historische Zäsuren lassen sich meist erst aus einem gewissen zeitlichen Abstand heraus als solche erkennen. Der aktuelle Schlagabtausch zwischen China und der EU mit gegenseitigen Sanktionen und Anschuldigungen bezüglich der Lage der muslimischen Minderheit in Xinjiang hat schon jetzt das Potenzial dazu: Europa hat sich aufgerafft und erstmals seit dem Massaker auf dem Tiananmen China für Menschenrechtsverletzungen sanktioniert.
Doch für eine Zäsur bedarf es mehr. Entscheidend wird sein, ob es dem Westen gelingt, seine einheitliche Position gegenüber der Volksrepublik zu halten. Oder greift Peking einmal mehr zu Niccolò Machiavellis Idee des “divide et impera”: mit seinem ökonomischen Einfluss die Brüsseler Reihen aufzubrechen und Europas Position zu schwächen?
Amelie Richter zeigt, dass die Auseinandersetzung bereits in die nächste Runde geht: Berlin, Brüssel und Paris bestellten die chinesischen Botschafter zum Rapport, derweil Peking sich bei einem Treffen im südchinesischen Guilin die Solidarität Moskaus zusichern lässt. Wird an der aktuellen Eskalation gar das Investitionsabkommen scheitern?
Finn Mayer-Kuckuk wirft unterdessen einen Blick auf den Börsengang des Suchmaschinenbetreibers und KI-Entwicklers Baidu in Hongkong. Neben den aktuellen Aktienwerten geht es ihm vor allem um das Phänomen, dass chinesische Konzerne vermehrt an heimischen Börsen Wertpapiere ausgeben – und was tatsächlich hinter dieser neuen Heimatverbundenheit steckt.
Gregor Koppenburg und Jörn Petring nehmen Sie mit in die Welt der chinesischen Science-Fiction-Literatur. Die Bücher von Liu Cixin, Chen Quifan oder auch Hao Jingfang werden im In- und Ausland millionenfach gelesen. Selbst die Zentralregierung in Peking hat inzwischen ihr Faible für dieses Genre entdeckt. Denn wie immer in China: auch dieser Bereich ist hochpolitisch.
Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht
Nach Pekings Sanktionen gegen Politiker, Organisationen und Wissenschaftler haben die diplomatischen Konsequenzen mehrere europäische Hauptstädte erreicht – darunter Berlin: “Der chinesische Botschafter, Wu Ken, wurde heute zu einem dringenden Gespräch mit Staatssekretär Miguel Berger gebeten”, hieß es auf Anfrage von China.Table aus dem Auswärtigen Amt. Im Gespräch habe Berger die Auffassung der Bundesregierung wiedergegeben, dass die Strafmaßnahmen “eine unangemessene Eskalation darstellen, die die Beziehungen zwischen der EU und China unnötig belasten”. Der Schritt sei “inhaltlich nicht nachvollziehbar” und müsse umgehend rückgängig gemacht werden.
Paris und Brüssel gingen noch einen Schritt weiter, dort wurde die jeweiligen chinesischen Botschafter offiziell einbestellt. Cao Zhongming, Chinas Botschafter in Belgien, sei wegen der Sanktionen gegen ein Mitglied der belgischen Abgeordnetenkammer, Samuel Cogolati, in das Außenministerium einbestellt worden, berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Regierungsquellen. Belgiens Vize-Premier- und Außenministerin Sophie Wilmès hatte die Sanktionen gegen Cogolati bereits am Montag scharf verurteilt und angekündigt, dass sie das Thema mit anderen EU-Kollegen “weiter verfolgen” werde.
In der französischen Hauptstadt wurde Chinas Botschafter Lu Shaye in den Quai d’Orsay einbestellt. Am Dienstagvormittag sei Lu auf Ersuchen von Frankreichs Chef-Diplomaten Jean-Yves Le Drian über alle vorliegenden “Beschwerden” informiert worden, berichtete die Tageszeitung La Depeche.
Zwischen Paris und Peking brodelt es derzeit nicht nur wegen der Sanktionen, die auch den französischen Europa-Abgeordneten und Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des EU-Parlaments, Raphaël Glucksmann, betreffen. Botschafter Lu und auch der Twitter-Account der chinesischen Botschaft in Frankreich teilen regelmäßig gegen Kritiker aus. Zuletzt wurde der Wissenschaftler Antoine Bondaz, der für den renommierten Thinktank The Foundation for Strategic Research arbeitet, auf Twitter angegangen und als “verrückte Hyäne”, “ideologischer Troll” und “Kleinganove” beschimpft.
Der Asien-Direktor des Quai d’Orsay, Bertrand Lortholary, teilte Lu dem Bericht zufolge mit, dass die Methoden der Botschaft und der Ton “völlig inakzeptabel” seien und “allgemein akzeptierte Grenzen” überschritten wurden. Zudem sei Lu die Missbilligung der Sanktionen aus Peking mitgeteilt worden.
Peking bestellte im Gegenzug den EU-Botschafter in China, Nicolas Chapuis, ein, wie Staatsmedien berichteten. Der stellvertretende chinesische Außenminister Qin Gang habe dabei “die jüngsten Sanktionen der EU gegen China wegen sogenannter Menschenrechtsfragen in Xinjiang” angeprangert, berichtete die Partei-Zeitung Global Times.
Derweil formiert sich im Europäischen Parlament heftiger Widerstand gegen das Investitionsabkommen CAI. Die Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, die deutsche Abgeordnete Ska Keller und der Belgier Philippe Lamberts, erklärten: “Solange die Sanktionen der chinesischen Führung in Kraft sind, können wir nicht einmal in Erwägung ziehen, das Investitionsabkommen auf die Tagesordnung des Europäischen Parlaments zu setzen.”
Es sei ein Fehler der EU-Kommission und der EU-Regierungen gewesen, die Verhandlungen vorschnell voranzutreiben, der chinesischen Führung sei nicht zu trauen, wenn sie Abgeordnete des Europäischen Parlaments gezielt angreife, so die Grünen-Fraktionsvorsitzenden. Auch die sozialdemokratische S&D-Fraktion des EU-Parlaments forderte die Aufhebung der Sanktionen gegen Europa-Abgeordnete als Voraussetzung, um weiter über das CAI zu sprechen.
Iuliu Winkler, ständiger Berichterstatter des Handelsausschusses zu China und Mitglied der großen EVP-Fraktion im Europaparlament, betonte jedoch, dass vor einer möglichen Ratifizierung noch viel Zeit bleibe – derzeit liege das CAI gar nicht auf dem Tisch. “Gleichzeitig haben sich die wirtschaftlichen Realitäten und die grundlegenden Ziele, für die CAI ausgehandelt wurde, nicht geändert”, so Winkler.
