Table.Briefing: China

Scheidungsraten + Ski-Industrie + Fußball + Xinjiang + Seltene Erden + Covid-19 + Jean-Louis Rocca

  • Ehe und Familie: Ein Auslaufmodell
  • Olympia forciert Wachstum der Ski-Industrie
  • Das Ziel zur Fußballweltmacht zu werden hilft vorerst nur den Ausländern
  • Xinjiang – Außenminister erhöhen Druck auf UN
  • Peking will Förderung Seltener Erden ausbauen
  • Gree: Nachfolge für Dong Mingzhu offen
  • Lee Jong-Wha: Wird Ostasien als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen?
  • Im Portrait: Jean-Louis Rocca
Liebe Leserin, lieber Leser,

auf Chinas Frauen wird zu achten sein. Sie sind in zunehmender Zahl sehr gut ausgebildet und schneiden sich mit gut bezahlten Jobs ihre persönliche Scheibe aus dem Wohlstandskuchen der aufstrebenden Wirtschaftsmacht heraus. Wie im Westen, so entfliehen sie auch in China traditionellen Rollenbildern. Sie brauchen zum Überleben keine männlichen Versorger, hinterfragen kritisch das Dasein als Mutter und begehren gegen häusliche Gewalt auf. Ning Wang schaut in die Veränderungen des chinesischen Familienbildes und beobachtet eine (männliche) Führungselite, die die politischen Folgen des gesellschaftlichen Wandels wohl erkennt – diesen aber mit teils skurrilen Methoden aufzuhalten versucht.

Bleiben wir noch einen Moment beim Thema: Was verbindet den FC Bayern und den VfL Wolfsburg? Beide haben ein starkes Frauenfußballteam – und beide sind stark in China vertreten. Gregor Koppenburg und Jörn Petring beschreiben eine begeisterte Fußballnation, die ausländischen Clubs satte Geschäfte bringt – aber bis heute darunter leidet, dass die einst vom Staatsführer Xi ausgegebene Losung, China zur Fußballweltmacht zu kicken, keine Früchte tragen will.

Na wenigstens die Frauen treffen das Tor – und schafften es immerhin schon bis zum Fußball-Vizeweltmeister.

Ihre
Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Presseschau

Analyse

Ehe und Familie: Ein Auslaufmodell

Das Phänomen kennt man wohl überall auf der Welt: Wenn die Nähe der Partner in einer Ehe zu groß wird, dann ist das Ende nah. Auch in China ist das so, wie Li Jie, ein Scheidungsanwalt aus Peking, in diesen Monaten beobachtet. Besonders, nachdem Paare wochen- oder gar monatelang zu Hause im Lockdown sind, belastet durch Home Office und Kinderbetreuung, nimmt die Zahl der Anträge bei den örtlichen Scheidungsbehörden spürbar zu. In den Provinzen Xian, Hunan oder Sichuan etwa war der Andrang im vergangenen Frühling, direkt nach den gelockerten Lockdowns, so stark, dass Bilder von langen Warteschlangen vor den Scheidungsämtern die Runde machten.

Doch nicht erst seit der Corona-Pandemie nimmt die Zahl der Scheidungsanträge in China zu. In den vergangenen vierzig Jahren ist die Zahl der geschlossenen Ehen stetig zurückgegangen, während die Zahl der Scheidungen wächst, schrieb die Journalistin Xu Jingjing in einem Beitrag im Wochenmagazin Sanlian Lifeweek, auf der Suche nach der Frage: Gibt es die ideale Ehe noch? Sie kommt zu dem Fazit: “Ehen sind ein Problem geworden”. Denn die meisten jungen Menschen in den Städten sehen etwa die Geburt von Kindern nicht mehr als notwendige Option im Leben und selbst eine Entscheidung für Kinder bedeutet nicht notwendigerweise, dass vorher geheiratet werden muss.

Die Bloggerin und Geschäftsfrau Hong Ling ist frisch geschieden, sie hat eine Tochter im Grundschulalter, aber überlegt für die künftige Familienplanung ihre Eizellen in Thailand einfrieren zu lassen. Kennengelernt hat sie ihren Mann an der Uni, die letzten Jahre hat sie den Hauptteil des Einkommens für Miete, Schulgeld und Essen verdient und er hat sich dafür immer mehr um die Kinderbetreuung und den Haushalt gekümmert. “Es gab keine Intimität mehr, wir hatten uns immer weniger zu sagen”, erzählt sie und fügt noch hinzu, dass sie schon lange nicht mehr glücklich miteinander waren, den Vorschlag sich scheiden zu lassen, hat sie dann vor gut einem Jahr gemacht.

74 Prozent der Anträge kommen von Frauen

Zhou Qiang, Chinas ranghöchster Richter, wies in einer Rede an der Tsinghua Universität in Peking schon im November 2019 darauf hin, dass rund 74 Prozent der Scheidungen, die vor Gericht verhandelt werden, von Frauen beantragt werden und entgegen der landläufigen Meinungen, dass die meisten Paare im verflixten siebten Jahr der Ehe auseinandergehen, trennen sich die meisten Paare in China schon drei Jahre nach der Hochzeit.

Bei einer Scheidungsrate, die mittlerweile bei knapp 40 Prozent liegt und denen der westlichen Länder gleichkommt (2019 lag die Scheidungsrate in Deutschland bei 35,8 Prozent), zeigt sich die Komplexität der Frage. Wurden 2003, als das Ehegesetz in China liberalisiert wurde und sich Paare im Einvernehmen scheiden lassen konnten, gerade mal 1,3 Millionen Ehen in der Volksrepublik geschieden, lag die Zahl der geschiedenen Ehen schon vor dem Coronavirus im Jahr 2019 bei über vier Millionen.

Und erst vor einigen Wochen waren die Warteschlangen vor den Scheidungsämtern wieder so lang, dass mit den Wartenummern sogar Geld verdient wurde. So berichtete die Staatszeitung Global Times, dass nachdem über Sina Weibo bekannt wurde, dass in der südchinesischen Metropole Guangzhou bis zum 1. März keine Termine mehr für Scheidungen zu bekommen sind, Zwischenhändler für 600 Yuan (umgerechnet 76 Euro) einen Platz im Online-Reservierungssystem anboten.

Grund für den neusten Andrang, um den Bund fürs Leben aufzulösen, war eine Ankündigung aus Peking, die Paaren seit dem ersten Januar dieses Jahres vorschreibt, sich in eine 30-tägige sogenannten Bedenkzeit zu begeben, bevor sie die Scheidung beantragen dürfen.

Häusliche Gewalt nimmt zu

Der Aufschrei, der durch die sozialen Medien ging, war groß. Auf Weibo war es eines der Topthemen und wurde über 25 Millionen Mal mit dem Hashtag “gegen die Bedenkzeit für Scheidungen” geteilt. Nutzer sahen sich in ihrer privaten Entscheidungsfreiheit gegängelt, aber auch Anwälte und vor allem Frauen sahen in dem neuen Gesetz eine zusätzliche Hürde für Frauen, die ihrer Ehe entfliehen wollen.

Häusliche Gewalt ist dabei einer der Gründe, der in den Vordergrund tritt: In China wird durchschnittlich alle 7,4 Sekunden eine Frau von ihrem Ehemann geschlagen. Ungefähr 30 Prozent der Frauen in 270 Familien hätten laut veröffentlichen Daten der All China Women`s Federation häusliche Gewalt erlebt und 60 Prozent der jährlichen Selbstmorde bei Frauen gehen auf häusliche Gewalt zurück, so die Staatszeitung Global Times. So soll es nun für Fälle, wonach als Scheidungsgrund häusliche Gewalt angeführt wird, keine verpflichtende Bedenkzeit von 30 Tagen geben. Deutlich senken wird die neu eingeführte Bedenkzeit die Zahl der Scheidungen wohl nicht, es wird die Trennungen bestenfalls verzögern.

Jedoch stellt nicht nur die Zahl der Scheidungen für Peking ein Problem dar, auch die Zahl der Frauen und Männer, die noch heiraten möchten, ist rapide zurückgegangen. Gerade die “wirtschaftliche Genossenschaft” und die “Geburtengemeinschaft” der traditionelle Kern der Ehe, ist laut Chen Jiyun, Soziologe an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, nicht mehr notwendig, seitdem die meisten jungen Menschen ihr eigenes Geld verdienen und sich angesichts der steigenden Lebens-, Bildungs- und Wohnkosten mit der Familienplanung Zeit lassen.

Soziologen wie Chen sehen das Problem auch durch die chinesische Ein-Kind-Politik verursacht. Die Folge ist nicht nur eine geringere Zahl junger Menschen, auch das Geschlechterverhältnis ist ungleich verteilt. So wurden im Jahr 2019 immer noch 114 Jungen auf 100 Mädchen geboren. Es besteht also ein Männerüberschuss, sodass viele Männer keine Partnerin zum Heiraten finden. Und die Frauen, zumindest in den Städten, sind immer besser ausgebildet und wollen nicht nur einen “Versorger”, sondern auch die große Liebe finden.

Laut Daten des chinesischen Statistikamts ist zwischen 2013 und 2019 die Zahl der heiratswilligen Chinesen, die zum ersten Mal eine Ehe eingehen, um 41 Prozent gesunken.

Wie wichtig die Ehe auch als Grundlage für die Geburtenrate gesehen wird, zeigen die jüngsten Zahlen des Ministeriums für öffentliche Sicherheit in Peking, wonach die Zahl der Geburten im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent zurückgegangen ist. Gerade einmal zehn Millionen Kinder wurden 2020 zur Welt gebracht. Obwohl es im Jahr davor noch 11,8 Millionen Babys waren, war dies der tiefste Stand seit der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949.

Blind-Dates durch die Jugendliga

Auch der Vorschlag von Delegierten des Nationalen Volkskongresses, das Mindestalter für Eheschließungen für Männer von 22 Jahren und für Frauen von 20 Jahren auf 18 zu senken, erntete viel Spott. Denn der soziale und finanzielle Druck wird sich auch nicht durch laxere Altersgrenzen in Luft auflösen. So setzt die Partei nun auf eine eigene Jugendabteilung, die Jugendliga. Sie veranstaltet Blind-Dates, um den Singles bei der Suche nach Lebenspartnern unter die Arme zu greifen.

  • Frauen
  • Gesellschaft

China lernt Skifahren

Am 4. Februar 2022 sollen Olympische Winterspiele in Peking beginnen. Die Vorbereitungen laufen nach Plan, heißt es von offizieller Seite. Die zwölf geplanten Wettkampfstätten seien fertiggestellt, melden die Staatsmedien. Sorgen, dass die Corona-Pandemie bis zum Start noch nicht durchgestanden sein könnte und lange Quarantänemaßnahmen für die Sportler und Gäste nötig werden, sind derzeit noch kein Thema. Von Boykotten ganz zu schweigen.

