Table.Briefing: China

Interview Gabujew + Atomwaffen für Xi

Liebe Leserin, lieber Leser,

“Was wir sehen, ist Chinas Aufstieg zur Weltmacht. Das ist die Realität unserer Zeit”, sagte Dan Smith am Wochenende. Der Direktor des Friedensforschungs-Instituts Sipri stützte seine Beobachtung auf die steigende Zahl chinesischer Atomwaffen. 410 sind es jetzt. 60 mehr als bei der letzten Zählung.

Das sind gemäß dem gesunden Menschenverstand 410 Atomwaffen zu viel. Aus militärischer Sicht sind sie dagegen ein Klacks. Amerikaner und Russen sind jeweils im Besitz von mehr als der zwölffachen (chinesischen) Menge. Doch Chinas Aufrüstung sorgt im asiatischen Raum für wesentlich mehr Aufregung als das russische Waffenlager. Und als das amerikanische Arsenal sowieso.

Finn Mayer-Kuckuk wirft deshalb einen Blick auf Chinas Nachbarschaft. In Südkorea und Japan liebäugelt man bereits mit eigenen Atomwaffen, was nicht nur als Reaktion auf nordkoreanisches Säbelrasseln gewertet wird, sondern inzwischen auch als Abschreckung Pekings dienen soll.

Dieses China also, das atomar zulegt, würde sich gerne als Friedensbote in der Ukraine gerieren. Glaubwürdigkeit erhofft sich Peking mit Hilfe aus Berlin und Paris, weshalb man Politikern wie Scholz und Macron die chinesische Initiative als Deckmantel zur Rechtfertigung ihrer Zusammenarbeit mit China anbietet, sagt Alexander Gabujew, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin.

Im Gespräch mit Michael Radunkski spricht Gabujew der Volksrepublik die Aufrichtigkeit ab. Seiner Ansicht nach ist kein anderes Land der Welt bei der Gestaltung seiner Außenpolitik derart an Eigeninteressen orientiert wie China. Und sind wir ehrlich, zum Frieden in der Ukraine aufrufen und gleichzeitig Waffen an Russland liefern, wirkt dann doch eher widersprüchlich.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna
  • Sipri-Institut

Interview

“China bietet westlichen Führern wie Scholz einen billigen Deckmantel”

Alexander Gabuev im Gespräch mit Table.Media-Redakteur Michael Radunski.

Vor wenigen Tagen sind Berichte aufgetaucht, wonach China Waffen an Russland liefere. Was wissen Sie darüber?

Ja, das stimmt. Es handelt sich aber um keine tödlichen Waffen in großen Mengen, sondern offenbar um gewissen Mengen an Kleinwaffen, gepanzerte Fahrzeuge oder auch Drohnen. Zudem soll die chinesische Militärindustrie einige Teile für russische Waffensysteme liefern. Aber diese Verbindungen reichen weit zurück und finden zwischen sanktionierten chinesischen und sanktionierten russischen Unternehmen statt.

Alles ohne Konsequenzen. Wird China also bald mehr liefern?

Würde China mehr tun, würde das sofort aufgedeckt – und alle Bemühungen, sich als neutraler Akteur zu positionieren, zunichtemachen. China weiß, dass Russland chinesische Waffen braucht, um zu gewinnen, aber Russland verliert diesen Krieg nicht. China ist völlig agnostisch. Ob die Frontlinie 100 Kilometer westlich verläuft, ob über Bachmut eine russische oder ukrainische Flagge weht, das ist China vollkommen egal. Peking liegt Putins Schicksal am Herzen. Was ich mir maximal vorstellen kann, wäre ein Artilleriegranatenaustausch, bei dem Nordkorea mehr nach Russland schickt und China dann Nordkorea versorgt.

Angesichts dieser Berichte, wie ehrlich ist Chinas Diplomatie-Ansatz gegenüber der Ukraine?

In Chinas Außenpolitik dreht sich alles um China. Es gibt viele egoistische Länder, aber China ist die Verkörperung des pragmatischen Egoismus, eingebettet in eine Propaganda, die China in der internationalen Gemeinschaft als eine Kraft des Guten darstellt.

Aber es war eher ein PR-Desaster, dass China als selbsternannter Vermittler so lange nicht mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen hat?

Chinas Ansatz wird von Risikowahrnehmung bestimmt. Und hier war man in Peking der Meinung, dass die Risiken eines Gesprächs mit Selenskyj die potenziellen Vorteile bei weitem überwiegen.

Welche Risiken?

Es bestand die reale Gefahr, dass Selenskyj einen sehr aggressiven Ton anschlagen würde. Dass er China anklagen würde, die russische Aggression zu ermöglichen oder Ähnliches. Wenn Selenskyj einen solchen Ansatz gewählt hätte, wäre das eine PR-Katastrophe für China gewesen.

Was brachte Xi Jinping nun dazu, mit Selenskyj zu sprechen?

Bis zu einem gewissen Grad der Druck aus dem Westen. China muss seine vielen Interessen in Einklang bringen: Erstens Russland als Juniorpartner, was für China als Folge dieses Krieges sehr vorteilhaft ist. Zweitens den strategischen Wettbewerb mit den USA. Der wird nicht verschwinden. Und drittens die Partnerschaft mit Europa.

Also waren Emmanuel Macron und Olaf Scholz mit ihrem Vorgehen gegenüber China erfolgreich?

Betrachten wir es aus chinesischer Sicht: China hat erkannt, dass Leute wie Scholz und Macron eine Begründung für ihren engen Kontakt zu Peking benötigen. Man musste ihnen etwas geben – und Xi Jinping hat genau das getan. Er hat China als Kraft für Diplomatie und friedliche Lösungen positioniert und zugleich westlichen Führern, die Wirtschaftsabkommen mit China abschließen wollen, einen billigen Deckmantel gegeben. Das gilt für Scholz und Macron, aber auch für Meloni, Sanchez und so weiter.

Und wie beurteilen Sie konkret Chinas Lösung für die Ukraine?

China fährt bislang damit ganz gut.

Wirklich? Die Kämpfe gehen unerbittlich weiter, der Krieg ist noch lange nicht vorbei.

Dass Chinas Vorschlag auf entscheidende Fragen nicht näher eingeht, ist doch kein Zufall, sondern Absicht. Dennoch ist es China gelungen, sich als Kraft des Guten und als bilateraler Partner der Ukraine zu positionieren. Selbst die Ukraine kritisiert China mit keinem Wort, sondern sagt im Grunde: Wir freuen uns über die Partnerschaft. Das sind gute Ergebnisse für China.

Und für den Frieden?

