Table.Briefing: China

Sozialkredit-System + Alibaba + EU-USA + EU-Gipfel + H&M + Gerhard Hinterhäuser + Clemens Treter

  • Chinas Sozialkreditsystem noch wenig transparent und rechtssicher
  • Peking greift nach Jack Mas Medienbeteiligungen
  • EU und USA setzen bilateralen China-Dialog fort
  • Keine Positionierung von EU-Rat zu Sanktionen erwartet
  • Xinjiang: H&M wegen alter Stellungnahme im Kreuzfeuer
  • Containerriese blockiert Suezkanal
  • Gerhard Hinterhäuser: Chinas Aufstieg ist alles andere als gewiss
  • Im Portrait: Clemens Treter
Liebe Leserin, lieber Leser,

sich in einem Markt rechtssicher bewegen zu können, ist essenziell für Unternehmen und Investoren. Das gilt in heimischen Gefilden und nimmt in seiner Bedeutung zu, wenn es um Engagements in Ländern mit großem politischen Einfluss auf das Marktgeschehen geht.

Peking etabliert seit einiger Zeit ein so genanntes Sozialkredit-System, das das Verhalten von Unternehmen zum Gegenstand öffentlicher Bewertung macht. Nico Beckert hat Wissenschaftler zu den Gefahren dieses Regulierungsinstruments für ausländische Unternehmen befragt und betroffene Unternehmen zu ihren Erfahrungen. Und obwohl das Instrument selbst noch in der Entstehungsphase ist, wird bereits deutlich: Wer in China wirtschaftlich tätig sein will, muss sich frühzeitig mit den Regularien befassen.

Die abrupte Absage des Börsengangs der Finanztochter von Alibaba sorgt seit dem vergangenen Jahr für zahlreiche Spekulationen über die Beweggründe. Während es dabei zunächst um Fragen der Finanzmarktregulierung zu gehen schien und auch die Beschneidung des Einflusses eines politisch missliebig gewordenen Unternehmenschefs Ma, mehren sich nun die Hinweise darauf, dass die chinesische Regierung auch auf die Medienbeteiligungen des Konzerns zugreifen will. Jörn Petring und Gregor Koppenburg analysieren die Hintergründe.

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Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Presseschau

Hong Kong Halts Use of Pfizer-BioNTech Vaccine Over Packaging Defects NYTIMES
China bashes US over racism, inequality, pandemic response INDEPENDENT
China’s New Belt and Road Has Less Concrete, More Blockchain BLOOMBERG
H&M Slammed on China’s Social Media Over Cotton Comment BLOOMBERG
Move Over Huawei, Xiaomi Is China’s New Smartphone King WSJ
TikTok owner ByteDance steps up push into gaming FT
Chinese vice premier stresses importance of solid fiscal, tax work XINHUA
EU-China deal on the rocks as sanctions shake support in European Parliament SCMP
Wer Pekings Lied nicht singt, wird bestraft FAZ
China: Eine gemeinsame Zukunft der Menschen aufbauen HEISE
Osteuropa zeigt den richtigen Umgang mit Chinas Staatswirtschaft HANDELSBLATT
Impfen im Senegal: Erste Hilfe kam aus China DLFKULTUR
China rüstet auf, die Nato streitet mit sich selbst WELT

Analyse

Chinas Sozialkreditsystem noch wenig transparent und rechtssicher

Adidas wird vorgeworfen, gegen Brandschutzbestimmungen verstoßen und Fluchtwege sowie Sicherheitsausgänge blockiert zu haben. Eine BMW-Tochter soll in ihrer Werbung Begriffe wie “national”, “höchste” und “beste” genutzt und somit, laut der Pekinger Stadtverwaltung für Industrie und Handel, gegen das Werbegesetz Chinas verstoßen haben. Und eine Tochterfirma von SAP soll gegen das Arbeitssicherheitsgesetz Chinas verstoßen haben. Diese Vorwürfe gehen aus einer der Datenbanken des Sozialkreditsystems Chinas hervor. Sie listet nicht viele Vergehen deutscher Unternehmen auf und die Anzahl der Positivmeldungen übersteigt die Zahl der vermeintlichen Vergehen bei weitem. Und dennoch: Das Sozialkreditsystem ist es ein heikles Themenfeld.

Mit dem Sozialkreditsystem baut China derzeit ein Regulierungssystem auf, das sich fundamental von westlichem Rechtsdurchsetzungsmechanismen unterscheidet. Es basiert auf der Veröffentlichung von Fehlverhalten und will über öffentliche Bloßstellung zur Einhaltung von Regeln und Gesetzen beitragen. “Zwar mussten sich ausländische Unternehmen auch in der Vergangenheit an die gesetzlichen Regeln halten, gleichwohl erhöht das System mit den Mechanismen des öffentlichen Bloßstellens die Risiken, die von Fehlverhalten ohne Vorsatz ausgehen können”, sagt die Sinologin Doris Fischer, die ein Forschungsprojekt zum Sozialkreditsystem leitet. Zusätzlich zu Reputationsrisiken, beinhaltet das System Sanktionen bei härteren Vergehen. Neben der Regulierung dient das System der Sammlung von Daten, “die eine Einschätzung der Kredit- und Vertrauenswürdigkeit vor allem von kleinen Unternehmen ermöglichen”, so Fischer.

Das Sozialkreditsystem soll in den kommenden Jahrzehnten zu einem bestimmenden Merkmal der datenbasierten Regierungsführung Pekings ausgebaut werden, wie eine aktuelle Analyse von Merics zeigt. Das System ist laut Merics aber nicht primär zur Überwachung individuellen Verhaltens gedacht. Dafür gäbe es eine Vielzahl anderer Systeme.

Bisher ist das Sozialkreditsystem sehr fragmentiert. Laut Merics wird es derzeit in 28 Modellstädten getestet. Auch gibt es schwarze und rote Listen, auf denen Unternehmen auftauchen, denen entweder schwere Regelverstöße nachgewiesen (schwarz) wurden oder die sich besonders regelkonform verhalten haben (rot).

Regulierungsdschungel und viele Köche

Die deutsche Außenhandelskammer (AHK) in China sieht das Sozialkreditsystem als “regulatorische Herausforderung“. Es führe zu neuen “administrativen und bürokratischen Hürden”. Laut einer AHK-Umfrage unter deutschen Unternehmen haben 40 Prozent von 408 Firmen innerhalb der letzten zwölf Monate interne Management- und Überwachungssysteme eingerichtet, um die Datenbanken des Sozialkreditsystems im Blick zu halten und “sicherzustellen, dass nur korrekte Unternehmensinformationen in der Öffentlichkeit angezeigt werden”.

Das Sozialkreditsystem folgt keinen einheitlichen Standards, so die Merics-Analyst:innen. Auf lokaler Ebene werde das System sehr unterschiedlich implementiert und es bestehe ein “großer Spielraum für lokale Entscheidungen”, die Möglichkeiten “für persönlichen Einfluss und Machtmissbrauch” bieten.

Insgesamt sind 47 Institutionen in die Umsetzung und Gestaltung des Sozialkreditsystems involviert: Von Finanzregulatoren, über Aufsichtsbehörden der Lebensmittelsicherheit und des Umweltschutzes bis hin zu Verantwortlichen aus dem Bereich der Pandemieprävention. Der Staatsrat, die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission und die Zentralbank Chinas haben Führungsrollen in der Ausgestaltung inne. Auch auf lokaler Ebene wird mitentschieden: Ende letzten Jahres hielt der Staatsrat fest, dass lokale Behörden die Befugnis haben, ergänzende Regulierungen zu formulieren.

In seiner derzeitigen Form sei das System ein “Regulierungsdschungel“, so die Analyst:innen von Merics. Tausende Regulierungsdokumente seien auf den Internetseiten von Ministerien und der Provinz- und Kommunalregierungen verteilt. Es mangelt an einheitlichen Standards.

Zudem scheint das System in seiner derzeitigen Form kaum berechenbar zu sein. Was in einer Stadt zur Aufnahme auf eine schwarze Liste führt, hat in anderen Städten weniger strikte Bestrafungen zur Folge, so Merics. In einigen Städten reiche es schon aus, ein kleines Bußgeld nicht zu zahlen, um auf eine schwarze Liste zu kommen, auf der auch Unternehmen stehen, die Millionen-Kredite nicht zurückgezahlt haben. “Viele Kategorien von Regulierungsverstößen und gefördertem Verhalten sind trübe”, schreiben die Analyst:innen von Merics.