Das ehrgeizige Ziel: Das ganze Land soll zur Wintersport-Nation werden, die Zahl der Wintersportler soll auf rund 300 Millionen ansteigen und den Konsum ankurbeln. Rund 800 Skigebiete sollen gebaut werden. Die größten chinesischen Skigebiete liegen nur drei Autostunden oder 45 Minuten per Zug nördlich von Peking um die Stadt Chongli herum. Seit der Vergabe der Winterspiele im Jahr 2015 ist die Zahl chinesischer Pistenausflügler von 12,5 Millionen auf 20,9 Millionen im Jahr 2019 angestiegen, das entspricht einem Wachstum von gut 67 Prozent. 

Olympische Winterspiele obwohl keine Wintersport-Nation

Das Beratungs- und Service-Unternehmen SnowHow China aus Südtirol hat jüngst eine Studie zu den Perspektiven der Industrie veröffentlicht. SnowHow China will Ski-Enthusiasten aus den Alpen und China zusammenbringen. Herman Winkler, der CEO und Gründer, geht davon aus, dass es “bereits 2022/23 rund 40 bis 50 Millionen Skibesuche geben wird.” Winkler hat über zehn Jahre in China gelebt, unter anderem war er Vizepräsident für Swarowski Asia und hat Snow51 mitbegründet, Chinas größte Indoor-Teppich-Skischule. “Mit dieser Zahl wäre China schon eine der führenden Skinationen und hätte einen Marktanteil von zehn Prozent an der globalen Skiindustrie.” Das wären dann erst drei Prozent der Bevölkerung. Und damit “nur die Spitze des Eisbergs.” 

Das klingt etwas realistischer als die offiziell prognostizierten Zahlen. Denn China ist noch keine traditionelle Wintersport-Nation. Bei den vergangenen Spielen im südkoreanischen Pyeongchang 2018 kam China nur auf Platz 16 im Medaillenspiegel. “80 Prozent der chinesischen Skifahrer sind Anfänger, die den Ski-Sport eher als Lifestyle denn als übungsintensiven Sport begreifen”, sagt John Yang, ehemaliger CEO beim Wintersportartikelhersteller Descente China, in der Studie. Und sie kommen vor allem aus der wachsenden, zahlungskräftigen Mittelschicht.

Nachfrage für professionelle Ausrüstung steigt

Derzeit werden im Reich der Mitte pro Jahr rund 290 Milliarden Euro mit Sportartikeln umgesetzt. Bis 2025 soll sich dieser Wert verdreifachen, da immer mehr Wintersport-Newcomer eine professionelle Ausstattung wollen. Chinesische Unternehmen wie Anta Sports, aber auch westliche Player, wie Columbia Sportswear und North Face, wollen die Chance nutzen. Frederic Guiral de Haas, China-Chief der Outdoor-Bekleidungsmarke Jack Wolfskin, bezeichnet China gar als “the new frontier”. “Der Ehrgeiz der Regierung, den Wintersport zu entwickeln, erzeugt eine enorme Dynamik”, so Haas. Inländische Marken machen “auf dem chinesischen Wintersport-Bekleidungsmarkt bislang nur etwa 30 Prozent aus”, betont Winkler von SnowHow China.

Aber auch Seilbahnbauer wie die Vorarlberger Firma Doppelmayr oder der Schneekanonenhersteller Technoalpin aus Bozen hatten durch die Winterspiele in China bereits volle Auftragsbücher. “Ich sehe nicht, dass der Wintersportboom in China bald aufhört”, erklärt Jakob Falkner, CEO der Sölden Lift Company. 

Andere sind da schon skeptischer: “Für einen echten Boom im chinesischen Wintersport kommen die Winterspiele leider acht Jahre zu früh”, glaubt Paul Bojarski, CEO der Skigebietsentwicklungsfirma MAS, der lange Zeit als Berater in China tätig war. Skifahren in China bleibe trotz olympischer Anstrengungen bis auf Weiteres auf einem Entwicklungsniveau wie die Industrie in den späten 50er- oder frühen 60er-Jahren in Europa. “Für einen Boom müssten die Gehälter steigen”, so Bojarski. “Das tun sie auch, aber eben nicht so schnell wie die Industrie das wünscht”, kommentiert Winkler

Ski-Tourismus boomt – auch im Ausland

Während die Olympischen Spiele 2008 vor allem eine Gelegenheit waren, sich als moderne Weltmacht zu präsentieren, “möchte Peking die kommenden Winterspiele nutzen, um die Infrastruktur kleinerer Städte auszubauen und den Tourismus weiter anzukurbeln, der momentan nur etwa fünf Prozent des GDP ausmacht”, so Winkler. Zwischen Peking und einem wichtigen Austragungsort, Zhangjiakou, ist etwa für umgerechnet acht Milliarden Euro eine neue Bahnlinie entstanden, die die Reisezeit zwischen den beiden olympischen Städten von mehr als drei Stunden auf nur 45 Minuten verkürzt. Eine neue Autobahn wurde vergangenes Jahr ebenfalls fertiggestellt, um die strukturschwache Region zu unterstützen. 

“Doch die chinesische Skiindustrie ist für uns Europäer nicht nur in China interessant”, betont Winkler. Die Übernachtungen und Ausgaben chinesischer Touristen haben auch in alpinen Ländern in den vergangenen Jahren stetig angezogen. In der Schweiz stiegen die chinesischen Übernachtungen innerhalb von fünf Jahren um 50 Prozent auf 1,7 Millionen (2018). Die Webseite der nationalen Tourismus-Marketingorganisation My Switzerland  listet 14 Ressorts, die Ski-Unterricht in chinesischer Sprache anbieten. “Was mich zuversichtlich stimmt, ist die Geschwindigkeit, mit der die Leidenschaft für den Wintersport in China in nur wenigen Jahren gewachsen ist”, sagt Simon Bosshart, Direktor der Asien Pazifik & Global Accounts von Switzerland Tourism. “Unsere größten Ski-Ressorts verzeichnen eine wachsende Zahl chinesischer Gäste.” Auch Österreich ist in den vergangenen Jahren ein bedeutendes Land für den Wintertourismus aus China geworden: Im Winter 2018/19 verzeichnete Österreich 20,39 Millionen Touristenankünfte, wovon immerhin 344.200 (6,9 Prozent) aus China kamen. Wichtig, so Winkler, sei es, dass sich die alpine Ski-Industrie noch besser auf die neuen Kunden einstellt: “Chinesische Skifahrer haben viel Geld und wenig Zeit.”

  • Kultur
  • Olympia
  • Sport

Parteiauftrag: Tore schießen!

Wer sich dem Campus der Evergrande School in der Nähe der südchinesischen Metropole Guangzhou nähert, erkennt schon aus der Ferne, was sich die Akademie zum höchsten Ziel gesetzt hat. Vor dem Eingangstor steht ein mehrere Meter hohes Abbild des goldenen WM-Pokals.

Mit seinen Glockentürmchen und mittelalterlichen Dachspitzen sieht das größte Fußball-Internat der Welt so aus, als hätten Walt Disney und Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling gemeinsam ein gewaltiges Schloss in die Außenbezirke Guangzhous gebaut. Auf dem Campus gibt es neben einem großen Stadion 50 Plätze, auf denen in guten Jahren schon bis zu 2800 Schüler täglich trainierten.

Bereits 2012  gründete der chinesische Immobilien-Milliardär Xu Jiayin die Fußballschmiede. Er wollte Schluss machen mit einem Umstand, der seine Seele und die Millionen chinesischer Fans quält. Trotz einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen schafft es das Land nicht, elf Männer aufzutreiben, die Fußball auf Weltklasseniveau spielen. 

China nur auf Platz 75

Chinas Herrenmannschaft rangiert in der Fifa-Weltrangliste auch Jahre später auf Platz 75, hinter den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kanada und nur einen Platz vor Syrien. Das Niveau des chinesischen Fußballs ist so niedrig, dass die Chinesen lieber die deutsche und englische Liga im Fernsehen schauen. “Arsenal”, “Bayern”, “Barcelona” lauten meistens die Antworten, wenn man junge Leute in Peking auf der Straße fragt, für welchen Verein ihr Herz schlägt.

Deutsche Fußballvereine wie der FC Bayern und der VfL Wolfsburg sind längst in China vertreten. Die Münchener haben nach eigenen Angaben mehr als 100 Millionen Fans im Reich der Mitte. Die Entscheidung, vor vier Jahren ein eigenes Büro in Shanghai zu eröffnen, hat sich ausgezahlt. Unter der Führung von China-Geschäftsführer Rouven Kasper sei der Dialog “mit den chinesischen Fans des FC Bayern deutlich intensiviert und eine Vielzahl neuer strategischer Partnerschaften geschlossen worden”, teilt der Verein mit.

Zudem wurden seit der Eröffnung der eigenen Niederlassung neue Medien- und Sponsoringpartnerschaften abgeschlossen. Dazu gehören eine eigene Fernsehsendung über den FC Bayern im Staatsfernsehen. Und Kunden der Industrial Bank of China können eine Bayern-Kreditkarte beantragen.

Bayern-Kreditkarte für Fans

China sei von großer Bedeutung, weil hier eine “einzigartige Kombination” aus enormer Euphorie für den deutschen Fußball, geballter Wirtschaftskraft und großem staatlichen Interesse am Fußballsport vorherrsche, sagte der damalige Geschäftsführer des VfL Wolfsburg Thomas Röttgermann, als er vor vier Jahren die erste Auslands-Repräsentanz des Vereins im Pekinger Künstlerviertel 798 eröffnete.

Aus Sicht chinesischer Fans war der Vereinsfußball des Landes lange überhaupt nur erträglich, weil die Clubs angefangen hatten, im großen Stil ausländische Spieler einzukaufen. Allerdings hat Peking mit strengeren Gehaltsregeln dafür gesorgt, dass zuletzt kaum noch neue ausländische Stars ihren Weg in die chinesische Super League gefunden haben. Kritisch merkte die parteinahe Volkszeitung an, dass die Millionen für ausländische Stars eine echte “Graswurzel-Bewegung” in Chinas Fußball verhindern würden. 

So sieht es auch die chinesische Führung. Denn im Politbüro empfindet man die Nationalelf schon lange als Demütigung für die gesamte Nation. Chinas Präsident Xi Jinping, selbst großer Fußballfan, will das nicht länger hinnehmen, weshalb er bereits kurz nach seinem Amtsantritt vor sechs Jahren ein gewaltiges Fußball-Förderprogramm starten ließ. 50.000 neue Fußballschulen sollen bis 2025 entstehen. Auch in Grund- und Mittelschulen gehört Fußball mittlerweile zum Unterricht. 

