wenn ein Unternehmen zwar privatwirtschaftlich organisiert ist, aber im staatlichen Auftrag handelt, dann gerät es fast zwangsläufig in die Zwickmühle. Die betriebswirtschaftlich sinnvollen Entscheidungen decken sich nur selten mit den Bedürfnissen des Gemeinwohls und anderen Ansinnen der Politik. Ein ganz besonders augenscheinliches Beispiel ist die chinesische Bahngesellschaft China Rail. Zu ihren Aufträgen gehört: die Konjunktur in abgelegenen Regionen zu fördern, Nachwuchs auszubilden, umweltfreundliche Mobilität zu ermöglichen und hohe Pünktlichkeit zu erzielen. Zu ihren Aufgaben gehört nicht: Gewinne zu erzielen. Der Staatsbetrieb ächzt bereits unter einer knappen Billion Euro Schulden und klotzt weiterhin unrentable Strecken in die Landschaft, schreibt unser Team in Peking.
“Die Gedanken sind frei” – vielleicht braucht der Liedtext irgendwann eine Neufassung. Informationen aus menschlichen Gehirnen auslesen zu können, ist nicht nur ein häufiges Plot-Element in Science-Fiction-Geschichten. Es wäre auch der absolute Traum der Machthaber in autoritären Systemen. Damit ließen sich kritische Gedanken aufspüren, bevor sie ausgesprochen werden oder Handlungen nach sich ziehen. Präventivhaft würde sicher sehr zur sozialen Stabilität beitragen. China erprobt das maschinelle Gedankenlesen zunächst an Studenten, die sich Pornografie ansehen, schreibt Frank Sieren. Aber jede neue Technologie fängt einfach an.
Aus 17+1 wurde 16+1 und jetzt auf einen Schlag 14+1. Estland und Lettland haben Chinas Ost- und Mitteleuropa-Runde verlassen, nachdem Litauen im vergangenen Jahr den Anfang gemacht hatte. Eine Schlappe für die chinesische Außenpolitik, die zeigt, wie sehr sich die Welt in den vergangenen fünf Jahren weitergedreht hat. Damals kam die Wahrnehmung auf, Peking wildere außenpolitisch an der Ostgrenze der EU.
Heute weckt die Zahl 14 nun unvorteilhafte Assoziationen an das gleich ausgesprochene Wort yàosǐ 要死 – wörtlich “muss sterben”, auch gebraucht im Sinne von “außergewöhnlich, schrecklich”. Auch das ist kein gutes Omen für die Ost- und Mitteleuropa-Kooperation. Chinesen lieben solche Wortspiele und nehmen sie ernst. Wie die Netzbürger durch kreativen Gebrauch von Schriftzeichen die Zensur übertölpeln, beschreibt heute Johnny Erling.
Wer in diesen Tagen in China mit dem Hochgeschwindigkeitszug unterwegs ist, muss – anders als in Deutschland – nicht befürchten, in einer restlos überfüllten Bahn zu landen. Weil die strengen Corona-Maßnahmen jede Reise zu einem fast unkalkulierbaren Risiko gemacht haben, bleiben die Menschen lieber dort, wo sie sind. Selbst zwischen Shanghai und Peking ist deutlich weniger los – obwohl diese Verbindung bisher eine der wenigen war, mit der die chinesische Staatsbahn überhaupt Geld verdient hat.
Im ersten Halbjahr hat nun auch diese Strecke erstmals einen Verlust eingefahren. Vor dem Hintergrund des Lockdowns in Shanghai ist das keine Überraschung. Wie das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin berichtet, belief sich das Minus auf umgerechnet rund 150 Millionen Euro. Auch landesweit ging der Zugverkehr zuletzt zurück. Laut offiziellen Angaben reisten in der ersten Jahreshälfte nur noch 787 Millionen Chinesen mit der Bahn – ein Minus von 42 Prozent im Vorjahresvergleich.
Das sinkende Passagiervolumen verstärkt nun ein schon lange bestehendes Dilemma. Der Eisenbahnneubau dient vor allem den übergreifenden Zielen der Wirtschaftspolitik. Der Staat ordnet die Projekte an. Renditeziele sind nicht nur zweitrangig, sondern schlicht nicht vorhanden. Doch die Diskrepanz zwischen den hohen Kosten der Strecken und ihrer dürftigen Auslastung wird immer größer. Und damit wächst auch der Schuldenberg der Staatskonzerne, die den Bau stemmen.
Die hohen Verluste der Betreibergesellschaften halten den staatlichen Bahn-Giganten China Railway jedoch nicht davon ab, das Netz weiter kräftig auszubauen. Allein im vergangenen Jahr ist das Schnellzug-Netz um fast 2.200 Kilometer auf über 40.000 Kilometer angewachsen. Ein guter Teil davon entstand in abgelegenen Gegenden – wo nicht nur der Bau durch Gebirge, Sümpfe und Wüsten besonders schwierig ist, sondern auch besonders wenig Menschen wohnen.
Allein in der ersten Jahreshälfte 2022 kamen weitere 2.044 Kilometer hinzu. Das bereits mit Abstand längste Netz der Welt soll bis 2025 auf rund 50.000 Kilometer anwachsen. Bis 2035 sollen es dann 70.000 Kilometer sein. Zum Vergleich: Die Länge der Schnellfahrstrecken im zugegeben deutlich kleineren Deutschland beträgt rund 2.600 Kilometer.
Diskussionen, ob all diese zusätzlichen Kilometer vor dem Hintergrund der neuen Reisegewohnheiten im Corona-Zeitalter überhaupt noch gebraucht werden, finden praktisch nicht statt. Stattdessen wetteifern die Lokalregierungen darum, in ihren Regionen möglichst viele neue Strecken und Projekte gemeinsam mit China Railway voranzubringen. Das Wachstum wird zumindest in der Bauphase kurzfristig angekurbelt.
Das Problem der Bahn: Der Neubau von Strecken ist für die Regierung ein beliebtes Instrument der Konjunkturförderung. Beim Bau entstehen Arbeitsplätze, und die neu angebundenen Regionen erhalten einen Entwicklungsschub. “Die Priorität der Regierungen ist das Wirtschaftswachstum. Sie kümmern sich nicht um die immer weiter steigenden Schulden”, kritisierte Zhao Jian, Professor an der Pekinger Transport-Universität, kürzlich gegenüber der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei.
Nach Zhaos Berechnungen kostet jeder Kilometer neuer Schnellzug-Strecke etwa 120 bis 130 Millionen Yuan (circa 18 Millionen Euro). Allein die bis 2035 geplanten zusätzlichen 30.000 Kilometer würden damit rund 3,6 Billionen Yuan, oder umgerechnet rund 520 Milliarden Euro kosten. Ein Großteil davon wird jedoch nie wirklich Geld verdienen, um diese Investitionen wieder einzuspielen.
Für den Staatsbetrieb China Railway bedeuten die Investitionen, dass durch die Ausgabe neuer Anleihen die ohnehin schon astronomischen Schulden weiter steigen. Ende 2021 betrugen sie umgerechnet rund 860 Milliarden Euro, oder fünf Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung. Steigen die Schulden weiterhin im bisherigen Tempo, dürften sie innerhalb der nächsten drei Jahre die Marke von einer Billion Euro sprengen. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
Ein auf Künstliche Intelligenz spezialisiertes Forschungsteam von der Beijing Jiaotong Universität hat einen Helm hergestellt, der es ermöglicht “Gedanken zu überwachen” – zumindest wenn der Träger des Helms Pornografie konsumiert.
Der Helm überwacht anhand von Gehirnwellen-Ausschlägen die Reaktionen des Trägers, und zieht daraus Rückschlüsse, welche Inhalte dieser gerade konsumiert. Für eine erste Testreihe wurden fünfzehn männliche Studenten im Alter zwischen 20 und 25 Jahren vor einen Computerbildschirm gesetzt. Jedes Mal, wenn ein Foto mit entsprechenden Inhalten erschien, löste der Helm einen Alarm aus. Die Treffsicherheit lag bei 80 Prozent.