Bessere Einschätzung von Geschäftspartnern

Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftlerinnen benennen jedoch auch positive Folgen des Sozialkreditsystems. Das System sei “auf chinesische Privatfirmen ausgerichtet, da sie häufig mit Lokalbehörden ‘Seitenwege’ beschreiten oder den wahren Zustand ihrer Firma vernebeln”, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China. Man erwarte sich durch das Sozialkreditsystem “mehr Transparenz im Geschäftsumfeld über die Situation bei Konkurrenten, Lieferanten und Kunden”. Das System erlaube eine zusätzliche Einschätzung von Geschäftspartnern, so Wuttke. Doris Fischer berichtet von Dienstleistern, die “Unternehmensdaten aus dem Sozialkreditsystem kundengerecht zusammenstellen”. Vertrauensvolle Beziehungen und Due Diligence könne das jedoch nicht ersetzen.

Ein weiterer Wirtschaftsvertreter sagt, das System werde sich eher auf das “wenig regulierte chinesische Unternehmensumfeld auswirken”. Man höre “von Regierungsseite regelmäßig, dass man als ausländisches Unternehmen doch regelkonform agiere” und sich kaum Sorgen machen brauche. Fischer ergänzt: Für internationale Firmen erweist es sich beim Sozialkreditsystem “als Vorteil, dass sie, was die Einhaltung von Regeln angeht, eher besser performen als chinesische Firmen“.

Schon in seinem derzeitigen fragmentierten Zustand habe das System vereinzelt positive Auswirkungen, so eine Wirtschaftsstimme aus Peking. Man erhalte als regelkonformes Unternehmen eine schnellere Abfertigung beim Zoll und bei Finanzfragen.

“Sehr relevant für zukünftiges Engagement in China”

Laut AHK ist das Sozialkreditsystem “sehr relevant für das zukünftige Engagement der deutschen Wirtschaft in China“. Das System wandele Kontrollmechanismen des Marktes und des Rechtssystems in “ein nie dagewesenes Metasystem” um. Auch laut AHK könne das positive Folgen haben, indem das Vertrauen im Tagesgeschäft der Unternehmen erhöht wird. Das funktioniere jedoch nur, wenn die Transparenz des Systems erhöht werde, wenn also deutlich wird, wie Ratings zustande kommen und welche Folgen bestimmte Bewertungen nach sich ziehen. Sollte die Transparenz nicht erhöht werden, befürchtet ein Wirtschaftsvertreter aus Peking, dass neben dem Rechtssystem “ein zweiter Bestrafungsmechanismus aufgebaut” würde, der “vom chinesischen Staat oder Wettbewerbern benutzt werden könnte, um Einfluss zu nehmen”. Ebenso wird die Befürchtung geäußert, dass auch Ratings von Lieferanten in die Bewertung deutscher Unternehmen einfließen könnten, sollte das System in Zukunft so implementiert werden, wie es einmal erdacht war.

Einige befragte Dax-Unternehmen mit Präsenz in China äußern sich, wenn überhaupt, sehr zurückhaltend zum Sozialkreditsystem. Der Tenor: Man warte ab, wie das System weiterentwickelt werde und erhofft sich einen konstruktiven Dialog mit der Politik und mehr Transparenz.

Transparenz und Rechtssicherheit noch Jahre entfernt

Peking ist der Mangel an einheitlichen Standards des Sozialkreditsystems bewusst. Die Behörden haben ein Social Credit Law angekündigt, um die Standards zu vereinheitlichen. Doch der gesetzgeberische Fortschritt sei langsam, so die Merics-Analyst:innen: “Es wird Jahre dauern, um die Rechtssicherheit und Transparenz zu verbessern“. Gleichzeitig erwartet Merics, dass die verantwortlichen Behörden die Reichweite des Sozialkreditsystems “orientiert an neuen politischen Prioritäten” erhöhen werden. Ausländische Unternehmen werden sich dementsprechend noch einige Jahre mit einem unklaren, aber wachsenden Sozialkreditsystem herumschlagen müssen.

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Peking greift nach Jack Mas Medienbeteiligungen

Als Alibaba vor fünf Jahren die Hongkonger Zeitung South China Morning Post übernahm, war die Aufregung in der chinesischen Sonderverwaltungszone groß. Das damals sowohl bei Hongkongern als auch in der ausländischen Business-Community vorherrschende Urteil lautete: Ma hat die traditionsreiche englischsprachige Zeitung vor allem übernommen, um Peking einen Gefallen zu tun.

Alibaba würde das Blatt zu einer neuen China Daily machen, also einem Propagandainstrument der chinesischen Regierung. Spätestens der Ausbruch der Anti-Regierungsproteste machte jedoch deutlich, dass sich diese These nicht halten ließ. Wenn immer Hongkonger auf die Straße gingen, berichtete die South China Morning Post fundiert – und war damit auch eine wichtige Quelle für ausländische Journalisten, die das scharfe Vorgehen gegen die Demokratie-Bewegung verfolgten. 

Nun sieht es so aus, als könnte der South China Morning Post der nächste Eigentümerwechsel bevorstehen. Und das hat laut Berichten von Bloomberg und des Wall Street Journals viel mit den jüngsten Spannungen zwischen Alibaba und Peking zu tun. 

Spannungen mit Peking

Trotz intensiver Verhandlungen scheint es Ma bisher nicht gelungen zu sein, das Eisen aus dem Feuer zu holen. Ganz im Gegenteil: es zeichnet sich der nächste Rückschlag für Alibaba ab. So werden Insider zitiert, die angeben, dass Peking über den großen medialen Einfluss des Internet-Giganten besorgt sei. Man fürchte, dass Alibaba seine umfassenden Medien-Verbindungen nutzen könnte, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. In China sind sämtliche Medien streng zensiert und unliebsame Beiträge werden routinemäßig von den Behörden aus den sozialen Netzwerken gelöscht.

Die Aufsichtsbehörden seien “schockiert” über das Ausmaß der Alibaba-Beteiligungen, werden mit dem Vorgang vertraute Personen zitiert. Nun solle ein Plan ausgearbeitet werden, wie Alibaba seine Beteiligungen abstoßen kann. Es sei wahrscheinlich, dass eine Firma in Staatshand Anteile übernehmen wird. 

Auch Weibo ist betroffen

Zu den Medien-Assets von Alibaba zählen neben der South China Morning Post mehrere Internetportale, Fernsehproduktionsgesellschaften und soziale Medien. So hält Alibaba etwa eine 30-Prozent-Beteiligung an Weibo (dem Twitter Chinas) mit hunderten Millionen Nutzern. Auch ist Alibaba an der populären Video-Plattform Youku beteiligt. 

Für Jack Ma scheinen die Turbulenzen kein Ende zu nehmen. Der Gründer des chinesischen Online-Giganten hatte Ende Oktober in einer Rede die chinesischen Regulatoren scharf kritisiert. Anfang November stoppten die Behörden dann plötzlich den geplanten Börsengang der Alibaba-Finanztochter Ant Group mit Verweis auf neue Regeln. Und Ma verschwand über Wochen aus der Öffentlichkeit. 

Auch Monate später gibt es noch immer mehr Fragen als Antworten, wie es mit der Ant Group weitergehen wird. Aufgrund der neuen, verschärften Regulierungen, so vermuten Branchenkenner, dürfte sich der Börsengang von Ant bis mindestens 2022 verschieben. Die Bewertung des Unternehmens könnte um etwa 60 Prozent fallen – ausgehend vom Wert des vergangenen Jahres (280 Milliarden Dollar), schätzt Francis Chan, Analyst bei Bloomberg Intelligence.

Restrukturierungsplan

Ant und die chinesischen Aufsichtsbehörden haben sich zwar in groben Zügen auf einen Restrukturierungsplan geeinigt, der das in Hangzhou ansässige Unternehmen in eine Finanzholdinggesellschaft umwandeln soll. Damit wird es ähnlichen Kapitalanforderungen wie chinesischen Banken unterliegen. Doch innerhalb der Ant Group ist noch immer vielen unklar, wie die Strukturen in Zukunft aussehen soll. 

Wie groß die Unruhe bei Ant in diesen Tagen ist, wurde vor eineinhalb Wochen deutlich, als die Belegschaft von einer neuen Hiobsbotschaft überrascht wurde. Nach nur etwas mehr als zwei Jahren im Amt kündigte Ant-CEO Simon Hu an, “aus persönlichen Gründen” zurückzutreten. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

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News

USA und EU setzen bilateralen China-Dialog fort

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und US-Außenminister Antony Blinken haben sich bei einem Treffen in Brüssel auf eine Fortsetzung des bilateralen China-Dialogs verständigt. Damit solle “die gesamte Bandbreite der mit China “verbundenen Herausforderungen und Chancen” erörtert werden, hieß es in einem gemeinsamen Statement. Als Beispiele für mögliche Bereiche der Zusammenarbeit nannten sie Sicherheit, Klimawandel, Menschenrechte, Multilateralismus sowie Reziprozität, auch im wirtschaftlichen Bereich.