Ich erwarte nicht, dass Chinas 12-Punkte zu einem ernsthafteren Engagement führen werden. China weiß, dass es derzeit weder in Moskau noch in Kiew einen wirklichen Willen für Frieden gibt. Selenskyj kann seine Forderungen nicht herunterschrauben, zumindest nicht, bevor die Gegenoffensive vorbei ist. Und Putin glaubt, dass die Zeit auf seiner Seite ist. Seine Truppen schlagen sich miserabel, werden diesen Krieg aber nicht verlieren. Putin geht davon aus, dass die Ukraine ein weiteres Syrien oder Libyen für den Westen wird und dass die USA und ihre Partner irgendwann müde und abgelenkt werden.

Ohne ein sinnvolles Ergebnis für die Menschen in der Ukraine.

Nun, ich glaube nicht, dass China an einer Lösung des Konflikts interessiert ist. Es will aber auch nicht, dass der Konflikt auf unbestimmte Zeit andauert. China hat sich schlicht an die Situation vor Ort angepasst.

Sie bleiben dabei: Das ist ein gutes Ergebnis für China?

Aus Pekinger Sicht: Ja. Russland ist klarer Juniorpartner geworden. Russland war ohnehin auf diesem Weg, aber durch den Krieg ist es eine Junior-Partnerschaft wie auf Steroide. Und China will immer mehr: mehr Zugang zu Russlands billigen Energieressourcen, zu Düngemitteln, zu Metallen und landwirtschaftlichen Kapazitäten. China erhält Zugang zu allem, was Russland zu bieten hat – sogar zur besten russischen Militärtechnologie. Vor ein paar Jahren war das undenkbar.

Wie groß ist Chinas Einfluss auf Russland?

Die Situation ähnelt sehr dem Verhältnis von China zu Nordkorea, obwohl Nordkorea viel stärker von China abhängig ist und eine weitaus kleinere Macht als Russland. Aber selbst da: Kim Jong-uns Politik wird nicht von Peking diktiert. Er tut Dinge, die China nicht will, aber tolerieren muss, weil Kim weiß, wie man damit umgeht. Russland wird wie Nordkorea, aber in einer anderen Kategorie. Aber China ist clever, sie wissen, wie man damit umgeht, wie man Putins Ego massiert und wie man Russlands Elite zunehmend antiwestlich stimmt.

Würde Chinas Einfluss ausreichen, um diesen Krieg zu beenden?

Nein. China hat keinen Einfluss auf die ukrainische Seite. Und sein Einfluss auf Russland in diesem Sinne wird leicht überschätzt. Wenn China seine Unterstützung für Russland vollständig zurückzieht, würde Putin dann aufhören, die Ukraine verlassen und sich ein Ticket nach Den Haag kaufen? Wohl kaum. Russland würde trotzdem weitermachen.

Wie gefährlich ist die China-Russland-Partnerschaft für den Westen?

Durch den Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens hat der Kreml weniger Optionen und ist abhängiger von China als je zuvor. Zugleich ist Russland für China ein unverzichtbarer Juniorpartner bei Pekings Bestreben, die USA und ihre Verbündeten zurückzudrängen. China hat keinen anderen Freund, der so viel zu bieten hat. Und Xi, der sein Land auf eine lange Zeit der Konfrontation mit dem mächtigsten Land der Welt vorbereitet, braucht jede Hilfe, die er bekommen kann.

Wohin führt das?

Wenn wir in einen neuen Kalten Krieg mit China eintreten, ist China die nächste Sowjetunion und Russland der nächste Warschauer Pakt. Es gibt nur einen Unterschied: Russland ist freiwillig dabei, nicht wie einst die von der Sowjetunion besetzten Warschauer-Pakt-Staaten.

Dadurch wird die Lage gefährlicher als früher.

Zweifellos ist die China-Russland-Partnerschaft gefährlich für den Westen. Die Grenze der Nato zu China wird ihre Grenze zu Russland sein. Jeder ernsthafte Militärplaner sollte China und Russland zunehmend als Einheit betrachten, auch wenn es kein formelles Bündnis ist. Das hat enorme Konsequenzen für den Westen. Beispielsweise könnte Russland von China gebeten werden, eine große militärische Übung im Baltikum durchzuführen oder dort zu eskalieren, um westliche Einheiten zu binden und so China die Möglichkeit zu geben, in Asien etwas zu unternehmen. Das ist ein Szenario, auf das wir uns verstärkt konzentrieren sollten.

Alexander Gabujew ist Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center. Er leitet ein Team von Analysten, die früher Mitarbeiter des Carnegie Moscow Center waren, das 2022 vom Kreml geschlossen wurde. Seine eigene Forschung konzentriert sich auf die russische Außenpolitik, den Krieg in der Ukraine und die chinesisch-russischen Beziehungen.

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Analyse

Mehr Atombomben für Xis Sicherheitsdoktrin

China ist das Land, das im vergangenen Jahr die meisten neuen Atomwaffen zu seinem Arsenal hinzugefügt hat. Das berichtet das Forschungsinstitut Sipri in Stockholm. Russland verfügt demnach über zwölf Sprengköpfe mehr als im vergangenen Jahr, bei allen anderen Atommächten gab es nur einstellige Schwankungen – bis auf China: Die Volksrepublik hat mit 60 neuen Bomben kräftig zugelegt.

Damit verfügt China zwar immer noch über viel weniger Atomwaffen als die USA und Russland. Doch die nukleare Aufrüstung trägt zur steigenden Nervosität in einer Region bei, in der die nuklearen Ambitionen immer weiter zunehmen:

  • Südkorea denkt als Reaktion auf das nordkoreanische Atomprogramm darüber nach, sich eigene Kernsprengköpfe zuzulegen. Nordkorea hat zwar bisher nur wenige Bomben, droht aber seit Jahren offen mit der Vernichtung des Nachbarn. Dafür würden die vorhandenen 30 Sprengköpfe ausreichen.
  • Nordkorea hat sich im September vergangenen Jahres in einem neuen Gesetz selbst zur Atommacht erklärt. Das Gesetz hat eine neue Nukleardoktrin festgelegt. Machthaber Kim Jong-un hat demnach die alleinige Kontrolle über das Arsenal. Im Falle eines fremden Angriffs soll aber auf jeden Fall automatisch ein Gegenschlag erfolgen.
  • Japan: Aufrüstung mit Atomwaffen ist eigentlich ein Tabuthema. Die Bevölkerung liebt ihre Friedensverfassung von 1947. Die Regierung von Fumio Kishida hat sich ausdrücklich dem Projekt einer kernwaffenfreien Welt verpflichtet. Doch wer genau hinschaut, erkennt eine Aufweichung des Tabus. Vor seiner Ermordung hatte Ex-Premier Shinzo Abe den Bau von Nuklearsprengköpfen zur Debatte gestellt. Die USA drängen das Land ohnehin in diese Richtung, um die Abschreckung in der Region nicht allein tragen zu müssen. Das bisherige Tabu entwickelt sich zum Dilemma.
  • Indien und Pakistan, Nachbarn Chinas, verfügen bereits offiziell über Kernsprengköpfe.