Das Team konnte selbst Reaktionen im Gehirn messen, wenn die Porno-Bilder nur für eine halbe Sekunde in einem Fluss anderer Bilder zu sehen waren. Die Forscher betonen, ihre Entwicklung sei deswegen so wichtig, weil das Auge und das Gehirn bestimmte Bilder noch besser erkennen können als die fortschrittlichste künstliche Intelligenz, besonders, wenn es Bilder vor komplexem Hintergrund sind.
Das Gerät ist so fortschrittlich, dass es sich an die Gehirnwellen der Probanden anpassen und andere Gehirnwellen, die durch Ängste oder andere Gefühle ausgelöst werden können, herausfiltern kann. Seine Versuche stellte das Team in dem chinesischen Fachmagazin Journal of Electronic Measurement and Instrumentation vor. Eine internationale Bewertung fehlt noch.
Die Technologie könnte dem chinesischen Staat zwar potenziell helfen, seine Zensur zu perfektionieren. Die Testreihe der chinesischen Forscher stand jedoch gerade wegen der Zensur vor großen Herausforderungen. So konnten aufgrund der gesetzlichen Lage in China nur bereits zensierte Inhalte verwendet werden. Zudem nahmen keine Frauen an der Studie teil, obwohl viele Online-Zensoren in China Frauen sind. Ob sie anders auf die Inhalte reagieren würden als die männlichen Teilnehmer, konnte somit bislang nicht geprüft werden.
Angeblich forscht die Volksbefreiungsarmee ebenfalls an einer Mensch-Maschine-Schnittstelle. Sie soll es Soldaten ermöglichen, ihre Waffen mit nie gekannter Geschwindigkeit zu steuern. Einige Fabriken in China sollen bereits seit 2014 Geräte zur Überwachung von Gehirnwellen einsetzen, um Arbeitsunfälle zu vermeiden, indem sie das Aufmerksamkeitslevel der Arbeiter kontrollieren.
Die sogenannten Hirn-Computer-Schnittstellen (BCI: Brain-Computer-Interfaces) sind ein wichtiger Zukunftsmarkt. Mit seinem Unternehmen Neuralink will etwa Tesla-Gründer Elon Musk elektronische Implantate ins Gehirn einsetzen. Neuronen im Gehirn werden dann mit winzigen elektrischen Impulsen stimuliert, die dann unterschiedliche Effekte erzielen sollen. Auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg forscht an einem Gedankenhelm. Doch das ist tatsächlich noch Zukunftsmusik.
In Deutschland arbeitet beispielsweise ein Team an der Berliner Uniklinik Charité an Auslesen und Interpretieren von Gehirnwellen. Dort gibt es einen eigenen Lehrstuhl für Klinische Neurotechnologie, der sich mit dem Thema beschäftigt. In Südkorea hat die Firma iMedisync bereits einen angeblich marktreifen Helm vorgestellt. Auch japanische Forscher sind an der Technik dran. Am Advanced Telecommunications Research Institute (ATR) in Kyoto gibt es eine Abteilung für die Entwicklung einer Hirn-Computer-Schnittstelle. Die erste Anwendung soll Hilfe für gelähmte Patienten sein. Auch die Privatfirmen Nissan und Honda arbeiten an solchen Technologien. All das sind nur Beispiele für die vielen Projekte, die weltweit laufen.
Im Falle Chinas öffnen solche Geräte natürlich Tür und Tor für dystopische Überwachungsszenarien. Verbrecher könnten mit Gehirnschnittstellen überführt werden, noch bevor sie die Tat begangen haben, allein schon dadurch, dass in ihrem Gehirn die Absicht herumschwirrt. Menschen könnten auf ihre Loyalität gegenüber der Partei geprüft werden.
Aber auch ohne den Teufel an die Wand zu malen werfen Hirn-Computer-Schnittstellen viele neue Rechtsfragen und ethische Diskussionsfelder auf: Wie und von wem werden diese höchst intimen personenbezogenen Informationen gespeichert und verarbeitet? Ist die Autonomie und freie Entfaltung der Persönlichkeit noch garantiert, wenn Maschinen und infolgedessen auch Firmen Einfluss auf das menschliche Gehirn ausüben können? Auch gesellschaftlich entstünden schnell große Unterschiede zwischen Menschen, die sich eine Gehirnoptimierung leisten können und solchen, die noch mit herkömmlicher Geisteskraft unterwegs sind.
12.08.2022-14.08.2022
Messe World Coffee Expo (Cafeex) Shanghai Mehr
17.08.2022, 11:30 (Deutscher Zeit)
Table.Live-Talk Der Preis eines Handelskriegs mit China (mit Felix Lee) Anmeldung
18.08.2022, 11:00 (Deutscher Zeit)
Online-Gesprächsrunde Global China Conversations #12 – Grünes Wachstum: Was können wir von China erwarten? Mehr
18.08.2022, 14:00 (Deutscher Zeit)
Veranstaltung in chinesischer Sprache Managementtraining für Chinesen in Deutschland | Auswirkungen der Gesetzesänderungen auf Unternehmen: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und Geldwäschegesetz Anmeldung
22.08.2022, 09:30 (US-Ostküstenzeit)
Online-Diskussion The Military Dimensions of the Fourth Taiwan Strait Crisis Mehr
09.09.2022, 14:00 (Deutscher Zeit)
Präsenzveranstaltung zum Austausch, Feiern und Vernetzen 15. CHINATIV Forum; Event: CHINATIV-Abschlussveranstaltung Anmeldung
Nach Litauen haben nun auch Estland und Lettland das sogenannte 16+1-Format für Kooperationen zwischen mittel- und osteuropäischen Staaten (CEEC) und China verlassen. “Estland wird weiterhin auf konstruktive und pragmatische Beziehungen zu China hinarbeiten”, teilte das estnische Außenministerium am Donnerstag mit. Dazu gehöre auch “die Förderung der Beziehungen zwischen der EU und China im Einklang mit der auf Regeln basierenden internationalen Ordnung und Werten wie den Menschenrechten”, so das Ministerium weiter. Estland war seit 2012 Teilnehmer an dem Kooperationsformat.
Nachbarland Lettland veröffentlichte eine ähnlich lautende Erklärung: “Lettland wird sich weiterhin um konstruktive und pragmatische Beziehungen zu China bemühen, sowohl bilateral als auch durch die Zusammenarbeit zwischen der EU und China auf der Grundlage des gegenseitigen Nutzens, der Achtung des Völkerrechts, der Menschenrechte und der auf internationalen Regeln basierenden Ordnung.”
Der baltische Staat Litauen hatte sich als erster aus dem Format bereits im Frühjahr 2021 zurückgezogen – und damit den inoffiziellen Namen von 17+1 zu 16+1 werden lassen. ari
Bundeskanzler Olaf Scholz warnt vor einer zu großen Abhängigkeit Deutschlands von China. Eine Diversifizierung beim Import etwa von Rohstoffen sei wichtig, sagte Scholz am Donnerstag auf der Sommer-Pressekonferenz des Kanzlers. Dies hätten auch die deutschen Unternehmen verstanden. So werde Deutschland auch dafür sorgen müssen, dass etwa Lithium aus verschiedenen Teilen der Welt bezogen werde. Zu einem möglichen Antrittsbesuch in China sagt der Kanzler, darüber werde gesprochen, aber es gebe noch keinen Termin.
Deutschland ist insbesondere bei Seltenen Erden und Magnesium von China abhängig. Bei anderen Rohstoffen gibt es indirekte Abhängigkeiten, weil China Lieferketten und die Weiterverarbeitung bestimmter Rohstoffe dominiert (China.Table berichtete). Zudem bestehen vielerlei Abhängigkeiten bei Zwischen- und Endgütern wie pharmazeutischen Produkten, Solarzellen, Akkus, Chemikalien und Elektronik. Viele Unternehmen erwirtschaften zudem einen großen Teil ihres Umsatzes auf dem chinesischen Markt. Diese vielfältigen Abhängigkeiten sorgen für ein Umdenken einiger Akteure (China.Table berichtete). Kurzfristig wird sich die deutsche China-Abhängigkeit jedoch kaum reduzieren lassen – und so ein Kurs wäre mit Kosten verbunden.
