Table.Briefing: China

Interview Samuel Chu + Konjunkturprogramm 2.0

  • Hongkonger Aktivist Samuel Chu: “Die Bewegung braucht Institutionen”
  • Konjunktur: 5G und Fotovoltaik statt Straßen und Schienen
  • Nach Pelosi-Besuch reisen weitere US-Politiker nach Taiwan
  • Rückzug von New Yorker Börse
  • Weiterer Bevölkerungsrückgang in Hongkong
  • Exodus der Expats aus China
  • World Gay Pride 2025 in Taiwan abgesagt
  • Im Portrait: David Santoro, Leiter des Pazific-Forums
  • Zur Sprache: Tierische Redewendungen
Liebe Leserin, lieber Leser,

im Nachrichtengeschäft ist das zwar normal. Und doch ist es erschreckend, wie schnell die Anliegen der Hongkonger Demokratiebewegung angesichts von Ukraine-Krieg und der immer mehr sich zeigenden Klimakrise in der Weltöffentlichkeit in den Hintergrund gerückt sind. Dabei setzen sich Hongkonger Aktivistinnen und Aktivisten aus ihren Exilen in London, Taiwan, USA und Berlin weiter für die Freiheitsrechte in ihrer Heimatstadt ein.

Einer, der sie tatkräftig unterstützt, ist Samuel Chu. Langfristige politische Erfolge brauchen politische Institutionen, die jetzt aufgebaut werden müssen, sagt der erfahrene Aktivist im Interview mit Fabian Peltsch. “Das ist hart, zäh, und manchmal frustrierend.” Nur so könne die Bewegung wachsen und sich weiterentwickeln – sie braucht einen langen Atem.

Weniger auf einen langen Atem als vielmehr auf Wumms setzt die chinesische Regierung, wenn es um die Ankurbelung der angeschlagenen Konjunktur der zweitgrößten Volkswirtschaft geht. Doch dieses Mal steckt sie ihre Milliarden nicht mehr nur in den Bau von noch mehr Autobahnen, Schienen und Hochhäusern, sondern in das 5G-Netzwerk, in Cloud-Computing und Erneuerbare Energien. Das ist richtig und sinnvoll, wie aus der Analyse unseres Autorenteams aus Peking hervorgeht.

Und die Europäer? Sie dürften sich nicht nur angesichts eines bevorstehenden Gasmangels in diesem Winter einmal mehr warm anziehen. Vergleichbare Programme zum Ausbau moderner Infrastrukturen, die China nun auf den Weg bringt, könnten wir hierzulande ebenfalls gut gebrauchen.

Viele neue Erkenntnisse beim Lesen!

Ihr
Felix Lee
Bild von Felix  Lee

Interview

Hongkong-Aktivist Samuel Chu: “Ich habe die Bewegung ins Weiße Haus getragen”

Möchte die Hongkonger Protestbewegung auf langfristige Ziele einschwören: Samuel Chu.
Möchte die Hongkonger Protestbewegung auf langfristige Ziele einschwören: Samuel Chu.

Ende Mai besuchten Sie Oslo, wo während der Freedom Forum Conference eine Kopie der “Säule der Schande” auf einem Universitätsgelände errichtet wurde. Derzeit arbeiten Sie daran, dass eine Kopie des Kunstwerkes des dänischen Künstlers Jens Galshiøst auch in Berlin vorübergehend einen Platz findet. Welchen Symbolwert messen Sie dem Werk bei?

Zum einen sehe ich es als Zeichen der Solidarität mit den Menschen von Hongkong, die einen Großteil der Rechte, die ihnen unter dem Prinzip “Ein Land, zwei Systeme” zugebilligt wurden, eingebüßt haben. Die Skulptur soll daran erinnern, wie schnell der Niedergang dieser Rechte in Hongkong vonstattenging und wie verlässlich Chinas Versprechungen tatsächlich sind. Zum anderen betrachte ich die “Säule der Schande” auch als eine Art Kanarienvogel in der Kohlemine: Wenn eine Kopie nach Berlin kommt, werden zahlreiche Gegner an die Öffentlichkeit kommen, chinesische Studenten werden dagegen protestieren, chinesische Agenten werden sichtbar werden. Und auch Menschen in der Politik. Das ist gut. So können wir entlarven, wie groß der Einfluss Chinas schon jetzt in Deutschland ist.

Wenn ich Politiker treffe, auch hier in Deutschland, spreche ich mit ihnen darüber, warum ein freies Hongkong in ihrem Interesse ist. Und das, was in Hongkong passiert, auch ein Auftakt sein kann für das, was an anderen Orten der Welt passieren könnte.

Sie verbinden mit dem Kunstwerk auch eine persönliche Geschichte.

Mein Vater war einer der ersten, der von Jens kontaktiert wurde, als es darum ging, das Kunstwerk nach Hongkong zu bringen. Mein Vater war damals, Mitte der 1990er-Jahre, einer der Führer der Hongkong Alliance, später die größte Organisation, die sich für Demokratie und Tiananmen-Erinnerungskultur in Hongkong einsetzte. Sie wollten die Statue unbedingt vor der Übergabe der britischen Kronkolonie in Hongkong errichten. Es sollte ein Test sein, inwieweit China tatsächlich die Rechte der Bürger von Hongkong nach 1997 wahren würde. 32 Jahre stand sie in der Stadt und geriet fast in Vergessenheit. Das große sichtbare internationale Symbol für den Niedergang des freien Hongkongs wurde sie erst 2021, als sie aufgrund von politischem Druck entfernt werden musste.

Ihr Vater, der Baptistenpastor und Occupy-Central-Mitbegründer Chu Yiu-ming, ist einer der bekanntesten Menschenrechtler Hongkongs. Welchen Einfluss hatte ihr Familienhintergrund auf Ihre politische Arbeit?

Mein Vater leitete 1989 die Operation “Yellow Bird”, die half, politische Flüchtlinge aus China über Hongkong ins Ausland zu bringen. Als Konsequenz verbrachte ich als junger Menschen viel Zeit mit politischen Flüchtlingen. Wir spielten Fußball und Karten, während sie auf ihre humanitären Visa für eine Weiterreise warteten. Das hat meine Perspektive auf die Diaspora und Dissidenten geprägt. Die chinesische Regierung war in ihrem Vorgehen gegen sie lange effektiv, denn sie wusste: Waren die Aktivisten erst einmal nach Übersee geflohen, würde man bald nichts mehr von ihnen hören. Politische Gruppen waren im Ausland isoliert, die Energie der Proteste versandete. Meine Arbeit besteht heute darin, das zu ändern.

Inwiefern?

Ich habe meine gesamte Karriere dem Aufbau politischer Bewegungen in der demokratischen Welt gewidmet, von Klimaschutz, über LGBTQ- bis hin zu Black-Lives-Matter-Gruppen. Bei allen geht es darum, von einer Protestbewegung in etwas Größeres, Beständigeres zu wachsen. Wir haben ja die Tendenz, Protestbewegungen zu romantisieren. Was ich dabei immer wieder predige, ist: Protestbewegungen verlassen sich sehr auf einzelne charismatische Personen. Langfristige politische Bemühungen müssen sich aber auf politische Institutionen verlassen. Und diese müssen jetzt aufgebaut werden. Das ist hart, zäh, und manchmal frustrierend. Aber nur so kann die Bewegung wachsen und sich weiterentwickeln.

Ein Journalist aus Hongkong, der nun in Deutschland lebt, berichtete mir, dass viele Hongkonger, die sich vor Ort für die Stadt aufopferten, als Diaspora im Ausland kaum Zusammenhalt finden. Haben Sie ähnliches beobachtet?

Man hat da Demonstranten, die auf Leben und Tod für ihre Rechte eingetreten sind. Viele stecken in diesem Protest-Mindset fest. Sie stehen jeden Morgen auf und wollen der Welt entgegenschreien: “Schaut, was in Hongkong passiert!” Man darf nicht vergessen, dass Hongkong nie eine Demokratie war. Die Menschen konnten im Prinzip nichts anderes tun als zu protestieren, um gehört zu werden. Die Diaspora ist so davon in Anspruch genommen, darauf zu reagieren was zu Hause in Hongkong passiert, dass sie sich nicht auf eine enge Beziehung zur lokalen politischen Community einlassen kann. Aber ein solcher Einfluss ist nötig, um langfristig etwas zu bewegen. Das heißt nicht, dass sie Hongkong aufgeben.

Einige Menschen aus Hongkong haben wohl noch immer die Hoffnung, dass sich die Ereignisse in ihrer Heimatstadt auf die ein- oder andere Weise umkehren lassen.