Regierung Biden ist gespalten

China und Russland befinden sich nun auf Platz 1 und 2 der Länder, die derzeit am schnellsten atomar nachrüsten, gefolgt von Nordkorea und Pakistan. Die USA als zweitgrößte Atommacht nach Russland spielen nun die entscheidende Rolle. Ihr Verhalten ist jedoch doppelköpfig. Biden selbst mag Abrüstung anstreben, aber er will im Wahlkampf nicht nachgiebig erscheinen.

Die Regierung Biden sondiert daher in Moskau und Peking die Chancen für Abrüstungsverhandlungen. Aber auf faktischer Ebene heizt Washington den Wettlauf eher noch an. “Zusammen mit unseren Nato-Partnern setzen wir einen lasergenauen Fokus auf die Modernisierung unserer Nuklearfähigkeiten”, sagte Anfang des Monats Jake Sullivan. Bidens Sicherheitsberater zählte auf dem Jahresforum Rüstungskontrolle der USA eine lange Reihe von technischen Neuerungen im Bereich der Atomwaffen auf.

USA: China verhindert Abkommen

Als Schuldigen für die Erosion der nuklearen Sicherheit nennt Sullivan vor allem China. Er rechnet damit, dass China bis 2035 über 1.500 Sprengköpfe verfügen werde. Zugleich beklagt Sullivan mangelnde Dialogbereitschaft Pekings bei dem Thema. Das ist durchaus ein Problem, da China die geopolitische Landschaft längst entscheidend mitprägt.

China zeige sich unzugänglich und kompromisslos, wie sich im vergangenen Jahr auf der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags der Uno gezeigt habe. Die Konferenz findet alle fünf Jahre statt. Doch Pekings Haltung blockiere internationale Fortschritte, da tragfähige Abkommen einen Konsens aller großen Atomstaaten erfordern, so die US-Beobachter.

Peking: Die anderen sind schuld

Von Peking aus stellt sich die Lage anders dar. China selbst sieht sich als verantwortungsvoller Akteur in der Abrüstungsfrage. Auf der Atomwaffensperrkonferenz habe sich das Land von Xi Jinpings Vision einer umfassenden globalen Sicherheit leiten lassen. Man respektiere und unterstütze den Status und die Rolle der Konferenz, heißt es aus Peking.

China selbst setze sich konsequent für Rüstungskontrolle ein und vertrete seit Jahrzehnten die stabilsten Positionen zu dem Thema, so ein Regierungssprecher. Das Fehlen eines Abschlussdokuments sei bedauerlich, doch die Bemühungen um Atomkontrolle seien ein fortlaufender Prozess.

Nach Ansicht des chinesischen Außenministeriums war es die “falsche Praxis, geopolitische Interessen über Nichtverbreitungsaspekte zu stellen”, die im vergangenen Jahr die Formulierung eines Abschlussdokuments verhindert hat. Ob er damit die USA oder Russland meint, ließ er offen.

Russlands Widerstand

Gustavo Zlauvinen, Präsident der Überprüfungskonferenz des Atomsperrvertrags, klagt, dass keine der fünf großen Atommächte konkrete Standards und Verpflichtungen akzeptiert habe. Dabei konnte er keine sichtbare Koordination zwischen China und Russland erkennen, beide Delegationen hätten vielmehr unabhängig voneinander agiert.

Pekings Haltung sei anfangs besonders hinderlich gewesen: “China war das Hauptproblem. Es war gegen eine Verbesserung der nationalen Transparenz”, sagt Zlauvinen. Das betraf insbesondere Informationen über die Größe des eigenen Arsenals. Erst im letzten Moment habe Peking den Weg für ein Abschlussdokument freigemacht. Letztlich sei die Konferenz dann am Widerstand Russlands gescheitert, nicht am Widerstand Chinas.

Pekings Lippenbekenntnis

Im Gesamtbild wollte Xi Jinping sich nicht von den USA, Frankreich und Großbritannien neue Berichtspflichten vorschreiben lassen – das entspricht seiner misstrauischen Haltung dem Westen gegenüber. Doch auch die Weiterverbreitung von Atomwaffen ist nie im Interesse einer bestehenden Atommacht. Für ein entsprechend geschickt formuliertes Angebot wäre China deshalb wohl offen gewesen.

Wenn die Sipri-Angaben nun richtig sind und China 60 neue Atomsprengköpfe produziert hat, dann degradiert das seine schönen Worte von der alternativen Sicherheitsarchitektur zu einem reinen Lippenbekenntnis. China strebt derzeit wie alle anderen großen Mächte mehr militärische Sicherheit an, statt mit gutem Beispiel bei der Abrüstung voranzugehen. Das macht vor allem das Verhalten seines Verbündeten Russland nötig, das über die meisten Sprengköpfe verfügt und sich zugleich als schwer berechenbar erwiesen hat.

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News

Scholz: Mittelständler sollten nicht nur China sehen

Deutsche Mittelständler sollten sich nach Ansicht von Bundeskanzler Olaf Scholz neben China auch in anderen Boom-Regionen der Welt engagieren. China habe in den vergangenen 30, 40 Jahren ein unglaubliches Wirtschaftswachstum erlebt, sagte Scholz am Sonntagabend beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow. Die Aufgabe sei zwar nicht, aus China wegzugehen, sagte der SPD-Politiker. “Sondern die Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass man auch noch an vielen anderen Orten ist.”

Die jüngsten Krisen hätten gezeigt, dass eine allzu große Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen oder Regionen ein Nachteil gewesen sei. “Aber ich bin überzeugt, dass sich bei den anderen aufstrebenden Nationen Asiens, auch in Afrika und in Südamerika große, neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.”

China ist Deutschland wichtigster Handelspartner – das siebte Jahr in Folge. Die Bundesregierung plädiert jedoch seit Längerem dafür, dass die Wirtschaft die Abhängigkeit von China reduziert. “Vielleicht sind die jetzigen Zeiten, wo man sich ein bisschen umschaut, ja auch gut, weil dann ja auch ungeahnte neue Möglichkeiten auf einen zukommen.” rtr/rad

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Blinken vor China-Reise

US-Außenminister Antony Blinken will offenbar Ende der Woche nach China reisen. Ursprünglich war sein Besuch schon vor vier Monaten geplant, wurde allerdings wegen nach dem Abschuss eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons abgesagt. Blinken werde am 18. Juni in Peking eintreffen, hieß es aus amerikanischen Regierungskreisen. Offiziell bestätigt ist die Reise allerdings noch nicht.

