die mit fast 80.000 Angestellten größte Forschungseinrichtung der Welt, die chinesische Akademie der Wissenschaften, hat einen aktualisierten Verhaltenscodex. In diesem müssen die Forschenden unter anderem “die Liebe zur Partei vorleben”, “der nationalen Sicherheit dienen” und “im Einklang mit der Politik des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas stehen”, wie Fabian Kretschmer berichtet. Deutsche Forschungseinrichtungen und der DAAD wollen die Zusammenarbeit vorerst aber beibehalten – sie sehen in dem Kodex lediglich eine explizite Ausformulierung von Vorgaben, die es zuvor ohnehin schon gab.
KI verändert die Welt – und unser Leben. Chen Qiufan, einer der derzeit erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren, hält die Gefahren für die Menschheit für ganz real. Einen KI-Stopp, wie er von namhaften Tech-Größen gefordert wird, hält er nicht für die angemessene Antwort. Stattdessen sollten sich die Regierungen auf einen globalen Umgang mit KI einigen, fordert er im Gespräch mit Fabian Peltsch.
Chinas Stärke sieht Chen darin, neue Technologien aufzugreifen und zu verbreiten. Was China noch zum Teil fehlt: Kreativität. Europa mit seinen vielen verschiedenen Stimmen könnte eine entscheidende Rolle zukommen. “Ihr wart oft der Zeit voraus, und wir brauchen Eure Perspektive.”
Der Übergang von einer autoritären zur totalitären Herrschaft ist fließend. Doch ein zentrales Kriterium stellt die umfassende Gesinnungstreue dar, welche der Einparteienstaat seinen Bürgerinnen und Bürgern abverlangt: Eine passive Beobachterrolle wird ihnen aberkannt, stattdessen müssen sie sich proaktiv zur ideologischen Loyalität verpflichten.
Seit Anfang September bekennt sich nun die chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) aktiv zur Parteilinie. Die größte Forschungsorganisation der Welt hat dazu ihren Verhaltenskodex erneuert. Er gilt für alle 38.000 Mitarbeitende und 33.300 Professoren. Künftig müssen die Wissenschaftler unter anderem “die Liebe zur Partei vorleben“, “der nationalen Sicherheit dienen” und auch “im Einklang mit der Politik des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas stehen”.
Seit einigen Jahren bereits wird in Deutschland die wissenschaftliche Kooperation mit der Volksrepublik China hinterfragt. Denn einerseits ist das Reich der Mitte in vielen Bereichen zur führenden Wissenschaftsnation aufgestiegen, doch gleichzeitig ist unabhängige Forschung im repressiven Klima unter Staatschef Xi Jinping nahezu unmöglich geworden.
Die Zeichen des Wandels sind unübersehbar: Die letzten verbliebenen Professoren, die ausländischen Medien kritische Interviews gegeben haben, wurden längst gefeuert, inhaftiert oder haben sich freiwillig in die innere Emigration zurückgezogen.
Und spätestens seit der Pandemie ist die Isolation chinesischer Universitäten durchaus wörtlich zu nehmen: In der Hauptstadt Peking sind sämtliche Campus-Eingänge der Spitzenunis mit Überwachungskameras und elektronischen Türen ausgestattet. Nur mehr Studierende und Lehrende dürfen nach einem Gesichts-Scan das Gelände betreten, für Außenstehende ist der Zugang ohne Extra-Genehmigung verboten. Offiziell wird die Maßnahme mit dem Schutz vor der Pandemie begründet.
Tatsächlich jedoch steht dahinter die Kontrollwut einer paranoiden Parteiführung, die in den Universitäten stets einen Ausgangspunkt für politischen Widerstand wittert. Es ist kein Zufall, dass die historischen Proteste gegen die Null-Covid-Politik im vergangenen November ausgerechnet von chinesischen Studierenden ausgingen.
Nun also schränkt die CAS mit ihren politischen Vorgaben die akademische Freiheit noch weiter ein. Neben eingangs erwähnter Gesinnungstreue wird den Wissenschaftlern zudem verboten, ihre akademischen Ansichten zu Themen zu äußern, die außerhalb ihres Fachgebiets liegen.
Das Ausmaß der Neuformulierungen ist erstaunlich. Noch der ursprüngliche, vor neun Jahren eingeführte Verhaltenscodex der CAS enthielt die Worte “Partei”, “nationale Sicherheit” oder “Vaterlandsliebe” nicht. Damals ging es noch vor allem um wissenschaftliche Integrität.
Die chinesische Akademie der Wissenschaften unterhält ausgiebige Kooperationen mit Deutschland. Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) bezeichnet die CAS etwa als “wichtigste Partnerinstitution”. Seit fünf Jahren arbeite man in “strategisch ausgewählten wissenschaftlichen Schwerpunktbereichen” zusammen, etwa der Radioastronomie und den Verhaltenswissenschaften. Die MPG erhalte dabei “privilegierten Zugang zu teils weltweit einzigartigen und exzellenten Infrastrukturen der CAS”, wie es laut Eigenaussage heißt. Und: Beide Seiten würden gleichermaßen von der Kooperation profitieren.
Wie jedoch lässt sich mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten, die von vorneherein dazu verpflichtet sind, strikt auf Parteilinie zu sein? “Chinesische Universitäten und Forschungseinrichtungen waren noch nie völlig autonom und im Prinzip schon immer in die politischen Strukturen und Programme des chinesischen Einparteienstaates eingebunden“, sagt Christina Beck, die die Kommunikationsabteilung der Max-Planck-Gesellschaft leitet. “Aber wir nehmen natürlich mit großer Sorge wahr, dass das nun immer deutlicher öffentlich formuliert und die chinesische Forschung immer stärker politischen Zielen untergeordnet wird”.
Zu dem konkreten Verhaltenskodex könne man keine abschließende Beurteilung geben, da bislang zu wenig Hintergrundinformationen vorliegen, so die MPG. Doch man solle diese auch unter dem Aspekt der innerchinesischen Korruptionsbekämpfung verstehen, heißt es.
Und tatsächlich zielen einige der Neuerungen genau darauf ab: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es etwa künftig untersagt, an Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen sie Kontakte knüpfen könnten, um geschäftliche Gefälligkeiten zu erhalten. Die Vorgaben lassen sich ambivalent deuten: Einerseits möchte die Parteiführung Korruption erschweren – und gleichzeitig die Netzwerke der führenden Wissenschaftler kontrollieren. Die Parallelen zu Xi Jinpings Korruptionsbekämpfung sind offensichtlich. So hat Xi seine Kampagnen stets auch dafür genutzt, politische Gegner auszuschalten.
Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) unterhält mit der CAS seit 2007 ein Kooperationsabkommen. Dies umfasst unter anderem ein bilateral finanziertes Stipendienprogramm für chinesische NachwuchswissenschaftlerInnen, die im Rahmen ihrer Promotion für bis zu zwei Jahre nach Deutschland kommen. Der Umfang des Programms ist allerdings gering: 2023 wurden nur mehr sieben Stipendien vergeben.