Es gibt keine magische Formel, mit der man Hongkong wieder zu dem machen kann, was es war. Der UN-Menschenrechtsrat hat die Regierung in Hongkong erst kürzlich zum Widerruf des Nationalen Sicherheitsgesetzes aufgerufen. Ich bin natürlich froh darüber, dass das so offiziell festgehalten wurde. Aber man kann nicht mehr ungeschehen machen, dass 10.000 Menschen aufgrund von friedlichen Protesten angezeigt und über 200 Aktivisten wie Jimmy Lai unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz verhaftet wurden.

Vor zwei Jahren wurde in Hongkong auch ein Haftbefehl gegen Sie ausgestellt. Und das, obwohl sie seit 30 Jahren in den USA leben und US-Bürger sind. Ein Präzedenzfall.

Ich habe zu einem gewissen Grad dabei geholfen, die Regeln und die Strategien umzuschreiben. Ich mache meine politische Arbeit hauptsächlich hinter den Kulissen. Als die Proteste 2019 einen Höhepunkt erreichten, bin ich nicht nach Hongkong geflogen, um in die Kameras zu sprechen. Ich entschied mich, mit dem Hong Kong Democracy Council eine Hilfsorganisation zu gründen, die in Übersee von US-Staatsbürgern geleitet wird. Es ist eine Organisation, die tatsächlich Gesetze beeinflussen kann und sich nicht nur auf Proteste und Gedenkveranstaltungen verlässt. So eine Art von Organisation ist mächtiger und eindrucksvoller, um sich gegen die chinesische Regierung durchzusetzen. Danach habe ich die “Kampagne für Hongkong” gegründet, die ich noch immer leite.

Und das macht Sie zum Staatsfeind?

Im Nationalen Sicherheitsgesetz gibt es einen Paragrafen, der sich direkt an mich, meine Organisation und unsere Art zu arbeiten zu richten scheint. Da steht, frei übersetzt: Egal wer du bist und woher du kommst, wir kriegen dich. Ich habe die Bewegung von der Straße in das Parlament getragen und von dort ins Weiße Haus. Das ist ein Shift, den Chinas Regierung nicht erwartet hat. Deshalb mussten sie ihr Playbook überarbeiten und auch ausländische Aktivisten ins Visier nehmen. In diesem Sinne bin ich vielleicht selbst ein bisschen wie der “Pillar Of Shame”. Wo ich auftauche, werden unsichtbare chinesische Kräfte sichtbar.

Samuel Chu, 44, ist Präsident der “Campaign for Hong Kong”, einer Organisation, die sich für eine Politik einsetzt, die Menschenrechte und Demokratie in Hongkong fördert. Zuvor war er Gründer und Direktor des Hong Kong Democracy Council (HKDC) mit Sitz in Washington, D.C. In dieser Position spielte er eine führende Rolle bei der Verabschiedung mehrerer Gesetze zur Unterstützung Hongkongs im US-Kongress. Im Juli 2020 erließen die Hongkonger Behörden einen Haftbefehl gegen Chu, womit er der erste ausländische Staatsbürger ist, der infolge des Nationalen Sicherheitsgesetzes ins Visier genommen wurde.

  • Hongkong
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Analyse

Statt Straßen und Schienen: 5G-Netzwerke und Big Data 

So wie hier in Gonghe, Provinz Qinghai, entstehen landesweit Hunderte neue Fotovoltaikanlagen. Sie sind Teil des Programms zur Stützung der angeschlagenen Konjunktur. Zur Stützung der Wirtschaft setzt China nun auch mehr auf 5G-Ausbau und Big-Data-Infrastruktur.
So wie hier in Gonghe, Provinz Qinghai, entstehen landesweit Hunderte neue Fotovoltaikanlagen. Sie sind Teil des Programms zur Stützung der angeschlagenen Konjunktur.

“Wer reich werden will, muss zuerst eine Straße bauen.” Das alte chinesische Sprichwort scheint ausgedient zu haben, wenn man sich die neuen Infrastruktur-Pläne Pekings vor Augen führt. Die Regierung will in der zweiten Jahreshälfte die durch die harten Corona-Maßnahmen ausgebremste Konjunktur ankurbeln. Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal gerade mal noch um 0,4 Prozent. Damit will sich die Führung nicht noch einmal zufriedengeben. Mehr als eine Billion Yuan (etwa 145 Milliarden Euro) werden deshalb an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt. 

Anders als bei früheren Infrastruktur-Offensiven werden es dieses Mal allerdings weniger Straßen, Schienen und Flughäfen sein, die der Wirtschaft Schwung verleihen sollen. Peking will das Geld vor allem für den Ausbau der “neuen Infrastruktur” nutzen. “Projekte für erneuerbare Energien, im Technologie-Bereich und der Wasserwirtschaft werden zu den größten Nutznießern von Chinas neuem  Infrastrukturinvestitionsboom gehören”, schreibt das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin, das gleichzeitig vom größten Konjunkturpaket seit der Finanzkrise 2008 spricht. Damals mobilisierte Peking rund vier Billionen Yuan, die einen gewaltigen Bauboom auslösten. Gleichzeitig schoss die Verschuldung von Staatsfirmen und Lokalregierungen in die Höhe. 

Erneuerbare Energie boomt

Vierzehn Jahre später sollen andere Sektoren von den Konjunktur-Milliarden profitieren. “Das Land hat bereits ein angemessenes Netzwerk von Eisenbahnen, Autobahnen und Flughäfen”, so der Pekinger Makroökonom Zhu Changzheng. Mit Zuflüssen könnten nun Bereiche rechnen, die vom der zuständigen Pekinger Entwicklungs- und Reformkommission als “neue Infrastruktur” eingestuft werden. Die Förderung von Künstlicher Intelligenz, Blockchain-Anwendungen, Cloud-Computing, Big Data und 5G gehören hierzu. Auch erneuerbare Energiequellen dürften einen weiteren Schub erfahren. 

Dass die Geldströme dieses Mal ganz anders fließen, lässt sich bereits seit einigen Monaten beobachtenLaut Caixin gingen in der ersten Jahreshälfte die Ausgaben für neue Schienen- und Straßen im Vorjahresvergleich um 4,4 Prozent beziehungsweise 0,2 Prozent zurückEinen Boom erlebt dagegen der Ausbau neuer Energiequellen. Allein die Ausgaben für neue Fotovoltaik-Anlagen stiegen in der ersten Jahreshälfte um 173 Prozent auf umgerechnet 41 Milliarden Dollar an. 58 Milliarden Dollar oder 107 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2021 flossen derweil in neue Windprojekte, wie die Analysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) errechnet haben. 

Begrenzte Wirkung auf das Wachstum

“Die grüne Infrastruktur ist das derzeit wichtigste Investment, auf das China setzt, um die schwächelnde Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder anzukurbeln”, sagt Bloomberg-Analyst Nannan Kou. Doch auch in anderen Feldern treibt China Investitionen voran. So soll laut Caixin ebenfalls viel Geld für den Hochwasserschutz in die Hand genommen werden. Auch die Modernisierung des maroden Gas-Netzes steht auf Pekings To-do-Liste.

Zwar sind sich Ökonomen einig, dass das Infrastruktur-Paket der Wirtschaft gewissen Rückenwind verleihen wird. Jedoch dürfte es schwierig werden, das angestrebte Wachstumsziel von rund fünf Prozent noch zu erreichen. Laut der Staatszeitung Global Times machten Chinas Infrastruktur-Ausgaben allein im Juli zwar einen Sprung um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das gesamte Infrastruktur-Paket werde bis zum Jahresende jedoch wohl nur etwa einen Prozentpunkt zusätzliches Wachstum generieren können. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

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News

Weitere US-Abgeordnete besuchen Taiwan

Kurz nach dem umstrittenen Taiwan-Besuch der Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, ist am Sonntag eine weitere US-Delegation zur Insel-Republik gereist. Mitglieder des US-Kongresses würden von Sonntag bis Montag Taiwan besuchen, teilte die Vertretung der USA in Taiwan mit. Die Visite sei Teil einer Reise in die indopazifische Region, heißt es in der Stellungnahme der Vertretung, die die Aufgaben einer Botschaft wahrnimmt. Es werde bei Treffen mit Politikern Taiwans unter anderem um die Beziehungen zwischen beiden Republiken und globale Lieferketten gehen.

Pelosi hatte vergangene Woche Taiwan besucht. China sieht in diesen Besuchen von US-Politikern eine Provokation und Verletzung der eigenen Souveränität und startete nach ihrer Abreise Manöver in unmittelbarer Nähe der Insel Manöver in einem bislang nie dagewesenem Ausmaß.

