Table.Briefing: China

VW in Bedrängnis + Windkraft

Liebe Leserin, lieber Leser,

volle Windkraft voraus! Seit 2020 zieht der Aufbau von Windenergie-Anlagen in der Volksrepublik an -wenn auch mit starken Schwankungen. Die Ausbauziele sind ehrgeizig, schreibt Christiane Kühl. Die Provinzen zahlen Subventionen und Firmen setzen auf Superlative. Stromnetz und Strommärkte müssen allerdings noch besser werden, um die Erneuerbaren effizient zu nutzen.

Dass die diesjährige VW-Hauptversammlung in Berlin weitaus schwieriger ablaufen wird als in vergangenen Jahren, stand davor schon fest. Die Protestaktionen, die die Veranstaltung am Mittwoch, begleiteten, waren dennoch überraschend heftig, berichtet Marcel Grzanna. Mit verschiedenen Aktionen taten Aktivisten ihren Unmut gegen das Engagement des Autobauers in der chinesischen Region Xinjiang kund. Unter anderem warfen sie eine Torte in Richtung Podium. Eine Aktivistin protestierte mit nacktem Oberkörper. VW blieb trotz alldem seinen PR-Floskeln treu.

In der Rubrik Heads stellen wir Ihnen heute die Arbeit von Guo Yuhua vor. Die einst auch in China renommierte Soziologin wurde jüngst mit einem Ausreise-Verbot belegt. Sie sammelte unter anderem mündliche Geschichten von Bauern, die während der großen Hungersnöte nicht aus ihren Dörfern fliehen durften. Guo ist damit nur der jüngste Fall in einer endlosen Reihe. Immer wieder hält die Zentralregierung kritische Stimmen wie Geiseln in den eigenen Landesgrenzen gefangen.

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Analyse

Tortenwurf und blanke Brüste: Volkswagen kontert Proteste mit PR-Floskeln

Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch weicht am Rednerpult einer fliegenden Torte aus.

Menschenrechtsaktivisten haben die Aktionärsversammlung von Volkswagen am Mittwoch wie angekündigt mehrfach gestört. Mit verschiedenen Aktionen protestierten sie gegen das Engagement des Autobauers in der chinesischen Region Xinjiang. Unter anderem warfen die Aktivisten eine Torte in Richtung Podium, wo Wolfgang Porsche als Vertreter der Eigentümerfamilie an seinem 80. Geburtstag Platz genommen hatte.

Die Rede von Konzernchef Oliver Blume wurde derweil von einer Frau unterbrochen, die mit nacktem Oberkörper vor dem Podium die “Ausbeutung” von Arbeitskräften in Xinjiang kritisierte, ehe sie vom Sicherheitspersonal aus dem Saal geführt wurde.

Davon unbeeindruckt kündigte Blume an, der Konzern wolle weiter in China investieren und wachsen. Die “China-Strategie 2030” sieht vor, sich “noch stärker auf chinesische Kunden auszurichten” und über lokale Partnerschaften “die Entwicklung neuer Technologien zu beschleunigen”.

Aktivisten fordern Ende des Xinjiang-Engagements

Vor dem Eingang des City Cube hatten Nichtregierungsorganisationen und der Dachverband Kritischer Aktionäre bereits vor Beginn der Veranstaltung protestiert. Vor einem VW-Golf übten zwei Personen den Schulterschluss. Eine Person war als Chinas Staatschef Xi Jinping maskiert, die andere als VW-Chef Blume. Der Xi-Darsteller hielt dabei zwei Personen in Blaumännern an einer Kette. Die Aktivisten fordern ein Ende des Xinjiang-Engagements des Herstellers.

Protestaktion am Mittwoch gegen Zwangsarbeit vor dem City Cube am Messedamm.

Zu den Vorwürfen möglicher Menschenrechtsverletzungen nahm China-Chef Ralf Brandstätter Stellung. Um kulturellen Bedürfnissen der Belegschaft gerecht zu werden, habe das Werk “ein inklusives Arbeitsumfeld geschaffen, das religiöse Überzeugungen und unterschiedliche Kulturen respektiert.” Zum Beispiel gebe es in der Kantine Halal-Gerichte für Muslime. Wegen vertraglicher Verpflichtungen sei es Volkswagen allerdings nicht möglich, externe Prüfungen ohne Zustimmung des Joint-Venture-Partners SAIC anzuordnen.

Mit SAIC stimme man überein, dass Grundwerte und Recht in gemeinsamen Unternehmungen eingehalten und geschützt werden müssen, sagte Brandstätter. Nach einem Besuch im Februar im Werk in Xinjiang habe Brandstätter keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen finden können. Er habe auch keinen Grund, an den entsprechenden Quellen für seine Informationen zu zweifeln. Anderfalls werde der Konzern “unmittelbar und unverzüglich reagieren.”

Land Niedersachsen als Großaktionär

Damit griff Brandstätter auf die übliche Verteidigungsstrategie von Volkswagen zurück. Der Konzern verteidigt sein Werk in Xinjiang, aber geht den Vorwürfen gegen Schwachpunkte in seinen Lieferketten großräumig aus dem Weg. Forscher der Hallam University in Sheffield hatten die großen Risiken offengelegt, denen sich Volkswagen, aber auch andere deutsche Hersteller wie BMW oder Mercedes-Benz durch ihre Wertschöpfung in China aussetzen.

“Volkswagen zeigt mit seinen Antworten, dass es Systematik und Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen nicht verstanden hat oder verstehen will”, sagte Hanno Schedler von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die sich an der Aktion vor dem Eingang beteiligt hatte. “Mit PR-Sprech verhöhnt VW die Opfer des Völkermords”, so Schedler. Umso wichtiger sei es, dass auch die niedersächsische Landesregierung als Teilhaber ihre Zurückhaltung gegenüber Volkswagen aufgebe und einen Rückzug aus der Region fordere.

ESG-Komitee von Union Investment berät sich

Kritisch beäugt wird das Xinjiang-Engagement der Wolfsburger auch von Fondsgesellschaften, die gegenüber den Konzernen die Interessen ihrer Millionen von Aktionären vertreten. Dazu gehört Union Investment, dessen Leiter ESG Capital Markets & Stewardship, Janne Werning, den Vorstand am Mittwoch daran erinnerte, dass Volkswagen trotz mehrfacher Nachfrage zufriedenstellende Antworten schuldig sei.

Ob die wenig präzisen Ausführungen des Vorstandes Union Investment überzeugen, ist noch ungewiss. “So zeitnah nach der Versammlung ist ein Urteil darüber noch nicht möglich”, sagte Werning. Gemeinsam mit dem ESG-Komitee der Fondsgesellschaft werden die Stellungnahmen von Volkswagen in den kommenden Tagen bewertet.

Zu den Risiken einer zunehmenden Abhängigkeit des Konzerns von China, sagte Brandstätter, dass es sich wegen der tiefgreifenden Lieferketten um eine wechselseitige Abhängigkeit handle. Volkswagen setzte auf Diversifizierung statt auf Decoupling. Der Konzern unterstütze das politische Ziel, entsprechende Anreize für deutsche Unternehmen zu schaffen.

  • Proteste
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Windrad der Superlative

Blick auf die größte Windkraftbasis der Welt bei Jiuquan, Provinz Gansu.

China verbraucht mehr Kohle und stößt mehr Treibhausgase als jedes andere Land der Welt aus – aber es erzeugt auch mehr erneuerbare Energien als jeder andere Staat. Bekannt sind vor allem die umstrittenen Wasserkraftprojekte der Vergangenheit und riesige Photovoltaikprojekte im Westen des Landes. Doch auch die Windkraft gewinnt in den Plänen an Bedeutung. Seit 2020 zieht der Aufbau von Windenergie-Anlagen an, wenn auch mit starken Schwankungen.

2020 ist bisher das Rekordjahr für Chinas Windkraft: Rund 72 GW wurden damals installiert, mehr als doppelt so viele wie 2019, die meisten im Dezember. Der Spurt entstand, weil die fixierten Einspeisetarife für neue Solar- und Onshore-Windkraftprojekte Anfang 2021 wegfielen. Manche Beobachter gehen sogar davon aus, dass damals auch Anlagen gezählt wurden, die noch nicht ganz fertig waren – damit sie noch den hohen Einspeisetarif erhalten. Diese Kapazitäten fehlten dann in der Statistik für 2021, das eine deutliche Delle im Zubau aufwies. Und auch 2022 schloss China Windanlagen mit einer Kapazität von nur 37,6 Gigawatt ans Stromnetz an.

