Table.Briefing: China

Michael Schaefer im Interview + Einheitsfront

  • Botschafter Schaefer zu Olympia-Diplomatie
  • Einflussnahme auf London durch die Einheitsfront
  • Experten sprechen über vierte Dosis
  • Neuer Rekord bei Exportüberschuss
  • Mehr Atomenergie in China
  • Im Portrait: Joanna Klabisch – fördert den Dialog im Rahmen der Seidenstraße
  • Zur Sprache: “Rachekäufe”
Liebe Leserin, lieber Leser,

noch drei Wochen bis zum Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking. Wir blicken voraus und zugleich zurück: Im Interview mit Frank Sieren erzählt der ehemalige Botschafter Michael Schaefer vom diplomatischen Umgang mit den Spielen im Jahr 2008. Heute ist schon fast vergessen, dass Menschenrechte auch damals Diskussionsthema waren. Deutschland war daher nur sehr zurückhaltend vertreten. Auch diesmal sollte Deutschland nach einem Kompromiss suchen, mit dem sich ein Zeichen setzen lässt, ohne gleich den Dialog abzubrechen, findet Schaefer.

Der erfahrene Diplomat plädiert zudem für eine “rote Linie” bei Produkten, die mit Zwangsarbeit hergestellt werden. Die EU-Mitgliedsstaaten sollten schnell zu einer gemeinsamen Strategie gegenüber China finden. Und Peking müsse seinerseits aufhören, die EU-Staaten gegeneinander aufzubringen, so Schaefer.

Doch wie gut stehen die Chancen für Einigkeit der westlichen Verbündeten? Großbritannien durchlebt gerade einen Politskandal mit China-Bezug. Der Inlandsgeheimdienst MI5 warnte die Parlamentarier vor einer britischen Anwältin mit Wurzeln in Hongkong. Christine Lee versuche, die Politik Großbritanniens im Sinne Chinas zu beeinflussen. In den letzten Jahren spendete Lee mehrere Hunderttausend Pfund an unterschiedliche Politiker. Besonders brisant: Der MI5 hat Kontakte Lees zur chinesischen Einheitsfront aufgezeigt, wie Marcel Grzanna berichtet. Diese Organisation der KP versucht auf unterschiedliche Weise, das Bild Chinas im Ausland zu beeinflussen.

Einen guten Start in die neue Woche!

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Interview

“Wir können und sollten eine rote Linie setzen”

Michael Schaefer, 73, ehemaliger Botschafter in China fordert eine gemeinsame Linie der EU, wenn es um das Thema Menschenrechte in China geht.
Michael Schaefer, 73, war Botschafter in Peking während der Olympischen Spiele 2008

Herr Schaefer, bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking im Sommer 2008 waren Sie als Botschafter der ranghöchste Vertreter der deutschen Politik, wenn man von der privaten Anwesenheit des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder einmal absieht. Damals hat die deutsche Bundesregierung mit einer Art diplomatischem Boykott gegen Chinas Menschenrechtskurs protestiert. Das hat Peking sicher nicht gefallen. Wie haben Sie das zu spüren bekommen?

Peking hat sich über diese symbolische Entscheidung Deutschlands nicht außergewöhnlich irritiert gezeigt. Die Entscheidung kam für beide Seiten ja nicht überraschend. Ein Jahr zuvor hatte Bundeskanzlerin Merkel den Dalai Lama in Berlin empfangen. Danach hatte Peking eine Eiszeit in den Beziehungen verkündet. Das Verhältnis hatte sich dann Anfang 2008 durch einen Briefwechsel entspannt. Doch im März 2008 nahm die Spannung angesichts der Entwicklungen in Tibet wieder zu. Deshalb gab es also eine abgestufte Reaktion der Bundesregierung: Boykott der Eröffnung, doch während der Spiele Teilnahme von zwei Bundesministern – Wolfgang Schäuble, als Innenminister für Sport zuständig, und Franz Josef Jung, als Verteidigungsminister für die Sportförderung in den Sportkompanien zuständig. Bei der Eröffnung der Paralympischen Spiele war dann sogar der damalige Bundespräsident Horst Köhler anwesend.

Wie haben Sie die Entscheidung als Botschafter empfunden?

Ich hielt das damals für eine gute, differenzierte Entscheidung, mit der ich als Botschafter vor Ort gut arbeiten konnte.

Allerdings waren zum Beispiel der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der amerikanische Präsident George W. Bush damals bei der Eröffnung anwesend. Haben die Chinesen Sie das nicht spüren lassen?

Nicht sonderlich. Wir waren ja nicht allein. Die Briten, die Spanier, die Italiener oder die Polen haben sich wie Deutschland verhalten. Ebenso die Inder oder der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon.

Wie wirkungsvoll sind solche politischen Gesten?

Wenn man die Chinesen kennt, dann weiß man, dass Image ihnen wichtig ist, besonders bei einer solchen Weltveranstaltung, die sie zum ersten Mal ausrichten. Aber sie haben es professionell genommen und konnten dennoch verkünden, dass noch bei keinen Olympischen Spielen mehr Staatschefs und Staatsoberhäupter vertreten waren. Und dass Olympische Spiele Gegenstand politischer Proteste werden können, ist ja nichts Neues.

Als Botschafter hat man ja zwei Herzen in seiner Brust. Einerseits kann man nachvollziehen, dass auf Menschenrechtsverletzungen Reaktionen folgen müssen, andererseits sollen die Beziehungen harmonisch sein. Wie haben Sie das nach den Spielen ausbalanciert?

Ihre Feststellung ist richtig. Man möchte Beziehungen schaffen, die auch sehr unterschiedliche Standpunkte aushalten, ohne dass die Beziehungen jedes Mal eskalieren, eben weil es ein grundsätzliches Vertrauen gibt. Das war mir besonders wichtig, weil mir die Menschenrechtslage sehr am Herzen lag und liegt. Ich war vier Jahre in Genf zuständig für die Menschenrechtskommission. Das hat mich geprägt. Dort ging es mir vor allem um die Frage, wie man handeln muss, damit es mittel- und langfristige positive Veränderungen für die Menschen gibt. Ich war schon immer gegen reine Symbolpolitik, die vor allem auf die eigene Innenpolitik gerichtet ist.

Wie schafft man solche Veränderungen? 

Die wichtigste Voraussetzung: Die Bundesregierung und die EU müssen in Menschenrechtsfragen mit einer Stimme sprechen. Es ist nicht gut, wenn ein Vertreter besonders lautstark auftritt und ein anderer mit Stillschweigen gegenüber Peking agiert. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit unserer politischen Linie. Und man sollte sich nicht als Lehrmeister aufspielen, sondern deutlich machen, dass unserer Erfahrung nach die Verwirklichung individueller wie kollektiver Menschenrechte auch im Interesse einer stabilen gesellschaftlichen Entwicklung ist.

Bekommt die neue Bundesregierung das gut hin? War die Entscheidung, nicht zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2022 zu fahren, richtig?

Ich denke, die Entscheidung der Bundesregierung, nicht zu der Eröffnung der Olympischen Winterspiele zu reisen, ist richtig – mal abgesehen davon, dass es wegen der neuen Corona-Welle sowieso schwierig geworden wäre. Was den Gleichklang innerhalb der Regierung betrifft, ist es für ein Urteil noch zu früh. Eine solche gemeinsame Linie ist nicht von heute auf morgen durchsetzbar. Jeder Bundeskanzler hat anfangs damit zu kämpfen, eine Linie zu finden und sie in der Regierung durchzusetzen.

Was ist in diesem Prozess besonders wichtig?

Dass alle Beteiligten die unterschiedlichen Perspektiven der Debatte um China verstehen. Die Chinesen sagen: Ihr benutzt die Menschenrechte nur, um uns kleinzuhalten und in die Ecke zu stellen. Wir wollen selbst bestimmen, wie wir uns entwickeln. Da spielt das Trauma der Teilkolonialisierung durch den Westen sicher noch eine wichtige Rolle. Wir antworten wiederum: Unsere Geschichte ist geprägt durch zwei Diktaturen mit massiven von Deutschen verursachten Menschenrechtsverletzungen. Wir haben einen Lernprozess durchgemacht. Individuelle Freiheit betrifft immer auch die Stabilität der Gesellschaft als Ganzes. Und diese Erfahrung zu teilen, ist wichtig. Genau wie China seine nationale Souveränität besonders wichtig ist. Gerade auch mit jungen Leuten an Universitäten in China habe ich oft darüber diskutiert und bin auf eine große Offenheit gestoßen.

Ein anderes Argument, das aus Peking immer kommt: China hält sich an die Menschenrechte, aber priorisiert eine andere Reihenfolge als der Westen. Erst Essen, Gesundheit, Arbeit und Bildung, dann Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und freie Wahlen. Ist das die Schutzbehauptung einer Diktatur?

Grundsätzlich ist diese Reihenfolge nicht falsch. Ich habe das in den Jahren als stellvertretender Botschafter in Singapur immer wieder gehört, besonders eindringlich von Lee Kuan Yew, dem Gründer und damaligen Ministerpräsidenten des Stadtstaates. Er unterschied zwischen bürgerlichen und politischen sowie wirtschaftlich und sozialen Menschenrechten. Vorrang hätten bei sich entwickelnden Gesellschaften immer die wirtschaftlichen und sozialen Rechte. Ich habe dann stets auf die allgemeine Menschenrechts-Deklaration der Vereinten Nationen hingewiesen, die alle UNO-Mitglieder unterschrieben haben. Und die kennt keine Rangfolge von Menschenrechten. Allerdings wurde beide Komplexe in zwei großen, unterschiedlichen Menschenrechtspakten ausdifferenziert. Die haben auch die Chinesen unterschrieben. Und daran müssen sie sich halten.

Das ist allerdings nicht der Fall, wenn man die Entwicklungen in Xinjiang und Hongkong betrachtet.

Für die politischen und bürgerlichen Rechte kann man das so feststellen, für die wirtschaftlichen und sozialen Rechte nicht. Die wirtschaftliche und soziale Lage der allermeisten Menschen in China hat sich in nur einer Generation sehr schnell und nachhaltig verbessert. Bei den politischen und zivilen Rechten hingegen ist inzwischen eine klare Linie der chinesischen Führung immer deutlicher erkennbar: Sie sollen für China nicht die Bedeutung bekommen, die sie im Westen haben. Das ist eine Entscheidung, die für mich unakzeptabel ist.

Was nun?

Mit der Brechstange können wir solche Themen nicht durchsetzen. Deshalb sollten wir an einer Stelle ansetzen, wo die Rechtsverletzung Ländergrenzen überschreitet, etwa bei der Produktion von Wirtschaftsgütern. Da können wir sagen: Güter, die zum Beispiel in Umerziehungslagern in Xinjiang gefertigt wurden, wollen wir nicht importieren, denn das ist eine flagrante Verletzung des Völkerrechts. Insofern ist das neue Lieferkettengesetz ein sinnvoller Schritt. Hier können und sollten wir eine rote Linie setzen.

Zumal die Stimmung insgesamt viel kontroverser ist als 2008.

Umso wichtiger wäre es, intensive Diskussionen mit den Chinesen zu führen.

Die von der EU verhängten Sanktionen und die Sanktionen der Chinesen als Antwort darauf weisen in eine andere Richtung.