Doch lässt sich sportlicher Erfolg einfach verordnen? Bei den olympischen Spielen 2008 hat es geklappt. Als klar war, dass die Spiele in Peking stattfinden, startete China ein beispielloses Aufbauprogramm für seine Sportler. Am Ende gewannen die Chinesen so viele Goldmedaillen wie noch keine andere Nation in der Olympia-Gesichte. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

  • Fußball
  • Guangzhou
  • Sport

News

Xinjiang – Außenminister erhöhen Druck auf UN

Großbritanniens Außenminister hat eine Reaktion der Vereinten Nationen auf Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang gefordert. Diese hätten dort einen “industriellen Maßstab” erreicht, sagte Dominic Raab gestern in einer Rede zum Auftakt der Frühjahrssitzung des UN-Menschenrechtsrates. Die UN-Menschenrechtsorganisation müsse ihrer Verantwortung in Xinjiang, Tibet und Hongkong gerecht werden, so Raab. “Niemand kann die Beweise mehr ignorieren”, sagte der britische Außenminister.

“Die Situation in Xinjiang ist inakzeptabel. Die gemeldeten Missbräuche – darunter Folter, Zwangsarbeit und Zwangssterilisation von Frauen – sind extrem und umfangreich,” so Raab. Er betonte, das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte oder ein anderes unabhängiges Gremium müsse “dringenden und uneingeschränkten Zugang” zu Xinjiang erhalten.

“Die Situation in Xinjiang ist inakzeptabel”

Auch Bundesaußenminister Heiko Maas sprach zum Auftakt der Sitzung des UN-Menschenrechtsrates: “Unser Bekenntnis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lässt keinen Raum für die willkürliche Internierung ethnischer Minderheiten wie der Uiguren in Xinjiang oder Chinas hartes Vorgehen gegen bürgerliche Freiheitsrechte in Hongkong,” sagte Maas in einer Videobotschaft. Neben China kritisierte er zudem das Vorgehen in Staaten wie Russland, Belarus, dem Iran und Venezuela.

Die EU-Außenminister verständigten sich zudem gestern in Brüssel auf die Prioritäten der Europäischen Union in den Foren der Vereinigten Nationen. Die EU werde die Behörden in Peking und die Regierung von Hongkong “weiterhin auffordern”, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und demokratischen Grundsätze und “das hohe Maß an Autonomie in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz von Hongkong und den internationalen Verpflichtungen Chinas” zu respektieren. Zudem gebe es Sorge über gemeldete Fälle willkürlicher Inhaftierung, Misshandlung und Folter in China, hieß es in dem Papier. Die Behörden müssten diese gründlich untersuchen. Der EU-Außenminister verständigt sich jährlich auf die wichtigsten Punkte, die die EU in den Menschenrechtsforen der UN behandeln möchte. ari

  • Heiko Maas
  • Hongkong
  • Menschenrechte
  • Tibet
  • Uiguren
  • UNO
  • Xinjiang

Rekord-Produktion von Seltenen Erden geplant

China macht sich bei Elektronik-Rohstoffen weiter vom Ausland unabhängig und bereitet sich so auf weitere Runden der Handelskriege vor. So lässt Peking die eigene Förderung von Seltenen Erden kräftig hochfahren. Das Rohstoffministerium in Peking hat die konkreten Produktionspläne für die erste von zwei Chargen dieses Jahres mitgeteilt – und durch die hohen Zahlen Erstaunen ausgelöst.

Demnach soll die Förderquote im ersten Halbjahr 2021 bei 84.000 Tonnen liegen. Im Vergleich zur Vorjahreszahl von 66.000 Tonnen markiert das einen Sprung um 27 Prozent. Die Ganzjahreszahl wird daher in diesem Jahr voraussichtlich einen neuen Spitzenwert erreichen. Bisher lag das Limit bei 140.000 Tonnen. Peking lässt seine bisher gedrosselte Bergbauindustrie von der Kette.

Der Schachzug ist auch eine Reaktion auf die weltweite Verknappung von Elektronikkomponenten. Der derzeitige Zustand zeigt, wie abhängig die Wirtschaftsräume voneinandeer sind: In Deutschland fehlen spezialisierte Chips aus Taiwan für Autos, in China fehlen – aus anderen Gründen – Chips für Handys, die derzeit fast nur aus den USA kommen. Da die neue US-Regierung unter Joe Biden die Zeichen auf weitere Konflikte gestellt hat, bereitet Peking sich darauf vor, weiter mit harten Bandagen zu spielen.

Die Seltenen Erden gebraucht für moderne Produkte

Die Industrie braucht Seltene Erden für fast alle modernen Produkte von Smartphones und Kopfhörer über Roboter und Drohnen bis hin zu Elektroautos, Windgeneratoren und Raumsonden. Es handelt sich um eine Gruppe von 17 Metallen mit klangvollen Namen wie Neodym oder Dysprosium. China ist einer der größten Produzenten, importiert bisher aber jährlich auch rund 45.000 Tonnen.

Die offizielle Verlautbarung ermahnte die Hersteller noch einmal, alle Umweltstandards einzuhalten und sich auch ansonsten an alle Regularien zu halten. Damit dürfte vor allem die kürzlich verschärfte Ausfuhrkontrolle gemeint sein. China will in der Lage sein, die Versorgung mit Seltenen Erden für die USA oder Japan zu stören, ohne seinerseits von Importen abhängig zu sein.

Auch Deutschlands Hochtechnikindustrie ist auf die Verfügbarkeit von Seltenen Erden auf dem Weltmarkt angewiesen. Die Sorge wächst, weil die EU die wichtigen Rohstoffe nur in kleinen Mengen selbst produziert und praktisch ihren ganzen Bedarf von außen einführt. Während die USA und China für ihren Rohstoffkrieg hochrüsten, könnte die EU-Industrie erhebliche Kollateralschäden erleiden. fin

  • Decoupling
  • Joe Biden
  • KP Chinas
  • Rohstoffe
  • Seltene Erden
  • USA

Gree: Nachfolge für Dong Mingzhu offen

Der chinesische Haushaltsgerätehersteller Gree Electric Appliances Inc. meldete am Montag, dass Huang Hui, einer seiner Hauptgeschäftsführer, aus persönlichen Gründen zurückgetreten ist. Huang war bis dahin einer der Vorstandsmitglieder bei Gree, der am längsten sein Amt innehatte. Die Aktie von Gree gab daraufhin im Handel um bis zu fünf Prozent nach. Seit Monaten wird um die Nachfolge von Grees Vorstandsvorsitzender Dong Mingzhu spekuliert. Die 67-Jährige zählt zu Chinas erfolgreichsten, einflussreichsten aber auch hartgesottenen Geschäftsfrauen. Unter ihrer Führung ist Gree zum weltweit größten Hersteller von Klimaanlagen aufgestiegen. Im Volksmund gilt Dong vor allem als “Königin der Haushaltsgeräte”, die auch gern selbst auf Plakaten und im Fernsehen für Produkte von Gree wirbt. Zuletzt hatte Dong bei einer Livestream-Verkaufsshow über die E-Commerce-Webseiten Haushaltsgeräte im Wert von mehr als einer Milliarde Yuan (umgerechnet 127 Millionen Euro) verkauft.

Gree auf der Suche nach Talenten

Mit Huang baute Dong die Vorherrschaft bei Klimaanlagen weltweit so sehr aus, dass sie schon 2019 zwei Drittel der Umsätze bei Gree ausmachten. Zuletzt konzentrierte sich Dong vor allem auf die Bereiche Robotik, Recycling, E-Autos aber auch Solarenergie und Smartphones. Aufgrund der Handelsstreitigkeiten mit den USA geriet Gree unter Druck und musste seinen Marktführer-Titel an den heimischen Konkurrenten Midea Co. Ltd. abtreten. Im ersten Halbjahr 2020 hat Midea mit dem Verkauf von Klimaanlagen 64 Milliarden Yuan (ca. 8 Milliarden Euro) gemacht, während Gree im gleichen Zeitraum nur für 41 Milliarden Yuan (ca. 5,1 Milliarden Euro) Klimaanlagen verkaufen konnte. Im vergangenen Jahr musste Gree für die ersten drei Quartale einen Umsatzrückgang von über 18 Prozent verbuchen.

Huang arbeitet seit 1992, dem Jahr nach der Gründung von Gree, im Unternehmen. Nach 17 Jahren als Vizepräsident wurde Huang 2017 zum Geschäftsführer ernannt und war zuletzt für die laufenden Geschäfte von Gree verantwortlich. “Er wurde als der vielversprechendste Kandidat für die Nachfolge von Dong gehandelt”, sagte der Haushaltsgeräte-Analyst Liu Bucheng dem Wirtschaftsmagazin Caixin. Nun ist die Frage nach der Nachfolge für Dong wieder offen. niw

  • Technologie

Standpunkt

Wird Ostasien als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen?

Von Lee Jong-Wha
Lee Jong-Wha stellt sich die Frage, ob Ostasien als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen wird.

Die ostasiatischen Länder haben sich bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie und der Eindämmung ihrer wirtschaftlichen Folgen bemerkenswert gut geschlagen. Angesichts der Tatsache, dass erhebliche Risiken und Unwägbarkeiten weiterhin bestehen bleiben, kann man aber noch lange nicht sagen, dass die Region als globaler Gewinner aus der Krise hervorgehen wird.

Ostasien kann zweifelsohne eine beeindruckende Bilanz im Umgang mit der Pandemie vorweisen. Im Jahr 2020 wurden mehr als 101 Millionen Menschen positiv auf Covid-19 getestet und über 2,1 Millionen starben weltweit. Aber dank strenger Eindämmungsmaßnahmen und des allgemeinen Tragens von Masken wiesen die ostasiatischen Länder weitaus niedrigere Infektionsraten und Covid-19-Todesfälle auf als die fortgeschrittenen Volkswirtschaften Europas und Amerikas.

Während die Weltwirtschaft um 4,3 Prozent schrumpfte – der tiefste Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg – blieb das BIP-Wachstum in den sich entwickelnden asiatischen Ländern insgesamt positiv, getragen von Taiwan, Vietnam und vor allem China, das im vierten Quartal ein jährliches Wachstum in Höhe von 6,5 Prozent verzeichnete. Die steigende Auslandsnachfrage nach Technologie, elektronischen Gütern und medizinischen Produkten trug dazu bei, da sich die Exportverluste der Region in Grenzen hielten.

In diesem Jahr besteht die Hoffnung, dass der weit verbreitete Einsatz von Impfstoffen zu einer umfassenden – und der Weltbank zufolge V-förmigen – globalen Erholung führen wird, mit einem geschätzten Produktionswachstum in Höhe von vier Prozent. Dennoch wird erwartet, dass Ostasien alle anderen Regionen übertreffen wird, wobei China – mit einem prognostizierten Wachstum von 7,9 Prozent– als Treiber des durchschnittlichen Wachstums von 7,4 Prozent gilt.

