Table.Briefing: China

Kopfgeld als Warnung – Neues Misstrauen

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Kopfgelder auf Hongkonger Exilanten sind vor allem eine Warnung nach innen: Wer sich gegen die Macht der KP auflehnt, der wird lebenslang gejagt. Marcel Grzanna zeichnet heute noch einmal die Widersprüche und Absurditäten der Haftbefehle gegen die engagierten Bürger nach. Die Belohnung, die für ihre Ergreifung ausgesetzt ist, ist zehnmal so hoch wie für Sexualstraftäter.

Einer der Betroffenen soll dem Vorwurf zufolge “mit ausländischen Kräften zusammengearbeitet” haben – dabei ist er kein Hongkonger oder Chinese, sondern australischer Staatsbürger. Klar ist aber: Die nun per Haftbefehl Gesuchten sollten sich nicht mehr in Länder begeben, die sie an China ausliefern würden.

Außerdem werfen wir heute noch einmal einen Blick zurück auf die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Die standen im Bereich Forschung im Zeichen eines neuen Misstrauens. Dabei war die Stimmung in der Forschungszusammenarbeit lange Zeit gut. Denn was sprach schon dagegen, voneinander lernen zu wollen? Doch auch das hat sich im deutsch-chinesischen Verhältnis gewaltig geändert.

Erst kam Kritik an Konfuzius-Instituten auf, weil sie offenbar versuchen, auf die deutsche Hochschullandschaft politisch Einfluss zu nehmen. Dann sanktioniert die chinesische Seite ganze europäische Wissenschaftseinrichtungen. Und nicht zuletzt Berichte über deutsche Wissenschaftler, die offenbar unwissentlich mit militärnahen Instituten in China zusammenarbeiten, heizen die Debatte zusätzlich an. Immer mehr aus der akademischen Welt fragen sich, wie viel man überhaupt noch mit autoritären Staaten wissenschaftlich kooperieren kann.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Analyse

Hongkong jagt Opposition auch im Ausland

Wahlen in Hongkong: John Lee, 64, wird am Sonntag aller Voraussicht nach zum neuen Regierungschef in Hongkong gewählt
Hongkongs Regierungschef John Lee droht Oppositionellen, sie “bis an ihr Lebensende” zu verfolgen.

Hongkongs Regierungschef John Lee offenbarte am Dienstag, was in seinem Kopf vorgeht. Der Statthalter zu Pekings Gnaden drohte der politischen Opposition im ausländischen Exil in Wildwest-Manier. “Wir werden sie für den Rest unseres Lebens verfolgen, auch wenn sie bis ans Ende der Welt laufen”, sagte Lee.

Gerichtet war die Drohung vornehmlich an sieben Männer und eine Frau, gegen die am Vortag Haftbefehle erlassen worden waren. Die Polizei hatte Kopfgelder von jeweils einer Million Hongkong-Dollar (120.000 Euro) ausgesetzt. Der Vorwurf gegen die betroffenen Ex-Parlamentarier, Juristen, Publizisten, Ex-Studentenführer und Gewerkschafter lautet: Verstoß gegen das von Peking angeordnete Nationale Sicherheitsgesetz (NSL). Konkret heißt es, sie hätten mit ausländischen Kräften zusammengearbeitet, um die Stadt zu destabilisieren. Den Beschuldigten drohen im Fall einer Verurteilung lebenslange Haftstrafen.

“Ich bin eine dieser ausländischen Kräfte”

Das NSL hält seit nunmehr drei Jahren den Dissens in der Stadt in Schach. Artikel 38 reklamiert extraterritoriale Reichweite. Das heißt, auch wer außerhalb Hongkongs gegen das politische Regime arbeitet, macht sich nach Auffassung Hongkonger Behörden strafbar – völlig unabhängig von der Staatsbürgerschaft.

Mit dem Juristen Kevin Yam steht auch ein Australier auf der Liste. “Es ist schon etwas absurd”, sagt Yam im Gespräch mit China.Table. “Mir wird vorgeworfen, mit ausländischen Kräften kooperiert zu haben. Dabei bin ich eine dieser ausländischen Kräfte.” Yam zog bereits als Kind mit seinen Eltern nach Australien und ist seit vielen Jahren australischer Staatsbürger. Als solcher habe er den Außenminister und Abgeordnete des Parlaments seines Landes getroffen.

“Hongkongs Regierung will signalisieren, dass es ihr egal ist, dass andere Staaten ihren Bewohnern Bürgerrechte einräumen, die sie selbst nicht gewährt. Sie will uns mitteilen, dass sie jeden ins Visier nehmen kann, den sie ins Visier nehmen möchte“, sagt Yam.

“Kopfgelder zeigen die Machtlosigkeit”

Entsprechend klar verteidigten australische Regierungsvertreter das Recht zur Meinungsfreiheit. Es gelte nicht nur für die eigenen Staatsbürger, sondern auch für Exilanten wie Ted Hui, der in Australien politisches Asyl genießt. “Diese Kopfgelder zeigen, wie machtlos die Kommunistische Partei Chinas gegenüber der Hongkonger Diaspora ist, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzt. Aber es verdeutlicht auch, dass China bereit ist, immer autoritärer aufzutreten, und eine Bedrohung für die Welt darstellt”, teilte Hui China.Table schriftlich mit.

Auch in Großbritannien verwahrte sich der Außenminister James Cleverly vor chinesischen Vorwürfen, sein Land würde “flüchtigen” Aktivisten aus Hongkong Schutz bieten. Vor zwei Jahren hatte unter anderem der Mitgründer der demokratischen Demosisto-Partei, Nathan Law, in Großbritannien Asyl erhalten. Auch er wird nun per Haftbefehl gesucht. Seitens der chinesischen Botschaft in London hieß es, dies sei “eine grobe Einmischung in den Hongkonger Rechtsstaat und Chinas innere Angelegenheiten”.

Viele Auslieferungsabkommen ausgesetzt

Die Rolle Großbritanniens als ehemalige Kolonialmacht ist eine besondere. Die Justiz Hongkongs hat noch immer Organe, in denen Richter aus dem Commonwealth Recht sprechen. Allerdings ist der Einfluss der ausländischen Richter inzwischen stark eingeschränkt. In Fällen, die das Nationale Sicherheitsgesetz betreffen, kann Regierungschef John Lee einen Richter für den Prozess auswählen.

Die Haftbefehle und Kopfgelder schlagen in liberalen Demokratien hohe Wellen, obwohl sie für den Augenblick eher symbolischer Natur sind. Denn die Gesuchten verstecken sich nicht, sondern leben öffentlich in Australien, den USA und Großbritannien. Alle drei Staaten haben – ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland – ihre Auslieferungsabkommen mit der früheren britischen Kronkolonie ausgesetzt. Damit verhindern sie, dass Hongkong über internationale Haftbefehle Zugriff auf die Betroffenen bekommt.

Allerdings müssen die Gesuchten gut überlegen, in welche Länder sie künftig ihren Fuß setzen wollen, und sei es für einen Transit am Flughafen. Denn viele Nationen haben weiterhin ein gültiges Auslieferungsabkommen mit Hongkong oder China. Auch politische Interessen in manchen Staaten können die Betroffenen in Gefahr bringen. Dennoch bleiben weite Teile des politischen Westens sichere Aufenthaltsorte.

Belohnung zehnmal so hoch wie für Sexualstraftäter

Regierungschef Lee, früher selbst Chef der Hongkonger Polizei, empfahl den Gesuchten, sich zu stellen, um eine Strafminderung zu bewirken. Andernfalls würden sie “täglich in Angst und Sorge leben, dass sie verhaftet werden könnten”.