Nun aber soll das Tempo wieder anziehen. Im ersten Quartal 2023 gingen 10,4 Gigawatt ans Netz, 31 Prozent mehr als im Vorjahresquartal. Branchenanalysten von Trivium Netzero erwarten für dieses Jahr zwischen 60 und 75 GW neue Windkraft-Kapazitäten, also etwa doppelt so viel wie 2022.

China: Windräder im ganzen Land

Nach Daten des Global Energy Monitor (GEM) betrug die Gesamtbetriebskapazität chinesischer Windparks in China im Januar 2023 gut 278 Gigawatt (GW,) etwa das Zehnfache Indiens (28 GW). In Deutschland waren es knapp 40 GW. 2022 generierte China 46 Prozent mehr Windenergie als ganz Europa. Erstmals übertrafen 2022 die Kapazitäten erneuerbarer Energien – zu denen in China neben Wind, Solar und Wasserkraft auch die Atomkraft zählt – die Kapazitäten der Kohlekraft. Erneuerbare machten nach Angaben der Nationalen Energiebehörde 47,3 Prozent der Stromerzeugungskapazität des Landes aus – gegenüber 43,8 Prozent für Kohle. Allerdings liefert Kohle noch immer mehr Energie. Denn Kohlekraftwerke laufen kontinuierlicher als Wind- und Solarkraftwerke, die auf das richtige Wetter angewiesen sind.

Während Windräder bis vor ein paar Jahren vor allem im stürmischen, dünn besiedelten Hochland des Nordwestens standen, drehen sie sich inzwischen in 30 Provinzen. Zehn Provinzen verfügen laut GEM mehr als 10 GW Kapazität. Auch weil Peking Druck auf die Regionen ausübt, eigene Aufbauziele für Wind und Solar aufzustellen. Diese lokalen Pläne würden Chinas Wind- und Solarkapazität bis 2025 mehr als verdoppeln, sollten sie denn umgesetzt werden.

Für den Bau der Anlagen nehmen die Behörden auch weiterhin viel Geld in die Hand, nicht nur in der Zentrale. “Chinesische Provinzen gewähren oft eigene Subventionen für Windenergie“, schreibt Joseph Webster, China-Experte am Global Energy Center des Atlantic Council. Als Beispiel nennt er die Förderung Guangdongs für Offshore-Windprojekte von 1.500 Yuan pro Kilowatt. “Bei dieser Größenordnung würde ein ähnliches Programm in den Vereinigten Staaten etwa 109 Millionen Dollar an Subventionen für eine 500-Megawatt-Anlage einbringen – ein bemerkenswertes Maß an Unterstützung durch eine Provinzregierung”, so Webster.

Chinas Mega-Windprojekte entstehen im Nordwesten

Besonders die von der Zentralregierung angeschobenen Megaprojekte in den trockenen Weiten des Nordwestens gewinnen indes zunehmend an Bedeutung für den chinesischen Energiemix. Staatschef Xi Jinping hat angekündigt, bis 2030 rund 455 GW an Wind- und Solarkapazität der Region fertigzustellen. Rund 200 GW Wind- und Solar-Kapazität würden in diesen Megaprojekten bis 2025 ans Netz gehen, sagte Li Qionghui vom staatlichen Netzbetreiber State Grid kürzlich zu Bloomberg. Drei Viertel davon sollen die Region dann über die Fernleitungen in andere Teile des Landes verlassen.

Genau diese Übertragungsleitungen für immer größere Mengen an Elektrizität – teils über sehr weite Strecken – sind eine große Herausforderung. Anfang der Zehnerjahre habe das Versäumnis, genug passende Übertragungsleitungen zu bauen, das Windenergie-Wachstum in einigen der windreichsten Provinzen ausgebremst, schreibt Webster. Doch seit einigen Jahren arbeitet China am Ausbau der Netze und an einem einheitlichen Strommarkt für Ökostrom. Seither sind die Netz-Engpässe für die Windkraft stetig kleiner geworden.

Chinas Windkraft-Projekte: Viele Superlative

China strebt in vielen Feldern nach Superlativen; so ist es auch in der Windkraft. In Jiuquan in der Provinz Gansu steht die größte Windkraftbasis der Welt mit derzeit zehn GW Kapazität. Diese soll noch auf 20 GW anwachsen.

  • Die Stadt Chaozhou in Guangdong will 75 Kilometer vor der Küste einen 43-GW-Offshore-Windpark errichten, der dann seinerseits der weltgrößte wäre. Die Planer glauben, der Wind sei dort stark genug, um die Turbinen bis zu 49 Prozent der Zeit anzutreiben – was eine ungewöhnlich hohe Auslastung wäre.
  • Das Unternehmen Envision Energy präsentierte im Februar die größte Onshore-Turbine mit 10 MW Leistung, entwickelt speziell für die Gegebenheiten Nordchinas: viel Wind, aber sehr trocken.
  • Offshore-Turbinen werden noch größer: Im November 2022 startete die China Three Gorges Corp in Fujian mit der Produktion der vorübergehend weltgrößten Offshore-Turbine mit 16 MW Leistung, 252 Metern Rotordurchmesser, die eine Fläche von 55.000 Quadratmetern überstreicht, etwa sieben Fußballfelder.
  • Schon im Januar präsentierten dann gleich zwei Unternehmen je einen 18-MW-Offshore-Riesen. CSSC Haizhuang enthüllte ein Modell mit 260 Metern Durchmesser im Offshore Wind Power Industrial Park in Dongying, Shandong. Noch größer ist der 280-Meter-Durchmesser-Riese mit gleicher Leistung, ausgerollt von Mingyang Smart Energy aus Sichuan.

China: Ausländer aus Windkraftmarkt verdrängt

Die Megaturbinen sind allesamt größer als diejenigen, die bei den drei großen internationalen Herstellern wie Vestas, Siemens Gamesa oder GE in der Entwicklung sind. Auch deshalb gibt es Kritik, dass China Technologien westlicher Firmen abgeschöpft habe, als diese als Pioniere einst auf den chinesischen Markt drängten.

Chinesische Ingenieure mussten geschult und Technologie transferiert werden, schreibt Webster. “Einigen ausländische Unternehmen wurde zudem ihr geistiges Eigentum durch chinesische Firmen entwendet, oft mit Unterstützung chinesischer Geheimdienste.” Die Folge: Lokale Konzerne dominieren heute Chinas Markt.

News

Endgültig grünes Licht für Cosco in Hamburg

Nach monatelangem Streit darf der chinesische Staatskonzern Cosco nun endgültig beim Hamburger Container-Terminal Tollerort einsteigen. Die Bundesregierung habe entschieden, die Minderheitsbeteiligung des chinesischen Unternehmens Cosco Shipping Ports Limited am Container Terminal Tollerort freizugeben, teilte die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) am Mittwoch in einem kurzen Statement mit. “Alle Fragen im Rahmen des Investitionsprüfverfahrens konnten gemeinsam in intensiven, konstruktiven Gesprächen geklärt werden.”

Die erneute Prüfung des Einstiegs wurde nötig, weil das Container-Terminal Tollerort nach der ersten Genehmigung doch noch als kritische Infrastruktur eingestuft worden war. Auch die Bundesregierung bestätigte am Mittwoch, “dass die überarbeiteten Kaufverträge im Einklang mit den Bedingungen der Teiluntersagung stehen”.

Nun könne die HHLA den Tollerort-Terminal zu einem bevorzugten Umschlagpunkt des langjährigen Kunden Cosco ausbauen, frohlockte das Unternehmen in dem Statement. Rund 30 Prozent der im Hamburger Hafen umgeschlagenen Waren kommen demnach aus China oder gingen dorthin. Die HHLA hatte stets betont, dass der Cosco-Einstieg notwendig sei, um den chinesischen Staatskonzern dauerhaft an Hamburg zu binden.

Auch Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) zeigte sich nach einem Bericht des NDR in einer ersten Reaktion erleichtert. Für den Exportstandort Deutschland sei es gut, dass nach mehr als eineinhalb Jahren Prüfverfahren nun Klarheit herrsche, so Leonhard. Auch Lokalpolitiker des grünen Koalitionspartners in Hamburg sowie anderer Parteien begrüßten laut NDR am Abend die Entscheidung. Kritiker hatten dagegen Sicherheitsrisiken in dem Cosco-Deal gesehen.