Aktienkurse in Ostasien steigen

Diese optimistischen Prognosen – zusammen mit reichlich Liquidität, die durch beispiellose fiskalische und monetäre Expansion generiert wurde – haben das Vertrauen der Anleger gestärkt und die Aktienkurse in Ostasien historische Höchststände erreichen lassen. Der japanische Nikkei-Index ist seit seinem Tiefststand im März um 67 Prozent gestiegen und hat damit einen Rekordwert vom Mai 1991, kurz vor dem Platzen der Vermögenspreisblase, übertroffen. Auch der MSCI Emerging Market Asia Index ist seit März um 80 Prozent gestiegen und hat damit alle anderen Schwellenländer übertroffen.

Investoren und Analysten scheinen zuversichtlich, dass ostasiatische Länder – insbesondere China, Südkorea und Indonesien – in der Lage sein werden, das Virus in Schach zu halten, eine robuste wirtschaftliche Erholung zu erreichen und Maßnahmen zur Konjunkturförderung aufrechtzuerhalten, was zu immer höheren Unternehmensgewinnen und damit zu höheren Aktienkursen führt. Vielleicht sollten sie ihre Erwartungen herunterschrauben.

Zunächst einmal ist die Pandemie noch lange nicht ausgestanden, und viele Länder sind mit einer zweiten oder dritten Infektionswelle konfrontiert. Dazu gehören auch Länder in Ostasien, wie Japan, Südkorea, Malaysia und Thailand, die alle gezwungen waren, erneut strenge Maßnahmen zur Eindämmung zu ergreifen. Darüber hinaus sind schnelle Impfstoff-Auslieferungen – von denen die prognostizierte Erholung abhängt – bei weitem nicht garantiert, und in vielen ostasiatischen Ländern verläuft der Start schleppend.

Unterdessen werden die Haushalts- und Finanzrisiken größer. Während umfangreiche Regierungsausgaben und geldpolitische Lockerungen die Erholung von der COVID-19-Pandemie vorangetrieben haben, sind auch die Defizite und die Staatsschuldenquoten weltweit in die Höhe geschnellt.

Öffentliche Haushalte geraten unter Druck

Für ostasiatische Volkswirtschaften, die relativ niedrige Schuldenquoten aufweisen, ist eine höhere Verschuldung kein unmittelbarer Anlass zur Sorge. Aber das abnehmende Wachstumspotenzial und die alternde Bevölkerung stellen eine Gefahr für die mittelfristige finanzpolitische Tragfähigkeit dar. In den Schwellenländern und Ländern mit mittlerem Einkommen Asiens rechnet der Internationale Währungsfonds mit einer weiteren Verschlechterung der Finanzlage der öffentlichen Haushalte. Wie die Asiatische Entwicklungsbank anmerkt, wird es schwierig sein, diesem Trend entgegenzuwirken, da es problematisch ist, fiskalpolitische Unterstützung schnell zurückzunehmen.

Gleichzeitig regt die erhöhte Liquidität die Risikobereitschaft an, was zu einem raschen Anstieg der Vermögenspreise führt. Einige ostasiatische Länder, darunter Südkorea und China, haben trotz strengerer Hypothekenvorschriften bereits Schwierigkeiten, Immobilienblasen in Großstädten einzudämmen. Und einige Analysten haben davor gewarnt, dass eine Aktienmarktkorrektur unmittelbar bevorsteht, obwohl andere behaupten, dass die niedrigen Realzinsen und das Wachstumspotenzial des Technologiesektors die hohen Aktienkurse von heute rechtfertigen.

So oder so könnte die Erwartung einer fiskal- und geldpolitischen Normalisierung nach dem Wiederaufleben von Wachstum und Inflation die weltweiten Aktienkurse einbrechen lassen. Und ein umfangreicher Liquiditätsabzug aus den Schwellenländern könnte für die asiatischen Volkswirtschaften, die in hohem Maße von kurzfristigen ausländischen Kapitalzuflüssen abhängig sind, eine Katastrophe bedeuten.

Der strategische Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und China setzt die Region  weiteren Abwärtsrisiken aus. US-Präsident Joe Biden behauptete im vergangenen Jahr, dass die USA gegenüber China “hart durchgreifen” müssten, und beschuldigte das Land, amerikanischen Unternehmen Technologie und geistiges Eigentum zu “rauben”. Dies deutet darauf hin, dass er Donald Trumps antagonistische Haltung gegenüber China aufrechterhalten und sogar noch verstärken könnte. Sollte er dies tun, könnten sich die wirtschaftlichen Aussichten Ostasiens deutlich eintrüben.

Um nach der Pandemie erfolgreich zu sein, müssen ostasiatische Entscheidungsträger all diese Risiken umschiffen und gleichzeitig tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Veränderungen bewältigen. Die Pandemie hat das Konsumverhalten verändert, die Digitalisierung beschleunigt und Industrien auf den Kopf gestellt. Sie hat auch die Einkommensungleichheit und die soziale Unzufriedenheit verschärft. Der Ruf nach gerechteren, nachhaltigen Systemen ist lauter denn je.

In diesem Zusammenhang ist die Erholung vom Coronavirus nur der erste Schritt. Die Politik muss auch die Grundlagen für ein besseres langfristiges Wachstum schaffen, etwa durch mehr Investitionen in sozialen Schutz, Digitalisierung, Bildung und Qualifizierung sowie grüne Energie.

Die ostasiatischen Volkswirtschaften sollten sehr stolz auf das sein, was sie im Jahr 2020 erreicht haben. Aber sie dürfen sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Der einzige Weg, um auch im Jahr 2021 und darüber hinaus erfolgreich zu sein, besteht darin, ihre Volkswirtschaften gegen Risiken zu wappnen, die sie nicht kontrollieren können, und die Risiken abzumildern, die sie kontrollieren können.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

Lee Jong-Wha, Professor für Wirtschaftswissenschaften war auch leitender Berater für internationale Wirtschaftsangelegenheiten des ehemaligen südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak.

Copyright: Project Syndicate, 2021.
www.project-syndicate.org

  • Geopolitik
  • USA
  • Wirtschaft

Portrait

Jean-Louis Rocca

Jean-Louis Rocca - Soziologie-Professor und China-Spezialist an der Sciences Po in Paris
Soziologie-Professor und China-Spezialist an der Sciences Po in Paris

Jean-Louis Rocca ist Professor an der renommierten Universität Sciences Po in Paris, und arbeitet an deren internationalem Forschungszentrum CERI zu China. Derzeit forscht Jean-Louis Rocca vor allem zur chinesischen Mittelschicht und ihrem Verständnis von Demokratie.

Die Generation “Xi Jinping“, wie er sie nennt, äußert sich politisch, aber stellt doch das System nicht in Frage. Er beobachtet eine grundlegend andere Konzeption von Demokratie: Wahlen etwa werden von vielen als etwas Komplexes angesehen, das leicht zu Instabilität führen kann. Und die gleichzeitig keine Garantie dafür geben, dass die Wirtschaft weiter wächst und sich Lebensstandards immer weiter verbessern. Das stehe für die Menschen in China jedoch im Mittelpunkt. “Während für uns Wahlen zentral in einer Demokratie sind, sehen sie Wahlen nicht als sehr nützlich an für den aktuellen Kontext”, sagt Jean-Louis Rocca.

Jean-Louis Rocca und die chinesische Gesellschaft

Doch der Soziologe ist vielseitig interessiert und wechselt seine Schwerpunkte regelmäßig: “Ich langweile mich schnell. Wenn ich den Eindruck habe, dass ich keine neuen Dinge entdecke, dann wende ich mich etwas anderem zu”, sagt Jean-Louis Rocca. Nur eines bleibt immer gleich: Sein Interesse für die chinesische Gesellschaft.

Das war überhaupt nicht vorgezeichnet. Er beschreibt die Anfänge seines China-Interesses als eher zufällig. Während seiner Schulzeit war er Teil einer anti-maoistischen Gruppe gewesen. “Das war eher ungewöhnlich, denn die meisten waren pro-maoistisch”, sagt er. Zu der Zeit hat er Bücher französischer Sinologinnen und Sinologen gelesen. Was er daraus lernte: “Wir können China nicht verstehen, denn wir sprechen die Sprache nicht – wir können nicht wissen, was die Leute dort denken”.

Als der junge Franzose ein Soziologie- und Wirtschaftsstudium in Lyon begann, hat er deshalb auch angefangen, Chinesisch zu lernen. “Das war für mich zu Beginn ein Spiel, eine Herausforderung“, sagt er. Doch seine Motivation wurde ernsthafter. Es sei “das eher intellektuelle Anliegen” gewesen, ein ihm bizarr erscheinendes Land zu verstehen. “Eher Neugier als Leidenschaft“, so sieht er das.

Einer der ersten Auslandslehrenden an der Tsinghua

Viele Jahre hat Jean-Louis Rocca in China gelebt, derzeit wohnt er in Paris. Am eindrücklichsten für ihn sei die Zeit zwischen 2005 und 2011 gewesen – damals war er an der führenden Tsinghua-Universität in Peking, und hatte dort den Soziologie-Lehrstuhl inne. “Ich war einer der ersten Ausländer, der wirklich dort unterrichtet hat”, sagt er, “eine wegweisende Ära war das damals”.

Er habe auf Chinesisch unterrichtet, und dabei viel über die Schwierigkeiten gelernt, chinesischen Soziologie-Studierenden westliche Konzepte und Theorien nahezubringen. Denn die wurden natürlich im Kontext der westlichen Gesellschaften entwickelt. “Es gibt nur sehr wenige chinesische Soziologinnen und Soziologen, die europäische Gesellschaften kennen”, sagt er.