Die Beziehungen zu China seien vielfältig, betonten Borrell und Blinken. Die Sitzungen im Rahmen des Dialogs sollen der Mitteilung zufolge auf hoher Beamten- und Expertenebene stattfinden. Man wolle auch zusammenarbeiten, “um sichere, nachhaltige, freie und offene maritime Versorgungswege und Lieferketten zu fördern”. Der Schutz der Menschenrechte und die Einhaltung des Völkerrechts seien wichtig für die Stabilität und den Wohlstand des Indopazifiks, fügten Blinken und Borrell an.

Der bilaterale transatlantische China-Dialog zwischen der EU-Kommission und dem US-Außenministerium ist noch relativ jung. Er wurde erst im vergangenen Jahr eingeführt. Zuletzt hatte ein Austausch zwischen USA und EU im Rahmen des Gesprächsformats zwischen Borrell und Blinkens Vorgänger Mike Pompeo im vergangenen Oktober stattgefunden. Blinken traf im Laufe der Woche auch EU-Außenminister:innen und Nato-Vertreter:innen. ari

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Keine Positionierung von EU-Rat zu Sanktionen erwartet

Chinas Sanktionen gegen mehrere europäische Politiker:innen, Organisationen und Wissenschaftler:innen stehen beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschef:innen heute nicht auf der Agenda. Jede:r Staats- oder Regierungschef:in könne jedoch selbst einzelne Themen ansprechen, die nicht offiziell auf der Tagesordnung stehen, hieß es aus deutschen Regierungskreisen vor der virtuellen Begegnung. Es werde nicht gesehen, dass der EU-Rat “dazu unbedingt Position einnehmen” müsse. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hatte nach den Sanktionen aus Peking betont, das Thema müsse “im europäischen Kontext weiter aufgegriffen” werden. Die EU-Staats- und Regierungschef:innen werden demnach auch mit US-Präsident Joe Biden sprechen.

Geplant ist auch, dass der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell seinen Fortschrittsbericht zur China-EU-Strategie präsentieren wird. Borrell hatte am Montag nach Bekanntgabe der Sanktionen gesagt, dass diese nun “eine neue Atmosphäre, eine neue Situation” geschaffen hätten. Ob es deshalb vor der Vorstellung noch Änderungen an dem Bericht gab, teilte der Europäische Auswärtige Dienst nicht mit.

Das Europäische Parlament drückte gestern zum Auftakt seines zweitägigen Plenums seine Unterstützung für die betroffenen EU-Abgeordneten aus. Sowohl EU-Parlamentspräsident David Sassoli als auch EVP-Fraktionschef Manfred Weber stellten sich hinter die sanktionierten EU-Parlamentarier:innen, darunter zwei deutsche Politiker. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Philippe Lamberts, forderte, dass die Sanktionen aus China auch Thema im EU-Rat sein müssten. Die Staats- und Regierungschef:innen müssten mit Biden über einen US-EU-Ansatz gegenüber China sprechen, so Lamberts.

China hatte am Montag elf Europäer:innen und vier europäische Organisationen mit Sanktionen belegt. Die EU hatte zuvor gegen vier chinesische Beamte und eine chinesische Organisationen Strafmaßnahmen wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verhängt. Die diplomatische Eskalation führte auch zur Vorladung chinesischer Botschafter in mehreren EU-Hauptstädten. Das chinesische Außenministerium verurteilte die Vorladungen laut Staatsmedien als “unvernünftige Maßnahmen”. ari

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Xinjiang: H&M wegen alter Stellungnahme im Kreuzfeuer

Das schwedische Mode-Unternehmen H&M sieht sich wegen einer alten Stellungnahme zu Vorwürfen der Zwangsarbeit in der Baumwoll-Lieferkette in Xinjiang einem Sturm der Entrüstung auf chinesischen Social-Media-Kanälen ausgesetzt. Schon im Frühjahr 2020 hatte der Modekonzern nach NGO-Berichten über Menschenrechtsverletzungen mitgeteilt, er sei “sehr besorgt über die Vorwürfe zu Zwangsarbeit” und dass er keine Produkte aus Xinjiang beziehe, wie Reuters berichtet. Unklar ist, warum die H&M-Aussage nun erneut für große Aufregung sorgt.

Auf Weibo gab es Boykott-Aufrufe. Der Kommunistische Jugendverband Chinas schrieb laut Reuters: “Gerüchte verbreiten, um Xinjiang-Baumwolle zu boykottieren, während man gleichzeitig in China Geld verdienen will? Wunschdenken!” Selbst die Volksbefreiungsarmee habe die alte H&M-Stellungnahme auf einem ihrer Weibo-Kanäle “unwissend und arrogant” genannt, wie Bloomberg berichtet.

China ist für H&M der viertwichtigste Absatzmarkt. Nach Angaben von Reuters lag der Umsatz zwischen November 2019 und 2020 bei fast 340 Millionen US-Dollar. In den letzten Monaten sahen sich westliche Modeunternehmen wiederholt der Kritik ausgesetzt, Baumwolle aus Xinjiang zu beziehen.

Erst am Montag hatten die EU, USA, Großbritannien und Kanada Sanktionen gegen chinesische Beamte und Organisationen ergriffen, denen sie Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang vorwerfen. Peking antwortete prompt mit Gegensanktionen. nib

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Containerriese blockiert Suezkanal

Ein Containerschiff ist auf seinem Weg von China nach Europa im Suezkanal auf Grund gelaufen. Der 400 Meter lange und 59 Meter breite Frachter “Ever Given” der Reederei Evergreen blockierte den Kanal vollständig. Das Schiff gehört zu den größten Containerschiffen der Welt. Wie lange die Bergung dauern würde, war am Mittwoch noch unklar. Am Mittwochabend warteten schon 185 Schiffe darauf, den Kanal zu durchqueren. Ursache des Unfalls war ein Sandsturm, der zu schlechter Sicht und hohen Windgeschwindigkeiten führte, gibt Bloomberg die Suezkanal-Behörde wieder.

Etwa zwölf Prozent des Welthandels müssen durch den Suezkanal, ebenso wie circa eine Million Barrel Erdöl pro Tag. Im letzten Jahr passierten fast 19.000 Schiffe den Kanal, durchschnittlich 51,5 pro Tag, wie tagesschau.de berichtete. Holger Lösch, der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer, sagte: “Die Situation im Suezkanal verschärft die angespannte Lage im internationalen Container-Seeverkehr. Zentrale Lieferketten geraten aufgrund mangelnder Container, unpünktlicher Schiffe und fehlender Transportkapazität ins Stocken”. Der Frachter war Anfang März in Ningbo gestartet, das Ziel ist der Hafen in Rotterdam. nib

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Standpunkt

Chinas Aufstieg ist alles andere als gewiss

Von Gerhard Hinterhäuser
Gerhard Hinterhäuser schreibt hier zu Chinas Aufstieg

China meint von Sieg zu Sieg zu eilen. So scheint Chinas Aufstieg nicht fern. Es hat die Coronavirus-Pandemie besser bewältigt als der Westen und knüpft geradezu nahtlos an die alte Wachstumsdynamik an. Letztes Jahr hat es mit Nachbarn aus der Region die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), die größte Freihandelszone der Welt, beschlossen und mit der EU das umstrittene CAI unterzeichnet. Über die Belt and Road Initiative breitet China seinen Einfluss konsequent bis nach Europa hinein aus.

Bei neuen Technologien hat sich Peking ganz nach vorne gearbeitet. Es investiert immer größere Beträge in seinen militärischen Apparat und nutzt diese Macht vermehrt zur Durchsetzung seiner Interessen. Nationen, die sich China widersetzen, werden durch ökonomische Sanktionen und andere Maßnahmen empfindlich bestraft. Australien und Kanada sind nur die jüngsten Beispiele.

Ausdruck chinesischer Hybris?

Die Vorstellung, dass China zur führenden Macht des 21. Jahrhunderts heranwächst, während der Westen seine besten Tage hinter sich hat, gewinnt immer mehr Anhänger. Präsident Xi ist von der Mission beseelt, die “große Erneuerung der chinesischen Nation” herbeizuführen und wähnt sich von der Historie begünstigt. Die Regierung in Peking und seine Medien propagieren das Narrativ des unweigerlichen Aufstiegs Chinas mit Nachdruck, denn je mehr daran geglaubt wird, desto so höher die Wahrscheinlichkeit, dass es Realität wird.