Eine ganz ähnliche Einschätzung kam vonseiten der Wirtschaft. BDI-Präsident Siegfried Russwurm mahnte, Deutschland solle die “Wirtschaftsbeziehungen zu China auch im Kontext des neuen Systemwettbewerbs nicht grundsätzlich infrage stellen“. Man müsse sich jedoch “besser auf Extremszenarien” vorbereiten, zog Russwurm eine Lehre aus der Gasabhängigkeit von Russland. Das Ziel müsse es sein, “Absatz- und Beschaffungsmärkte zu diversifizieren”. nib
Xi Jinping wird angeblich in der kommenden Woche nach Saudi-Arabien reisen. Das geht aus einem Bericht der Zeitung The Guardian hervor. Demnach soll Chinas Präsident mit einem Gala-Empfang begrüßt werden. Es wäre der erste Staatsbesuch Xis im Ausland seit Beginn der Corona-Pandemie im Januar 2020. Der große Empfang soll die guten Beziehungen zwischen beiden Länder widerspiegeln. US-Präsident Biden wurde im Juni bei seinem letzten Besuch in Saudi-Arabien sehr zurückhaltend empfangen, nachdem sich die Beziehungen der beiden Länder auch aufgrund des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi und der größeren Energieunabhängigkeit der USA abgekühlt hatten.
Der Handel zwischen China und Saudi-Arabien hat in den letzten Jahren zugenommen, während der Wirtschaftsaustausch mit den USA abnahm. China ist der größte Käufer saudischen Erdöls. Erst Anfang August haben die beiden Staatsunternehmen Sinopec und Saudi-Aramco eine Absichtserklärung unterschrieben, die Zusammenarbeit in Energiefragen zu erweitern.
Riad hat die Unterdrückung der muslimischen Uiguren nicht kritisiert. Das Sicherheitsgesetz in Hongkong wurde demnach durch Saudi-Arabien ebenfalls verteidigt. Das chinesische Außenministerium gab am Donnerstag keine Informationen zu dem Besuch preis. nib
Die chinesische Regierung erneuert nach dem Ende ihrer umfangreichen Manöver rund um Taiwan (China.Table berichtete) ihre Drohungen gegen den Nachbarn. Taiwan “beschleunigt nur seinen Untergang und bewegt sich am Rande einer Katastrophe”, indem es gemeinsame Sache mit “externen Kräften” mache, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Donnerstag. Jeder Versuch, sich den nationalen Interessen Chinas entgegenzustellen, sei zum Scheitern verurteilt.
Aus den USA kam von Nancy Pelosi persönlich eine Reaktion auf die Manöver. Pelosis Besuch in Taipeh war der Ausgangspunkt der aktuellen Krise. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses warnte die Volksrepublik am Mittwoch, ihre Militärpräsenz um Taiwan zur “neuen Normalität” werden zu lassen. China hatte erklärt, dass Aktivitäten der eigenen Marine um die Insel jetzt zum regulären Betrieb gehören werden.
Aus Taiwan reist derweil eine Delegation der Oppositionspartei KMT zu Gesprächen nach China. Die Reise des stellvertretenden Parteivorsitzenden Andrew Hsia war schon länger geplant. Es sind unter anderem Gespräche mit taiwanischen Geschäftsleuten auf dem Festland geplant. Die regierende DPP kritisierte die Reise angesichts der Bedrohungslage als instinktlos. fin
Ein Berufungsgericht in Peking hat den Revisionsantrag der Klägerin in Chinas bekanntestem MeToo-Verfahren abgelehnt. Das Mittlere Volksgericht Nummer 1 verwies auf den Mangel an neuen Beweisen im Belästigungsfall der 29-Jährigen Zhou Xiaoxuan. Das Gericht bestätigte damit die Entscheidung des Volksgerichts Haidian, das die Klage im September 2021 abgelehnt hatte.
“Das Gericht hat entschieden, dass die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweise nicht ausreichen, sexuelle Belästigung nachweisen zu können, und dass die Berufung nicht begründet werden konnte”, teilte das Gericht über den chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo mit. Die Klägerin könne allerdings den weiteren Rechtsweg beschreiten.
Zhou hatte im Jahr 2018 Vorwürfe gegen den bekannten Fernsehmoderator Zhu Jun öffentlich gemacht. Sie wirft Zhu vor, er habe sie während eines Praktikums bei der staatlichen TV-Anstalt CCTV begrapscht und ohne ihr Einverständnis versucht zu küssen. Das Verfahren gilt als prominentester Fall der #MeToo-Bewegung in China. Losgetreten wurde die Bewegung im Land von einer Studentin, die einen Hochschul-Professor der sexuellen Belästigung beschuldigt hatte. grz
Was verbindet den übersetzten Namen für “Schneewittchen und die 7 Zwerge” (白雪公主和七个小矮人) mit den Schriftzeichen für das Datum “35. Mai” (五月三十五) oder mit dem chinesischen Begriff “Kaiser im Rückwärtsgang” (倒车帝)? Warum lässt sich Chinas städtische Jugend und der Mittelstand des Landes von drei neuen angeblichen Wissenschaften anziehen, der Involution (内卷), des Flachliegens (躺平) und der Runologie (润学)? Antworten gibt das Internet. Die ominösen Code-Wörter sind Anspielungen auf chinesische Führer, auf politische oder soziale Missstände, wie sie in den offiziellen Medien nicht erscheinen dürfen. Doch im Netz entkommen böse Satire, provokante Wortspiele, politische Attacken immer wieder Chinas strikter Zensur. Gärender Unmut macht sich virtuell Luft, den es nach Pekings Propaganda in der neuen Ära unter Volksführer Xi Jinping und seinem chinesischen Traum weder gibt noch geben darf.
So geistert seit dem Frühjahr die ominöse Lehre vom “Run” durch alle Webseiten. Um zu verstehen, was gemeint ist, muss man das Schriftzeichen dafür lautmäßig wie im Englischen “to run” aussprechen. Dann bedeutet es “Nichts wie weg von hier”. Mit ihrer neuen Wortschöpfung beschimpften Shanghaier Bürger den Corona-Lockdown ihrer Behörden, die sie wochenlang einsperren ließen. Anfang August wählte die Webseite für Mikroblogs in China es zum “Weibo-Wort der Woche”.
Der Medienexperte David Bandursky meint, dass der neue Begriff im Dreiklang trendiger Online-Proteste steht. Sie spiegeln die Ausstiegs-Fantasien einer von Indoktrination und Gängelung durch Chinas Partei dauergenervten und überforderten Generation Z wider. Diese will sich nicht mehr für die Karriere im Hamsterrad Schule, Studium und Arbeit abstrampeln. Das nannte sie zuerst “Involution”. Dann erfand sie als zweites Schlagwort für ihre innere Emigration “flach zu liegen“. Nun träumen sie “abzuhauen”.
Chinas Führung sieht Rot, beobachtet Joseph Brouwer, der seit einer Dekade das Katz- und Maus-Spiel der Zensur in den Sozialen Medien beobachtet. Auf der Webseite “Chinadigitaltimes.net” schreibt er: “In meinen vielen Jahren, in denen ich Chinas Zensur-Saga verfolge, habe ich die Regierung noch nie so fest entschlossen gesehen, dagegen vorzugehen. Sie ist nicht bereit, den kleinsten Ausdruck an Widerspruch oder Missbilligung ihrer Bürger hinzunehmen.” Schon gar nicht vor dem nahenden 20. Parteitag im Spätherbst, auf dem sich Parteichef Xi seine dritte Amtsperiode 2022 bis 2027 bewilligen lassen will, also faktisch seine absolute Herrschaft auf Lebenszeit zementiert. Im Netz rumore es. “Und das ist noch milde ausgedrückt.”