Winkler erklärte, die Sanktionen seien nicht in Bezug auf die CAI-Verhandlungen oder den Inhalt der Vereinbarung verhängt worden. Sie seien “vielmehr das Ergebnis einer breiteren Asymmetrie in der Wahrnehmung von Menschenrechten und Regierungsführung in China.” Er räumte ein, dass die Sanktionen jedoch zu einem Rückgang des Vertrauens zwischen den beiden Akteuren führten. “Die Auswirkungen werden auf breiter Front sichtbar sein, und der Schritt ist sicherlich nicht vorteilhaft für eine bilaterale Agenda, die auf Zusammenarbeit beruht”, sagte Winkler.
Auch die Sprecherin der Generaldirektion für Handel der Europäischen Kommission, Miriam García Ferrer, betonte, dass die Sanktionen nicht hilfreich seien, eine konstruktive Beziehung zu China aufzubauen – am CAI werde aber dennoch festgehalten.
Der Suchmaschinenbetreiber und KI-Entwickler Baidu hat durch die Ausgabe neuer Anteilsscheine rund 2,5 Milliarden Euro eingenommen. Am Ende des ersten Handelstags standen die neu ausgegebenen Aktien genau beim Ausgabepreis vom Dienstagmorgen. Sie waren weiterhin 252 Hongkong-Dollar wert.
Das Ergebnis gilt als enttäuschend. Im Jahr 2019 hatten die Bewertungen der Börsenneulinge in Hongkong an ihren ersten Handelstagen noch im Schnitt um 48 Prozent zugelegt, 2020 waren es noch 19 Prozent. Der Homecoming-Börsengang des Restaurantbetreibers Yum China (Pizza Hut, KFC) im September brachte jedoch schon ein schwaches Ergebnis. Die zwei anderen “Homecomings” des Jahres 2021 fanden sich am ersten Handelstag zumindest im positiven Bereich wieder: JD.com konnte 3,5 Prozent zulegen. Bei Netease war ein Plus von knapp sechs Prozent drin. Der Aktienkurs von Baidu hingegen lief nun einfach nur seitwärts.
Dabei hatte Baidu offiziell an seine Heimkehr die Hoffnung auf Mehreinnahmen geknüpft. “Die Rückkehr nach Hongkong für eine zweite Börsennotierung ist für uns ein Neustart”, sagte Firmenchef Robin Li im Interview mit Bloomberg. Es zahle sich aus, dass Baidu viel Geld in Künstliche Intelligenz investiert habe. Die Anleger sehen hier ein Zukunftsgeschäft. “Unsere hohen Investitionen werden sich auszahlen”, hoffte Li.
Baidu ist seit 2007 an der US-Technikbörse Nasdaq in New York notiert. Es war lange Zeit üblich, dass chinesische Firmen sich in Übersee mit Kapital versorgen. Ein Börsengang in Amerika galt zudem als prestigeträchtiger. Auch Alibaba ist im Jahr 2014 noch in New York an die Börse gegangen. Hongkong war als Alternative im Gespräch, doch Jack Ma wollte nach New York.
Inzwischen haben sich sowohl die Stimmung als auch die praktischen Bedingungen gewandelt. Sanktionen gegen US-gelistete Unternehmen verwandeln den Traum vom US-Kapital zum Teil in einen Albtraum. Die amerikanische Regierung hat die Aktien mehrerer Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt. Darunter befinden sich der Kommunikationskonzern China Mobile, der Ölförderer CNOOC wie auch der Halbleiterhersteller SMIC. Die Regierung in Washington unterstellt ihnen Verbindungen zum Militär. Damit treten Sicherheitsregeln in Kraft, die ihre Finanzierung in den USA untersagen. Das lässt den Börsenhandel in Amerika für chinesische Unternehmen wenig attraktiv erscheinen.
Auch die politischen Trends und die Stimmung in China sprechen gegen eine Finanzierung im Ausland. Anders als in den vergangenen Jahrzehnten ist der chinesische Patriotismus derart stark ausgeprägt, dass selbst Finanzierungen im Ausland mit Missfallen quittiert werden: Eine Verbindung nach Amerika oder Europa war früher ein Zeichen dafür, es geschafft zu haben. Heute wirft sie die Frage auf, ob sie angesichts eines erstarkten Chinas überhaupt nötig ist.
Tatsächlich haben Chinas Kapitalmärkte inzwischen die Breite und Tiefe, um auch Börsengänge großer Namen anzutreiben. Der Handelsplatz Hongkong profitiert davon. Im vergangenen Jahr hat er Neuemissionen in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar durch die Heimkehrer-Listings verzeichnet.
Der Name “Homecoming” für den Trend ist jedoch auch irreführend. Es ist nicht so, als ob die Unternehmen ihre amerikanischen Aktien aus dem Handel nehmen würden. Sie geben vielmehr zusätzlich Anteilsscheine in Hongkong aus. Letztlich handelt es sich also um eine Kapitalerhöhung, nicht um einen Umzug in die Heimat. Die Bezeichnung lässt sich daher auch als patriotischer Marketing-Trick für die Platzierung zusätzlicher Aktien sehen.
Die Rechte der Altaktionäre erklären zum Teil die durchwachsene Beliebtheit der Heimkehrer-Papiere. Zwar sind Baidu, JD oder Yum gute Namen. Doch sie gehören eben schon den Erstinvestoren – oder zumindest dachten diese das. Da es sich um neue Börsengänge an neuen Standorten handelt, ist die Neuausgabe formal gesehen keine Verwässerung. Doch es gibt durchaus beschränkte Ressourcen, die sich alle Aktionäre teilen müssen. Die Dividendenfähigkeit steigt jedenfalls nicht, wenn zusätzlich auch Anleger an weiteren Börsenplätzen bedacht werden müssen. Die alten und die neuen Aktionäre müssen sich vielmehr die vorhandenen Gewinne teilen. Außerdem gelten Technik-Aktien derzeit ohnehin als hoch bewertet.
Das alles betrifft auch den nächsten “Heimkehrer”: die Video-Seite Bilibili. Sie ist auf asiatische Zeichentrickvideos spezialisiert und profitierte zuletzt davon, dass viele Kinder und Jugendliche wegen Corona zu Hause bleiben mussten. Der Betreiber ist bereits in den USA börsennotiert und plant nun ebenfalls ein Zweitlisting in Hongkong. Die Aktie soll am 29. März in den Handel kommen.
Fast zehn Jahre dauerte es, bis Liu Cixins erster Roman Die Drei Sonnen westliche Leser erreichte. Zunächst wurde er in China 2006 seriell veröffentlicht und erschien kurz danach als Roman. 2014 kam dann die englische Übersetzung auf den Markt – und Liu räumte prompt als erster asiatischer Autor einen Hugo Award ab, den anerkanntesten Science-Fiction Literaturpreis. Auch Barack Obama nannte den Roman eines seiner Lieblingsbücher.
Liu ist mit seiner Trisolaris-Trilogie (bestehend aus Die Drei Sonnen, Der Dunkle Wald und Jenseits der Zeit), von der weltweit mehr als zehn Millionen Bücher verkauft wurden, sicher der bekannteste chinesische Science-Fiction-Autor. Doch sein Erfolg rückte eine ganze Subkultur von chinesischen SciFi-Autoren ins Rampenlicht, die sich vorher bereits jahrzehntelang als Online-Community geformt hatte. Unter ihnen sind Namen wie Chen Qiufan, dessen Buch Die Siliziuminsel auch auf Deutsch erhältlich ist, oder die Autorin Hao Jingfang, die ebenfalls einen Hugo Award für ihre Novelle Folding Beijing gewann.
Science-Fiction-Fans lechzen nach chinesischen Stoffen, denn sie haben es geschafft, dem Genre neue Impulse zu geben. So sind sie von einem Nischenprodukt für eine kleine Online-Community zu einem weltweiten Massenphänomen geworden und gleichzeitig zu einem Gütesiegel für neuartige, ungewöhnlichere Inhalte gewachsen.
Die weltweiten Buchverkäufe sind dabei nur ein Teil. Filmproduktionsfirmen reißen sich um die Rechte für Verfilmungen, wie im Falle von The Wandering Earth, der sich an den gleichnamigen Roman von Liu Cixin anlehnt. Eine TV-Serie zu seiner Trisolaris-Trilogie ist bei Netflix in Planung und soll von keinen anderen als David Benioff und D.B. Weiss umgesetzt werden. Zuvor hatten die beiden Autoren mit der Serie Game of Thrones eine der erfolgreichsten Fernsehserien aller Zeiten kreiert. Auch der Gaming-Markt profitiert vom chinesischen Sci-Fi-Boom.
Dass sich viele Chinesen mit Fragen über die Zukunft befassen, ist kein Zufall. Fast täglich hören sie Meldungen über neue Erfolge des staatlichen Raumfahrtprogramms. Der Mars ist erreicht, in wenigen Wochen soll ein Rover dort landen. Der Bau einer chinesischen Raumstation in der Erdumlaufbahn beginnt noch dieses Jahr, eine Mondbasis soll in wenigen Jahren folgen.
Eine zentrale Konstellation, dem ein großer Teil der chinesischen Science-Fiction Literatur immer wieder nachgeht, wird in der Volksrepublik mit Alltagserlebnissen bedient: das Spannungsfeld zwischen dem Supermodernen und den Menschen, die befürchten, davon erdrückt zu werden.
Chinas Großstädte sind futuristisch. Hier findet man unzählige technische Innovationen wie Gesichtserkennung oder Drohnenlieferungen. Aber sie produzieren auch Luftverschmutzung, Überwachung und Armut, die sich widerspiegelt in den bitterarmen Wanderarbeitern, die mit zerrissenen Jeanshosen Beton für die futuristisch anmutenden Gebäude anrühren. Anstatt Geschichten über die Zukunft zu schreiben, scheinen chinesische Autoren Geschichten aus der Zukunft zu schreiben. Das kommt bei Lesern, Kritikern und Offiziellen gleichermaßen gut an.
Das war allerdings nicht immer so: Während und nach der Kulturrevolution war Science Fiction in China verboten, weil die Autoren Sachverhalte einbauten, die nicht zu 100 Prozent mit der realen Wissenschaft übereinstimmten. Nach einer kurzen Blütezeit wurde sie dann unter Deng Xiaoping in den 80er Jahren abermals verboten. “Zu westlich” lautete diesmal das Urteil. Lange Zeit schien es so, als müsse Kunst rückwärts gerichtet sein, damit sie offiziell respektiert werden konnte. Traditionelle Kunstformen wie Kalligraphie, Dichtkunst und Malerei galten als die großen Ausdrucksformen. Doch damit können viele junge Chinesen seit langem nicht mehr viel anfangen.
Mit dem weltweiten Erfolgen der chinesischen Romane steigt nun auch das Ansehen des Genres bei staatlichen Behörden und der Zentralregierung. Dass die Bücher so beliebt sind, liefert der Regierung ein gewisses Maß an Softpower und kulturellen Einfluss auf den Westen. Speziell in den vergangenen Jahren, in denen sich China weltpolitisch ein ums andere Mal unbeliebt gemacht hat, ist das eine wichtige Währung.
Auf den ersten Blick erscheint das Verhältnis der Behörden zu den Texten deutlich entspannter, als man es in anderen Bereichen gewohnt sein mag. Die Regierung unterstützt das Genre, die Provinzregierung von Sichuan finanziert sogar ein Forschungszentrum. Auch schaffen es viele Autoren, ungewöhnlich viel Sozialkritik in ihren Romanen unterzubringen.
Gleichzeitig sind aber Inhalte über Zeitreisen verboten. Dass die Autoren mit ihren Ideen trotzdem oft durchkommen führt der mehrfach mit dem Hugo-Award ausgezeichnete Autor und Übersetzer Ken Liu darauf zurück, dass die Autoren sehr feinfühlig sind, wie viel Verfremdung notwendig ist, um sich an der Zensur vorbeizuschleichen. “Sie werden Meister (…) darin, neue Sprachen zu entwickeln, die den Zensoren gerade genug glaubwürdige Abstreitbarkeit geben, dass sie durchlassen, was normalerweise verboten ist”, sagt Liu.
Er muss es wissen, denn der chinesischstämmige US-Bürger ist eine Schlüsselfigur im Siegeszug der chinesischen Science Fiction. Viele der chinesischen Bücher wurden im Westen erst dadurch bekannt, dass er sie übersetzte und – wie im Fall von Die Drei Sonnen – sogar strukturelle Änderungen vorschlug. Der Roman enthält eine lange Passage über die Brutalität und Willkür während der Kulturrevolution. Als Ken Liu das chinesische Manuskript übersetzte, befand sich dieser Teil allerdings nicht – wie in der im Westen erhältlichen Fassung – direkt am Anfang der Geschichte. Die Verleger hatten Liu Cixin darum gebeten, es weiter hinten im Roman zu verstecken. Um der Zensur zu entgehen. Gregor Koppenburg / Jörn Petring
China soll den Verkauf von 500.000 Tonnen Aluminium aus staatlichen Reserven erwägen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf eine Quelle, die mit den Plänen vertraut sein soll. Am Dienstag fielen an der Shanghai Futures Exchange die Preise für den am meisten gehandelten Aluminiumkontrakt um sechs Prozent auf 16.480 Yuan (2531 US-Dollar) pro Tonne.
Die Aluminiumpreise hatten an der Shanghaier Terminkontrakt-Börse in den ersten beiden Monaten dieses Jahres immer wieder neue Rekorde erreicht und stiegen Anfang März auf den höchsten Stand seit zehn Jahren.
Ursache für die Preissprünge bei Aluminium ist unter anderem die Reduzierung der Schmelzkapazität in Baotou in der Inneren Mongolei. Damit versucht die Provinzregierung, die vierteljährlichen Energieziele einzuhalten. Analysten sehen dies als Beleg dafür, dass Peking vermehrt auf den Kohlendioxidausstoß achte, um so die selbstgesteckten Klimaziele zu erfüllen und noch vor 2030 seinen Höhepunkt beim Kohlendioxidausstoß zu erreichen. Allerdings hat das Auswirkungen auf die Produktion. “Dies könnte zu einer jährlichen Reduzierung der Aluminiumproduktion um 100.000 Tonnen führen”, sagte CRU-Analyst Wan Ling gegenüber Reuters.
Die Innere Mongolei war 2020 eine von drei Provinzen, die laut Citi-Analysten in den ersten drei Quartalen des Jahres ihre Ziele in Bezug auf Energieverbrauch und -effizienz nicht erreicht hatten. Die geplanten Energieeinsparungen der Lokalregierung zielt direkt auf die Produktion der Aluminiumhütten, da diese für das Schmelzen des Metalls viel Strom verbrauchen. Hinzu kommt, dass in China ein Großteil der Aluminiumhütten mit Kohle betrieben werden. Laut dem International Aluminium Institute (IAI) produzierte China 2019 mehr als 36 Millionen Tonnen Primäraluminium und verbrauchte dafür 484.342 Gigawattstunden an Strom, die wiederum zu 88 Prozent aus Kohle gewonnen wurden. Primäraluminium wird direkt aus dem Rohstoff gewonnen und erfordert daher einen hohen Energiebedarf (im Durchschnitt 13 bis 16 Kilowattstunden je Kilogramm Aluminium).
Um die entstehenden Produktionsverluste der Aluminiumhütten aufzufangen, könnte die Regierung in Peking nun gezwungen sein, die zentralen Lagerbestände zu öffnen. Zuletzt hatte Peking seine Reserven für Aluminium im Jahr 2010 geöffnet. Auch damals hatten Produktionskürzungen zur Erreichung von Energiesparzielen das Angebot von Aluminium massiv verknappt. niw
Ein umstrittener Absatz im Investitionsabkommen zwischen der EU und China (CAI) zum Umgang mit Nichtregierungsorganisationen (NGO) wurde EU-Kreisen zufolge einseitig von der chinesischen Seite eingebracht. Der entsprechende Absatz in den CAI-Annexen sei während der Verhandlungen nicht zur Sprache gekommen, berichten Quellen aus der EU-Kommission gegenüber China.Table. Bei dem Passus handele es sich um einen “einseitigen Vorbehalt, den China in seinen Verpflichtungsplan (schedule of commitments) aufgenommen hat”. Es sei nicht üblich, dass politische Ansätze wie der zum NGO-Umgang ihren Weg in ein Handels- oder Investitionsabkommen fänden, hieß es weiter.
Deutsche Stiftungsvertreter hatten im Gespräch mit China.Table ihre Sorgen angesichts des CAI-Absatzes geäußert (China.Table berichtete). Denn China nutzt den Abkommens-Text, um zusätzlichen Druck bei der Besetzung von Führungsposten durch Chinesen aufzubauen. Stiftungsvertreter halten das für höchst bedenklich. Es sei deutlich zu erkennen, dass hier von chinesischer Seite der Versuch unternommen werde, ein bestimmtes Narrativ zu kontrollieren, kritisierten NGO-Mitarbeiter.
Der umstrittene Absatz im Abkommens-Annex weise auf Sektoren hin, “in denen die Partei (in diesem Fall China) keine Verpflichtungen eingeht”, erklärte die Kommission-Quelle. Das bedeute nicht, dass bestehende Gesetze oder Richtlinien von dieser Partei nicht geändert werden können oder “dass sie von der anderen Partei befürwortet werden”. Das CAI könne nicht alle Probleme mit China lösen und müsse als Teil einer “Toolbox” gesehen werden, so die Quelle. ari
Wie Europa mit dem Aufstieg Chinas zur Weltmacht umgeht, ist für Anika Laudien eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. “Bei diesem Systemwettbewerb steht viel auf dem Spiel”, sagt sie, “vor allem für die jüngere Generation”. Die 34-jährige Hamburgerin arbeitet als Projektmanagerin im Programm Deutschland und Asien der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich dort hauptsächlich mit China. Im siebenköpfigen Team konzipiert Laudien Studien, betreut Netzwerke, organisiert Konferenzen und versucht “die Debatte mit und über China zu managen”.
Das Asien-Programm der Bertelsmann Stiftung versteht sich dabei als Plattform, die versucht, Filterblasen aufzulösen. Und zwar, indem man Menschen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Think-Tanks zusammenbringt. So soll verhindert werden, dass der Austausch zur China-Herausforderung in thematischen Säulen stattfinde. “Wir wollen nicht Politik gegen Unternehmen ausspielen, sondern versuchen, durch einen teilhabenden Ansatz gemeinsame Agenden zu finden”, sagt Laudien.
Laudien studierte nach dem Abitur Wirtschaftssinologie in Bremen und Shanghai und hat einen Master in Europawissenschaften. China hat sie fasziniert, seit sie in der Schule im Geschichtsunterricht das Kaiserreich behandelten: “Das löste in mir eine Lust aus, etwas ganz anderes, Fremdes kennenzulernen und meinen Horizont weit über Europa hinaus zu erweitern.”
Derzeit liegt der Fokus ihrer Arbeit darin, zu analysieren, welche gemeinsamen Interessen und Unterschiede zwischen der USA und der EU bestehen im Umgang mit der Volksrepublik. “Die zentrale Frage ist derzeit, wie wir eine transatlantische China-Politik schaffen, die diesen Namen verdient”, sagt sie. Hier hoffe man vom US-Präsidenten Joe Biden eine neue Dynamik. Europa solle sich dabei nicht von einem falschen Idealismus leiten lassen, sondern sich ernsthaft fragen, was seine echten Interessen sind. Um souverän gegenüber China aufzutreten, sei dabei gelebte europäische Solidarität zentral. “Wir dürfen uns auf keinen Fall von China auseinanderdividieren lassen.“
Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht beeindruckt Laudien: “Es fordert die Welt in noch nie gesehener Form heraus, und zwar auf allen Ebenen.” Vor allem Deutschland habe sich noch nicht daran gewöhnt, dass China nicht bloß Partner und Wettbewerber, sondern auch Rivale sei. “Man redet zwar viel von diesem neuen Dreiklang, aber wie man konkret damit umgeht, dafür fehlt eine strategische Klarheit.” Bei diesen Entwicklungen mitzuwirken, sei für sie daher extrem spannend: “Ich möchte einen Beitrag leisten, damit wir einen besseren Umgang mit China finden.” Adrian Meyer
historische Zäsuren lassen sich meist erst aus einem gewissen zeitlichen Abstand heraus als solche erkennen. Der aktuelle Schlagabtausch zwischen China und der EU mit gegenseitigen Sanktionen und Anschuldigungen bezüglich der Lage der muslimischen Minderheit in Xinjiang hat schon jetzt das Potenzial dazu: Europa hat sich aufgerafft und erstmals seit dem Massaker auf dem Tiananmen China für Menschenrechtsverletzungen sanktioniert.
Doch für eine Zäsur bedarf es mehr. Entscheidend wird sein, ob es dem Westen gelingt, seine einheitliche Position gegenüber der Volksrepublik zu halten. Oder greift Peking einmal mehr zu Niccolò Machiavellis Idee des “divide et impera”: mit seinem ökonomischen Einfluss die Brüsseler Reihen aufzubrechen und Europas Position zu schwächen?
Amelie Richter zeigt, dass die Auseinandersetzung bereits in die nächste Runde geht: Berlin, Brüssel und Paris bestellten die chinesischen Botschafter zum Rapport, derweil Peking sich bei einem Treffen im südchinesischen Guilin die Solidarität Moskaus zusichern lässt. Wird an der aktuellen Eskalation gar das Investitionsabkommen scheitern?
Finn Mayer-Kuckuk wirft unterdessen einen Blick auf den Börsengang des Suchmaschinenbetreibers und KI-Entwicklers Baidu in Hongkong. Neben den aktuellen Aktienwerten geht es ihm vor allem um das Phänomen, dass chinesische Konzerne vermehrt an heimischen Börsen Wertpapiere ausgeben – und was tatsächlich hinter dieser neuen Heimatverbundenheit steckt.
Gregor Koppenburg und Jörn Petring nehmen Sie mit in die Welt der chinesischen Science-Fiction-Literatur. Die Bücher von Liu Cixin, Chen Quifan oder auch Hao Jingfang werden im In- und Ausland millionenfach gelesen. Selbst die Zentralregierung in Peking hat inzwischen ihr Faible für dieses Genre entdeckt. Denn wie immer in China: auch dieser Bereich ist hochpolitisch.
Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht
Nach Pekings Sanktionen gegen Politiker, Organisationen und Wissenschaftler haben die diplomatischen Konsequenzen mehrere europäische Hauptstädte erreicht – darunter Berlin: “Der chinesische Botschafter, Wu Ken, wurde heute zu einem dringenden Gespräch mit Staatssekretär Miguel Berger gebeten”, hieß es auf Anfrage von China.Table aus dem Auswärtigen Amt. Im Gespräch habe Berger die Auffassung der Bundesregierung wiedergegeben, dass die Strafmaßnahmen “eine unangemessene Eskalation darstellen, die die Beziehungen zwischen der EU und China unnötig belasten”. Der Schritt sei “inhaltlich nicht nachvollziehbar” und müsse umgehend rückgängig gemacht werden.
Paris und Brüssel gingen noch einen Schritt weiter, dort wurde die jeweiligen chinesischen Botschafter offiziell einbestellt. Cao Zhongming, Chinas Botschafter in Belgien, sei wegen der Sanktionen gegen ein Mitglied der belgischen Abgeordnetenkammer, Samuel Cogolati, in das Außenministerium einbestellt worden, berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Regierungsquellen. Belgiens Vize-Premier- und Außenministerin Sophie Wilmès hatte die Sanktionen gegen Cogolati bereits am Montag scharf verurteilt und angekündigt, dass sie das Thema mit anderen EU-Kollegen “weiter verfolgen” werde.
In der französischen Hauptstadt wurde Chinas Botschafter Lu Shaye in den Quai d’Orsay einbestellt. Am Dienstagvormittag sei Lu auf Ersuchen von Frankreichs Chef-Diplomaten Jean-Yves Le Drian über alle vorliegenden “Beschwerden” informiert worden, berichtete die Tageszeitung La Depeche.
Zwischen Paris und Peking brodelt es derzeit nicht nur wegen der Sanktionen, die auch den französischen Europa-Abgeordneten und Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des EU-Parlaments, Raphaël Glucksmann, betreffen. Botschafter Lu und auch der Twitter-Account der chinesischen Botschaft in Frankreich teilen regelmäßig gegen Kritiker aus. Zuletzt wurde der Wissenschaftler Antoine Bondaz, der für den renommierten Thinktank The Foundation for Strategic Research arbeitet, auf Twitter angegangen und als “verrückte Hyäne”, “ideologischer Troll” und “Kleinganove” beschimpft.
Der Asien-Direktor des Quai d’Orsay, Bertrand Lortholary, teilte Lu dem Bericht zufolge mit, dass die Methoden der Botschaft und der Ton “völlig inakzeptabel” seien und “allgemein akzeptierte Grenzen” überschritten wurden. Zudem sei Lu die Missbilligung der Sanktionen aus Peking mitgeteilt worden.
Peking bestellte im Gegenzug den EU-Botschafter in China, Nicolas Chapuis, ein, wie Staatsmedien berichteten. Der stellvertretende chinesische Außenminister Qin Gang habe dabei “die jüngsten Sanktionen der EU gegen China wegen sogenannter Menschenrechtsfragen in Xinjiang” angeprangert, berichtete die Partei-Zeitung Global Times.
Derweil formiert sich im Europäischen Parlament heftiger Widerstand gegen das Investitionsabkommen CAI. Die Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, die deutsche Abgeordnete Ska Keller und der Belgier Philippe Lamberts, erklärten: “Solange die Sanktionen der chinesischen Führung in Kraft sind, können wir nicht einmal in Erwägung ziehen, das Investitionsabkommen auf die Tagesordnung des Europäischen Parlaments zu setzen.”
Es sei ein Fehler der EU-Kommission und der EU-Regierungen gewesen, die Verhandlungen vorschnell voranzutreiben, der chinesischen Führung sei nicht zu trauen, wenn sie Abgeordnete des Europäischen Parlaments gezielt angreife, so die Grünen-Fraktionsvorsitzenden. Auch die sozialdemokratische S&D-Fraktion des EU-Parlaments forderte die Aufhebung der Sanktionen gegen Europa-Abgeordnete als Voraussetzung, um weiter über das CAI zu sprechen.
Iuliu Winkler, ständiger Berichterstatter des Handelsausschusses zu China und Mitglied der großen EVP-Fraktion im Europaparlament, betonte jedoch, dass vor einer möglichen Ratifizierung noch viel Zeit bleibe – derzeit liege das CAI gar nicht auf dem Tisch. “Gleichzeitig haben sich die wirtschaftlichen Realitäten und die grundlegenden Ziele, für die CAI ausgehandelt wurde, nicht geändert”, so Winkler.