Ist der Aufstieg Chinas tatsächlich so unaufhaltsam oder ist dieses Narrativ Ausdruck chinesischer Hybris? Unterschlägt es nicht ganz offensichtliche Schwächen des chinesischen Systems? Sind wir naiv, wenn wir China Glauben schenken?

Für eine richtige Kalibrierung unserer Chinapolitik ist es erforderlich, Licht und Schatten zu erkennen und richtig einzuschätzen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir entweder in einen unnötigen Alarmismus verfallen oder uns der chinesischen Herausforderung nicht mit ausreichender Kompetenz und Engagement stellen

Im vergangenen Jahrzehnt ist in China eine Gemengelage entstanden, die durchaus explosiv ist und der die Regierung höchste Aufmerksamkeit erteilt.

Innen- und außenpolitische Spannungen

Außenpolitisch ist es um China immer einsamer geworden. Der jüngsten Umfrage des Pew Research Centers zufolge hat das Ansehen Chinas in den letzten Jahren weltweit erheblich gelitten. Der “demokratische Westen” schickt sich an, gemeinsame Strategien zu entwerfen, um der chinesischen Herausforderung entgegenzutreten. Dies wird den Handlungsspielraum Chinas in der Welt einschränken. Angesichts der geopolitischen Ansprüche Chinas gibt es immer lautere Warnungen vor dem Ausbruch militärischer Konflikte.

Einsichten in die innenpolitischen Verhältnisse sind naturgemäß sehr beschränkt, es wird aber immer wieder auf weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem rigiden Kurs der Regierung hingewiesen. Die Abschaffung der Amtszeitbegrenzung für den Präsidenten hat nicht nur das Ausland überrascht. Die konsequente Unterordnung aller Gesellschaftsbereiche durch die KP Chinas nimmt vorher bestehende Freiheiten zurück und die harten Kampagnen gegen Feinde der politischen Führung provozieren Widerstand.

Überkapazitäten, Immobilienblase, demografische Bombe

In wichtigen Sektoren der Wirtschaft gibt es ausufernde Überkapazitäten. In der Stahlindustrie wurden Kapazitäten von 1,2 Mrd. Tonnen pro Jahr aufgebaut bei einer geschätzten nachhaltigen Nachfrage von 400 Millionen Tonnen. Auch weitere Branchen der chinesischen Wirtschaft leiden an Überkapazitäten. Gleichzeitig ist die Verschuldung über alle Sektoren auf mehr als 300 Prozent des Bruttosozialprodukts angestiegen, was den IWF veranlasst hat, vor erheblichen Verwerfungen zu warnen. Es macht das Wort vom “roten Ponzi” die Runde.

Der Immobilienmarkt, der direkt und indirekt einen Anteil von 30 Prozent am BSP hat, wird als die größte Blase in der Geschichte bezeichnet. Es sollen mehr als 100 Millionen Wohneinheiten leer stehen – Wohnraum für mindestens 300 Millionen Menschen einer rasch schrumpfenden Bevölkerung.

Die demografische Entwicklung stellt eine weitere enorme Herausforderung dar. Die Bevölkerung wächst nicht mehr. Waren 2010 noch 70 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, so wird diese Zahl bis 2050 auf 54 Prozent sinken. Ein erwerbstätiger Chinese muss dann für einen “Abhängigen” sorgen – 2010 waren es noch zwei Erwerbstätige. Der Anteil der über 60-jährigen wird sich bis 2050 verdreifacht haben und mehr als 30 Prozent der Bevölkerung betragen. China läuft Gefahr, alt zu sein, bevor es reich geworden ist.

Chinas Aufstieg zum Hocheinkommensland nicht gewiss

Zwar hat die Regierung bisher eine hohe Fähigkeit bewiesen, anstehende Probleme zu bewältigen und es wäre ein Fehler, China zu unterschätzen. Der unausweichliche Aufstieg Chinas an die Weltspitze ist jedoch mit erheblichen Fragezeichen versehen und wir brauchen uns von den immer neuen Erfolgsschlagzeilen nicht blenden zu lassen. In der Tat gibt es historisch nur wenige Länder, die es geschafft haben, der “Middle Income Trap” zu entkommen und ob China dazugehören wird, sei dahingestellt (China.Table berichtete).

Die Vision von China als der neuen Macht des 21. Jahrhunderts mag zukunftsweisend klingen. Sicher ist, dass wir China als Wettbewerber und systemischen Rivalen ernst nehmen und in Zukunft mit vermehrter Kompetenz und Aufmerksamkeit entgegentreten müssen. Gleichzeitig aber haben wir in der Begegnung mit dem Land allen Anlass zu gutem Mut und Selbstvertrauen. Es sind die Gesellschaften der westlichen Wertegemeinschaft welche – bei aller Kritik – die einzigartigen zivilisatorischen Errungenschaften der modernen Zeit hervorgebracht haben. Es wird für das heutige China nicht einfach sein, sich als entsprechende Alternative zu etablieren.

Dr. Gerhard Hinterhäuser ist Partner bei der Unternehmensberatungsgesellschaft Bingmann Pflüger International. Er lebt in Asien und Deutschland und war von 2006 bis 2014 Mitglied der Geschäftsführung der staatseigenen Firma PICC Asset Management Co. Ltd. in Shanghai.

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Portrait

Clemens Treter

Clemens Treter, Leiter des Goethe-Instituts in Peking
Leiter des Goethe-Instituts in Peking

Seit mehr als 30 Jahren bereichert das Goethe-Institut das Kulturleben in Peking und anderen chinesischen Städten. Für Performance- und Theater-Aufführungen, Ausstellungen und Filmabende eröffnete es zusätzlich zum Haupthaus 2015 im Pekinger Kunstviertel 798 einen vielseitig nutzbaren Kulturort, auf den Institutsleiter Dr. Clemens Treter hörbar stolz ist. “Wir zeigen experimentelle, aber auch themenorientierte Werke zu Fragen der Gegenwart”, sagt der 49-Jährige. “Durch das Kulturabkommen genießen wir einen gewissen Schutz und sind in unseren eigenen Räumen unabhängig von einem Genehmigungsprozess. Somit haben wir mehr Freiheiten als die restliche Kulturszene in China und bietet einheimischen Künstlern die Gelegenheit, ihre Arbeiten abseits des kommerziellen und politischen Drucks zu zeigen.”

Seit 2016 leitet der Sinologe das Goethe-Institut in China. Für Kulturen, Film und Sprachen interessierte er sich bereits während des Abiturs und des Zivildiensts. Das Buch “China und die Hoffnung auf Glück” von Wolfgang Bauer beeindruckte ihn nachhaltig, so dass er bei dem renommierten China-Experten in München studierte. Dort lernte er auch seine Frau kennen, die aus Nanjing stammt und zum Studium in Deutschland war.

Nach beruflichen Stationen an der Universität und bei einem Beratungsunternehmen fing Clemens Treter Ende 2004 beim Goethe-Institut an. “Meine Arbeit ist für mich eine interessante Kombination aus kulturellen Fragestellungen und praktischer Umsetzung”, sagt er. 2005 bis 2010 war er als stellvertretender Leiter bereits am Goethe-Institut in Peking und kehrte dorthin nach Einsätzen in München und Taipeh zurück. Auch während der Pandemie blieb er mit seiner Frau und zwei Kindern in der Millionenmetropole. Weihnachten 2019 war Clemens Treter das letzte Mal in Deutschland.

Die Pandemie bedeutet auch für das Goethe-Institut in China einen Digitalisierungsschub. “Unsere Deutsch-Kurse laufen noch online”, erläutert Clemens Treter. Auch wenn Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind, wird diese Option beibehalten, ist er überzeugt. Auch im Kulturaustausch hat sie sich bewährt.

Gut 80 Prozent der Lernenden sind Studierende, die Deutsch für ihre berufliche Karriere brauchen. “Es gibt aber auch noch eine Gruppe von Leuten, die noch eine zweite oder dritte Fremdsprache erlernen möchten”, weiß Clemens Treter. Auch in der Spracharbeit ist es dem Goethe-Institut ein Anliegen, ein zeitgemäßes Deutschland-Bild zu vermitteln.

Für vier bis sechs Jahre werden die Leitungsposten am Goethe-Institut üblicherweise vergeben. “Das ist auch wichtig”, sagt Clemens Treter. “Denn jeder bringt wieder neue Impulse mit, wenn es um die Kulturarbeit geht.” Was nach Peking kommt, weiß Clemens Treter noch nicht. Beim Goethe-Institut möchte er aber auf jeden Fall bleiben, auch wenn das einen Abschied von China bedeuten würde. Judith Jenner

  • Abitur
  • Bildung
  • Goethe Institut
  • Kultur

Dessert

Xie Xiaozhen, eine 76 Jahre alte US-chinesische Großmutter, die eine rassistische Attacke abwehrte, wird im Netz für ihren Mut gefeiert – und spendet für sie gesammeltes Geld an die US-asiatische Gemeinschaft, um Anti-Rassismus-Projekte zu fördern.