Der Besuch Blinkens wäre ein wichtiger Schritt hin zu einer Normalisierung. Die Beziehungen zwischen den beiden Großmächten sind derzeit sehr angespannt. Auf dem Shangri-La-Dialog, der asiatischen Sicherheitskonferenz in Singapur, lieferten sich die Verteidigungsminister einen scharfen Schlagabtausch. Zwar hatten die USA um ein separates Treffen gebeten, zu mehr als einem kurzen Handschlag kam es allerdings nicht. Blinkens Reise nach China wäre die erste eines US-Außenministers seit fast fünf Jahren. rad

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Immer weniger Hochzeiten

In China sind 2022 so wenige Ehen geschlossen worden wie noch nie seit Beginn der Registrierungen. Wie aus Daten des Ministeriums für zivile Angelegenheiten hervorgeht, meldeten im vergangenen Jahr lediglich 6,83 Millionen Paare ihre Eheschließung an. Das sind etwa 800.000 weniger als im Jahr davor.

Damit setzt sich der stetige Rückgang der vergangenen zehn Jahre fort, wobei zuletzt die Zahl der Eheschließungen auch durch die strengen Einschränkungen im Kampf gegen die Corona-Krise beeinflusst worden war. Unverheiratete Frauen werden gesellschaftlich und wirtschaftlich benachteiligt. Besonders schwer haben es alleinstehende Mütter.

Die wenigen Ehen passen zu der generellen chinesischen Demografie. Zuletzt ging die Bevölkerungszahl Chinas zum ersten Mal seit sechs Jahrzehnten zurück. Zudem sank auch Chinas Geburtenrate im vergangenen Jahr auf 6,77 Geburten pro 1.000 Einwohner – und damit auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Daten-Erhebung.

Längst versucht die Politik gegenzusteuern. Um Heirat zu fördern und für mehr Kinder zu sorgen, kündigte die Führung in Peking jüngst an, in mehr als 20 Städten Pilotprojekte zu starten, um eine neue Ära rund um das Heiraten und das Gebären von Kindern zu schaffen. So gewähren einige Provinzen Frischvermählten eine Verlängerung des bezahlten Eheurlaubs. rad

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Lady of Liberty in Frankfurt

Kundgebung in Frankfurt: Die Hongkonger in Deutschland stellten den Kopf der Lady of Liberty aus.

Bürgerrechtsaktivisten haben ein symbolisches Überbleibsel der Hongkonger Protestbewegung in Frankfurt ausgestellt. Der Verein Hongkonger in Deutschland e.V. präsentierte am Samstag auf dem Liebfrauenberg den abgeschlagenen Kopf der Lady of Liberty. Das Kunstwerk symbolisiert eine Demonstrantin, die einen Schutzhelm, eine Schutzbrille und eine Gasmaske trägt.

Mit ihrer Aktion wollten die Hongkonger in Deutschland an den Entzug ihrer in der Verfassung zugesicherten Bürgerrechte erinnern. “Mit diesem Symbol kann die Welt deutlich sehen, wie die Kommunistische Partei Chinas ihre Versprechen gebrochen und unsere Freiheit genommen hat. Niemand sollte Chinas Menschenrechtsverbrechen aus wirtschaftlichen Interessen ignorieren”, sagte die Vorsitzende Aniessa Andresen.

Die einst vier Meter hohe Statue aus Gips und Styropor war im Jahr 2019 in einer nächtlichen Geheimaktion von einer Gruppe von Studenten auf dem Löwenfelsen in Hongkong errichtet worden. Allerdings thronte sie nur wenige Stunden über der Stadt, ehe sie von Unbekannten umgestürzt, zerstückelt und beschmiert wurde.

2019 hatte Hongkong monatelange Proteste gegen den wachsenden Einfluss der Kommunistischen Partei erlebt. Die Demonstrationen mündeten in der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes und in der politischen Säuberung oppositioneller Stimmen. grz

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Presseschau

It’s time to focus on preventing war with China, not preparing for it FORBES
Chinas nukleare Aufrüstung: Gefährliches Druckmittel TAZ
USA entwickeln Raketen – um chinesische Schiffe aus über 1000 Kilometer Entfernung zu versenken MERKUR
USA bestätigen Vorwürfe: China nutzt Kuba für Spionage N-TV
U.S. Coast Guard to widen Indo-Pacific presence with eye on China NIKKEI
Andere Absichten als Abschreckung? Chinas atomare Ambitionen RND
Flight training for Chinese military pilots targeted in latest US export crackdown REUTERS
Xi Jinping baut Beziehungen mit Honduras aus ZEIT
Dutch government to screen foreign PhD tech students, denies targeting China REUTERS
Hong Kong protesters allegedly attacked by Chinese activists in Southampton THEGUARDIAN
Last Indian Journalist Ordered To Leave China, Signaling India’s Complete Media Withdrawal OUTLOOKINDIA
China’s southern cities call for power saving as grid stress increases CHANNELNEWSASIA
Gesellschaft schrumpft und altert rapide – China: Die Demografie-Bombe – Bevölkerung schrumpft FINANZMARKTWELT
So bereitet die deutsche Wirtschaft das Extrem-Szenario um Taiwan vor WELT
Warum Vietnam als alternativer Produktionsstandort neben China immer wichtiger wird NZZ
U.S. to Allow South Korean, Taiwan Chip Makers to Keep Operations in China WSJ
Immobilien stehen für 30% des BIP – China: Jahrelanger Abschwung durch Krise bei Immobilien FINANZMARKTWELT
Gold bars used to lure Chinese homebuyers amid market slowdown THEGUARDIAN
Microsoft’s Big Footprint In China Is Out Of Step With U.S. Security Concerns FORBES
Microsoft zieht KI-Entwickler aus China ab, verlegt sie nach Kanada WINFUTURE
Samsung-Manager wollte ganze Chipfabrik in China kopieren FUTUREZONE
“Für Deutsche ist ein Auto ein Auto, für Chinesen ein Computer auf Rädern” HANDELSBLATT
Tesla Unveils New Giga Laboratory Showroom In China INSIDEEVS
Es geht auch um die Ästhetik: Chinesische Airline führt Gewichtskontrolle für Flugbegleiterinnen ein T-ONLINE
Probleme mit dem Pass: Leo Messi in China von der Polizei festgehalten BILD
Was geschah nach dem Urknall? China will mit Mondsatelliten ins Universum horchen T-ONLINE

Heads

Wu Ming-yi – Mit Eco-Fiction gegen Umweltzerstörung

In seiner Heimat Taiwan ist Wu Ming-yi einer der bekanntesten Schriftsteller der Gegenwartsliteratur. Für seinen historischen Roman “The Stolen Bicycle” wurde er 2018 als erster Taiwaner für den Booker-Preis nominiert. Seinen bislang einzigen ins Deutsche übersetzten Roman “Der Mann mit den Facettenaugen” rechnet man der sogenannten Eco-Fiction zu – Literatur, die sich mit dem menschlichen Einfluss auf die Natur auseinandersetzt.