Im Juli traten die Zensurbehörden eine neue Kampagne gegen Missbrauch des Internets los und riefen zur politischen Säuberung des Cyberspace auf. Dort würden mit vieldeutigen und homophonen Schriftzeichen, Wortvarianten und falschen Schreibweisen schädliche Informationen verbreitet.”
Während KP-Propagandisten alles daransetzen, um die öffentliche Meinung in den traditionellen Medien ideologisch gleichzuschalten oder patriotisch aufzuheizen, werden sie mit den Widerworten im Netz nicht fertig. Raffinierte Anspielungen, vor allem in schierer Masse, überfordern nicht nur das physische Heer der Zensoren. Auch die ausgefeilte Überwachung mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz kriegt das ständig wechselnde Kauderwelsch und der Mixtur aus Mandarin und Englisch, alphabetischen, chinesischen oder römischen Zahlsymbolen, traditionellen und vereinfachten Schriftzeichen nicht in den Griff. Größtes Problem sind die Homophone, also Wörter mit gleicher Aussprache, die unterschiedlich geschrieben werden. Trotz seiner Großen Firewall bleibt das Netz für Peking eine Brutstätte für “Subversion”. Dabei hat es sich das selbst zuzuschreiben und mit dem Online-Wirrwarr seinen eigenen Turm zu Babel mit chinesischen Besonderheiten erbaut.
Die sich tarnenden Proteste im Netz unterscheiden sich von der alten kulturellen, chinesischen Tradition des intellektuellen Widerstands gegen die Herrschenden. Einst entlarvte etwa der oppositionelle Pekinger Funktionär Deng Tuo in 153 satirischen Essays und historischen Analogien Maos größenwahnsinnige Träume. Seine Kolumnen erschienen nach 1960 unter dem Titel “Abendgespräche am Schwalbenberg” (Yanshan yehua 燕山夜话) offen in der Pekinger Abendzeitung. Später rächte sich Diktator Mao furchtbar an ihm.
Kritik in der Offline-Welt hat die heutige Parteibürokratie unter Führer Xi längst unterdrückt. Das Netz wurde zur Bühne für Proteste. Webseiten wie Chinadigitaltimes führen seit 2011 über den Kampf der Pekinger Zensur gegen unliebsame politische Anspielungen Buch. 2017 dehnten sie ihre Suche auf alle wichtigen Plattformen der sozialen Medien aus; neben Sina Weibo新浪微博 auch auf WeChat微信 , Zhihu知乎, Douyin抖音 (die chinesische Mutter von TikTok), Kuaishou快手和 und Bilibili.
600 Millionen aktive Nutzer mit eigenen Konten in den sozialen Medien machen die Kontrolle für Peking zur Mammutaufgabe. Wie sie im Detail vor sich geht, konnte Bouwer nachlesen, als seiner Webseite Chinadigitaltimes gerade eine 143-seitige Dokumentation zugespielt wurde. Sie stammte von der für Online-Shopping und -Networking gegründeten Instagram-ähnlichen Sozialplattform Xiaohongshu (小红书). Die hatte intern alle kritischen Posts ausgewertet und Gegenmaßnamen entwickeln lassen. Zu ihren gesammelten sensiblen Wörtern (敏感词) gehörten auch mehr als 500 Begriffe, Bezeichnungen, Schreibweisen oder Redewendungen, die Parteichef Xi meinen.
Umschrieben wird er mal als “Kaiser im Rückwärtsgang”, als Liebhaber chinesischer “Raviolitaschen” (习包子), als oberster Zensor und “Harmonisierer” (习和谐). Oder sein Name wird mit dem anderer Diktatoren verballhornt. Aus Nordkoreas Kim Il-song wird etwa Xi Il-song (习正日). Die Ausdrücke sind so gewählt, dass jeder weiß, wer gemeint ist, aber so verändert, dass die Algorithmen der Zensur sie nicht sofort erkennen und blockieren können.
Das gilt auch für alle anderen von der Zensur streng verbotenen Begriffe, wie für die tabuisierten Ereignisse des Pekinger Tiananmen-Massakers vom 4. Juni 1989. 2004 stieß ich zum ersten Mal auf einen Mikroblog, der zur Trauer für den Gedenktag aufrief. Er nennt das Datum “35. Mai” (五月三十五). Wer nachrechnet, kommt auf den 4. Juni. Peking ließ zwar sofort die Schreibweise 35. Mai ächten. Doch die Postings wählten sich nun römische Ziffern. Der 4. Juni wurde zur Zahl “ⅥⅣ” oder zu “1-9-8-9 IIXVIIIIX”. Zehn Jahre später, 2014, zählte Zensurexperte Jason Q. Ng bereits 64 Umschreibungen im Netz für die Erinnerung an das Massaker. Inzwischen sind es noch mehr geworden.
Dem Einfaltsreichtum, die Zensur immer wieder zu unterlaufen, sind keine Grenzen gesetzt. Internet-Behörden verboten gerade öffentlich über jüngste Massenprotete von Sparern in der Provinz Henan (河南) zu berichten, die von regionalen Banken um ihre Einlagen geprellt wurden. Chinas Finanzstabilität dürfe nicht in Frage gestellt werden. Blogger tauften darauf die Provinz Henan kurzerhand in Helan (荷兰) um, was allerdings Holland bedeutet. Oder sie manipulierten das Schriftzeichen für Henan. Sie schrieben es ohne das Geldzeichen in seinem Mittelteil. Soll heißen: Die Banken in der Skandalprovinz sind pleite.
Was aber hat das alles mit dem von mir anfangs erwähnten Aufsehen im Netz um “Schneewittchen und die sieben Zwerge” zu tun? Auslöser wurden Online-Meldungen, wonach Shanghais Kindergärten Grimms Märchen aus ihrem Bestand an Bilderbüchern zu entfernen hätten. Blogger erregten sich über Chinas Kulturfunktionäre, die vor dem 20. Parteitag alles auf den Index setzen lassen, was zu Anspielungen auf Parteichef Xi führen könnte. Denn das auch in China populäre Schneewittchen könnte daran erinnern, wie Xi zum 70. Jahrestag der Volksrepublik mit den Mitgliedern seines Politbüroausschusses das Pekinger Mao-Mausoleum besuchte. Alle Sieben hätten sich vor dem Kristallsarg des einbalsamierten Vorsitzenden verneigt.
Das klang nun selbst für Chinas Verhältnisse so absurd, dass die Tageszeitung “Beijing News” Reporter nach Shanghai schickte. Die meldeten prompt am 2. August, dass die amtliche “Anti-Gerüchte Plattform” in Shanghais von Fake-News sprach. Doch wer zwischen den Zeilen las, wurde einer Besseren belehrt. Die Reporter schrieben, sie hätten mehrere Kindergärten gefragt, ob die Meldung vom Schneewittchen-Märchen stimme. Alle hätten nur gesagt, dass es für sie “nicht opportun ist, darauf zu antworten”.
In China treibt die offizielle Zensur also immer kuriosere Blüten. Gut, dass es wenigstens ein Ventil im Internet gibt.
Tudor Brown gibt seine Position im Board des chinesischen Chipherstellers SMIC wieder auf. Brown ist eine bekannte Figur in der Halbleiterszene. Er ist Mitgründer des britischen Chip-Designers Arm.
Dietmar Rambau ist seit 1. August der Vize President für den Bereich Sales VW Group China bei dem Autozulieferer Bosch am Standort Shanghai. Der Informatiker ist seit sechs Jahren im Vertrieb tätig.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unserer Personal-Rubrik an heads@table.media!