Den ebenfalls gesuchten Ted Hui schüchtern die markigen Formulierungen offenbar nicht ein. Gegen ihn lägen bereits andere Haftbefehle vor. Das Kopfgeld ändere nichts an seiner persönlichen Situation und nehme auch keinen Einfluss auf seine Sicherheit, teilte er mit.

Mit einer Million Hongkong-Dollar liegt die Belohnung etwa zehnmal so hoch wie für die Ergreifung eines Sexualverbrechers. Jurist Yam hält das für “absoluten Irrsinn”. Er sieht die Kopfgelder deshalb auch als Warnung nach innen. Im Zuge der Pressekonferenz, bei der er und die sieben anderen prominent auf die Fahndungsliste gesetzt wurden, warnte die Polizei auch die Bürger der Stadt, sich sehr gut zu überlegen, was sie in sozialen Medien von sich geben.

  • Bürgerrechte
  • Hongkong
  • John Lee
  • Menschenrechte
  • Nationales Sicherheitsgesetz
  • Ted Hui

Zeitenwende bei deutsch-chinesischen Forschungskooperationen

Bettina Stark-Watzinger bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Während das BMBF in Taiwan neue Kooperationen vereinbarte, trat man in den Gesprächen mit China auf die Bremse.

Dialogbereitschaft auf der einen Seite und nur begrenzter Spielraum für neue Kooperationen auf der anderen Seite: Die Ausführungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu den siebten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, die im Juni in Berlin stattgefunden haben, beschreiben einen Spagat zwischen Kooperationswillen und Rückzugtendenzen.

In den Treffen mit den beiden Partnerministerien, dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MOST) und dem Ministerium für Bildung (MOW) sei man sich einig gewesen, “dass die Zusammenarbeit in Bildung und Forschung eine wichtige Grundlage der bilateralen Beziehungen darstellt”, sagte ein BMBF-Sprecher. Der chinesische Forschungsminister Wan Gang war nicht in Berlin, dafür sein Stellvertreter Zhang Guangiun.

Verhältnis auf dem Prüfstand und Vergleiche mit Russland

“Harter Wettbewerber” und “systemischer Rivale”: Das sind die Begriffe, die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger derzeit vornehmlich für China benutzt. So geschehen zum Beispiel am 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit China im vergangenen Oktober. Da hatte die Ministerin dazu aufgerufen, die “deutsch-chinesischen Beziehungen immer wieder kritisch zu hinterfragen”.

Im März reiste sie nach Taiwan und unterschrieb dort, trotz chinesischer Protestnote, Forschungsvereinbarungen mit der taiwanesischen Regierung. Nicht nur in den Beziehungen mit Russland hat seit dem russischen Angriffskrieg eine Zeitenwende stattgefunden. In der Politik will man sich nicht noch einmal Naivität im Umgang mit Abhängigkeiten vorwerfen lassen. Das Verhältnis mit China steht deshalb auf dem Prüfstand. Die Ausführungen des BMBF zum Verlauf der deutsch-chinesischen Konsultationen lesen sich wie eine Mängelliste:

  • Die Sanktionierung einzelner europäischer Wissenschaftler und Einrichtungen wertet das BMBF als Einschränkung des chinesischen Kooperationswillens.
  • Das Ministerium gibt an, in den Konsultationen die schwierigen Stipendienbedingungen des China Scholarship Council (CSC) angesprochen zu haben.
  • Das BMBF will deutlich gemacht haben, dass für gemeinsame und verantwortungsbewusste Wissenschaftskooperationen Rechtssicherheit nötig ist.
  • Man habe unterstrichen, dass die friedliche und gleichberechtigt uneingeschränkte Nutzung gemeinsam erzielter Forschungsergebnisse und der freie Transfer von Daten die Grundlage für Kooperationen darstelle.
  • Das BMBF habe zudem dargelegt, dass die Wiederaufnahme der ins Stocken geratenen Verhandlungen zwischen China und der EU zum “EU-China Science, Technology, Innovation-Roadmap” eine gute Basis für verlässliche Rahmenbedingungen wäre.

Berichte über militärnahe Forschung heizen Debatte an

Der Wille zum fortgesetzten Dialog sei aber auf beiden Seiten vorhanden, sagt der BMBF-Sprecher: “Die globalen Herausforderungen können nicht von einzelnen Akteuren gelöst werden – internationale Wissenschaftskooperation ist hierfür unerlässlich.” Als Zeichen des guten Willens habe man zwei Austauschworkshops zur Nachhaltigkeit vorgeschlagen und die chinesische Seite zur nächsten turnusmäßigen WTZ-Sitzung eingeladen.

Die Debatte über eine kritische Reflektion der Forschungsbeziehungen zwischen China und Deutschland hatte Anfang des Jahres auch der Bericht des amerikanischen Sicherheitsforschers Jeffrey Stoff und des von ihm gegründeten Unternehmen Center for Research Security and Integrity angeheizt. Stoff dokumentierte, wie deutsche Wissenschaftler mit militärnahen Instituten in China zusammenarbeiten, teilweise ohne es zu wissen. Sein Fazit: Das Problembewusstsein ist unterentwickelt.

Forschungskooperationen mit autoritären Staaten reflektieren

“Jeff Stoff hat uns zum Nachdenken und Reden gebracht, das ist auf jeden Fall ein Verdienst der Studie”, sagt Hannes Gohli, Geschäftsführer des China Kompetenzzentrums an der Universität Würzburg. Der China-Forscher hält die Methodik der Stoff-Studie zwar für wenig transparent und vermutet auch geschäftliche Interessen dahinter. Stoff will mit seiner Firma auch Sicherheitsdaten vertreiben. Insgesamt hält Gohli es aber für “sehr gesund, wenn man die Forschungskooperationen mit autoritären Staaten reflektiert und hinterfragt.”

Welch großen Bedarf es dafür gibt, sieht man allein an der Anzahl der Fachveranstaltungen, die es aktuell zu dem Thema gibt. Im Mai veranstaltete das BMBF im Rahmen des Projekts WIKOOP-Infra die Konferenz “Handlungssicherheit in Forschungskooperationen mit China” an der auch Staatssekretär Jens Brandenburg teilnahm. Auch Gohli diskutierte kürzlich über “Internationale Kooperationen in der Wissenschaft” mit China-Fokus an der Universität Ulm, unter anderem mit Jeffrey Stoff.

Zahlreiche Diskussionen: Suche nach neuem Umgang

Offensichtlich sucht man an vielen Stellen im deutschen Wissenschaftssystem gerade nach einem neuen Umgang mit China. Am heutigen Donnerstag diskutieren Experten am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) über das Thema: Deutsche Forschungskooperationen: Wissen Schaffen für oder mit China? Table.Media ist Kooperationspartner der Veranstaltung.

Laut Experte Sascha Klotzbücher, einem der Diskutanten, gelte es das große Interesse von chinesischen Forschern am Wissenschaftsstandort Deutschland für einen Dialog zu nutzen. “Dieser muss konsequent auf den Prinzipien und der Redefreiheit unserer Gesellschaft beruhen”. Deutschland brauche mehr und eine andere “Chinakompetenz” auch jenseits der Sinologie, meint der Associate Professor für Sinologie an der Comenius-Universität Bratislava.

Ratschlag: Kein genereller Rückzug, sondern Einzelfallprüfungen

Auch der Würzburger Experte Hannes Gohli plädiert für eine Strategie mit Bedacht und Nachhaltigkeit. Man sollte nicht generell Kooperationen einschränken, sondern “Einzelfälle sehr genau prüfen und die Chinaforschung und -kompetenz in der Wissenschaft deutlich ausbauen”. Die Universität Würzburg hat das China Kompetenzzentrum dafür Ende Oktober 2022 eröffnet. Ein Einzelkämpfer sei er aber nicht, sagt Gohli. An vielen Hochschulen in Deutschland gebe es gute Beratungsstrukturen. Auch die Leitlinien von der HRK, von der DAAD und auch von der BAFA seien eine gute Grundlage zur Beschäftigung mit dem Thema.

“Da wir nicht alle Fragen aus diesen Katalogen stellen können, das würde ForscherInnen überwältigen, suchen wir uns eben für anbahnende Kooperationen, basierend auf deren individuellen An- bzw. Herausforderungen, die entsprechenden Leitfragen aus den bereits existierenden Katalogen”, sagt Gohli. Generell solle man sich um mehr Dialog mit China bemühen, statt mit einer großen Geste Förderprogramme und -kooperationen abzubauen.

“Wir brauchen keine roten Linien, sondern eine gewissenhafte Einzelfallprüfung, mehr Personal und eine intensive Beschäftigung mit dem Thema.”

Warten auf die China-Strategie der Bundesregierung

Nach den Regierungskonsultationen ist nun vor der China-Strategie, auf die auch die Wissenschaftscommunity wartet. Die Bundesregierung hatte die Strategie ursprünglich für den 20. Juni angekündigt. Jetzt wird man in der Koalition wohl die Sommerpause nutzen, um über einen neuen Umgang und neue Lösungen im deutsch-chinesischen Verhältnis nachzudenken – auch im Bereich der Forschungskooperationen.

  • Wissenschaftskooperation

News

Zensoren sperren Online-Medien

Chinas Zensoren haben Anfang der Woche die Accounts der zwei einflussreichen Online-Medien Health Insight und Media Camp gesperrt. Die 2018 gegründete und auf Gesundheitswesen spezialisierte Plattform Health Insight hatte Skandale im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie aufgedeckt und dabei unter anderem ausführlich über den verstorbenen Whistleblower Li Wenliang oder die Auswirkungen der Lockdown-Maßnahmen auf die psychische Gesundheit berichtet.

Media Camp befasste sich mit Trends in der Nachrichtenbranche und diskutierte zuletzt offen die Schwierigkeiten, denen investigative Journalisten in China ausgesetzt sind. Ein aktueller Artikel befasste sich mit dem Fall eines Reporters, der im vergangenen Monat von der Polizei verprügelt wurde, nachdem er über einen Unfall berichtet hatte, bei dem zwei Lehrer in der südlichen Provinz Guizhou getötet wurden.

Die Sperrung der Social-Media-Konten geschah jeweils ohne Angabe von Gründen. Unabhängige Medien wie Media Camp und Health Insight, die vor allem über Kanäle wie Wechat veröffentlichen, befinden sich in einer rechtlichen Grauzone. Erst im März hatte die chinesische Internetaufsichtsbehörde eine Kampagne zur “strikten Regulierung des Chaos der selbst veröffentlichenden Medien” gestartet. fpe

  • Gesellschaft
  • Medien
  • Meinungsfreiheit
  • Menschenrechte

Frankreich will “soziale Probleme” bei Shein untersuchen

Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire will die französische Verbraucherschutzbehörde DGCCRF auf den chinesischen Fast-Fashion-Giganten Shein ansetzen. Er forderte die Behörde auf, eine Untersuchung gegen mehrere Fast-Fashion-Unternehmen einzuleiten, stellte dabei aber speziell Shein heraus. Le Maire macht die Ankündigung am Mittwochabend in einem Video auf Instagram. Er wolle, dass sich die Untersuchung auf die Umweltauswirkungen der Firmen, den Verbraucherschutz und “soziale Probleme” im Zusammenhang mit Fast-Fashion konzentriere.

“Wir kennen die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen diese Kleidung hergestellt wird, nicht”, sagte der Minister. Zudem gebe es nicht genügend Informationen über die Produktsicherheit der auf Shein verkauften Waren. Le Maire möchte demnach, dass die Generaldirektion für Wettbewerb, Verbraucherangelegenheiten und Betrugsbekämpfung (DGCCRF) ihre Ermittlungen bis Herbst abschließt. In Frankreich hatte es bereits eine Petition gegen Shein gegeben. Ein Pop-up-Store des Online-Modehändlers in der Hauptstadt Paris bekam viel Kritik – aber auch regen Kunden-Zulauf.

Die chinesische E-Commerce-Plattform hatte in den letzten Wochen versucht, ihr Image beim westlichen Publikum mit Influencer-Kampagnen in den sozialen Medien, vor allem auf Tiktok und Instagram, aufzubessern. Für mehrere Videos wurden dazu beispielsweise US-amerikanische Influencer nach China eingeladen, um eine Produktionsstätte zu besuchen und die vermeintlich unproblematischen Arbeitsbedingungen zu zeigen. Die Hochglanz-Kampagne wurde in den Sozialmedien zum großen Teil verrissen. ari

  • Frankreich
  • Handel
  • Shein

USA verklagen chinesische Fentanyl-Hersteller

Mitte Juni trafen sich Angehörige von Fentanyl-Toten in Austin/Texas, um eine Gesetzgebung für mehr Auklärung an Schulen über die Gefahren der Droge zu unterstützen.

Das US-Justizministerium hat Strafanzeige gegen vier chinesische Chemieunternehmen und acht Einzelpersonen erhoben. Der Vorwurf: Sie hätten illegal mit den Chemikalien gehandelt, die zur Herstellung von Fentanyl verwendet wurden. Fentanyl ist ein stark abhängig machendes Schmerzmittel. Der starke Konsum von Fentynyl hat die USA in eine tiefe Opioid-Krise gestürzt. Eine Überdosis Fentanyl ist in den USA eine häufige Todesursache.

China ist laut einer Studie der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA der größte Lieferant von illegal hergestelltem Fentanyl oder verwandten Stoffen. Der Vorwurf lautet, China flute den US-Markt mit der Droge und Peking schaue dabei weg. Die Anklagen von vergangenem Freitag sind der erste US-Versuch, ein chinesisches Unternehmen strafrechtlich zu verfolgen, die am Herstellungsprozess des Schmerzmittels beteiligt ist.

China reagierte empört auf den Vorgang. Das Außenministerium in Peking forderte, keine Vorwände rund um Fentanyl zu konstruieren. Augenscheinlich wolle man nur chinesische Unternehmen und Bürger sanktionieren und strafrechtlich verfolgen können. Vielmehr fordere man die sofortige Freilassung derjenigen, die “illegal verhaftet” wurden. rad

  • Gesundheit
  • USA

Moderna will in China forschen

Der US-Biopharmahersteller Moderna hat eine Vorvereinbarung über die Erforschung, Entwicklung und Herstellung von mRNA-Arzneien in China unterzeichnet. Das berichten die Nachrichtenagentur Bloomberg und das News-Portal Yicai. Das Unternehmen werde rund eine Milliarde Dollar investieren und damit auf dem zweitgrößten Pharmamarkt der Welt den Fuß in die Tür bekommen. Die Bereitschaft, auch Forschung und Entwicklung vor Ort anzusiedeln, ist in China oft Voraussetzung für den Marktzugang.