Die verschärften politischen Vorgaben des CAS werden die Existenz des Stipendienprogramms nicht bedrohen. “Die Vorgabe zur Treue zum Vaterland und der Einhaltung der Parteilinie bei öffentlichen Statements ist in China bereits seit längerem Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere”, sagt ein DAAD-Sprecher. Der Verhaltenskodex würde also nur explizit ausformulieren, was ohnehin schon zuvor galt. Und mögliche Sicherheitsrisiken im Umgang mit chinesischen Kooperationspartnern würde der DAAD bereits seit längerem diskutieren.
Auch die Max-Planck-Gesellschaft überprüft derzeit “alle Aspekte ihrer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit China” und wird noch im November ein Papier mit Handlungsempfehlungen publizieren. Damit folgt sie unter anderem dem MIT in Cambridge, das bereits im November letzten Jahres Richtlinien zur Kooperation mit chinesischen Forschungsinstitutionen veröffentlicht hat.
Doch trotz der immer schwieriger werdenden Rahmenbedingungen möchte die MPG unbedingt im Austausch mit ihren chinesischen Partnern bleiben, sagt Christina Beck: “Über Wissenschaftskontakte kann man Türen offenhalten, die eventuell in anderen Bereichen verschlossen sind”. Fabian Kretschmer
Im Frühjahr sorgte ein offener Brief für Aufsehen, in dem Tech-Koryphäen wie Elon Musk und Steve Wozniak einen sofortigen Stopp für die Entwicklung neuer KI-Tools forderten, bis mehr Kontrollmaßnahmen für die Technologie etabliert sind. Sind Sie auch der Meinung, dass dies zum jetzigen Zeitpunkt nötig ist, oder handelt es sich eher um eine durch dystopische Fantasien geschürte Panik – etwas, dem Sie mit Ihrem Buch “AI 2041” ja entgegenwirken wollen?
Wir müssen uns ernsthaft Gedanken über die Zukunft der Künstlichen Intelligenz machen. Die Herausforderungen und Risiken sind real. Der offene Brief, in dem ein KI-Stopp gefordert wird, trifft für mich aber nicht wirklich ins Schwarze. Er wirkt auf mich eher wie ein Schachzug in einem größeren, von kommerziellen Motiven getriebenen Spiel. Der eigentliche Schwerpunkt sollte meiner Meinung nach auf der Schaffung eines gemeinsamen globalen Umgangs mit KI liegen. In unserem Buch nutzen wir das Genre der Science-Fiction, um eine Balance herzustellen und verschiedene Perspektiven auf KI zu bieten. Natürlich war es dabei auch eines unserer Anliegen, die Ängste der Menschen zu lindern.
War ChatGPT ein Wendepunkt der KI-Revolution, die laut ihrem Buch, ähnlich wie die industrielle Revolution, zu Verschiebungen der Weltordnung führen wird?
Im Moment erfordert das Training großer KI-Modelle eine Menge Daten und massive Ressourcen wie Rechenleistung, Energie und Cloud-Kapazität. Das können so gut wie nur die großen Akteure wie die USA und China bewältigen. Ich hoffe, dass wir KI in Zukunft zugänglicher und fairer machen können. Viele unserer aktuellen Herausforderungen haben weniger mit der Technologie als mit den Systemen zu tun, in denen wir agieren, seien es politische oder wirtschaftliche.
China scheint gerade etwas hinterherzuhinken, wenn es um Tools wie ChatGPT geht. Auch Europa scheint kaum aufholen zu können – ist das nur vorübergehend oder ein systemisches Problem?
China ist sehr gut darin, neue Technologien zu verbreiten. Die Chinesen nehmen etwas, machen es groß und verbessern es. Aber es gibt auch eine Debatte darüber, ob solch ein Vorgehen die Kreativität hemmt. Echte Innovation entsteht, wenn verschiedene Stimmen zusammenkommen – von der Technik über die Kunst bis hin zur Wissenschaft. Europa spielt eine entscheidende Rolle, vor allem auch, wenn es um Regularien geht. Ihr wart oft der Zeit voraus, und wir brauchen eure Perspektive.
Sie haben in Ihrem Buch angedeutet, dass die nächsten 15 bis 20 Jahre sehr chaotisch sein werden, wenn es um die Implementierung von KI-Technologie geht, und dass Probleme wie Arbeitsplatzverluste zur großen Herausforderung werden. Was können die Länder und großen KI-Unternehmen tun, um diesen Übergang reibungslos zu gestalten?
Die Verdrängung von Arbeitsplätzen durch KI passiert bereits, viel früher als wir dachten. Wir müssen uns umeinander kümmern und dafür sorgen, dass jeder versorgt ist. Ein universelles Grundeinkommen könnte ein Teil davon sein, aber zu einem Job gehört ja mehr als nur der Gehaltsscheck. Offensichtlich wird das kapitalistische Unternehmenssystem nicht die Kosten für einen reibungslosen Übergang tragen, deshalb haben die Regierungen die Pflicht und die Verantwortung, Entwicklungen vorauszusehen und zu handeln.
Sie schreiben unter anderem, dass der Einsatz von KI dazu führen könne, dass wir unseren Begriff von Arbeit ganz infrage stellen und unser Leben anderen Dingen widmen werden.
Viele junge Menschen in China haben wirtschaftliche Schwierigkeiten und sind heute auf die Unterstützung ihrer Familien angewiesen. Aber das gibt ihnen die Chance, traditionelle Wege zu überdenken und herauszufinden, was sie wirklich wollen. Momentan verstärken die gesellschaftlichen Herausforderungen die zunehmenden Klassen- und Einkommensunterschiede jedoch. In einer idealen Gesellschaft hätte jeder die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, wie es die Maslowsche Bedürfnishierarchie postuliert. Doch von dieser Utopie sind wir weit entfernt.
Sie sind der Meinung, dass jene Arbeitsplätze bis auf Weiteres am sichersten sind, die Fantasie, Kreativität und Einfühlungsvermögen erfordern. Gab es jemals die Idee, ihr Science-Fiction-Buch “AI 2041” von einer KI schreiben zu lassen?
Wir haben tatsächlich darüber nachgedacht, eine KI ein Buch mit uns zusammen schreiben zu lassen, das war 2019, aber die Technik war einfach noch nicht so weit. Aber ich bin seit 2017 sehr offen für die Zusammenarbeit mit KI und denke immer daran, maschinelle Intelligenz zu nutzen, um mein eigenes Potenzial als kreativer Schöpfer zu entfalten.
Warum sollte der Mensch überhaupt noch selbst Kunst schaffen, wenn die Maschine das irgendwann ebenso gut und vielseitig erledigen kann?
Für mich ist Kreativität grundlegend. Es ist die Art und Weise, wie wir uns mit anderen verbinden und uns selbst verstehen. Es geht ja nicht nur um Geld oder eine Karriere. Ich glaube, jeder hat das Bedürfnis, etwas zu erschaffen. Das liegt in unserer Natur und ist der Kern unserer Zivilisation.
Welches Potenzial der KI finden Sie persönlich am aufregendsten?