Ja. Das ist eine falsche Entwicklung. Sanktionen sollten der Schlusspunkt nach erfolgloser Diskussion sein. Die Sanktionen kamen jedoch zu einem Zeitpunkt, zu dem es in den Gesprächen noch Spielräume gegeben hat, die man hätte nutzen können. Das ist jetzt viel schwieriger. Deswegen drängt sich der Eindruck auf, dass bei dem einen oder anderen Beteiligten innenpolitische, möglicherweise sogar wahltaktische Interessen eine größere Rolle gespielt haben, als sich mit China zu einigen, was nicht einfach ist.

Hinzu kommt, dass die Uneinigkeit auf europäischer Ebene, was nun zu tun sei, eher größer geworden ist.

Das ist die zweite falsche Entwicklung. Ein Dialog ist nicht möglich, wenn Europa nicht mit einer Stimme spricht. Wir haben bisher keine wirklich in die Tiefe gehende China-Strategie von europäischer Seite. Die ist jedoch absolut erforderlich. Mit einem Boykott der Eröffnung der Olympischen Winterspielen und Sanktionen ist es jedenfalls nicht getan.

Worin bestehen die Hausaufgaben der Chinesen?

Die Chinesen müssen erstens lernen, dass sie jetzt Teil einer internationalen Gemeinschaft sind, in der Regeln für alle gelten, nicht nur für die anderen. Sie können sich nicht das heraussuchen, was ihnen am besten passt. Die zweite: China muss aufhören, die Europäische Union durch bilaterale Verhandlungen, ich will nicht sagen: zu spalten, aber doch in einzelnen Fragen gegen einander aufzubringen. Klar ist auch: Niemand kann Peking zwingen, keine bilateralen Absprachen mit Ungarn, Rumänien oder Bulgarien zu haben, die möglicherweise einem europäischen Konsens widersprechen. Aber, ob das langfristig klug ist, ist zweifelhaft. China sollte erkennen, dass ein starkes Europa, vor allem auch im Wettbewerb mit den USA, im Eigeninteresse Chinas liegt.

Was bedeutet das für China und die EU konkret?

Wir müssen wieder miteinander reden, und zwar am besten nicht zunächst über die strittigen Themen, sondern über Themen, die im einvernehmlichen Interesse liegen. Das sind Themen wie der Klimawandel oder die Gesundheitspolitik. Und bei diesen Gesprächen müssen wir deutlich machen, dass wir keine Politik im Schlepptau der Amerikaner machen.

Aber ist das nicht faktisch so?

So scheint es jedenfalls derzeit. Ich glaube aber, dass Europa gut daran tut, sich nicht nolens volens einer amerikanischen Politik anzuschließen, die sehr stark von geopolitischen Interessen geprägt ist, nämlich zum Beispiel von der Vorherrschaft im Pazifik. Das ist nicht das vorrangige Interesse Europas. Wir haben ein Interesse an einem stabilen, regelbasierten internationalen System sowie zum Beispiel der Freiheit der Schifffahrtsstraßen. Umfassendere Interessen haben wir im Pazifik nicht und sollten auch nicht so tun. Ich glaube, Europa tut gut daran, seine eigene Klimapolitik zu definieren. Auch im Bereich des Handels und der Investitionsbedingungen haben wir eigene Interessen. Hier gibt es Verhandlungsspielraum mit den Chinesen. Aber fairer Handel bedeutet, dass sich beide Seiten an die vereinbarten Spielregeln halten.

Diese Gespräche sehe ich aber nicht, weil Europa sich nicht einig ist, was zu tun wäre.

China hat es sehr geschickt verstanden, mit einzelnen europäischen Staaten Beziehungen zu entwickeln, die ihnen kurzfristig Vorteile zu bringen scheinen. Aber wenn sich Europa weiterhin auseinanderdividieren lässt, dann wird es global keine Rolle spielen. Wir müssen lernen, mit einer Stimme zu sprechen, nicht nur China, auch den USA gegenüber. Wir müssen das Klein-Klein nationaler, sich widersprechender Politik überwinden.

Das Problem dabei ist, dass Deutschland als Exportnation eine andere Abhängigkeit von China hat als zum Beispiel Frankreich.

Die Abhängigkeit bedeutet allerdings auch mehr Einfluss auf China. Deutschland hat als stärkste Wirtschaftsnation in Europa mehr Gewicht als kleinere Handelspartner. Deshalb kann Deutschland eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, die gemeinsamen Spielregeln der EU mit China auszuhandeln. 
Dabei sollten wir Führung zeigen in Europa und den Chinesen klarmachen: Sie sind jetzt eine starke Wirtschaftsnation, für die es keine Sonderbehandlung mehr geben kann. Sie müssen sich an die gleichen Regeln halten wie wir. Die müssen wir aushandeln. Dabei geht es um eine Balance zwischen Werten und Interessen der EU und Chinas. Das ist die Chance der gegenseitigen Abhängigkeit. Sich immer nur mit den Risiken zu beschäftigten bringt wenig.

Besteht in dieser Balance nicht die Gefahr, dass die Menschenrechtsthemen ins Hintertreffen geraten angesichts der tiefgreifenden Wirtschaftsinteressen.

Ich glaube, diese Frage ist falsch gestellt. Natürlich muss man Menschenrechtsverletzungen kritisch ansprechen. Die Frage ist nur, ob das immer mit dem großen Lautsprecher passieren muss. Oder ob man Menschenrechtsverletzungen auch, so wie das die Bundeskanzlerin über viele Jahre gemacht hat, in vertraulichen Gesprächen thematisieren kann. Es ist oft in der Öffentlichkeit kritisiert worden, dass sie sich zu stark zurückgehalten hat. Ich war ja oft dabei und habe gehört, mit welchem Nachdruck sie gerade auch solche Themen angesprochen hat. Wichtig dabei ist, was am Ende für die Menschen, die betroffen sind, herauskommt. Wir sollten das Ziel verfolgen, gemeinsame Spielregeln zu etablieren, an die sich beide Seiten halten.

Michael Schaefer gilt als einer der erfahrensten deutschen Diplomaten. Nach verschiedenen Positionen, unter anderem bei den Vereinten Nationen in New York, war der im Völkerrecht promovierte Volljurist vier Jahre als ständiger Vertreter in Singapur eingesetzt. Vier Jahre lang vertrat er Deutschland in Genf in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, wo er sich immer wieder mit China beschäftigen musste. Von 2002 bis 2007 war er der politische Direktor des Auswärtigen Amts und Sicherheitsberater der Außenminister Joschka Fischer (Bündnis90/Die Grünen) und Frank-Walter Steinmeier (SPD). Von 2007 bis 2013 war er als Botschafter in Peking stationiert. Danach wechselte er als Vorsitzender des Vorstandes zur BMW-Foundation, wo er unter anderem die Zukunftsbrücke – Chinese German Young Professional Campus aufgebaut hat.

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    Fall Lee in Großbritannien: “Nur die Spitze des Eisbergs”

    Plötzlich erscheinen all diese Bilder von Christine Lee in einem anderen Licht. Da gibt es diese Aufnahme, die sie im scheinbar engen Austausch mit dem früheren britischen Premierminister David Cameron zeigt. Auf einem anderen Foto ist sie mit einer Gruppe junger Chinesinnen und Chinesen an der Seite des früheren Chefs der Labour-Partei Jeremy Corbyn zu sehen.

    Seit wenigen Tagen ist der Name Christine Lee in Großbritannien in aller Munde. Der Inlandsgeheimdienst MI5 hatte den Stein am Donnerstag ins Rollen gebracht. Der Sicherheitsdienst warnte die Mitglieder des Parlaments vor der einflussreichen Anwältin mit britischem Pass. Sie versuche, im Interesse der Volksrepublik China auf die Politik des Landes einzuwirken. Die Bilder mit Cameron oder Corbyn erwecken den Eindruck, dass sie erfolgreich war.

    Dabei stehen weder Cameron noch Corbyn im Mittelpunkt der Affäre, sondern der Labour-Abgeordnete Barry Gardiner. Bis 2020 war Gardiner Energie-Schattenminister unter Corbyn und bereits vor fast 20 Jahren für die Regierung Tony Blair als Juniorminister aktiv. Sein Büro erhielt Spenden von Lee in Höhe von 200.000 Pfund. Gardiner war größter Profiteur von Lees Zahlungen, die insgesamt fast eine halbe Million Pfund ausmachten. Doch auch viele weitere Abgeordnete und Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum erhielten Zuwendungen.

    Gardiner erhielt die Spenden völlig legal und transparent. Er machte die Zahlungen stets öffentlich. Das Geld wurde verwendet, um Studien und Untersuchungen in dessen Londoner Wahlkreis Brent North zu finanzieren. Der Politiker zeigte sich überrascht von der Warnung des MI5. Er habe den Geheimdienst jahrelang über die Spenden von Christine Lee informiert, erklärte er. Niemals sei er gewarnt worden. Lee sei eine registrierte Spenderin gewesen, und das von ihr gezahlte Geld sauber. Das Innenministerium stufte Lees Aktivitäten als “unterhalb der Schwelle zur Kriminalität” ein.

    Finanzielle Zuwendungen an Parteien und Parlamentarier

    Dennoch muss sich Gardiner nun rechtfertigen. Ihm wird vorgeworfen, er habe unter Lees Einfluss für eine chinesische Beteiligung am Bau des Kernkraftwerkes Hinkley Point C im Süden England die Werbetrommel gerührt. Der Abgeordnete bestreitet das. Er habe den britischen Steuerzahler vor Wucherpreisen anderer Anbieter bewahren wollen, sagt Gardiner.

    Doch diese Vorwürfe sind nicht neu. Über Zuwendungen an Gardiners Büro berichtete die britische Presse schon im Jahr 2019. Auch damals fiel der Name Christine Lee. Der entscheidende Unterschied: Der Geheimdienst äußerte sich damals nicht. Stattdessen zeichnete die damalige Premierministerin Theresa May Christine Lee im selben Jahr für deren Engagement für die chinesisch-britischen Beziehungen mit dem “Points of Light”-Award aus. Sie könne “sehr stolz” sein, schrieb May der Juristin in einem persönlichen Brief.

    Jetzt die Kehrtwende. Der MI5 warnte das Parlament nicht nur vor Christine Lee, sondern thematisierte auch die guten Kontakte der gebürtigen Hongkongerin zum United Front Work Department (UFWD), der chinesischen Einheitsfront. “Es ist das erste Mal, dass der MI5 die UFWD als ein Problem für die nationale Sicherheit öffentlich identifiziert“, sagt Didi-Kirsten Tatlow von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). “Das hat nicht nur symbolische Bedeutung, sondern ist ein Signal, dass man sich in Großbritannien offenbar dazu entschlossen hat, chinesischen Einfluss ernsthaft zurückzudrängen.”

    Die Einheitsfront ist fast so alt wie die Partei selbst (China.Table berichtete). Sie kommt intensiv dort zum Einsatz, wo Zweifel aufkommen an der Legitimität der KP, wo Kritik laut wird an ihrer Politik und wo Widerstand droht gegen ihre autoritäre Herrschaft. Über eine Verästelung vieler Partei-Organisationen knüpft die Einheitsfront auch Kontakte zu einflussreichen Kräften im Ausland. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft – überall ist sie aktiv. Und das buchstäblich in allen Ländern der Welt.