Sambias Präsident Hakainde Hichilema besucht einen Gedenkpark, der zu Ehren chinesischer Staatsangehöriger errichtet wurde, die in den 1970er-Jahren beim Bau der fast 1.900 Kilometer langen Eisenbahnstrecke von Daressalam in Tansania nach Kapiri Mposhi in Sambia ums Leben kamen.
wenn ein Unternehmen zwar privatwirtschaftlich organisiert ist, aber im staatlichen Auftrag handelt, dann gerät es fast zwangsläufig in die Zwickmühle. Die betriebswirtschaftlich sinnvollen Entscheidungen decken sich nur selten mit den Bedürfnissen des Gemeinwohls und anderen Ansinnen der Politik. Ein ganz besonders augenscheinliches Beispiel ist die chinesische Bahngesellschaft China Rail. Zu ihren Aufträgen gehört: die Konjunktur in abgelegenen Regionen zu fördern, Nachwuchs auszubilden, umweltfreundliche Mobilität zu ermöglichen und hohe Pünktlichkeit zu erzielen. Zu ihren Aufgaben gehört nicht: Gewinne zu erzielen. Der Staatsbetrieb ächzt bereits unter einer knappen Billion Euro Schulden und klotzt weiterhin unrentable Strecken in die Landschaft, schreibt unser Team in Peking.
“Die Gedanken sind frei” – vielleicht braucht der Liedtext irgendwann eine Neufassung. Informationen aus menschlichen Gehirnen auslesen zu können, ist nicht nur ein häufiges Plot-Element in Science-Fiction-Geschichten. Es wäre auch der absolute Traum der Machthaber in autoritären Systemen. Damit ließen sich kritische Gedanken aufspüren, bevor sie ausgesprochen werden oder Handlungen nach sich ziehen. Präventivhaft würde sicher sehr zur sozialen Stabilität beitragen. China erprobt das maschinelle Gedankenlesen zunächst an Studenten, die sich Pornografie ansehen, schreibt Frank Sieren. Aber jede neue Technologie fängt einfach an.
Aus 17+1 wurde 16+1 und jetzt auf einen Schlag 14+1. Estland und Lettland haben Chinas Ost- und Mitteleuropa-Runde verlassen, nachdem Litauen im vergangenen Jahr den Anfang gemacht hatte. Eine Schlappe für die chinesische Außenpolitik, die zeigt, wie sehr sich die Welt in den vergangenen fünf Jahren weitergedreht hat. Damals kam die Wahrnehmung auf, Peking wildere außenpolitisch an der Ostgrenze der EU.
Heute weckt die Zahl 14 nun unvorteilhafte Assoziationen an das gleich ausgesprochene Wort yàosǐ 要死 – wörtlich “muss sterben”, auch gebraucht im Sinne von “außergewöhnlich, schrecklich”. Auch das ist kein gutes Omen für die Ost- und Mitteleuropa-Kooperation. Chinesen lieben solche Wortspiele und nehmen sie ernst. Wie die Netzbürger durch kreativen Gebrauch von Schriftzeichen die Zensur übertölpeln, beschreibt heute Johnny Erling.
Wer in diesen Tagen in China mit dem Hochgeschwindigkeitszug unterwegs ist, muss – anders als in Deutschland – nicht befürchten, in einer restlos überfüllten Bahn zu landen. Weil die strengen Corona-Maßnahmen jede Reise zu einem fast unkalkulierbaren Risiko gemacht haben, bleiben die Menschen lieber dort, wo sie sind. Selbst zwischen Shanghai und Peking ist deutlich weniger los – obwohl diese Verbindung bisher eine der wenigen war, mit der die chinesische Staatsbahn überhaupt Geld verdient hat.
Im ersten Halbjahr hat nun auch diese Strecke erstmals einen Verlust eingefahren. Vor dem Hintergrund des Lockdowns in Shanghai ist das keine Überraschung. Wie das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin berichtet, belief sich das Minus auf umgerechnet rund 150 Millionen Euro. Auch landesweit ging der Zugverkehr zuletzt zurück. Laut offiziellen Angaben reisten in der ersten Jahreshälfte nur noch 787 Millionen Chinesen mit der Bahn – ein Minus von 42 Prozent im Vorjahresvergleich.
Das sinkende Passagiervolumen verstärkt nun ein schon lange bestehendes Dilemma. Der Eisenbahnneubau dient vor allem den übergreifenden Zielen der Wirtschaftspolitik. Der Staat ordnet die Projekte an. Renditeziele sind nicht nur zweitrangig, sondern schlicht nicht vorhanden. Doch die Diskrepanz zwischen den hohen Kosten der Strecken und ihrer dürftigen Auslastung wird immer größer. Und damit wächst auch der Schuldenberg der Staatskonzerne, die den Bau stemmen.
Die hohen Verluste der Betreibergesellschaften halten den staatlichen Bahn-Giganten China Railway jedoch nicht davon ab, das Netz weiter kräftig auszubauen. Allein im vergangenen Jahr ist das Schnellzug-Netz um fast 2.200 Kilometer auf über 40.000 Kilometer angewachsen. Ein guter Teil davon entstand in abgelegenen Gegenden – wo nicht nur der Bau durch Gebirge, Sümpfe und Wüsten besonders schwierig ist, sondern auch besonders wenig Menschen wohnen.
Allein in der ersten Jahreshälfte 2022 kamen weitere 2.044 Kilometer hinzu. Das bereits mit Abstand längste Netz der Welt soll bis 2025 auf rund 50.000 Kilometer anwachsen. Bis 2035 sollen es dann 70.000 Kilometer sein. Zum Vergleich: Die Länge der Schnellfahrstrecken im zugegeben deutlich kleineren Deutschland beträgt rund 2.600 Kilometer.
Diskussionen, ob all diese zusätzlichen Kilometer vor dem Hintergrund der neuen Reisegewohnheiten im Corona-Zeitalter überhaupt noch gebraucht werden, finden praktisch nicht statt. Stattdessen wetteifern die Lokalregierungen darum, in ihren Regionen möglichst viele neue Strecken und Projekte gemeinsam mit China Railway voranzubringen. Das Wachstum wird zumindest in der Bauphase kurzfristig angekurbelt.
Das Problem der Bahn: Der Neubau von Strecken ist für die Regierung ein beliebtes Instrument der Konjunkturförderung. Beim Bau entstehen Arbeitsplätze, und die neu angebundenen Regionen erhalten einen Entwicklungsschub. “Die Priorität der Regierungen ist das Wirtschaftswachstum. Sie kümmern sich nicht um die immer weiter steigenden Schulden”, kritisierte Zhao Jian, Professor an der Pekinger Transport-Universität, kürzlich gegenüber der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei.
Nach Zhaos Berechnungen kostet jeder Kilometer neuer Schnellzug-Strecke etwa 120 bis 130 Millionen Yuan (circa 18 Millionen Euro). Allein die bis 2035 geplanten zusätzlichen 30.000 Kilometer würden damit rund 3,6 Billionen Yuan, oder umgerechnet rund 520 Milliarden Euro kosten. Ein Großteil davon wird jedoch nie wirklich Geld verdienen, um diese Investitionen wieder einzuspielen.
Für den Staatsbetrieb China Railway bedeuten die Investitionen, dass durch die Ausgabe neuer Anleihen die ohnehin schon astronomischen Schulden weiter steigen. Ende 2021 betrugen sie umgerechnet rund 860 Milliarden Euro, oder fünf Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung. Steigen die Schulden weiterhin im bisherigen Tempo, dürften sie innerhalb der nächsten drei Jahre die Marke von einer Billion Euro sprengen. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
Ein auf Künstliche Intelligenz spezialisiertes Forschungsteam von der Beijing Jiaotong Universität hat einen Helm hergestellt, der es ermöglicht “Gedanken zu überwachen” – zumindest wenn der Träger des Helms Pornografie konsumiert.
Der Helm überwacht anhand von Gehirnwellen-Ausschlägen die Reaktionen des Trägers, und zieht daraus Rückschlüsse, welche Inhalte dieser gerade konsumiert. Für eine erste Testreihe wurden fünfzehn männliche Studenten im Alter zwischen 20 und 25 Jahren vor einen Computerbildschirm gesetzt. Jedes Mal, wenn ein Foto mit entsprechenden Inhalten erschien, löste der Helm einen Alarm aus. Die Treffsicherheit lag bei 80 Prozent.
Das Team konnte selbst Reaktionen im Gehirn messen, wenn die Porno-Bilder nur für eine halbe Sekunde in einem Fluss anderer Bilder zu sehen waren. Die Forscher betonen, ihre Entwicklung sei deswegen so wichtig, weil das Auge und das Gehirn bestimmte Bilder noch besser erkennen können als die fortschrittlichste künstliche Intelligenz, besonders, wenn es Bilder vor komplexem Hintergrund sind.
Das Gerät ist so fortschrittlich, dass es sich an die Gehirnwellen der Probanden anpassen und andere Gehirnwellen, die durch Ängste oder andere Gefühle ausgelöst werden können, herausfiltern kann. Seine Versuche stellte das Team in dem chinesischen Fachmagazin Journal of Electronic Measurement and Instrumentation vor. Eine internationale Bewertung fehlt noch.
Die Technologie könnte dem chinesischen Staat zwar potenziell helfen, seine Zensur zu perfektionieren. Die Testreihe der chinesischen Forscher stand jedoch gerade wegen der Zensur vor großen Herausforderungen. So konnten aufgrund der gesetzlichen Lage in China nur bereits zensierte Inhalte verwendet werden. Zudem nahmen keine Frauen an der Studie teil, obwohl viele Online-Zensoren in China Frauen sind. Ob sie anders auf die Inhalte reagieren würden als die männlichen Teilnehmer, konnte somit bislang nicht geprüft werden.
Angeblich forscht die Volksbefreiungsarmee ebenfalls an einer Mensch-Maschine-Schnittstelle. Sie soll es Soldaten ermöglichen, ihre Waffen mit nie gekannter Geschwindigkeit zu steuern. Einige Fabriken in China sollen bereits seit 2014 Geräte zur Überwachung von Gehirnwellen einsetzen, um Arbeitsunfälle zu vermeiden, indem sie das Aufmerksamkeitslevel der Arbeiter kontrollieren.
Die sogenannten Hirn-Computer-Schnittstellen (BCI: Brain-Computer-Interfaces) sind ein wichtiger Zukunftsmarkt. Mit seinem Unternehmen Neuralink will etwa Tesla-Gründer Elon Musk elektronische Implantate ins Gehirn einsetzen. Neuronen im Gehirn werden dann mit winzigen elektrischen Impulsen stimuliert, die dann unterschiedliche Effekte erzielen sollen. Auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg forscht an einem Gedankenhelm. Doch das ist tatsächlich noch Zukunftsmusik.
In Deutschland arbeitet beispielsweise ein Team an der Berliner Uniklinik Charité an Auslesen und Interpretieren von Gehirnwellen. Dort gibt es einen eigenen Lehrstuhl für Klinische Neurotechnologie, der sich mit dem Thema beschäftigt. In Südkorea hat die Firma iMedisync bereits einen angeblich marktreifen Helm vorgestellt. Auch japanische Forscher sind an der Technik dran. Am Advanced Telecommunications Research Institute (ATR) in Kyoto gibt es eine Abteilung für die Entwicklung einer Hirn-Computer-Schnittstelle. Die erste Anwendung soll Hilfe für gelähmte Patienten sein. Auch die Privatfirmen Nissan und Honda arbeiten an solchen Technologien. All das sind nur Beispiele für die vielen Projekte, die weltweit laufen.
Im Falle Chinas öffnen solche Geräte natürlich Tür und Tor für dystopische Überwachungsszenarien. Verbrecher könnten mit Gehirnschnittstellen überführt werden, noch bevor sie die Tat begangen haben, allein schon dadurch, dass in ihrem Gehirn die Absicht herumschwirrt. Menschen könnten auf ihre Loyalität gegenüber der Partei geprüft werden.
Aber auch ohne den Teufel an die Wand zu malen werfen Hirn-Computer-Schnittstellen viele neue Rechtsfragen und ethische Diskussionsfelder auf: Wie und von wem werden diese höchst intimen personenbezogenen Informationen gespeichert und verarbeitet? Ist die Autonomie und freie Entfaltung der Persönlichkeit noch garantiert, wenn Maschinen und infolgedessen auch Firmen Einfluss auf das menschliche Gehirn ausüben können? Auch gesellschaftlich entstünden schnell große Unterschiede zwischen Menschen, die sich eine Gehirnoptimierung leisten können und solchen, die noch mit herkömmlicher Geisteskraft unterwegs sind.
12.08.2022-14.08.2022
Messe World Coffee Expo (Cafeex) Shanghai Mehr
17.08.2022, 11:30 (Deutscher Zeit)
Table.Live-Talk Der Preis eines Handelskriegs mit China (mit Felix Lee) Anmeldung
18.08.2022, 11:00 (Deutscher Zeit)
Online-Gesprächsrunde Global China Conversations #12 – Grünes Wachstum: Was können wir von China erwarten? Mehr
18.08.2022, 14:00 (Deutscher Zeit)
Veranstaltung in chinesischer Sprache Managementtraining für Chinesen in Deutschland | Auswirkungen der Gesetzesänderungen auf Unternehmen: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und Geldwäschegesetz Anmeldung
22.08.2022, 09:30 (US-Ostküstenzeit)
Online-Diskussion The Military Dimensions of the Fourth Taiwan Strait Crisis Mehr
09.09.2022, 14:00 (Deutscher Zeit)
Präsenzveranstaltung zum Austausch, Feiern und Vernetzen 15. CHINATIV Forum; Event: CHINATIV-Abschlussveranstaltung Anmeldung
Nach Litauen haben nun auch Estland und Lettland das sogenannte 16+1-Format für Kooperationen zwischen mittel- und osteuropäischen Staaten (CEEC) und China verlassen. “Estland wird weiterhin auf konstruktive und pragmatische Beziehungen zu China hinarbeiten”, teilte das estnische Außenministerium am Donnerstag mit. Dazu gehöre auch “die Förderung der Beziehungen zwischen der EU und China im Einklang mit der auf Regeln basierenden internationalen Ordnung und Werten wie den Menschenrechten”, so das Ministerium weiter. Estland war seit 2012 Teilnehmer an dem Kooperationsformat.
Nachbarland Lettland veröffentlichte eine ähnlich lautende Erklärung: “Lettland wird sich weiterhin um konstruktive und pragmatische Beziehungen zu China bemühen, sowohl bilateral als auch durch die Zusammenarbeit zwischen der EU und China auf der Grundlage des gegenseitigen Nutzens, der Achtung des Völkerrechts, der Menschenrechte und der auf internationalen Regeln basierenden Ordnung.”
Der baltische Staat Litauen hatte sich als erster aus dem Format bereits im Frühjahr 2021 zurückgezogen – und damit den inoffiziellen Namen von 17+1 zu 16+1 werden lassen. ari
Bundeskanzler Olaf Scholz warnt vor einer zu großen Abhängigkeit Deutschlands von China. Eine Diversifizierung beim Import etwa von Rohstoffen sei wichtig, sagte Scholz am Donnerstag auf der Sommer-Pressekonferenz des Kanzlers. Dies hätten auch die deutschen Unternehmen verstanden. So werde Deutschland auch dafür sorgen müssen, dass etwa Lithium aus verschiedenen Teilen der Welt bezogen werde. Zu einem möglichen Antrittsbesuch in China sagt der Kanzler, darüber werde gesprochen, aber es gebe noch keinen Termin.
Deutschland ist insbesondere bei Seltenen Erden und Magnesium von China abhängig. Bei anderen Rohstoffen gibt es indirekte Abhängigkeiten, weil China Lieferketten und die Weiterverarbeitung bestimmter Rohstoffe dominiert (China.Table berichtete). Zudem bestehen vielerlei Abhängigkeiten bei Zwischen- und Endgütern wie pharmazeutischen Produkten, Solarzellen, Akkus, Chemikalien und Elektronik. Viele Unternehmen erwirtschaften zudem einen großen Teil ihres Umsatzes auf dem chinesischen Markt. Diese vielfältigen Abhängigkeiten sorgen für ein Umdenken einiger Akteure (China.Table berichtete). Kurzfristig wird sich die deutsche China-Abhängigkeit jedoch kaum reduzieren lassen – und so ein Kurs wäre mit Kosten verbunden.
Eine ganz ähnliche Einschätzung kam vonseiten der Wirtschaft. BDI-Präsident Siegfried Russwurm mahnte, Deutschland solle die “Wirtschaftsbeziehungen zu China auch im Kontext des neuen Systemwettbewerbs nicht grundsätzlich infrage stellen“. Man müsse sich jedoch “besser auf Extremszenarien” vorbereiten, zog Russwurm eine Lehre aus der Gasabhängigkeit von Russland. Das Ziel müsse es sein, “Absatz- und Beschaffungsmärkte zu diversifizieren”. nib
Xi Jinping wird angeblich in der kommenden Woche nach Saudi-Arabien reisen. Das geht aus einem Bericht der Zeitung The Guardian hervor. Demnach soll Chinas Präsident mit einem Gala-Empfang begrüßt werden. Es wäre der erste Staatsbesuch Xis im Ausland seit Beginn der Corona-Pandemie im Januar 2020. Der große Empfang soll die guten Beziehungen zwischen beiden Länder widerspiegeln. US-Präsident Biden wurde im Juni bei seinem letzten Besuch in Saudi-Arabien sehr zurückhaltend empfangen, nachdem sich die Beziehungen der beiden Länder auch aufgrund des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi und der größeren Energieunabhängigkeit der USA abgekühlt hatten.
Der Handel zwischen China und Saudi-Arabien hat in den letzten Jahren zugenommen, während der Wirtschaftsaustausch mit den USA abnahm. China ist der größte Käufer saudischen Erdöls. Erst Anfang August haben die beiden Staatsunternehmen Sinopec und Saudi-Aramco eine Absichtserklärung unterschrieben, die Zusammenarbeit in Energiefragen zu erweitern.
Riad hat die Unterdrückung der muslimischen Uiguren nicht kritisiert. Das Sicherheitsgesetz in Hongkong wurde demnach durch Saudi-Arabien ebenfalls verteidigt. Das chinesische Außenministerium gab am Donnerstag keine Informationen zu dem Besuch preis. nib
Die chinesische Regierung erneuert nach dem Ende ihrer umfangreichen Manöver rund um Taiwan (China.Table berichtete) ihre Drohungen gegen den Nachbarn. Taiwan “beschleunigt nur seinen Untergang und bewegt sich am Rande einer Katastrophe”, indem es gemeinsame Sache mit “externen Kräften” mache, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Donnerstag. Jeder Versuch, sich den nationalen Interessen Chinas entgegenzustellen, sei zum Scheitern verurteilt.
Aus den USA kam von Nancy Pelosi persönlich eine Reaktion auf die Manöver. Pelosis Besuch in Taipeh war der Ausgangspunkt der aktuellen Krise. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses warnte die Volksrepublik am Mittwoch, ihre Militärpräsenz um Taiwan zur “neuen Normalität” werden zu lassen. China hatte erklärt, dass Aktivitäten der eigenen Marine um die Insel jetzt zum regulären Betrieb gehören werden.
Aus Taiwan reist derweil eine Delegation der Oppositionspartei KMT zu Gesprächen nach China. Die Reise des stellvertretenden Parteivorsitzenden Andrew Hsia war schon länger geplant. Es sind unter anderem Gespräche mit taiwanischen Geschäftsleuten auf dem Festland geplant. Die regierende DPP kritisierte die Reise angesichts der Bedrohungslage als instinktlos. fin
Ein Berufungsgericht in Peking hat den Revisionsantrag der Klägerin in Chinas bekanntestem MeToo-Verfahren abgelehnt. Das Mittlere Volksgericht Nummer 1 verwies auf den Mangel an neuen Beweisen im Belästigungsfall der 29-Jährigen Zhou Xiaoxuan. Das Gericht bestätigte damit die Entscheidung des Volksgerichts Haidian, das die Klage im September 2021 abgelehnt hatte.
“Das Gericht hat entschieden, dass die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweise nicht ausreichen, sexuelle Belästigung nachweisen zu können, und dass die Berufung nicht begründet werden konnte”, teilte das Gericht über den chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo mit. Die Klägerin könne allerdings den weiteren Rechtsweg beschreiten.
Zhou hatte im Jahr 2018 Vorwürfe gegen den bekannten Fernsehmoderator Zhu Jun öffentlich gemacht. Sie wirft Zhu vor, er habe sie während eines Praktikums bei der staatlichen TV-Anstalt CCTV begrapscht und ohne ihr Einverständnis versucht zu küssen. Das Verfahren gilt als prominentester Fall der #MeToo-Bewegung in China. Losgetreten wurde die Bewegung im Land von einer Studentin, die einen Hochschul-Professor der sexuellen Belästigung beschuldigt hatte. grz
Was verbindet den übersetzten Namen für “Schneewittchen und die 7 Zwerge” (白雪公主和七个小矮人) mit den Schriftzeichen für das Datum “35. Mai” (五月三十五) oder mit dem chinesischen Begriff “Kaiser im Rückwärtsgang” (倒车帝)? Warum lässt sich Chinas städtische Jugend und der Mittelstand des Landes von drei neuen angeblichen Wissenschaften anziehen, der Involution (内卷), des Flachliegens (躺平) und der Runologie (润学)? Antworten gibt das Internet. Die ominösen Code-Wörter sind Anspielungen auf chinesische Führer, auf politische oder soziale Missstände, wie sie in den offiziellen Medien nicht erscheinen dürfen. Doch im Netz entkommen böse Satire, provokante Wortspiele, politische Attacken immer wieder Chinas strikter Zensur. Gärender Unmut macht sich virtuell Luft, den es nach Pekings Propaganda in der neuen Ära unter Volksführer Xi Jinping und seinem chinesischen Traum weder gibt noch geben darf.
So geistert seit dem Frühjahr die ominöse Lehre vom “Run” durch alle Webseiten. Um zu verstehen, was gemeint ist, muss man das Schriftzeichen dafür lautmäßig wie im Englischen “to run” aussprechen. Dann bedeutet es “Nichts wie weg von hier”. Mit ihrer neuen Wortschöpfung beschimpften Shanghaier Bürger den Corona-Lockdown ihrer Behörden, die sie wochenlang einsperren ließen. Anfang August wählte die Webseite für Mikroblogs in China es zum “Weibo-Wort der Woche”.
Der Medienexperte David Bandursky meint, dass der neue Begriff im Dreiklang trendiger Online-Proteste steht. Sie spiegeln die Ausstiegs-Fantasien einer von Indoktrination und Gängelung durch Chinas Partei dauergenervten und überforderten Generation Z wider. Diese will sich nicht mehr für die Karriere im Hamsterrad Schule, Studium und Arbeit abstrampeln. Das nannte sie zuerst “Involution”. Dann erfand sie als zweites Schlagwort für ihre innere Emigration “flach zu liegen“. Nun träumen sie “abzuhauen”.
Chinas Führung sieht Rot, beobachtet Joseph Brouwer, der seit einer Dekade das Katz- und Maus-Spiel der Zensur in den Sozialen Medien beobachtet. Auf der Webseite “Chinadigitaltimes.net” schreibt er: “In meinen vielen Jahren, in denen ich Chinas Zensur-Saga verfolge, habe ich die Regierung noch nie so fest entschlossen gesehen, dagegen vorzugehen. Sie ist nicht bereit, den kleinsten Ausdruck an Widerspruch oder Missbilligung ihrer Bürger hinzunehmen.” Schon gar nicht vor dem nahenden 20. Parteitag im Spätherbst, auf dem sich Parteichef Xi seine dritte Amtsperiode 2022 bis 2027 bewilligen lassen will, also faktisch seine absolute Herrschaft auf Lebenszeit zementiert. Im Netz rumore es. “Und das ist noch milde ausgedrückt.”