Chinas Handelsminister Wang Wentao hat am Mittwoch eine Veranstaltung mit Vertretern westlicher Firmen abgehalten. Anwesend waren auch Bayer, Novo Nordisk, Roche, Sanofi, AstraZeneca, Merck und Pfizer.

Rekordzahl von Corona-Toten

Möglicherweise ergibt sich in China auch weiterhin ein Markt für moderne Corona-Impfstoffe. Das chinesische Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention (CD) meldet für den Monat Juni 239 Corona-Tote – ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vormonaten. Im Mai vermeldete die Behörde 164 Todesfälle, im April und März wurden überhaupt keine gemeldet.

Zwei der Todesfälle im Juni waren der Behörde zufolge auf infektionsbedingtes Atemversagen zurückzuführen, während die anderen laut CDC mit Grunderkrankungen zu tun hatten. Dazu können Diabetes, Herzleiden, Bluthochdruck und andere chronische Krankheiten gehören. 

Zwischen dem 3. Januar 2020 und dem 5. Juli 2023 meldete China der Weltgesundheitsorganisation laut der Nachrichtenagentur AP 99.292.081 bestätigte Coronaerkrankungen und 121.490 Todesfälle. Experten schätzen allerdings, dass in China tatsächlich mehrere Hunderttausend Menschen gestorben sind. flee

  • Coronavirus
  • Null-Covid-Strategie
  • WHO

Schikanen gegen Menschenrechtler

Dreizehnmal in zwei Monaten – so oft ist der Menschenrechtsaktivist Wang Quanzhang zum Umzug gezwungen worden. Er wohne jetzt in einer geborgten Wohnung in einem Pekinger Vorort, in der häufig der Strom abgestellt werde, berichtet er gegenüber AP. Wie die Nachrichtenagentur weiter schreibt, habe ein anderer Anwalt Peking aufgrund der Schikanen verlassen. Ein dritter Anwalt sagte, er sei mehrfach von davor herumlungerten Männern daran gehindert worden, sie zu verlassen. Ein vierter Anwalt und seine Frau seien festgenommen worden sein.

Alle vier sind Mitglieder einer als 709 Anwälte bekannten Gruppe – der Name bezieht sich auf die englische Schreibweise eines Datums, dem 9. Juli 2015. Damals gingen die chinesischen Behörden gegen unabhängige Rechtsberatungen vor und nahmen Hunderte fest. Auch den nun vier betroffenen Anwälten wurden die Zulassungen entzogen. Sie können seitdem nur noch beratend tätig sein. flee

  • Menschenrechte

Heads

Wang Aizhong – In Haft wegen Posts auf Sozialmedien

Wang Aizhong wurde in Guangzhou zu drei Jahren Haft verurteilt.

Soziale Medien wirkten vor einigen Jahren noch wie ein Licht am Ende des Tunnels für die chinesische Zivilgesellschaft. Sie lieferten ein Forum, in dem Diskussionen zu Themen angestoßen wurden, die üblicherweise keinen Weg in die breite Öffentlichkeit fanden.

Wang Aizhong gehörte zu jenen Aktivisten, die das Potenzial der digitalen Verknüpfung von Millionen von Menschen einst nutzen wollten. 2013 gehörte er zu einer Gruppe, die im Rahmen der sogenannten Guangzhou-Proteste über Sozialmedien größere politische Freiheiten im Land forderte.

Schon damals erfuhr Wang die Angst des Regimes vor Veränderungen am eigenen Leib. Erstmals in Gewahrsam genommen wurde kurz vor dem 25. Jahrestag des Tiananmen-Massakers, weil die Behörden fürchteten, er und Gleichgesinnte könnten versuchen, ihre Landsleute an das Blutvergießen zu erinnern.

Verbreitung ausländischer Medienberichte

Damals kam Wang ohne Gefängnisstrafe davon, zumal sein vermeintliches Vergehen gemäß chinesischer Verfassung nicht illegal war, wie chinesische Menschenrechtsanwälte regelmäßig betonen. Doch was zum Beginn der Amtszeit von Xi Jinping in China noch vergleichsweise milde geahndet wurde, wird heutzutage wie ein schweres Verbrechen bestraft.

Wang wurde vor wenigen Tagen von einem Gericht in Guangzhou zu drei Jahren Haft verurteilt. Konkret wurde Wang vorgeworfen, ausländische Medienberichte über chinesische Sozialmedien verbreitet und damit aus Sicht der Justiz “Streit angezettelt und Unruhe gestiftet” zu haben. Ein Vergehen, das so vage formuliert ist, dass es von den Ermittlungsbehörden willkürlich ausgelegt werden kann, um politische Gegner hinter Gitter zu bringen. Wangs Frau Wang Henan bezeichnete das Urteil gegenüber Radio Free Asia als einen “Witz”.

Zahl inhaftierter Bürgerrechtler explodiert

Die potenzielle Reichweite von Aktivisten auf Sozialmedien fürchtet die chinesische Regierung so sehr, dass die Zahl derer, die sie als Sprachrohr nutzten und dafür in Haft gingen, dramatisch gestiegen ist. Schon vor zwei Jahren war die Zahl der Fälle förmlich explodiert.

Die Chinese Human Rights Defenders (CHRD) hatten vor drei Jahren 144 Fälle zusammengetragen, in denen Aktivisten inhaftiert wurden oder schlicht verschwanden. In fast allen Fällen lieferten deren Aktivitäten in sozialen Medien einen wichtigen Grund zur Verurteilung.

“Da die Familienangehörigen von politischen Gefangenen in einigen Fällen aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen und der weit verbreiteten Zensur in den Medien und sozialen Medien nicht bereit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen, sind diese Zahlen möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs”, vermuten die CHRD. Bis ins Jahr 2011, als Hu Jintao noch Parteichef war, belief sich die Zahl auf gerade einmal vier Fälle.

Führende Köpfe besonders hart bestraft

Die strenge und konsequente Ahndung jeglichen Dissens im digitalen Raum hat dafür gesorgt, dass die chinesische Zivilgesellschaft so gut wie am Ende ist. Verbliebene Kritiker werden drangsaliert und zum Schweigen gebracht. Wer sich den Drohungen der Sicherheitsbehörden widersetzt, geht ein großes Risiko ein, für mehrere Jahre im Gefängnis zu sitzen.

Die Haftzeit, so berichten viele Betroffene, findet oft unter menschenunwürdigen Bedingungen statt. Folter gilt als probates Mittel, um den Willen der Regimekritiker zu brechen und sie für alle Zeit zum Schweigen zu bringen. An führenden Köpfen der Menschenrechtsbewegung werden zudem Exempel statuiert. Aktuelles Beispiel sind die Juristen Ding Jiaxi und Xu Zhiyong, die einst die Neue Bürgerbewegung gegründet hatten und kürzlich zu zwölf und 14 Jahren Haft verurteilt wurden.

Wang Aizhong saß bereits zwei Jahren in Haft, ehe ihm der Prozess gemacht wurde. Im kommenden Jahr dürfte er wieder auf freien Fuß kommen. Durch die lange Ungewissheit eines schwebenden Verfahrens verschafft sich die Justiz zusätzlich Zeit, ihre Kritiker ohne große internationale Aufmerksamkeit wegzusperren, ehe die Fälle publik werden. Marcel Grzanna

  • Menschenrechte
  • Soziale Medien
  • Tiananmen-Massaker
  • Zivilgesellschaft

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Kopfgelder auf Hongkonger Exilanten sind vor allem eine Warnung nach innen: Wer sich gegen die Macht der KP auflehnt, der wird lebenslang gejagt. Marcel Grzanna zeichnet heute noch einmal die Widersprüche und Absurditäten der Haftbefehle gegen die engagierten Bürger nach. Die Belohnung, die für ihre Ergreifung ausgesetzt ist, ist zehnmal so hoch wie für Sexualstraftäter.

    Einer der Betroffenen soll dem Vorwurf zufolge “mit ausländischen Kräften zusammengearbeitet” haben – dabei ist er kein Hongkonger oder Chinese, sondern australischer Staatsbürger. Klar ist aber: Die nun per Haftbefehl Gesuchten sollten sich nicht mehr in Länder begeben, die sie an China ausliefern würden.

    Außerdem werfen wir heute noch einmal einen Blick zurück auf die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Die standen im Bereich Forschung im Zeichen eines neuen Misstrauens. Dabei war die Stimmung in der Forschungszusammenarbeit lange Zeit gut. Denn was sprach schon dagegen, voneinander lernen zu wollen? Doch auch das hat sich im deutsch-chinesischen Verhältnis gewaltig geändert.

    Erst kam Kritik an Konfuzius-Instituten auf, weil sie offenbar versuchen, auf die deutsche Hochschullandschaft politisch Einfluss zu nehmen. Dann sanktioniert die chinesische Seite ganze europäische Wissenschaftseinrichtungen. Und nicht zuletzt Berichte über deutsche Wissenschaftler, die offenbar unwissentlich mit militärnahen Instituten in China zusammenarbeiten, heizen die Debatte zusätzlich an. Immer mehr aus der akademischen Welt fragen sich, wie viel man überhaupt noch mit autoritären Staaten wissenschaftlich kooperieren kann.

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Analyse

    Hongkong jagt Opposition auch im Ausland

    Wahlen in Hongkong: John Lee, 64, wird am Sonntag aller Voraussicht nach zum neuen Regierungschef in Hongkong gewählt
    Hongkongs Regierungschef John Lee droht Oppositionellen, sie “bis an ihr Lebensende” zu verfolgen.

    Hongkongs Regierungschef John Lee offenbarte am Dienstag, was in seinem Kopf vorgeht. Der Statthalter zu Pekings Gnaden drohte der politischen Opposition im ausländischen Exil in Wildwest-Manier. “Wir werden sie für den Rest unseres Lebens verfolgen, auch wenn sie bis ans Ende der Welt laufen”, sagte Lee.

    Gerichtet war die Drohung vornehmlich an sieben Männer und eine Frau, gegen die am Vortag Haftbefehle erlassen worden waren. Die Polizei hatte Kopfgelder von jeweils einer Million Hongkong-Dollar (120.000 Euro) ausgesetzt. Der Vorwurf gegen die betroffenen Ex-Parlamentarier, Juristen, Publizisten, Ex-Studentenführer und Gewerkschafter lautet: Verstoß gegen das von Peking angeordnete Nationale Sicherheitsgesetz (NSL). Konkret heißt es, sie hätten mit ausländischen Kräften zusammengearbeitet, um die Stadt zu destabilisieren. Den Beschuldigten drohen im Fall einer Verurteilung lebenslange Haftstrafen.

    “Ich bin eine dieser ausländischen Kräfte”

    Das NSL hält seit nunmehr drei Jahren den Dissens in der Stadt in Schach. Artikel 38 reklamiert extraterritoriale Reichweite. Das heißt, auch wer außerhalb Hongkongs gegen das politische Regime arbeitet, macht sich nach Auffassung Hongkonger Behörden strafbar – völlig unabhängig von der Staatsbürgerschaft.

    Mit dem Juristen Kevin Yam steht auch ein Australier auf der Liste. “Es ist schon etwas absurd”, sagt Yam im Gespräch mit China.Table. “Mir wird vorgeworfen, mit ausländischen Kräften kooperiert zu haben. Dabei bin ich eine dieser ausländischen Kräfte.” Yam zog bereits als Kind mit seinen Eltern nach Australien und ist seit vielen Jahren australischer Staatsbürger. Als solcher habe er den Außenminister und Abgeordnete des Parlaments seines Landes getroffen.

    “Hongkongs Regierung will signalisieren, dass es ihr egal ist, dass andere Staaten ihren Bewohnern Bürgerrechte einräumen, die sie selbst nicht gewährt. Sie will uns mitteilen, dass sie jeden ins Visier nehmen kann, den sie ins Visier nehmen möchte“, sagt Yam.

    “Kopfgelder zeigen die Machtlosigkeit”

    Entsprechend klar verteidigten australische Regierungsvertreter das Recht zur Meinungsfreiheit. Es gelte nicht nur für die eigenen Staatsbürger, sondern auch für Exilanten wie Ted Hui, der in Australien politisches Asyl genießt. “Diese Kopfgelder zeigen, wie machtlos die Kommunistische Partei Chinas gegenüber der Hongkonger Diaspora ist, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzt. Aber es verdeutlicht auch, dass China bereit ist, immer autoritärer aufzutreten, und eine Bedrohung für die Welt darstellt”, teilte Hui China.Table schriftlich mit.

    Auch in Großbritannien verwahrte sich der Außenminister James Cleverly vor chinesischen Vorwürfen, sein Land würde “flüchtigen” Aktivisten aus Hongkong Schutz bieten. Vor zwei Jahren hatte unter anderem der Mitgründer der demokratischen Demosisto-Partei, Nathan Law, in Großbritannien Asyl erhalten. Auch er wird nun per Haftbefehl gesucht. Seitens der chinesischen Botschaft in London hieß es, dies sei “eine grobe Einmischung in den Hongkonger Rechtsstaat und Chinas innere Angelegenheiten”.

    Viele Auslieferungsabkommen ausgesetzt

    Die Rolle Großbritanniens als ehemalige Kolonialmacht ist eine besondere. Die Justiz Hongkongs hat noch immer Organe, in denen Richter aus dem Commonwealth Recht sprechen. Allerdings ist der Einfluss der ausländischen Richter inzwischen stark eingeschränkt. In Fällen, die das Nationale Sicherheitsgesetz betreffen, kann Regierungschef John Lee einen Richter für den Prozess auswählen.

    Die Haftbefehle und Kopfgelder schlagen in liberalen Demokratien hohe Wellen, obwohl sie für den Augenblick eher symbolischer Natur sind. Denn die Gesuchten verstecken sich nicht, sondern leben öffentlich in Australien, den USA und Großbritannien. Alle drei Staaten haben – ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland – ihre Auslieferungsabkommen mit der früheren britischen Kronkolonie ausgesetzt. Damit verhindern sie, dass Hongkong über internationale Haftbefehle Zugriff auf die Betroffenen bekommt.

    Allerdings müssen die Gesuchten gut überlegen, in welche Länder sie künftig ihren Fuß setzen wollen, und sei es für einen Transit am Flughafen. Denn viele Nationen haben weiterhin ein gültiges Auslieferungsabkommen mit Hongkong oder China. Auch politische Interessen in manchen Staaten können die Betroffenen in Gefahr bringen. Dennoch bleiben weite Teile des politischen Westens sichere Aufenthaltsorte.

    Belohnung zehnmal so hoch wie für Sexualstraftäter

    Regierungschef Lee, früher selbst Chef der Hongkonger Polizei, empfahl den Gesuchten, sich zu stellen, um eine Strafminderung zu bewirken. Andernfalls würden sie “täglich in Angst und Sorge leben, dass sie verhaftet werden könnten”.

    Den ebenfalls gesuchten Ted Hui schüchtern die markigen Formulierungen offenbar nicht ein. Gegen ihn lägen bereits andere Haftbefehle vor. Das Kopfgeld ändere nichts an seiner persönlichen Situation und nehme auch keinen Einfluss auf seine Sicherheit, teilte er mit.

    Mit einer Million Hongkong-Dollar liegt die Belohnung etwa zehnmal so hoch wie für die Ergreifung eines Sexualverbrechers. Jurist Yam hält das für “absoluten Irrsinn”. Er sieht die Kopfgelder deshalb auch als Warnung nach innen. Im Zuge der Pressekonferenz, bei der er und die sieben anderen prominent auf die Fahndungsliste gesetzt wurden, warnte die Polizei auch die Bürger der Stadt, sich sehr gut zu überlegen, was sie in sozialen Medien von sich geben.

    • Bürgerrechte
    • Hongkong
    • John Lee
    • Menschenrechte
    • Nationales Sicherheitsgesetz
    • Ted Hui

    Zeitenwende bei deutsch-chinesischen Forschungskooperationen

    Bettina Stark-Watzinger bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Während das BMBF in Taiwan neue Kooperationen vereinbarte, trat man in den Gesprächen mit China auf die Bremse.

    Dialogbereitschaft auf der einen Seite und nur begrenzter Spielraum für neue Kooperationen auf der anderen Seite: Die Ausführungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu den siebten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, die im Juni in Berlin stattgefunden haben, beschreiben einen Spagat zwischen Kooperationswillen und Rückzugtendenzen.

    In den Treffen mit den beiden Partnerministerien, dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MOST) und dem Ministerium für Bildung (MOW) sei man sich einig gewesen, “dass die Zusammenarbeit in Bildung und Forschung eine wichtige Grundlage der bilateralen Beziehungen darstellt”, sagte ein BMBF-Sprecher. Der chinesische Forschungsminister Wan Gang war nicht in Berlin, dafür sein Stellvertreter Zhang Guangiun.

    Verhältnis auf dem Prüfstand und Vergleiche mit Russland

    “Harter Wettbewerber” und “systemischer Rivale”: Das sind die Begriffe, die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger derzeit vornehmlich für China benutzt. So geschehen zum Beispiel am 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit China im vergangenen Oktober. Da hatte die Ministerin dazu aufgerufen, die “deutsch-chinesischen Beziehungen immer wieder kritisch zu hinterfragen”.

    Im März reiste sie nach Taiwan und unterschrieb dort, trotz chinesischer Protestnote, Forschungsvereinbarungen mit der taiwanesischen Regierung. Nicht nur in den Beziehungen mit Russland hat seit dem russischen Angriffskrieg eine Zeitenwende stattgefunden. In der Politik will man sich nicht noch einmal Naivität im Umgang mit Abhängigkeiten vorwerfen lassen. Das Verhältnis mit China steht deshalb auf dem Prüfstand. Die Ausführungen des BMBF zum Verlauf der deutsch-chinesischen Konsultationen lesen sich wie eine Mängelliste:

    • Die Sanktionierung einzelner europäischer Wissenschaftler und Einrichtungen wertet das BMBF als Einschränkung des chinesischen Kooperationswillens.
    • Das Ministerium gibt an, in den Konsultationen die schwierigen Stipendienbedingungen des China Scholarship Council (CSC) angesprochen zu haben.
    • Das BMBF will deutlich gemacht haben, dass für gemeinsame und verantwortungsbewusste Wissenschaftskooperationen Rechtssicherheit nötig ist.
    • Man habe unterstrichen, dass die friedliche und gleichberechtigt uneingeschränkte Nutzung gemeinsam erzielter Forschungsergebnisse und der freie Transfer von Daten die Grundlage für Kooperationen darstelle.
    • Das BMBF habe zudem dargelegt, dass die Wiederaufnahme der ins Stocken geratenen Verhandlungen zwischen China und der EU zum “EU-China Science, Technology, Innovation-Roadmap” eine gute Basis für verlässliche Rahmenbedingungen wäre.

    Berichte über militärnahe Forschung heizen Debatte an

    Der Wille zum fortgesetzten Dialog sei aber auf beiden Seiten vorhanden, sagt der BMBF-Sprecher: “Die globalen Herausforderungen können nicht von einzelnen Akteuren gelöst werden – internationale Wissenschaftskooperation ist hierfür unerlässlich.” Als Zeichen des guten Willens habe man zwei Austauschworkshops zur Nachhaltigkeit vorgeschlagen und die chinesische Seite zur nächsten turnusmäßigen WTZ-Sitzung eingeladen.

    Die Debatte über eine kritische Reflektion der Forschungsbeziehungen zwischen China und Deutschland hatte Anfang des Jahres auch der Bericht des amerikanischen Sicherheitsforschers Jeffrey Stoff und des von ihm gegründeten Unternehmen Center for Research Security and Integrity angeheizt. Stoff dokumentierte, wie deutsche Wissenschaftler mit militärnahen Instituten in China zusammenarbeiten, teilweise ohne es zu wissen. Sein Fazit: Das Problembewusstsein ist unterentwickelt.

    Forschungskooperationen mit autoritären Staaten reflektieren

    “Jeff Stoff hat uns zum Nachdenken und Reden gebracht, das ist auf jeden Fall ein Verdienst der Studie”, sagt Hannes Gohli, Geschäftsführer des China Kompetenzzentrums an der Universität Würzburg. Der China-Forscher hält die Methodik der Stoff-Studie zwar für wenig transparent und vermutet auch geschäftliche Interessen dahinter. Stoff will mit seiner Firma auch Sicherheitsdaten vertreiben. Insgesamt hält Gohli es aber für “sehr gesund, wenn man die Forschungskooperationen mit autoritären Staaten reflektiert und hinterfragt.”

    Welch großen Bedarf es dafür gibt, sieht man allein an der Anzahl der Fachveranstaltungen, die es aktuell zu dem Thema gibt. Im Mai veranstaltete das BMBF im Rahmen des Projekts WIKOOP-Infra die Konferenz “Handlungssicherheit in Forschungskooperationen mit China” an der auch Staatssekretär Jens Brandenburg teilnahm. Auch Gohli diskutierte kürzlich über “Internationale Kooperationen in der Wissenschaft” mit China-Fokus an der Universität Ulm, unter anderem mit Jeffrey Stoff.

    Zahlreiche Diskussionen: Suche nach neuem Umgang

    Offensichtlich sucht man an vielen Stellen im deutschen Wissenschaftssystem gerade nach einem neuen Umgang mit China. Am heutigen Donnerstag diskutieren Experten am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) über das Thema: Deutsche Forschungskooperationen: Wissen Schaffen für oder mit China? Table.Media ist Kooperationspartner der Veranstaltung.

    Laut Experte Sascha Klotzbücher, einem der Diskutanten, gelte es das große Interesse von chinesischen Forschern am Wissenschaftsstandort Deutschland für einen Dialog zu nutzen. “Dieser muss konsequent auf den Prinzipien und der Redefreiheit unserer Gesellschaft beruhen”. Deutschland brauche mehr und eine andere “Chinakompetenz” auch jenseits der Sinologie, meint der Associate Professor für Sinologie an der Comenius-Universität Bratislava.

    Ratschlag: Kein genereller Rückzug, sondern Einzelfallprüfungen

    Auch der Würzburger Experte Hannes Gohli plädiert für eine Strategie mit Bedacht und Nachhaltigkeit. Man sollte nicht generell Kooperationen einschränken, sondern “Einzelfälle sehr genau prüfen und die Chinaforschung und -kompetenz in der Wissenschaft deutlich ausbauen”. Die Universität Würzburg hat das China Kompetenzzentrum dafür Ende Oktober 2022 eröffnet. Ein Einzelkämpfer sei er aber nicht, sagt Gohli. An vielen Hochschulen in Deutschland gebe es gute Beratungsstrukturen. Auch die Leitlinien von der HRK, von der DAAD und auch von der BAFA seien eine gute Grundlage zur Beschäftigung mit dem Thema.

    “Da wir nicht alle Fragen aus diesen Katalogen stellen können, das würde ForscherInnen überwältigen, suchen wir uns eben für anbahnende Kooperationen, basierend auf deren individuellen An- bzw. Herausforderungen, die entsprechenden Leitfragen aus den bereits existierenden Katalogen”, sagt Gohli. Generell solle man sich um mehr Dialog mit China bemühen, statt mit einer großen Geste Förderprogramme und -kooperationen abzubauen.

    “Wir brauchen keine roten Linien, sondern eine gewissenhafte Einzelfallprüfung, mehr Personal und eine intensive Beschäftigung mit dem Thema.”

    Warten auf die China-Strategie der Bundesregierung

    Nach den Regierungskonsultationen ist nun vor der China-Strategie, auf die auch die Wissenschaftscommunity wartet. Die Bundesregierung hatte die Strategie ursprünglich für den 20. Juni angekündigt. Jetzt wird man in der Koalition wohl die Sommerpause nutzen, um über einen neuen Umgang und neue Lösungen im deutsch-chinesischen Verhältnis nachzudenken – auch im Bereich der Forschungskooperationen.

    • Wissenschaftskooperation

    News

    Zensoren sperren Online-Medien

    Chinas Zensoren haben Anfang der Woche die Accounts der zwei einflussreichen Online-Medien Health Insight und Media Camp gesperrt. Die 2018 gegründete und auf Gesundheitswesen spezialisierte Plattform Health Insight hatte Skandale im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie aufgedeckt und dabei unter anderem ausführlich über den verstorbenen Whistleblower Li Wenliang oder die Auswirkungen der Lockdown-Maßnahmen auf die psychische Gesundheit berichtet.

    Media Camp befasste sich mit Trends in der Nachrichtenbranche und diskutierte zuletzt offen die Schwierigkeiten, denen investigative Journalisten in China ausgesetzt sind. Ein aktueller Artikel befasste sich mit dem Fall eines Reporters, der im vergangenen Monat von der Polizei verprügelt wurde, nachdem er über einen Unfall berichtet hatte, bei dem zwei Lehrer in der südlichen Provinz Guizhou getötet wurden.

    Die Sperrung der Social-Media-Konten geschah jeweils ohne Angabe von Gründen. Unabhängige Medien wie Media Camp und Health Insight, die vor allem über Kanäle wie Wechat veröffentlichen, befinden sich in einer rechtlichen Grauzone. Erst im März hatte die chinesische Internetaufsichtsbehörde eine Kampagne zur “strikten Regulierung des Chaos der selbst veröffentlichenden Medien” gestartet. fpe

    • Gesellschaft
    • Medien
    • Meinungsfreiheit
    • Menschenrechte

    Frankreich will “soziale Probleme” bei Shein untersuchen

    Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire will die französische Verbraucherschutzbehörde DGCCRF auf den chinesischen Fast-Fashion-Giganten Shein ansetzen. Er forderte die Behörde auf, eine Untersuchung gegen mehrere Fast-Fashion-Unternehmen einzuleiten, stellte dabei aber speziell Shein heraus. Le Maire macht die Ankündigung am Mittwochabend in einem Video auf Instagram. Er wolle, dass sich die Untersuchung auf die Umweltauswirkungen der Firmen, den Verbraucherschutz und “soziale Probleme” im Zusammenhang mit Fast-Fashion konzentriere.

    “Wir kennen die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen diese Kleidung hergestellt wird, nicht”, sagte der Minister. Zudem gebe es nicht genügend Informationen über die Produktsicherheit der auf Shein verkauften Waren. Le Maire möchte demnach, dass die Generaldirektion für Wettbewerb, Verbraucherangelegenheiten und Betrugsbekämpfung (DGCCRF) ihre Ermittlungen bis Herbst abschließt. In Frankreich hatte es bereits eine Petition gegen Shein gegeben. Ein Pop-up-Store des Online-Modehändlers in der Hauptstadt Paris bekam viel Kritik – aber auch regen Kunden-Zulauf.

    Die chinesische E-Commerce-Plattform hatte in den letzten Wochen versucht, ihr Image beim westlichen Publikum mit Influencer-Kampagnen in den sozialen Medien, vor allem auf Tiktok und Instagram, aufzubessern. Für mehrere Videos wurden dazu beispielsweise US-amerikanische Influencer nach China eingeladen, um eine Produktionsstätte zu besuchen und die vermeintlich unproblematischen Arbeitsbedingungen zu zeigen. Die Hochglanz-Kampagne wurde in den Sozialmedien zum großen Teil verrissen. ari

    • Frankreich
    • Handel
    • Shein

    USA verklagen chinesische Fentanyl-Hersteller

    Mitte Juni trafen sich Angehörige von Fentanyl-Toten in Austin/Texas, um eine Gesetzgebung für mehr Auklärung an Schulen über die Gefahren der Droge zu unterstützen.

    Das US-Justizministerium hat Strafanzeige gegen vier chinesische Chemieunternehmen und acht Einzelpersonen erhoben. Der Vorwurf: Sie hätten illegal mit den Chemikalien gehandelt, die zur Herstellung von Fentanyl verwendet wurden. Fentanyl ist ein stark abhängig machendes Schmerzmittel. Der starke Konsum von Fentynyl hat die USA in eine tiefe Opioid-Krise gestürzt. Eine Überdosis Fentanyl ist in den USA eine häufige Todesursache.

    China ist laut einer Studie der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA der größte Lieferant von illegal hergestelltem Fentanyl oder verwandten Stoffen. Der Vorwurf lautet, China flute den US-Markt mit der Droge und Peking schaue dabei weg. Die Anklagen von vergangenem Freitag sind der erste US-Versuch, ein chinesisches Unternehmen strafrechtlich zu verfolgen, die am Herstellungsprozess des Schmerzmittels beteiligt ist.

    China reagierte empört auf den Vorgang. Das Außenministerium in Peking forderte, keine Vorwände rund um Fentanyl zu konstruieren. Augenscheinlich wolle man nur chinesische Unternehmen und Bürger sanktionieren und strafrechtlich verfolgen können. Vielmehr fordere man die sofortige Freilassung derjenigen, die “illegal verhaftet” wurden. rad

    • Gesundheit
    • USA

    Moderna will in China forschen

    Der US-Biopharmahersteller Moderna hat eine Vorvereinbarung über die Erforschung, Entwicklung und Herstellung von mRNA-Arzneien in China unterzeichnet. Das berichten die Nachrichtenagentur Bloomberg und das News-Portal Yicai. Das Unternehmen werde rund eine Milliarde Dollar investieren und damit auf dem zweitgrößten Pharmamarkt der Welt den Fuß in die Tür bekommen. Die Bereitschaft, auch Forschung und Entwicklung vor Ort anzusiedeln, ist in China oft Voraussetzung für den Marktzugang.

    Chinas Handelsminister Wang Wentao hat am Mittwoch eine Veranstaltung mit Vertretern westlicher Firmen abgehalten. Anwesend waren auch Bayer, Novo Nordisk, Roche, Sanofi, AstraZeneca, Merck und Pfizer.

    Rekordzahl von Corona-Toten

    Möglicherweise ergibt sich in China auch weiterhin ein Markt für moderne Corona-Impfstoffe. Das chinesische Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention (CD) meldet für den Monat Juni 239 Corona-Tote – ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vormonaten. Im Mai vermeldete die Behörde 164 Todesfälle, im April und März wurden überhaupt keine gemeldet.

    Zwei der Todesfälle im Juni waren der Behörde zufolge auf infektionsbedingtes Atemversagen zurückzuführen, während die anderen laut CDC mit Grunderkrankungen zu tun hatten. Dazu können Diabetes, Herzleiden, Bluthochdruck und andere chronische Krankheiten gehören. 

    Zwischen dem 3. Januar 2020 und dem 5. Juli 2023 meldete China der Weltgesundheitsorganisation laut der Nachrichtenagentur AP 99.292.081 bestätigte Coronaerkrankungen und 121.490 Todesfälle. Experten schätzen allerdings, dass in China tatsächlich mehrere Hunderttausend Menschen gestorben sind. flee

    • Coronavirus
    • Null-Covid-Strategie
    • WHO

    Schikanen gegen Menschenrechtler

    Dreizehnmal in zwei Monaten – so oft ist der Menschenrechtsaktivist Wang Quanzhang zum Umzug gezwungen worden. Er wohne jetzt in einer geborgten Wohnung in einem Pekinger Vorort, in der häufig der Strom abgestellt werde, berichtet er gegenüber AP. Wie die Nachrichtenagentur weiter schreibt, habe ein anderer Anwalt Peking aufgrund der Schikanen verlassen. Ein dritter Anwalt sagte, er sei mehrfach von davor herumlungerten Männern daran gehindert worden, sie zu verlassen. Ein vierter Anwalt und seine Frau seien festgenommen worden sein.

    Alle vier sind Mitglieder einer als 709 Anwälte bekannten Gruppe – der Name bezieht sich auf die englische Schreibweise eines Datums, dem 9. Juli 2015. Damals gingen die chinesischen Behörden gegen unabhängige Rechtsberatungen vor und nahmen Hunderte fest. Auch den nun vier betroffenen Anwälten wurden die Zulassungen entzogen. Sie können seitdem nur noch beratend tätig sein. flee

    • Menschenrechte

    Heads

    Wang Aizhong – In Haft wegen Posts auf Sozialmedien

    Wang Aizhong wurde in Guangzhou zu drei Jahren Haft verurteilt.

    Soziale Medien wirkten vor einigen Jahren noch wie ein Licht am Ende des Tunnels für die chinesische Zivilgesellschaft. Sie lieferten ein Forum, in dem Diskussionen zu Themen angestoßen wurden, die üblicherweise keinen Weg in die breite Öffentlichkeit fanden.

    Wang Aizhong gehörte zu jenen Aktivisten, die das Potenzial der digitalen Verknüpfung von Millionen von Menschen einst nutzen wollten. 2013 gehörte er zu einer Gruppe, die im Rahmen der sogenannten Guangzhou-Proteste über Sozialmedien größere politische Freiheiten im Land forderte.

    Schon damals erfuhr Wang die Angst des Regimes vor Veränderungen am eigenen Leib. Erstmals in Gewahrsam genommen wurde kurz vor dem 25. Jahrestag des Tiananmen-Massakers, weil die Behörden fürchteten, er und Gleichgesinnte könnten versuchen, ihre Landsleute an das Blutvergießen zu erinnern.

    Verbreitung ausländischer Medienberichte

    Damals kam Wang ohne Gefängnisstrafe davon, zumal sein vermeintliches Vergehen gemäß chinesischer Verfassung nicht illegal war, wie chinesische Menschenrechtsanwälte regelmäßig betonen. Doch was zum Beginn der Amtszeit von Xi Jinping in China noch vergleichsweise milde geahndet wurde, wird heutzutage wie ein schweres Verbrechen bestraft.

    Wang wurde vor wenigen Tagen von einem Gericht in Guangzhou zu drei Jahren Haft verurteilt. Konkret wurde Wang vorgeworfen, ausländische Medienberichte über chinesische Sozialmedien verbreitet und damit aus Sicht der Justiz “Streit angezettelt und Unruhe gestiftet” zu haben. Ein Vergehen, das so vage formuliert ist, dass es von den Ermittlungsbehörden willkürlich ausgelegt werden kann, um politische Gegner hinter Gitter zu bringen. Wangs Frau Wang Henan bezeichnete das Urteil gegenüber Radio Free Asia als einen “Witz”.

    Zahl inhaftierter Bürgerrechtler explodiert

    Die potenzielle Reichweite von Aktivisten auf Sozialmedien fürchtet die chinesische Regierung so sehr, dass die Zahl derer, die sie als Sprachrohr nutzten und dafür in Haft gingen, dramatisch gestiegen ist. Schon vor zwei Jahren war die Zahl der Fälle förmlich explodiert.

    Die Chinese Human Rights Defenders (CHRD) hatten vor drei Jahren 144 Fälle zusammengetragen, in denen Aktivisten inhaftiert wurden oder schlicht verschwanden. In fast allen Fällen lieferten deren Aktivitäten in sozialen Medien einen wichtigen Grund zur Verurteilung.

    “Da die Familienangehörigen von politischen Gefangenen in einigen Fällen aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen und der weit verbreiteten Zensur in den Medien und sozialen Medien nicht bereit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen, sind diese Zahlen möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs”, vermuten die CHRD. Bis ins Jahr 2011, als Hu Jintao noch Parteichef war, belief sich die Zahl auf gerade einmal vier Fälle.

    Führende Köpfe besonders hart bestraft

    Die strenge und konsequente Ahndung jeglichen Dissens im digitalen Raum hat dafür gesorgt, dass die chinesische Zivilgesellschaft so gut wie am Ende ist. Verbliebene Kritiker werden drangsaliert und zum Schweigen gebracht. Wer sich den Drohungen der Sicherheitsbehörden widersetzt, geht ein großes Risiko ein, für mehrere Jahre im Gefängnis zu sitzen.

    Die Haftzeit, so berichten viele Betroffene, findet oft unter menschenunwürdigen Bedingungen statt. Folter gilt als probates Mittel, um den Willen der Regimekritiker zu brechen und sie für alle Zeit zum Schweigen zu bringen. An führenden Köpfen der Menschenrechtsbewegung werden zudem Exempel statuiert. Aktuelles Beispiel sind die Juristen Ding Jiaxi und Xu Zhiyong, die einst die Neue Bürgerbewegung gegründet hatten und kürzlich zu zwölf und 14 Jahren Haft verurteilt wurden.

    Wang Aizhong saß bereits zwei Jahren in Haft, ehe ihm der Prozess gemacht wurde. Im kommenden Jahr dürfte er wieder auf freien Fuß kommen. Durch die lange Ungewissheit eines schwebenden Verfahrens verschafft sich die Justiz zusätzlich Zeit, ihre Kritiker ohne große internationale Aufmerksamkeit wegzusperren, ehe die Fälle publik werden. Marcel Grzanna

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    China.Table Redaktion

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