Ich bin sehr neugierig darauf, wie KI eingesetzt werden wird, um nicht-menschliche Sprachen zu interpretieren, zum Beispiel die von Tieren, Pflanzen oder Pilzen. Wie abgefahren wäre das?
Was kann uns die KI über die menschliche Intelligenz oder sogar über die Natur des Bewusstseins lehren?
Wir haben die KI auf der Grundlage unseres Verständnisses neuronaler Netze entwickelt, und jetzt könnte uns die KI helfen, das Gehirn noch besser zu verstehen. Aber wie kommen wir zum Kern des Bewusstseins? Das ist die große ontologische Frage, und wer weiß, ob wir sie jemals beantworten werden. Ich arbeite an einem neuen Roman, der sich teilweise mit diesem Thema befasst – aber ich fürchte, ich werde nicht zu tief gehen können, um meine Unwissenheit nicht zu sehr zu zeigen.
Wird die KI uns Menschen spiritueller machen?
KI bietet uns definitiv einen Spiegel, um in unseren spirituellen Verstand zu blicken, egal ob er religiös ist oder nicht, und all die großen Fragen zu stellen, auf die es vielleicht nie eine Antwort geben wird: Wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen. Oder auch: Leben wir in einer simulierten Welt? Wenn ja, haben wir sie erschaffen und was ist ihr Zweck? Und vor allem: Was macht uns zu Menschen? Ich denke, dies ist eine der tiefgründigsten, aber immer noch am meisten unterschätzten Fragen.
Chen Qiufan 陈楸帆, Jahrgang 1981, gilt seit seinem Öko-Thriller “Die Siliziuminsel” als einer der wichtigsten Vertreter einer neuen Welle chinesischer Science Fiction. Vor seiner Karriere als Schriftsteller war er in der Tech-Branche tätig, wo er unter anderem mit dem KI-Experten Kai-Fu Lee zusammenarbeitete. 2022 veröffentlichten die beiden das Buch “AI 2041”, in dem sie gemeinsam Zukunftsszenarien einer von KI durchdrungenen Welt entwerfen.
Die Texte der Table.Media-Serie “Der globale Wettlauf um Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.
Die Lage des insolventen Immobilienkonzerns Evergrande wirkt immer desaströser. Der Chairman der Gruppe, Xu Jiayin (Kantonesisch: Hui Ka-yan), befindet sich offenbar schon seit Wochen in Hausarrest, wie am Mittwoch bekannt wurde. Die Behörden unterstellen offenbar Fluchtgefahr – und das bedeutet, dass die Strafverfolgungsbehörden sich inzwischen in den Fall einschalten.
Die Aktien aller Immobilienfirmen rutschten noch weiter ab, seit die Justiz sich für Vorgänge interessiert. Sie befinden sich nun auf Tiefständen, wie sie seit über zehn Jahren nicht gesehen wurden. Der ebenfalls insolvente Konkurrent Country Garden steuert derweil auf eine Umschuldung seiner Auslandsverbindlichkeiten zu. Er kann seine Schulden nicht zurückzahlen. fin
Ein Manager des japanischen Wertpapierhauses Nomura darf Festlandchina nicht verlassen. Das berichtet Reuters. Wang Zhonghe soll Verbindungen zu einer Korruptionsaffäre um den Vermögensverwalter China Renaissance gehabt haben, wie die Financial Times unter Berufung auf anonyme Quellen schreibt. Das muss nicht zwingend heißen, dass Wang als Beschuldigter verhaftet wurde. Wer in China als Zeuge in einem solchen Verfahren identifiziert ist, wird mit einem Reisebann belegt.
Wang arbeitet in Hongkong. Er war vor seiner Zeit bei Nomura für die staatliche Großbank ICBC tätig. Einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Veruntreuung von Geldern bei dem Unternehmen China Renaissance Holdings, Cong Lin, war seinerzeit ein Kollege von Wang. China Renaissance vermittelte unter anderem Merger im Internetsektor.
Derzeit läuft weiterhin eine Anti-Korruptionskampagne in der Finanzindustrie. Im vergangenen Jahr haben die Behörden Banken und Investmentfirmen 4.620 Mal mit Strafen belegt, ein Anstieg von einem knappen Fünftel gegenüber dem Vorjahr. Die Anti-Korruptionskampagnen haben aus Sicht der Führung oft eine doppelte Funktion. Es geht in vielen Fällen wirklich um Korruption und trifft nicht selten die Richtigen. Zugleich dienen sie der Einschüchterung ganzer Branchen, Parteiflügeln und gesellschaftlicher Gruppen, um sie gefügig zu machen. fin
Dem Vorsitzenden der Hongkonger Journalistenvereinigung droht eine mehrjährige Haftstrafe. Ronson Chan wurde am Montag vom Magistratsgericht in West Kowloon schuldig gesprochen, eine Polizistin bei der Ausübung ihres Amtes behindert zu haben. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass sich der frühere Reporter des inzwischen eingestellten oppositionellen Onlinemediums Stand News trotz wiederholter Aufforderung durch die Beamtin nicht ausgewiesen hatte. Das genaue Strafmaß wird erst später bekannt gegeben. Das Gericht kann bis zu zwei Jahre Haft verhängen.
Bei dem Vorfall im September vergangenen Jahres war Chan wegen angeblich “verdächtigen Benehmens” von der Beamtin aufgefordert worden, seinen Ausweis zu zeigen. Chan erklärte vor Gericht, er habe lediglich kurz gezögert. In einem vergleichbaren Fall, einige Jahre zuvor, sei sein Ausweisdokument in die Kamera eines Livestreamers gehalten worden und für Tausende Online-Zuschauer sichtbar gewesen.
Die Verteidigung warf der Polizistin vor, den Vorgang verzerrt und zuungunsten ihres Mandanten wiedergegeben zu haben. Der angebliche verbale Austausch, den die Beamtin vor Gericht bezeugte, hätte mindestens 24 Sekunden in Anspruch genommen. Bildmaterial von dem Vorfall belegte jedoch eine Länge von lediglich 15 Sekunden. grz
Die bekannte uigurische Akademikerin Rahile Dawut wurde in China zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das teilte die in Kalifornien ansässige Menschenrechtsgruppe Dui Hua mit, die für verfolgte und unterdrückte Menschen in China eintritt. Dawut war vor sechs Jahren auf dem Höhepunkt der Anti-Terror-Kampagne der chinesischen Regierung in der autonomen Region Xinjiang verhaftet worden. Der heute 57-jährigen Professorin wird vorgeworfen, die Staatssicherheit durch Versuche der “Spaltung” gefährdet zu haben. Dawut hatte Berufung gegen ihr Urteil vor dem Obersten Volksgericht der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang eingelegt. Das Gesuch wurde jedoch abgelehnt.