In dem so fantasievollen wie drastischen Werk beschreibt Wu unter anderem, wie sich eine gewaltige Müllinsel Taiwans Küste nähert und dabei Menschen zusammenbringt, deren Wege sich ohne die menschengemachte Katastrophe niemals gekreuzt hätten.

Der 1971 in Taoyuan geborene Schriftsteller und Literaturprofessor der Dong-Hwa-Nationaluniversität begreift sich auch als Aktivist. Schon in den 1980er-Jahren engagierte er sich in taiwanischen Umweltschutzgruppen. Damals habe man vor allem gegen multinationale Konzerne protestiert, die mittels Steuererleichterungen und niedriger Lohnkosten nach Taiwan gelockt wurden, erklärt er. Vor allem die Kunststoff- und Chemieindustrie hatte Taiwans Wirtschaftswunder ab den späten 1950er-Jahren befeuert. Die Kosten für die Umwelt waren enorm.

Eine Müllinsel viermal so groß wie Deutschland

1986 führte der Bau einer Titandioxid-Fabrik des amerikanischen Chemie-Riesen Dupont zur ersten großen Umweltschutzbewegung Taiwans. Auch Wu verfolgte die Ereignisse damals aufmerksam. 2011 schloss er sich dann selbst großen Demonstrationen gegen ein Petrochemie-Projekt in der Küstenstadt Changhua an. Es waren die größten Aktionen in Südostasien und zeitigte den bis heute umfassendsten Klimaschutzprotest in Taiwan. “Ein von mir konzipiertes Buch wurde damals zeitgleich zu den Protesten veröffentlicht, das die Gegenstimmen vieler Wissenschaftler, Intellektueller und Autoren bündelte.” Der Protest hatte Wirkung. Das 20 Milliarden Dollar teure Projekt wurde vom damaligen Präsidenten Ma Ying-jeou untersagt.

Vieles von dem Detailwissen, das in seinen wissenschaftlich fundierten Romanen zum Tragen kommt, hat Wu sich über die Jahre in seiner aktivistischen Arbeit angeeignet. So existiert auch die auf dem Meer treibende Müllinsel aus dem Roman tatsächlich: Der “Great Pacific Garbage Patch” ist ein Strudel aus bis zu 50 Jahre altem Unrat, der sich mittlerweile über 1,6 Millionen Quadratkilometer erstreckt – eine Fläche, viermal so groß wie Deutschland.

Taiwan steht am Scheideweg

“Die Umweltschutzauflagen sind für ausländische Unternehmen seit den ersten Protesten in den 1980er-Jahren strenger und strikter geworden”, sagt Wu. “Das heutige Taiwan hat hohe Standards bezüglich Umweltschutz erreicht – das zeigt sich auch im Alltag, wie man etwa beim Abfall-Recycling sieht.” Dennoch stehe die Insel am Scheideweg, sagt der Schriftsteller. “Taiwan steht vor der Wahl, entweder ein ökologisches Vorbild für ganz Südostasien zu werden oder ein verlassenes Ödland, das sich nach immer mehr Wirtschaftswachstum verzehrt.”

Wie viele andere Inseln der Welt ist Taiwan von den steigenden Temperaturen akut gefährdet. Aufgrund des höheren Meeresspiegels werden Fluten und extreme Stürme zunehmen. Die Regierung Taiwans hat sich vorgenommen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Demgegenüber stehen die wachsenden Energiebedürfnisse der Wirtschaft. Besonders die florierende Halbleiterindustrie benötigt enorm viel Energie. Aber auch traditionelle Industrien wie Stahl, Zement oder Chemie brauchen Strom. “Das Thema, das in Taiwan heute am heißesten diskutiert wird, ist, welche Energiequelle die beste für uns ist: Gas, Atomkraft oder erneuerbare Energien?” Taiwan hat sich vorgenommen, bis 2025 rund 20 Prozent der Stromerzeugung durch alternative Quellen zu generieren – 2018 waren es nur fünf Prozent. Atomkraft soll ab 2025 gar nicht mehr zum Einsatz kommen.

China gefährdet Taiwans Klimaziele

Neben Solarkraft und Geothermie soll bei Taiwans Energiewende vor allem Offhore-Windkraft eine tragende Rolle spielen. Die Bedingungen in der Taiwanstraße sind vielversprechend: Die Gewässer sind flach, die Windstärken hoch. Ein Risiko, das dabei auch hier wieder stärker in den Fokus rückt, ist die Bedrohung aus China. “Wir sehen an der Ukraine, wie wichtig die Energieversorgung im Kriegsfall ist”, sagt Wu. “Taiwan muss allein aufgrund seiner nationalen Sicherheit unabhängig sein. Darüber hinaus ist der Schutz der Meere wichtiger geworden. Davor richteten wir die Diskussion über den chinesischen Einfluss oft auf unser ‘Land’. Nun schauen wir verstärkt aufs Meer.”

Ein weiteres Problem, das durch Chinas Gebietsansprüche über Taiwan entsteht, ist die politische Isolierung der Insel, die sich auch in globalen Umweltkooperationen niederschlägt. “Taiwan hat kaum Einfluss in internationalen Organisationen – egal, ob es offizielle oder inoffizielle Organisationen sind. Es ist daher schwer für Taiwan, beim Thema Umweltschutz international Fuß zu fassen.” Fabian Peltsch, Mitarbeit: Ziyi Huang

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Personalie

Eric Aufricht ist neuer Leiter von Mercedes me Charge für die Region Übersee & China. Zuvor leitete Aufricht die Mercedes Pay GmbH, ein anderer Zweig des deutschen Automobilkonzerns.

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Dessert

Die Taiwanerin Hsieh Su-wei (r.) und die Chinesin Wang Xinyu (2.v.r.) haben das Doppelfinale der French Open gegen die us-kanadische Kombination Townsend/Fernandez gewonnen. Je nach politischer Gesinnung lässt sich der Triumph als Symbol für die Chancen einer chinesisch-taiwanischen Vereinigung interpretieren oder als Beispiel für die Chancen, wenn man in Zukunft Seite an Seite friedlich koexistiert.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Das sind gemäß dem gesunden Menschenverstand 410 Atomwaffen zu viel. Aus militärischer Sicht sind sie dagegen ein Klacks. Amerikaner und Russen sind jeweils im Besitz von mehr als der zwölffachen (chinesischen) Menge. Doch Chinas Aufrüstung sorgt im asiatischen Raum für wesentlich mehr Aufregung als das russische Waffenlager. Und als das amerikanische Arsenal sowieso.

    Finn Mayer-Kuckuk wirft deshalb einen Blick auf Chinas Nachbarschaft. In Südkorea und Japan liebäugelt man bereits mit eigenen Atomwaffen, was nicht nur als Reaktion auf nordkoreanisches Säbelrasseln gewertet wird, sondern inzwischen auch als Abschreckung Pekings dienen soll.

    Dieses China also, das atomar zulegt, würde sich gerne als Friedensbote in der Ukraine gerieren. Glaubwürdigkeit erhofft sich Peking mit Hilfe aus Berlin und Paris, weshalb man Politikern wie Scholz und Macron die chinesische Initiative als Deckmantel zur Rechtfertigung ihrer Zusammenarbeit mit China anbietet, sagt Alexander Gabujew, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin.

    Im Gespräch mit Michael Radunkski spricht Gabujew der Volksrepublik die Aufrichtigkeit ab. Seiner Ansicht nach ist kein anderes Land der Welt bei der Gestaltung seiner Außenpolitik derart an Eigeninteressen orientiert wie China. Und sind wir ehrlich, zum Frieden in der Ukraine aufrufen und gleichzeitig Waffen an Russland liefern, wirkt dann doch eher widersprüchlich.

    Ihr
    Marcel Grzanna
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    “China bietet westlichen Führern wie Scholz einen billigen Deckmantel”

    Alexander Gabuev im Gespräch mit Table.Media-Redakteur Michael Radunski.

    Vor wenigen Tagen sind Berichte aufgetaucht, wonach China Waffen an Russland liefere. Was wissen Sie darüber?

    Ja, das stimmt. Es handelt sich aber um keine tödlichen Waffen in großen Mengen, sondern offenbar um gewissen Mengen an Kleinwaffen, gepanzerte Fahrzeuge oder auch Drohnen. Zudem soll die chinesische Militärindustrie einige Teile für russische Waffensysteme liefern. Aber diese Verbindungen reichen weit zurück und finden zwischen sanktionierten chinesischen und sanktionierten russischen Unternehmen statt.

    Alles ohne Konsequenzen. Wird China also bald mehr liefern?

    Würde China mehr tun, würde das sofort aufgedeckt – und alle Bemühungen, sich als neutraler Akteur zu positionieren, zunichtemachen. China weiß, dass Russland chinesische Waffen braucht, um zu gewinnen, aber Russland verliert diesen Krieg nicht. China ist völlig agnostisch. Ob die Frontlinie 100 Kilometer westlich verläuft, ob über Bachmut eine russische oder ukrainische Flagge weht, das ist China vollkommen egal. Peking liegt Putins Schicksal am Herzen. Was ich mir maximal vorstellen kann, wäre ein Artilleriegranatenaustausch, bei dem Nordkorea mehr nach Russland schickt und China dann Nordkorea versorgt.

    Angesichts dieser Berichte, wie ehrlich ist Chinas Diplomatie-Ansatz gegenüber der Ukraine?

    In Chinas Außenpolitik dreht sich alles um China. Es gibt viele egoistische Länder, aber China ist die Verkörperung des pragmatischen Egoismus, eingebettet in eine Propaganda, die China in der internationalen Gemeinschaft als eine Kraft des Guten darstellt.

    Aber es war eher ein PR-Desaster, dass China als selbsternannter Vermittler so lange nicht mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen hat?

    Chinas Ansatz wird von Risikowahrnehmung bestimmt. Und hier war man in Peking der Meinung, dass die Risiken eines Gesprächs mit Selenskyj die potenziellen Vorteile bei weitem überwiegen.

    Welche Risiken?

    Es bestand die reale Gefahr, dass Selenskyj einen sehr aggressiven Ton anschlagen würde. Dass er China anklagen würde, die russische Aggression zu ermöglichen oder Ähnliches. Wenn Selenskyj einen solchen Ansatz gewählt hätte, wäre das eine PR-Katastrophe für China gewesen.

    Was brachte Xi Jinping nun dazu, mit Selenskyj zu sprechen?

    Bis zu einem gewissen Grad der Druck aus dem Westen. China muss seine vielen Interessen in Einklang bringen: Erstens Russland als Juniorpartner, was für China als Folge dieses Krieges sehr vorteilhaft ist. Zweitens den strategischen Wettbewerb mit den USA. Der wird nicht verschwinden. Und drittens die Partnerschaft mit Europa.

    Also waren Emmanuel Macron und Olaf Scholz mit ihrem Vorgehen gegenüber China erfolgreich?

    Betrachten wir es aus chinesischer Sicht: China hat erkannt, dass Leute wie Scholz und Macron eine Begründung für ihren engen Kontakt zu Peking benötigen. Man musste ihnen etwas geben – und Xi Jinping hat genau das getan. Er hat China als Kraft für Diplomatie und friedliche Lösungen positioniert und zugleich westlichen Führern, die Wirtschaftsabkommen mit China abschließen wollen, einen billigen Deckmantel gegeben. Das gilt für Scholz und Macron, aber auch für Meloni, Sanchez und so weiter.

    Und wie beurteilen Sie konkret Chinas Lösung für die Ukraine?

    China fährt bislang damit ganz gut.

    Wirklich? Die Kämpfe gehen unerbittlich weiter, der Krieg ist noch lange nicht vorbei.

    Dass Chinas Vorschlag auf entscheidende Fragen nicht näher eingeht, ist doch kein Zufall, sondern Absicht. Dennoch ist es China gelungen, sich als Kraft des Guten und als bilateraler Partner der Ukraine zu positionieren. Selbst die Ukraine kritisiert China mit keinem Wort, sondern sagt im Grunde: Wir freuen uns über die Partnerschaft. Das sind gute Ergebnisse für China.

    Und für den Frieden?

    Ich erwarte nicht, dass Chinas 12-Punkte zu einem ernsthafteren Engagement führen werden. China weiß, dass es derzeit weder in Moskau noch in Kiew einen wirklichen Willen für Frieden gibt. Selenskyj kann seine Forderungen nicht herunterschrauben, zumindest nicht, bevor die Gegenoffensive vorbei ist. Und Putin glaubt, dass die Zeit auf seiner Seite ist. Seine Truppen schlagen sich miserabel, werden diesen Krieg aber nicht verlieren. Putin geht davon aus, dass die Ukraine ein weiteres Syrien oder Libyen für den Westen wird und dass die USA und ihre Partner irgendwann müde und abgelenkt werden.

    Ohne ein sinnvolles Ergebnis für die Menschen in der Ukraine.

    Nun, ich glaube nicht, dass China an einer Lösung des Konflikts interessiert ist. Es will aber auch nicht, dass der Konflikt auf unbestimmte Zeit andauert. China hat sich schlicht an die Situation vor Ort angepasst.

    Sie bleiben dabei: Das ist ein gutes Ergebnis für China?

    Aus Pekinger Sicht: Ja. Russland ist klarer Juniorpartner geworden. Russland war ohnehin auf diesem Weg, aber durch den Krieg ist es eine Junior-Partnerschaft wie auf Steroide. Und China will immer mehr: mehr Zugang zu Russlands billigen Energieressourcen, zu Düngemitteln, zu Metallen und landwirtschaftlichen Kapazitäten. China erhält Zugang zu allem, was Russland zu bieten hat – sogar zur besten russischen Militärtechnologie. Vor ein paar Jahren war das undenkbar.

    Wie groß ist Chinas Einfluss auf Russland?

    Die Situation ähnelt sehr dem Verhältnis von China zu Nordkorea, obwohl Nordkorea viel stärker von China abhängig ist und eine weitaus kleinere Macht als Russland. Aber selbst da: Kim Jong-uns Politik wird nicht von Peking diktiert. Er tut Dinge, die China nicht will, aber tolerieren muss, weil Kim weiß, wie man damit umgeht. Russland wird wie Nordkorea, aber in einer anderen Kategorie. Aber China ist clever, sie wissen, wie man damit umgeht, wie man Putins Ego massiert und wie man Russlands Elite zunehmend antiwestlich stimmt.

    Würde Chinas Einfluss ausreichen, um diesen Krieg zu beenden?

    Nein. China hat keinen Einfluss auf die ukrainische Seite. Und sein Einfluss auf Russland in diesem Sinne wird leicht überschätzt. Wenn China seine Unterstützung für Russland vollständig zurückzieht, würde Putin dann aufhören, die Ukraine verlassen und sich ein Ticket nach Den Haag kaufen? Wohl kaum. Russland würde trotzdem weitermachen.

    Wie gefährlich ist die China-Russland-Partnerschaft für den Westen?

    Durch den Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens hat der Kreml weniger Optionen und ist abhängiger von China als je zuvor. Zugleich ist Russland für China ein unverzichtbarer Juniorpartner bei Pekings Bestreben, die USA und ihre Verbündeten zurückzudrängen. China hat keinen anderen Freund, der so viel zu bieten hat. Und Xi, der sein Land auf eine lange Zeit der Konfrontation mit dem mächtigsten Land der Welt vorbereitet, braucht jede Hilfe, die er bekommen kann.

    Wohin führt das?

    Wenn wir in einen neuen Kalten Krieg mit China eintreten, ist China die nächste Sowjetunion und Russland der nächste Warschauer Pakt. Es gibt nur einen Unterschied: Russland ist freiwillig dabei, nicht wie einst die von der Sowjetunion besetzten Warschauer-Pakt-Staaten.

    Dadurch wird die Lage gefährlicher als früher.

    Zweifellos ist die China-Russland-Partnerschaft gefährlich für den Westen. Die Grenze der Nato zu China wird ihre Grenze zu Russland sein. Jeder ernsthafte Militärplaner sollte China und Russland zunehmend als Einheit betrachten, auch wenn es kein formelles Bündnis ist. Das hat enorme Konsequenzen für den Westen. Beispielsweise könnte Russland von China gebeten werden, eine große militärische Übung im Baltikum durchzuführen oder dort zu eskalieren, um westliche Einheiten zu binden und so China die Möglichkeit zu geben, in Asien etwas zu unternehmen. Das ist ein Szenario, auf das wir uns verstärkt konzentrieren sollten.

    Alexander Gabujew ist Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center. Er leitet ein Team von Analysten, die früher Mitarbeiter des Carnegie Moscow Center waren, das 2022 vom Kreml geschlossen wurde. Seine eigene Forschung konzentriert sich auf die russische Außenpolitik, den Krieg in der Ukraine und die chinesisch-russischen Beziehungen.

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    Analyse

    Mehr Atombomben für Xis Sicherheitsdoktrin

    China ist das Land, das im vergangenen Jahr die meisten neuen Atomwaffen zu seinem Arsenal hinzugefügt hat. Das berichtet das Forschungsinstitut Sipri in Stockholm. Russland verfügt demnach über zwölf Sprengköpfe mehr als im vergangenen Jahr, bei allen anderen Atommächten gab es nur einstellige Schwankungen – bis auf China: Die Volksrepublik hat mit 60 neuen Bomben kräftig zugelegt.

    Damit verfügt China zwar immer noch über viel weniger Atomwaffen als die USA und Russland. Doch die nukleare Aufrüstung trägt zur steigenden Nervosität in einer Region bei, in der die nuklearen Ambitionen immer weiter zunehmen:

    • Südkorea denkt als Reaktion auf das nordkoreanische Atomprogramm darüber nach, sich eigene Kernsprengköpfe zuzulegen. Nordkorea hat zwar bisher nur wenige Bomben, droht aber seit Jahren offen mit der Vernichtung des Nachbarn. Dafür würden die vorhandenen 30 Sprengköpfe ausreichen.
    • Nordkorea hat sich im September vergangenen Jahres in einem neuen Gesetz selbst zur Atommacht erklärt. Das Gesetz hat eine neue Nukleardoktrin festgelegt. Machthaber Kim Jong-un hat demnach die alleinige Kontrolle über das Arsenal. Im Falle eines fremden Angriffs soll aber auf jeden Fall automatisch ein Gegenschlag erfolgen.
    • Japan: Aufrüstung mit Atomwaffen ist eigentlich ein Tabuthema. Die Bevölkerung liebt ihre Friedensverfassung von 1947. Die Regierung von Fumio Kishida hat sich ausdrücklich dem Projekt einer kernwaffenfreien Welt verpflichtet. Doch wer genau hinschaut, erkennt eine Aufweichung des Tabus. Vor seiner Ermordung hatte Ex-Premier Shinzo Abe den Bau von Nuklearsprengköpfen zur Debatte gestellt. Die USA drängen das Land ohnehin in diese Richtung, um die Abschreckung in der Region nicht allein tragen zu müssen. Das bisherige Tabu entwickelt sich zum Dilemma.
    • Indien und Pakistan, Nachbarn Chinas, verfügen bereits offiziell über Kernsprengköpfe.