Zu seiner Zeit dort hat er ein Programm zur französisch-chinesischen Kooperation in den Sozialwissenschaften aufgebaut. Für seine Forschungsprojekte arbeitet er häufig auf Grundlage chinesischer Texte, und interviewt viele Menschen vor Ort. “Ich hoffe, dass ich möglichst bald wieder nach China zurückkann”, sagt er. Das sei momentan aufgrund der Pandemie unmöglich. Aber er versuche seine Recherche hier weiterzuführen, indem er mit in Europa lebenden Chinesinnen und Chinesen spricht. Nicht nur um zu forschen, will er wieder zurück: “Ich würde gern nochmal für einige Jahre dort unterrichten – um zu sehen, was sich seitdem getan hat.” Lisa Becke

  • Gesellschaft
  • Universitäten
  • Wirtschaft
  • Xi Jinping

Dessert

Mundraub? Eine Touristin “füttert” eine Möwe am Haigeng Damm in Kunming in der Provinz Yunnan.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Ehe und Familie: Ein Auslaufmodell
    • Olympia forciert Wachstum der Ski-Industrie
    • Das Ziel zur Fußballweltmacht zu werden hilft vorerst nur den Ausländern
    • Xinjiang – Außenminister erhöhen Druck auf UN
    • Peking will Förderung Seltener Erden ausbauen
    • Gree: Nachfolge für Dong Mingzhu offen
    • Lee Jong-Wha: Wird Ostasien als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen?
    • Im Portrait: Jean-Louis Rocca
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    auf Chinas Frauen wird zu achten sein. Sie sind in zunehmender Zahl sehr gut ausgebildet und schneiden sich mit gut bezahlten Jobs ihre persönliche Scheibe aus dem Wohlstandskuchen der aufstrebenden Wirtschaftsmacht heraus. Wie im Westen, so entfliehen sie auch in China traditionellen Rollenbildern. Sie brauchen zum Überleben keine männlichen Versorger, hinterfragen kritisch das Dasein als Mutter und begehren gegen häusliche Gewalt auf. Ning Wang schaut in die Veränderungen des chinesischen Familienbildes und beobachtet eine (männliche) Führungselite, die die politischen Folgen des gesellschaftlichen Wandels wohl erkennt – diesen aber mit teils skurrilen Methoden aufzuhalten versucht.

    Bleiben wir noch einen Moment beim Thema: Was verbindet den FC Bayern und den VfL Wolfsburg? Beide haben ein starkes Frauenfußballteam – und beide sind stark in China vertreten. Gregor Koppenburg und Jörn Petring beschreiben eine begeisterte Fußballnation, die ausländischen Clubs satte Geschäfte bringt – aber bis heute darunter leidet, dass die einst vom Staatsführer Xi ausgegebene Losung, China zur Fußballweltmacht zu kicken, keine Früchte tragen will.

    Na wenigstens die Frauen treffen das Tor – und schafften es immerhin schon bis zum Fußball-Vizeweltmeister.

    Ihre
    Antje Sirleschtov
    Bild von Antje  Sirleschtov

    Presseschau

    Analyse

    Ehe und Familie: Ein Auslaufmodell

    Das Phänomen kennt man wohl überall auf der Welt: Wenn die Nähe der Partner in einer Ehe zu groß wird, dann ist das Ende nah. Auch in China ist das so, wie Li Jie, ein Scheidungsanwalt aus Peking, in diesen Monaten beobachtet. Besonders, nachdem Paare wochen- oder gar monatelang zu Hause im Lockdown sind, belastet durch Home Office und Kinderbetreuung, nimmt die Zahl der Anträge bei den örtlichen Scheidungsbehörden spürbar zu. In den Provinzen Xian, Hunan oder Sichuan etwa war der Andrang im vergangenen Frühling, direkt nach den gelockerten Lockdowns, so stark, dass Bilder von langen Warteschlangen vor den Scheidungsämtern die Runde machten.

    Doch nicht erst seit der Corona-Pandemie nimmt die Zahl der Scheidungsanträge in China zu. In den vergangenen vierzig Jahren ist die Zahl der geschlossenen Ehen stetig zurückgegangen, während die Zahl der Scheidungen wächst, schrieb die Journalistin Xu Jingjing in einem Beitrag im Wochenmagazin Sanlian Lifeweek, auf der Suche nach der Frage: Gibt es die ideale Ehe noch? Sie kommt zu dem Fazit: “Ehen sind ein Problem geworden”. Denn die meisten jungen Menschen in den Städten sehen etwa die Geburt von Kindern nicht mehr als notwendige Option im Leben und selbst eine Entscheidung für Kinder bedeutet nicht notwendigerweise, dass vorher geheiratet werden muss.

    Die Bloggerin und Geschäftsfrau Hong Ling ist frisch geschieden, sie hat eine Tochter im Grundschulalter, aber überlegt für die künftige Familienplanung ihre Eizellen in Thailand einfrieren zu lassen. Kennengelernt hat sie ihren Mann an der Uni, die letzten Jahre hat sie den Hauptteil des Einkommens für Miete, Schulgeld und Essen verdient und er hat sich dafür immer mehr um die Kinderbetreuung und den Haushalt gekümmert. “Es gab keine Intimität mehr, wir hatten uns immer weniger zu sagen”, erzählt sie und fügt noch hinzu, dass sie schon lange nicht mehr glücklich miteinander waren, den Vorschlag sich scheiden zu lassen, hat sie dann vor gut einem Jahr gemacht.

    74 Prozent der Anträge kommen von Frauen

    Zhou Qiang, Chinas ranghöchster Richter, wies in einer Rede an der Tsinghua Universität in Peking schon im November 2019 darauf hin, dass rund 74 Prozent der Scheidungen, die vor Gericht verhandelt werden, von Frauen beantragt werden und entgegen der landläufigen Meinungen, dass die meisten Paare im verflixten siebten Jahr der Ehe auseinandergehen, trennen sich die meisten Paare in China schon drei Jahre nach der Hochzeit.

    Bei einer Scheidungsrate, die mittlerweile bei knapp 40 Prozent liegt und denen der westlichen Länder gleichkommt (2019 lag die Scheidungsrate in Deutschland bei 35,8 Prozent), zeigt sich die Komplexität der Frage. Wurden 2003, als das Ehegesetz in China liberalisiert wurde und sich Paare im Einvernehmen scheiden lassen konnten, gerade mal 1,3 Millionen Ehen in der Volksrepublik geschieden, lag die Zahl der geschiedenen Ehen schon vor dem Coronavirus im Jahr 2019 bei über vier Millionen.

    Und erst vor einigen Wochen waren die Warteschlangen vor den Scheidungsämtern wieder so lang, dass mit den Wartenummern sogar Geld verdient wurde. So berichtete die Staatszeitung Global Times, dass nachdem über Sina Weibo bekannt wurde, dass in der südchinesischen Metropole Guangzhou bis zum 1. März keine Termine mehr für Scheidungen zu bekommen sind, Zwischenhändler für 600 Yuan (umgerechnet 76 Euro) einen Platz im Online-Reservierungssystem anboten.

    Grund für den neusten Andrang, um den Bund fürs Leben aufzulösen, war eine Ankündigung aus Peking, die Paaren seit dem ersten Januar dieses Jahres vorschreibt, sich in eine 30-tägige sogenannten Bedenkzeit zu begeben, bevor sie die Scheidung beantragen dürfen.

    Häusliche Gewalt nimmt zu

    Der Aufschrei, der durch die sozialen Medien ging, war groß. Auf Weibo war es eines der Topthemen und wurde über 25 Millionen Mal mit dem Hashtag “gegen die Bedenkzeit für Scheidungen” geteilt. Nutzer sahen sich in ihrer privaten Entscheidungsfreiheit gegängelt, aber auch Anwälte und vor allem Frauen sahen in dem neuen Gesetz eine zusätzliche Hürde für Frauen, die ihrer Ehe entfliehen wollen.

    Häusliche Gewalt ist dabei einer der Gründe, der in den Vordergrund tritt: In China wird durchschnittlich alle 7,4 Sekunden eine Frau von ihrem Ehemann geschlagen. Ungefähr 30 Prozent der Frauen in 270 Familien hätten laut veröffentlichen Daten der All China Women`s Federation häusliche Gewalt erlebt und 60 Prozent der jährlichen Selbstmorde bei Frauen gehen auf häusliche Gewalt zurück, so die Staatszeitung Global Times. So soll es nun für Fälle, wonach als Scheidungsgrund häusliche Gewalt angeführt wird, keine verpflichtende Bedenkzeit von 30 Tagen geben. Deutlich senken wird die neu eingeführte Bedenkzeit die Zahl der Scheidungen wohl nicht, es wird die Trennungen bestenfalls verzögern.

    Jedoch stellt nicht nur die Zahl der Scheidungen für Peking ein Problem dar, auch die Zahl der Frauen und Männer, die noch heiraten möchten, ist rapide zurückgegangen. Gerade die “wirtschaftliche Genossenschaft” und die “Geburtengemeinschaft” der traditionelle Kern der Ehe, ist laut Chen Jiyun, Soziologe an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, nicht mehr notwendig, seitdem die meisten jungen Menschen ihr eigenes Geld verdienen und sich angesichts der steigenden Lebens-, Bildungs- und Wohnkosten mit der Familienplanung Zeit lassen.

    Soziologen wie Chen sehen das Problem auch durch die chinesische Ein-Kind-Politik verursacht. Die Folge ist nicht nur eine geringere Zahl junger Menschen, auch das Geschlechterverhältnis ist ungleich verteilt. So wurden im Jahr 2019 immer noch 114 Jungen auf 100 Mädchen geboren. Es besteht also ein Männerüberschuss, sodass viele Männer keine Partnerin zum Heiraten finden. Und die Frauen, zumindest in den Städten, sind immer besser ausgebildet und wollen nicht nur einen “Versorger”, sondern auch die große Liebe finden.

    Laut Daten des chinesischen Statistikamts ist zwischen 2013 und 2019 die Zahl der heiratswilligen Chinesen, die zum ersten Mal eine Ehe eingehen, um 41 Prozent gesunken.

    Wie wichtig die Ehe auch als Grundlage für die Geburtenrate gesehen wird, zeigen die jüngsten Zahlen des Ministeriums für öffentliche Sicherheit in Peking, wonach die Zahl der Geburten im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent zurückgegangen ist. Gerade einmal zehn Millionen Kinder wurden 2020 zur Welt gebracht. Obwohl es im Jahr davor noch 11,8 Millionen Babys waren, war dies der tiefste Stand seit der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949.

    Blind-Dates durch die Jugendliga

    Auch der Vorschlag von Delegierten des Nationalen Volkskongresses, das Mindestalter für Eheschließungen für Männer von 22 Jahren und für Frauen von 20 Jahren auf 18 zu senken, erntete viel Spott. Denn der soziale und finanzielle Druck wird sich auch nicht durch laxere Altersgrenzen in Luft auflösen. So setzt die Partei nun auf eine eigene Jugendabteilung, die Jugendliga. Sie veranstaltet Blind-Dates, um den Singles bei der Suche nach Lebenspartnern unter die Arme zu greifen.

    • Frauen
    • Gesellschaft

    China lernt Skifahren

    Am 4. Februar 2022 sollen Olympische Winterspiele in Peking beginnen. Die Vorbereitungen laufen nach Plan, heißt es von offizieller Seite. Die zwölf geplanten Wettkampfstätten seien fertiggestellt, melden die Staatsmedien. Sorgen, dass die Corona-Pandemie bis zum Start noch nicht durchgestanden sein könnte und lange Quarantänemaßnahmen für die Sportler und Gäste nötig werden, sind derzeit noch kein Thema. Von Boykotten ganz zu schweigen.