Die ehemalige Professorin an der Universität Xinjiang war eine führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der uigurischen Folklore. Sie gehört zu mehr als 300 bekannten Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern, die in Xinjiang inhaftiert sein sollen. Ihre Tochter plädierte über die Menschenrechtsorganisation an die Regierung, ihre Mutter freizulassen: “Ich mache mir jeden Tag Sorgen um meine Mutter. Der Gedanke, dass meine unschuldige Mutter ihr Leben im Gefängnis verbringen muss, verursacht unerträglichen Schmerz. China, zeige Gnade und lass meine unschuldige Mutter frei.” fpe
Chinas Social-Media-Plattformen sind ein Universum für sich. Selten findet ein Influencer oder eine Influencerin den Weg aus dieser Parallelwelt auf eine globale Bühne. Eine, die es trotz Sprachbarrieren und kultureller Unterschiede dennoch geschafft hat, ist Li Ziqi 李子柒. Die junge Frau aus Sichuan hat auf Youtube 17,7 Millionen Follower – kein anderer chinesischsprachiger Kanal kam jemals auf solche Zahlen, meldet sogar das Guinness Buch der Rekorde.
Die 33-Jährige ist eine sogenannte Rural Influencerin. Im Mittelpunkt ihrer durchschnittlich fünfminütigen Videos steht das Leben auf dem Land oder besser gesagt: das Leben in einer idealisierten Landidylle. Perfekt ausgeleuchtet und begleitet von Vogelgezwitscher und perlendem Piano pflanzt, erntet und kocht sich die junge Frau durch die Tage. Mal sichelt sie Pilze in selbst geflochtene Bastkörbe, mal presst sie aus selbst gezogenem Soja Tofu nach traditionellem Rezept – und das ganz ohne Schweiß, Muskelkater oder Mückenstiche.
Der heimliche Star ihrer Videos ist jedoch die bergige Landschaft Nord-Sichuans. Von Tau benetzter Lotus, hölzerne Pagoden an nebligen Hängen und Sonnenstrahlen, die durchs Küchenfenster fallen, als hätte Jan Vermeer seine Genre-Szenen nicht im barocken Holland, sondern im China der Ming-Dynastie gemalt. Man nennt diese sedierende Durchästhetisierung des Landlebens auch “Cottage-Core”. In der Pandemie erlebte das Genre einen Höhepunkt. Während vielerorts die Städte zu Spaß-Wüsten dichtgemacht wurden, projizierten viele Menschen ihre Sehnsüchte auf die einst so verhasste Pampa.
Li Ziqi wurde in diesen Fantasien zu einer Art Henry Thoreau fürs Instagram-und Hygge-Zeitalter. Und das vor allem auch in China selbst. Dort folgen ihr allein auf Weibo 20 Millionen Menschen. Vor allem junge Chinesen sahen in ihren Videos eine andere Art von chinesischem Traum, der nichts mit Burn-out und der Ellbogengesellschaft in Metropolen wie Shanghai und Shenzhen zu tun hatte. Gleichzeitig fügte sich die bukolische Inszenierung des Landlebens gut in Xi Jinpings Kampagne der ländlichen Revitalisierung, die nicht zuletzt auch gut ausgebildete Städter in kleinere Städte und Dörfer locken sollte. Nicht wenige ließen sich tatsächlich von Li Ziqi inspirieren und wagten vor allem während der Pandemie die Stadtflucht.
Schon bald wurde Li Ziqi zur neuen Soft-Power-Hoffnung Chinas, die sich nicht dem Westen anbiederte, aber dort trotzdem mit chinesischer Kultur Erfolge feierte. Die Provinzhauptstadt von Sichuan, Chengdu, ernannte Li zur offiziellen Botschafterin des immateriellen Kulturerbes der Region. 2018 unterzeichnete sie zudem einen Werbevertrag mit einem Lebensmittelunternehmen, das von Pekings berühmtem Palastmuseum lizenziert wurde. Ein Ritterschlag für das Scheidungskind aus einfachen Verhältnissen, das hauptsächlich bei den Großeltern aufwuchs, wie sie in Interviews mit chinesischen Medien erklärte.
Auch finanziell lohnte sich die Sache für Li. Zusammen mit Hangzhou Weinian, einer Agentur für Online-Content, fand die Influencerin, die sich früher einmal als Musikerin versucht hatte, ein professionelles Management. Zusammen eröffneten sie unter anderem einen erfolgreichen Shoppingkanal auf der E-Commerce-Plattform Tmall. Dort konnte man beispielsweise die Messer kaufen, mit denen Li Kräuter hackte oder die Kleidung, die bei ihren anmutigen Koch-Zeremonien stets fleckenfrei zu bleiben schien.
Doch dann, im Juli 2021, war nach 128 Videos plötzlich Schluss. Li Ziqi postete keinen Content mehr und verschwand auch sonst von der Bildfläche. Hatte sie etwa ihren Kritikern nachgegeben, die behaupteten, sie verschweige in ihren Videos die Armut auf dem Land? Oder vielleicht jenen, die kritisierten, sie porträtiere China als zu rückständig? Oder standen, wie so oft, politische Gründe dahinter, vielleicht sogar ein Korruptionsskandal?
Wie sich herausstellte, hatte Li sich wohl einfach mit den falschen Partnern eingelassen. Weinian war als Agentur zwar mitverantwortlich dafür, Lis Videos auch im Ausland bekannt zu machen, die Firma sicherte sich aber auch eine Mehrheitsbeteiligung am gemeinsam gegründeten Joint Venture “Sichuan Li Ziqi Culture Communication” von mehr als 50 Prozent. Dadurch konnte das Management mehr und mehr die Kontrolle übernehmen. Die Videos wurden didaktischer. Manche sagen: politisch korrekter, inklusive nebenbei einsickernder Partei-Botschaften. Auch störte Li sich angeblich an der übertriebenen Kommerzialisierung ihrer Videos, ohne dabei einen fairen Anteil zu erhalten.
In den Jahren 2021 und 2022 verklagten sich die beiden Parteien insgesamt fünfmal gegenseitig, bis sie sich schließlich im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens im Frühjahr des vergangenen Jahres einigten. Die Beteiligung von Li an “Sichuan Culture Communication” stieg auf neunundneunzig Prozent. Dennoch postete die junge Influencerin über zwei Jahre keine neuen Videos mehr. Bis vor elf Tagen. Am 15. September erschien plötzlich ein Lebenszeichen von Li. In einem Clip, der sofort tausendfach geteilt wurde, sieht man sie in einem Obstgarten stehen. Mit gewohnt sanftem Blick erklärt der Social-Media-Star dort, bald wieder “Qualitäts-Content über die bäuerliche Kultur Chinas und Geschichten über die Provinz” zu produzieren, und junge Menschen zu ermutigen, das Landleben zu entdecken.
Die Nachricht von Lis Rückkehr ins Rampenlicht verbreitete sich rasend schnell, wobei sich viele Kommentare vor allem auf ihr verändertes Aussehen konzentrierten. Ihre Augen und ihr Kinn hätten sich verändert, schrieben Nutzer zwischen Häme und Überraschung. Sie erkannten vielleicht zum ersten Mal, dass auch bei der Schönheit der Natur, die sie in Lis Videos so bewunderten, nur der Schein getrügt hatte. Dabei hatte die Influencerin daraus nie einen Hehl gemacht. Man musste schon blind sein, um ihren Traum eines chinesischen Garten Eden für bare Münze zu nehmen. Fabian Peltsch
die mit fast 80.000 Angestellten größte Forschungseinrichtung der Welt, die chinesische Akademie der Wissenschaften, hat einen aktualisierten Verhaltenscodex. In diesem müssen die Forschenden unter anderem “die Liebe zur Partei vorleben”, “der nationalen Sicherheit dienen” und “im Einklang mit der Politik des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas stehen”, wie Fabian Kretschmer berichtet. Deutsche Forschungseinrichtungen und der DAAD wollen die Zusammenarbeit vorerst aber beibehalten – sie sehen in dem Kodex lediglich eine explizite Ausformulierung von Vorgaben, die es zuvor ohnehin schon gab.
KI verändert die Welt – und unser Leben. Chen Qiufan, einer der derzeit erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren, hält die Gefahren für die Menschheit für ganz real. Einen KI-Stopp, wie er von namhaften Tech-Größen gefordert wird, hält er nicht für die angemessene Antwort. Stattdessen sollten sich die Regierungen auf einen globalen Umgang mit KI einigen, fordert er im Gespräch mit Fabian Peltsch.
Chinas Stärke sieht Chen darin, neue Technologien aufzugreifen und zu verbreiten. Was China noch zum Teil fehlt: Kreativität. Europa mit seinen vielen verschiedenen Stimmen könnte eine entscheidende Rolle zukommen. “Ihr wart oft der Zeit voraus, und wir brauchen Eure Perspektive.”
Der Übergang von einer autoritären zur totalitären Herrschaft ist fließend. Doch ein zentrales Kriterium stellt die umfassende Gesinnungstreue dar, welche der Einparteienstaat seinen Bürgerinnen und Bürgern abverlangt: Eine passive Beobachterrolle wird ihnen aberkannt, stattdessen müssen sie sich proaktiv zur ideologischen Loyalität verpflichten.
Seit Anfang September bekennt sich nun die chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) aktiv zur Parteilinie. Die größte Forschungsorganisation der Welt hat dazu ihren Verhaltenskodex erneuert. Er gilt für alle 38.000 Mitarbeitende und 33.300 Professoren. Künftig müssen die Wissenschaftler unter anderem “die Liebe zur Partei vorleben“, “der nationalen Sicherheit dienen” und auch “im Einklang mit der Politik des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas stehen”.
Seit einigen Jahren bereits wird in Deutschland die wissenschaftliche Kooperation mit der Volksrepublik China hinterfragt. Denn einerseits ist das Reich der Mitte in vielen Bereichen zur führenden Wissenschaftsnation aufgestiegen, doch gleichzeitig ist unabhängige Forschung im repressiven Klima unter Staatschef Xi Jinping nahezu unmöglich geworden.
Die Zeichen des Wandels sind unübersehbar: Die letzten verbliebenen Professoren, die ausländischen Medien kritische Interviews gegeben haben, wurden längst gefeuert, inhaftiert oder haben sich freiwillig in die innere Emigration zurückgezogen.
Und spätestens seit der Pandemie ist die Isolation chinesischer Universitäten durchaus wörtlich zu nehmen: In der Hauptstadt Peking sind sämtliche Campus-Eingänge der Spitzenunis mit Überwachungskameras und elektronischen Türen ausgestattet. Nur mehr Studierende und Lehrende dürfen nach einem Gesichts-Scan das Gelände betreten, für Außenstehende ist der Zugang ohne Extra-Genehmigung verboten. Offiziell wird die Maßnahme mit dem Schutz vor der Pandemie begründet.
Tatsächlich jedoch steht dahinter die Kontrollwut einer paranoiden Parteiführung, die in den Universitäten stets einen Ausgangspunkt für politischen Widerstand wittert. Es ist kein Zufall, dass die historischen Proteste gegen die Null-Covid-Politik im vergangenen November ausgerechnet von chinesischen Studierenden ausgingen.
Nun also schränkt die CAS mit ihren politischen Vorgaben die akademische Freiheit noch weiter ein. Neben eingangs erwähnter Gesinnungstreue wird den Wissenschaftlern zudem verboten, ihre akademischen Ansichten zu Themen zu äußern, die außerhalb ihres Fachgebiets liegen.
Das Ausmaß der Neuformulierungen ist erstaunlich. Noch der ursprüngliche, vor neun Jahren eingeführte Verhaltenscodex der CAS enthielt die Worte “Partei”, “nationale Sicherheit” oder “Vaterlandsliebe” nicht. Damals ging es noch vor allem um wissenschaftliche Integrität.
Die chinesische Akademie der Wissenschaften unterhält ausgiebige Kooperationen mit Deutschland. Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) bezeichnet die CAS etwa als “wichtigste Partnerinstitution”. Seit fünf Jahren arbeite man in “strategisch ausgewählten wissenschaftlichen Schwerpunktbereichen” zusammen, etwa der Radioastronomie und den Verhaltenswissenschaften. Die MPG erhalte dabei “privilegierten Zugang zu teils weltweit einzigartigen und exzellenten Infrastrukturen der CAS”, wie es laut Eigenaussage heißt. Und: Beide Seiten würden gleichermaßen von der Kooperation profitieren.
Wie jedoch lässt sich mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten, die von vorneherein dazu verpflichtet sind, strikt auf Parteilinie zu sein? “Chinesische Universitäten und Forschungseinrichtungen waren noch nie völlig autonom und im Prinzip schon immer in die politischen Strukturen und Programme des chinesischen Einparteienstaates eingebunden“, sagt Christina Beck, die die Kommunikationsabteilung der Max-Planck-Gesellschaft leitet. “Aber wir nehmen natürlich mit großer Sorge wahr, dass das nun immer deutlicher öffentlich formuliert und die chinesische Forschung immer stärker politischen Zielen untergeordnet wird”.
Zu dem konkreten Verhaltenskodex könne man keine abschließende Beurteilung geben, da bislang zu wenig Hintergrundinformationen vorliegen, so die MPG. Doch man solle diese auch unter dem Aspekt der innerchinesischen Korruptionsbekämpfung verstehen, heißt es.
Und tatsächlich zielen einige der Neuerungen genau darauf ab: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es etwa künftig untersagt, an Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen sie Kontakte knüpfen könnten, um geschäftliche Gefälligkeiten zu erhalten. Die Vorgaben lassen sich ambivalent deuten: Einerseits möchte die Parteiführung Korruption erschweren – und gleichzeitig die Netzwerke der führenden Wissenschaftler kontrollieren. Die Parallelen zu Xi Jinpings Korruptionsbekämpfung sind offensichtlich. So hat Xi seine Kampagnen stets auch dafür genutzt, politische Gegner auszuschalten.
Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) unterhält mit der CAS seit 2007 ein Kooperationsabkommen. Dies umfasst unter anderem ein bilateral finanziertes Stipendienprogramm für chinesische NachwuchswissenschaftlerInnen, die im Rahmen ihrer Promotion für bis zu zwei Jahre nach Deutschland kommen. Der Umfang des Programms ist allerdings gering: 2023 wurden nur mehr sieben Stipendien vergeben.
Die verschärften politischen Vorgaben des CAS werden die Existenz des Stipendienprogramms nicht bedrohen. “Die Vorgabe zur Treue zum Vaterland und der Einhaltung der Parteilinie bei öffentlichen Statements ist in China bereits seit längerem Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere”, sagt ein DAAD-Sprecher. Der Verhaltenskodex würde also nur explizit ausformulieren, was ohnehin schon zuvor galt. Und mögliche Sicherheitsrisiken im Umgang mit chinesischen Kooperationspartnern würde der DAAD bereits seit längerem diskutieren.
Auch die Max-Planck-Gesellschaft überprüft derzeit “alle Aspekte ihrer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit China” und wird noch im November ein Papier mit Handlungsempfehlungen publizieren. Damit folgt sie unter anderem dem MIT in Cambridge, das bereits im November letzten Jahres Richtlinien zur Kooperation mit chinesischen Forschungsinstitutionen veröffentlicht hat.
Doch trotz der immer schwieriger werdenden Rahmenbedingungen möchte die MPG unbedingt im Austausch mit ihren chinesischen Partnern bleiben, sagt Christina Beck: “Über Wissenschaftskontakte kann man Türen offenhalten, die eventuell in anderen Bereichen verschlossen sind”. Fabian Kretschmer
Im Frühjahr sorgte ein offener Brief für Aufsehen, in dem Tech-Koryphäen wie Elon Musk und Steve Wozniak einen sofortigen Stopp für die Entwicklung neuer KI-Tools forderten, bis mehr Kontrollmaßnahmen für die Technologie etabliert sind. Sind Sie auch der Meinung, dass dies zum jetzigen Zeitpunkt nötig ist, oder handelt es sich eher um eine durch dystopische Fantasien geschürte Panik – etwas, dem Sie mit Ihrem Buch “AI 2041” ja entgegenwirken wollen?
Wir müssen uns ernsthaft Gedanken über die Zukunft der Künstlichen Intelligenz machen. Die Herausforderungen und Risiken sind real. Der offene Brief, in dem ein KI-Stopp gefordert wird, trifft für mich aber nicht wirklich ins Schwarze. Er wirkt auf mich eher wie ein Schachzug in einem größeren, von kommerziellen Motiven getriebenen Spiel. Der eigentliche Schwerpunkt sollte meiner Meinung nach auf der Schaffung eines gemeinsamen globalen Umgangs mit KI liegen. In unserem Buch nutzen wir das Genre der Science-Fiction, um eine Balance herzustellen und verschiedene Perspektiven auf KI zu bieten. Natürlich war es dabei auch eines unserer Anliegen, die Ängste der Menschen zu lindern.
War ChatGPT ein Wendepunkt der KI-Revolution, die laut ihrem Buch, ähnlich wie die industrielle Revolution, zu Verschiebungen der Weltordnung führen wird?
Im Moment erfordert das Training großer KI-Modelle eine Menge Daten und massive Ressourcen wie Rechenleistung, Energie und Cloud-Kapazität. Das können so gut wie nur die großen Akteure wie die USA und China bewältigen. Ich hoffe, dass wir KI in Zukunft zugänglicher und fairer machen können. Viele unserer aktuellen Herausforderungen haben weniger mit der Technologie als mit den Systemen zu tun, in denen wir agieren, seien es politische oder wirtschaftliche.
China scheint gerade etwas hinterherzuhinken, wenn es um Tools wie ChatGPT geht. Auch Europa scheint kaum aufholen zu können – ist das nur vorübergehend oder ein systemisches Problem?
China ist sehr gut darin, neue Technologien zu verbreiten. Die Chinesen nehmen etwas, machen es groß und verbessern es. Aber es gibt auch eine Debatte darüber, ob solch ein Vorgehen die Kreativität hemmt. Echte Innovation entsteht, wenn verschiedene Stimmen zusammenkommen – von der Technik über die Kunst bis hin zur Wissenschaft. Europa spielt eine entscheidende Rolle, vor allem auch, wenn es um Regularien geht. Ihr wart oft der Zeit voraus, und wir brauchen eure Perspektive.
Sie haben in Ihrem Buch angedeutet, dass die nächsten 15 bis 20 Jahre sehr chaotisch sein werden, wenn es um die Implementierung von KI-Technologie geht, und dass Probleme wie Arbeitsplatzverluste zur großen Herausforderung werden. Was können die Länder und großen KI-Unternehmen tun, um diesen Übergang reibungslos zu gestalten?
Die Verdrängung von Arbeitsplätzen durch KI passiert bereits, viel früher als wir dachten. Wir müssen uns umeinander kümmern und dafür sorgen, dass jeder versorgt ist. Ein universelles Grundeinkommen könnte ein Teil davon sein, aber zu einem Job gehört ja mehr als nur der Gehaltsscheck. Offensichtlich wird das kapitalistische Unternehmenssystem nicht die Kosten für einen reibungslosen Übergang tragen, deshalb haben die Regierungen die Pflicht und die Verantwortung, Entwicklungen vorauszusehen und zu handeln.
Sie schreiben unter anderem, dass der Einsatz von KI dazu führen könne, dass wir unseren Begriff von Arbeit ganz infrage stellen und unser Leben anderen Dingen widmen werden.
Viele junge Menschen in China haben wirtschaftliche Schwierigkeiten und sind heute auf die Unterstützung ihrer Familien angewiesen. Aber das gibt ihnen die Chance, traditionelle Wege zu überdenken und herauszufinden, was sie wirklich wollen. Momentan verstärken die gesellschaftlichen Herausforderungen die zunehmenden Klassen- und Einkommensunterschiede jedoch. In einer idealen Gesellschaft hätte jeder die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, wie es die Maslowsche Bedürfnishierarchie postuliert. Doch von dieser Utopie sind wir weit entfernt.
Sie sind der Meinung, dass jene Arbeitsplätze bis auf Weiteres am sichersten sind, die Fantasie, Kreativität und Einfühlungsvermögen erfordern. Gab es jemals die Idee, ihr Science-Fiction-Buch “AI 2041” von einer KI schreiben zu lassen?
Wir haben tatsächlich darüber nachgedacht, eine KI ein Buch mit uns zusammen schreiben zu lassen, das war 2019, aber die Technik war einfach noch nicht so weit. Aber ich bin seit 2017 sehr offen für die Zusammenarbeit mit KI und denke immer daran, maschinelle Intelligenz zu nutzen, um mein eigenes Potenzial als kreativer Schöpfer zu entfalten.
Warum sollte der Mensch überhaupt noch selbst Kunst schaffen, wenn die Maschine das irgendwann ebenso gut und vielseitig erledigen kann?
Für mich ist Kreativität grundlegend. Es ist die Art und Weise, wie wir uns mit anderen verbinden und uns selbst verstehen. Es geht ja nicht nur um Geld oder eine Karriere. Ich glaube, jeder hat das Bedürfnis, etwas zu erschaffen. Das liegt in unserer Natur und ist der Kern unserer Zivilisation.
Welches Potenzial der KI finden Sie persönlich am aufregendsten?
Ich bin sehr neugierig darauf, wie KI eingesetzt werden wird, um nicht-menschliche Sprachen zu interpretieren, zum Beispiel die von Tieren, Pflanzen oder Pilzen. Wie abgefahren wäre das?
Was kann uns die KI über die menschliche Intelligenz oder sogar über die Natur des Bewusstseins lehren?
Wir haben die KI auf der Grundlage unseres Verständnisses neuronaler Netze entwickelt, und jetzt könnte uns die KI helfen, das Gehirn noch besser zu verstehen. Aber wie kommen wir zum Kern des Bewusstseins? Das ist die große ontologische Frage, und wer weiß, ob wir sie jemals beantworten werden. Ich arbeite an einem neuen Roman, der sich teilweise mit diesem Thema befasst – aber ich fürchte, ich werde nicht zu tief gehen können, um meine Unwissenheit nicht zu sehr zu zeigen.
Wird die KI uns Menschen spiritueller machen?
KI bietet uns definitiv einen Spiegel, um in unseren spirituellen Verstand zu blicken, egal ob er religiös ist oder nicht, und all die großen Fragen zu stellen, auf die es vielleicht nie eine Antwort geben wird: Wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen. Oder auch: Leben wir in einer simulierten Welt? Wenn ja, haben wir sie erschaffen und was ist ihr Zweck? Und vor allem: Was macht uns zu Menschen? Ich denke, dies ist eine der tiefgründigsten, aber immer noch am meisten unterschätzten Fragen.
Chen Qiufan 陈楸帆, Jahrgang 1981, gilt seit seinem Öko-Thriller “Die Siliziuminsel” als einer der wichtigsten Vertreter einer neuen Welle chinesischer Science Fiction. Vor seiner Karriere als Schriftsteller war er in der Tech-Branche tätig, wo er unter anderem mit dem KI-Experten Kai-Fu Lee zusammenarbeitete. 2022 veröffentlichten die beiden das Buch “AI 2041”, in dem sie gemeinsam Zukunftsszenarien einer von KI durchdrungenen Welt entwerfen.
Die Texte der Table.Media-Serie “Der globale Wettlauf um Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.
Die Lage des insolventen Immobilienkonzerns Evergrande wirkt immer desaströser. Der Chairman der Gruppe, Xu Jiayin (Kantonesisch: Hui Ka-yan), befindet sich offenbar schon seit Wochen in Hausarrest, wie am Mittwoch bekannt wurde. Die Behörden unterstellen offenbar Fluchtgefahr – und das bedeutet, dass die Strafverfolgungsbehörden sich inzwischen in den Fall einschalten.
Die Aktien aller Immobilienfirmen rutschten noch weiter ab, seit die Justiz sich für Vorgänge interessiert. Sie befinden sich nun auf Tiefständen, wie sie seit über zehn Jahren nicht gesehen wurden. Der ebenfalls insolvente Konkurrent Country Garden steuert derweil auf eine Umschuldung seiner Auslandsverbindlichkeiten zu. Er kann seine Schulden nicht zurückzahlen. fin
Ein Manager des japanischen Wertpapierhauses Nomura darf Festlandchina nicht verlassen. Das berichtet Reuters. Wang Zhonghe soll Verbindungen zu einer Korruptionsaffäre um den Vermögensverwalter China Renaissance gehabt haben, wie die Financial Times unter Berufung auf anonyme Quellen schreibt. Das muss nicht zwingend heißen, dass Wang als Beschuldigter verhaftet wurde. Wer in China als Zeuge in einem solchen Verfahren identifiziert ist, wird mit einem Reisebann belegt.
Wang arbeitet in Hongkong. Er war vor seiner Zeit bei Nomura für die staatliche Großbank ICBC tätig. Einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Veruntreuung von Geldern bei dem Unternehmen China Renaissance Holdings, Cong Lin, war seinerzeit ein Kollege von Wang. China Renaissance vermittelte unter anderem Merger im Internetsektor.
Derzeit läuft weiterhin eine Anti-Korruptionskampagne in der Finanzindustrie. Im vergangenen Jahr haben die Behörden Banken und Investmentfirmen 4.620 Mal mit Strafen belegt, ein Anstieg von einem knappen Fünftel gegenüber dem Vorjahr. Die Anti-Korruptionskampagnen haben aus Sicht der Führung oft eine doppelte Funktion. Es geht in vielen Fällen wirklich um Korruption und trifft nicht selten die Richtigen. Zugleich dienen sie der Einschüchterung ganzer Branchen, Parteiflügeln und gesellschaftlicher Gruppen, um sie gefügig zu machen. fin
Dem Vorsitzenden der Hongkonger Journalistenvereinigung droht eine mehrjährige Haftstrafe. Ronson Chan wurde am Montag vom Magistratsgericht in West Kowloon schuldig gesprochen, eine Polizistin bei der Ausübung ihres Amtes behindert zu haben. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass sich der frühere Reporter des inzwischen eingestellten oppositionellen Onlinemediums Stand News trotz wiederholter Aufforderung durch die Beamtin nicht ausgewiesen hatte. Das genaue Strafmaß wird erst später bekannt gegeben. Das Gericht kann bis zu zwei Jahre Haft verhängen.
Bei dem Vorfall im September vergangenen Jahres war Chan wegen angeblich “verdächtigen Benehmens” von der Beamtin aufgefordert worden, seinen Ausweis zu zeigen. Chan erklärte vor Gericht, er habe lediglich kurz gezögert. In einem vergleichbaren Fall, einige Jahre zuvor, sei sein Ausweisdokument in die Kamera eines Livestreamers gehalten worden und für Tausende Online-Zuschauer sichtbar gewesen.
Die Verteidigung warf der Polizistin vor, den Vorgang verzerrt und zuungunsten ihres Mandanten wiedergegeben zu haben. Der angebliche verbale Austausch, den die Beamtin vor Gericht bezeugte, hätte mindestens 24 Sekunden in Anspruch genommen. Bildmaterial von dem Vorfall belegte jedoch eine Länge von lediglich 15 Sekunden. grz
Die bekannte uigurische Akademikerin Rahile Dawut wurde in China zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das teilte die in Kalifornien ansässige Menschenrechtsgruppe Dui Hua mit, die für verfolgte und unterdrückte Menschen in China eintritt. Dawut war vor sechs Jahren auf dem Höhepunkt der Anti-Terror-Kampagne der chinesischen Regierung in der autonomen Region Xinjiang verhaftet worden. Der heute 57-jährigen Professorin wird vorgeworfen, die Staatssicherheit durch Versuche der “Spaltung” gefährdet zu haben. Dawut hatte Berufung gegen ihr Urteil vor dem Obersten Volksgericht der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang eingelegt. Das Gesuch wurde jedoch abgelehnt.
Die ehemalige Professorin an der Universität Xinjiang war eine führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der uigurischen Folklore. Sie gehört zu mehr als 300 bekannten Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern, die in Xinjiang inhaftiert sein sollen. Ihre Tochter plädierte über die Menschenrechtsorganisation an die Regierung, ihre Mutter freizulassen: “Ich mache mir jeden Tag Sorgen um meine Mutter. Der Gedanke, dass meine unschuldige Mutter ihr Leben im Gefängnis verbringen muss, verursacht unerträglichen Schmerz. China, zeige Gnade und lass meine unschuldige Mutter frei.” fpe
Chinas Social-Media-Plattformen sind ein Universum für sich. Selten findet ein Influencer oder eine Influencerin den Weg aus dieser Parallelwelt auf eine globale Bühne. Eine, die es trotz Sprachbarrieren und kultureller Unterschiede dennoch geschafft hat, ist Li Ziqi 李子柒. Die junge Frau aus Sichuan hat auf Youtube 17,7 Millionen Follower – kein anderer chinesischsprachiger Kanal kam jemals auf solche Zahlen, meldet sogar das Guinness Buch der Rekorde.
Die 33-Jährige ist eine sogenannte Rural Influencerin. Im Mittelpunkt ihrer durchschnittlich fünfminütigen Videos steht das Leben auf dem Land oder besser gesagt: das Leben in einer idealisierten Landidylle. Perfekt ausgeleuchtet und begleitet von Vogelgezwitscher und perlendem Piano pflanzt, erntet und kocht sich die junge Frau durch die Tage. Mal sichelt sie Pilze in selbst geflochtene Bastkörbe, mal presst sie aus selbst gezogenem Soja Tofu nach traditionellem Rezept – und das ganz ohne Schweiß, Muskelkater oder Mückenstiche.
Der heimliche Star ihrer Videos ist jedoch die bergige Landschaft Nord-Sichuans. Von Tau benetzter Lotus, hölzerne Pagoden an nebligen Hängen und Sonnenstrahlen, die durchs Küchenfenster fallen, als hätte Jan Vermeer seine Genre-Szenen nicht im barocken Holland, sondern im China der Ming-Dynastie gemalt. Man nennt diese sedierende Durchästhetisierung des Landlebens auch “Cottage-Core”. In der Pandemie erlebte das Genre einen Höhepunkt. Während vielerorts die Städte zu Spaß-Wüsten dichtgemacht wurden, projizierten viele Menschen ihre Sehnsüchte auf die einst so verhasste Pampa.
Li Ziqi wurde in diesen Fantasien zu einer Art Henry Thoreau fürs Instagram-und Hygge-Zeitalter. Und das vor allem auch in China selbst. Dort folgen ihr allein auf Weibo 20 Millionen Menschen. Vor allem junge Chinesen sahen in ihren Videos eine andere Art von chinesischem Traum, der nichts mit Burn-out und der Ellbogengesellschaft in Metropolen wie Shanghai und Shenzhen zu tun hatte. Gleichzeitig fügte sich die bukolische Inszenierung des Landlebens gut in Xi Jinpings Kampagne der ländlichen Revitalisierung, die nicht zuletzt auch gut ausgebildete Städter in kleinere Städte und Dörfer locken sollte. Nicht wenige ließen sich tatsächlich von Li Ziqi inspirieren und wagten vor allem während der Pandemie die Stadtflucht.
Schon bald wurde Li Ziqi zur neuen Soft-Power-Hoffnung Chinas, die sich nicht dem Westen anbiederte, aber dort trotzdem mit chinesischer Kultur Erfolge feierte. Die Provinzhauptstadt von Sichuan, Chengdu, ernannte Li zur offiziellen Botschafterin des immateriellen Kulturerbes der Region. 2018 unterzeichnete sie zudem einen Werbevertrag mit einem Lebensmittelunternehmen, das von Pekings berühmtem Palastmuseum lizenziert wurde. Ein Ritterschlag für das Scheidungskind aus einfachen Verhältnissen, das hauptsächlich bei den Großeltern aufwuchs, wie sie in Interviews mit chinesischen Medien erklärte.
Auch finanziell lohnte sich die Sache für Li. Zusammen mit Hangzhou Weinian, einer Agentur für Online-Content, fand die Influencerin, die sich früher einmal als Musikerin versucht hatte, ein professionelles Management. Zusammen eröffneten sie unter anderem einen erfolgreichen Shoppingkanal auf der E-Commerce-Plattform Tmall. Dort konnte man beispielsweise die Messer kaufen, mit denen Li Kräuter hackte oder die Kleidung, die bei ihren anmutigen Koch-Zeremonien stets fleckenfrei zu bleiben schien.
Doch dann, im Juli 2021, war nach 128 Videos plötzlich Schluss. Li Ziqi postete keinen Content mehr und verschwand auch sonst von der Bildfläche. Hatte sie etwa ihren Kritikern nachgegeben, die behaupteten, sie verschweige in ihren Videos die Armut auf dem Land? Oder vielleicht jenen, die kritisierten, sie porträtiere China als zu rückständig? Oder standen, wie so oft, politische Gründe dahinter, vielleicht sogar ein Korruptionsskandal?
Wie sich herausstellte, hatte Li sich wohl einfach mit den falschen Partnern eingelassen. Weinian war als Agentur zwar mitverantwortlich dafür, Lis Videos auch im Ausland bekannt zu machen, die Firma sicherte sich aber auch eine Mehrheitsbeteiligung am gemeinsam gegründeten Joint Venture “Sichuan Li Ziqi Culture Communication” von mehr als 50 Prozent. Dadurch konnte das Management mehr und mehr die Kontrolle übernehmen. Die Videos wurden didaktischer. Manche sagen: politisch korrekter, inklusive nebenbei einsickernder Partei-Botschaften. Auch störte Li sich angeblich an der übertriebenen Kommerzialisierung ihrer Videos, ohne dabei einen fairen Anteil zu erhalten.
In den Jahren 2021 und 2022 verklagten sich die beiden Parteien insgesamt fünfmal gegenseitig, bis sie sich schließlich im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens im Frühjahr des vergangenen Jahres einigten. Die Beteiligung von Li an “Sichuan Culture Communication” stieg auf neunundneunzig Prozent. Dennoch postete die junge Influencerin über zwei Jahre keine neuen Videos mehr. Bis vor elf Tagen. Am 15. September erschien plötzlich ein Lebenszeichen von Li. In einem Clip, der sofort tausendfach geteilt wurde, sieht man sie in einem Obstgarten stehen. Mit gewohnt sanftem Blick erklärt der Social-Media-Star dort, bald wieder “Qualitäts-Content über die bäuerliche Kultur Chinas und Geschichten über die Provinz” zu produzieren, und junge Menschen zu ermutigen, das Landleben zu entdecken.
Die Nachricht von Lis Rückkehr ins Rampenlicht verbreitete sich rasend schnell, wobei sich viele Kommentare vor allem auf ihr verändertes Aussehen konzentrierten. Ihre Augen und ihr Kinn hätten sich verändert, schrieben Nutzer zwischen Häme und Überraschung. Sie erkannten vielleicht zum ersten Mal, dass auch bei der Schönheit der Natur, die sie in Lis Videos so bewunderten, nur der Schein getrügt hatte. Dabei hatte die Influencerin daraus nie einen Hehl gemacht. Man musste schon blind sein, um ihren Traum eines chinesischen Garten Eden für bare Münze zu nehmen. Fabian Peltsch