu). Darf’s zum Abschluss als Nachtisch noch ein “Pferdeklammerdrache” sein? Hat zum Glück nichts mit geklammerten Pferden oder gehuften Drachen zu tun, sondern ist einfach die sympathische lautliche Übertragung zuckerzarter französischer Macarons. Nicht verwechseln bitte mit dem (süßen?) französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron – der heißt auf Chinesisch “Makelong” (马克龙 Mǎkèlóng), auch nur eine lautliche Anlehnung, ließe sich aber ganz wörtlich mit “Pferdebezwingerdrache” übersetzen.
Viele chinesische Kaiser sollen sich als direkte Nachfahren der Drachen verstanden haben. Ist natürlich heute widerlegt. Trotzdem hat sich die Denke, dass besondere Persönlichkeiten es drachenmäßig drauf haben, im chinesischen Wörterbuch verfestigt. 成龙chénglóng “zu einem Drachen werden” bedeutet bis heute “es zu etwas bringen” beziehungsweise “groß rauskommen”. Diese Redensart inspirierte einst einen jungen Hongkonger Kampfkunstkünstler mit Nachnamen 成 dazu, sich das Künstler-Pseudonym 成龙 (Chéng Lóng) zuzulegen. Der Name hat seinen Zweck erfüllt und der Rest ist Geschichte. Im Westen kennen wir ihn heute als Jacky Chan.
Dass Drachenmetaphorik den Chinesen auf der Zunge liegt, zeigt sich auch beim Anblick einiger weiterer Alltagsbegriffe. So schlängeln sich aus chinesischer Sicht da, wo wir im Deutschen Schlangen sehen, vielmehr Drachen: etwa im Falle von Menschenschlangen (auf Chinesisch 人龙 rénlóng “Menschendrachen”) oder Autoschlangen (auf Chinesisch 车龙 chēlóng “Wagendrachen”). Endlose Feierabend-Blechkarawanen oder wildes Getümmel in den Straßen kommentieren Chinesen als 车水马龙 chē shuǐ mǎ lóng – frei übersetzt: “Autos wie Wasser und Pferde wie Drachen”, sprich: hohes Verkehrsaufkommen oder heilloses Tohuwabohu.
Während uns im deutschsprachigen Raum alte Wasserleitungen mit hahnenkammartigem Drehknauf einst an Federvieh erinnert haben, fließt das Nass in China nicht aus dem Wasserhahn, sondern dem “Wasserdrachenkopf” (水龙头 shuǐlóngtóu). Vielleicht lag diese Assoziation auch deshalb nahe, weil der Drache den Chinesen als Beherrscher des Wassers gilt. Er bestimmt die Jahreszeiten und die Ernte und soll im Winter in Gewässern leben und im Frühsommer in den Himmel aufsteigen. Und dort treibt er laut chinesischer Meteorologen-Sprache sein Unwesen als “Drachenwirbelwind” (龙卷风 lóngjuǎnfēng) – das ist die Bezeichnung für Tornado.
Sogar das Wirtschaftsvokabular haben die Drachen sich gekrallt. Kein Wunder, gilt der Drache in der chinesischen Kultur schließlich als wohlstandsverheißend. Branchen- und Marktführer adelt das Putonghua deshalb als “Drachenköpfe” (龙头 lóngtóu) und spricht von “Marktdrachenköpfen” (市场龙头 shìchǎng lóngtóu = Marktführer), “Drachenkopfprodukten” (龙头产品 lóngtóu chǎnpǐn = führende Produkte) und “Drachenkopffirmen” (龙头企业 lóngtóu qǐyè = führende Unternehmen). Und wenn Sie die einst aufstrebenden ost- und südostasiatischen Wirtschaften noch als “Tigerstaaten” kannten, wird Sie auch hier das Chinesische eines Besseren belehren. Denn in China hießen Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur in diesem Zusammenhang schon immer 亚洲四小龙 Yàzhōu sì xiǎolóng – die “vier Drachenbabys Asiens“.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.