    Das ehrgeizige Ziel: Das ganze Land soll zur Wintersport-Nation werden, die Zahl der Wintersportler soll auf rund 300 Millionen ansteigen und den Konsum ankurbeln. Rund 800 Skigebiete sollen gebaut werden. Die größten chinesischen Skigebiete liegen nur drei Autostunden oder 45 Minuten per Zug nördlich von Peking um die Stadt Chongli herum. Seit der Vergabe der Winterspiele im Jahr 2015 ist die Zahl chinesischer Pistenausflügler von 12,5 Millionen auf 20,9 Millionen im Jahr 2019 angestiegen, das entspricht einem Wachstum von gut 67 Prozent. 

    Olympische Winterspiele obwohl keine Wintersport-Nation

    Das Beratungs- und Service-Unternehmen SnowHow China aus Südtirol hat jüngst eine Studie zu den Perspektiven der Industrie veröffentlicht. SnowHow China will Ski-Enthusiasten aus den Alpen und China zusammenbringen. Herman Winkler, der CEO und Gründer, geht davon aus, dass es “bereits 2022/23 rund 40 bis 50 Millionen Skibesuche geben wird.” Winkler hat über zehn Jahre in China gelebt, unter anderem war er Vizepräsident für Swarowski Asia und hat Snow51 mitbegründet, Chinas größte Indoor-Teppich-Skischule. “Mit dieser Zahl wäre China schon eine der führenden Skinationen und hätte einen Marktanteil von zehn Prozent an der globalen Skiindustrie.” Das wären dann erst drei Prozent der Bevölkerung. Und damit “nur die Spitze des Eisbergs.” 

    Das klingt etwas realistischer als die offiziell prognostizierten Zahlen. Denn China ist noch keine traditionelle Wintersport-Nation. Bei den vergangenen Spielen im südkoreanischen Pyeongchang 2018 kam China nur auf Platz 16 im Medaillenspiegel. “80 Prozent der chinesischen Skifahrer sind Anfänger, die den Ski-Sport eher als Lifestyle denn als übungsintensiven Sport begreifen”, sagt John Yang, ehemaliger CEO beim Wintersportartikelhersteller Descente China, in der Studie. Und sie kommen vor allem aus der wachsenden, zahlungskräftigen Mittelschicht.

    Nachfrage für professionelle Ausrüstung steigt

    Derzeit werden im Reich der Mitte pro Jahr rund 290 Milliarden Euro mit Sportartikeln umgesetzt. Bis 2025 soll sich dieser Wert verdreifachen, da immer mehr Wintersport-Newcomer eine professionelle Ausstattung wollen. Chinesische Unternehmen wie Anta Sports, aber auch westliche Player, wie Columbia Sportswear und North Face, wollen die Chance nutzen. Frederic Guiral de Haas, China-Chief der Outdoor-Bekleidungsmarke Jack Wolfskin, bezeichnet China gar als “the new frontier”. “Der Ehrgeiz der Regierung, den Wintersport zu entwickeln, erzeugt eine enorme Dynamik”, so Haas. Inländische Marken machen “auf dem chinesischen Wintersport-Bekleidungsmarkt bislang nur etwa 30 Prozent aus”, betont Winkler von SnowHow China.

    Aber auch Seilbahnbauer wie die Vorarlberger Firma Doppelmayr oder der Schneekanonenhersteller Technoalpin aus Bozen hatten durch die Winterspiele in China bereits volle Auftragsbücher. “Ich sehe nicht, dass der Wintersportboom in China bald aufhört”, erklärt Jakob Falkner, CEO der Sölden Lift Company. 

    Andere sind da schon skeptischer: “Für einen echten Boom im chinesischen Wintersport kommen die Winterspiele leider acht Jahre zu früh”, glaubt Paul Bojarski, CEO der Skigebietsentwicklungsfirma MAS, der lange Zeit als Berater in China tätig war. Skifahren in China bleibe trotz olympischer Anstrengungen bis auf Weiteres auf einem Entwicklungsniveau wie die Industrie in den späten 50er- oder frühen 60er-Jahren in Europa. “Für einen Boom müssten die Gehälter steigen”, so Bojarski. “Das tun sie auch, aber eben nicht so schnell wie die Industrie das wünscht”, kommentiert Winkler

    Ski-Tourismus boomt – auch im Ausland

    Während die Olympischen Spiele 2008 vor allem eine Gelegenheit waren, sich als moderne Weltmacht zu präsentieren, “möchte Peking die kommenden Winterspiele nutzen, um die Infrastruktur kleinerer Städte auszubauen und den Tourismus weiter anzukurbeln, der momentan nur etwa fünf Prozent des GDP ausmacht”, so Winkler. Zwischen Peking und einem wichtigen Austragungsort, Zhangjiakou, ist etwa für umgerechnet acht Milliarden Euro eine neue Bahnlinie entstanden, die die Reisezeit zwischen den beiden olympischen Städten von mehr als drei Stunden auf nur 45 Minuten verkürzt. Eine neue Autobahn wurde vergangenes Jahr ebenfalls fertiggestellt, um die strukturschwache Region zu unterstützen. 

    “Doch die chinesische Skiindustrie ist für uns Europäer nicht nur in China interessant”, betont Winkler. Die Übernachtungen und Ausgaben chinesischer Touristen haben auch in alpinen Ländern in den vergangenen Jahren stetig angezogen. In der Schweiz stiegen die chinesischen Übernachtungen innerhalb von fünf Jahren um 50 Prozent auf 1,7 Millionen (2018). Die Webseite der nationalen Tourismus-Marketingorganisation My Switzerland  listet 14 Ressorts, die Ski-Unterricht in chinesischer Sprache anbieten. “Was mich zuversichtlich stimmt, ist die Geschwindigkeit, mit der die Leidenschaft für den Wintersport in China in nur wenigen Jahren gewachsen ist”, sagt Simon Bosshart, Direktor der Asien Pazifik & Global Accounts von Switzerland Tourism. “Unsere größten Ski-Ressorts verzeichnen eine wachsende Zahl chinesischer Gäste.” Auch Österreich ist in den vergangenen Jahren ein bedeutendes Land für den Wintertourismus aus China geworden: Im Winter 2018/19 verzeichnete Österreich 20,39 Millionen Touristenankünfte, wovon immerhin 344.200 (6,9 Prozent) aus China kamen. Wichtig, so Winkler, sei es, dass sich die alpine Ski-Industrie noch besser auf die neuen Kunden einstellt: “Chinesische Skifahrer haben viel Geld und wenig Zeit.”

    • Kultur
    • Olympia
    • Sport

    Parteiauftrag: Tore schießen!

    Wer sich dem Campus der Evergrande School in der Nähe der südchinesischen Metropole Guangzhou nähert, erkennt schon aus der Ferne, was sich die Akademie zum höchsten Ziel gesetzt hat. Vor dem Eingangstor steht ein mehrere Meter hohes Abbild des goldenen WM-Pokals.

    Mit seinen Glockentürmchen und mittelalterlichen Dachspitzen sieht das größte Fußball-Internat der Welt so aus, als hätten Walt Disney und Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling gemeinsam ein gewaltiges Schloss in die Außenbezirke Guangzhous gebaut. Auf dem Campus gibt es neben einem großen Stadion 50 Plätze, auf denen in guten Jahren schon bis zu 2800 Schüler täglich trainierten.

    Bereits 2012  gründete der chinesische Immobilien-Milliardär Xu Jiayin die Fußballschmiede. Er wollte Schluss machen mit einem Umstand, der seine Seele und die Millionen chinesischer Fans quält. Trotz einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen schafft es das Land nicht, elf Männer aufzutreiben, die Fußball auf Weltklasseniveau spielen. 

    China nur auf Platz 75

    Chinas Herrenmannschaft rangiert in der Fifa-Weltrangliste auch Jahre später auf Platz 75, hinter den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kanada und nur einen Platz vor Syrien. Das Niveau des chinesischen Fußballs ist so niedrig, dass die Chinesen lieber die deutsche und englische Liga im Fernsehen schauen. “Arsenal”, “Bayern”, “Barcelona” lauten meistens die Antworten, wenn man junge Leute in Peking auf der Straße fragt, für welchen Verein ihr Herz schlägt.

    Deutsche Fußballvereine wie der FC Bayern und der VfL Wolfsburg sind längst in China vertreten. Die Münchener haben nach eigenen Angaben mehr als 100 Millionen Fans im Reich der Mitte. Die Entscheidung, vor vier Jahren ein eigenes Büro in Shanghai zu eröffnen, hat sich ausgezahlt. Unter der Führung von China-Geschäftsführer Rouven Kasper sei der Dialog “mit den chinesischen Fans des FC Bayern deutlich intensiviert und eine Vielzahl neuer strategischer Partnerschaften geschlossen worden”, teilt der Verein mit.

    Zudem wurden seit der Eröffnung der eigenen Niederlassung neue Medien- und Sponsoringpartnerschaften abgeschlossen. Dazu gehören eine eigene Fernsehsendung über den FC Bayern im Staatsfernsehen. Und Kunden der Industrial Bank of China können eine Bayern-Kreditkarte beantragen.

    Bayern-Kreditkarte für Fans

    China sei von großer Bedeutung, weil hier eine “einzigartige Kombination” aus enormer Euphorie für den deutschen Fußball, geballter Wirtschaftskraft und großem staatlichen Interesse am Fußballsport vorherrsche, sagte der damalige Geschäftsführer des VfL Wolfsburg Thomas Röttgermann, als er vor vier Jahren die erste Auslands-Repräsentanz des Vereins im Pekinger Künstlerviertel 798 eröffnete.

    Aus Sicht chinesischer Fans war der Vereinsfußball des Landes lange überhaupt nur erträglich, weil die Clubs angefangen hatten, im großen Stil ausländische Spieler einzukaufen. Allerdings hat Peking mit strengeren Gehaltsregeln dafür gesorgt, dass zuletzt kaum noch neue ausländische Stars ihren Weg in die chinesische Super League gefunden haben. Kritisch merkte die parteinahe Volkszeitung an, dass die Millionen für ausländische Stars eine echte “Graswurzel-Bewegung” in Chinas Fußball verhindern würden. 

    So sieht es auch die chinesische Führung. Denn im Politbüro empfindet man die Nationalelf schon lange als Demütigung für die gesamte Nation. Chinas Präsident Xi Jinping, selbst großer Fußballfan, will das nicht länger hinnehmen, weshalb er bereits kurz nach seinem Amtsantritt vor sechs Jahren ein gewaltiges Fußball-Förderprogramm starten ließ. 50.000 neue Fußballschulen sollen bis 2025 entstehen. Auch in Grund- und Mittelschulen gehört Fußball mittlerweile zum Unterricht. 