Im Juli traten die Zensurbehörden eine neue Kampagne gegen Missbrauch des Internets los und riefen zur politischen Säuberung des Cyberspace auf. Dort würden mit vieldeutigen und homophonen Schriftzeichen, Wortvarianten und falschen Schreibweisen schädliche Informationen verbreitet.”
Während KP-Propagandisten alles daransetzen, um die öffentliche Meinung in den traditionellen Medien ideologisch gleichzuschalten oder patriotisch aufzuheizen, werden sie mit den Widerworten im Netz nicht fertig. Raffinierte Anspielungen, vor allem in schierer Masse, überfordern nicht nur das physische Heer der Zensoren. Auch die ausgefeilte Überwachung mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz kriegt das ständig wechselnde Kauderwelsch und der Mixtur aus Mandarin und Englisch, alphabetischen, chinesischen oder römischen Zahlsymbolen, traditionellen und vereinfachten Schriftzeichen nicht in den Griff. Größtes Problem sind die Homophone, also Wörter mit gleicher Aussprache, die unterschiedlich geschrieben werden. Trotz seiner Großen Firewall bleibt das Netz für Peking eine Brutstätte für “Subversion”. Dabei hat es sich das selbst zuzuschreiben und mit dem Online-Wirrwarr seinen eigenen Turm zu Babel mit chinesischen Besonderheiten erbaut.
Die sich tarnenden Proteste im Netz unterscheiden sich von der alten kulturellen, chinesischen Tradition des intellektuellen Widerstands gegen die Herrschenden. Einst entlarvte etwa der oppositionelle Pekinger Funktionär Deng Tuo in 153 satirischen Essays und historischen Analogien Maos größenwahnsinnige Träume. Seine Kolumnen erschienen nach 1960 unter dem Titel “Abendgespräche am Schwalbenberg” (Yanshan yehua 燕山夜话) offen in der Pekinger Abendzeitung. Später rächte sich Diktator Mao furchtbar an ihm.
Kritik in der Offline-Welt hat die heutige Parteibürokratie unter Führer Xi längst unterdrückt. Das Netz wurde zur Bühne für Proteste. Webseiten wie Chinadigitaltimes führen seit 2011 über den Kampf der Pekinger Zensur gegen unliebsame politische Anspielungen Buch. 2017 dehnten sie ihre Suche auf alle wichtigen Plattformen der sozialen Medien aus; neben Sina Weibo新浪微博 auch auf WeChat微信 , Zhihu知乎, Douyin抖音 (die chinesische Mutter von TikTok), Kuaishou快手和 und Bilibili.
600 Millionen aktive Nutzer mit eigenen Konten in den sozialen Medien machen die Kontrolle für Peking zur Mammutaufgabe. Wie sie im Detail vor sich geht, konnte Bouwer nachlesen, als seiner Webseite Chinadigitaltimes gerade eine 143-seitige Dokumentation zugespielt wurde. Sie stammte von der für Online-Shopping und -Networking gegründeten Instagram-ähnlichen Sozialplattform Xiaohongshu (小红书). Die hatte intern alle kritischen Posts ausgewertet und Gegenmaßnamen entwickeln lassen. Zu ihren gesammelten sensiblen Wörtern (敏感词) gehörten auch mehr als 500 Begriffe, Bezeichnungen, Schreibweisen oder Redewendungen, die Parteichef Xi meinen.
Umschrieben wird er mal als “Kaiser im Rückwärtsgang”, als Liebhaber chinesischer “Raviolitaschen” (习包子), als oberster Zensor und “Harmonisierer” (习和谐). Oder sein Name wird mit dem anderer Diktatoren verballhornt. Aus Nordkoreas Kim Il-song wird etwa Xi Il-song (习正日). Die Ausdrücke sind so gewählt, dass jeder weiß, wer gemeint ist, aber so verändert, dass die Algorithmen der Zensur sie nicht sofort erkennen und blockieren können.
Das gilt auch für alle anderen von der Zensur streng verbotenen Begriffe, wie für die tabuisierten Ereignisse des Pekinger Tiananmen-Massakers vom 4. Juni 1989. 2004 stieß ich zum ersten Mal auf einen Mikroblog, der zur Trauer für den Gedenktag aufrief. Er nennt das Datum “35. Mai” (五月三十五). Wer nachrechnet, kommt auf den 4. Juni. Peking ließ zwar sofort die Schreibweise 35. Mai ächten. Doch die Postings wählten sich nun römische Ziffern. Der 4. Juni wurde zur Zahl “ⅥⅣ” oder zu “1-9-8-9 IIXVIIIIX”. Zehn Jahre später, 2014, zählte Zensurexperte Jason Q. Ng bereits 64 Umschreibungen im Netz für die Erinnerung an das Massaker. Inzwischen sind es noch mehr geworden.
Dem Einfaltsreichtum, die Zensur immer wieder zu unterlaufen, sind keine Grenzen gesetzt. Internet-Behörden verboten gerade öffentlich über jüngste Massenprotete von Sparern in der Provinz Henan (河南) zu berichten, die von regionalen Banken um ihre Einlagen geprellt wurden. Chinas Finanzstabilität dürfe nicht in Frage gestellt werden. Blogger tauften darauf die Provinz Henan kurzerhand in Helan (荷兰) um, was allerdings Holland bedeutet. Oder sie manipulierten das Schriftzeichen für Henan. Sie schrieben es ohne das Geldzeichen in seinem Mittelteil. Soll heißen: Die Banken in der Skandalprovinz sind pleite.
Was aber hat das alles mit dem von mir anfangs erwähnten Aufsehen im Netz um “Schneewittchen und die sieben Zwerge” zu tun? Auslöser wurden Online-Meldungen, wonach Shanghais Kindergärten Grimms Märchen aus ihrem Bestand an Bilderbüchern zu entfernen hätten. Blogger erregten sich über Chinas Kulturfunktionäre, die vor dem 20. Parteitag alles auf den Index setzen lassen, was zu Anspielungen auf Parteichef Xi führen könnte. Denn das auch in China populäre Schneewittchen könnte daran erinnern, wie Xi zum 70. Jahrestag der Volksrepublik mit den Mitgliedern seines Politbüroausschusses das Pekinger Mao-Mausoleum besuchte. Alle Sieben hätten sich vor dem Kristallsarg des einbalsamierten Vorsitzenden verneigt.
Das klang nun selbst für Chinas Verhältnisse so absurd, dass die Tageszeitung “Beijing News” Reporter nach Shanghai schickte. Die meldeten prompt am 2. August, dass die amtliche “Anti-Gerüchte Plattform” in Shanghais von Fake-News sprach. Doch wer zwischen den Zeilen las, wurde einer Besseren belehrt. Die Reporter schrieben, sie hätten mehrere Kindergärten gefragt, ob die Meldung vom Schneewittchen-Märchen stimme. Alle hätten nur gesagt, dass es für sie “nicht opportun ist, darauf zu antworten”.
In China treibt die offizielle Zensur also immer kuriosere Blüten. Gut, dass es wenigstens ein Ventil im Internet gibt.
Tudor Brown gibt seine Position im Board des chinesischen Chipherstellers SMIC wieder auf. Brown ist eine bekannte Figur in der Halbleiterszene. Er ist Mitgründer des britischen Chip-Designers Arm.
Dietmar Rambau ist seit 1. August der Vize President für den Bereich Sales VW Group China bei dem Autozulieferer Bosch am Standort Shanghai. Der Informatiker ist seit sechs Jahren im Vertrieb tätig.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unserer Personal-Rubrik an heads@table.media!
Sambias Präsident Hakainde Hichilema besucht einen Gedenkpark, der zu Ehren chinesischer Staatsangehöriger errichtet wurde, die in den 1970er-Jahren beim Bau der fast 1.900 Kilometer langen Eisenbahnstrecke von Daressalam in Tansania nach Kapiri Mposhi in Sambia ums Leben kamen.