Xie wurde Medienberichten zufolge vergangene Woche in San Francisco von einem Mann angegriffen. Die 76-Jährige wehrte sich und schlug den Angreifer mit einer Holzlatte. Der Mann hatte Xie demnach vor der Attacke rassistisch beschimpft. Xie erlitt Verletzungen am Gesicht. Ein Video, das in den sozialen Medien verbreitet wurde, zeigte die Frau kurz nach dem Angriff mit einem Eisbeutel, um ihre Verletzungen zu kühlen.

Die Familie von Xie sammelte Geld, um die medizinische Behandlung zu bezahlen – die GoFundMe-Kampagne erlebte aber so viel Zuspruch, dass mittlerweile fast eine Million US-Dollar zusammengekommen sind. Die Familie erklärte auf der Homepage der Kampagne, dass das Geld an die US-asiatische Community gespendet werde, um Rassismus zu bekämpfen. Der 76-Jährigen gehe es mittlerweile wieder besser: “Sie ist jetzt wieder optimistisch und in besserer Stimmung. Sie sagte, wir dürfen uns dem Rassismus nicht beugen”, schrieb der Enkel Xies.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Chinas Sozialkreditsystem noch wenig transparent und rechtssicher

    Adidas wird vorgeworfen, gegen Brandschutzbestimmungen verstoßen und Fluchtwege sowie Sicherheitsausgänge blockiert zu haben. Eine BMW-Tochter soll in ihrer Werbung Begriffe wie “national”, “höchste” und “beste” genutzt und somit, laut der Pekinger Stadtverwaltung für Industrie und Handel, gegen das Werbegesetz Chinas verstoßen haben. Und eine Tochterfirma von SAP soll gegen das Arbeitssicherheitsgesetz Chinas verstoßen haben. Diese Vorwürfe gehen aus einer der Datenbanken des Sozialkreditsystems Chinas hervor. Sie listet nicht viele Vergehen deutscher Unternehmen auf und die Anzahl der Positivmeldungen übersteigt die Zahl der vermeintlichen Vergehen bei weitem. Und dennoch: Das Sozialkreditsystem ist es ein heikles Themenfeld.

    Mit dem Sozialkreditsystem baut China derzeit ein Regulierungssystem auf, das sich fundamental von westlichem Rechtsdurchsetzungsmechanismen unterscheidet. Es basiert auf der Veröffentlichung von Fehlverhalten und will über öffentliche Bloßstellung zur Einhaltung von Regeln und Gesetzen beitragen. “Zwar mussten sich ausländische Unternehmen auch in der Vergangenheit an die gesetzlichen Regeln halten, gleichwohl erhöht das System mit den Mechanismen des öffentlichen Bloßstellens die Risiken, die von Fehlverhalten ohne Vorsatz ausgehen können”, sagt die Sinologin Doris Fischer, die ein Forschungsprojekt zum Sozialkreditsystem leitet. Zusätzlich zu Reputationsrisiken, beinhaltet das System Sanktionen bei härteren Vergehen. Neben der Regulierung dient das System der Sammlung von Daten, “die eine Einschätzung der Kredit- und Vertrauenswürdigkeit vor allem von kleinen Unternehmen ermöglichen”, so Fischer.

    Das Sozialkreditsystem soll in den kommenden Jahrzehnten zu einem bestimmenden Merkmal der datenbasierten Regierungsführung Pekings ausgebaut werden, wie eine aktuelle Analyse von Merics zeigt. Das System ist laut Merics aber nicht primär zur Überwachung individuellen Verhaltens gedacht. Dafür gäbe es eine Vielzahl anderer Systeme.

    Bisher ist das Sozialkreditsystem sehr fragmentiert. Laut Merics wird es derzeit in 28 Modellstädten getestet. Auch gibt es schwarze und rote Listen, auf denen Unternehmen auftauchen, denen entweder schwere Regelverstöße nachgewiesen (schwarz) wurden oder die sich besonders regelkonform verhalten haben (rot).

    Regulierungsdschungel und viele Köche

    Die deutsche Außenhandelskammer (AHK) in China sieht das Sozialkreditsystem als “regulatorische Herausforderung“. Es führe zu neuen “administrativen und bürokratischen Hürden”. Laut einer AHK-Umfrage unter deutschen Unternehmen haben 40 Prozent von 408 Firmen innerhalb der letzten zwölf Monate interne Management- und Überwachungssysteme eingerichtet, um die Datenbanken des Sozialkreditsystems im Blick zu halten und “sicherzustellen, dass nur korrekte Unternehmensinformationen in der Öffentlichkeit angezeigt werden”.

    Das Sozialkreditsystem folgt keinen einheitlichen Standards, so die Merics-Analyst:innen. Auf lokaler Ebene werde das System sehr unterschiedlich implementiert und es bestehe ein “großer Spielraum für lokale Entscheidungen”, die Möglichkeiten “für persönlichen Einfluss und Machtmissbrauch” bieten.

    Insgesamt sind 47 Institutionen in die Umsetzung und Gestaltung des Sozialkreditsystems involviert: Von Finanzregulatoren, über Aufsichtsbehörden der Lebensmittelsicherheit und des Umweltschutzes bis hin zu Verantwortlichen aus dem Bereich der Pandemieprävention. Der Staatsrat, die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission und die Zentralbank Chinas haben Führungsrollen in der Ausgestaltung inne. Auch auf lokaler Ebene wird mitentschieden: Ende letzten Jahres hielt der Staatsrat fest, dass lokale Behörden die Befugnis haben, ergänzende Regulierungen zu formulieren.

    In seiner derzeitigen Form sei das System ein “Regulierungsdschungel“, so die Analyst:innen von Merics. Tausende Regulierungsdokumente seien auf den Internetseiten von Ministerien und der Provinz- und Kommunalregierungen verteilt. Es mangelt an einheitlichen Standards.

    Zudem scheint das System in seiner derzeitigen Form kaum berechenbar zu sein. Was in einer Stadt zur Aufnahme auf eine schwarze Liste führt, hat in anderen Städten weniger strikte Bestrafungen zur Folge, so Merics. In einigen Städten reiche es schon aus, ein kleines Bußgeld nicht zu zahlen, um auf eine schwarze Liste zu kommen, auf der auch Unternehmen stehen, die Millionen-Kredite nicht zurückgezahlt haben. “Viele Kategorien von Regulierungsverstößen und gefördertem Verhalten sind trübe”, schreiben die Analyst:innen von Merics.

    Bessere Einschätzung von Geschäftspartnern

    Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftlerinnen benennen jedoch auch positive Folgen des Sozialkreditsystems. Das System sei “auf chinesische Privatfirmen ausgerichtet, da sie häufig mit Lokalbehörden ‘Seitenwege’ beschreiten oder den wahren Zustand ihrer Firma vernebeln”, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China. Man erwarte sich durch das Sozialkreditsystem “mehr Transparenz im Geschäftsumfeld über die Situation bei Konkurrenten, Lieferanten und Kunden”. Das System erlaube eine zusätzliche Einschätzung von Geschäftspartnern, so Wuttke. Doris Fischer berichtet von Dienstleistern, die “Unternehmensdaten aus dem Sozialkreditsystem kundengerecht zusammenstellen”. Vertrauensvolle Beziehungen und Due Diligence könne das jedoch nicht ersetzen.

    Ein weiterer Wirtschaftsvertreter sagt, das System werde sich eher auf das “wenig regulierte chinesische Unternehmensumfeld auswirken”. Man höre “von Regierungsseite regelmäßig, dass man als ausländisches Unternehmen doch regelkonform agiere” und sich kaum Sorgen machen brauche. Fischer ergänzt: Für internationale Firmen erweist es sich beim Sozialkreditsystem “als Vorteil, dass sie, was die Einhaltung von Regeln angeht, eher besser performen als chinesische Firmen“.

    Schon in seinem derzeitigen fragmentierten Zustand habe das System vereinzelt positive Auswirkungen, so eine Wirtschaftsstimme aus Peking. Man erhalte als regelkonformes Unternehmen eine schnellere Abfertigung beim Zoll und bei Finanzfragen.

    “Sehr relevant für zukünftiges Engagement in China”

    Laut AHK ist das Sozialkreditsystem “sehr relevant für das zukünftige Engagement der deutschen Wirtschaft in China“. Das System wandele Kontrollmechanismen des Marktes und des Rechtssystems in “ein nie dagewesenes Metasystem” um. Auch laut AHK könne das positive Folgen haben, indem das Vertrauen im Tagesgeschäft der Unternehmen erhöht wird. Das funktioniere jedoch nur, wenn die Transparenz des Systems erhöht werde, wenn also deutlich wird, wie Ratings zustande kommen und welche Folgen bestimmte Bewertungen nach sich ziehen. Sollte die Transparenz nicht erhöht werden, befürchtet ein Wirtschaftsvertreter aus Peking, dass neben dem Rechtssystem “ein zweiter Bestrafungsmechanismus aufgebaut” würde, der “vom chinesischen Staat oder Wettbewerbern benutzt werden könnte, um Einfluss zu nehmen”. Ebenso wird die Befürchtung geäußert, dass auch Ratings von Lieferanten in die Bewertung deutscher Unternehmen einfließen könnten, sollte das System in Zukunft so implementiert werden, wie es einmal erdacht war.

    Einige befragte Dax-Unternehmen mit Präsenz in China äußern sich, wenn überhaupt, sehr zurückhaltend zum Sozialkreditsystem. Der Tenor: Man warte ab, wie das System weiterentwickelt werde und erhofft sich einen konstruktiven Dialog mit der Politik und mehr Transparenz.

    Transparenz und Rechtssicherheit noch Jahre entfernt

    Peking ist der Mangel an einheitlichen Standards des Sozialkreditsystems bewusst. Die Behörden haben ein Social Credit Law angekündigt, um die Standards zu vereinheitlichen. Doch der gesetzgeberische Fortschritt sei langsam, so die Merics-Analyst:innen: “Es wird Jahre dauern, um die Rechtssicherheit und Transparenz zu verbessern“. Gleichzeitig erwartet Merics, dass die verantwortlichen Behörden die Reichweite des Sozialkreditsystems “orientiert an neuen politischen Prioritäten” erhöhen werden. Ausländische Unternehmen werden sich dementsprechend noch einige Jahre mit einem unklaren, aber wachsenden Sozialkreditsystem herumschlagen müssen.

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    Peking greift nach Jack Mas Medienbeteiligungen

    Als Alibaba vor fünf Jahren die Hongkonger Zeitung South China Morning Post übernahm, war die Aufregung in der chinesischen Sonderverwaltungszone groß. Das damals sowohl bei Hongkongern als auch in der ausländischen Business-Community vorherrschende Urteil lautete: Ma hat die traditionsreiche englischsprachige Zeitung vor allem übernommen, um Peking einen Gefallen zu tun.

    Alibaba würde das Blatt zu einer neuen China Daily machen, also einem Propagandainstrument der chinesischen Regierung. Spätestens der Ausbruch der Anti-Regierungsproteste machte jedoch deutlich, dass sich diese These nicht halten ließ. Wenn immer Hongkonger auf die Straße gingen, berichtete die South China Morning Post fundiert – und war damit auch eine wichtige Quelle für ausländische Journalisten, die das scharfe Vorgehen gegen die Demokratie-Bewegung verfolgten. 

    Nun sieht es so aus, als könnte der South China Morning Post der nächste Eigentümerwechsel bevorstehen. Und das hat laut Berichten von Bloomberg und des Wall Street Journals viel mit den jüngsten Spannungen zwischen Alibaba und Peking zu tun. 

    Spannungen mit Peking

    Trotz intensiver Verhandlungen scheint es Ma bisher nicht gelungen zu sein, das Eisen aus dem Feuer zu holen. Ganz im Gegenteil: es zeichnet sich der nächste Rückschlag für Alibaba ab. So werden Insider zitiert, die angeben, dass Peking über den großen medialen Einfluss des Internet-Giganten besorgt sei. Man fürchte, dass Alibaba seine umfassenden Medien-Verbindungen nutzen könnte, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. In China sind sämtliche Medien streng zensiert und unliebsame Beiträge werden routinemäßig von den Behörden aus den sozialen Netzwerken gelöscht.

    Die Aufsichtsbehörden seien “schockiert” über das Ausmaß der Alibaba-Beteiligungen, werden mit dem Vorgang vertraute Personen zitiert. Nun solle ein Plan ausgearbeitet werden, wie Alibaba seine Beteiligungen abstoßen kann. Es sei wahrscheinlich, dass eine Firma in Staatshand Anteile übernehmen wird. 

    Auch Weibo ist betroffen

    Zu den Medien-Assets von Alibaba zählen neben der South China Morning Post mehrere Internetportale, Fernsehproduktionsgesellschaften und soziale Medien. So hält Alibaba etwa eine 30-Prozent-Beteiligung an Weibo (dem Twitter Chinas) mit hunderten Millionen Nutzern. Auch ist Alibaba an der populären Video-Plattform Youku beteiligt. 

    Für Jack Ma scheinen die Turbulenzen kein Ende zu nehmen. Der Gründer des chinesischen Online-Giganten hatte Ende Oktober in einer Rede die chinesischen Regulatoren scharf kritisiert. Anfang November stoppten die Behörden dann plötzlich den geplanten Börsengang der Alibaba-Finanztochter Ant Group mit Verweis auf neue Regeln. Und Ma verschwand über Wochen aus der Öffentlichkeit. 

    Auch Monate später gibt es noch immer mehr Fragen als Antworten, wie es mit der Ant Group weitergehen wird. Aufgrund der neuen, verschärften Regulierungen, so vermuten Branchenkenner, dürfte sich der Börsengang von Ant bis mindestens 2022 verschieben. Die Bewertung des Unternehmens könnte um etwa 60 Prozent fallen – ausgehend vom Wert des vergangenen Jahres (280 Milliarden Dollar), schätzt Francis Chan, Analyst bei Bloomberg Intelligence.

    Restrukturierungsplan

    Ant und die chinesischen Aufsichtsbehörden haben sich zwar in groben Zügen auf einen Restrukturierungsplan geeinigt, der das in Hangzhou ansässige Unternehmen in eine Finanzholdinggesellschaft umwandeln soll. Damit wird es ähnlichen Kapitalanforderungen wie chinesischen Banken unterliegen. Doch innerhalb der Ant Group ist noch immer vielen unklar, wie die Strukturen in Zukunft aussehen soll. 

    Wie groß die Unruhe bei Ant in diesen Tagen ist, wurde vor eineinhalb Wochen deutlich, als die Belegschaft von einer neuen Hiobsbotschaft überrascht wurde. Nach nur etwas mehr als zwei Jahren im Amt kündigte Ant-CEO Simon Hu an, “aus persönlichen Gründen” zurückzutreten. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

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    USA und EU setzen bilateralen China-Dialog fort

    Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und US-Außenminister Antony Blinken haben sich bei einem Treffen in Brüssel auf eine Fortsetzung des bilateralen China-Dialogs verständigt. Damit solle “die gesamte Bandbreite der mit China “verbundenen Herausforderungen und Chancen” erörtert werden, hieß es in einem gemeinsamen Statement. Als Beispiele für mögliche Bereiche der Zusammenarbeit nannten sie Sicherheit, Klimawandel, Menschenrechte, Multilateralismus sowie Reziprozität, auch im wirtschaftlichen Bereich.

    Die Beziehungen zu China seien vielfältig, betonten Borrell und Blinken. Die Sitzungen im Rahmen des Dialogs sollen der Mitteilung zufolge auf hoher Beamten- und Expertenebene stattfinden. Man wolle auch zusammenarbeiten, “um sichere, nachhaltige, freie und offene maritime Versorgungswege und Lieferketten zu fördern”. Der Schutz der Menschenrechte und die Einhaltung des Völkerrechts seien wichtig für die Stabilität und den Wohlstand des Indopazifiks, fügten Blinken und Borrell an.

    Der bilaterale transatlantische China-Dialog zwischen der EU-Kommission und dem US-Außenministerium ist noch relativ jung. Er wurde erst im vergangenen Jahr eingeführt. Zuletzt hatte ein Austausch zwischen USA und EU im Rahmen des Gesprächsformats zwischen Borrell und Blinkens Vorgänger Mike Pompeo im vergangenen Oktober stattgefunden. Blinken traf im Laufe der Woche auch EU-Außenminister:innen und Nato-Vertreter:innen. ari

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    Keine Positionierung von EU-Rat zu Sanktionen erwartet

    Chinas Sanktionen gegen mehrere europäische Politiker:innen, Organisationen und Wissenschaftler:innen stehen beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschef:innen heute nicht auf der Agenda. Jede:r Staats- oder Regierungschef:in könne jedoch selbst einzelne Themen ansprechen, die nicht offiziell auf der Tagesordnung stehen, hieß es aus deutschen Regierungskreisen vor der virtuellen Begegnung. Es werde nicht gesehen, dass der EU-Rat “dazu unbedingt Position einnehmen” müsse. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hatte nach den Sanktionen aus Peking betont, das Thema müsse “im europäischen Kontext weiter aufgegriffen” werden. Die EU-Staats- und Regierungschef:innen werden demnach auch mit US-Präsident Joe Biden sprechen.

    Geplant ist auch, dass der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell seinen Fortschrittsbericht zur China-EU-Strategie präsentieren wird. Borrell hatte am Montag nach Bekanntgabe der Sanktionen gesagt, dass diese nun “eine neue Atmosphäre, eine neue Situation” geschaffen hätten. Ob es deshalb vor der Vorstellung noch Änderungen an dem Bericht gab, teilte der Europäische Auswärtige Dienst nicht mit.

    Das Europäische Parlament drückte gestern zum Auftakt seines zweitägigen Plenums seine Unterstützung für die betroffenen EU-Abgeordneten aus. Sowohl EU-Parlamentspräsident David Sassoli als auch EVP-Fraktionschef Manfred Weber stellten sich hinter die sanktionierten EU-Parlamentarier:innen, darunter zwei deutsche Politiker. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Philippe Lamberts, forderte, dass die Sanktionen aus China auch Thema im EU-Rat sein müssten. Die Staats- und Regierungschef:innen müssten mit Biden über einen US-EU-Ansatz gegenüber China sprechen, so Lamberts.

    China hatte am Montag elf Europäer:innen und vier europäische Organisationen mit Sanktionen belegt. Die EU hatte zuvor gegen vier chinesische Beamte und eine chinesische Organisationen Strafmaßnahmen wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verhängt. Die diplomatische Eskalation führte auch zur Vorladung chinesischer Botschafter in mehreren EU-Hauptstädten. Das chinesische Außenministerium verurteilte die Vorladungen laut Staatsmedien als “unvernünftige Maßnahmen”. ari

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    Xinjiang: H&M wegen alter Stellungnahme im Kreuzfeuer

    Das schwedische Mode-Unternehmen H&M sieht sich wegen einer alten Stellungnahme zu Vorwürfen der Zwangsarbeit in der Baumwoll-Lieferkette in Xinjiang einem Sturm der Entrüstung auf chinesischen Social-Media-Kanälen ausgesetzt. Schon im Frühjahr 2020 hatte der Modekonzern nach NGO-Berichten über Menschenrechtsverletzungen mitgeteilt, er sei “sehr besorgt über die Vorwürfe zu Zwangsarbeit” und dass er keine Produkte aus Xinjiang beziehe, wie Reuters berichtet. Unklar ist, warum die H&M-Aussage nun erneut für große Aufregung sorgt.

    Auf Weibo gab es Boykott-Aufrufe. Der Kommunistische Jugendverband Chinas schrieb laut Reuters: “Gerüchte verbreiten, um Xinjiang-Baumwolle zu boykottieren, während man gleichzeitig in China Geld verdienen will? Wunschdenken!” Selbst die Volksbefreiungsarmee habe die alte H&M-Stellungnahme auf einem ihrer Weibo-Kanäle “unwissend und arrogant” genannt, wie Bloomberg berichtet.

    China ist für H&M der viertwichtigste Absatzmarkt. Nach Angaben von Reuters lag der Umsatz zwischen November 2019 und 2020 bei fast 340 Millionen US-Dollar. In den letzten Monaten sahen sich westliche Modeunternehmen wiederholt der Kritik ausgesetzt, Baumwolle aus Xinjiang zu beziehen.

    Erst am Montag hatten die EU, USA, Großbritannien und Kanada Sanktionen gegen chinesische Beamte und Organisationen ergriffen, denen sie Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang vorwerfen. Peking antwortete prompt mit Gegensanktionen. nib

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    Containerriese blockiert Suezkanal

    Ein Containerschiff ist auf seinem Weg von China nach Europa im Suezkanal auf Grund gelaufen. Der 400 Meter lange und 59 Meter breite Frachter “Ever Given” der Reederei Evergreen blockierte den Kanal vollständig. Das Schiff gehört zu den größten Containerschiffen der Welt. Wie lange die Bergung dauern würde, war am Mittwoch noch unklar. Am Mittwochabend warteten schon 185 Schiffe darauf, den Kanal zu durchqueren. Ursache des Unfalls war ein Sandsturm, der zu schlechter Sicht und hohen Windgeschwindigkeiten führte, gibt Bloomberg die Suezkanal-Behörde wieder.

    Etwa zwölf Prozent des Welthandels müssen durch den Suezkanal, ebenso wie circa eine Million Barrel Erdöl pro Tag. Im letzten Jahr passierten fast 19.000 Schiffe den Kanal, durchschnittlich 51,5 pro Tag, wie tagesschau.de berichtete. Holger Lösch, der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer, sagte: “Die Situation im Suezkanal verschärft die angespannte Lage im internationalen Container-Seeverkehr. Zentrale Lieferketten geraten aufgrund mangelnder Container, unpünktlicher Schiffe und fehlender Transportkapazität ins Stocken”. Der Frachter war Anfang März in Ningbo gestartet, das Ziel ist der Hafen in Rotterdam. nib

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    Standpunkt

    Chinas Aufstieg ist alles andere als gewiss

    Von Gerhard Hinterhäuser
    Gerhard Hinterhäuser schreibt hier zu Chinas Aufstieg

    China meint von Sieg zu Sieg zu eilen. So scheint Chinas Aufstieg nicht fern. Es hat die Coronavirus-Pandemie besser bewältigt als der Westen und knüpft geradezu nahtlos an die alte Wachstumsdynamik an. Letztes Jahr hat es mit Nachbarn aus der Region die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), die größte Freihandelszone der Welt, beschlossen und mit der EU das umstrittene CAI unterzeichnet. Über die Belt and Road Initiative breitet China seinen Einfluss konsequent bis nach Europa hinein aus.

    Bei neuen Technologien hat sich Peking ganz nach vorne gearbeitet. Es investiert immer größere Beträge in seinen militärischen Apparat und nutzt diese Macht vermehrt zur Durchsetzung seiner Interessen. Nationen, die sich China widersetzen, werden durch ökonomische Sanktionen und andere Maßnahmen empfindlich bestraft. Australien und Kanada sind nur die jüngsten Beispiele.

    Ausdruck chinesischer Hybris?

    Die Vorstellung, dass China zur führenden Macht des 21. Jahrhunderts heranwächst, während der Westen seine besten Tage hinter sich hat, gewinnt immer mehr Anhänger. Präsident Xi ist von der Mission beseelt, die “große Erneuerung der chinesischen Nation” herbeizuführen und wähnt sich von der Historie begünstigt. Die Regierung in Peking und seine Medien propagieren das Narrativ des unweigerlichen Aufstiegs Chinas mit Nachdruck, denn je mehr daran geglaubt wird, desto so höher die Wahrscheinlichkeit, dass es Realität wird.

    Ist der Aufstieg Chinas tatsächlich so unaufhaltsam oder ist dieses Narrativ Ausdruck chinesischer Hybris? Unterschlägt es nicht ganz offensichtliche Schwächen des chinesischen Systems? Sind wir naiv, wenn wir China Glauben schenken?

    Für eine richtige Kalibrierung unserer Chinapolitik ist es erforderlich, Licht und Schatten zu erkennen und richtig einzuschätzen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir entweder in einen unnötigen Alarmismus verfallen oder uns der chinesischen Herausforderung nicht mit ausreichender Kompetenz und Engagement stellen

    Im vergangenen Jahrzehnt ist in China eine Gemengelage entstanden, die durchaus explosiv ist und der die Regierung höchste Aufmerksamkeit erteilt.

    Innen- und außenpolitische Spannungen

    Außenpolitisch ist es um China immer einsamer geworden. Der jüngsten Umfrage des Pew Research Centers zufolge hat das Ansehen Chinas in den letzten Jahren weltweit erheblich gelitten. Der “demokratische Westen” schickt sich an, gemeinsame Strategien zu entwerfen, um der chinesischen Herausforderung entgegenzutreten. Dies wird den Handlungsspielraum Chinas in der Welt einschränken. Angesichts der geopolitischen Ansprüche Chinas gibt es immer lautere Warnungen vor dem Ausbruch militärischer Konflikte.

    Einsichten in die innenpolitischen Verhältnisse sind naturgemäß sehr beschränkt, es wird aber immer wieder auf weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem rigiden Kurs der Regierung hingewiesen. Die Abschaffung der Amtszeitbegrenzung für den Präsidenten hat nicht nur das Ausland überrascht. Die konsequente Unterordnung aller Gesellschaftsbereiche durch die KP Chinas nimmt vorher bestehende Freiheiten zurück und die harten Kampagnen gegen Feinde der politischen Führung provozieren Widerstand.

    Überkapazitäten, Immobilienblase, demografische Bombe

    In wichtigen Sektoren der Wirtschaft gibt es ausufernde Überkapazitäten. In der Stahlindustrie wurden Kapazitäten von 1,2 Mrd. Tonnen pro Jahr aufgebaut bei einer geschätzten nachhaltigen Nachfrage von 400 Millionen Tonnen. Auch weitere Branchen der chinesischen Wirtschaft leiden an Überkapazitäten. Gleichzeitig ist die Verschuldung über alle Sektoren auf mehr als 300 Prozent des Bruttosozialprodukts angestiegen, was den IWF veranlasst hat, vor erheblichen Verwerfungen zu warnen. Es macht das Wort vom “roten Ponzi” die Runde.

    Der Immobilienmarkt, der direkt und indirekt einen Anteil von 30 Prozent am BSP hat, wird als die größte Blase in der Geschichte bezeichnet. Es sollen mehr als 100 Millionen Wohneinheiten leer stehen – Wohnraum für mindestens 300 Millionen Menschen einer rasch schrumpfenden Bevölkerung.

    Die demografische Entwicklung stellt eine weitere enorme Herausforderung dar. Die Bevölkerung wächst nicht mehr. Waren 2010 noch 70 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, so wird diese Zahl bis 2050 auf 54 Prozent sinken. Ein erwerbstätiger Chinese muss dann für einen “Abhängigen” sorgen – 2010 waren es noch zwei Erwerbstätige. Der Anteil der über 60-jährigen wird sich bis 2050 verdreifacht haben und mehr als 30 Prozent der Bevölkerung betragen. China läuft Gefahr, alt zu sein, bevor es reich geworden ist.

    Chinas Aufstieg zum Hocheinkommensland nicht gewiss

    Zwar hat die Regierung bisher eine hohe Fähigkeit bewiesen, anstehende Probleme zu bewältigen und es wäre ein Fehler, China zu unterschätzen. Der unausweichliche Aufstieg Chinas an die Weltspitze ist jedoch mit erheblichen Fragezeichen versehen und wir brauchen uns von den immer neuen Erfolgsschlagzeilen nicht blenden zu lassen. In der Tat gibt es historisch nur wenige Länder, die es geschafft haben, der “Middle Income Trap” zu entkommen und ob China dazugehören wird, sei dahingestellt (China.Table berichtete).

    Die Vision von China als der neuen Macht des 21. Jahrhunderts mag zukunftsweisend klingen. Sicher ist, dass wir China als Wettbewerber und systemischen Rivalen ernst nehmen und in Zukunft mit vermehrter Kompetenz und Aufmerksamkeit entgegentreten müssen. Gleichzeitig aber haben wir in der Begegnung mit dem Land allen Anlass zu gutem Mut und Selbstvertrauen. Es sind die Gesellschaften der westlichen Wertegemeinschaft welche – bei aller Kritik – die einzigartigen zivilisatorischen Errungenschaften der modernen Zeit hervorgebracht haben. Es wird für das heutige China nicht einfach sein, sich als entsprechende Alternative zu etablieren.

    Dr. Gerhard Hinterhäuser ist Partner bei der Unternehmensberatungsgesellschaft Bingmann Pflüger International. Er lebt in Asien und Deutschland und war von 2006 bis 2014 Mitglied der Geschäftsführung der staatseigenen Firma PICC Asset Management Co. Ltd. in Shanghai.

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    Clemens Treter

    Clemens Treter, Leiter des Goethe-Instituts in Peking
    Leiter des Goethe-Instituts in Peking

    Seit mehr als 30 Jahren bereichert das Goethe-Institut das Kulturleben in Peking und anderen chinesischen Städten. Für Performance- und Theater-Aufführungen, Ausstellungen und Filmabende eröffnete es zusätzlich zum Haupthaus 2015 im Pekinger Kunstviertel 798 einen vielseitig nutzbaren Kulturort, auf den Institutsleiter Dr. Clemens Treter hörbar stolz ist. “Wir zeigen experimentelle, aber auch themenorientierte Werke zu Fragen der Gegenwart”, sagt der 49-Jährige. “Durch das Kulturabkommen genießen wir einen gewissen Schutz und sind in unseren eigenen Räumen unabhängig von einem Genehmigungsprozess. Somit haben wir mehr Freiheiten als die restliche Kulturszene in China und bietet einheimischen Künstlern die Gelegenheit, ihre Arbeiten abseits des kommerziellen und politischen Drucks zu zeigen.”

    Seit 2016 leitet der Sinologe das Goethe-Institut in China. Für Kulturen, Film und Sprachen interessierte er sich bereits während des Abiturs und des Zivildiensts. Das Buch “China und die Hoffnung auf Glück” von Wolfgang Bauer beeindruckte ihn nachhaltig, so dass er bei dem renommierten China-Experten in München studierte. Dort lernte er auch seine Frau kennen, die aus Nanjing stammt und zum Studium in Deutschland war.

    Nach beruflichen Stationen an der Universität und bei einem Beratungsunternehmen fing Clemens Treter Ende 2004 beim Goethe-Institut an. “Meine Arbeit ist für mich eine interessante Kombination aus kulturellen Fragestellungen und praktischer Umsetzung”, sagt er. 2005 bis 2010 war er als stellvertretender Leiter bereits am Goethe-Institut in Peking und kehrte dorthin nach Einsätzen in München und Taipeh zurück. Auch während der Pandemie blieb er mit seiner Frau und zwei Kindern in der Millionenmetropole. Weihnachten 2019 war Clemens Treter das letzte Mal in Deutschland.

    Die Pandemie bedeutet auch für das Goethe-Institut in China einen Digitalisierungsschub. “Unsere Deutsch-Kurse laufen noch online”, erläutert Clemens Treter. Auch wenn Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind, wird diese Option beibehalten, ist er überzeugt. Auch im Kulturaustausch hat sie sich bewährt.

    Gut 80 Prozent der Lernenden sind Studierende, die Deutsch für ihre berufliche Karriere brauchen. “Es gibt aber auch noch eine Gruppe von Leuten, die noch eine zweite oder dritte Fremdsprache erlernen möchten”, weiß Clemens Treter. Auch in der Spracharbeit ist es dem Goethe-Institut ein Anliegen, ein zeitgemäßes Deutschland-Bild zu vermitteln.

    Für vier bis sechs Jahre werden die Leitungsposten am Goethe-Institut üblicherweise vergeben. “Das ist auch wichtig”, sagt Clemens Treter. “Denn jeder bringt wieder neue Impulse mit, wenn es um die Kulturarbeit geht.” Was nach Peking kommt, weiß Clemens Treter noch nicht. Beim Goethe-Institut möchte er aber auf jeden Fall bleiben, auch wenn das einen Abschied von China bedeuten würde. Judith Jenner

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    Dessert

    Xie Xiaozhen, eine 76 Jahre alte US-chinesische Großmutter, die eine rassistische Attacke abwehrte, wird im Netz für ihren Mut gefeiert – und spendet für sie gesammeltes Geld an die US-asiatische Gemeinschaft, um Anti-Rassismus-Projekte zu fördern.

    Xie wurde Medienberichten zufolge vergangene Woche in San Francisco von einem Mann angegriffen. Die 76-Jährige wehrte sich und schlug den Angreifer mit einer Holzlatte. Der Mann hatte Xie demnach vor der Attacke rassistisch beschimpft. Xie erlitt Verletzungen am Gesicht. Ein Video, das in den sozialen Medien verbreitet wurde, zeigte die Frau kurz nach dem Angriff mit einem Eisbeutel, um ihre Verletzungen zu kühlen.

    Die Familie von Xie sammelte Geld, um die medizinische Behandlung zu bezahlen – die GoFundMe-Kampagne erlebte aber so viel Zuspruch, dass mittlerweile fast eine Million US-Dollar zusammengekommen sind. Die Familie erklärte auf der Homepage der Kampagne, dass das Geld an die US-asiatische Community gespendet werde, um Rassismus zu bekämpfen. Der 76-Jährigen gehe es mittlerweile wieder besser: “Sie ist jetzt wieder optimistisch und in besserer Stimmung. Sie sagte, wir dürfen uns dem Rassismus nicht beugen”, schrieb der Enkel Xies.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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