    Doch lässt sich sportlicher Erfolg einfach verordnen? Bei den olympischen Spielen 2008 hat es geklappt. Als klar war, dass die Spiele in Peking stattfinden, startete China ein beispielloses Aufbauprogramm für seine Sportler. Am Ende gewannen die Chinesen so viele Goldmedaillen wie noch keine andere Nation in der Olympia-Gesichte. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

    • Fußball
    • Guangzhou
    • Sport

    News

    Xinjiang – Außenminister erhöhen Druck auf UN

    Großbritanniens Außenminister hat eine Reaktion der Vereinten Nationen auf Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang gefordert. Diese hätten dort einen “industriellen Maßstab” erreicht, sagte Dominic Raab gestern in einer Rede zum Auftakt der Frühjahrssitzung des UN-Menschenrechtsrates. Die UN-Menschenrechtsorganisation müsse ihrer Verantwortung in Xinjiang, Tibet und Hongkong gerecht werden, so Raab. “Niemand kann die Beweise mehr ignorieren”, sagte der britische Außenminister.

    “Die Situation in Xinjiang ist inakzeptabel. Die gemeldeten Missbräuche – darunter Folter, Zwangsarbeit und Zwangssterilisation von Frauen – sind extrem und umfangreich,” so Raab. Er betonte, das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte oder ein anderes unabhängiges Gremium müsse “dringenden und uneingeschränkten Zugang” zu Xinjiang erhalten.

    “Die Situation in Xinjiang ist inakzeptabel”

    Auch Bundesaußenminister Heiko Maas sprach zum Auftakt der Sitzung des UN-Menschenrechtsrates: “Unser Bekenntnis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lässt keinen Raum für die willkürliche Internierung ethnischer Minderheiten wie der Uiguren in Xinjiang oder Chinas hartes Vorgehen gegen bürgerliche Freiheitsrechte in Hongkong,” sagte Maas in einer Videobotschaft. Neben China kritisierte er zudem das Vorgehen in Staaten wie Russland, Belarus, dem Iran und Venezuela.

    Die EU-Außenminister verständigten sich zudem gestern in Brüssel auf die Prioritäten der Europäischen Union in den Foren der Vereinigten Nationen. Die EU werde die Behörden in Peking und die Regierung von Hongkong “weiterhin auffordern”, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und demokratischen Grundsätze und “das hohe Maß an Autonomie in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz von Hongkong und den internationalen Verpflichtungen Chinas” zu respektieren. Zudem gebe es Sorge über gemeldete Fälle willkürlicher Inhaftierung, Misshandlung und Folter in China, hieß es in dem Papier. Die Behörden müssten diese gründlich untersuchen. Der EU-Außenminister verständigt sich jährlich auf die wichtigsten Punkte, die die EU in den Menschenrechtsforen der UN behandeln möchte. ari

    • Heiko Maas
    • Hongkong
    • Menschenrechte
    • Tibet
    • Uiguren
    • UNO
    • Xinjiang

    Rekord-Produktion von Seltenen Erden geplant

    China macht sich bei Elektronik-Rohstoffen weiter vom Ausland unabhängig und bereitet sich so auf weitere Runden der Handelskriege vor. So lässt Peking die eigene Förderung von Seltenen Erden kräftig hochfahren. Das Rohstoffministerium in Peking hat die konkreten Produktionspläne für die erste von zwei Chargen dieses Jahres mitgeteilt – und durch die hohen Zahlen Erstaunen ausgelöst.

    Demnach soll die Förderquote im ersten Halbjahr 2021 bei 84.000 Tonnen liegen. Im Vergleich zur Vorjahreszahl von 66.000 Tonnen markiert das einen Sprung um 27 Prozent. Die Ganzjahreszahl wird daher in diesem Jahr voraussichtlich einen neuen Spitzenwert erreichen. Bisher lag das Limit bei 140.000 Tonnen. Peking lässt seine bisher gedrosselte Bergbauindustrie von der Kette.

    Der Schachzug ist auch eine Reaktion auf die weltweite Verknappung von Elektronikkomponenten. Der derzeitige Zustand zeigt, wie abhängig die Wirtschaftsräume voneinandeer sind: In Deutschland fehlen spezialisierte Chips aus Taiwan für Autos, in China fehlen – aus anderen Gründen – Chips für Handys, die derzeit fast nur aus den USA kommen. Da die neue US-Regierung unter Joe Biden die Zeichen auf weitere Konflikte gestellt hat, bereitet Peking sich darauf vor, weiter mit harten Bandagen zu spielen.

    Die Seltenen Erden gebraucht für moderne Produkte

    Die Industrie braucht Seltene Erden für fast alle modernen Produkte von Smartphones und Kopfhörer über Roboter und Drohnen bis hin zu Elektroautos, Windgeneratoren und Raumsonden. Es handelt sich um eine Gruppe von 17 Metallen mit klangvollen Namen wie Neodym oder Dysprosium. China ist einer der größten Produzenten, importiert bisher aber jährlich auch rund 45.000 Tonnen.

    Die offizielle Verlautbarung ermahnte die Hersteller noch einmal, alle Umweltstandards einzuhalten und sich auch ansonsten an alle Regularien zu halten. Damit dürfte vor allem die kürzlich verschärfte Ausfuhrkontrolle gemeint sein. China will in der Lage sein, die Versorgung mit Seltenen Erden für die USA oder Japan zu stören, ohne seinerseits von Importen abhängig zu sein.

    Auch Deutschlands Hochtechnikindustrie ist auf die Verfügbarkeit von Seltenen Erden auf dem Weltmarkt angewiesen. Die Sorge wächst, weil die EU die wichtigen Rohstoffe nur in kleinen Mengen selbst produziert und praktisch ihren ganzen Bedarf von außen einführt. Während die USA und China für ihren Rohstoffkrieg hochrüsten, könnte die EU-Industrie erhebliche Kollateralschäden erleiden. fin

    • Decoupling
    • Joe Biden
    • KP Chinas
    • Rohstoffe
    • Seltene Erden
    • USA

    Gree: Nachfolge für Dong Mingzhu offen

    Der chinesische Haushaltsgerätehersteller Gree Electric Appliances Inc. meldete am Montag, dass Huang Hui, einer seiner Hauptgeschäftsführer, aus persönlichen Gründen zurückgetreten ist. Huang war bis dahin einer der Vorstandsmitglieder bei Gree, der am längsten sein Amt innehatte. Die Aktie von Gree gab daraufhin im Handel um bis zu fünf Prozent nach. Seit Monaten wird um die Nachfolge von Grees Vorstandsvorsitzender Dong Mingzhu spekuliert. Die 67-Jährige zählt zu Chinas erfolgreichsten, einflussreichsten aber auch hartgesottenen Geschäftsfrauen. Unter ihrer Führung ist Gree zum weltweit größten Hersteller von Klimaanlagen aufgestiegen. Im Volksmund gilt Dong vor allem als “Königin der Haushaltsgeräte”, die auch gern selbst auf Plakaten und im Fernsehen für Produkte von Gree wirbt. Zuletzt hatte Dong bei einer Livestream-Verkaufsshow über die E-Commerce-Webseiten Haushaltsgeräte im Wert von mehr als einer Milliarde Yuan (umgerechnet 127 Millionen Euro) verkauft.

    Gree auf der Suche nach Talenten

    Mit Huang baute Dong die Vorherrschaft bei Klimaanlagen weltweit so sehr aus, dass sie schon 2019 zwei Drittel der Umsätze bei Gree ausmachten. Zuletzt konzentrierte sich Dong vor allem auf die Bereiche Robotik, Recycling, E-Autos aber auch Solarenergie und Smartphones. Aufgrund der Handelsstreitigkeiten mit den USA geriet Gree unter Druck und musste seinen Marktführer-Titel an den heimischen Konkurrenten Midea Co. Ltd. abtreten. Im ersten Halbjahr 2020 hat Midea mit dem Verkauf von Klimaanlagen 64 Milliarden Yuan (ca. 8 Milliarden Euro) gemacht, während Gree im gleichen Zeitraum nur für 41 Milliarden Yuan (ca. 5,1 Milliarden Euro) Klimaanlagen verkaufen konnte. Im vergangenen Jahr musste Gree für die ersten drei Quartale einen Umsatzrückgang von über 18 Prozent verbuchen.

    Huang arbeitet seit 1992, dem Jahr nach der Gründung von Gree, im Unternehmen. Nach 17 Jahren als Vizepräsident wurde Huang 2017 zum Geschäftsführer ernannt und war zuletzt für die laufenden Geschäfte von Gree verantwortlich. “Er wurde als der vielversprechendste Kandidat für die Nachfolge von Dong gehandelt”, sagte der Haushaltsgeräte-Analyst Liu Bucheng dem Wirtschaftsmagazin Caixin. Nun ist die Frage nach der Nachfolge für Dong wieder offen. niw

    • Technologie

    Standpunkt

    Wird Ostasien als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen?

    Von Lee Jong-Wha
    Lee Jong-Wha stellt sich die Frage, ob Ostasien als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen wird.

    Die ostasiatischen Länder haben sich bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie und der Eindämmung ihrer wirtschaftlichen Folgen bemerkenswert gut geschlagen. Angesichts der Tatsache, dass erhebliche Risiken und Unwägbarkeiten weiterhin bestehen bleiben, kann man aber noch lange nicht sagen, dass die Region als globaler Gewinner aus der Krise hervorgehen wird.

    Ostasien kann zweifelsohne eine beeindruckende Bilanz im Umgang mit der Pandemie vorweisen. Im Jahr 2020 wurden mehr als 101 Millionen Menschen positiv auf Covid-19 getestet und über 2,1 Millionen starben weltweit. Aber dank strenger Eindämmungsmaßnahmen und des allgemeinen Tragens von Masken wiesen die ostasiatischen Länder weitaus niedrigere Infektionsraten und Covid-19-Todesfälle auf als die fortgeschrittenen Volkswirtschaften Europas und Amerikas.

    Während die Weltwirtschaft um 4,3 Prozent schrumpfte – der tiefste Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg – blieb das BIP-Wachstum in den sich entwickelnden asiatischen Ländern insgesamt positiv, getragen von Taiwan, Vietnam und vor allem China, das im vierten Quartal ein jährliches Wachstum in Höhe von 6,5 Prozent verzeichnete. Die steigende Auslandsnachfrage nach Technologie, elektronischen Gütern und medizinischen Produkten trug dazu bei, da sich die Exportverluste der Region in Grenzen hielten.

    In diesem Jahr besteht die Hoffnung, dass der weit verbreitete Einsatz von Impfstoffen zu einer umfassenden – und der Weltbank zufolge V-förmigen – globalen Erholung führen wird, mit einem geschätzten Produktionswachstum in Höhe von vier Prozent. Dennoch wird erwartet, dass Ostasien alle anderen Regionen übertreffen wird, wobei China – mit einem prognostizierten Wachstum von 7,9 Prozent– als Treiber des durchschnittlichen Wachstums von 7,4 Prozent gilt.