Noch steht allerdings die endgültige Zusage Coscos aus, ob der Konzern zu den aktuellen Bedingungen noch in Hamburg einsteigen will. Der Konzern hatte die vetragliche Deadline für die Entscheidung am 31. Dezember 2022 verstreichen lassen. Eigentlich wollte Cosco 35 Prozent am Tollerort übernehmen, was so auch mit der HHLA vereinbart worden war. Doch nach zähem Ringen zwischen skeptischen Bundesministerien und dem Kanzleramt stand der Kompromiss einer so genannten Teiluntersagung: Maximal 24,9 Prozent darf Cosco kaufen und diesen Anteil auch künftig nicht erhöhen. ck

  • Cosco
  • Geopolitik
  • Hamburger Hafen
  • Handel

Baerbock holt sich Rückendeckung in Paris

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat ihre Kritik an China vom Vortag wiederholt und die Führung in Peking aufgefordert, Einfluss auf Russland auszuüben, um den Krieg in der Ukraine zu stoppen. “China hat als ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrats die besondere Verantwortung, für den Weltfrieden zu sorgen”, sagte Baerbock am Mittwoch bei ihrem Besuch in Paris. Dazu gehöre es auch, “im Fall eines Angriffskriegs den Angreifer klar zu benennen”, fügte sie hinzu. 

Wenn Russland seine Soldaten aus der Ukraine abziehe, sei der Friede wieder hergestellt. Wenn die Ukraine aufhöre, sich zu verteidigen, sei die Ukraine am Ende und die Charta der Vereinten Nationen ebenfalls, betonte die Bundesaußenministerin. “Man hat als Mitglied des Sicherheitsrats nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten”, mahnte sie bei ihrem Treffen mit ihrer französischen Amtskollegin Catherine Colonna. Beide Ministerinnen betonten, dass Deutschland und Frankreich dieselbe China-Politik verfolgten. “Unsere Botschaft ist dieselbe: Wir wollen Abhängigkeiten reduzieren”, sagte Colonna.

Baerbock hatte am Dienstag den chinesischen Außenminister Qin Gang in Berlin empfangen. Dabei kam es erneut zu einem heftigen Meinungsaustausch. Wie schon bei ihrem Besuch vor einigen Wochen in China waren die Gespräche von Misstrauen geprägt. Baerbock kritisierte ihren chinesischen Amtskollegen unter anderem für Chinas vermeintliche Neutralität im Ukraine-Krieg.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hingegen kritisiert die China-Politik der Bundesregierung. “Es ist grundverkehrt, auf unseren größten Wirtschaftspartner mit Moralpolitik einzutrommeln. Damit sind wir völlig auf dem Holzweg”, sagte Dulger dem Mannheimer Morgen zufolge am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Zeitung. Er selbst sei ein Freund Chinas, sagte der Heidelberger Unternehmer demnach. “Und wir tun gut daran, unseren chinesischen Partnern immer wieder zu beteuern, dass wir zu unserer Freundschaft stehen.” flee

  • Christian Lindner
  • Geopolitik
  • Menschenrechte

Zenit womöglich erreicht

Die Hoffnungen der deutschen Exporteure auf ein Comeback ihres China-Geschäfts nach der Abkehr von der dortigen Null-Covid-Politik haben sich bislang nicht erfüllt. Im Gegenteil: Im ersten Quartal brachen die Ausfuhren in die Volksrepublik um 12,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 24,1 Milliarden Euro ein.

Das geht aus vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hervor. Zum Vergleich: Die gesamten deutschen Exporte legten von Januar bis März um 7,4 Prozent auf mehr als 398 Milliarden Euro zu.

Dabei ist die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt im ersten Quartal überraschend kräftig gewachsen: Das Bruttoinlandsprodukt stieg von Januar bis März um 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – der stärkste Quartalszuwachs seit einem Jahr. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einem Plus von 4,0 Prozent gerechnet.

“Chinas Wirtschaft mag sich erholen, aber die Auswirkungen auf die deutschen Exporte werden ganz anders sein als bei der Überwindung der globalen Finanzkrise im Jahr 2009”, sagte der Chefvolkswirt des Mercator Institute for China Studies (Merics), Max Zenglein. “Die wirtschaftliche Erholung wird diesmal hauptsächlich von Verbrauchern und Dienstleistungen abhängen und dürfte an vielen deutschen Exporteuren vorbeigehen.”

Nachdem die Führung in Peking Ende 2022 überraschend das Ende der strengen Corona-Politik mit wiederkehrenden Lockdowns ganzer Metropolen verkündet hat, reisen die Chinesen wieder vermehrt, gehen aus und kleiden sich neu ein. “Das Post-Corona-Wachstum wird vom Konsum befeuert”, sagte Zenglein.

Hinzu kommen noch Bestrebungen der Regierung nach mehr Autarkie, also einer geringeren Abhängigkeit von westlicher Hochtechnologie durch eigene Produktion. “Damit besteht die Gefahr, dass die deutschen Exporte nach China vielleicht ihren Zenit erreicht haben“, sagte Zenglein.

Der Anteil der Ausfuhren in die Volksrepublik an den deutschen Gesamtexporten dürfte sich “auf einem niedrigeren Niveau einpendeln”. Schon jetzt liege er nur noch bei rund sechs Prozent, nachdem er zeitweise bei etwa acht Prozent gelegen habe, sagte Merics-Chefvolkswirt Zenglein.

  • Export
  • Handel
  • Merics

LinkedIn beendet Job-App

Das Business-Social-Network LinkedIn beendet seine Job-App im chinesischen Festland und streicht Stellen. Die Entscheidung sei vor dem Hintergrund eines veränderten Kundenverhaltens und eines langsameren Umsatzwachstums getroffen worden, teilte LinkedIn-CEO Ryan Roslansky in einem Brief an Mitarbeiter mit.

“Während wir LinkedIn durch diese sich schnell verändernde Landschaft führen, nehmen wir Änderungen an unserer globalen Geschäftsorganisation und unserer China-Strategie vor, die zu einem Stellenabbau für 716 Mitarbeiter führen werden”, schrieb Roslansky. Als Teil des Umbaus wird LinkedIn die für das chinesische Festland geschaffene App InCareer bis zum 9. August auslaufen lassen.

Laut einem Unternehmenssprecher wird LinkedIn eine gewisse Präsenz in China beibehalten und unter anderem Dienstleistungen für dort tätige Unternehmen bereitstellen, um Mitarbeiter außerhalb des Landes einzustellen und zu schulen. LinkedIn hatte sich im Oktober 2021 mit seiner Haupt-Plattform aus dem chinesischen Markt zurückgezogen und war mit der reinen Jobbörse-App InCareer verblieben. ari

  • Gesellschaft
  • Technologie

Taiwanischer Batterie-Hersteller plant Werk in Nordfrankreich

Das taiwanische Unternehmen Prologium wird Medienberichten zufolge im nordfranzösischen Dünkirchen eine Batterie-“Gigafabrik” bauen. Das Werk, in dem Festkörperbatterien hergestellt werden, soll das größte von Prologium und das zweite weltweit werden. Das erste Werk befindet sich in Taiwan.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wird am Freitag nach Dünkirchen reisen, um den Bau dort formell anzukündigen, berichtete die Wirtschaftszeitung Les Echos. Die Fabrik soll demnach bis 2030 eine Investition von 5,2 Milliarden Euro erfordern und rund 3.000 Arbeitsplätze schaffen. ari

  • Batterien
  • Frankreich
  • Technologie

Presseschau

Chinas Cosco darf Anteile am Hamburger Hafen erwerben FAZ
Habeck will China-Geschäfte deutscher Unternehmen kontrollieren HANDELSBLATT
AfD-Chefin Weidel stellt Habeck als China-Fan dar WELT
Vorstoß der EU-Kommission: Handelssanktionen gegen ganz China? FAZ
CDU dringt auf einheitliche Linie in China-Politik – Wadephul: China versucht, Dissonanzen in Regierung auszunutzen RND
Arbeitgeberpräsident kritisiert China-Politik der Bundesregierung WELT
Protest gegen umstrittenes Werk in Xinjiang: Tortenwerfer und nackte Aktivistin stören VW-Hauptversammlung SPIEGEL
Exclusive: Biden to sign defence pact in Papua New Guinea, with eyes on China REUTERS
Taiwan dankt Blinken für seine wiederholte Unterstützung RTI
Taiwan will TSMC-Fabriken nicht von USA bombardieren lassen GOLEM
China, silent on Imran arrest, backs Pakistan Army as “defender of stability” THEHINDU
U.S. opens embassy in Tonga in new pushback against China in the Pacific NBCNEWS
Durchsuchungen bei westlichen Firmen: Wirtschaft besorgt wegen Razzien in China TAGESSCHAU
“Corona-Erholung geht an uns vorbei”: China-Comeback für deutsche Exporteure bleibt aus TAGESSPIEGEL
Die Abhängigkeit von China ist gegenseitig FR
“Streben nach Großmachtstatus”: Entdeckung neuer Antarktis-Basis schürt Ängste vor China MERKUR
China verhängt Ausreisesperre gegen Professorin Geo Yuhua: “Natürlich habe ich Angst! Wer hätte das nicht?” RND
Italien erwägt Ausstieg aus Seidenstraßengeschäft mit China DIEPRESSE
Angebliches Corona-Heilmittel: Warum sich Italiens China-Exporte plötzlich verdoppeln MANAGER-MAGAZIN
Allianz-Studie: Elektroautos aus China könnten Europa zweistellige Milliarden-Summe kosten TESLAMAG
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Pilotprojekt in Changshu: China probiert den E-Yuan in einer Millionenstadt aus FINANZEN
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Hong Kong Wants More Tourists, but Mostly “Good Quality” Ones, Please NYTIMES
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Heads