Ungeachtet der verschärften Spannungen mit China wegen Taiwan kündigte der Koordinator für die Asien-Pazifik-Region der US-Regierung, Kurt Campbell, am Freitag in Washington an, in den “kommenden Wochen” mit Schiffen und Flugzeugen die Taiwanstraße zu durchqueren. Auch wollen die Vereinigten Staaten ihre Handelsbeziehungen zu Taiwan ausbauen. Die US-Streitkräfte würden “im Einklang mit ihrer langfristigen Verpflichtung für die Freiheit der Navigation” weiterhin fliegen, auf der See fahren und dort operieren, wo das Völkerrecht das erlaubt, sagte Campbell. Dies umfasse auch “normales Überfliegen und Schiffsdurchfahrten der Taiwanstraße in den kommenden Wochen”. Die Straße von Taiwan ist eine der meistgenutzten Handelsrouten der Welt.

Campbell kündigte zudem einen neuen Handelsplan für Taiwan sowie Informationen zu geplanten Handelsgesprächen mit Taipeh an. Die USA würden ihre Beziehungen zu Taiwan “weiter vertiefen”, unter anderem durch eine Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Die Antwort Pekings auf diese Ankündigung ließ nicht lange warten. Am Samstag drangen erneut 13 chinesische Kampfflugzeuge in den Luftraum Taiwans ein. flee/rtr 

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  • USA

Staatskonzerne ziehen sich von New Yorker Börse zurück

Fünf chinesische Staatskonzerne haben ihren Rückzug von der New York Stock Exchange angekündigt. Der Lebensversicherer China Life, die Ölriesen Sinopec und PetroChina, der Alu-Konzern Chalco sowie der Chemiekonzern Sinopec Shanghai Petrochemical kündigten am Freitag Anträge für ein Delisting ihrer US-Hinterlegungsscheine (ADS) noch im August an. Sie gehören zu den knapp 270 chinesischen Unternehmen, denen die USA in einem Gesetz im Mai mit dem Ausschluss von der New York Stock Exchange gedroht haben, weil sie die Bilanzstandards der amerikanischen Wirtschaftsprüfer nicht erfüllten.

Die Regierungen in Peking und Washington verhandeln über eine Lösung in dem Streit. Die USA fordern einen vollständigen Einblick in die Bücher und die Prüfungsunterlagen chinesischer Unternehmen, die in New York börsennotiert sind, China verweigert das aber mit Verweis auf die nationale Sicherheit. PetroChina erklärte, ihr Kapitalbedarf ließe sich auch über die Börsen in Shanghai und Hongkong decken, die auch “die Interessen der Anleger besser schützen”.

Die chinesische Börsenaufsicht CSRC betonte, die Konzerne hätten sich immer genau an die Regeln und Anforderungen des US-Kapitalmarktes gehalten, seit sie in New York börsennotiert sind. Der Rückzug von der New Yorker Börse (Nyse) sei eine unternehmerische Entscheidung. “China sendet die Botschaft, dass seine Geduld in den Verhandlungen um die Prüfung der Bilanzen geringer wird”, sagte Kai Zhan von der chinesischen Anwaltskanzlei Yuanda, die unter anderem auf den US-Kapitalmarkt spezialisiert ist.

Von einem Delisting in New York bedroht sind auch die chinesischen Börsen-Riesen Alibaba, JD.com und Baidu. China Telecom, China Mobile und China Unicom hatten die US-Börse im vergangenen Jahr verlassen, weil die damalige US-Regierung von Donald Trump Investments in chinesische Technologiefirmen beschränkt hatte. rtr

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Exodus ausländischer Arbeiter

Jeder vierte ausländische Angestellte in deutschen Unternehmen hat China seit 2019 verlassen. Das geht aus einer Erhebung der Außenhandelskammer (AHK) China hervor. Als Hauptursachen für den Exodus werden die Coronavirus-Politik der Regierung und ein höheres Lohnniveau angeführt. Für jedes dritte Unternehmen sind die Visa-Beschränkungen für Ausländer ein Grund, mehr lokale Arbeitskräfte einzustellen. 22 Prozent der Unternehmen wollen die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte weiter reduzieren. Fast 42 Prozent geben an, insgesamt Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Die AHK hat für ihren “Arbeitsmarkt- und Gehaltsbericht” 446 Unternehmen befragt. nib

  • Coronavirus
  • Gesundheit

Hongkonger Bevölkerung schrumpft weiter

Hongkong erlebt den steilsten Bevölkerungsrückgang seit Beginn der Erfassung im Jahre 1961. Die Zahl der Einwohner ging nach Angaben des Statistikamtes bis Mitte des Jahres 2022 um 1,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 7.291.600 Menschen zurück. Es seien mehr Menschen ab- als zugewandert.

Als Gründe nannte die Regierung einen geringeren Zustrom neuer Arbeitnehmer in Folge der Corona-Pandemie sowie einen schon seit Jahren zu beobachtenden Geburtenrückgang. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 gab es nach Angaben der Regierung 35.100 Geburten. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 38.500. Hongkong hat schon seit Jahren eine der niedrigsten Geburtenrate in Asien. Die Pandemie hat diese Entwicklung möglicherweise verschärft. Zugleich altert die Bevölkerung. Auch die Todesrate stieg deutlich.

Wie viele Menschen wegen des Vorgehens gegen die Demokratiebewegung und aufgrund des vor zwei Jahren in Kraft getretenen Nationalen Sicherheitsgesetzes abgewandert sind – dazu gab die Regierung keine Auskunft. flee

  • Demografie
  • Gesellschaft
  • Hongkong
  • Nationales Sicherheitsgesetz

“WorldPride Taiwan 2025” ist abgesagt

Wegen eines Disputs über den Namen der Veranstaltung ist die “WorldPride Taiwan 2025” abgesagt worden. Die LGBTIQ+-Veranstaltung werde nicht in der Stadt Kaohsiung stattfinden, teilten die Organisatoren in Taiwan mit.

Hintergrund der Absage sei, dass die Dachorganisation InterPride das Wort “Taiwan” nicht im Titel des Events haben wolle. “WorldPride Taiwan 2025” sei jedoch bereits bei der Bewerbung als Gastgeber und bei der Bekanntgabe verwendet worden. InterPride habe stattdessen “WorldPride Kaohsiung 2025” vorgeschlagen, was die taiwanischen Organisatoren ablehnten.

Im Vorfeld der Absage habe es noch weitere Meinungsverschiedenheiten gegeben. Die Namensänderung habe jedoch den letzten Ausschlag gegeben, so die Organisatoren. ari

  • Gesellschaft
  • Taiwan

Presseschau

Weiterer Besuch von US-Politikern in Taiwan SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
Taiwan-Konflikt: Chinas Nachbarn fürchten sich vor einem Krieg ZEIT
USA planen Durchquerungen der Taiwanstraße mit Schiffen und Flugzeugen SPIEGEL.de
Regulierungsbehörde veröffentlicht Details zu Algorithmen von Webdiensten wie Alibaba oder Bytedance HEISE
Chinas Staatskonzerne wie Sinopec oder Chalco ziehen sich von New Yorker Börse zurück FAZ
Sri Lanka Allows China Research Ship to Dock After India Concern BLOOMBERG
China Sets Joint Air-Force Training With Thailand WSJ
Innovatives Pilotprogramm bringt in China mehr Solar auf die Dächer CAPITAL
China kauft im großen Stil deutsches Holz WELT
ZDF-Korrespondent verlässt China: “In diesem Land sieht man, was Unfreiheit bedeutet” FRANKFURTER RUNDSCHAU
China und Menschenrechte: Was wurde aus Bachelets Xinjiang-Bericht? SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
China meldet höchste Infektionszahlen seit über drei Monaten ZEIT
Shanghai to reopen all schools Sept. 1 as lockdown fears persist REUTERS
Vom BER nach China: Wieder Linienflüge möglich BERLINER ZEITUNG

Heads

David Santoro – Die Kunst der Schadensbegrenzung

David Santoro ist Leiter der Denkfabrik Pacific Forums auf Hawaii.
David Santoro ist Leiter der Denkfabrik Pacific Forums auf Hawaii.

David Santoro forscht unter Palmen über Atomwaffen. Seit 2011 ist er Leiter des Pacific Forums und schaut von Hawaii aus in die nukleare Welt. Die entspannte Atmosphäre auf den Inseln steht dabei in Kontrast zu seinem Thema: den Nuklearbeziehungen zwischen den USA und China. Die sind aktuell nichts für schwache Nerven.

Santoro wächst in den 1980er-Jahren in einem Pariser Vorort auf. Wie viele seiner Generation führen ihn die Anschläge des 11. September 2001 zu den großen Fragen der Sicherheitspolitik. Doch Santoro ahnt früh: “Die Zukunft ist Asien” und liegt damit genau richtig. Denn nach dem Zerfall der Sowjetunion werden die asiatischen Tigerstaaten auch sicherheitspolitisch relevant. Für seine Doktorarbeit zieht Santoro nach Australien, und Ende der 2000er-Jahre holt ihn das Pacific Forum nach Hawaii. Hier kann Santoro Sicherheitspolitik mit Asienexpertise verbinden und steigt vom Junior Researcher zum Präsidenten auf.

Das Pacific Forum ist ein privat finanziertes Forschungsinstitut, das 1975 von einem Ex-General der amerikanischen Armee mitgegründet wurde. Ziel war es, die Region sicherer zu machen und einen Dialog der Pazifikstaaten am Laufen zu halten.

Auf Hawaii weit weg und doch nah dran

Während Santoros persönliche Weltreise vorerst in Hawaii endet, ist der Weg des Pacific Forums noch lange nicht vorbei: “Ich will, dass wir mehr ein Think-Tank werden und nicht so sehr ein Do-Tank”. Das bedeutet: Mehr Recherche und innovative Gedanken, die in der Politik aufgenommen werden. Dazu gehört auch, das Spektrum an Themen zu verbreitern. Laut Santoro liegt die Zukunft in Cybersicherheit, Technologie und der Region Indopazifik.

Hawaii ist für die Arbeit des Pacific Forums ein Traumstandort. “Wir sind weit weg von allem”, und die Distanz zur Politikblase in Washington mache die Forschenden freier, erklärt Santoro. Außerdem ist die Pazifik-Flotte der USA auf Hawaii stationiert. Das heißt: viel Militärpräsenz und ein kurzer Draht zu den Leuten, die im Ernstfall handeln müssen.

China und USA: Kunst ist Schadensbegrenzung

Genau diese Soldaten und Strategen stehen aktuell vor einer gewaltigen Herausforderung. China baut seit Jahren sein Nukleararsenal aus und erneuert die dazugehörigen Trägersysteme. Santoro beobachtet das mit Sorge. Die USA verfügen über 5.428 Atomsprengköpfe, China über 350. Beide Seiten haben also genug Bomben, um einander zu zerstören.

Während es zwischenzeitlich still war um die Möglichkeit eines Kernwaffeneinsatzes, tauchen zuletzt wieder mehr Gedankenspiele auf, in denen die Nuklearoption eine Rolle spielt. “Das wird weitergehen und die Chinesen haben klargemacht, dass sie kein Interesse haben, darüber mit uns zu diskutieren”, erklärt Santoro. Die Zeichen stehen also auf Konfrontation. Die Kunst ist dabei die Schadensbegrenzung. Santoro hofft, dass sich China und die USA wenigstens auf vertrauensbildende Maßnahmen und Krisenmanagement einigen können. Ein Beispiel: Hotlines und Verhaltensregeln. Das bringt nicht automatisch Stabilität, aber immerhin trägt es zu Stabilisierung bei, sagt Santoro. 

Ein wichtiger Schritt wäre, dass die USA ihre strategische Verletzbarkeit gegenüber China anerkennen. Das wäre zwar innenpolitisch heikel, aber außenpolitisch klug. Denn am Ende geht es darum, dass Spannungen in der Taiwanstraße oder im Indopazifik nicht zu einem Atomkrieg zwischen den USA und China führen. Jonathan Lehrer

  • Geopolitik
  • USA

Personalien

Raphael Lanfant ist von Alibaba zur Mandarin Oriental Hotel Group gewechselt. Lanfant füllt dort die neu geschaffene Position des Global VP Channel Sales aus. Bei Alibaba war er Global Head of International Hotel Partnerships.

Merlin Jaeger hat im August den Posten xKD-Supply-Chain-Steuerung China bei Audi übernommen. Jaeger hält einen Master of China Business and Economics. Er studierte ein Jahr lang an der Universität von Wuhan. Sein derzeitiger Tätigkeitsort ist Ingolstadt.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Zur Sprache

“Tierisch missverstehen”

鸡同鸭讲 – jī tóng yā jiǎng – “sich tierisch missverstehen”

Manchmal ist wirklich der Wurm drin beim Sprachenlernen. Mit waghalsigen Wortmeldungen macht man sich zum Affen und versucht dann, die Kuh wieder vom Eis zu holen. Oder man steht im Gespräch wie der Ochs vorm Berg und fragt sich, ob alle Büffelei für die Katz war. Dabei wird es doch gerade da, wo man verständnismäßig wild daneben liegt, oft tierisch spannend! Weil man sich in Gefilde vortastet, wo sich die eigene Muttersprache stark von der Fremdsprache unterscheidet. Das spendiert nicht nur Aha-Erlebnisse, sondern gelegentlich auch unterhaltsames. Lohnenswert ist zum Beispiel eine klitzekleine Safari durch den Sprachzoo tierischer chinesischer Redensarten, von denen es so viele gibt, dass sie auf keine Kuhhaut gehen.

In China werden zum Beispiel keine Perlen vor die Säue geworfen, sondern für Kühe die Zither gespielt (对牛弹琴 duì niú tán qín – “gegen die Wand reden, tauben Ohren predigen”). Wenn an einem Ort “Hühner fliegen und Hunde springen” (鸡飞狗跳 jī fēi gǒu tiào) herrscht “heilloses Tohuwabohu”. Und wo eine “Katze um eine Maus weint” (猫哭耗子 māo kū hàozi) ist die Katze aus dem Sack und eine Person hat sich als “Heuchler” entlarvt, der Krokodilstränen vergießt. Ein Affentheater gibt es unterdessen, wenn ein Huhn gekillt wird, nämlich um die Affen zu schocken. 杀鸡警猴 shā jī jǐng hóu heißt das auf Chinesisch, wörtlich “ein Huhn töten, um die Affen zu warnen”, gemeint ist “ein Exempel statuieren”. 

Außerdem finden in China nicht blinde Hühner ein Korn, sondern blinde Katzen stoßen manchmal unverhofft auf eine tote Maus (瞎猫碰上死耗子 Xiā māo pèngshàng sǐ hàozi – “Durch pures Glück zum Erfolg kommen”). Alle Hoffnungen auf ein Affentempo verfliegen in China, wenn etwas sich bis zum “Affenjahr und Pferdemonat” (猴年马月 hóunián-mǎyuè) hinzieht – Chinesisch für den “Sanktnimmerleinstag”. Dafür bleibt in einem solchen Falle wenigstens genügend Zeit, um im Schneckentempo vom hohen Ross herunterzusteigen und die Blümchen am Wegesrand unter die Lupe zu nehmen (下马看花  xià mǎ kàn huā “vom Pferd absteigen und die Blumen betrachten” = “sich vor Ort ein detailliertes Bild machen”).

Wirklich in der Klemme steckt erst, wer auf einen Tiger gehopst ist und nicht weiß, wie er da jemals wieder herunterkommen soll. Denn “wer einen Tiger reitet, kann nur schwer absteigen” (骑虎难下 qí hǔ nán xià) weiß das Chinesische, will heißen: Man “steckt in einem Dilemma” beziehungsweise “kann sich nicht so leicht wieder aus der Affäre ziehen”.

Sprachlich handzahm sind dagegen Kaninchen. Als alte Hasen wissen sie wie der selbige läuft und fressen in unmittelbarer Nähe des Baus keine Gräser kahl, um es sich nicht mit den Nachbarn zu verscherzen (兔子不吃窝边草 tùzi bù chī wōbian cǎo – “Hasen fressen kein Gras am Bau”, sprich: “es sich nicht mit den Nachbarn verscherzen”). Es sei denn natürlich, sie wohnen dort, wo sich “Fuchs und Hase gute Nacht sagen”, oder wie der Chinese es nennen würde: “an einem Ort, wo kein Vogel sein Ei ablegt” (鸟​不​生​蛋​的​地方 niǎo bù shēng dàn de dìfang).

Sehen Sie jetzt schon die Bedeutung vor lauter Tieren nicht mehr? Nun, die Liste tierischer Redensarten ließe sich definitiv noch fortsetzen. Und es lohnt sich, in einer freien Minute nach weiteren unterhaltsamen Sprichwörtern rund um Hund, Katze, Maus und Co. im Chinesisch-Wörterbuch zu stöbern.

Allerdings ist von übermäßigem Metapher-Gebrauch im Alltag dann doch wieder abzuraten. Verabreichen auch Sie chinesischen Bekannten deshalb deutschen Vokabelwildwuchs – wie Eintagsfliegen, Flöhe im Ohr, Würmer aus der Nase, aufgebundene Bären, Frösche im Hals und Elefanten im Porzellanladen – am besten nur peu à peu in wohldosierten Dosen. Sonst reden am Ende alle wild aneinander vorbei.

Moment mal. Auch hierfür gibt es schon wieder eine tierische Metapher: Wenn Kommunikation ins Leere läuft, ist es, wie wenn “Hühner mit Enten reden” (鸡同鸭讲 jī tóng yā jiǎng), sagt man in China. Wieder eine metaphorische Knobelaufgabe also. Es ist aber auch zum Mäusemelken! 

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

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  • Kultur

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    im Nachrichtengeschäft ist das zwar normal. Und doch ist es erschreckend, wie schnell die Anliegen der Hongkonger Demokratiebewegung angesichts von Ukraine-Krieg und der immer mehr sich zeigenden Klimakrise in der Weltöffentlichkeit in den Hintergrund gerückt sind. Dabei setzen sich Hongkonger Aktivistinnen und Aktivisten aus ihren Exilen in London, Taiwan, USA und Berlin weiter für die Freiheitsrechte in ihrer Heimatstadt ein.

    Einer, der sie tatkräftig unterstützt, ist Samuel Chu. Langfristige politische Erfolge brauchen politische Institutionen, die jetzt aufgebaut werden müssen, sagt der erfahrene Aktivist im Interview mit Fabian Peltsch. “Das ist hart, zäh, und manchmal frustrierend.” Nur so könne die Bewegung wachsen und sich weiterentwickeln – sie braucht einen langen Atem.

    Weniger auf einen langen Atem als vielmehr auf Wumms setzt die chinesische Regierung, wenn es um die Ankurbelung der angeschlagenen Konjunktur der zweitgrößten Volkswirtschaft geht. Doch dieses Mal steckt sie ihre Milliarden nicht mehr nur in den Bau von noch mehr Autobahnen, Schienen und Hochhäusern, sondern in das 5G-Netzwerk, in Cloud-Computing und Erneuerbare Energien. Das ist richtig und sinnvoll, wie aus der Analyse unseres Autorenteams aus Peking hervorgeht.

    Und die Europäer? Sie dürften sich nicht nur angesichts eines bevorstehenden Gasmangels in diesem Winter einmal mehr warm anziehen. Vergleichbare Programme zum Ausbau moderner Infrastrukturen, die China nun auf den Weg bringt, könnten wir hierzulande ebenfalls gut gebrauchen.

    Viele neue Erkenntnisse beim Lesen!

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    Felix Lee
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    Hongkong-Aktivist Samuel Chu: “Ich habe die Bewegung ins Weiße Haus getragen”

    Möchte die Hongkonger Protestbewegung auf langfristige Ziele einschwören: Samuel Chu.
    Möchte die Hongkonger Protestbewegung auf langfristige Ziele einschwören: Samuel Chu.

    Ende Mai besuchten Sie Oslo, wo während der Freedom Forum Conference eine Kopie der “Säule der Schande” auf einem Universitätsgelände errichtet wurde. Derzeit arbeiten Sie daran, dass eine Kopie des Kunstwerkes des dänischen Künstlers Jens Galshiøst auch in Berlin vorübergehend einen Platz findet. Welchen Symbolwert messen Sie dem Werk bei?

    Zum einen sehe ich es als Zeichen der Solidarität mit den Menschen von Hongkong, die einen Großteil der Rechte, die ihnen unter dem Prinzip “Ein Land, zwei Systeme” zugebilligt wurden, eingebüßt haben. Die Skulptur soll daran erinnern, wie schnell der Niedergang dieser Rechte in Hongkong vonstattenging und wie verlässlich Chinas Versprechungen tatsächlich sind. Zum anderen betrachte ich die “Säule der Schande” auch als eine Art Kanarienvogel in der Kohlemine: Wenn eine Kopie nach Berlin kommt, werden zahlreiche Gegner an die Öffentlichkeit kommen, chinesische Studenten werden dagegen protestieren, chinesische Agenten werden sichtbar werden. Und auch Menschen in der Politik. Das ist gut. So können wir entlarven, wie groß der Einfluss Chinas schon jetzt in Deutschland ist.

    Wenn ich Politiker treffe, auch hier in Deutschland, spreche ich mit ihnen darüber, warum ein freies Hongkong in ihrem Interesse ist. Und das, was in Hongkong passiert, auch ein Auftakt sein kann für das, was an anderen Orten der Welt passieren könnte.

    Sie verbinden mit dem Kunstwerk auch eine persönliche Geschichte.

    Mein Vater war einer der ersten, der von Jens kontaktiert wurde, als es darum ging, das Kunstwerk nach Hongkong zu bringen. Mein Vater war damals, Mitte der 1990er-Jahre, einer der Führer der Hongkong Alliance, später die größte Organisation, die sich für Demokratie und Tiananmen-Erinnerungskultur in Hongkong einsetzte. Sie wollten die Statue unbedingt vor der Übergabe der britischen Kronkolonie in Hongkong errichten. Es sollte ein Test sein, inwieweit China tatsächlich die Rechte der Bürger von Hongkong nach 1997 wahren würde. 32 Jahre stand sie in der Stadt und geriet fast in Vergessenheit. Das große sichtbare internationale Symbol für den Niedergang des freien Hongkongs wurde sie erst 2021, als sie aufgrund von politischem Druck entfernt werden musste.

    Ihr Vater, der Baptistenpastor und Occupy-Central-Mitbegründer Chu Yiu-ming, ist einer der bekanntesten Menschenrechtler Hongkongs. Welchen Einfluss hatte ihr Familienhintergrund auf Ihre politische Arbeit?

    Mein Vater leitete 1989 die Operation “Yellow Bird”, die half, politische Flüchtlinge aus China über Hongkong ins Ausland zu bringen. Als Konsequenz verbrachte ich als junger Menschen viel Zeit mit politischen Flüchtlingen. Wir spielten Fußball und Karten, während sie auf ihre humanitären Visa für eine Weiterreise warteten. Das hat meine Perspektive auf die Diaspora und Dissidenten geprägt. Die chinesische Regierung war in ihrem Vorgehen gegen sie lange effektiv, denn sie wusste: Waren die Aktivisten erst einmal nach Übersee geflohen, würde man bald nichts mehr von ihnen hören. Politische Gruppen waren im Ausland isoliert, die Energie der Proteste versandete. Meine Arbeit besteht heute darin, das zu ändern.

    Inwiefern?

    Ich habe meine gesamte Karriere dem Aufbau politischer Bewegungen in der demokratischen Welt gewidmet, von Klimaschutz, über LGBTQ- bis hin zu Black-Lives-Matter-Gruppen. Bei allen geht es darum, von einer Protestbewegung in etwas Größeres, Beständigeres zu wachsen. Wir haben ja die Tendenz, Protestbewegungen zu romantisieren. Was ich dabei immer wieder predige, ist: Protestbewegungen verlassen sich sehr auf einzelne charismatische Personen. Langfristige politische Bemühungen müssen sich aber auf politische Institutionen verlassen. Und diese müssen jetzt aufgebaut werden. Das ist hart, zäh, und manchmal frustrierend. Aber nur so kann die Bewegung wachsen und sich weiterentwickeln.

    Ein Journalist aus Hongkong, der nun in Deutschland lebt, berichtete mir, dass viele Hongkonger, die sich vor Ort für die Stadt aufopferten, als Diaspora im Ausland kaum Zusammenhalt finden. Haben Sie ähnliches beobachtet?

    Man hat da Demonstranten, die auf Leben und Tod für ihre Rechte eingetreten sind. Viele stecken in diesem Protest-Mindset fest. Sie stehen jeden Morgen auf und wollen der Welt entgegenschreien: “Schaut, was in Hongkong passiert!” Man darf nicht vergessen, dass Hongkong nie eine Demokratie war. Die Menschen konnten im Prinzip nichts anderes tun als zu protestieren, um gehört zu werden. Die Diaspora ist so davon in Anspruch genommen, darauf zu reagieren was zu Hause in Hongkong passiert, dass sie sich nicht auf eine enge Beziehung zur lokalen politischen Community einlassen kann. Aber ein solcher Einfluss ist nötig, um langfristig etwas zu bewegen. Das heißt nicht, dass sie Hongkong aufgeben.

    Einige Menschen aus Hongkong haben wohl noch immer die Hoffnung, dass sich die Ereignisse in ihrer Heimatstadt auf die ein- oder andere Weise umkehren lassen.

    Es gibt keine magische Formel, mit der man Hongkong wieder zu dem machen kann, was es war. Der UN-Menschenrechtsrat hat die Regierung in Hongkong erst kürzlich zum Widerruf des Nationalen Sicherheitsgesetzes aufgerufen. Ich bin natürlich froh darüber, dass das so offiziell festgehalten wurde. Aber man kann nicht mehr ungeschehen machen, dass 10.000 Menschen aufgrund von friedlichen Protesten angezeigt und über 200 Aktivisten wie Jimmy Lai unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz verhaftet wurden.

    Vor zwei Jahren wurde in Hongkong auch ein Haftbefehl gegen Sie ausgestellt. Und das, obwohl sie seit 30 Jahren in den USA leben und US-Bürger sind. Ein Präzedenzfall.

    Ich habe zu einem gewissen Grad dabei geholfen, die Regeln und die Strategien umzuschreiben. Ich mache meine politische Arbeit hauptsächlich hinter den Kulissen. Als die Proteste 2019 einen Höhepunkt erreichten, bin ich nicht nach Hongkong geflogen, um in die Kameras zu sprechen. Ich entschied mich, mit dem Hong Kong Democracy Council eine Hilfsorganisation zu gründen, die in Übersee von US-Staatsbürgern geleitet wird. Es ist eine Organisation, die tatsächlich Gesetze beeinflussen kann und sich nicht nur auf Proteste und Gedenkveranstaltungen verlässt. So eine Art von Organisation ist mächtiger und eindrucksvoller, um sich gegen die chinesische Regierung durchzusetzen. Danach habe ich die “Kampagne für Hongkong” gegründet, die ich noch immer leite.

    Und das macht Sie zum Staatsfeind?

    Im Nationalen Sicherheitsgesetz gibt es einen Paragrafen, der sich direkt an mich, meine Organisation und unsere Art zu arbeiten zu richten scheint. Da steht, frei übersetzt: Egal wer du bist und woher du kommst, wir kriegen dich. Ich habe die Bewegung von der Straße in das Parlament getragen und von dort ins Weiße Haus. Das ist ein Shift, den Chinas Regierung nicht erwartet hat. Deshalb mussten sie ihr Playbook überarbeiten und auch ausländische Aktivisten ins Visier nehmen. In diesem Sinne bin ich vielleicht selbst ein bisschen wie der “Pillar Of Shame”. Wo ich auftauche, werden unsichtbare chinesische Kräfte sichtbar.

    Samuel Chu, 44, ist Präsident der “Campaign for Hong Kong”, einer Organisation, die sich für eine Politik einsetzt, die Menschenrechte und Demokratie in Hongkong fördert. Zuvor war er Gründer und Direktor des Hong Kong Democracy Council (HKDC) mit Sitz in Washington, D.C. In dieser Position spielte er eine führende Rolle bei der Verabschiedung mehrerer Gesetze zur Unterstützung Hongkongs im US-Kongress. Im Juli 2020 erließen die Hongkonger Behörden einen Haftbefehl gegen Chu, womit er der erste ausländische Staatsbürger ist, der infolge des Nationalen Sicherheitsgesetzes ins Visier genommen wurde.

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    Analyse

    Statt Straßen und Schienen: 5G-Netzwerke und Big Data 

    So wie hier in Gonghe, Provinz Qinghai, entstehen landesweit Hunderte neue Fotovoltaikanlagen. Sie sind Teil des Programms zur Stützung der angeschlagenen Konjunktur. Zur Stützung der Wirtschaft setzt China nun auch mehr auf 5G-Ausbau und Big-Data-Infrastruktur.
    So wie hier in Gonghe, Provinz Qinghai, entstehen landesweit Hunderte neue Fotovoltaikanlagen. Sie sind Teil des Programms zur Stützung der angeschlagenen Konjunktur.

    “Wer reich werden will, muss zuerst eine Straße bauen.” Das alte chinesische Sprichwort scheint ausgedient zu haben, wenn man sich die neuen Infrastruktur-Pläne Pekings vor Augen führt. Die Regierung will in der zweiten Jahreshälfte die durch die harten Corona-Maßnahmen ausgebremste Konjunktur ankurbeln. Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal gerade mal noch um 0,4 Prozent. Damit will sich die Führung nicht noch einmal zufriedengeben. Mehr als eine Billion Yuan (etwa 145 Milliarden Euro) werden deshalb an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt. 

    Anders als bei früheren Infrastruktur-Offensiven werden es dieses Mal allerdings weniger Straßen, Schienen und Flughäfen sein, die der Wirtschaft Schwung verleihen sollen. Peking will das Geld vor allem für den Ausbau der “neuen Infrastruktur” nutzen. “Projekte für erneuerbare Energien, im Technologie-Bereich und der Wasserwirtschaft werden zu den größten Nutznießern von Chinas neuem  Infrastrukturinvestitionsboom gehören”, schreibt das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin, das gleichzeitig vom größten Konjunkturpaket seit der Finanzkrise 2008 spricht. Damals mobilisierte Peking rund vier Billionen Yuan, die einen gewaltigen Bauboom auslösten. Gleichzeitig schoss die Verschuldung von Staatsfirmen und Lokalregierungen in die Höhe. 

    Erneuerbare Energie boomt

    Vierzehn Jahre später sollen andere Sektoren von den Konjunktur-Milliarden profitieren. “Das Land hat bereits ein angemessenes Netzwerk von Eisenbahnen, Autobahnen und Flughäfen”, so der Pekinger Makroökonom Zhu Changzheng. Mit Zuflüssen könnten nun Bereiche rechnen, die vom der zuständigen Pekinger Entwicklungs- und Reformkommission als “neue Infrastruktur” eingestuft werden. Die Förderung von Künstlicher Intelligenz, Blockchain-Anwendungen, Cloud-Computing, Big Data und 5G gehören hierzu. Auch erneuerbare Energiequellen dürften einen weiteren Schub erfahren. 

    Dass die Geldströme dieses Mal ganz anders fließen, lässt sich bereits seit einigen Monaten beobachtenLaut Caixin gingen in der ersten Jahreshälfte die Ausgaben für neue Schienen- und Straßen im Vorjahresvergleich um 4,4 Prozent beziehungsweise 0,2 Prozent zurückEinen Boom erlebt dagegen der Ausbau neuer Energiequellen. Allein die Ausgaben für neue Fotovoltaik-Anlagen stiegen in der ersten Jahreshälfte um 173 Prozent auf umgerechnet 41 Milliarden Dollar an. 58 Milliarden Dollar oder 107 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2021 flossen derweil in neue Windprojekte, wie die Analysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) errechnet haben. 

    Begrenzte Wirkung auf das Wachstum

    “Die grüne Infrastruktur ist das derzeit wichtigste Investment, auf das China setzt, um die schwächelnde Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder anzukurbeln”, sagt Bloomberg-Analyst Nannan Kou. Doch auch in anderen Feldern treibt China Investitionen voran. So soll laut Caixin ebenfalls viel Geld für den Hochwasserschutz in die Hand genommen werden. Auch die Modernisierung des maroden Gas-Netzes steht auf Pekings To-do-Liste.

    Zwar sind sich Ökonomen einig, dass das Infrastruktur-Paket der Wirtschaft gewissen Rückenwind verleihen wird. Jedoch dürfte es schwierig werden, das angestrebte Wachstumsziel von rund fünf Prozent noch zu erreichen. Laut der Staatszeitung Global Times machten Chinas Infrastruktur-Ausgaben allein im Juli zwar einen Sprung um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das gesamte Infrastruktur-Paket werde bis zum Jahresende jedoch wohl nur etwa einen Prozentpunkt zusätzliches Wachstum generieren können. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

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    News

    Weitere US-Abgeordnete besuchen Taiwan

    Kurz nach dem umstrittenen Taiwan-Besuch der Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, ist am Sonntag eine weitere US-Delegation zur Insel-Republik gereist. Mitglieder des US-Kongresses würden von Sonntag bis Montag Taiwan besuchen, teilte die Vertretung der USA in Taiwan mit. Die Visite sei Teil einer Reise in die indopazifische Region, heißt es in der Stellungnahme der Vertretung, die die Aufgaben einer Botschaft wahrnimmt. Es werde bei Treffen mit Politikern Taiwans unter anderem um die Beziehungen zwischen beiden Republiken und globale Lieferketten gehen.

    Pelosi hatte vergangene Woche Taiwan besucht. China sieht in diesen Besuchen von US-Politikern eine Provokation und Verletzung der eigenen Souveränität und startete nach ihrer Abreise Manöver in unmittelbarer Nähe der Insel Manöver in einem bislang nie dagewesenem Ausmaß.

    Ungeachtet der verschärften Spannungen mit China wegen Taiwan kündigte der Koordinator für die Asien-Pazifik-Region der US-Regierung, Kurt Campbell, am Freitag in Washington an, in den “kommenden Wochen” mit Schiffen und Flugzeugen die Taiwanstraße zu durchqueren. Auch wollen die Vereinigten Staaten ihre Handelsbeziehungen zu Taiwan ausbauen. Die US-Streitkräfte würden “im Einklang mit ihrer langfristigen Verpflichtung für die Freiheit der Navigation” weiterhin fliegen, auf der See fahren und dort operieren, wo das Völkerrecht das erlaubt, sagte Campbell. Dies umfasse auch “normales Überfliegen und Schiffsdurchfahrten der Taiwanstraße in den kommenden Wochen”. Die Straße von Taiwan ist eine der meistgenutzten Handelsrouten der Welt.

    Campbell kündigte zudem einen neuen Handelsplan für Taiwan sowie Informationen zu geplanten Handelsgesprächen mit Taipeh an. Die USA würden ihre Beziehungen zu Taiwan “weiter vertiefen”, unter anderem durch eine Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

    Die Antwort Pekings auf diese Ankündigung ließ nicht lange warten. Am Samstag drangen erneut 13 chinesische Kampfflugzeuge in den Luftraum Taiwans ein. flee/rtr 

    • Geopolitik
    • Taiwan
    • USA

    Staatskonzerne ziehen sich von New Yorker Börse zurück

    Fünf chinesische Staatskonzerne haben ihren Rückzug von der New York Stock Exchange angekündigt. Der Lebensversicherer China Life, die Ölriesen Sinopec und PetroChina, der Alu-Konzern Chalco sowie der Chemiekonzern Sinopec Shanghai Petrochemical kündigten am Freitag Anträge für ein Delisting ihrer US-Hinterlegungsscheine (ADS) noch im August an. Sie gehören zu den knapp 270 chinesischen Unternehmen, denen die USA in einem Gesetz im Mai mit dem Ausschluss von der New York Stock Exchange gedroht haben, weil sie die Bilanzstandards der amerikanischen Wirtschaftsprüfer nicht erfüllten.

    Die Regierungen in Peking und Washington verhandeln über eine Lösung in dem Streit. Die USA fordern einen vollständigen Einblick in die Bücher und die Prüfungsunterlagen chinesischer Unternehmen, die in New York börsennotiert sind, China verweigert das aber mit Verweis auf die nationale Sicherheit. PetroChina erklärte, ihr Kapitalbedarf ließe sich auch über die Börsen in Shanghai und Hongkong decken, die auch “die Interessen der Anleger besser schützen”.

    Die chinesische Börsenaufsicht CSRC betonte, die Konzerne hätten sich immer genau an die Regeln und Anforderungen des US-Kapitalmarktes gehalten, seit sie in New York börsennotiert sind. Der Rückzug von der New Yorker Börse (Nyse) sei eine unternehmerische Entscheidung. “China sendet die Botschaft, dass seine Geduld in den Verhandlungen um die Prüfung der Bilanzen geringer wird”, sagte Kai Zhan von der chinesischen Anwaltskanzlei Yuanda, die unter anderem auf den US-Kapitalmarkt spezialisiert ist.

    Von einem Delisting in New York bedroht sind auch die chinesischen Börsen-Riesen Alibaba, JD.com und Baidu. China Telecom, China Mobile und China Unicom hatten die US-Börse im vergangenen Jahr verlassen, weil die damalige US-Regierung von Donald Trump Investments in chinesische Technologiefirmen beschränkt hatte. rtr

    • Börse
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    Exodus ausländischer Arbeiter

    Jeder vierte ausländische Angestellte in deutschen Unternehmen hat China seit 2019 verlassen. Das geht aus einer Erhebung der Außenhandelskammer (AHK) China hervor. Als Hauptursachen für den Exodus werden die Coronavirus-Politik der Regierung und ein höheres Lohnniveau angeführt. Für jedes dritte Unternehmen sind die Visa-Beschränkungen für Ausländer ein Grund, mehr lokale Arbeitskräfte einzustellen. 22 Prozent der Unternehmen wollen die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte weiter reduzieren. Fast 42 Prozent geben an, insgesamt Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Die AHK hat für ihren “Arbeitsmarkt- und Gehaltsbericht” 446 Unternehmen befragt. nib

    • Coronavirus
    • Gesundheit

    Hongkonger Bevölkerung schrumpft weiter

    Hongkong erlebt den steilsten Bevölkerungsrückgang seit Beginn der Erfassung im Jahre 1961. Die Zahl der Einwohner ging nach Angaben des Statistikamtes bis Mitte des Jahres 2022 um 1,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 7.291.600 Menschen zurück. Es seien mehr Menschen ab- als zugewandert.

    Als Gründe nannte die Regierung einen geringeren Zustrom neuer Arbeitnehmer in Folge der Corona-Pandemie sowie einen schon seit Jahren zu beobachtenden Geburtenrückgang. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 gab es nach Angaben der Regierung 35.100 Geburten. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 38.500. Hongkong hat schon seit Jahren eine der niedrigsten Geburtenrate in Asien. Die Pandemie hat diese Entwicklung möglicherweise verschärft. Zugleich altert die Bevölkerung. Auch die Todesrate stieg deutlich.

    Wie viele Menschen wegen des Vorgehens gegen die Demokratiebewegung und aufgrund des vor zwei Jahren in Kraft getretenen Nationalen Sicherheitsgesetzes abgewandert sind – dazu gab die Regierung keine Auskunft. flee

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    • Hongkong
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    “WorldPride Taiwan 2025” ist abgesagt

    Wegen eines Disputs über den Namen der Veranstaltung ist die “WorldPride Taiwan 2025” abgesagt worden. Die LGBTIQ+-Veranstaltung werde nicht in der Stadt Kaohsiung stattfinden, teilten die Organisatoren in Taiwan mit.

    Hintergrund der Absage sei, dass die Dachorganisation InterPride das Wort “Taiwan” nicht im Titel des Events haben wolle. “WorldPride Taiwan 2025” sei jedoch bereits bei der Bewerbung als Gastgeber und bei der Bekanntgabe verwendet worden. InterPride habe stattdessen “WorldPride Kaohsiung 2025” vorgeschlagen, was die taiwanischen Organisatoren ablehnten.

    Im Vorfeld der Absage habe es noch weitere Meinungsverschiedenheiten gegeben. Die Namensänderung habe jedoch den letzten Ausschlag gegeben, so die Organisatoren. ari

    • Gesellschaft
    • Taiwan

    Presseschau

    Weiterer Besuch von US-Politikern in Taiwan SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
    Taiwan-Konflikt: Chinas Nachbarn fürchten sich vor einem Krieg ZEIT
    USA planen Durchquerungen der Taiwanstraße mit Schiffen und Flugzeugen SPIEGEL.de
    Regulierungsbehörde veröffentlicht Details zu Algorithmen von Webdiensten wie Alibaba oder Bytedance HEISE
    Chinas Staatskonzerne wie Sinopec oder Chalco ziehen sich von New Yorker Börse zurück FAZ
    Sri Lanka Allows China Research Ship to Dock After India Concern BLOOMBERG
    China Sets Joint Air-Force Training With Thailand WSJ
    Innovatives Pilotprogramm bringt in China mehr Solar auf die Dächer CAPITAL
    China kauft im großen Stil deutsches Holz WELT
    ZDF-Korrespondent verlässt China: “In diesem Land sieht man, was Unfreiheit bedeutet” FRANKFURTER RUNDSCHAU
    China und Menschenrechte: Was wurde aus Bachelets Xinjiang-Bericht? SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
    China meldet höchste Infektionszahlen seit über drei Monaten ZEIT
    Shanghai to reopen all schools Sept. 1 as lockdown fears persist REUTERS
    Vom BER nach China: Wieder Linienflüge möglich BERLINER ZEITUNG

    Heads

    David Santoro – Die Kunst der Schadensbegrenzung

    David Santoro ist Leiter der Denkfabrik Pacific Forums auf Hawaii.
    David Santoro ist Leiter der Denkfabrik Pacific Forums auf Hawaii.

    David Santoro forscht unter Palmen über Atomwaffen. Seit 2011 ist er Leiter des Pacific Forums und schaut von Hawaii aus in die nukleare Welt. Die entspannte Atmosphäre auf den Inseln steht dabei in Kontrast zu seinem Thema: den Nuklearbeziehungen zwischen den USA und China. Die sind aktuell nichts für schwache Nerven.

    Santoro wächst in den 1980er-Jahren in einem Pariser Vorort auf. Wie viele seiner Generation führen ihn die Anschläge des 11. September 2001 zu den großen Fragen der Sicherheitspolitik. Doch Santoro ahnt früh: “Die Zukunft ist Asien” und liegt damit genau richtig. Denn nach dem Zerfall der Sowjetunion werden die asiatischen Tigerstaaten auch sicherheitspolitisch relevant. Für seine Doktorarbeit zieht Santoro nach Australien, und Ende der 2000er-Jahre holt ihn das Pacific Forum nach Hawaii. Hier kann Santoro Sicherheitspolitik mit Asienexpertise verbinden und steigt vom Junior Researcher zum Präsidenten auf.

    Das Pacific Forum ist ein privat finanziertes Forschungsinstitut, das 1975 von einem Ex-General der amerikanischen Armee mitgegründet wurde. Ziel war es, die Region sicherer zu machen und einen Dialog der Pazifikstaaten am Laufen zu halten.

    Auf Hawaii weit weg und doch nah dran

    Während Santoros persönliche Weltreise vorerst in Hawaii endet, ist der Weg des Pacific Forums noch lange nicht vorbei: “Ich will, dass wir mehr ein Think-Tank werden und nicht so sehr ein Do-Tank”. Das bedeutet: Mehr Recherche und innovative Gedanken, die in der Politik aufgenommen werden. Dazu gehört auch, das Spektrum an Themen zu verbreitern. Laut Santoro liegt die Zukunft in Cybersicherheit, Technologie und der Region Indopazifik.

    Hawaii ist für die Arbeit des Pacific Forums ein Traumstandort. “Wir sind weit weg von allem”, und die Distanz zur Politikblase in Washington mache die Forschenden freier, erklärt Santoro. Außerdem ist die Pazifik-Flotte der USA auf Hawaii stationiert. Das heißt: viel Militärpräsenz und ein kurzer Draht zu den Leuten, die im Ernstfall handeln müssen.

    China und USA: Kunst ist Schadensbegrenzung

    Genau diese Soldaten und Strategen stehen aktuell vor einer gewaltigen Herausforderung. China baut seit Jahren sein Nukleararsenal aus und erneuert die dazugehörigen Trägersysteme. Santoro beobachtet das mit Sorge. Die USA verfügen über 5.428 Atomsprengköpfe, China über 350. Beide Seiten haben also genug Bomben, um einander zu zerstören.

    Während es zwischenzeitlich still war um die Möglichkeit eines Kernwaffeneinsatzes, tauchen zuletzt wieder mehr Gedankenspiele auf, in denen die Nuklearoption eine Rolle spielt. “Das wird weitergehen und die Chinesen haben klargemacht, dass sie kein Interesse haben, darüber mit uns zu diskutieren”, erklärt Santoro. Die Zeichen stehen also auf Konfrontation. Die Kunst ist dabei die Schadensbegrenzung. Santoro hofft, dass sich China und die USA wenigstens auf vertrauensbildende Maßnahmen und Krisenmanagement einigen können. Ein Beispiel: Hotlines und Verhaltensregeln. Das bringt nicht automatisch Stabilität, aber immerhin trägt es zu Stabilisierung bei, sagt Santoro. 

    Ein wichtiger Schritt wäre, dass die USA ihre strategische Verletzbarkeit gegenüber China anerkennen. Das wäre zwar innenpolitisch heikel, aber außenpolitisch klug. Denn am Ende geht es darum, dass Spannungen in der Taiwanstraße oder im Indopazifik nicht zu einem Atomkrieg zwischen den USA und China führen. Jonathan Lehrer

    • Geopolitik
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    Personalien

    Raphael Lanfant ist von Alibaba zur Mandarin Oriental Hotel Group gewechselt. Lanfant füllt dort die neu geschaffene Position des Global VP Channel Sales aus. Bei Alibaba war er Global Head of International Hotel Partnerships.

    Merlin Jaeger hat im August den Posten xKD-Supply-Chain-Steuerung China bei Audi übernommen. Jaeger hält einen Master of China Business and Economics. Er studierte ein Jahr lang an der Universität von Wuhan. Sein derzeitiger Tätigkeitsort ist Ingolstadt.

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    Zur Sprache

    “Tierisch missverstehen”

    鸡同鸭讲 – jī tóng yā jiǎng – “sich tierisch missverstehen”

    Manchmal ist wirklich der Wurm drin beim Sprachenlernen. Mit waghalsigen Wortmeldungen macht man sich zum Affen und versucht dann, die Kuh wieder vom Eis zu holen. Oder man steht im Gespräch wie der Ochs vorm Berg und fragt sich, ob alle Büffelei für die Katz war. Dabei wird es doch gerade da, wo man verständnismäßig wild daneben liegt, oft tierisch spannend! Weil man sich in Gefilde vortastet, wo sich die eigene Muttersprache stark von der Fremdsprache unterscheidet. Das spendiert nicht nur Aha-Erlebnisse, sondern gelegentlich auch unterhaltsames. Lohnenswert ist zum Beispiel eine klitzekleine Safari durch den Sprachzoo tierischer chinesischer Redensarten, von denen es so viele gibt, dass sie auf keine Kuhhaut gehen.

    In China werden zum Beispiel keine Perlen vor die Säue geworfen, sondern für Kühe die Zither gespielt (对牛弹琴 duì niú tán qín – “gegen die Wand reden, tauben Ohren predigen”). Wenn an einem Ort “Hühner fliegen und Hunde springen” (鸡飞狗跳 jī fēi gǒu tiào) herrscht “heilloses Tohuwabohu”. Und wo eine “Katze um eine Maus weint” (猫哭耗子 māo kū hàozi) ist die Katze aus dem Sack und eine Person hat sich als “Heuchler” entlarvt, der Krokodilstränen vergießt. Ein Affentheater gibt es unterdessen, wenn ein Huhn gekillt wird, nämlich um die Affen zu schocken. 杀鸡警猴 shā jī jǐng hóu heißt das auf Chinesisch, wörtlich “ein Huhn töten, um die Affen zu warnen”, gemeint ist “ein Exempel statuieren”. 

    Außerdem finden in China nicht blinde Hühner ein Korn, sondern blinde Katzen stoßen manchmal unverhofft auf eine tote Maus (瞎猫碰上死耗子 Xiā māo pèngshàng sǐ hàozi – “Durch pures Glück zum Erfolg kommen”). Alle Hoffnungen auf ein Affentempo verfliegen in China, wenn etwas sich bis zum “Affenjahr und Pferdemonat” (猴年马月 hóunián-mǎyuè) hinzieht – Chinesisch für den “Sanktnimmerleinstag”. Dafür bleibt in einem solchen Falle wenigstens genügend Zeit, um im Schneckentempo vom hohen Ross herunterzusteigen und die Blümchen am Wegesrand unter die Lupe zu nehmen (下马看花  xià mǎ kàn huā “vom Pferd absteigen und die Blumen betrachten” = “sich vor Ort ein detailliertes Bild machen”).

    Wirklich in der Klemme steckt erst, wer auf einen Tiger gehopst ist und nicht weiß, wie er da jemals wieder herunterkommen soll. Denn “wer einen Tiger reitet, kann nur schwer absteigen” (骑虎难下 qí hǔ nán xià) weiß das Chinesische, will heißen: Man “steckt in einem Dilemma” beziehungsweise “kann sich nicht so leicht wieder aus der Affäre ziehen”.

    Sprachlich handzahm sind dagegen Kaninchen. Als alte Hasen wissen sie wie der selbige läuft und fressen in unmittelbarer Nähe des Baus keine Gräser kahl, um es sich nicht mit den Nachbarn zu verscherzen (兔子不吃窝边草 tùzi bù chī wōbian cǎo – “Hasen fressen kein Gras am Bau”, sprich: “es sich nicht mit den Nachbarn verscherzen”). Es sei denn natürlich, sie wohnen dort, wo sich “Fuchs und Hase gute Nacht sagen”, oder wie der Chinese es nennen würde: “an einem Ort, wo kein Vogel sein Ei ablegt” (鸟​不​生​蛋​的​地方 niǎo bù shēng dàn de dìfang).

    Sehen Sie jetzt schon die Bedeutung vor lauter Tieren nicht mehr? Nun, die Liste tierischer Redensarten ließe sich definitiv noch fortsetzen. Und es lohnt sich, in einer freien Minute nach weiteren unterhaltsamen Sprichwörtern rund um Hund, Katze, Maus und Co. im Chinesisch-Wörterbuch zu stöbern.

    Allerdings ist von übermäßigem Metapher-Gebrauch im Alltag dann doch wieder abzuraten. Verabreichen auch Sie chinesischen Bekannten deshalb deutschen Vokabelwildwuchs – wie Eintagsfliegen, Flöhe im Ohr, Würmer aus der Nase, aufgebundene Bären, Frösche im Hals und Elefanten im Porzellanladen – am besten nur peu à peu in wohldosierten Dosen. Sonst reden am Ende alle wild aneinander vorbei.

    Moment mal. Auch hierfür gibt es schon wieder eine tierische Metapher: Wenn Kommunikation ins Leere läuft, ist es, wie wenn “Hühner mit Enten reden” (鸡同鸭讲 jī tóng yā jiǎng), sagt man in China. Wieder eine metaphorische Knobelaufgabe also. Es ist aber auch zum Mäusemelken! 

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

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    China.Table Redaktion

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