    Aktienkurse in Ostasien steigen

    Diese optimistischen Prognosen – zusammen mit reichlich Liquidität, die durch beispiellose fiskalische und monetäre Expansion generiert wurde – haben das Vertrauen der Anleger gestärkt und die Aktienkurse in Ostasien historische Höchststände erreichen lassen. Der japanische Nikkei-Index ist seit seinem Tiefststand im März um 67 Prozent gestiegen und hat damit einen Rekordwert vom Mai 1991, kurz vor dem Platzen der Vermögenspreisblase, übertroffen. Auch der MSCI Emerging Market Asia Index ist seit März um 80 Prozent gestiegen und hat damit alle anderen Schwellenländer übertroffen.

    Investoren und Analysten scheinen zuversichtlich, dass ostasiatische Länder – insbesondere China, Südkorea und Indonesien – in der Lage sein werden, das Virus in Schach zu halten, eine robuste wirtschaftliche Erholung zu erreichen und Maßnahmen zur Konjunkturförderung aufrechtzuerhalten, was zu immer höheren Unternehmensgewinnen und damit zu höheren Aktienkursen führt. Vielleicht sollten sie ihre Erwartungen herunterschrauben.

    Zunächst einmal ist die Pandemie noch lange nicht ausgestanden, und viele Länder sind mit einer zweiten oder dritten Infektionswelle konfrontiert. Dazu gehören auch Länder in Ostasien, wie Japan, Südkorea, Malaysia und Thailand, die alle gezwungen waren, erneut strenge Maßnahmen zur Eindämmung zu ergreifen. Darüber hinaus sind schnelle Impfstoff-Auslieferungen – von denen die prognostizierte Erholung abhängt – bei weitem nicht garantiert, und in vielen ostasiatischen Ländern verläuft der Start schleppend.

    Unterdessen werden die Haushalts- und Finanzrisiken größer. Während umfangreiche Regierungsausgaben und geldpolitische Lockerungen die Erholung von der COVID-19-Pandemie vorangetrieben haben, sind auch die Defizite und die Staatsschuldenquoten weltweit in die Höhe geschnellt.

    Öffentliche Haushalte geraten unter Druck

    Für ostasiatische Volkswirtschaften, die relativ niedrige Schuldenquoten aufweisen, ist eine höhere Verschuldung kein unmittelbarer Anlass zur Sorge. Aber das abnehmende Wachstumspotenzial und die alternde Bevölkerung stellen eine Gefahr für die mittelfristige finanzpolitische Tragfähigkeit dar. In den Schwellenländern und Ländern mit mittlerem Einkommen Asiens rechnet der Internationale Währungsfonds mit einer weiteren Verschlechterung der Finanzlage der öffentlichen Haushalte. Wie die Asiatische Entwicklungsbank anmerkt, wird es schwierig sein, diesem Trend entgegenzuwirken, da es problematisch ist, fiskalpolitische Unterstützung schnell zurückzunehmen.

    Gleichzeitig regt die erhöhte Liquidität die Risikobereitschaft an, was zu einem raschen Anstieg der Vermögenspreise führt. Einige ostasiatische Länder, darunter Südkorea und China, haben trotz strengerer Hypothekenvorschriften bereits Schwierigkeiten, Immobilienblasen in Großstädten einzudämmen. Und einige Analysten haben davor gewarnt, dass eine Aktienmarktkorrektur unmittelbar bevorsteht, obwohl andere behaupten, dass die niedrigen Realzinsen und das Wachstumspotenzial des Technologiesektors die hohen Aktienkurse von heute rechtfertigen.

    So oder so könnte die Erwartung einer fiskal- und geldpolitischen Normalisierung nach dem Wiederaufleben von Wachstum und Inflation die weltweiten Aktienkurse einbrechen lassen. Und ein umfangreicher Liquiditätsabzug aus den Schwellenländern könnte für die asiatischen Volkswirtschaften, die in hohem Maße von kurzfristigen ausländischen Kapitalzuflüssen abhängig sind, eine Katastrophe bedeuten.

    Der strategische Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und China setzt die Region  weiteren Abwärtsrisiken aus. US-Präsident Joe Biden behauptete im vergangenen Jahr, dass die USA gegenüber China “hart durchgreifen” müssten, und beschuldigte das Land, amerikanischen Unternehmen Technologie und geistiges Eigentum zu “rauben”. Dies deutet darauf hin, dass er Donald Trumps antagonistische Haltung gegenüber China aufrechterhalten und sogar noch verstärken könnte. Sollte er dies tun, könnten sich die wirtschaftlichen Aussichten Ostasiens deutlich eintrüben.

    Um nach der Pandemie erfolgreich zu sein, müssen ostasiatische Entscheidungsträger all diese Risiken umschiffen und gleichzeitig tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Veränderungen bewältigen. Die Pandemie hat das Konsumverhalten verändert, die Digitalisierung beschleunigt und Industrien auf den Kopf gestellt. Sie hat auch die Einkommensungleichheit und die soziale Unzufriedenheit verschärft. Der Ruf nach gerechteren, nachhaltigen Systemen ist lauter denn je.

    In diesem Zusammenhang ist die Erholung vom Coronavirus nur der erste Schritt. Die Politik muss auch die Grundlagen für ein besseres langfristiges Wachstum schaffen, etwa durch mehr Investitionen in sozialen Schutz, Digitalisierung, Bildung und Qualifizierung sowie grüne Energie.

    Die ostasiatischen Volkswirtschaften sollten sehr stolz auf das sein, was sie im Jahr 2020 erreicht haben. Aber sie dürfen sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Der einzige Weg, um auch im Jahr 2021 und darüber hinaus erfolgreich zu sein, besteht darin, ihre Volkswirtschaften gegen Risiken zu wappnen, die sie nicht kontrollieren können, und die Risiken abzumildern, die sie kontrollieren können.

    Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

    Lee Jong-Wha, Professor für Wirtschaftswissenschaften war auch leitender Berater für internationale Wirtschaftsangelegenheiten des ehemaligen südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak.

    Copyright: Project Syndicate, 2021.
    www.project-syndicate.org

    • Geopolitik
    • USA
    • Wirtschaft

    Portrait

    Jean-Louis Rocca

    Jean-Louis Rocca - Soziologie-Professor und China-Spezialist an der Sciences Po in Paris
    Soziologie-Professor und China-Spezialist an der Sciences Po in Paris

    Jean-Louis Rocca ist Professor an der renommierten Universität Sciences Po in Paris, und arbeitet an deren internationalem Forschungszentrum CERI zu China. Derzeit forscht Jean-Louis Rocca vor allem zur chinesischen Mittelschicht und ihrem Verständnis von Demokratie.

    Die Generation “Xi Jinping“, wie er sie nennt, äußert sich politisch, aber stellt doch das System nicht in Frage. Er beobachtet eine grundlegend andere Konzeption von Demokratie: Wahlen etwa werden von vielen als etwas Komplexes angesehen, das leicht zu Instabilität führen kann. Und die gleichzeitig keine Garantie dafür geben, dass die Wirtschaft weiter wächst und sich Lebensstandards immer weiter verbessern. Das stehe für die Menschen in China jedoch im Mittelpunkt. “Während für uns Wahlen zentral in einer Demokratie sind, sehen sie Wahlen nicht als sehr nützlich an für den aktuellen Kontext”, sagt Jean-Louis Rocca.

    Jean-Louis Rocca und die chinesische Gesellschaft

    Doch der Soziologe ist vielseitig interessiert und wechselt seine Schwerpunkte regelmäßig: “Ich langweile mich schnell. Wenn ich den Eindruck habe, dass ich keine neuen Dinge entdecke, dann wende ich mich etwas anderem zu”, sagt Jean-Louis Rocca. Nur eines bleibt immer gleich: Sein Interesse für die chinesische Gesellschaft.

    Das war überhaupt nicht vorgezeichnet. Er beschreibt die Anfänge seines China-Interesses als eher zufällig. Während seiner Schulzeit war er Teil einer anti-maoistischen Gruppe gewesen. “Das war eher ungewöhnlich, denn die meisten waren pro-maoistisch”, sagt er. Zu der Zeit hat er Bücher französischer Sinologinnen und Sinologen gelesen. Was er daraus lernte: “Wir können China nicht verstehen, denn wir sprechen die Sprache nicht – wir können nicht wissen, was die Leute dort denken”.

    Als der junge Franzose ein Soziologie- und Wirtschaftsstudium in Lyon begann, hat er deshalb auch angefangen, Chinesisch zu lernen. “Das war für mich zu Beginn ein Spiel, eine Herausforderung“, sagt er. Doch seine Motivation wurde ernsthafter. Es sei “das eher intellektuelle Anliegen” gewesen, ein ihm bizarr erscheinendes Land zu verstehen. “Eher Neugier als Leidenschaft“, so sieht er das.

    Einer der ersten Auslandslehrenden an der Tsinghua

    Viele Jahre hat Jean-Louis Rocca in China gelebt, derzeit wohnt er in Paris. Am eindrücklichsten für ihn sei die Zeit zwischen 2005 und 2011 gewesen – damals war er an der führenden Tsinghua-Universität in Peking, und hatte dort den Soziologie-Lehrstuhl inne. “Ich war einer der ersten Ausländer, der wirklich dort unterrichtet hat”, sagt er, “eine wegweisende Ära war das damals”.

    Er habe auf Chinesisch unterrichtet, und dabei viel über die Schwierigkeiten gelernt, chinesischen Soziologie-Studierenden westliche Konzepte und Theorien nahezubringen. Denn die wurden natürlich im Kontext der westlichen Gesellschaften entwickelt. “Es gibt nur sehr wenige chinesische Soziologinnen und Soziologen, die europäische Gesellschaften kennen”, sagt er.

    Zu seiner Zeit dort hat er ein Programm zur französisch-chinesischen Kooperation in den Sozialwissenschaften aufgebaut. Für seine Forschungsprojekte arbeitet er häufig auf Grundlage chinesischer Texte, und interviewt viele Menschen vor Ort. “Ich hoffe, dass ich möglichst bald wieder nach China zurückkann”, sagt er. Das sei momentan aufgrund der Pandemie unmöglich. Aber er versuche seine Recherche hier weiterzuführen, indem er mit in Europa lebenden Chinesinnen und Chinesen spricht. Nicht nur um zu forschen, will er wieder zurück: “Ich würde gern nochmal für einige Jahre dort unterrichten – um zu sehen, was sich seitdem getan hat.” Lisa Becke

    • Gesellschaft
    • Universitäten
    • Wirtschaft
    • Xi Jinping

    Dessert

    Mundraub? Eine Touristin “füttert” eine Möwe am Haigeng Damm in Kunming in der Provinz Yunnan.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen