Table.Briefing: China

Polizei im Ausland + Xi und die Medien

  • Dissidenten auch in Deutschland nicht sicher
  • Peking verurteilt Taiwan-Besuch von Menschenrechtspolitikern
  • Arbeiter bei Apple-Partner senden digitale Hilferufe
  • Proteste in Lhasa wegen Corona-Lockdown
  • Vatikan und Peking verlängern zweifelhaften Deal
  • Xi seit Amtsantritt sprachlos gegenüber Medien
Liebe Leserin, lieber Leser,

der Fall von zwei illegalen chinesischen Polizeistationen in den Niederlanden und der jüngste Angriff eines Botschaftsmitarbeiters in Manchester zeigen: Regimekritische Chinesen werden auch in Europa eingeschüchtert. China soll mindestens 54 Übersee-Polizeistationen in 30 Ländern betreiben. Der lange Arm der chinesischen Sicherheitsbehörden kommt in Gestalt von Botschaftsmitarbeitern oder Auslandsstudenten daher.

Marcel Grzanna berichtet in seiner Analyse unter anderem von einem Dokumentarfilmer aus China, der in Deutschland lebt und mit Einschüchterungen umgehen muss. Die deutsche Polizei kann ihm nicht helfen – solange keine Straftat begangen wurde, ist sie machtlos.

Heute ist es undenkbar, aber es gab mal eine Zeit, in der Chinas Staatschefs ausführliche Interviews gaben. Hinter den Mauern von Pekings Machtzentrum Zhongnanhai ließ sich einst der damalige Staats- und Regierungschef Jiang Zemin befragen. Das Interview führte der damalige Welt-Korrespondent Johnny Erling. Für seine Kolumne hat er spannende Video-Interviews und Anekdoten hervorgeholt.

Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre, bei diesen spannenden Themen. Und ein schönes Wochenende.

Ihre
Julia Fiedler
Bild von Julia  Fiedler

Analyse

Illegale Jagd auf Dissidenten

Polizeiopfer Yang Weidong mit Mutter Xue Yinxian.

Mit der chinesischen Polizei hat Yang Weidong in seiner Vergangenheit schon reichlich zu tun gehabt. Als Dokumentarfilmer wurde er durch eine Serie Hunderter Interviews bekannt, die Chinas politische und gesellschaftliche Entwicklung kritisch beleuchtete. Das Projekt rückte ihn zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden.

Das war nichts Neues für ihn. Schon nachdem seine Mutter, die Ärztin Xue Yinxian, über die Dopingpraktiken im chinesischen Sport ausgepackt hatte, musste sich die Familie an regelmäßige Besuche durch die Polizei gewöhnen. Zum Beispiel 2007, ein Jahr vor Olympia in Peking. Beamte warnten seine Mutter davor, über Doping in China zu sprechen. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Vater auf den Kopf stürzte und drei Monate später verstarb.

Seit einigen Jahren leben Mutter, Sohn und dessen Frau in Deutschland. Im Oktober 2017 erhielten sie politisches Asyl. Die chinesischen Sicherheitskräfte hat Yang Weidong dennoch weiterhin im Nacken. Nicht unmittelbar, sondern durch Mitarbeiter von Botschaft oder Konsulaten oder auch durch chinesische Auslandsstudenten. Yang erinnert sich, dass seine Frau und er einmal dicht bedrängt wurden von jungen Chinesen, die ihm sagten, man wisse, wo er wohne.

“Sie wollen uns zermürben”

“Hinter solchen Warnungen steckt die chinesische Polizei”, vermutet Yang im Gespräch mit China.Table. “Sie wollen uns Angst machen und zermürben, damit wir einknicken. Dafür benutzen sie unter anderem Studenten als Werkzeug”, sagt er. Dreimal hat Yang in den vergangenen zwölf Monaten die deutsche Polizei informiert. Seine Mutter, seine Frau und er fühlen sich bedroht. Doch die hiesigen Behörden seien machtlos, solange keine Straftat begangen werde, lautete die Antwort. Immerhin versprachen die Beamten, verstärkt Streife zu fahren in der Nähe des Wohnortes.

Offenbar wissen die chinesischen Behörden über jeden Schritt und Tritt des Regimekritikers in Deutschland Bescheid, auch über die Anzeigen bei der Polizei. Im Juli rief Wang Weidongs Bruder aus Shandong an und riet ihm, die Mutter zurück in die Heimat zu bringen, statt mit den deutschen Behörden zu kooperieren.

Dass die Sicherheitskräfte in der Volksrepublik informiert sind, ist laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders auch das Resultat illegaler chinesischer Polizeioperationen im Ausland. Die Organisation hat bislang 54 sogenannte Übersee-Polizeistationen (ÜPS) der Volksrepublik in 30 Staaten ausgemacht. Allein in Spanien, wo die Organisation ihren Sitz hat, identifizierte sie neun solcher Standorte. In Deutschland sei eine illegale ÜPS in Frankfurt ansässig.

Hunderttausende Chinesen zur Rückkehr bewegt

Nun veröffentlichten niederländische Medien Details über zwei Stationen in Holland. In Amsterdam seien zwei frühere chinesische Polizisten aus der bezirksfreien Stadt Lishui in Zhejiang im verschleierten Einsatz, berichtete der Fernsehsender RTL. In Rotterdam sei ein früherer Militär-Angehöriger in einem herkömmlichen Wohnblock für die Sicherheitsbehörden aus Fuzhou in Südchina aktiv. Das niederländische Außenministerium kündigte eine genaue Untersuchung an.

Die Safeguard Defenders berichten, dass die informellen Polizeistationen anfänglich dafür eingerichtet worden seien, um Auslandschinesen vor Betrügereien durch ihre Landsleute zu bewahren. Vor allem Betrugsfälle per Telefon oder über das Internet in den chinesischen Auslandsgemeinden hätten massiv zugenommen. Die Behörden wollten Verdächtige zur Rückkehr nach China bewegen.

So sei es allein im Zeitraum von April 2021 bis Juli 2022 gelungen, rund 230.000 Chinesinnen und Chinesen aus dem internationalen Ausland in die Volksrepublik zu lotsen. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, dem die Polizeikräfte generell unterstellt sind, hatte im April dieses Jahres öffentlich verkündet, dass die Operation ein voller Erfolg sei. Die Behörden bedienen sich nicht nur der Unterstützung von Studenten oder Mitarbeitern der Botschaft, sondern Organisationen der sogenannten Einheitsfront (China.Table berichtete).

Chinas Polizei verstößt in Europa gegen Gesetze

Diese ist fast so alt wie die Partei selbst und ist vornehmlich dafür verantwortlich, politischen Dissens im In-, aber zunehmend auch im Ausland zu marginalisieren. Unzählige chinesische Auslandsvereinigungen sorgen in Deutschland und fast jedem anderen Land der Welt dafür, dass Auslandschinesen nicht ausscheren, sondern nach außen hin stets die Parteilinie vertreten. Sie werden auch konkret instrumentalisiert, um bei ausländischen Partnern Informationen zu sammeln und ihrerseits zu streuen.

In Peking scheint man sich im Recht zu fühlen. Europa sei sehr zögerlich, Kriminelle an China auszuliefern. “Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte, Kriminelle unter Druck zu setzen, damit sie sich der Justiz stellen”, sagte ein Mitarbeiter des chinesischen Außenministeriums der spanischen Tageszeitung El Correo. Trotz fehlender Vereinbarungen sieht die Volksrepublik China offenbar Rechtfertigung genug, um internationales Recht zu brechen.

Nicht öffentlich kommuniziert wird von den Behörden dagegen die Tatsache, dass es keineswegs nur Betrüger sind, die im Ausland aufgespürt werden, sondern auch politische Dissidenten wie Yang Weidong. Auch niederländische Medien berichten über Regimekritiker, die von den illegalen Polizeistationen unter Druck gesetzt worden sind. Laut Safeguard Defenders verstoßen die angewandten Methoden eindeutig gegen internationale Menschenrechtsgesetze und die territoriale Souveränität einzelner Länder.

Innenministerium: Keine Toleranz

Auch das Innenministerium in Berlin stellt klar, dass es kein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und China über den Betrieb der ÜPS gibt. Doch es weicht der Frage aus, ob es von den geheimen Operationen Kenntnis hat. “Die Bundesregierung toleriert nicht die Ausübung fremder Staatsgewalt und entsprechend verfügen chinesische Stellen über keinerlei Exekutivbefugnisse auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland”, heißt es. “Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass sich die chinesischen diplomatischen Vertretungen bei ihren Aktivitäten in Deutschland im Rahmen des Wiener Übereinkommens für diplomatische Beziehungen und des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen bewegen.”

Wie genau das gelingen soll, bleibt fraglich. China nimmt sich mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung immer öfter das Recht heraus, internationale Vereinbarungen zu brechen. Das Selbstverständnis machte kürzlich der chinesische Generalkonsul in Manchester deutlich (China.Table berichtete). Zuerst wurde er gegen einen pro-demokratischen Demonstranten aus Hongkong handgreiflich. Dann sagte er gegenüber britischen Medien, es sei die Pflicht eines jeden Diplomaten, so zu handeln. Schließlich sei sein Staatschef beleidigt worden.

  • Einheitsfront
  • Geopolitik
  • Menschenrechte
  • Polizeistationen
  • Safeguard Defenders
  • Sicherheit
  • Zivilgesellschaft

News

Peking verurteilt Taiwan-Besuch deutscher Abgeordneter

Die chinesische Führung kritisiert den Besuch einer Bundestagsdelegation in Taiwan scharf. Die deutschen Abgeordneten sollen, “umgehend ihre Interaktion mit den separatistischen Unabhängigkeitskräften Taiwans” einstellen, erklärte das Außenministerium in Peking am Dienstag. Taiwan sei ein “unabtrennbarer Teil des chinesischen Territoriums”. Die Bundestagsabgeordneten sollten den “Ein-China-Grundsatz” unbedingt befolgen.

Die Abgeordneten des Menschenrechtsausschusses des Bundestages wurden am Montag in Taipeh von Präsidentin Tsai Ing-wen empfangen (China.Table berichtete). Es ist der zweite Besuch einer Delegation des Deutschen Bundestages in Taiwan innerhalb eines Monats. Neben der aktuellen sicherheitspolitischen Lage wollen sich die sechs Mitglieder des Menschenrechtsausschusses vor Ort ein Bild von der Menschenrechtslage machen.

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen verglich die Lage der Insel unterdessen mit der Ukraine. Russlands Invasion in sein Nachbarland sei ein Paradebeispiel für Aggressionen, wie sie auch Peking zuzutrauen seien. “Sie zeigt, dass ein autoritäres Regime alles tun wird, um seine Expansionspolitik umzusetzen”, erklärte Tsai bei einem Treffen internationaler Demokratieaktivisten in Taipeh. “Das Volk von Taiwan kennt solche Aggression nur zu gut. In den vergangenen Jahren sah sich Taiwan mit zunehmend aggressiven Drohungen Chinas konfrontiert.” Dazu zählten militärische Einschüchterung, Cyberangriffe und wirtschaftliche Erpressung. fpe

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Foxconn-Mitarbeiter ohne Essen und Medikamente

Nach Informationen der “Financial Times” ist die Lage nach dem Covid-Ausbruch in der weltweit größten iPhone-Fabrik in Zhengzhou dramatischer als bisher bekannt. Unter Berufung auf Videomaterial berichtet die Zeitung, dass es den Mitarbeitern bereits an Essen und Medikamenten mangelt. Die Videos, mit denen die Betroffenen an die Öffentlichkeit gehen wollten, wurden von den chinesischen Behörden gelöscht.

Mitte der Woche hatte der Apple-Zulieferer Foxconn erklärt, aufgrund von 23 Corona-Fällen die Produktion drosseln zu müssen. Zudem habe das Unternehmen die Kantinen des Werks geschlossen und die Schlafsäle abgeriegelt. In dem für Apple wichtigen Werk arbeiten rund 300.000 Mitarbeiter. Die Beschäftigten dürfen das Werksgelände seit fast drei Wochen nicht mehr verlassen. Laut Financial Times sind mehrere zehntausend Mitarbeiter mit Corona infiziert. fpe

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  • Menschenrechte

Lockdown wird verschärft – Proteste in Tibet

In mehreren Städten und Regionen Chinas sind neue Lockdowns in Kraft getreten. Bestehende Maßnahmen zur Virus-Eindämmung wurden verschärft. Nachdem die Gesundheitsbehörden am Donnerstag den dritten Tag in Folge jeweils mehr als 1000 neue Covid-19-Fälle gemeldet hatten, wurden Viertel und Straßenzüge in mehreren Städten als Hochrisikogebiete abgeriegelt. Menschen dürfen ihre Wohnungen dort teilweise nicht mehr verlassen.

Zu den am stärksten von den Lockdown-Regeln betroffenen Kommunen zählen das wirtschaftsstarke Guangzhou im Süden, das Corona-Epizentrum Wuhan sowie Xining, die Hauptstadt der Provinz Qinghai. Bereits zu Wochenbeginn waren in 28 chinesischen Städten mehr oder weniger strenge Lockdowns in Kraft. Den Analysten des Finanzinstituts Nomura zufolge waren damit rund 207,7 Millionen Menschen in Regionen betroffen, die etwa 25,6 Billionen Yuan (rund 3,5 Billionen Euro) oder rund ein Viertel des chinesischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften.

Wie BBC berichtet, haben in Lhasa am Mittwochnachmittag hunderte Menschen gegen die strikten Corona-Maßnahmen protestiert. Bei den Demonstranten soll es sich demnach in der Mehrzahl um Han-Chinesen gehandelt haben. Die tibetische Hauptstadt steht seit drei Monaten unter einem Lockdown. Seit 2008 kam es hier nicht mehr zu Protesten dieser Größenordnung. rtr/fpe

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Vatikan erlaubt Peking Bischofswahl

China und der Vatikan haben sich auf ein Abkommen geeinigt. Wie am Wochenende bekannt wurde, habe man eine geheime Vereinbarung aus dem Jahr 2018 verlängert. Darin erlaubt der Vatikan der chinesischen Regierung, auf dem Festland Bischöfe zu wählen und sie dann von Rom genehmigen zu lassen. Berichten zufolge sei der Deal um zwei Jahre verlängert worden.

“Nach angemessener Beratung und Prüfung haben sich der Heilige Stuhl und die Volksrepublik China darauf geeinigt, das vorläufige Abkommen über die Ernennung von Bischöfen um weitere zwei Jahre zu verlängern”, heißt es in einer Erklärung der Pressestelle des Vatikans.

Das Abkommen soll Katholiken in China näher zusammenbringen. Denn in der Volksrepublik sind die Gläubigen zwischen der offiziellen staatlich unterstützten Kirche und einer Untergrundbewegung gespalten, die Rom und dem Papst als oberstem Führer der Kirche treu ergeben ist. Schätzungen zufolge umfasst die katholische Gemeinde Chinas etwa zehn Millionen Menschen.

Normalerweise hat der Papst bei Bischofsernennungen das Sagen. Kritiker befürchten deshalb eine Einmischung Chinas in die Religion. Zudem wird moniert, dass die Vereinbarung das Leben katholischer Christen in der Volksrepublik in keiner Weise verbessere. Im Gegenteil würden Mitglieder der sogenannten Untergrundkirche dadurch weiter ins Abseits gedrängt.

Die Vereinbarung zwischen China und dem Vatikan wurde im September 2018 unterzeichnet und anschließend erstmal im Oktober 2020 verlängert. Seitdem erhielten “sechs ‘geheime’ Bischöfe eine Registrierung”, wie Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einem Interview der Vatican News erklärt.

Beobachtern zufolge war die Verlängerung des Abkommens aufgrund der Verhaftung des 90-jährigen Kardinals Joseph Zen in Hongkong lange Zeit offen. Zen ist einer der ranghöchsten katholischen Geistlichen in Asien und war Anfang Mai festgenommen worden (China.Table berichtete). Dem Hongkonger Kardinal wird vorgeworfen, gegen das Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben, indem er sich mit ausländischen Kräften gegen die nationalen Interessen der Stadt verschworen habe. Hintergrund für den Vorwurf ist Zens Rolle als Treuhänder des “612 Humanitarian Relief Fund”, der Geld gesammelt hatte, um angeklagten Mitgliedern der oppositionellen Hongkonger Protestbewegung rechtlichen Beistand zu finanzieren (China.Table berichtete).

Zen muss sich derzeit zusammen mit fünf weiteren Angeklagten in Hongkong vor Gericht verantworten. Das EU-Parlament forderte im Juli die Einstellung des Verfahrens gegen Zen und andere Unterstützer der Demokratiebewegung. rad

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Standpunkt

Die Angst des Tormanns Xi vor freien Fragen

Von Johnny Erling
Johnny Erling schreibt die Kolumne für die China.Table Professional Briefings

Gemeinhin wird Xi Jinping in ausländischen Biografien heute als “der mächtigste Mann der Welt” beschrieben. Das ist erst recht so, seit er auf dem 20. Parteitag seine Amtszeit um weitere fünf Jahre verlängern und alle wichtigen Parteiämter mit engen Gefolgsleuten besetzen konnte. Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit hat Xi die Partei-Verfassung ändern lassen und lässt nun alle 97 Millionen KP-Mitglieder doppelt darauf einschwören, ihn als “Kern und zugleich die zentrale Autorität der Parteiführung” zu verteidigen (两个维护). Seit seinem unaufhaltsamen Aufstieg zur absoluten Macht verweigert sich Xi jedoch allen Interviews oder öffentlichen Dialogen, offenbar aus Furcht, sich Blöße geben zu können. Alles ist bei ihm minutiös inszeniert. Das zeigte sich auch beim jüngsten Parteitag, den er, offenbar um Risiken zu vermeiden, bis ins letzte Detail vorbereiten ließ.    

Die ritualisierte Szene wiederholt sich alle fünf Jahre. Und auch vergangenen Sonntag spielte sie wieder im Volkskongress – sicherlich nicht zum letzten Mal. Sofort nach Ende des 20. Parteitags trat der auf weitere fünf Jahre bestätigte Parteichef mit sechs auserwählten Gefolgsleuten für seinen Ständigen Ausschuss des Politbüros vor die im Saal wartenden Journalisten. Bis auf Xis neue innere Führung auf dem Podium waren alle anderen Covid-bedingt vermummt.   

Für die Vorstellung von Chinas neuer innerer Führung wählte Xi auf dem 18. und auf dem 19. Parteitag (2017) die “Östliche Halle” des Volkskongresses aus, mit der für China stehenden Großen Mauer als Hintergrundbild.
Zu seiner Vorstellung nach dem 20. Parteitag 2022 wählte Xi die “Goldene Halle” des Volkskongresses aus. Vor rotem Hintergrund und Hammer- und Sichel-Emblem als Symbol für die Macht der Partei.

Es war seine Demonstration unverhüllter imperialer Macht, bei der den Reportern nur die Rolle von Claqueuren zufiel. Xi wählte für das Treffen den “Goldenen Prunksaal” der Großen Halle des Volkes (人民大会堂金色大厅). 2012 und 2017 hatte dem Selbstdarsteller noch die “Östliche Große Halle” ( 东大厅 ) ausgereicht, mit ihrem Riesenwandbild der Großen Mauer, dem Symbol für China. Diesmal zelebrierte er seinen in TV live übertragenen Auftritt vor rot gefärbtem Hintergrund und dem Parteiemblem Hammer und Sichel. Soll heißen: Xi ist die personifizierte Macht der Partei.  

Ende 2012 hatte er sich als neuer Parteichef mit seinen Mannen im Schlepptau noch als “primus inter pares” vorgestellt. 2017 setzte er sich als “Kern” der Führung vom Kollektiv ab. Nun wuchs der 69-jährige Xi darüber hinaus. “Alleinherrscher Xi” schrieb die Weltpresse, und nennt die anderen Mitglieder des Politbüro-Ausschusses seine “Loyalisten.” Mutige Blogger verlangten spottend die Umbenennung des Ausschusses in “Xi-Sekretariat.”   

Fälschlicherweise wird Xis Auftritt vor Journalisten immer wieder als Pressekonferenz bezeichnet. Pekings amtliche Lesart spricht von “Begegnung mit in- und ausländischen Journalisten” (同中外记者见面). Seit Xi 2012 zum Parteichef Chinas aufgerückt ist, hat der Partei- und Staatschef weder Pressekonferenzen noch Interviews gegeben. 

Xi überlässt nichts dem Zufall

So entzog sich Xi auch diesmal wieder kniffligen Fragen der Presse, nicht nur solchen, die das Ausland interessiert hätten. Mutige chinesische Blogger wollten, im Katz und Maus-Spiel mit den Häschern der Zensur, von Xi wissen, warum er sich immer systematischer auf alte Seilschaften als seine neue Machtbasis stützt. Sie zählten vier seiner engen Mitarbeiter aus der Zeit als Provinzchef von Zhejiang 2003 bis 2007 auf, die er in die Parteispitze geholt hat. Neben Li Qiang (李强) und Cai Qi (蔡奇), die dem Politbüro-Ausschuss angehören, sind es Chen Min’er (陈敏尔) und Huang Kunming (黄坤明), die im Politbüro sitzen. Online machen Spitznamen wie Xis “Zhejiang-Club” oder seine “Shanghai-Fraktion” derzeit Furore. Im Netz kursiert eine Liste mit den Namen von 19 hohen Parteifunktionären, die mit Xi zu tun hatten, als er 2007 Parteichef von Shanghai war. Drei seien im Politbüro-Ausschuss gelandet, acht im Zentralkomitee, sieben seien ZK-Nachrücker und einer gehöre zu den ZK-Disziplinaraufsehern. 

2014 durften noch positiv gemeinte Karikaturen über Xi erscheinen. Hier Xi und sein chinesischer Traum auf dem Titelblatt der zur Volkszeitung gehörenden Zeitung “Satire und Humor”. Inzwischen dürfen auch solche Zeichnungen nicht mehr veröffentlicht werden. Sie vertragen sich nicht mit der Würde des “Kerns der Partei”.

Xi hat von Anfang an dafür gesorgt, dass es so kommt und hat alle Vorbereitungen, Wahlen und Beschlüsse des 20. Parteitags gelenkt und überwacht. Er erlaubte diese Woche seinem Propagandaapparat, erstaunliches zu enthüllen. Etwa, wie die Nominierung der 2300 Parteitagsdelegierten vor sich ging, wie die Neuwahl des ZK und der KP-Führer, oder zu welchen 50 Änderungen es in den Parteistatuten kam. Auf die einigte sich die Partei in elf Arbeitskonferenzen, bei denen jeweils Xi den Vorsitz hatte.    

Er überließ nichts dem Zufall, noch traute er parteiinternen Empfehlungen oder Nominierungen. Im März 2021 ließ er eine übergeordnete ZK-Sonderkommission zur Überprüfung der Nominierung aller 2300 Parteitags-Delegierten gründen. Er machte sich zum Leiter (2021年3月… 中央政治局会议 决定成立二十大干部考察领导小组,习近平总书记亲自担任组长). 45 Inspektoren-Gruppen des ZK und acht aus der Militärkommission durchforsteten für ihn monatelang Verhalten und Ansichten jedes Kandidaten überall in China. Es ging nicht nur darum, wie loyal sie Xi ergeben sind, sondern etwa auch, wie engagiert sie seinem Kurs folgen, um “feststellen zu können, ob sie den Mut haben und sich darauf verstehen, gegen die Sanktionen des Westens und der USA anzukämpfen und Chinas nationale Sicherheit zu verteidigen.” (注重了解在应对美西方制裁、维护国家安全等问题上是否敢于斗争、善于斗争)

Kein Wunder, dass alle Delegierten auf dem Parteitag mit Ja stimmten. Noch bedenklicher macht, dass Xinhua verrät, wie Entscheidungen über die Auswahl und Aufgaben einer Person vor allem “von dem kompletten System von Standards und perfektionierten Prozeduren der Partei abhängt und auf keinen Fall nur vom einfachen Wahlergebnis.” (党的领导和民主是统一的,不是对立的….不能简单以票取人”…我们党…有一套完整的体制,选人用人标准). 

Xi entpuppt sich als Kontrollfreak. Das mag der Grund sein, warum er weder chinesischen noch ausländischen Reportern freie Interviews gibt, die ein Element der Unberechenbarkeit enthalten. Als ihn CCTV 2017 überraschend einmal in einer Fragerunde mit russischen Korrespondenten zeigte, verriet mir ein Teilnehmer später: Sie hätten ihre Fragen vorher einreichen müssen, die ihnen von Xis Büro schriftlich beantwortet wurden. Bei einem kurze Foto-op tat Xi dann so, als höre und beantworte er sie zum ersten Mal.   

“Onkel Xi” sperrt die Macht in den Käfig des Rechts. Die Karikatur erschien auf dem Titelblatt der zur Volkszeitung gehörenden Zeitung “Satire und Humor”.

2014 erlebte ich, wie es einem Journalisten gelang, Xi spontan eine Frage zu stellen. Es war beim Besuch von US-Präsident Barack Obama. Nach acht Stunden Zwiegesprächen erzielten beide Präsidenten einen Durchbruch in ihrem monatelang verhandelten Klimaschutzabkommen. Die chinesische Seite willigte ein, dass Xi sowie Obama im Volkskongress im Anschluss an ihre Statements Fragen von Journalisten beantworten würden. Ausgemacht war, dass ein USA-Korrespondent Obama, und eine chinesische Journalistin Xi befragen dürften. Als Preis für Chinas Entgegenkommen wurde die Pressekonferenz nicht live im TV übertragen. 

So entging dem chinesischen TV-Publikum, dass sich New York Times-Reporter Mark Landler nicht an die Vereinbarung hielt. Er fragte zwar zuerst Obama, wandte sich dann aber plötzlich an Xi, wollte dessen Meinung zur Lage in Hongkong und zu Chinas Aufenthalts- und Visastopps für Peking nicht genehme US-Journalisten wissen.

Ich saß nur wenige Meter entfernt und sah, wie Xi in Erklärungsnot geriet. Er spielte auf Zeit, verlangte zuerst die nächste Frage einer chinesischen Journalistin zu hören, auf die er offenbar vorbereitet war. Nach langatmiger Antwort reagierte er auf Landler in rätselhafter Weise: “Wenn ein Auto auf der Straße zusammenbricht, sollten seine Insassen zuerst aussteigen, um nachzuschauen, wo das Problem liegt.” Dann zitierte er ein Sprichwort: “Derjenige, der dem Tiger eine Schelle übergestreift hat, soll sie ihm wieder abnehmen.” Es dauerte, bis die Zuhörer verstanden: Diejenigen, die das Problem verursacht (also China verärgert) hätten, sollten erstmal selbst nach einer Lösung suchen. 

Die Macht hat Xi verändert

Die Mischung aus der Befürchtung, sich eine Blöße geben zu können, gepaart mit Überheblichkeit, dass Xi als Führer Chinas es nicht nötig habe, scheint der Grund zu sein, dass er sich seit 2012 nicht interviewen lässt. Seine Vorgänger waren anders. Mao Zedong antwortete Edgar Snow selbst mitten in der fremdenfeindlichen Kulturrevolution. Deng Xiaoping stellte sich 1980 zwei Tage lang den bohrenden Fragen von Starjournalistin Oriana Fallaci. Solche Interviews sind bis heute spannende Lektüre.

Staatspräsident Jiang Zemin scheute sich nicht, am 2. Mai 1990, zehn Monate nach dem Tiananmen-Massaker, gegenüber US-Starjournalistin Barbara Walters und später gegenüber Mike Wallace in “60 Minutes” Stellung zu nehmen. Er lieferte sich 1998 in der Großen Halle des Volkes ein live übertragenes Rededuell mit US-Präsident Bill Clinton. Auch ich durfte als Pekinger Korrespondent 2001 Jiang zusammen mit meinem damaligen Chefredakteur für die Welt interviewen. Das war etwas Besonderes, aber normal. 

Seit seinem Machtantritt 2012 gibt Xi den Medien keine persönlichen Interviews. Das war bei seinen Vorgängern anders. Hier begrüßt Parteichef Jiang Zemin 2001 den damaligen Chefredakteur der Welt am Sonntag und (links) den Pekinger Korrespondenten der Zeitung in Zhongnanhai zum Interview.

Seit der Ära Xi ist alles anders geworden. Dabei hatte er es sich vor 2012 als Provinzführer erlaubt, offenherzig mit chinesischen Zeitungen und lokalen TV-Sendern zu sprechen. Doch mit immer mehr Macht veränderte sich Xi. Auf die Würde seiner Person bedacht, ließ er nach 2017 selbst positiv gemeinte, harmlose Karikaturen wieder verbieten, obwohl er sie zu Anfang seines Aufstiegs toleriert hatte. Zur gleichen Zeit begann er, immer ideologischer zu sprechen und zu schreiben. Peter Handkes sprichwörtliche Angst des Torwarts beim Elfmeter scheint beim “mächtigsten Mann der Welt” einzusetzen, sobald es um freie Interviews mit Medien und offen geführte Dialoge geht.   

  • 20. Parteitag
  • KP Chinas
  • Tiananmen-Massaker
  • Xi Jinping

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Peking verurteilt Taiwan-Besuch von Menschenrechtspolitikern
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    • Vatikan und Peking verlängern zweifelhaften Deal
    • Xi seit Amtsantritt sprachlos gegenüber Medien
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Fall von zwei illegalen chinesischen Polizeistationen in den Niederlanden und der jüngste Angriff eines Botschaftsmitarbeiters in Manchester zeigen: Regimekritische Chinesen werden auch in Europa eingeschüchtert. China soll mindestens 54 Übersee-Polizeistationen in 30 Ländern betreiben. Der lange Arm der chinesischen Sicherheitsbehörden kommt in Gestalt von Botschaftsmitarbeitern oder Auslandsstudenten daher.

    Marcel Grzanna berichtet in seiner Analyse unter anderem von einem Dokumentarfilmer aus China, der in Deutschland lebt und mit Einschüchterungen umgehen muss. Die deutsche Polizei kann ihm nicht helfen – solange keine Straftat begangen wurde, ist sie machtlos.

    Heute ist es undenkbar, aber es gab mal eine Zeit, in der Chinas Staatschefs ausführliche Interviews gaben. Hinter den Mauern von Pekings Machtzentrum Zhongnanhai ließ sich einst der damalige Staats- und Regierungschef Jiang Zemin befragen. Das Interview führte der damalige Welt-Korrespondent Johnny Erling. Für seine Kolumne hat er spannende Video-Interviews und Anekdoten hervorgeholt.

    Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre, bei diesen spannenden Themen. Und ein schönes Wochenende.

    Ihre
    Julia Fiedler
    Bild von Julia  Fiedler

    Analyse

    Illegale Jagd auf Dissidenten

    Polizeiopfer Yang Weidong mit Mutter Xue Yinxian.

    Mit der chinesischen Polizei hat Yang Weidong in seiner Vergangenheit schon reichlich zu tun gehabt. Als Dokumentarfilmer wurde er durch eine Serie Hunderter Interviews bekannt, die Chinas politische und gesellschaftliche Entwicklung kritisch beleuchtete. Das Projekt rückte ihn zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden.

    Das war nichts Neues für ihn. Schon nachdem seine Mutter, die Ärztin Xue Yinxian, über die Dopingpraktiken im chinesischen Sport ausgepackt hatte, musste sich die Familie an regelmäßige Besuche durch die Polizei gewöhnen. Zum Beispiel 2007, ein Jahr vor Olympia in Peking. Beamte warnten seine Mutter davor, über Doping in China zu sprechen. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Vater auf den Kopf stürzte und drei Monate später verstarb.

    Seit einigen Jahren leben Mutter, Sohn und dessen Frau in Deutschland. Im Oktober 2017 erhielten sie politisches Asyl. Die chinesischen Sicherheitskräfte hat Yang Weidong dennoch weiterhin im Nacken. Nicht unmittelbar, sondern durch Mitarbeiter von Botschaft oder Konsulaten oder auch durch chinesische Auslandsstudenten. Yang erinnert sich, dass seine Frau und er einmal dicht bedrängt wurden von jungen Chinesen, die ihm sagten, man wisse, wo er wohne.

    “Sie wollen uns zermürben”

    “Hinter solchen Warnungen steckt die chinesische Polizei”, vermutet Yang im Gespräch mit China.Table. “Sie wollen uns Angst machen und zermürben, damit wir einknicken. Dafür benutzen sie unter anderem Studenten als Werkzeug”, sagt er. Dreimal hat Yang in den vergangenen zwölf Monaten die deutsche Polizei informiert. Seine Mutter, seine Frau und er fühlen sich bedroht. Doch die hiesigen Behörden seien machtlos, solange keine Straftat begangen werde, lautete die Antwort. Immerhin versprachen die Beamten, verstärkt Streife zu fahren in der Nähe des Wohnortes.

    Offenbar wissen die chinesischen Behörden über jeden Schritt und Tritt des Regimekritikers in Deutschland Bescheid, auch über die Anzeigen bei der Polizei. Im Juli rief Wang Weidongs Bruder aus Shandong an und riet ihm, die Mutter zurück in die Heimat zu bringen, statt mit den deutschen Behörden zu kooperieren.

    Dass die Sicherheitskräfte in der Volksrepublik informiert sind, ist laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders auch das Resultat illegaler chinesischer Polizeioperationen im Ausland. Die Organisation hat bislang 54 sogenannte Übersee-Polizeistationen (ÜPS) der Volksrepublik in 30 Staaten ausgemacht. Allein in Spanien, wo die Organisation ihren Sitz hat, identifizierte sie neun solcher Standorte. In Deutschland sei eine illegale ÜPS in Frankfurt ansässig.

    Hunderttausende Chinesen zur Rückkehr bewegt

    Nun veröffentlichten niederländische Medien Details über zwei Stationen in Holland. In Amsterdam seien zwei frühere chinesische Polizisten aus der bezirksfreien Stadt Lishui in Zhejiang im verschleierten Einsatz, berichtete der Fernsehsender RTL. In Rotterdam sei ein früherer Militär-Angehöriger in einem herkömmlichen Wohnblock für die Sicherheitsbehörden aus Fuzhou in Südchina aktiv. Das niederländische Außenministerium kündigte eine genaue Untersuchung an.

    Die Safeguard Defenders berichten, dass die informellen Polizeistationen anfänglich dafür eingerichtet worden seien, um Auslandschinesen vor Betrügereien durch ihre Landsleute zu bewahren. Vor allem Betrugsfälle per Telefon oder über das Internet in den chinesischen Auslandsgemeinden hätten massiv zugenommen. Die Behörden wollten Verdächtige zur Rückkehr nach China bewegen.

    So sei es allein im Zeitraum von April 2021 bis Juli 2022 gelungen, rund 230.000 Chinesinnen und Chinesen aus dem internationalen Ausland in die Volksrepublik zu lotsen. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, dem die Polizeikräfte generell unterstellt sind, hatte im April dieses Jahres öffentlich verkündet, dass die Operation ein voller Erfolg sei. Die Behörden bedienen sich nicht nur der Unterstützung von Studenten oder Mitarbeitern der Botschaft, sondern Organisationen der sogenannten Einheitsfront (China.Table berichtete).

    Chinas Polizei verstößt in Europa gegen Gesetze

    Diese ist fast so alt wie die Partei selbst und ist vornehmlich dafür verantwortlich, politischen Dissens im In-, aber zunehmend auch im Ausland zu marginalisieren. Unzählige chinesische Auslandsvereinigungen sorgen in Deutschland und fast jedem anderen Land der Welt dafür, dass Auslandschinesen nicht ausscheren, sondern nach außen hin stets die Parteilinie vertreten. Sie werden auch konkret instrumentalisiert, um bei ausländischen Partnern Informationen zu sammeln und ihrerseits zu streuen.

    In Peking scheint man sich im Recht zu fühlen. Europa sei sehr zögerlich, Kriminelle an China auszuliefern. “Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte, Kriminelle unter Druck zu setzen, damit sie sich der Justiz stellen”, sagte ein Mitarbeiter des chinesischen Außenministeriums der spanischen Tageszeitung El Correo. Trotz fehlender Vereinbarungen sieht die Volksrepublik China offenbar Rechtfertigung genug, um internationales Recht zu brechen.

    Nicht öffentlich kommuniziert wird von den Behörden dagegen die Tatsache, dass es keineswegs nur Betrüger sind, die im Ausland aufgespürt werden, sondern auch politische Dissidenten wie Yang Weidong. Auch niederländische Medien berichten über Regimekritiker, die von den illegalen Polizeistationen unter Druck gesetzt worden sind. Laut Safeguard Defenders verstoßen die angewandten Methoden eindeutig gegen internationale Menschenrechtsgesetze und die territoriale Souveränität einzelner Länder.

    Innenministerium: Keine Toleranz

    Auch das Innenministerium in Berlin stellt klar, dass es kein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und China über den Betrieb der ÜPS gibt. Doch es weicht der Frage aus, ob es von den geheimen Operationen Kenntnis hat. “Die Bundesregierung toleriert nicht die Ausübung fremder Staatsgewalt und entsprechend verfügen chinesische Stellen über keinerlei Exekutivbefugnisse auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland”, heißt es. “Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass sich die chinesischen diplomatischen Vertretungen bei ihren Aktivitäten in Deutschland im Rahmen des Wiener Übereinkommens für diplomatische Beziehungen und des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen bewegen.”

    Wie genau das gelingen soll, bleibt fraglich. China nimmt sich mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung immer öfter das Recht heraus, internationale Vereinbarungen zu brechen. Das Selbstverständnis machte kürzlich der chinesische Generalkonsul in Manchester deutlich (China.Table berichtete). Zuerst wurde er gegen einen pro-demokratischen Demonstranten aus Hongkong handgreiflich. Dann sagte er gegenüber britischen Medien, es sei die Pflicht eines jeden Diplomaten, so zu handeln. Schließlich sei sein Staatschef beleidigt worden.

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    Peking verurteilt Taiwan-Besuch deutscher Abgeordneter

    Die chinesische Führung kritisiert den Besuch einer Bundestagsdelegation in Taiwan scharf. Die deutschen Abgeordneten sollen, “umgehend ihre Interaktion mit den separatistischen Unabhängigkeitskräften Taiwans” einstellen, erklärte das Außenministerium in Peking am Dienstag. Taiwan sei ein “unabtrennbarer Teil des chinesischen Territoriums”. Die Bundestagsabgeordneten sollten den “Ein-China-Grundsatz” unbedingt befolgen.

    Die Abgeordneten des Menschenrechtsausschusses des Bundestages wurden am Montag in Taipeh von Präsidentin Tsai Ing-wen empfangen (China.Table berichtete). Es ist der zweite Besuch einer Delegation des Deutschen Bundestages in Taiwan innerhalb eines Monats. Neben der aktuellen sicherheitspolitischen Lage wollen sich die sechs Mitglieder des Menschenrechtsausschusses vor Ort ein Bild von der Menschenrechtslage machen.

    Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen verglich die Lage der Insel unterdessen mit der Ukraine. Russlands Invasion in sein Nachbarland sei ein Paradebeispiel für Aggressionen, wie sie auch Peking zuzutrauen seien. “Sie zeigt, dass ein autoritäres Regime alles tun wird, um seine Expansionspolitik umzusetzen”, erklärte Tsai bei einem Treffen internationaler Demokratieaktivisten in Taipeh. “Das Volk von Taiwan kennt solche Aggression nur zu gut. In den vergangenen Jahren sah sich Taiwan mit zunehmend aggressiven Drohungen Chinas konfrontiert.” Dazu zählten militärische Einschüchterung, Cyberangriffe und wirtschaftliche Erpressung. fpe

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    Foxconn-Mitarbeiter ohne Essen und Medikamente

    Nach Informationen der “Financial Times” ist die Lage nach dem Covid-Ausbruch in der weltweit größten iPhone-Fabrik in Zhengzhou dramatischer als bisher bekannt. Unter Berufung auf Videomaterial berichtet die Zeitung, dass es den Mitarbeitern bereits an Essen und Medikamenten mangelt. Die Videos, mit denen die Betroffenen an die Öffentlichkeit gehen wollten, wurden von den chinesischen Behörden gelöscht.

    Mitte der Woche hatte der Apple-Zulieferer Foxconn erklärt, aufgrund von 23 Corona-Fällen die Produktion drosseln zu müssen. Zudem habe das Unternehmen die Kantinen des Werks geschlossen und die Schlafsäle abgeriegelt. In dem für Apple wichtigen Werk arbeiten rund 300.000 Mitarbeiter. Die Beschäftigten dürfen das Werksgelände seit fast drei Wochen nicht mehr verlassen. Laut Financial Times sind mehrere zehntausend Mitarbeiter mit Corona infiziert. fpe

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    Lockdown wird verschärft – Proteste in Tibet

    In mehreren Städten und Regionen Chinas sind neue Lockdowns in Kraft getreten. Bestehende Maßnahmen zur Virus-Eindämmung wurden verschärft. Nachdem die Gesundheitsbehörden am Donnerstag den dritten Tag in Folge jeweils mehr als 1000 neue Covid-19-Fälle gemeldet hatten, wurden Viertel und Straßenzüge in mehreren Städten als Hochrisikogebiete abgeriegelt. Menschen dürfen ihre Wohnungen dort teilweise nicht mehr verlassen.

    Zu den am stärksten von den Lockdown-Regeln betroffenen Kommunen zählen das wirtschaftsstarke Guangzhou im Süden, das Corona-Epizentrum Wuhan sowie Xining, die Hauptstadt der Provinz Qinghai. Bereits zu Wochenbeginn waren in 28 chinesischen Städten mehr oder weniger strenge Lockdowns in Kraft. Den Analysten des Finanzinstituts Nomura zufolge waren damit rund 207,7 Millionen Menschen in Regionen betroffen, die etwa 25,6 Billionen Yuan (rund 3,5 Billionen Euro) oder rund ein Viertel des chinesischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften.

    Wie BBC berichtet, haben in Lhasa am Mittwochnachmittag hunderte Menschen gegen die strikten Corona-Maßnahmen protestiert. Bei den Demonstranten soll es sich demnach in der Mehrzahl um Han-Chinesen gehandelt haben. Die tibetische Hauptstadt steht seit drei Monaten unter einem Lockdown. Seit 2008 kam es hier nicht mehr zu Protesten dieser Größenordnung. rtr/fpe

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    Vatikan erlaubt Peking Bischofswahl

    China und der Vatikan haben sich auf ein Abkommen geeinigt. Wie am Wochenende bekannt wurde, habe man eine geheime Vereinbarung aus dem Jahr 2018 verlängert. Darin erlaubt der Vatikan der chinesischen Regierung, auf dem Festland Bischöfe zu wählen und sie dann von Rom genehmigen zu lassen. Berichten zufolge sei der Deal um zwei Jahre verlängert worden.

    “Nach angemessener Beratung und Prüfung haben sich der Heilige Stuhl und die Volksrepublik China darauf geeinigt, das vorläufige Abkommen über die Ernennung von Bischöfen um weitere zwei Jahre zu verlängern”, heißt es in einer Erklärung der Pressestelle des Vatikans.

    Das Abkommen soll Katholiken in China näher zusammenbringen. Denn in der Volksrepublik sind die Gläubigen zwischen der offiziellen staatlich unterstützten Kirche und einer Untergrundbewegung gespalten, die Rom und dem Papst als oberstem Führer der Kirche treu ergeben ist. Schätzungen zufolge umfasst die katholische Gemeinde Chinas etwa zehn Millionen Menschen.

    Normalerweise hat der Papst bei Bischofsernennungen das Sagen. Kritiker befürchten deshalb eine Einmischung Chinas in die Religion. Zudem wird moniert, dass die Vereinbarung das Leben katholischer Christen in der Volksrepublik in keiner Weise verbessere. Im Gegenteil würden Mitglieder der sogenannten Untergrundkirche dadurch weiter ins Abseits gedrängt.

    Die Vereinbarung zwischen China und dem Vatikan wurde im September 2018 unterzeichnet und anschließend erstmal im Oktober 2020 verlängert. Seitdem erhielten “sechs ‘geheime’ Bischöfe eine Registrierung”, wie Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einem Interview der Vatican News erklärt.

    Beobachtern zufolge war die Verlängerung des Abkommens aufgrund der Verhaftung des 90-jährigen Kardinals Joseph Zen in Hongkong lange Zeit offen. Zen ist einer der ranghöchsten katholischen Geistlichen in Asien und war Anfang Mai festgenommen worden (China.Table berichtete). Dem Hongkonger Kardinal wird vorgeworfen, gegen das Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben, indem er sich mit ausländischen Kräften gegen die nationalen Interessen der Stadt verschworen habe. Hintergrund für den Vorwurf ist Zens Rolle als Treuhänder des “612 Humanitarian Relief Fund”, der Geld gesammelt hatte, um angeklagten Mitgliedern der oppositionellen Hongkonger Protestbewegung rechtlichen Beistand zu finanzieren (China.Table berichtete).

    Zen muss sich derzeit zusammen mit fünf weiteren Angeklagten in Hongkong vor Gericht verantworten. Das EU-Parlament forderte im Juli die Einstellung des Verfahrens gegen Zen und andere Unterstützer der Demokratiebewegung. rad

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    Standpunkt

    Die Angst des Tormanns Xi vor freien Fragen

    Von Johnny Erling
    Johnny Erling schreibt die Kolumne für die China.Table Professional Briefings

    Gemeinhin wird Xi Jinping in ausländischen Biografien heute als “der mächtigste Mann der Welt” beschrieben. Das ist erst recht so, seit er auf dem 20. Parteitag seine Amtszeit um weitere fünf Jahre verlängern und alle wichtigen Parteiämter mit engen Gefolgsleuten besetzen konnte. Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit hat Xi die Partei-Verfassung ändern lassen und lässt nun alle 97 Millionen KP-Mitglieder doppelt darauf einschwören, ihn als “Kern und zugleich die zentrale Autorität der Parteiführung” zu verteidigen (两个维护). Seit seinem unaufhaltsamen Aufstieg zur absoluten Macht verweigert sich Xi jedoch allen Interviews oder öffentlichen Dialogen, offenbar aus Furcht, sich Blöße geben zu können. Alles ist bei ihm minutiös inszeniert. Das zeigte sich auch beim jüngsten Parteitag, den er, offenbar um Risiken zu vermeiden, bis ins letzte Detail vorbereiten ließ.    

    Die ritualisierte Szene wiederholt sich alle fünf Jahre. Und auch vergangenen Sonntag spielte sie wieder im Volkskongress – sicherlich nicht zum letzten Mal. Sofort nach Ende des 20. Parteitags trat der auf weitere fünf Jahre bestätigte Parteichef mit sechs auserwählten Gefolgsleuten für seinen Ständigen Ausschuss des Politbüros vor die im Saal wartenden Journalisten. Bis auf Xis neue innere Führung auf dem Podium waren alle anderen Covid-bedingt vermummt.   

    Für die Vorstellung von Chinas neuer innerer Führung wählte Xi auf dem 18. und auf dem 19. Parteitag (2017) die “Östliche Halle” des Volkskongresses aus, mit der für China stehenden Großen Mauer als Hintergrundbild.
    Zu seiner Vorstellung nach dem 20. Parteitag 2022 wählte Xi die “Goldene Halle” des Volkskongresses aus. Vor rotem Hintergrund und Hammer- und Sichel-Emblem als Symbol für die Macht der Partei.

    Es war seine Demonstration unverhüllter imperialer Macht, bei der den Reportern nur die Rolle von Claqueuren zufiel. Xi wählte für das Treffen den “Goldenen Prunksaal” der Großen Halle des Volkes (人民大会堂金色大厅). 2012 und 2017 hatte dem Selbstdarsteller noch die “Östliche Große Halle” ( 东大厅 ) ausgereicht, mit ihrem Riesenwandbild der Großen Mauer, dem Symbol für China. Diesmal zelebrierte er seinen in TV live übertragenen Auftritt vor rot gefärbtem Hintergrund und dem Parteiemblem Hammer und Sichel. Soll heißen: Xi ist die personifizierte Macht der Partei.  

    Ende 2012 hatte er sich als neuer Parteichef mit seinen Mannen im Schlepptau noch als “primus inter pares” vorgestellt. 2017 setzte er sich als “Kern” der Führung vom Kollektiv ab. Nun wuchs der 69-jährige Xi darüber hinaus. “Alleinherrscher Xi” schrieb die Weltpresse, und nennt die anderen Mitglieder des Politbüro-Ausschusses seine “Loyalisten.” Mutige Blogger verlangten spottend die Umbenennung des Ausschusses in “Xi-Sekretariat.”   

    Fälschlicherweise wird Xis Auftritt vor Journalisten immer wieder als Pressekonferenz bezeichnet. Pekings amtliche Lesart spricht von “Begegnung mit in- und ausländischen Journalisten” (同中外记者见面). Seit Xi 2012 zum Parteichef Chinas aufgerückt ist, hat der Partei- und Staatschef weder Pressekonferenzen noch Interviews gegeben. 

    Xi überlässt nichts dem Zufall

    So entzog sich Xi auch diesmal wieder kniffligen Fragen der Presse, nicht nur solchen, die das Ausland interessiert hätten. Mutige chinesische Blogger wollten, im Katz und Maus-Spiel mit den Häschern der Zensur, von Xi wissen, warum er sich immer systematischer auf alte Seilschaften als seine neue Machtbasis stützt. Sie zählten vier seiner engen Mitarbeiter aus der Zeit als Provinzchef von Zhejiang 2003 bis 2007 auf, die er in die Parteispitze geholt hat. Neben Li Qiang (李强) und Cai Qi (蔡奇), die dem Politbüro-Ausschuss angehören, sind es Chen Min’er (陈敏尔) und Huang Kunming (黄坤明), die im Politbüro sitzen. Online machen Spitznamen wie Xis “Zhejiang-Club” oder seine “Shanghai-Fraktion” derzeit Furore. Im Netz kursiert eine Liste mit den Namen von 19 hohen Parteifunktionären, die mit Xi zu tun hatten, als er 2007 Parteichef von Shanghai war. Drei seien im Politbüro-Ausschuss gelandet, acht im Zentralkomitee, sieben seien ZK-Nachrücker und einer gehöre zu den ZK-Disziplinaraufsehern. 

    2014 durften noch positiv gemeinte Karikaturen über Xi erscheinen. Hier Xi und sein chinesischer Traum auf dem Titelblatt der zur Volkszeitung gehörenden Zeitung “Satire und Humor”. Inzwischen dürfen auch solche Zeichnungen nicht mehr veröffentlicht werden. Sie vertragen sich nicht mit der Würde des “Kerns der Partei”.