    Einheitsfront als eine Art Management-Instrument der KP

    Experten warnen davor, was Wirken der Einheitsfront zu unterschätzen. “Sie ist eine Art Management-Instrument der KP Chinas, um sicherzustellen, dass einerseits Nicht-Mitglieder auf Parteilinie gebracht und andererseits negative Stimmen marginalisiert werden”, sagte Ralph Weber, Professor am Europainstitut der Universität in Basel, im vergangenen Jahr im Gespräch mit China.Table.

    Der konservative Parlamentarier Sir Iain Duncan Smith zeigte sich zutiefst besorgt über die Warnung des MI5 vor Christine Lee. Smith ist von der chinesischen Regierung wegen seiner Unterstützung pro-demokratischer Politiker und Aktivisten aus Hongkong von der chinesischen Regierung sanktioniert. Er verlangte einerseits Aufklärung über die Risiken für Hongkonger Aktivisten und stellte zudem die Frage, ob der Akkreditierungsprozess des Parlaments “für solche Leute” – gemeint ist Lee – überarbeitet werden müsse.

    Einige politische Beobachter stellten sich derweil die Frage, ob der Zeitpunkt der Warnung durch den Geheimdienst auch innenpolitische Gründe haben könnte. Premierminister Boris Johnson steckt knietief in Schwierigkeiten wegen eines Party-Besuchs in Corona-Zeiten. Da kommen Zuwendungen an einen Labour-Politiker von einer großzügigen Spenderin mit besten Beziehungen zur Kommunistischen Partei nicht ganz ungelegen. Dagegen spricht, dass zu viele britische Parteien und Politiker in den Fall Christine Lee verstrickt sind.

    Im Ausland eine Kommunikatorin der Stimme Chinas

    Lee ist britische Staatsbürgerin. Ihre Eltern wanderten nach Nordirland aus, als sie noch ein Kind war. Dass sie gute Kontakte zum chinesischen Parteistaat pflegt, hätte jedem Parlamentarier klar sein müssen, der ihr Geld akzeptierte. Ihre Kanzlei betreibt ein eigenes Büro im Gebäude der britischen Botschaft in Peking. Seit vielen Jahren berät sie dort chinesische Unternehmen, die in Großbritannien investieren wollen.

    Auf Fotografien ist sie bei der Shenzhen Overseas Exchange Association Conference zu sehen. Als ehrenamtliche Beraterin unterstützte sie die Direktorin der Shenzhen-Abteilung der Einheitsfront. Ein anderes Bild zeigt sie, wie sie bei einem Empfang die Hand von Chinas Staatspräsident Xi Jinping schüttelt.

    In China habe Lee einer Rede des Einheitsfront-Vorsitzenden You Quan beigewohnt, schreibt Martin Thorley von der Universität Exeter auf Twitter. Thorley forscht zu den chinesisch-britischen Beziehungen. You ermutigte die Zuhörer, den “von Xi Jinping geprägten Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken” als Leitlinie zu akzeptieren. Laut Thorley habe Lee die Rede “ermutigt und berührt” aufgenommen. Demnach schwärmte sie von ihrem starken Gefühl des Nationalstolzes. Obwohl sie all die Jahre in Großbritannien verbracht habe, wolle sie “eine Kommunikatorin der Stimme Chinas sein“, habe Lee gesagt.

    Thorley glaubt, der Fall Lee sei “lediglich die Spitze des Eisberges”. Noch düsterer sehen die Autoren Mareike Ohlberg und Clive Hamilton das Maß an Einfluss chinesischer Interessen in Großbritannien. In ihrem Buch “Die lautlose Eroberung” beschreiben sie die britische Polit- und Wirtschaftselite also so tief infiltriert, dass der “Point of no Return” bereits überschritten sei. Das System lasse sich praktisch nicht mehr säubern.

    Forscherin Tatlow von der DGAP ist dagegen weniger pessimistisch. Sie glaubt, dass der “schleichenden, teils aggressiven Einflussnahme” immer noch erfolgreich entgegengewirkt werden kann. Voraussetzung: weniger Naivität und mehr Entschlossenheit. Das gelte aber nicht nur für Großbritannien. “China ist auch in Deutschland und in vielen Teilen Europas bereits tief in den politischen Machtkorridor eingedrungen. Das ist das Resultat von jahrzehntelanger Arbeit der Kommunistischen Partei.”

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      Medien und Mediziner bringen die vierte Dosis ins Spiel

      Im Zuge des aktuellen Coronavirus-Ausbruchs in der Stadt Tianjin ist in Chinas Medien zunehmend von der Notwendigkeit einer oder mehreren Auffrischungs-Impfungen die Rede. Im Staatssender CCTV erklärte der Infektiologe Zhang Wenhong am Samstag die Notwendigkeit einer dritten Dosis. Diese verhindere auch bei den aktuell auftretenden Virusmutationen die Krankheitsschwere ganz entscheidend.

      Eine vierte Dosis sei dagegen zum jetzigen Zeitpunkt noch “nicht dringend geboten” – hier könne China internationale Erfahrungen abwarten. Zhang ist ein einflussreicher Mediziner. Er ist Leiter des Nationalen Zentrums für Infektionskrankheiten und Direktor der Abteilung für Infektionskrankheiten der Klinik der Fudan-Universität in Shanghai. Wenn er im Fernsehen über die vierte Dosis spekuliert, weist das auf fortgeschrittene Diskussionen hinter den Kulissen hin – auch wenn er zunächst abwiegelt und den Fortschritt der Booster-Kampagne abwarten will.

      Hintergrund ist die Wirksamkeit der in China gebräuchlichen Impfstoffe gegen die Omikron-Variante. Von 107 nachgewiesen Infizierten der vergangenen Woche waren 103 vollständig geimpft und 32 bereits geboostert. Nur ein Patient war ungeimpft. Auch bei anderen laufenden Ausbrüchen treten viele Infektionen bei dreifach geimpften Personen auf. Laut Daten der Nationalen Gesundheitskommission vom Sonntag wurden innerhalb eines Tages 119 neue Fälle nachgewiesen, davon 33 in der Stadt Tianjin und 29 in der Provinz Henan. In Peking wurde am Samstag zudem die erste lokale Infektion mit der Omikron-Variante gemeldet – drei Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele. Bisherige Infektionen hatten ihren Ursprung im Ausland, so Reuters. Auch in Shanghai und der Provinz Guangdong wurden Fälle gemeldet.

      Omikron stellt in China “erhebliche Bedrohung dar”

      Nach Einschätzung des Nationalen Zentrums für Infektionskrankheiten geht auch von Omikron erhebliche Gefahr aus. Zwar sei die Schwere der beobachteten Verläufe insgesamt geringer. Doch auch Omikron verursache eine gewisse Rate an Todesfällen und “stellt eine erhebliche Bedrohung dar, wenn es nicht eingedämmt wird”, sagt Zhang. Es gebe jedoch keinen “Grund, Angst zu haben” und gleich nach der vierten Dosis zu rufen. Mit etwas Glück könne dies der letzte Pandemie-Winter sein. Voraussetzung sei der Aufbau von Immunbarrieren durch Impfungen. Außerdem sei die Verfügbarkeit von Medikamenten für die Behandlung akuter Infektionen wichtig.

      Etwas weniger optimistisch äußerte sich der Virologe Chang Rongshan von der Shantou-Universität in Guangdong gegenüber Jiemian News. Gerade wer früh geimpft worden sei, müsse jetzt schon wieder als gefährdet gelten. Es sei eine Eigenschaft des Corona-Virus, dass die Impfung recht schnell an Wirksamkeit verliere. Das Phänomen trete auch bei westlichen mRNA-Präparaten auf. Er verglich den Corona-Impfstoff mit den üblichen Grippe-Impfstoffen. Auch diese müssten jährlich neu entworfen und verimpft werden und erreichten trotzdem nur eine Wirksamkeit zwischen 40 und 60 Prozent. fin

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        Exporte erreichen neues Hoch

        China hat 2021 einen Exportüberschuss in Rekordhöhe erzielt. Die Ausfuhren übertrafen die Importe um umgerechnet knapp 590 Milliarden Euro, wie die Zollbehörde am Freitag in Peking mitteilte. Das sind gut 152 Milliarden mehr als 2020. Allerdings verzerrt die Corona-Pandemie die Zahl für 2020.

        Grund für den Rekord ist die weltweit starke Nachfrage nach Waren “Made in China”. Die Exporte legten im vergangenen Jahr um 29,9 Prozent zu, nachdem es im ersten Corona-Jahr lediglich zu einem Plus von 3,6 Prozent gereicht hatte. Besonders gefragt waren beispielsweise Computer und anderer Elektronik, die etwa für das pandemiebedingte Arbeiten von Zuhause benötigt werden. Auch medizinische Produkte wie etwa Masken wurden wegen der Pandemie in aller Welt benötigt. Die chinesischen Importe legten um 30,1 Prozent zu, nachdem sie 2020 noch um 1,1 Prozent gefallen waren.

        Ökonomen prognostizieren Wachstum von über fünf Prozent

        Experten zufolge hat China von der Pandemie-bedingten Unterbrechung der Lieferketten etwa in den westlichen Ländern profitiert. “Wir gehen davon aus, dass die chinesischen Exporte im laufenden ersten Quartal aufgrund der robusten globalen Nachfrage stark bleiben werden”, sagte der Chefökonom von Pinpoint Asset Management, Zhang Zhiwei. “Derzeit könnten die starken Exporte der einzige Motor sein, der Chinas Wirtschaft hilft.”

        China wird einer Ökonomen-Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr um 5,2 Prozent wachsen. 2021 dürfte es aufgrund von Nachholeffekten zu einem besonders kräftigen Plus von acht Prozent beim Bruttoinlandsprodukt gereicht haben. “Insbesondere im ersten Halbjahr dürfte ausreichend politische Unterstützung da sein, um sicherzustellen, dass das Wirtschaftswachstum nicht unter Pekings Komfortzone fällt”, sagte Tommy Wu von Oxford Economics. So könnte die Zentralbank ihre Geldpolitik lockern. Analysten gehen zudem davon aus, dass das Wachstum vor dem Parteikongress zur Wiederwahl Xi Jinpings künstlich erhöht wird. nib/rtr

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          Ausbau der Atomkraft kommt voran

          China verfügt mittlerweile über Atomkraftwerke mit einer Leistung von fast 55 Gigawatt. Zudem befinden sich mindestens weitere 16,5 Gigawatt an Kraftwerkskapazität im Bau oder in der Planung. Das geht aus neuen Daten für das vergangene Jahr hervor, wie das Beratungsunternehmen Trivium China berichtet. Die Volksrepublik liegt damit auf Rang drei weltweit. Nur die USA (95 Gigawatt) und Frankreich (61 Gigawatt) verfügen über mehr AKWs. In China befinden sich die meisten Atomkraftwerke demnach in den Provinzen Guangdong, Fujian und Zhejiang.

          Atomenergie macht derzeit circa fünf Prozent der chinesischen Stromproduktion aus. Der Anteil wächst seit einigen Jahren, wie Daten von Climate Transparency veranschaulichen. Bis 2035 könnte die Volksrepublik 200 Gigawatt an installierter AKW-Kapazität bauen, so ein Industrievertreter laut Bloomberg. Demnach plant China, in den nächsten 15 Jahren mindestens 150 neue Reaktoren zu bauen. Atomkraftwerke könnten zur Energie-Sicherheit des Landes beitragen, da sie – im Gegensatz zu erneuerbaren Energien – kontinuierlich Strom liefern. Ein gewisser Teil der Grundlast, der durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung wegfällt, könnte durch Atomkraft abgedeckt werden. Trotz des Ausbaus der atomaren Kapazitäten sollen erneuerbare Energien in Zukunft den Großteil der Stromversorgung Chinas liefern. nib

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            Presseschau

            Erster Omikron-Fall in Peking – Chinas Hauptstadt verschärft Präventionsmaßnahmen HANDELSBLATT
            Neue Studie beunruhigt: Wirken die chinesischen Vakzine überhaupt gegen Omikron? RND
            China is risking a big hit to the economy and supply chains with zero-Omicron approach CNN
            Nordkorea schickte laut Medienberichten nach langer Zeit Güterzug nach China STANDARD
            Europas blinder Fleck: Chinesischer Staat ist in 30 Prozent der Joint Ventures involviert HANDELSBLATT
            Uiguren – Das unsichtbare Leid einer religiösen Minderheit srf.ch
            Chinas Spiele, Chinas Regeln FAZ
            Tesla inks deal to get key battery component outside China APNEWS
            China’s Property Crisis Reaches Biggest Builder Country Garden BLOOMBERG
            China population: 2021 birth data to offer fresh insight into demographic crisis SCMP
            Chinese dialects in decline as government enforces Mandarin GUARDIAN

            Portrait

            Joanna Klabisch – Expertin für Chinas Zivilgesellschaft

            Joanna Klabisch, Programmmanagerin des China-Programms der Stiftung Asienhaus
            Joanna Klabisch, Programmmanagerin des China-Programms der Stiftung Asienhaus

            Eine Mischung aus Leidenschaft und Pragmatik war es, die Joanna Klabisch nach China führte. Schon in der Kindheit begeisterte sie sich für Asien, von Kampfsport über Esskultur bis hin zu Literatur. Trotzdem hätte sie es nie gewagt, ein Orchideenfach wie zum Beispiel Japanologie zu studieren. Denn für sie als Migrantin und Kind von Arbeiter*innen aus Südpolen und als erste Studentin der Familie war klar, dass sie eine bodenständige Karriere wählen würde. Doch Sinologie und Ostasienwissenschaften kamen als Studienfach infrage. Schließlich befand sich China bereits auf dem Weg, eine große Wirtschaftsmacht zu werden. Da war die Nützlichkeit des Gelernten bereits absehbar.

            Joanna Klabisch erinnert sich trotz aller Herausforderungen gerne an ihre Studienzeit zurück. “Man braucht viel Liebe, um das Studium durchzuziehen. Als ich im Dezember des ersten Semesters in meine Chinesisch-Prüfung ging, war mein rechter Arm vom Ellbogen bis zum Handgelenk komplett bandagiert, weil ich vom vielen Zeichenschreiben eine Sehnenscheidenentzündung hatte”, erzählt sie. 

            Besonders beeindruckt war die Sinologie-Studentin von ihren Auslandsaufenthalten an der National Taiwan Normal University und an der Nankai University in Tianjin. Hier verliebte sie sich in das Land. Und sie erfuhr, dass China nicht nur faszinierend anders als die bekannte Heimat ist, sondern auch unerwartet vertraute Phänomene bereithält. “Ich war schon seit Schulzeiten Mitglied im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, habe mich freiwillig in Tierheimen engagiert und im Studium habe ich mich für die Arbeit von Amnesty International und anderen Non-Profit-Organisationen interessiert”, erzählt die 36-Jährige. Sie war überrascht, dass es in China auch zivilgesellschaftliche Akteure gibt. “Sie gehen zum Beispiel dafür auf die Straße, dass ihre Flüsse nicht verschmutzt werden.” Und das, obwohl ein solcher Aktivismus in China gefährlich sein kann.

            Joanna Klabisch spezialisierte sich also – als einzige Studentin ihres Jahrgangs – auf die Zivilgesellschaft in China. Ein halbes Jahr lang war sie in einem Projekt der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Peking tätig, das sich zivilgesellschaftlichen Themen wie zum Beispiel der Inklusion von behinderten Menschen widmete. Und schließlich stieg sie bei der Stiftung Asienhaus ein, die den Austausch mit NGOs in den asiatischen Ländern fördert und einen Ansatz der Solidarität und Kooperation auf Augenhöhe verfolgt.

            Vernetzung von Akteuren entlang der Seidenstraße

            Seit 2016 ist Joanna Klabisch im China-Programm der Stiftung Asienhaus tätig, seit 2019 managt sie das Programm gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Christian Straube. Ziel eines neuen, 2020 gestarteten Projektes ist es, einen zivilgesellschaftlichen Dialog im Rahmen der Neuen Seidenstraße aufzubauen. “Wir möchten die Stimmen chinesischer NGOler:innen einholen”, erzählt sie. Diese wissen am besten, wie man soziale oder ökologische Ziele im chinesischen System durchsetzen kann. “Und wir möchten sie mit NGOler:innen aus anderen Ländern wie Indonesien zusammenbringen, in denen Projekte der Belt and Road Initiative realisiert werden.” Beide Seiten könnten viel voneinander lernen. So gelinge es besser, erfolgreich Kampagnen durchzuführen.

            Etwa ein Viertel ihrer Arbeitszeit widmet Joanna Klabisch dem Projekt “Asien in der globalisierten Welt”, in dem sie sich gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen länderübergreifende Probleme in Publikationen und Veranstaltungen aufarbeitet. Besonders spannend ist das aus ihrer Sicht, weil das kleine Team der Stiftung Asienhaus mit nur sechs Mitarbeiter:innen Expertise für Osttimor, Indonesien und Kambodscha sowie Myanmar und Thailand zusammenbringt. Darüber hinaus arbeitet es mit dem Korea-Verband, dem Philippinenbüro, dem Nepal Dialogforum für Frieden und Menschenrechte sowie dem North East India Forum zusammen. “Wir können mit unseren wenigen Leuten also ein großes asiatisches Länderspektrum abdecken”, erzählt Klabisch. Das Asienhaus-Team kann sich beispielsweise ansehen, welche Auswirkungen der europäische Müllexport in die Philippinen oder welche Bedeutung die BRI für die Geschlechtergerechtigkeit in Nepal hat. Darüber hinaus widmet Klabisch sich in einer Arbeitsgemeinschaft dem Thema Rassismus und Machtungleichgewichte in der Entwicklungszusammenarbeit.

            Neben der Corona-Pandemie stellt NGOs auch die Finanzierung der Projekte vor große Herausforderungen. “Gerade die Gelder für China sind aktuell sehr rar geworden.” Das Klima sei für die politischen und akademischen Kooperationen äußerst ungünstig in Deutschland. Klabisch hofft, dass noch Raum für die Zusammenarbeit mit der chinesischen Zivilgesellschaft bleibt. “Denn wir brauchen sie, um positive Entwicklungen in China zu unterstützen.” Jana Degener-Storr

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              Steve George wird neuer Director von CNN Digital für die Region Asien-Pazifik. Er ist für digitale Inhalte und Stragien verantwortlich und wird in Hongkong stationiert sein. Bevor er 2016 zu CNN kam, war George acht Jahre lang als Redakteur in Peking tätig und berichtete über Nachrichten und soziale Angelegenheiten.

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              Rachekäufe: dieser Beitrag aus der Rubkrik "Zur Sprache" widmet sich einem Phänomen, das aus der Corona-Pandemie geboren ist.
              报复性消费 – bàofùxìng xiāofèi – “Rachekäufe”

              Lockdown, Abistress, Überstundenwahn? Zeit, sich zu rächen! Und wie geht das am besten? Na klar, durch Rachekäufe. In China hat man das Verhaltensmuster sogar lexikalisch festgezurrt. 报复性消费 bàofùxìng xiāofèi “Rachekäufe” oder “Rachekonsum” heißt das Trendwort, das ein wenig an unseren deutschen “Frustkauf” erinnert. Es setzt sich aus den Wörtern für “Rache, Revanche” (报复bàofù bzw. “rachemäßig” 报复性 bàofùxìng) und “Konsum, konsumieren” (消费 xiāofèi) zusammen.

              Seinen Einzug in die Alltagssprache feierte der Fachbegriff – in unseren Breiten übrigens als “kompensatorischer Konsum” bezeichnet – dank Corona. Denn seit Beginn der Pandemie gab es auch im Reich der Mitte immer wieder Teillockdowns und Ausgangssperren. Da können sich bekanntlich schon mal ventillose Gelüste anstauen, insbesondere bei “Shoppaholics”. Auch das Internet bot damals in China kaum Ausweg, da Pakete in Hochrisikogebiete oft gar nicht erst ausgeliefert werden. Als die Coronaschranken dann fielen, brachen bei vielen alle Einkaufsdämme. Versäumte Anschaffungen wurden rauschhaft nachgeholt, manche Bekleidungsläden bis auf die Schaufensterpuppen abgegrast.

              Neben dem “Rachekauf” umfasst das chinesische Revanche-Repertoire noch einige Unterbegriffe. Zum Beispiel den “Racheverzehr” (报复性吃喝 bàofùxìng chī-hē – wörtl. “rachemäßiges Essen und Trinken”). So verzeichneten Milchteebuden und Kaffeeketten nach Lockdown-Lockerungen Umsatzpeaks bei XXL-Bechergrößen. Ein kleines Barbecue-Restaurant in Shandong berichtete sogar von einem Kunden, der die gesamte Speisekarte (!) bestellte und sich das Essen anschließend nach Hause liefern ließ. Drei Stunden waren drei Mann in der Küche voll beschäftigt, um die Order vorzubereiten. Andere investierten ihre Kröten in das Aufpäppeln der in der Heimquarantäne sträflich vernachlässigten Haustierseele. Premiumfutter und teure Leckerlis fanden reißenden Absatz dank 报复性爱宠物 bàofùxìng ài chǒngwù – “rachemäßiger Haustierliebe”.

              Manche holten sogar noch weiter aus und setzten zu “Rachereisen” (报复性出游 bàofùxìng chūyóu) an, buchten teure Ausflüge und Urlaube, sobald man wieder touren konnte. Dabei machten die meisten auch ihrem “Freundeskreisfrust” Luft. Schließlich war ihnen über Wochen das wohlverdiente Dopamin gelikter Social-Media-Beiträge verwehrt geblieben, weil in der Stubenhockerlangeweile irgendwann einfach die Posting-Ideen ausgehen. Zurück in Freiheit wurde dann gepostet, was das Zeug hält: vom Sichuan-Hotpot über den Strandspaziergang bis hin zum Serienselfie. Rachemäßig etwas im WeChat-Freundeskreis posten 报复性发朋友圈 (bàofùxìng fā péngyouquān) taufte die Netzgemeinde dieses Verhalten (in Anlehnung an die chinesische Bezeichnung für den WeChat-Freundeskreis – 朋友圈 péngyouquān).

              Mittlerweile wird bàofùxìng im Chinesischen scherzhaft auch auf allgemeine “Problemfelder” übertragen. Etwa auf das rachemäßige Durchmachen ganzer Nächte nach beruflichen oder schulischen Stressphasen (报复性熬夜 bàofùxìng áoyè). Oder rachemäßiges Zeitvertrödeln am Wochenende als Ausgleich für alle Zeitfresser in der Arbeitswoche (报复性浪费时间 bàofùxìng làngfèi shíjiān). Also: Halten auch Sie schon mal prophylaktisch Ausschau nach kreativen Racheakten. Der nächste Anlass findet sich bestimmt.

              Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese.

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                  Liebe Leserin, lieber Leser,

                  noch drei Wochen bis zum Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking. Wir blicken voraus und zugleich zurück: Im Interview mit Frank Sieren erzählt der ehemalige Botschafter Michael Schaefer vom diplomatischen Umgang mit den Spielen im Jahr 2008. Heute ist schon fast vergessen, dass Menschenrechte auch damals Diskussionsthema waren. Deutschland war daher nur sehr zurückhaltend vertreten. Auch diesmal sollte Deutschland nach einem Kompromiss suchen, mit dem sich ein Zeichen setzen lässt, ohne gleich den Dialog abzubrechen, findet Schaefer.

                  Der erfahrene Diplomat plädiert zudem für eine “rote Linie” bei Produkten, die mit Zwangsarbeit hergestellt werden. Die EU-Mitgliedsstaaten sollten schnell zu einer gemeinsamen Strategie gegenüber China finden. Und Peking müsse seinerseits aufhören, die EU-Staaten gegeneinander aufzubringen, so Schaefer.

                  Doch wie gut stehen die Chancen für Einigkeit der westlichen Verbündeten? Großbritannien durchlebt gerade einen Politskandal mit China-Bezug. Der Inlandsgeheimdienst MI5 warnte die Parlamentarier vor einer britischen Anwältin mit Wurzeln in Hongkong. Christine Lee versuche, die Politik Großbritanniens im Sinne Chinas zu beeinflussen. In den letzten Jahren spendete Lee mehrere Hunderttausend Pfund an unterschiedliche Politiker. Besonders brisant: Der MI5 hat Kontakte Lees zur chinesischen Einheitsfront aufgezeigt, wie Marcel Grzanna berichtet. Diese Organisation der KP versucht auf unterschiedliche Weise, das Bild Chinas im Ausland zu beeinflussen.

                  Einen guten Start in die neue Woche!

                  Ihr
                  Nico Beckert
                  Bild von Nico  Beckert

                  Interview

                  “Wir können und sollten eine rote Linie setzen”

                  Michael Schaefer, 73, ehemaliger Botschafter in China fordert eine gemeinsame Linie der EU, wenn es um das Thema Menschenrechte in China geht.
                  Michael Schaefer, 73, war Botschafter in Peking während der Olympischen Spiele 2008

                  Herr Schaefer, bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking im Sommer 2008 waren Sie als Botschafter der ranghöchste Vertreter der deutschen Politik, wenn man von der privaten Anwesenheit des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder einmal absieht. Damals hat die deutsche Bundesregierung mit einer Art diplomatischem Boykott gegen Chinas Menschenrechtskurs protestiert. Das hat Peking sicher nicht gefallen. Wie haben Sie das zu spüren bekommen?

                  Peking hat sich über diese symbolische Entscheidung Deutschlands nicht außergewöhnlich irritiert gezeigt. Die Entscheidung kam für beide Seiten ja nicht überraschend. Ein Jahr zuvor hatte Bundeskanzlerin Merkel den Dalai Lama in Berlin empfangen. Danach hatte Peking eine Eiszeit in den Beziehungen verkündet. Das Verhältnis hatte sich dann Anfang 2008 durch einen Briefwechsel entspannt. Doch im März 2008 nahm die Spannung angesichts der Entwicklungen in Tibet wieder zu. Deshalb gab es also eine abgestufte Reaktion der Bundesregierung: Boykott der Eröffnung, doch während der Spiele Teilnahme von zwei Bundesministern – Wolfgang Schäuble, als Innenminister für Sport zuständig, und Franz Josef Jung, als Verteidigungsminister für die Sportförderung in den Sportkompanien zuständig. Bei der Eröffnung der Paralympischen Spiele war dann sogar der damalige Bundespräsident Horst Köhler anwesend.

                  Wie haben Sie die Entscheidung als Botschafter empfunden?

                  Ich hielt das damals für eine gute, differenzierte Entscheidung, mit der ich als Botschafter vor Ort gut arbeiten konnte.

                  Allerdings waren zum Beispiel der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der amerikanische Präsident George W. Bush damals bei der Eröffnung anwesend. Haben die Chinesen Sie das nicht spüren lassen?

                  Nicht sonderlich. Wir waren ja nicht allein. Die Briten, die Spanier, die Italiener oder die Polen haben sich wie Deutschland verhalten. Ebenso die Inder oder der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon.

                  Wie wirkungsvoll sind solche politischen Gesten?

                  Wenn man die Chinesen kennt, dann weiß man, dass Image ihnen wichtig ist, besonders bei einer solchen Weltveranstaltung, die sie zum ersten Mal ausrichten. Aber sie haben es professionell genommen und konnten dennoch verkünden, dass noch bei keinen Olympischen Spielen mehr Staatschefs und Staatsoberhäupter vertreten waren. Und dass Olympische Spiele Gegenstand politischer Proteste werden können, ist ja nichts Neues.

                  Als Botschafter hat man ja zwei Herzen in seiner Brust. Einerseits kann man nachvollziehen, dass auf Menschenrechtsverletzungen Reaktionen folgen müssen, andererseits sollen die Beziehungen harmonisch sein. Wie haben Sie das nach den Spielen ausbalanciert?

                  Ihre Feststellung ist richtig. Man möchte Beziehungen schaffen, die auch sehr unterschiedliche Standpunkte aushalten, ohne dass die Beziehungen jedes Mal eskalieren, eben weil es ein grundsätzliches Vertrauen gibt. Das war mir besonders wichtig, weil mir die Menschenrechtslage sehr am Herzen lag und liegt. Ich war vier Jahre in Genf zuständig für die Menschenrechtskommission. Das hat mich geprägt. Dort ging es mir vor allem um die Frage, wie man handeln muss, damit es mittel- und langfristige positive Veränderungen für die Menschen gibt. Ich war schon immer gegen reine Symbolpolitik, die vor allem auf die eigene Innenpolitik gerichtet ist.

                  Wie schafft man solche Veränderungen? 

                  Die wichtigste Voraussetzung: Die Bundesregierung und die EU müssen in Menschenrechtsfragen mit einer Stimme sprechen. Es ist nicht gut, wenn ein Vertreter besonders lautstark auftritt und ein anderer mit Stillschweigen gegenüber Peking agiert. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit unserer politischen Linie. Und man sollte sich nicht als Lehrmeister aufspielen, sondern deutlich machen, dass unserer Erfahrung nach die Verwirklichung individueller wie kollektiver Menschenrechte auch im Interesse einer stabilen gesellschaftlichen Entwicklung ist.

                  Bekommt die neue Bundesregierung das gut hin? War die Entscheidung, nicht zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2022 zu fahren, richtig?

                  Ich denke, die Entscheidung der Bundesregierung, nicht zu der Eröffnung der Olympischen Winterspiele zu reisen, ist richtig – mal abgesehen davon, dass es wegen der neuen Corona-Welle sowieso schwierig geworden wäre. Was den Gleichklang innerhalb der Regierung betrifft, ist es für ein Urteil noch zu früh. Eine solche gemeinsame Linie ist nicht von heute auf morgen durchsetzbar. Jeder Bundeskanzler hat anfangs damit zu kämpfen, eine Linie zu finden und sie in der Regierung durchzusetzen.

                  Was ist in diesem Prozess besonders wichtig?

                  Dass alle Beteiligten die unterschiedlichen Perspektiven der Debatte um China verstehen. Die Chinesen sagen: Ihr benutzt die Menschenrechte nur, um uns kleinzuhalten und in die Ecke zu stellen. Wir wollen selbst bestimmen, wie wir uns entwickeln. Da spielt das Trauma der Teilkolonialisierung durch den Westen sicher noch eine wichtige Rolle. Wir antworten wiederum: Unsere Geschichte ist geprägt durch zwei Diktaturen mit massiven von Deutschen verursachten Menschenrechtsverletzungen. Wir haben einen Lernprozess durchgemacht. Individuelle Freiheit betrifft immer auch die Stabilität der Gesellschaft als Ganzes. Und diese Erfahrung zu teilen, ist wichtig. Genau wie China seine nationale Souveränität besonders wichtig ist. Gerade auch mit jungen Leuten an Universitäten in China habe ich oft darüber diskutiert und bin auf eine große Offenheit gestoßen.

                  Ein anderes Argument, das aus Peking immer kommt: China hält sich an die Menschenrechte, aber priorisiert eine andere Reihenfolge als der Westen. Erst Essen, Gesundheit, Arbeit und Bildung, dann Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und freie Wahlen. Ist das die Schutzbehauptung einer Diktatur?

                  Grundsätzlich ist diese Reihenfolge nicht falsch. Ich habe das in den Jahren als stellvertretender Botschafter in Singapur immer wieder gehört, besonders eindringlich von Lee Kuan Yew, dem Gründer und damaligen Ministerpräsidenten des Stadtstaates. Er unterschied zwischen bürgerlichen und politischen sowie wirtschaftlich und sozialen Menschenrechten. Vorrang hätten bei sich entwickelnden Gesellschaften immer die wirtschaftlichen und sozialen Rechte. Ich habe dann stets auf die allgemeine Menschenrechts-Deklaration der Vereinten Nationen hingewiesen, die alle UNO-Mitglieder unterschrieben haben. Und die kennt keine Rangfolge von Menschenrechten. Allerdings wurde beide Komplexe in zwei großen, unterschiedlichen Menschenrechtspakten ausdifferenziert. Die haben auch die Chinesen unterschrieben. Und daran müssen sie sich halten.

                  Das ist allerdings nicht der Fall, wenn man die Entwicklungen in Xinjiang und Hongkong betrachtet.

                  Für die politischen und bürgerlichen Rechte kann man das so feststellen, für die wirtschaftlichen und sozialen Rechte nicht. Die wirtschaftliche und soziale Lage der allermeisten Menschen in China hat sich in nur einer Generation sehr schnell und nachhaltig verbessert. Bei den politischen und zivilen Rechten hingegen ist inzwischen eine klare Linie der chinesischen Führung immer deutlicher erkennbar: Sie sollen für China nicht die Bedeutung bekommen, die sie im Westen haben. Das ist eine Entscheidung, die für mich unakzeptabel ist.

                  Was nun?

                  Mit der Brechstange können wir solche Themen nicht durchsetzen. Deshalb sollten wir an einer Stelle ansetzen, wo die Rechtsverletzung Ländergrenzen überschreitet, etwa bei der Produktion von Wirtschaftsgütern. Da können wir sagen: Güter, die zum Beispiel in Umerziehungslagern in Xinjiang gefertigt wurden, wollen wir nicht importieren, denn das ist eine flagrante Verletzung des Völkerrechts. Insofern ist das neue Lieferkettengesetz ein sinnvoller Schritt. Hier können und sollten wir eine rote Linie setzen.

                  Zumal die Stimmung insgesamt viel kontroverser ist als 2008.

                  Umso wichtiger wäre es, intensive Diskussionen mit den Chinesen zu führen.

                  Die von der EU verhängten Sanktionen und die Sanktionen der Chinesen als Antwort darauf weisen in eine andere Richtung.

                  Ja. Das ist eine falsche Entwicklung. Sanktionen sollten der Schlusspunkt nach erfolgloser Diskussion sein. Die Sanktionen kamen jedoch zu einem Zeitpunkt, zu dem es in den Gesprächen noch Spielräume gegeben hat, die man hätte nutzen können. Das ist jetzt viel schwieriger. Deswegen drängt sich der Eindruck auf, dass bei dem einen oder anderen Beteiligten innenpolitische, möglicherweise sogar wahltaktische Interessen eine größere Rolle gespielt haben, als sich mit China zu einigen, was nicht einfach ist.

                  Hinzu kommt, dass die Uneinigkeit auf europäischer Ebene, was nun zu tun sei, eher größer geworden ist.

                  Das ist die zweite falsche Entwicklung. Ein Dialog ist nicht möglich, wenn Europa nicht mit einer Stimme spricht. Wir haben bisher keine wirklich in die Tiefe gehende China-Strategie von europäischer Seite. Die ist jedoch absolut erforderlich. Mit einem Boykott der Eröffnung der Olympischen Winterspielen und Sanktionen ist es jedenfalls nicht getan.

                  Worin bestehen die Hausaufgaben der Chinesen?

                  Die Chinesen müssen erstens lernen, dass sie jetzt Teil einer internationalen Gemeinschaft sind, in der Regeln für alle gelten, nicht nur für die anderen. Sie können sich nicht das heraussuchen, was ihnen am besten passt. Die zweite: China muss aufhören, die Europäische Union durch bilaterale Verhandlungen, ich will nicht sagen: zu spalten, aber doch in einzelnen Fragen gegen einander aufzubringen. Klar ist auch: Niemand kann Peking zwingen, keine bilateralen Absprachen mit Ungarn, Rumänien oder Bulgarien zu haben, die möglicherweise einem europäischen Konsens widersprechen. Aber, ob das langfristig klug ist, ist zweifelhaft. China sollte erkennen, dass ein starkes Europa, vor allem auch im Wettbewerb mit den USA, im Eigeninteresse Chinas liegt.

                  Was bedeutet das für China und die EU konkret?

                  Wir müssen wieder miteinander reden, und zwar am besten nicht zunächst über die strittigen Themen, sondern über Themen, die im einvernehmlichen Interesse liegen. Das sind Themen wie der Klimawandel oder die Gesundheitspolitik. Und bei diesen Gesprächen müssen wir deutlich machen, dass wir keine Politik im Schlepptau der Amerikaner machen.

                  Aber ist das nicht faktisch so?

                  So scheint es jedenfalls derzeit. Ich glaube aber, dass Europa gut daran tut, sich nicht nolens volens einer amerikanischen Politik anzuschließen, die sehr stark von geopolitischen Interessen geprägt ist, nämlich zum Beispiel von der Vorherrschaft im Pazifik. Das ist nicht das vorrangige Interesse Europas. Wir haben ein Interesse an einem stabilen, regelbasierten internationalen System sowie zum Beispiel der Freiheit der Schifffahrtsstraßen. Umfassendere Interessen haben wir im Pazifik nicht und sollten auch nicht so tun. Ich glaube, Europa tut gut daran, seine eigene Klimapolitik zu definieren. Auch im Bereich des Handels und der Investitionsbedingungen haben wir eigene Interessen. Hier gibt es Verhandlungsspielraum mit den Chinesen. Aber fairer Handel bedeutet, dass sich beide Seiten an die vereinbarten Spielregeln halten.

                  Diese Gespräche sehe ich aber nicht, weil Europa sich nicht einig ist, was zu tun wäre.

                  China hat es sehr geschickt verstanden, mit einzelnen europäischen Staaten Beziehungen zu entwickeln, die ihnen kurzfristig Vorteile zu bringen scheinen. Aber wenn sich Europa weiterhin auseinanderdividieren lässt, dann wird es global keine Rolle spielen. Wir müssen lernen, mit einer Stimme zu sprechen, nicht nur China, auch den USA gegenüber. Wir müssen das Klein-Klein nationaler, sich widersprechender Politik überwinden.

                  Das Problem dabei ist, dass Deutschland als Exportnation eine andere Abhängigkeit von China hat als zum Beispiel Frankreich.

                  Die Abhängigkeit bedeutet allerdings auch mehr Einfluss auf China. Deutschland hat als stärkste Wirtschaftsnation in Europa mehr Gewicht als kleinere Handelspartner. Deshalb kann Deutschland eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, die gemeinsamen Spielregeln der EU mit China auszuhandeln. 
                  Dabei sollten wir Führung zeigen in Europa und den Chinesen klarmachen: Sie sind jetzt eine starke Wirtschaftsnation, für die es keine Sonderbehandlung mehr geben kann. Sie müssen sich an die gleichen Regeln halten wie wir. Die müssen wir aushandeln. Dabei geht es um eine Balance zwischen Werten und Interessen der EU und Chinas. Das ist die Chance der gegenseitigen Abhängigkeit. Sich immer nur mit den Risiken zu beschäftigten bringt wenig.

                  Besteht in dieser Balance nicht die Gefahr, dass die Menschenrechtsthemen ins Hintertreffen geraten angesichts der tiefgreifenden Wirtschaftsinteressen.

                  Ich glaube, diese Frage ist falsch gestellt. Natürlich muss man Menschenrechtsverletzungen kritisch ansprechen. Die Frage ist nur, ob das immer mit dem großen Lautsprecher passieren muss. Oder ob man Menschenrechtsverletzungen auch, so wie das die Bundeskanzlerin über viele Jahre gemacht hat, in vertraulichen Gesprächen thematisieren kann. Es ist oft in der Öffentlichkeit kritisiert worden, dass sie sich zu stark zurückgehalten hat. Ich war ja oft dabei und habe gehört, mit welchem Nachdruck sie gerade auch solche Themen angesprochen hat. Wichtig dabei ist, was am Ende für die Menschen, die betroffen sind, herauskommt. Wir sollten das Ziel verfolgen, gemeinsame Spielregeln zu etablieren, an die sich beide Seiten halten.

                  Michael Schaefer gilt als einer der erfahrensten deutschen Diplomaten. Nach verschiedenen Positionen, unter anderem bei den Vereinten Nationen in New York, war der im Völkerrecht promovierte Volljurist vier Jahre als ständiger Vertreter in Singapur eingesetzt. Vier Jahre lang vertrat er Deutschland in Genf in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, wo er sich immer wieder mit China beschäftigen musste. Von 2002 bis 2007 war er der politische Direktor des Auswärtigen Amts und Sicherheitsberater der Außenminister Joschka Fischer (Bündnis90/Die Grünen) und Frank-Walter Steinmeier (SPD). Von 2007 bis 2013 war er als Botschafter in Peking stationiert. Danach wechselte er als Vorsitzender des Vorstandes zur BMW-Foundation, wo er unter anderem die Zukunftsbrücke – Chinese German Young Professional Campus aufgebaut hat.

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                    Fall Lee in Großbritannien: “Nur die Spitze des Eisbergs”

                    Plötzlich erscheinen all diese Bilder von Christine Lee in einem anderen Licht. Da gibt es diese Aufnahme, die sie im scheinbar engen Austausch mit dem früheren britischen Premierminister David Cameron zeigt. Auf einem anderen Foto ist sie mit einer Gruppe junger Chinesinnen und Chinesen an der Seite des früheren Chefs der Labour-Partei Jeremy Corbyn zu sehen.

                    Seit wenigen Tagen ist der Name Christine Lee in Großbritannien in aller Munde. Der Inlandsgeheimdienst MI5 hatte den Stein am Donnerstag ins Rollen gebracht. Der Sicherheitsdienst warnte die Mitglieder des Parlaments vor der einflussreichen Anwältin mit britischem Pass. Sie versuche, im Interesse der Volksrepublik China auf die Politik des Landes einzuwirken. Die Bilder mit Cameron oder Corbyn erwecken den Eindruck, dass sie erfolgreich war.

                    Dabei stehen weder Cameron noch Corbyn im Mittelpunkt der Affäre, sondern der Labour-Abgeordnete Barry Gardiner. Bis 2020 war Gardiner Energie-Schattenminister unter Corbyn und bereits vor fast 20 Jahren für die Regierung Tony Blair als Juniorminister aktiv. Sein Büro erhielt Spenden von Lee in Höhe von 200.000 Pfund. Gardiner war größter Profiteur von Lees Zahlungen, die insgesamt fast eine halbe Million Pfund ausmachten. Doch auch viele weitere Abgeordnete und Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum erhielten Zuwendungen.

                    Gardiner erhielt die Spenden völlig legal und transparent. Er machte die Zahlungen stets öffentlich. Das Geld wurde verwendet, um Studien und Untersuchungen in dessen Londoner Wahlkreis Brent North zu finanzieren. Der Politiker zeigte sich überrascht von der Warnung des MI5. Er habe den Geheimdienst jahrelang über die Spenden von Christine Lee informiert, erklärte er. Niemals sei er gewarnt worden. Lee sei eine registrierte Spenderin gewesen, und das von ihr gezahlte Geld sauber. Das Innenministerium stufte Lees Aktivitäten als “unterhalb der Schwelle zur Kriminalität” ein.

                    Finanzielle Zuwendungen an Parteien und Parlamentarier

                    Dennoch muss sich Gardiner nun rechtfertigen. Ihm wird vorgeworfen, er habe unter Lees Einfluss für eine chinesische Beteiligung am Bau des Kernkraftwerkes Hinkley Point C im Süden England die Werbetrommel gerührt. Der Abgeordnete bestreitet das. Er habe den britischen Steuerzahler vor Wucherpreisen anderer Anbieter bewahren wollen, sagt Gardiner.

                    Doch diese Vorwürfe sind nicht neu. Über Zuwendungen an Gardiners Büro berichtete die britische Presse schon im Jahr 2019. Auch damals fiel der Name Christine Lee. Der entscheidende Unterschied: Der Geheimdienst äußerte sich damals nicht. Stattdessen zeichnete die damalige Premierministerin Theresa May Christine Lee im selben Jahr für deren Engagement für die chinesisch-britischen Beziehungen mit dem “Points of Light”-Award aus. Sie könne “sehr stolz” sein, schrieb May der Juristin in einem persönlichen Brief.

                    Jetzt die Kehrtwende. Der MI5 warnte das Parlament nicht nur vor Christine Lee, sondern thematisierte auch die guten Kontakte der gebürtigen Hongkongerin zum United Front Work Department (UFWD), der chinesischen Einheitsfront. “Es ist das erste Mal, dass der MI5 die UFWD als ein Problem für die nationale Sicherheit öffentlich identifiziert“, sagt Didi-Kirsten Tatlow von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). “Das hat nicht nur symbolische Bedeutung, sondern ist ein Signal, dass man sich in Großbritannien offenbar dazu entschlossen hat, chinesischen Einfluss ernsthaft zurückzudrängen.”

                    Die Einheitsfront ist fast so alt wie die Partei selbst (China.Table berichtete). Sie kommt intensiv dort zum Einsatz, wo Zweifel aufkommen an der Legitimität der KP, wo Kritik laut wird an ihrer Politik und wo Widerstand droht gegen ihre autoritäre Herrschaft. Über eine Verästelung vieler Partei-Organisationen knüpft die Einheitsfront auch Kontakte zu einflussreichen Kräften im Ausland. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft – überall ist sie aktiv. Und das buchstäblich in allen Ländern der Welt.

                    Einheitsfront als eine Art Management-Instrument der KP

                    Experten warnen davor, was Wirken der Einheitsfront zu unterschätzen. “Sie ist eine Art Management-Instrument der KP Chinas, um sicherzustellen, dass einerseits Nicht-Mitglieder auf Parteilinie gebracht und andererseits negative Stimmen marginalisiert werden”, sagte Ralph Weber, Professor am Europainstitut der Universität in Basel, im vergangenen Jahr im Gespräch mit China.Table.

                    Der konservative Parlamentarier Sir Iain Duncan Smith zeigte sich zutiefst besorgt über die Warnung des MI5 vor Christine Lee. Smith ist von der chinesischen Regierung wegen seiner Unterstützung pro-demokratischer Politiker und Aktivisten aus Hongkong von der chinesischen Regierung sanktioniert. Er verlangte einerseits Aufklärung über die Risiken für Hongkonger Aktivisten und stellte zudem die Frage, ob der Akkreditierungsprozess des Parlaments “für solche Leute” – gemeint ist Lee – überarbeitet werden müsse.

                    Einige politische Beobachter stellten sich derweil die Frage, ob der Zeitpunkt der Warnung durch den Geheimdienst auch innenpolitische Gründe haben könnte. Premierminister Boris Johnson steckt knietief in Schwierigkeiten wegen eines Party-Besuchs in Corona-Zeiten. Da kommen Zuwendungen an einen Labour-Politiker von einer großzügigen Spenderin mit besten Beziehungen zur Kommunistischen Partei nicht ganz ungelegen. Dagegen spricht, dass zu viele britische Parteien und Politiker in den Fall Christine Lee verstrickt sind.

                    Im Ausland eine Kommunikatorin der Stimme Chinas

                    Lee ist britische Staatsbürgerin. Ihre Eltern wanderten nach Nordirland aus, als sie noch ein Kind war. Dass sie gute Kontakte zum chinesischen Parteistaat pflegt, hätte jedem Parlamentarier klar sein müssen, der ihr Geld akzeptierte. Ihre Kanzlei betreibt ein eigenes Büro im Gebäude der britischen Botschaft in Peking. Seit vielen Jahren berät sie dort chinesische Unternehmen, die in Großbritannien investieren wollen.

                    Auf Fotografien ist sie bei der Shenzhen Overseas Exchange Association Conference zu sehen. Als ehrenamtliche Beraterin unterstützte sie die Direktorin der Shenzhen-Abteilung der Einheitsfront. Ein anderes Bild zeigt sie, wie sie bei einem Empfang die Hand von Chinas Staatspräsident Xi Jinping schüttelt.

                    In China habe Lee einer Rede des Einheitsfront-Vorsitzenden You Quan beigewohnt, schreibt Martin Thorley von der Universität Exeter auf Twitter. Thorley forscht zu den chinesisch-britischen Beziehungen. You ermutigte die Zuhörer, den “von Xi Jinping geprägten Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken” als Leitlinie zu akzeptieren. Laut Thorley habe Lee die Rede “ermutigt und berührt” aufgenommen. Demnach schwärmte sie von ihrem starken Gefühl des Nationalstolzes. Obwohl sie all die Jahre in Großbritannien verbracht habe, wolle sie “eine Kommunikatorin der Stimme Chinas sein“, habe Lee gesagt.

                    Thorley glaubt, der Fall Lee sei “lediglich die Spitze des Eisberges”. Noch düsterer sehen die Autoren Mareike Ohlberg und Clive Hamilton das Maß an Einfluss chinesischer Interessen in Großbritannien. In ihrem Buch “Die lautlose Eroberung” beschreiben sie die britische Polit- und Wirtschaftselite also so tief infiltriert, dass der “Point of no Return” bereits überschritten sei. Das System lasse sich praktisch nicht mehr säubern.

                    Forscherin Tatlow von der DGAP ist dagegen weniger pessimistisch. Sie glaubt, dass der “schleichenden, teils aggressiven Einflussnahme” immer noch erfolgreich entgegengewirkt werden kann. Voraussetzung: weniger Naivität und mehr Entschlossenheit. Das gelte aber nicht nur für Großbritannien. “China ist auch in Deutschland und in vielen Teilen Europas bereits tief in den politischen Machtkorridor eingedrungen. Das ist das Resultat von jahrzehntelanger Arbeit der Kommunistischen Partei.”

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                      Medien und Mediziner bringen die vierte Dosis ins Spiel

                      Im Zuge des aktuellen Coronavirus-Ausbruchs in der Stadt Tianjin ist in Chinas Medien zunehmend von der Notwendigkeit einer oder mehreren Auffrischungs-Impfungen die Rede. Im Staatssender CCTV erklärte der Infektiologe Zhang Wenhong am Samstag die Notwendigkeit einer dritten Dosis. Diese verhindere auch bei den aktuell auftretenden Virusmutationen die Krankheitsschwere ganz entscheidend.

                      Eine vierte Dosis sei dagegen zum jetzigen Zeitpunkt noch “nicht dringend geboten” – hier könne China internationale Erfahrungen abwarten. Zhang ist ein einflussreicher Mediziner. Er ist Leiter des Nationalen Zentrums für Infektionskrankheiten und Direktor der Abteilung für Infektionskrankheiten der Klinik der Fudan-Universität in Shanghai. Wenn er im Fernsehen über die vierte Dosis spekuliert, weist das auf fortgeschrittene Diskussionen hinter den Kulissen hin – auch wenn er zunächst abwiegelt und den Fortschritt der Booster-Kampagne abwarten will.

                      Hintergrund ist die Wirksamkeit der in China gebräuchlichen Impfstoffe gegen die Omikron-Variante. Von 107 nachgewiesen Infizierten der vergangenen Woche waren 103 vollständig geimpft und 32 bereits geboostert. Nur ein Patient war ungeimpft. Auch bei anderen laufenden Ausbrüchen treten viele Infektionen bei dreifach geimpften Personen auf. Laut Daten der Nationalen Gesundheitskommission vom Sonntag wurden innerhalb eines Tages 119 neue Fälle nachgewiesen, davon 33 in der Stadt Tianjin und 29 in der Provinz Henan. In Peking wurde am Samstag zudem die erste lokale Infektion mit der Omikron-Variante gemeldet – drei Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele. Bisherige Infektionen hatten ihren Ursprung im Ausland, so Reuters. Auch in Shanghai und der Provinz Guangdong wurden Fälle gemeldet.

                      Omikron stellt in China “erhebliche Bedrohung dar”

                      Nach Einschätzung des Nationalen Zentrums für Infektionskrankheiten geht auch von Omikron erhebliche Gefahr aus. Zwar sei die Schwere der beobachteten Verläufe insgesamt geringer. Doch auch Omikron verursache eine gewisse Rate an Todesfällen und “stellt eine erhebliche Bedrohung dar, wenn es nicht eingedämmt wird”, sagt Zhang. Es gebe jedoch keinen “Grund, Angst zu haben” und gleich nach der vierten Dosis zu rufen. Mit etwas Glück könne dies der letzte Pandemie-Winter sein. Voraussetzung sei der Aufbau von Immunbarrieren durch Impfungen. Außerdem sei die Verfügbarkeit von Medikamenten für die Behandlung akuter Infektionen wichtig.

                      Etwas weniger optimistisch äußerte sich der Virologe Chang Rongshan von der Shantou-Universität in Guangdong gegenüber Jiemian News. Gerade wer früh geimpft worden sei, müsse jetzt schon wieder als gefährdet gelten. Es sei eine Eigenschaft des Corona-Virus, dass die Impfung recht schnell an Wirksamkeit verliere. Das Phänomen trete auch bei westlichen mRNA-Präparaten auf. Er verglich den Corona-Impfstoff mit den üblichen Grippe-Impfstoffen. Auch diese müssten jährlich neu entworfen und verimpft werden und erreichten trotzdem nur eine Wirksamkeit zwischen 40 und 60 Prozent. fin

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                        Exporte erreichen neues Hoch

                        China hat 2021 einen Exportüberschuss in Rekordhöhe erzielt. Die Ausfuhren übertrafen die Importe um umgerechnet knapp 590 Milliarden Euro, wie die Zollbehörde am Freitag in Peking mitteilte. Das sind gut 152 Milliarden mehr als 2020. Allerdings verzerrt die Corona-Pandemie die Zahl für 2020.

                        Grund für den Rekord ist die weltweit starke Nachfrage nach Waren “Made in China”. Die Exporte legten im vergangenen Jahr um 29,9 Prozent zu, nachdem es im ersten Corona-Jahr lediglich zu einem Plus von 3,6 Prozent gereicht hatte. Besonders gefragt waren beispielsweise Computer und anderer Elektronik, die etwa für das pandemiebedingte Arbeiten von Zuhause benötigt werden. Auch medizinische Produkte wie etwa Masken wurden wegen der Pandemie in aller Welt benötigt. Die chinesischen Importe legten um 30,1 Prozent zu, nachdem sie 2020 noch um 1,1 Prozent gefallen waren.

                        Ökonomen prognostizieren Wachstum von über fünf Prozent

                        Experten zufolge hat China von der Pandemie-bedingten Unterbrechung der Lieferketten etwa in den westlichen Ländern profitiert. “Wir gehen davon aus, dass die chinesischen Exporte im laufenden ersten Quartal aufgrund der robusten globalen Nachfrage stark bleiben werden”, sagte der Chefökonom von Pinpoint Asset Management, Zhang Zhiwei. “Derzeit könnten die starken Exporte der einzige Motor sein, der Chinas Wirtschaft hilft.”

                        China wird einer Ökonomen-Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr um 5,2 Prozent wachsen. 2021 dürfte es aufgrund von Nachholeffekten zu einem besonders kräftigen Plus von acht Prozent beim Bruttoinlandsprodukt gereicht haben. “Insbesondere im ersten Halbjahr dürfte ausreichend politische Unterstützung da sein, um sicherzustellen, dass das Wirtschaftswachstum nicht unter Pekings Komfortzone fällt”, sagte Tommy Wu von Oxford Economics. So könnte die Zentralbank ihre Geldpolitik lockern. Analysten gehen zudem davon aus, dass das Wachstum vor dem Parteikongress zur Wiederwahl Xi Jinpings künstlich erhöht wird. nib/rtr

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                          Ausbau der Atomkraft kommt voran

                          China verfügt mittlerweile über Atomkraftwerke mit einer Leistung von fast 55 Gigawatt. Zudem befinden sich mindestens weitere 16,5 Gigawatt an Kraftwerkskapazität im Bau oder in der Planung. Das geht aus neuen Daten für das vergangene Jahr hervor, wie das Beratungsunternehmen Trivium China berichtet. Die Volksrepublik liegt damit auf Rang drei weltweit. Nur die USA (95 Gigawatt) und Frankreich (61 Gigawatt) verfügen über mehr AKWs. In China befinden sich die meisten Atomkraftwerke demnach in den Provinzen Guangdong, Fujian und Zhejiang.

                          Atomenergie macht derzeit circa fünf Prozent der chinesischen Stromproduktion aus. Der Anteil wächst seit einigen Jahren, wie Daten von Climate Transparency veranschaulichen. Bis 2035 könnte die Volksrepublik 200 Gigawatt an installierter AKW-Kapazität bauen, so ein Industrievertreter laut Bloomberg. Demnach plant China, in den nächsten 15 Jahren mindestens 150 neue Reaktoren zu bauen. Atomkraftwerke könnten zur Energie-Sicherheit des Landes beitragen, da sie – im Gegensatz zu erneuerbaren Energien – kontinuierlich Strom liefern. Ein gewisser Teil der Grundlast, der durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung wegfällt, könnte durch Atomkraft abgedeckt werden. Trotz des Ausbaus der atomaren Kapazitäten sollen erneuerbare Energien in Zukunft den Großteil der Stromversorgung Chinas liefern. nib

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                            Joanna Klabisch – Expertin für Chinas Zivilgesellschaft

                            Joanna Klabisch, Programmmanagerin des China-Programms der Stiftung Asienhaus
                            Joanna Klabisch, Programmmanagerin des China-Programms der Stiftung Asienhaus

                            Eine Mischung aus Leidenschaft und Pragmatik war es, die Joanna Klabisch nach China führte. Schon in der Kindheit begeisterte sie sich für Asien, von Kampfsport über Esskultur bis hin zu Literatur. Trotzdem hätte sie es nie gewagt, ein Orchideenfach wie zum Beispiel Japanologie zu studieren. Denn für sie als Migrantin und Kind von Arbeiter*innen aus Südpolen und als erste Studentin der Familie war klar, dass sie eine bodenständige Karriere wählen würde. Doch Sinologie und Ostasienwissenschaften kamen als Studienfach infrage. Schließlich befand sich China bereits auf dem Weg, eine große Wirtschaftsmacht zu werden. Da war die Nützlichkeit des Gelernten bereits absehbar.

                            Joanna Klabisch erinnert sich trotz aller Herausforderungen gerne an ihre Studienzeit zurück. “Man braucht viel Liebe, um das Studium durchzuziehen. Als ich im Dezember des ersten Semesters in meine Chinesisch-Prüfung ging, war mein rechter Arm vom Ellbogen bis zum Handgelenk komplett bandagiert, weil ich vom vielen Zeichenschreiben eine Sehnenscheidenentzündung hatte”, erzählt sie. 

                            Besonders beeindruckt war die Sinologie-Studentin von ihren Auslandsaufenthalten an der National Taiwan Normal University und an der Nankai University in Tianjin. Hier verliebte sie sich in das Land. Und sie erfuhr, dass China nicht nur faszinierend anders als die bekannte Heimat ist, sondern auch unerwartet vertraute Phänomene bereithält. “Ich war schon seit Schulzeiten Mitglied im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, habe mich freiwillig in Tierheimen engagiert und im Studium habe ich mich für die Arbeit von Amnesty International und anderen Non-Profit-Organisationen interessiert”, erzählt die 36-Jährige. Sie war überrascht, dass es in China auch zivilgesellschaftliche Akteure gibt. “Sie gehen zum Beispiel dafür auf die Straße, dass ihre Flüsse nicht verschmutzt werden.” Und das, obwohl ein solcher Aktivismus in China gefährlich sein kann.

                            Joanna Klabisch spezialisierte sich also – als einzige Studentin ihres Jahrgangs – auf die Zivilgesellschaft in China. Ein halbes Jahr lang war sie in einem Projekt der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Peking tätig, das sich zivilgesellschaftlichen Themen wie zum Beispiel der Inklusion von behinderten Menschen widmete. Und schließlich stieg sie bei der Stiftung Asienhaus ein, die den Austausch mit NGOs in den asiatischen Ländern fördert und einen Ansatz der Solidarität und Kooperation auf Augenhöhe verfolgt.

                            Vernetzung von Akteuren entlang der Seidenstraße

                            Seit 2016 ist Joanna Klabisch im China-Programm der Stiftung Asienhaus tätig, seit 2019 managt sie das Programm gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Christian Straube. Ziel eines neuen, 2020 gestarteten Projektes ist es, einen zivilgesellschaftlichen Dialog im Rahmen der Neuen Seidenstraße aufzubauen. “Wir möchten die Stimmen chinesischer NGOler:innen einholen”, erzählt sie. Diese wissen am besten, wie man soziale oder ökologische Ziele im chinesischen System durchsetzen kann. “Und wir möchten sie mit NGOler:innen aus anderen Ländern wie Indonesien zusammenbringen, in denen Projekte der Belt and Road Initiative realisiert werden.” Beide Seiten könnten viel voneinander lernen. So gelinge es besser, erfolgreich Kampagnen durchzuführen.

                            Etwa ein Viertel ihrer Arbeitszeit widmet Joanna Klabisch dem Projekt “Asien in der globalisierten Welt”, in dem sie sich gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen länderübergreifende Probleme in Publikationen und Veranstaltungen aufarbeitet. Besonders spannend ist das aus ihrer Sicht, weil das kleine Team der Stiftung Asienhaus mit nur sechs Mitarbeiter:innen Expertise für Osttimor, Indonesien und Kambodscha sowie Myanmar und Thailand zusammenbringt. Darüber hinaus arbeitet es mit dem Korea-Verband, dem Philippinenbüro, dem Nepal Dialogforum für Frieden und Menschenrechte sowie dem North East India Forum zusammen. “Wir können mit unseren wenigen Leuten also ein großes asiatisches Länderspektrum abdecken”, erzählt Klabisch. Das Asienhaus-Team kann sich beispielsweise ansehen, welche Auswirkungen der europäische Müllexport in die Philippinen oder welche Bedeutung die BRI für die Geschlechtergerechtigkeit in Nepal hat. Darüber hinaus widmet Klabisch sich in einer Arbeitsgemeinschaft dem Thema Rassismus und Machtungleichgewichte in der Entwicklungszusammenarbeit.

                            Neben der Corona-Pandemie stellt NGOs auch die Finanzierung der Projekte vor große Herausforderungen. “Gerade die Gelder für China sind aktuell sehr rar geworden.” Das Klima sei für die politischen und akademischen Kooperationen äußerst ungünstig in Deutschland. Klabisch hofft, dass noch Raum für die Zusammenarbeit mit der chinesischen Zivilgesellschaft bleibt. “Denn wir brauchen sie, um positive Entwicklungen in China zu unterstützen.” Jana Degener-Storr

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                              Steve George wird neuer Director von CNN Digital für die Region Asien-Pazifik. Er ist für digitale Inhalte und Stragien verantwortlich und wird in Hongkong stationiert sein. Bevor er 2016 zu CNN kam, war George acht Jahre lang als Redakteur in Peking tätig und berichtete über Nachrichten und soziale Angelegenheiten.

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                              Rachekäufe

                              Rachekäufe: dieser Beitrag aus der Rubkrik "Zur Sprache" widmet sich einem Phänomen, das aus der Corona-Pandemie geboren ist.
                              报复性消费 – bàofùxìng xiāofèi – “Rachekäufe”

                              Lockdown, Abistress, Überstundenwahn? Zeit, sich zu rächen! Und wie geht das am besten? Na klar, durch Rachekäufe. In China hat man das Verhaltensmuster sogar lexikalisch festgezurrt. 报复性消费 bàofùxìng xiāofèi “Rachekäufe” oder “Rachekonsum” heißt das Trendwort, das ein wenig an unseren deutschen “Frustkauf” erinnert. Es setzt sich aus den Wörtern für “Rache, Revanche” (报复bàofù bzw. “rachemäßig” 报复性 bàofùxìng) und “Konsum, konsumieren” (消费 xiāofèi) zusammen.

                              Seinen Einzug in die Alltagssprache feierte der Fachbegriff – in unseren Breiten übrigens als “kompensatorischer Konsum” bezeichnet – dank Corona. Denn seit Beginn der Pandemie gab es auch im Reich der Mitte immer wieder Teillockdowns und Ausgangssperren. Da können sich bekanntlich schon mal ventillose Gelüste anstauen, insbesondere bei “Shoppaholics”. Auch das Internet bot damals in China kaum Ausweg, da Pakete in Hochrisikogebiete oft gar nicht erst ausgeliefert werden. Als die Coronaschranken dann fielen, brachen bei vielen alle Einkaufsdämme. Versäumte Anschaffungen wurden rauschhaft nachgeholt, manche Bekleidungsläden bis auf die Schaufensterpuppen abgegrast.

                              Neben dem “Rachekauf” umfasst das chinesische Revanche-Repertoire noch einige Unterbegriffe. Zum Beispiel den “Racheverzehr” (报复性吃喝 bàofùxìng chī-hē – wörtl. “rachemäßiges Essen und Trinken”). So verzeichneten Milchteebuden und Kaffeeketten nach Lockdown-Lockerungen Umsatzpeaks bei XXL-Bechergrößen. Ein kleines Barbecue-Restaurant in Shandong berichtete sogar von einem Kunden, der die gesamte Speisekarte (!) bestellte und sich das Essen anschließend nach Hause liefern ließ. Drei Stunden waren drei Mann in der Küche voll beschäftigt, um die Order vorzubereiten. Andere investierten ihre Kröten in das Aufpäppeln der in der Heimquarantäne sträflich vernachlässigten Haustierseele. Premiumfutter und teure Leckerlis fanden reißenden Absatz dank 报复性爱宠物 bàofùxìng ài chǒngwù – “rachemäßiger Haustierliebe”.

                              Manche holten sogar noch weiter aus und setzten zu “Rachereisen” (报复性出游 bàofùxìng chūyóu) an, buchten teure Ausflüge und Urlaube, sobald man wieder touren konnte. Dabei machten die meisten auch ihrem “Freundeskreisfrust” Luft. Schließlich war ihnen über Wochen das wohlverdiente Dopamin gelikter Social-Media-Beiträge verwehrt geblieben, weil in der Stubenhockerlangeweile irgendwann einfach die Posting-Ideen ausgehen. Zurück in Freiheit wurde dann gepostet, was das Zeug hält: vom Sichuan-Hotpot über den Strandspaziergang bis hin zum Serienselfie. Rachemäßig etwas im WeChat-Freundeskreis posten 报复性发朋友圈 (bàofùxìng fā péngyouquān) taufte die Netzgemeinde dieses Verhalten (in Anlehnung an die chinesische Bezeichnung für den WeChat-Freundeskreis – 朋友圈 péngyouquān).

                              Mittlerweile wird bàofùxìng im Chinesischen scherzhaft auch auf allgemeine “Problemfelder” übertragen. Etwa auf das rachemäßige Durchmachen ganzer Nächte nach beruflichen oder schulischen Stressphasen (报复性熬夜 bàofùxìng áoyè). Oder rachemäßiges Zeitvertrödeln am Wochenende als Ausgleich für alle Zeitfresser in der Arbeitswoche (报复性浪费时间 bàofùxìng làngfèi shíjiān). Also: Halten auch Sie schon mal prophylaktisch Ausschau nach kreativen Racheakten. Der nächste Anlass findet sich bestimmt.

                              Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese.

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