Guo Yuhua – Einst gefeierte Soziologin, nun geschasst

Dieser Tage häufen sich die Vorfälle, bei denen sich die traumatische Geschichte der Volksrepublik China zu wiederholen scheint: Bei ihrer Feldforschung sammelte die Soziologin Guo Yuhua einst die mündlichen Geschichten von Bauern, die während der großen Hungersnöte nicht aus ihren Dörfern fliehen durften. 60 Jahre später steht die pensionierte Professorin selbst am Grenzübergang von Shenzhen zur ehemals britische Kronkolonie Hongkong – und wird von den Zollbeamten abgewiesen. Ein von Peking verhängtes Ausreiseverbot sei gegen sie verhängt worden, gab man der Akademikerin Bescheid.

Guo Yuhua ist damit nur der jüngste Fall in einer endlosen Reihe. Immer wieder hält die Zentralregierung kritische Stimmen wie Geiseln in den eigenen Landesgrenzen gefangen. Die Menschenrechts-NGO Safeguard Defenders hat in einer aktuellen Studie eruiert, wie systematisch Staatschef Xi Jinping die Praxis ausgeweitet hat: Allein in den letzten vier Jahren wurden fünf zusätzliche Gesetze verabschiedet oder geändert, die solche Ausreiseverbote vorsehen.

Die NGO schätzt, dass derzeit mehrere zehntausend Chinesen mit einer solchen Klausel belegt worden sind. Eine wissenschaftliche Studie aus dem Vorjahr hat zwischen 1995 und 2019 knapp 130 Fälle registriert, in denen auch ausländische Staatsbürger davon betroffen waren – vorwiegend Nordamerikaner.

Die 66-Jährige gilt als eine der führenden Soziologinnen des Landes. Ihr akademisches Leben hat sie wie kaum eine zweite der Feldforschung gewidmet. Bekanntheit erlangte sie Mitte der 1990er-Jahre für ihr Projekt “kommunistische Zivilisation”, in dem sie die Geschichte mehrerer Dorfgemeinschaften seit Beginn der kollektivistischen Landreformen der 1950er-Jahre aufspürte. Nach Vorbild sogenannter “Oral History” gaben die Bauern als Zeitzeugen möglichst unbeeinflusst und in eigenen Worten ihre Lebenserfahrungen nieder.

“Oral History” unter Xi Jinping nicht mehr möglich

Mittlerweile ist dieser Ansatz unter Staatschef Xi Jinping de facto nicht mehr möglich, weil die kommunistische Partei stets die Informationshoheit über die Narrative beibehalten möchte – ganz gleich, ob im Journalismus, der Politik oder auch in der Wissenschaft. Sie möchte verhindern, dass auch die dunklen Seiten der Geschichte zum Vorschein kommen. Guo Yuhua hat diese trotz des politischen Klimas wiederholt ausgegraben, wie allein der Titel ihres 2013 publizierten Buchs verdeutlicht: “Die Erzählung derer, die leiden”.

Das Werk wurde im Festland verboten und konnte nur in Hongkong gedruckt werden. Von dort gelangten jedoch immer wieder Schmuggelware nach Peking, auch wenn es die Lieferungen zuletzt kaum mehr durch die Post schafften. Guo selbst beschwerte sich mehrfach, dass sie als renommierte Forscherin keinerlei Zugang zu einigen ihrer eigenen Publikationen hat.

Sämtliche ihrer Bücher sind verbannt

Auch auf anderen Wegen wurde ihre Stimme zunehmend zum Schweigen gebracht: Ihre Alma Mater – die elitäre Tsinghua-Universität in Peking – verbannte zuletzt praktisch sämtliche von Guos Büchern aus den Bibliotheksregalen. Und immer wieder löschten die Zensoren auch ihre Beiträge aus den sozialen Medien.

Dass sich Guo Yuhua für die einfachen Leute engagierte, war ihr nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Sie wuchs zunächst in einer staatlichen Wohnsiedlung in Peking auf, die der politischen Führungselite des Landes vorbehalten war. Ihre Eltern waren Militäroffiziere, die der Zentralregierung dienten. Doch während der Kulturrevolution (1966-76) fiel Guos Vater in Ungnade und wurde von den Behörden verfolgt. 1968 starb er an Leberzirrhose – auch, weil man ihm den Zugang zu Medikamenten verweigerte. Guo Yuhua wurde – wie Millionen junger Menschen damals – in die Provinz verbannt, um Zwangsarbeit zu verrichten.

Damit weist ihre Biografie erstaunliche Parallelen zu Staatschef Xi Jinping auf, der als Prinzling eines mächtigen Parteifunktionärs geboren wurde, welcher später jedoch von Staatsgründer Mao Tsetung geschasst wurde. Während Xi allerdings in den Folgejahren “roter als rot” wurde, wählte Guo Yuhua einen anderen Weg: Sie behielt ihren kritischen Blick gegenüber der kommunistischen Elite bei.

“Natürlich habe ich Angst”

Ihre Ablehnung gegenüber den Verhältnissen wurde zuletzt immer unerbittlicher, was vor allem mit der Politik des seit 2012 amtierenden Staatschefs Xi Jinping zu tun hatte: Der 69-Jährige weitete die ideologische Kontrolle auf sämtliche Gesellschaftsbereiche aus und duldete auch in den Universitäten keine gedanklichen Freiräume mehr. An der Tsinghua-Universität wurden zuletzt etliche Professoren verhaftet und gefeuert. Als die Publizistin Geng Xiaonan 2021 zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, gehörte Guo zu den wenigen Stimmen, die sich noch öffentlich solidarisierten. Dies könnte nun einer der Gründe sein, weshalb sie nicht aus China ausreisen darf.

In einem ihrer letzten Interviews aus dem Frühjahr 2020 sprach sie noch mit entwaffnender Ehrlichkeit über ihre Gefühle: “Natürlich habe ich Angst! Wer hätte das nicht? Aber egal, wie viel Angst du hast, du darfst weder vor ihnen in die Knie gehen, noch darfst du dich fallen lassen”. Für sie gebe es keine andere Wahl, als sich weiter öffentlich zu äußern. Fabian Kretschmer

  • Safeguard Defenders

Personalien

Carolina Irigaray ist seit Beginn des Monats SET Leader Body in white (BIW) bei Volkswagen in Hefei, Anhui. Sie war zuvor in der Karosseriebauplanung bei Volkswagen, ebenfalls in Hefei tätig.

Karishma Vaswani wechselt ab Herbst von BBC zu Bloomberg Opinion. Die Journalistin war fast 20 Jahre lang Asia business correspondent für BBC mit Sitz in Singapur. In ihrer neuen Stelle wird sie über Politik in der APAC-Region mit Fokus auf China berichten.

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Dessert

Ja, ja, früher war alles besser. Einst konnte jeder Mittelklasseschüler sich seine drei in China üblichen warmen Mahlzeiten selbst zubereiten. So zumindest wird es gern behauptet. In Zeiten von Fastfood, Bringdiensten und Intervall-Fasten ist diese Eigenschaft vielen abhandengekommen. Diese Schule in Yongzhou, Provinz Hunan, will diesem Trend etwas entgegensetzen und zelebriert Kochkurse auf dem Pausenhof für die ganze Schule. Große Begeisterung scheint der Kochlehrer bei den Schülern aber nicht auszulösen.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    volle Windkraft voraus! Seit 2020 zieht der Aufbau von Windenergie-Anlagen in der Volksrepublik an -wenn auch mit starken Schwankungen. Die Ausbauziele sind ehrgeizig, schreibt Christiane Kühl. Die Provinzen zahlen Subventionen und Firmen setzen auf Superlative. Stromnetz und Strommärkte müssen allerdings noch besser werden, um die Erneuerbaren effizient zu nutzen.

    Dass die diesjährige VW-Hauptversammlung in Berlin weitaus schwieriger ablaufen wird als in vergangenen Jahren, stand davor schon fest. Die Protestaktionen, die die Veranstaltung am Mittwoch, begleiteten, waren dennoch überraschend heftig, berichtet Marcel Grzanna. Mit verschiedenen Aktionen taten Aktivisten ihren Unmut gegen das Engagement des Autobauers in der chinesischen Region Xinjiang kund. Unter anderem warfen sie eine Torte in Richtung Podium. Eine Aktivistin protestierte mit nacktem Oberkörper. VW blieb trotz alldem seinen PR-Floskeln treu.

    In der Rubrik Heads stellen wir Ihnen heute die Arbeit von Guo Yuhua vor. Die einst auch in China renommierte Soziologin wurde jüngst mit einem Ausreise-Verbot belegt. Sie sammelte unter anderem mündliche Geschichten von Bauern, die während der großen Hungersnöte nicht aus ihren Dörfern fliehen durften. Guo ist damit nur der jüngste Fall in einer endlosen Reihe. Immer wieder hält die Zentralregierung kritische Stimmen wie Geiseln in den eigenen Landesgrenzen gefangen.

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    Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch weicht am Rednerpult einer fliegenden Torte aus.

    Menschenrechtsaktivisten haben die Aktionärsversammlung von Volkswagen am Mittwoch wie angekündigt mehrfach gestört. Mit verschiedenen Aktionen protestierten sie gegen das Engagement des Autobauers in der chinesischen Region Xinjiang. Unter anderem warfen die Aktivisten eine Torte in Richtung Podium, wo Wolfgang Porsche als Vertreter der Eigentümerfamilie an seinem 80. Geburtstag Platz genommen hatte.

    Die Rede von Konzernchef Oliver Blume wurde derweil von einer Frau unterbrochen, die mit nacktem Oberkörper vor dem Podium die “Ausbeutung” von Arbeitskräften in Xinjiang kritisierte, ehe sie vom Sicherheitspersonal aus dem Saal geführt wurde.

    Davon unbeeindruckt kündigte Blume an, der Konzern wolle weiter in China investieren und wachsen. Die “China-Strategie 2030” sieht vor, sich “noch stärker auf chinesische Kunden auszurichten” und über lokale Partnerschaften “die Entwicklung neuer Technologien zu beschleunigen”.

    Aktivisten fordern Ende des Xinjiang-Engagements

    Vor dem Eingang des City Cube hatten Nichtregierungsorganisationen und der Dachverband Kritischer Aktionäre bereits vor Beginn der Veranstaltung protestiert. Vor einem VW-Golf übten zwei Personen den Schulterschluss. Eine Person war als Chinas Staatschef Xi Jinping maskiert, die andere als VW-Chef Blume. Der Xi-Darsteller hielt dabei zwei Personen in Blaumännern an einer Kette. Die Aktivisten fordern ein Ende des Xinjiang-Engagements des Herstellers.

    Protestaktion am Mittwoch gegen Zwangsarbeit vor dem City Cube am Messedamm.

    Zu den Vorwürfen möglicher Menschenrechtsverletzungen nahm China-Chef Ralf Brandstätter Stellung. Um kulturellen Bedürfnissen der Belegschaft gerecht zu werden, habe das Werk “ein inklusives Arbeitsumfeld geschaffen, das religiöse Überzeugungen und unterschiedliche Kulturen respektiert.” Zum Beispiel gebe es in der Kantine Halal-Gerichte für Muslime. Wegen vertraglicher Verpflichtungen sei es Volkswagen allerdings nicht möglich, externe Prüfungen ohne Zustimmung des Joint-Venture-Partners SAIC anzuordnen.

    Mit SAIC stimme man überein, dass Grundwerte und Recht in gemeinsamen Unternehmungen eingehalten und geschützt werden müssen, sagte Brandstätter. Nach einem Besuch im Februar im Werk in Xinjiang habe Brandstätter keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen finden können. Er habe auch keinen Grund, an den entsprechenden Quellen für seine Informationen zu zweifeln. Anderfalls werde der Konzern “unmittelbar und unverzüglich reagieren.”

    Land Niedersachsen als Großaktionär

    Damit griff Brandstätter auf die übliche Verteidigungsstrategie von Volkswagen zurück. Der Konzern verteidigt sein Werk in Xinjiang, aber geht den Vorwürfen gegen Schwachpunkte in seinen Lieferketten großräumig aus dem Weg. Forscher der Hallam University in Sheffield hatten die großen Risiken offengelegt, denen sich Volkswagen, aber auch andere deutsche Hersteller wie BMW oder Mercedes-Benz durch ihre Wertschöpfung in China aussetzen.

    “Volkswagen zeigt mit seinen Antworten, dass es Systematik und Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen nicht verstanden hat oder verstehen will”, sagte Hanno Schedler von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die sich an der Aktion vor dem Eingang beteiligt hatte. “Mit PR-Sprech verhöhnt VW die Opfer des Völkermords”, so Schedler. Umso wichtiger sei es, dass auch die niedersächsische Landesregierung als Teilhaber ihre Zurückhaltung gegenüber Volkswagen aufgebe und einen Rückzug aus der Region fordere.

    ESG-Komitee von Union Investment berät sich

    Kritisch beäugt wird das Xinjiang-Engagement der Wolfsburger auch von Fondsgesellschaften, die gegenüber den Konzernen die Interessen ihrer Millionen von Aktionären vertreten. Dazu gehört Union Investment, dessen Leiter ESG Capital Markets & Stewardship, Janne Werning, den Vorstand am Mittwoch daran erinnerte, dass Volkswagen trotz mehrfacher Nachfrage zufriedenstellende Antworten schuldig sei.

    Ob die wenig präzisen Ausführungen des Vorstandes Union Investment überzeugen, ist noch ungewiss. “So zeitnah nach der Versammlung ist ein Urteil darüber noch nicht möglich”, sagte Werning. Gemeinsam mit dem ESG-Komitee der Fondsgesellschaft werden die Stellungnahmen von Volkswagen in den kommenden Tagen bewertet.

    Zu den Risiken einer zunehmenden Abhängigkeit des Konzerns von China, sagte Brandstätter, dass es sich wegen der tiefgreifenden Lieferketten um eine wechselseitige Abhängigkeit handle. Volkswagen setzte auf Diversifizierung statt auf Decoupling. Der Konzern unterstütze das politische Ziel, entsprechende Anreize für deutsche Unternehmen zu schaffen.

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    Windrad der Superlative

    Blick auf die größte Windkraftbasis der Welt bei Jiuquan, Provinz Gansu.

    China verbraucht mehr Kohle und stößt mehr Treibhausgase als jedes andere Land der Welt aus – aber es erzeugt auch mehr erneuerbare Energien als jeder andere Staat. Bekannt sind vor allem die umstrittenen Wasserkraftprojekte der Vergangenheit und riesige Photovoltaikprojekte im Westen des Landes. Doch auch die Windkraft gewinnt in den Plänen an Bedeutung. Seit 2020 zieht der Aufbau von Windenergie-Anlagen an, wenn auch mit starken Schwankungen.

    2020 ist bisher das Rekordjahr für Chinas Windkraft: Rund 72 GW wurden damals installiert, mehr als doppelt so viele wie 2019, die meisten im Dezember. Der Spurt entstand, weil die fixierten Einspeisetarife für neue Solar- und Onshore-Windkraftprojekte Anfang 2021 wegfielen. Manche Beobachter gehen sogar davon aus, dass damals auch Anlagen gezählt wurden, die noch nicht ganz fertig waren – damit sie noch den hohen Einspeisetarif erhalten. Diese Kapazitäten fehlten dann in der Statistik für 2021, das eine deutliche Delle im Zubau aufwies. Und auch 2022 schloss China Windanlagen mit einer Kapazität von nur 37,6 Gigawatt ans Stromnetz an.

    Nun aber soll das Tempo wieder anziehen. Im ersten Quartal 2023 gingen 10,4 Gigawatt ans Netz, 31 Prozent mehr als im Vorjahresquartal. Branchenanalysten von Trivium Netzero erwarten für dieses Jahr zwischen 60 und 75 GW neue Windkraft-Kapazitäten, also etwa doppelt so viel wie 2022.

    China: Windräder im ganzen Land

    Nach Daten des Global Energy Monitor (GEM) betrug die Gesamtbetriebskapazität chinesischer Windparks in China im Januar 2023 gut 278 Gigawatt (GW,) etwa das Zehnfache Indiens (28 GW). In Deutschland waren es knapp 40 GW. 2022 generierte China 46 Prozent mehr Windenergie als ganz Europa. Erstmals übertrafen 2022 die Kapazitäten erneuerbarer Energien – zu denen in China neben Wind, Solar und Wasserkraft auch die Atomkraft zählt – die Kapazitäten der Kohlekraft. Erneuerbare machten nach Angaben der Nationalen Energiebehörde 47,3 Prozent der Stromerzeugungskapazität des Landes aus – gegenüber 43,8 Prozent für Kohle. Allerdings liefert Kohle noch immer mehr Energie. Denn Kohlekraftwerke laufen kontinuierlicher als Wind- und Solarkraftwerke, die auf das richtige Wetter angewiesen sind.

    Während Windräder bis vor ein paar Jahren vor allem im stürmischen, dünn besiedelten Hochland des Nordwestens standen, drehen sie sich inzwischen in 30 Provinzen. Zehn Provinzen verfügen laut GEM mehr als 10 GW Kapazität. Auch weil Peking Druck auf die Regionen ausübt, eigene Aufbauziele für Wind und Solar aufzustellen. Diese lokalen Pläne würden Chinas Wind- und Solarkapazität bis 2025 mehr als verdoppeln, sollten sie denn umgesetzt werden.

    Für den Bau der Anlagen nehmen die Behörden auch weiterhin viel Geld in die Hand, nicht nur in der Zentrale. “Chinesische Provinzen gewähren oft eigene Subventionen für Windenergie“, schreibt Joseph Webster, China-Experte am Global Energy Center des Atlantic Council. Als Beispiel nennt er die Förderung Guangdongs für Offshore-Windprojekte von 1.500 Yuan pro Kilowatt. “Bei dieser Größenordnung würde ein ähnliches Programm in den Vereinigten Staaten etwa 109 Millionen Dollar an Subventionen für eine 500-Megawatt-Anlage einbringen – ein bemerkenswertes Maß an Unterstützung durch eine Provinzregierung”, so Webster.

    Chinas Mega-Windprojekte entstehen im Nordwesten

    Besonders die von der Zentralregierung angeschobenen Megaprojekte in den trockenen Weiten des Nordwestens gewinnen indes zunehmend an Bedeutung für den chinesischen Energiemix. Staatschef Xi Jinping hat angekündigt, bis 2030 rund 455 GW an Wind- und Solarkapazität der Region fertigzustellen. Rund 200 GW Wind- und Solar-Kapazität würden in diesen Megaprojekten bis 2025 ans Netz gehen, sagte Li Qionghui vom staatlichen Netzbetreiber State Grid kürzlich zu Bloomberg. Drei Viertel davon sollen die Region dann über die Fernleitungen in andere Teile des Landes verlassen.

    Genau diese Übertragungsleitungen für immer größere Mengen an Elektrizität – teils über sehr weite Strecken – sind eine große Herausforderung. Anfang der Zehnerjahre habe das Versäumnis, genug passende Übertragungsleitungen zu bauen, das Windenergie-Wachstum in einigen der windreichsten Provinzen ausgebremst, schreibt Webster. Doch seit einigen Jahren arbeitet China am Ausbau der Netze und an einem einheitlichen Strommarkt für Ökostrom. Seither sind die Netz-Engpässe für die Windkraft stetig kleiner geworden.

    Chinas Windkraft-Projekte: Viele Superlative

    China strebt in vielen Feldern nach Superlativen; so ist es auch in der Windkraft. In Jiuquan in der Provinz Gansu steht die größte Windkraftbasis der Welt mit derzeit zehn GW Kapazität. Diese soll noch auf 20 GW anwachsen.

    • Die Stadt Chaozhou in Guangdong will 75 Kilometer vor der Küste einen 43-GW-Offshore-Windpark errichten, der dann seinerseits der weltgrößte wäre. Die Planer glauben, der Wind sei dort stark genug, um die Turbinen bis zu 49 Prozent der Zeit anzutreiben – was eine ungewöhnlich hohe Auslastung wäre.
    • Das Unternehmen Envision Energy präsentierte im Februar die größte Onshore-Turbine mit 10 MW Leistung, entwickelt speziell für die Gegebenheiten Nordchinas: viel Wind, aber sehr trocken.
    • Offshore-Turbinen werden noch größer: Im November 2022 startete die China Three Gorges Corp in Fujian mit der Produktion der vorübergehend weltgrößten Offshore-Turbine mit 16 MW Leistung, 252 Metern Rotordurchmesser, die eine Fläche von 55.000 Quadratmetern überstreicht, etwa sieben Fußballfelder.
    • Schon im Januar präsentierten dann gleich zwei Unternehmen je einen 18-MW-Offshore-Riesen. CSSC Haizhuang enthüllte ein Modell mit 260 Metern Durchmesser im Offshore Wind Power Industrial Park in Dongying, Shandong. Noch größer ist der 280-Meter-Durchmesser-Riese mit gleicher Leistung, ausgerollt von Mingyang Smart Energy aus Sichuan.

    China: Ausländer aus Windkraftmarkt verdrängt

    Die Megaturbinen sind allesamt größer als diejenigen, die bei den drei großen internationalen Herstellern wie Vestas, Siemens Gamesa oder GE in der Entwicklung sind. Auch deshalb gibt es Kritik, dass China Technologien westlicher Firmen abgeschöpft habe, als diese als Pioniere einst auf den chinesischen Markt drängten.

    Chinesische Ingenieure mussten geschult und Technologie transferiert werden, schreibt Webster. “Einigen ausländische Unternehmen wurde zudem ihr geistiges Eigentum durch chinesische Firmen entwendet, oft mit Unterstützung chinesischer Geheimdienste.” Die Folge: Lokale Konzerne dominieren heute Chinas Markt.

    News

    Endgültig grünes Licht für Cosco in Hamburg

    Nach monatelangem Streit darf der chinesische Staatskonzern Cosco nun endgültig beim Hamburger Container-Terminal Tollerort einsteigen. Die Bundesregierung habe entschieden, die Minderheitsbeteiligung des chinesischen Unternehmens Cosco Shipping Ports Limited am Container Terminal Tollerort freizugeben, teilte die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) am Mittwoch in einem kurzen Statement mit. “Alle Fragen im Rahmen des Investitionsprüfverfahrens konnten gemeinsam in intensiven, konstruktiven Gesprächen geklärt werden.”

    Die erneute Prüfung des Einstiegs wurde nötig, weil das Container-Terminal Tollerort nach der ersten Genehmigung doch noch als kritische Infrastruktur eingestuft worden war. Auch die Bundesregierung bestätigte am Mittwoch, “dass die überarbeiteten Kaufverträge im Einklang mit den Bedingungen der Teiluntersagung stehen”.

    Nun könne die HHLA den Tollerort-Terminal zu einem bevorzugten Umschlagpunkt des langjährigen Kunden Cosco ausbauen, frohlockte das Unternehmen in dem Statement. Rund 30 Prozent der im Hamburger Hafen umgeschlagenen Waren kommen demnach aus China oder gingen dorthin. Die HHLA hatte stets betont, dass der Cosco-Einstieg notwendig sei, um den chinesischen Staatskonzern dauerhaft an Hamburg zu binden.

    Auch Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) zeigte sich nach einem Bericht des NDR in einer ersten Reaktion erleichtert. Für den Exportstandort Deutschland sei es gut, dass nach mehr als eineinhalb Jahren Prüfverfahren nun Klarheit herrsche, so Leonhard. Auch Lokalpolitiker des grünen Koalitionspartners in Hamburg sowie anderer Parteien begrüßten laut NDR am Abend die Entscheidung. Kritiker hatten dagegen Sicherheitsrisiken in dem Cosco-Deal gesehen.

    Noch steht allerdings die endgültige Zusage Coscos aus, ob der Konzern zu den aktuellen Bedingungen noch in Hamburg einsteigen will. Der Konzern hatte die vetragliche Deadline für die Entscheidung am 31. Dezember 2022 verstreichen lassen. Eigentlich wollte Cosco 35 Prozent am Tollerort übernehmen, was so auch mit der HHLA vereinbart worden war. Doch nach zähem Ringen zwischen skeptischen Bundesministerien und dem Kanzleramt stand der Kompromiss einer so genannten Teiluntersagung: Maximal 24,9 Prozent darf Cosco kaufen und diesen Anteil auch künftig nicht erhöhen. ck

    • Cosco
    • Geopolitik
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    • Handel

    Baerbock holt sich Rückendeckung in Paris

    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat ihre Kritik an China vom Vortag wiederholt und die Führung in Peking aufgefordert, Einfluss auf Russland auszuüben, um den Krieg in der Ukraine zu stoppen. “China hat als ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrats die besondere Verantwortung, für den Weltfrieden zu sorgen”, sagte Baerbock am Mittwoch bei ihrem Besuch in Paris. Dazu gehöre es auch, “im Fall eines Angriffskriegs den Angreifer klar zu benennen”, fügte sie hinzu. 

    Wenn Russland seine Soldaten aus der Ukraine abziehe, sei der Friede wieder hergestellt. Wenn die Ukraine aufhöre, sich zu verteidigen, sei die Ukraine am Ende und die Charta der Vereinten Nationen ebenfalls, betonte die Bundesaußenministerin. “Man hat als Mitglied des Sicherheitsrats nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten”, mahnte sie bei ihrem Treffen mit ihrer französischen Amtskollegin Catherine Colonna. Beide Ministerinnen betonten, dass Deutschland und Frankreich dieselbe China-Politik verfolgten. “Unsere Botschaft ist dieselbe: Wir wollen Abhängigkeiten reduzieren”, sagte Colonna.

    Baerbock hatte am Dienstag den chinesischen Außenminister Qin Gang in Berlin empfangen. Dabei kam es erneut zu einem heftigen Meinungsaustausch. Wie schon bei ihrem Besuch vor einigen Wochen in China waren die Gespräche von Misstrauen geprägt. Baerbock kritisierte ihren chinesischen Amtskollegen unter anderem für Chinas vermeintliche Neutralität im Ukraine-Krieg.

    Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hingegen kritisiert die China-Politik der Bundesregierung. “Es ist grundverkehrt, auf unseren größten Wirtschaftspartner mit Moralpolitik einzutrommeln. Damit sind wir völlig auf dem Holzweg”, sagte Dulger dem Mannheimer Morgen zufolge am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Zeitung. Er selbst sei ein Freund Chinas, sagte der Heidelberger Unternehmer demnach. “Und wir tun gut daran, unseren chinesischen Partnern immer wieder zu beteuern, dass wir zu unserer Freundschaft stehen.” flee

    • Christian Lindner
    • Geopolitik
    • Menschenrechte

    Zenit womöglich erreicht

    Die Hoffnungen der deutschen Exporteure auf ein Comeback ihres China-Geschäfts nach der Abkehr von der dortigen Null-Covid-Politik haben sich bislang nicht erfüllt. Im Gegenteil: Im ersten Quartal brachen die Ausfuhren in die Volksrepublik um 12,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 24,1 Milliarden Euro ein.

    Das geht aus vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hervor. Zum Vergleich: Die gesamten deutschen Exporte legten von Januar bis März um 7,4 Prozent auf mehr als 398 Milliarden Euro zu.

    Dabei ist die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt im ersten Quartal überraschend kräftig gewachsen: Das Bruttoinlandsprodukt stieg von Januar bis März um 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – der stärkste Quartalszuwachs seit einem Jahr. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einem Plus von 4,0 Prozent gerechnet.

    “Chinas Wirtschaft mag sich erholen, aber die Auswirkungen auf die deutschen Exporte werden ganz anders sein als bei der Überwindung der globalen Finanzkrise im Jahr 2009”, sagte der Chefvolkswirt des Mercator Institute for China Studies (Merics), Max Zenglein. “Die wirtschaftliche Erholung wird diesmal hauptsächlich von Verbrauchern und Dienstleistungen abhängen und dürfte an vielen deutschen Exporteuren vorbeigehen.”

    Nachdem die Führung in Peking Ende 2022 überraschend das Ende der strengen Corona-Politik mit wiederkehrenden Lockdowns ganzer Metropolen verkündet hat, reisen die Chinesen wieder vermehrt, gehen aus und kleiden sich neu ein. “Das Post-Corona-Wachstum wird vom Konsum befeuert”, sagte Zenglein.

    Hinzu kommen noch Bestrebungen der Regierung nach mehr Autarkie, also einer geringeren Abhängigkeit von westlicher Hochtechnologie durch eigene Produktion. “Damit besteht die Gefahr, dass die deutschen Exporte nach China vielleicht ihren Zenit erreicht haben“, sagte Zenglein.

    Der Anteil der Ausfuhren in die Volksrepublik an den deutschen Gesamtexporten dürfte sich “auf einem niedrigeren Niveau einpendeln”. Schon jetzt liege er nur noch bei rund sechs Prozent, nachdem er zeitweise bei etwa acht Prozent gelegen habe, sagte Merics-Chefvolkswirt Zenglein.

    • Export
    • Handel
    • Merics

    LinkedIn beendet Job-App

    Das Business-Social-Network LinkedIn beendet seine Job-App im chinesischen Festland und streicht Stellen. Die Entscheidung sei vor dem Hintergrund eines veränderten Kundenverhaltens und eines langsameren Umsatzwachstums getroffen worden, teilte LinkedIn-CEO Ryan Roslansky in einem Brief an Mitarbeiter mit.

    “Während wir LinkedIn durch diese sich schnell verändernde Landschaft führen, nehmen wir Änderungen an unserer globalen Geschäftsorganisation und unserer China-Strategie vor, die zu einem Stellenabbau für 716 Mitarbeiter führen werden”, schrieb Roslansky. Als Teil des Umbaus wird LinkedIn die für das chinesische Festland geschaffene App InCareer bis zum 9. August auslaufen lassen.

    Laut einem Unternehmenssprecher wird LinkedIn eine gewisse Präsenz in China beibehalten und unter anderem Dienstleistungen für dort tätige Unternehmen bereitstellen, um Mitarbeiter außerhalb des Landes einzustellen und zu schulen. LinkedIn hatte sich im Oktober 2021 mit seiner Haupt-Plattform aus dem chinesischen Markt zurückgezogen und war mit der reinen Jobbörse-App InCareer verblieben. ari

    • Gesellschaft
    • Technologie

    Taiwanischer Batterie-Hersteller plant Werk in Nordfrankreich

    Das taiwanische Unternehmen Prologium wird Medienberichten zufolge im nordfranzösischen Dünkirchen eine Batterie-“Gigafabrik” bauen. Das Werk, in dem Festkörperbatterien hergestellt werden, soll das größte von Prologium und das zweite weltweit werden. Das erste Werk befindet sich in Taiwan.

    Der französische Präsident Emmanuel Macron wird am Freitag nach Dünkirchen reisen, um den Bau dort formell anzukündigen, berichtete die Wirtschaftszeitung Les Echos. Die Fabrik soll demnach bis 2030 eine Investition von 5,2 Milliarden Euro erfordern und rund 3.000 Arbeitsplätze schaffen. ari

    • Batterien
    • Frankreich
    • Technologie

    Presseschau

    Chinas Cosco darf Anteile am Hamburger Hafen erwerben FAZ
    Habeck will China-Geschäfte deutscher Unternehmen kontrollieren HANDELSBLATT
    AfD-Chefin Weidel stellt Habeck als China-Fan dar WELT
    Vorstoß der EU-Kommission: Handelssanktionen gegen ganz China? FAZ
    CDU dringt auf einheitliche Linie in China-Politik – Wadephul: China versucht, Dissonanzen in Regierung auszunutzen RND
    Arbeitgeberpräsident kritisiert China-Politik der Bundesregierung WELT
    Protest gegen umstrittenes Werk in Xinjiang: Tortenwerfer und nackte Aktivistin stören VW-Hauptversammlung SPIEGEL
    Exclusive: Biden to sign defence pact in Papua New Guinea, with eyes on China REUTERS
    Taiwan dankt Blinken für seine wiederholte Unterstützung RTI
    Taiwan will TSMC-Fabriken nicht von USA bombardieren lassen GOLEM
    China, silent on Imran arrest, backs Pakistan Army as “defender of stability” THEHINDU
    U.S. opens embassy in Tonga in new pushback against China in the Pacific NBCNEWS
    Durchsuchungen bei westlichen Firmen: Wirtschaft besorgt wegen Razzien in China TAGESSCHAU
    “Corona-Erholung geht an uns vorbei”: China-Comeback für deutsche Exporteure bleibt aus TAGESSPIEGEL
    Die Abhängigkeit von China ist gegenseitig FR
    “Streben nach Großmachtstatus”: Entdeckung neuer Antarktis-Basis schürt Ängste vor China MERKUR
    China verhängt Ausreisesperre gegen Professorin Geo Yuhua: “Natürlich habe ich Angst! Wer hätte das nicht?” RND
    Italien erwägt Ausstieg aus Seidenstraßengeschäft mit China DIEPRESSE
    Angebliches Corona-Heilmittel: Warum sich Italiens China-Exporte plötzlich verdoppeln MANAGER-MAGAZIN
    Allianz-Studie: Elektroautos aus China könnten Europa zweistellige Milliarden-Summe kosten TESLAMAG
    2.000 Kilometer Reichweite: China-Forscher zeigen erneut Rekord-Akkus EFAHRER
    Pilotprojekt in Changshu: China probiert den E-Yuan in einer Millionenstadt aus FINANZEN
    China-Internetaktien erneut unter Druck: US-Behörden sehen Probleme in den Büchern IT-TIMES
    Hong Kong Wants More Tourists, but Mostly “Good Quality” Ones, Please NYTIMES
    China startet Frachtflug zur Raumstation FR
    276 Tage im All: Mysteriöses wiederverwendbares Raumschiff aus China gelandet HEISE
    Angebliches Zugunglück mit neun Toten: Chinesische Behörden verhaften ChatGPT-Nutzer wegen Fake News SPIEGEL