Winkler erklärte, die Sanktionen seien nicht in Bezug auf die CAI-Verhandlungen oder den Inhalt der Vereinbarung verhängt worden. Sie seien “vielmehr das Ergebnis einer breiteren Asymmetrie in der Wahrnehmung von Menschenrechten und Regierungsführung in China.” Er räumte ein, dass die Sanktionen jedoch zu einem Rückgang des Vertrauens zwischen den beiden Akteuren führten. “Die Auswirkungen werden auf breiter Front sichtbar sein, und der Schritt ist sicherlich nicht vorteilhaft für eine bilaterale Agenda, die auf Zusammenarbeit beruht”, sagte Winkler.
Auch die Sprecherin der Generaldirektion für Handel der Europäischen Kommission, Miriam García Ferrer, betonte, dass die Sanktionen nicht hilfreich seien, eine konstruktive Beziehung zu China aufzubauen – am CAI werde aber dennoch festgehalten.
Der Suchmaschinenbetreiber und KI-Entwickler Baidu hat durch die Ausgabe neuer Anteilsscheine rund 2,5 Milliarden Euro eingenommen. Am Ende des ersten Handelstags standen die neu ausgegebenen Aktien genau beim Ausgabepreis vom Dienstagmorgen. Sie waren weiterhin 252 Hongkong-Dollar wert.
Das Ergebnis gilt als enttäuschend. Im Jahr 2019 hatten die Bewertungen der Börsenneulinge in Hongkong an ihren ersten Handelstagen noch im Schnitt um 48 Prozent zugelegt, 2020 waren es noch 19 Prozent. Der Homecoming-Börsengang des Restaurantbetreibers Yum China (Pizza Hut, KFC) im September brachte jedoch schon ein schwaches Ergebnis. Die zwei anderen “Homecomings” des Jahres 2021 fanden sich am ersten Handelstag zumindest im positiven Bereich wieder: JD.com konnte 3,5 Prozent zulegen. Bei Netease war ein Plus von knapp sechs Prozent drin. Der Aktienkurs von Baidu hingegen lief nun einfach nur seitwärts.
Dabei hatte Baidu offiziell an seine Heimkehr die Hoffnung auf Mehreinnahmen geknüpft. “Die Rückkehr nach Hongkong für eine zweite Börsennotierung ist für uns ein Neustart”, sagte Firmenchef Robin Li im Interview mit Bloomberg. Es zahle sich aus, dass Baidu viel Geld in Künstliche Intelligenz investiert habe. Die Anleger sehen hier ein Zukunftsgeschäft. “Unsere hohen Investitionen werden sich auszahlen”, hoffte Li.
Baidu ist seit 2007 an der US-Technikbörse Nasdaq in New York notiert. Es war lange Zeit üblich, dass chinesische Firmen sich in Übersee mit Kapital versorgen. Ein Börsengang in Amerika galt zudem als prestigeträchtiger. Auch Alibaba ist im Jahr 2014 noch in New York an die Börse gegangen. Hongkong war als Alternative im Gespräch, doch Jack Ma wollte nach New York.
Inzwischen haben sich sowohl die Stimmung als auch die praktischen Bedingungen gewandelt. Sanktionen gegen US-gelistete Unternehmen verwandeln den Traum vom US-Kapital zum Teil in einen Albtraum. Die amerikanische Regierung hat die Aktien mehrerer Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt. Darunter befinden sich der Kommunikationskonzern China Mobile, der Ölförderer CNOOC wie auch der Halbleiterhersteller SMIC. Die Regierung in Washington unterstellt ihnen Verbindungen zum Militär. Damit treten Sicherheitsregeln in Kraft, die ihre Finanzierung in den USA untersagen. Das lässt den Börsenhandel in Amerika für chinesische Unternehmen wenig attraktiv erscheinen.
Auch die politischen Trends und die Stimmung in China sprechen gegen eine Finanzierung im Ausland. Anders als in den vergangenen Jahrzehnten ist der chinesische Patriotismus derart stark ausgeprägt, dass selbst Finanzierungen im Ausland mit Missfallen quittiert werden: Eine Verbindung nach Amerika oder Europa war früher ein Zeichen dafür, es geschafft zu haben. Heute wirft sie die Frage auf, ob sie angesichts eines erstarkten Chinas überhaupt nötig ist.
Tatsächlich haben Chinas Kapitalmärkte inzwischen die Breite und Tiefe, um auch Börsengänge großer Namen anzutreiben. Der Handelsplatz Hongkong profitiert davon. Im vergangenen Jahr hat er Neuemissionen in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar durch die Heimkehrer-Listings verzeichnet.
Der Name “Homecoming” für den Trend ist jedoch auch irreführend. Es ist nicht so, als ob die Unternehmen ihre amerikanischen Aktien aus dem Handel nehmen würden. Sie geben vielmehr zusätzlich Anteilsscheine in Hongkong aus. Letztlich handelt es sich also um eine Kapitalerhöhung, nicht um einen Umzug in die Heimat. Die Bezeichnung lässt sich daher auch als patriotischer Marketing-Trick für die Platzierung zusätzlicher Aktien sehen.
Die Rechte der Altaktionäre erklären zum Teil die durchwachsene Beliebtheit der Heimkehrer-Papiere. Zwar sind Baidu, JD oder Yum gute Namen. Doch sie gehören eben schon den Erstinvestoren – oder zumindest dachten diese das. Da es sich um neue Börsengänge an neuen Standorten handelt, ist die Neuausgabe formal gesehen keine Verwässerung. Doch es gibt durchaus beschränkte Ressourcen, die sich alle Aktionäre teilen müssen. Die Dividendenfähigkeit steigt jedenfalls nicht, wenn zusätzlich auch Anleger an weiteren Börsenplätzen bedacht werden müssen. Die alten und die neuen Aktionäre müssen sich vielmehr die vorhandenen Gewinne teilen. Außerdem gelten Technik-Aktien derzeit ohnehin als hoch bewertet.
Das alles betrifft auch den nächsten “Heimkehrer”: die Video-Seite Bilibili. Sie ist auf asiatische Zeichentrickvideos spezialisiert und profitierte zuletzt davon, dass viele Kinder und Jugendliche wegen Corona zu Hause bleiben mussten. Der Betreiber ist bereits in den USA börsennotiert und plant nun ebenfalls ein Zweitlisting in Hongkong. Die Aktie soll am 29. März in den Handel kommen.
Fast zehn Jahre dauerte es, bis Liu Cixins erster Roman Die Drei Sonnen westliche Leser erreichte. Zunächst wurde er in China 2006 seriell veröffentlicht und erschien kurz danach als Roman. 2014 kam dann die englische Übersetzung auf den Markt – und Liu räumte prompt als erster asiatischer Autor einen Hugo Award ab, den anerkanntesten Science-Fiction Literaturpreis. Auch Barack Obama nannte den Roman eines seiner Lieblingsbücher.
Liu ist mit seiner Trisolaris-Trilogie (bestehend aus Die Drei Sonnen, Der Dunkle Wald und Jenseits der Zeit), von der weltweit mehr als zehn Millionen Bücher verkauft wurden, sicher der bekannteste chinesische Science-Fiction-Autor. Doch sein Erfolg rückte eine ganze Subkultur von chinesischen SciFi-Autoren ins Rampenlicht, die sich vorher bereits jahrzehntelang als Online-Community geformt hatte. Unter ihnen sind Namen wie Chen Qiufan, dessen Buch Die Siliziuminsel auch auf Deutsch erhältlich ist, oder die Autorin Hao Jingfang, die ebenfalls einen Hugo Award für ihre Novelle Folding Beijing gewann.
Science-Fiction-Fans lechzen nach chinesischen Stoffen, denn sie haben es geschafft, dem Genre neue Impulse zu geben. So sind sie von einem Nischenprodukt für eine kleine Online-Community zu einem weltweiten Massenphänomen geworden und gleichzeitig zu einem Gütesiegel für neuartige, ungewöhnlichere Inhalte gewachsen.
Die weltweiten Buchverkäufe sind dabei nur ein Teil. Filmproduktionsfirmen reißen sich um die Rechte für Verfilmungen, wie im Falle von The Wandering Earth, der sich an den gleichnamigen Roman von Liu Cixin anlehnt. Eine TV-Serie zu seiner Trisolaris-Trilogie ist bei Netflix in Planung und soll von keinen anderen als David Benioff und D.B. Weiss umgesetzt werden. Zuvor hatten die beiden Autoren mit der Serie Game of Thrones eine der erfolgreichsten Fernsehserien aller Zeiten kreiert. Auch der Gaming-Markt profitiert vom chinesischen Sci-Fi-Boom.
Dass sich viele Chinesen mit Fragen über die Zukunft befassen, ist kein Zufall. Fast täglich hören sie Meldungen über neue Erfolge des staatlichen Raumfahrtprogramms. Der Mars ist erreicht, in wenigen Wochen soll ein Rover dort landen. Der Bau einer chinesischen Raumstation in der Erdumlaufbahn beginnt noch dieses Jahr, eine Mondbasis soll in wenigen Jahren folgen.
Eine zentrale Konstellation, dem ein großer Teil der chinesischen Science-Fiction Literatur immer wieder nachgeht, wird in der Volksrepublik mit Alltagserlebnissen bedient: das Spannungsfeld zwischen dem Supermodernen und den Menschen, die befürchten, davon erdrückt zu werden.
Chinas Großstädte sind futuristisch. Hier findet man unzählige technische Innovationen wie Gesichtserkennung oder Drohnenlieferungen. Aber sie produzieren auch Luftverschmutzung, Überwachung und Armut, die sich widerspiegelt in den bitterarmen Wanderarbeitern, die mit zerrissenen Jeanshosen Beton für die futuristisch anmutenden Gebäude anrühren. Anstatt Geschichten über die Zukunft zu schreiben, scheinen chinesische Autoren Geschichten aus der Zukunft zu schreiben. Das kommt bei Lesern, Kritikern und Offiziellen gleichermaßen gut an.
Das war allerdings nicht immer so: Während und nach der Kulturrevolution war Science Fiction in China verboten, weil die Autoren Sachverhalte einbauten, die nicht zu 100 Prozent mit der realen Wissenschaft übereinstimmten. Nach einer kurzen Blütezeit wurde sie dann unter Deng Xiaoping in den 80er Jahren abermals verboten. “Zu westlich” lautete diesmal das Urteil. Lange Zeit schien es so, als müsse Kunst rückwärts gerichtet sein, damit sie offiziell respektiert werden konnte. Traditionelle Kunstformen wie Kalligraphie, Dichtkunst und Malerei galten als die großen Ausdrucksformen. Doch damit können viele junge Chinesen seit langem nicht mehr viel anfangen.
Mit dem weltweiten Erfolgen der chinesischen Romane steigt nun auch das Ansehen des Genres bei staatlichen Behörden und der Zentralregierung. Dass die Bücher so beliebt sind, liefert der Regierung ein gewisses Maß an Softpower und kulturellen Einfluss auf den Westen. Speziell in den vergangenen Jahren, in denen sich China weltpolitisch ein ums andere Mal unbeliebt gemacht hat, ist das eine wichtige Währung.
Auf den ersten Blick erscheint das Verhältnis der Behörden zu den Texten deutlich entspannter, als man es in anderen Bereichen gewohnt sein mag. Die Regierung unterstützt das Genre, die Provinzregierung von Sichuan finanziert sogar ein Forschungszentrum. Auch schaffen es viele Autoren, ungewöhnlich viel Sozialkritik in ihren Romanen unterzubringen.
Gleichzeitig sind aber Inhalte über Zeitreisen verboten. Dass die Autoren mit ihren Ideen trotzdem oft durchkommen führt der mehrfach mit dem Hugo-Award ausgezeichnete Autor und Übersetzer Ken Liu darauf zurück, dass die Autoren sehr feinfühlig sind, wie viel Verfremdung notwendig ist, um sich an der Zensur vorbeizuschleichen. “Sie werden Meister (…) darin, neue Sprachen zu entwickeln, die den Zensoren gerade genug glaubwürdige Abstreitbarkeit geben, dass sie durchlassen, was normalerweise verboten ist”, sagt Liu.
Er muss es wissen, denn der chinesischstämmige US-Bürger ist eine Schlüsselfigur im Siegeszug der chinesischen Science Fiction. Viele der chinesischen Bücher wurden im Westen erst dadurch bekannt, dass er sie übersetzte und – wie im Fall von Die Drei Sonnen – sogar strukturelle Änderungen vorschlug. Der Roman enthält eine lange Passage über die Brutalität und Willkür während der Kulturrevolution. Als Ken Liu das chinesische Manuskript übersetzte, befand sich dieser Teil allerdings nicht – wie in der im Westen erhältlichen Fassung – direkt am Anfang der Geschichte. Die Verleger hatten Liu Cixin darum gebeten, es weiter hinten im Roman zu verstecken. Um der Zensur zu entgehen. Gregor Koppenburg / Jörn Petring
China soll den Verkauf von 500.000 Tonnen Aluminium aus staatlichen Reserven erwägen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf eine Quelle, die mit den Plänen vertraut sein soll. Am Dienstag fielen an der Shanghai Futures Exchange die Preise für den am meisten gehandelten Aluminiumkontrakt um sechs Prozent auf 16.480 Yuan (2531 US-Dollar) pro Tonne.
Die Aluminiumpreise hatten an der Shanghaier Terminkontrakt-Börse in den ersten beiden Monaten dieses Jahres immer wieder neue Rekorde erreicht und stiegen Anfang März auf den höchsten Stand seit zehn Jahren.
Ursache für die Preissprünge bei Aluminium ist unter anderem die Reduzierung der Schmelzkapazität in Baotou in der Inneren Mongolei. Damit versucht die Provinzregierung, die vierteljährlichen Energieziele einzuhalten. Analysten sehen dies als Beleg dafür, dass Peking vermehrt auf den Kohlendioxidausstoß achte, um so die selbstgesteckten Klimaziele zu erfüllen und noch vor 2030 seinen Höhepunkt beim Kohlendioxidausstoß zu erreichen. Allerdings hat das Auswirkungen auf die Produktion. “Dies könnte zu einer jährlichen Reduzierung der Aluminiumproduktion um 100.000 Tonnen führen”, sagte CRU-Analyst Wan Ling gegenüber Reuters.
Die Innere Mongolei war 2020 eine von drei Provinzen, die laut Citi-Analysten in den ersten drei Quartalen des Jahres ihre Ziele in Bezug auf Energieverbrauch und -effizienz nicht erreicht hatten. Die geplanten Energieeinsparungen der Lokalregierung zielt direkt auf die Produktion der Aluminiumhütten, da diese für das Schmelzen des Metalls viel Strom verbrauchen. Hinzu kommt, dass in China ein Großteil der Aluminiumhütten mit Kohle betrieben werden. Laut dem International Aluminium Institute (IAI) produzierte China 2019 mehr als 36 Millionen Tonnen Primäraluminium und verbrauchte dafür 484.342 Gigawattstunden an Strom, die wiederum zu 88 Prozent aus Kohle gewonnen wurden. Primäraluminium wird direkt aus dem Rohstoff gewonnen und erfordert daher einen hohen Energiebedarf (im Durchschnitt 13 bis 16 Kilowattstunden je Kilogramm Aluminium).
Um die entstehenden Produktionsverluste der Aluminiumhütten aufzufangen, könnte die Regierung in Peking nun gezwungen sein, die zentralen Lagerbestände zu öffnen. Zuletzt hatte Peking seine Reserven für Aluminium im Jahr 2010 geöffnet. Auch damals hatten Produktionskürzungen zur Erreichung von Energiesparzielen das Angebot von Aluminium massiv verknappt. niw
Ein umstrittener Absatz im Investitionsabkommen zwischen der EU und China (CAI) zum Umgang mit Nichtregierungsorganisationen (NGO) wurde EU-Kreisen zufolge einseitig von der chinesischen Seite eingebracht. Der entsprechende Absatz in den CAI-Annexen sei während der Verhandlungen nicht zur Sprache gekommen, berichten Quellen aus der EU-Kommission gegenüber China.Table. Bei dem Passus handele es sich um einen “einseitigen Vorbehalt, den China in seinen Verpflichtungsplan (schedule of commitments) aufgenommen hat”. Es sei nicht üblich, dass politische Ansätze wie der zum NGO-Umgang ihren Weg in ein Handels- oder Investitionsabkommen fänden, hieß es weiter.
Deutsche Stiftungsvertreter hatten im Gespräch mit China.Table ihre Sorgen angesichts des CAI-Absatzes geäußert (China.Table berichtete). Denn China nutzt den Abkommens-Text, um zusätzlichen Druck bei der Besetzung von Führungsposten durch Chinesen aufzubauen. Stiftungsvertreter halten das für höchst bedenklich. Es sei deutlich zu erkennen, dass hier von chinesischer Seite der Versuch unternommen werde, ein bestimmtes Narrativ zu kontrollieren, kritisierten NGO-Mitarbeiter.
Der umstrittene Absatz im Abkommens-Annex weise auf Sektoren hin, “in denen die Partei (in diesem Fall China) keine Verpflichtungen eingeht”, erklärte die Kommission-Quelle. Das bedeute nicht, dass bestehende Gesetze oder Richtlinien von dieser Partei nicht geändert werden können oder “dass sie von der anderen Partei befürwortet werden”. Das CAI könne nicht alle Probleme mit China lösen und müsse als Teil einer “Toolbox” gesehen werden, so die Quelle. ari
Wie Europa mit dem Aufstieg Chinas zur Weltmacht umgeht, ist für Anika Laudien eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. “Bei diesem Systemwettbewerb steht viel auf dem Spiel”, sagt sie, “vor allem für die jüngere Generation”. Die 34-jährige Hamburgerin arbeitet als Projektmanagerin im Programm Deutschland und Asien der Bertelsmann Stiftung und beschäftigt sich dort hauptsächlich mit China. Im siebenköpfigen Team konzipiert Laudien Studien, betreut Netzwerke, organisiert Konferenzen und versucht “die Debatte mit und über China zu managen”.
Das Asien-Programm der Bertelsmann Stiftung versteht sich dabei als Plattform, die versucht, Filterblasen aufzulösen. Und zwar, indem man Menschen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Think-Tanks zusammenbringt. So soll verhindert werden, dass der Austausch zur China-Herausforderung in thematischen Säulen stattfinde. “Wir wollen nicht Politik gegen Unternehmen ausspielen, sondern versuchen, durch einen teilhabenden Ansatz gemeinsame Agenden zu finden”, sagt Laudien.
Laudien studierte nach dem Abitur Wirtschaftssinologie in Bremen und Shanghai und hat einen Master in Europawissenschaften. China hat sie fasziniert, seit sie in der Schule im Geschichtsunterricht das Kaiserreich behandelten: “Das löste in mir eine Lust aus, etwas ganz anderes, Fremdes kennenzulernen und meinen Horizont weit über Europa hinaus zu erweitern.”
Derzeit liegt der Fokus ihrer Arbeit darin, zu analysieren, welche gemeinsamen Interessen und Unterschiede zwischen der USA und der EU bestehen im Umgang mit der Volksrepublik. “Die zentrale Frage ist derzeit, wie wir eine transatlantische China-Politik schaffen, die diesen Namen verdient”, sagt sie. Hier hoffe man vom US-Präsidenten Joe Biden eine neue Dynamik. Europa solle sich dabei nicht von einem falschen Idealismus leiten lassen, sondern sich ernsthaft fragen, was seine echten Interessen sind. Um souverän gegenüber China aufzutreten, sei dabei gelebte europäische Solidarität zentral. “Wir dürfen uns auf keinen Fall von China auseinanderdividieren lassen.“
Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht beeindruckt Laudien: “Es fordert die Welt in noch nie gesehener Form heraus, und zwar auf allen Ebenen.” Vor allem Deutschland habe sich noch nicht daran gewöhnt, dass China nicht bloß Partner und Wettbewerber, sondern auch Rivale sei. “Man redet zwar viel von diesem neuen Dreiklang, aber wie man konkret damit umgeht, dafür fehlt eine strategische Klarheit.” Bei diesen Entwicklungen mitzuwirken, sei für sie daher extrem spannend: “Ich möchte einen Beitrag leisten, damit wir einen besseren Umgang mit China finden.” Adrian Meyer