    Xi hat von Anfang an dafür gesorgt, dass es so kommt und hat alle Vorbereitungen, Wahlen und Beschlüsse des 20. Parteitags gelenkt und überwacht. Er erlaubte diese Woche seinem Propagandaapparat, erstaunliches zu enthüllen. Etwa, wie die Nominierung der 2300 Parteitagsdelegierten vor sich ging, wie die Neuwahl des ZK und der KP-Führer, oder zu welchen 50 Änderungen es in den Parteistatuten kam. Auf die einigte sich die Partei in elf Arbeitskonferenzen, bei denen jeweils Xi den Vorsitz hatte.    

    Er überließ nichts dem Zufall, noch traute er parteiinternen Empfehlungen oder Nominierungen. Im März 2021 ließ er eine übergeordnete ZK-Sonderkommission zur Überprüfung der Nominierung aller 2300 Parteitags-Delegierten gründen. Er machte sich zum Leiter (2021年3月… 中央政治局会议 决定成立二十大干部考察领导小组,习近平总书记亲自担任组长). 45 Inspektoren-Gruppen des ZK und acht aus der Militärkommission durchforsteten für ihn monatelang Verhalten und Ansichten jedes Kandidaten überall in China. Es ging nicht nur darum, wie loyal sie Xi ergeben sind, sondern etwa auch, wie engagiert sie seinem Kurs folgen, um “feststellen zu können, ob sie den Mut haben und sich darauf verstehen, gegen die Sanktionen des Westens und der USA anzukämpfen und Chinas nationale Sicherheit zu verteidigen.” (注重了解在应对美西方制裁、维护国家安全等问题上是否敢于斗争、善于斗争)

    Kein Wunder, dass alle Delegierten auf dem Parteitag mit Ja stimmten. Noch bedenklicher macht, dass Xinhua verrät, wie Entscheidungen über die Auswahl und Aufgaben einer Person vor allem “von dem kompletten System von Standards und perfektionierten Prozeduren der Partei abhängt und auf keinen Fall nur vom einfachen Wahlergebnis.” (党的领导和民主是统一的,不是对立的….不能简单以票取人”…我们党…有一套完整的体制,选人用人标准). 

    Xi entpuppt sich als Kontrollfreak. Das mag der Grund sein, warum er weder chinesischen noch ausländischen Reportern freie Interviews gibt, die ein Element der Unberechenbarkeit enthalten. Als ihn CCTV 2017 überraschend einmal in einer Fragerunde mit russischen Korrespondenten zeigte, verriet mir ein Teilnehmer später: Sie hätten ihre Fragen vorher einreichen müssen, die ihnen von Xis Büro schriftlich beantwortet wurden. Bei einem kurze Foto-op tat Xi dann so, als höre und beantworte er sie zum ersten Mal.   

    “Onkel Xi” sperrt die Macht in den Käfig des Rechts. Die Karikatur erschien auf dem Titelblatt der zur Volkszeitung gehörenden Zeitung “Satire und Humor”.

    2014 erlebte ich, wie es einem Journalisten gelang, Xi spontan eine Frage zu stellen. Es war beim Besuch von US-Präsident Barack Obama. Nach acht Stunden Zwiegesprächen erzielten beide Präsidenten einen Durchbruch in ihrem monatelang verhandelten Klimaschutzabkommen. Die chinesische Seite willigte ein, dass Xi sowie Obama im Volkskongress im Anschluss an ihre Statements Fragen von Journalisten beantworten würden. Ausgemacht war, dass ein USA-Korrespondent Obama, und eine chinesische Journalistin Xi befragen dürften. Als Preis für Chinas Entgegenkommen wurde die Pressekonferenz nicht live im TV übertragen. 

    So entging dem chinesischen TV-Publikum, dass sich New York Times-Reporter Mark Landler nicht an die Vereinbarung hielt. Er fragte zwar zuerst Obama, wandte sich dann aber plötzlich an Xi, wollte dessen Meinung zur Lage in Hongkong und zu Chinas Aufenthalts- und Visastopps für Peking nicht genehme US-Journalisten wissen.

    Ich saß nur wenige Meter entfernt und sah, wie Xi in Erklärungsnot geriet. Er spielte auf Zeit, verlangte zuerst die nächste Frage einer chinesischen Journalistin zu hören, auf die er offenbar vorbereitet war. Nach langatmiger Antwort reagierte er auf Landler in rätselhafter Weise: “Wenn ein Auto auf der Straße zusammenbricht, sollten seine Insassen zuerst aussteigen, um nachzuschauen, wo das Problem liegt.” Dann zitierte er ein Sprichwort: “Derjenige, der dem Tiger eine Schelle übergestreift hat, soll sie ihm wieder abnehmen.” Es dauerte, bis die Zuhörer verstanden: Diejenigen, die das Problem verursacht (also China verärgert) hätten, sollten erstmal selbst nach einer Lösung suchen. 

    Die Macht hat Xi verändert

    Die Mischung aus der Befürchtung, sich eine Blöße geben zu können, gepaart mit Überheblichkeit, dass Xi als Führer Chinas es nicht nötig habe, scheint der Grund zu sein, dass er sich seit 2012 nicht interviewen lässt. Seine Vorgänger waren anders. Mao Zedong antwortete Edgar Snow selbst mitten in der fremdenfeindlichen Kulturrevolution. Deng Xiaoping stellte sich 1980 zwei Tage lang den bohrenden Fragen von Starjournalistin Oriana Fallaci. Solche Interviews sind bis heute spannende Lektüre.

    Staatspräsident Jiang Zemin scheute sich nicht, am 2. Mai 1990, zehn Monate nach dem Tiananmen-Massaker, gegenüber US-Starjournalistin Barbara Walters und später gegenüber Mike Wallace in “60 Minutes” Stellung zu nehmen. Er lieferte sich 1998 in der Großen Halle des Volkes ein live übertragenes Rededuell mit US-Präsident Bill Clinton. Auch ich durfte als Pekinger Korrespondent 2001 Jiang zusammen mit meinem damaligen Chefredakteur für die Welt interviewen. Das war etwas Besonderes, aber normal. 

    Seit seinem Machtantritt 2012 gibt Xi den Medien keine persönlichen Interviews. Das war bei seinen Vorgängern anders. Hier begrüßt Parteichef Jiang Zemin 2001 den damaligen Chefredakteur der Welt am Sonntag und (links) den Pekinger Korrespondenten der Zeitung in Zhongnanhai zum Interview.

    Seit der Ära Xi ist alles anders geworden. Dabei hatte er es sich vor 2012 als Provinzführer erlaubt, offenherzig mit chinesischen Zeitungen und lokalen TV-Sendern zu sprechen. Doch mit immer mehr Macht veränderte sich Xi. Auf die Würde seiner Person bedacht, ließ er nach 2017 selbst positiv gemeinte, harmlose Karikaturen wieder verbieten, obwohl er sie zu Anfang seines Aufstiegs toleriert hatte. Zur gleichen Zeit begann er, immer ideologischer zu sprechen und zu schreiben. Peter Handkes sprichwörtliche Angst des Torwarts beim Elfmeter scheint beim “mächtigsten Mann der Welt” einzusetzen, sobald es um freie Interviews mit Medien und offen geführte Dialoge geht.   

    • 20. Parteitag
    • KP Chinas
    • Tiananmen-Massaker
    • Xi Jinping

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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