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    Guo Yuhua – Einst gefeierte Soziologin, nun geschasst

    Dieser Tage häufen sich die Vorfälle, bei denen sich die traumatische Geschichte der Volksrepublik China zu wiederholen scheint: Bei ihrer Feldforschung sammelte die Soziologin Guo Yuhua einst die mündlichen Geschichten von Bauern, die während der großen Hungersnöte nicht aus ihren Dörfern fliehen durften. 60 Jahre später steht die pensionierte Professorin selbst am Grenzübergang von Shenzhen zur ehemals britische Kronkolonie Hongkong – und wird von den Zollbeamten abgewiesen. Ein von Peking verhängtes Ausreiseverbot sei gegen sie verhängt worden, gab man der Akademikerin Bescheid.

    Guo Yuhua ist damit nur der jüngste Fall in einer endlosen Reihe. Immer wieder hält die Zentralregierung kritische Stimmen wie Geiseln in den eigenen Landesgrenzen gefangen. Die Menschenrechts-NGO Safeguard Defenders hat in einer aktuellen Studie eruiert, wie systematisch Staatschef Xi Jinping die Praxis ausgeweitet hat: Allein in den letzten vier Jahren wurden fünf zusätzliche Gesetze verabschiedet oder geändert, die solche Ausreiseverbote vorsehen.

    Die NGO schätzt, dass derzeit mehrere zehntausend Chinesen mit einer solchen Klausel belegt worden sind. Eine wissenschaftliche Studie aus dem Vorjahr hat zwischen 1995 und 2019 knapp 130 Fälle registriert, in denen auch ausländische Staatsbürger davon betroffen waren – vorwiegend Nordamerikaner.

    Die 66-Jährige gilt als eine der führenden Soziologinnen des Landes. Ihr akademisches Leben hat sie wie kaum eine zweite der Feldforschung gewidmet. Bekanntheit erlangte sie Mitte der 1990er-Jahre für ihr Projekt “kommunistische Zivilisation”, in dem sie die Geschichte mehrerer Dorfgemeinschaften seit Beginn der kollektivistischen Landreformen der 1950er-Jahre aufspürte. Nach Vorbild sogenannter “Oral History” gaben die Bauern als Zeitzeugen möglichst unbeeinflusst und in eigenen Worten ihre Lebenserfahrungen nieder.

    “Oral History” unter Xi Jinping nicht mehr möglich

    Mittlerweile ist dieser Ansatz unter Staatschef Xi Jinping de facto nicht mehr möglich, weil die kommunistische Partei stets die Informationshoheit über die Narrative beibehalten möchte – ganz gleich, ob im Journalismus, der Politik oder auch in der Wissenschaft. Sie möchte verhindern, dass auch die dunklen Seiten der Geschichte zum Vorschein kommen. Guo Yuhua hat diese trotz des politischen Klimas wiederholt ausgegraben, wie allein der Titel ihres 2013 publizierten Buchs verdeutlicht: “Die Erzählung derer, die leiden”.

    Das Werk wurde im Festland verboten und konnte nur in Hongkong gedruckt werden. Von dort gelangten jedoch immer wieder Schmuggelware nach Peking, auch wenn es die Lieferungen zuletzt kaum mehr durch die Post schafften. Guo selbst beschwerte sich mehrfach, dass sie als renommierte Forscherin keinerlei Zugang zu einigen ihrer eigenen Publikationen hat.

    Sämtliche ihrer Bücher sind verbannt

    Auch auf anderen Wegen wurde ihre Stimme zunehmend zum Schweigen gebracht: Ihre Alma Mater – die elitäre Tsinghua-Universität in Peking – verbannte zuletzt praktisch sämtliche von Guos Büchern aus den Bibliotheksregalen. Und immer wieder löschten die Zensoren auch ihre Beiträge aus den sozialen Medien.

    Dass sich Guo Yuhua für die einfachen Leute engagierte, war ihr nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Sie wuchs zunächst in einer staatlichen Wohnsiedlung in Peking auf, die der politischen Führungselite des Landes vorbehalten war. Ihre Eltern waren Militäroffiziere, die der Zentralregierung dienten. Doch während der Kulturrevolution (1966-76) fiel Guos Vater in Ungnade und wurde von den Behörden verfolgt. 1968 starb er an Leberzirrhose – auch, weil man ihm den Zugang zu Medikamenten verweigerte. Guo Yuhua wurde – wie Millionen junger Menschen damals – in die Provinz verbannt, um Zwangsarbeit zu verrichten.

    Damit weist ihre Biografie erstaunliche Parallelen zu Staatschef Xi Jinping auf, der als Prinzling eines mächtigen Parteifunktionärs geboren wurde, welcher später jedoch von Staatsgründer Mao Tsetung geschasst wurde. Während Xi allerdings in den Folgejahren “roter als rot” wurde, wählte Guo Yuhua einen anderen Weg: Sie behielt ihren kritischen Blick gegenüber der kommunistischen Elite bei.

    “Natürlich habe ich Angst”

    Ihre Ablehnung gegenüber den Verhältnissen wurde zuletzt immer unerbittlicher, was vor allem mit der Politik des seit 2012 amtierenden Staatschefs Xi Jinping zu tun hatte: Der 69-Jährige weitete die ideologische Kontrolle auf sämtliche Gesellschaftsbereiche aus und duldete auch in den Universitäten keine gedanklichen Freiräume mehr. An der Tsinghua-Universität wurden zuletzt etliche Professoren verhaftet und gefeuert. Als die Publizistin Geng Xiaonan 2021 zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, gehörte Guo zu den wenigen Stimmen, die sich noch öffentlich solidarisierten. Dies könnte nun einer der Gründe sein, weshalb sie nicht aus China ausreisen darf.

    In einem ihrer letzten Interviews aus dem Frühjahr 2020 sprach sie noch mit entwaffnender Ehrlichkeit über ihre Gefühle: “Natürlich habe ich Angst! Wer hätte das nicht? Aber egal, wie viel Angst du hast, du darfst weder vor ihnen in die Knie gehen, noch darfst du dich fallen lassen”. Für sie gebe es keine andere Wahl, als sich weiter öffentlich zu äußern. Fabian Kretschmer

    • Safeguard Defenders

    Personalien

    Carolina Irigaray ist seit Beginn des Monats SET Leader Body in white (BIW) bei Volkswagen in Hefei, Anhui. Sie war zuvor in der Karosseriebauplanung bei Volkswagen, ebenfalls in Hefei tätig.

    Karishma Vaswani wechselt ab Herbst von BBC zu Bloomberg Opinion. Die Journalistin war fast 20 Jahre lang Asia business correspondent für BBC mit Sitz in Singapur. In ihrer neuen Stelle wird sie über Politik in der APAC-Region mit Fokus auf China berichten.

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    Dessert

    Ja, ja, früher war alles besser. Einst konnte jeder Mittelklasseschüler sich seine drei in China üblichen warmen Mahlzeiten selbst zubereiten. So zumindest wird es gern behauptet. In Zeiten von Fastfood, Bringdiensten und Intervall-Fasten ist diese Eigenschaft vielen abhandengekommen. Diese Schule in Yongzhou, Provinz Hunan, will diesem Trend etwas entgegensetzen und zelebriert Kochkurse auf dem Pausenhof für die ganze Schule. Große Begeisterung scheint der Kochlehrer bei den Schülern aber nicht auszulösen.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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