    Regierung Biden ist gespalten

    China und Russland befinden sich nun auf Platz 1 und 2 der Länder, die derzeit am schnellsten atomar nachrüsten, gefolgt von Nordkorea und Pakistan. Die USA als zweitgrößte Atommacht nach Russland spielen nun die entscheidende Rolle. Ihr Verhalten ist jedoch doppelköpfig. Biden selbst mag Abrüstung anstreben, aber er will im Wahlkampf nicht nachgiebig erscheinen.

    Die Regierung Biden sondiert daher in Moskau und Peking die Chancen für Abrüstungsverhandlungen. Aber auf faktischer Ebene heizt Washington den Wettlauf eher noch an. “Zusammen mit unseren Nato-Partnern setzen wir einen lasergenauen Fokus auf die Modernisierung unserer Nuklearfähigkeiten”, sagte Anfang des Monats Jake Sullivan. Bidens Sicherheitsberater zählte auf dem Jahresforum Rüstungskontrolle der USA eine lange Reihe von technischen Neuerungen im Bereich der Atomwaffen auf.

    USA: China verhindert Abkommen

    Als Schuldigen für die Erosion der nuklearen Sicherheit nennt Sullivan vor allem China. Er rechnet damit, dass China bis 2035 über 1.500 Sprengköpfe verfügen werde. Zugleich beklagt Sullivan mangelnde Dialogbereitschaft Pekings bei dem Thema. Das ist durchaus ein Problem, da China die geopolitische Landschaft längst entscheidend mitprägt.

    China zeige sich unzugänglich und kompromisslos, wie sich im vergangenen Jahr auf der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags der Uno gezeigt habe. Die Konferenz findet alle fünf Jahre statt. Doch Pekings Haltung blockiere internationale Fortschritte, da tragfähige Abkommen einen Konsens aller großen Atomstaaten erfordern, so die US-Beobachter.

    Peking: Die anderen sind schuld

    Von Peking aus stellt sich die Lage anders dar. China selbst sieht sich als verantwortungsvoller Akteur in der Abrüstungsfrage. Auf der Atomwaffensperrkonferenz habe sich das Land von Xi Jinpings Vision einer umfassenden globalen Sicherheit leiten lassen. Man respektiere und unterstütze den Status und die Rolle der Konferenz, heißt es aus Peking.

    China selbst setze sich konsequent für Rüstungskontrolle ein und vertrete seit Jahrzehnten die stabilsten Positionen zu dem Thema, so ein Regierungssprecher. Das Fehlen eines Abschlussdokuments sei bedauerlich, doch die Bemühungen um Atomkontrolle seien ein fortlaufender Prozess.

    Nach Ansicht des chinesischen Außenministeriums war es die “falsche Praxis, geopolitische Interessen über Nichtverbreitungsaspekte zu stellen”, die im vergangenen Jahr die Formulierung eines Abschlussdokuments verhindert hat. Ob er damit die USA oder Russland meint, ließ er offen.

    Russlands Widerstand

    Gustavo Zlauvinen, Präsident der Überprüfungskonferenz des Atomsperrvertrags, klagt, dass keine der fünf großen Atommächte konkrete Standards und Verpflichtungen akzeptiert habe. Dabei konnte er keine sichtbare Koordination zwischen China und Russland erkennen, beide Delegationen hätten vielmehr unabhängig voneinander agiert.

    Pekings Haltung sei anfangs besonders hinderlich gewesen: “China war das Hauptproblem. Es war gegen eine Verbesserung der nationalen Transparenz”, sagt Zlauvinen. Das betraf insbesondere Informationen über die Größe des eigenen Arsenals. Erst im letzten Moment habe Peking den Weg für ein Abschlussdokument freigemacht. Letztlich sei die Konferenz dann am Widerstand Russlands gescheitert, nicht am Widerstand Chinas.

    Pekings Lippenbekenntnis

    Im Gesamtbild wollte Xi Jinping sich nicht von den USA, Frankreich und Großbritannien neue Berichtspflichten vorschreiben lassen – das entspricht seiner misstrauischen Haltung dem Westen gegenüber. Doch auch die Weiterverbreitung von Atomwaffen ist nie im Interesse einer bestehenden Atommacht. Für ein entsprechend geschickt formuliertes Angebot wäre China deshalb wohl offen gewesen.

    Wenn die Sipri-Angaben nun richtig sind und China 60 neue Atomsprengköpfe produziert hat, dann degradiert das seine schönen Worte von der alternativen Sicherheitsarchitektur zu einem reinen Lippenbekenntnis. China strebt derzeit wie alle anderen großen Mächte mehr militärische Sicherheit an, statt mit gutem Beispiel bei der Abrüstung voranzugehen. Das macht vor allem das Verhalten seines Verbündeten Russland nötig, das über die meisten Sprengköpfe verfügt und sich zugleich als schwer berechenbar erwiesen hat.

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    News

    Scholz: Mittelständler sollten nicht nur China sehen

    Deutsche Mittelständler sollten sich nach Ansicht von Bundeskanzler Olaf Scholz neben China auch in anderen Boom-Regionen der Welt engagieren. China habe in den vergangenen 30, 40 Jahren ein unglaubliches Wirtschaftswachstum erlebt, sagte Scholz am Sonntagabend beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow. Die Aufgabe sei zwar nicht, aus China wegzugehen, sagte der SPD-Politiker. “Sondern die Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass man auch noch an vielen anderen Orten ist.”

    Die jüngsten Krisen hätten gezeigt, dass eine allzu große Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen oder Regionen ein Nachteil gewesen sei. “Aber ich bin überzeugt, dass sich bei den anderen aufstrebenden Nationen Asiens, auch in Afrika und in Südamerika große, neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.”

    China ist Deutschland wichtigster Handelspartner – das siebte Jahr in Folge. Die Bundesregierung plädiert jedoch seit Längerem dafür, dass die Wirtschaft die Abhängigkeit von China reduziert. “Vielleicht sind die jetzigen Zeiten, wo man sich ein bisschen umschaut, ja auch gut, weil dann ja auch ungeahnte neue Möglichkeiten auf einen zukommen.” rtr/rad

    • Handel
    • Mittelstand

    Blinken vor China-Reise

    US-Außenminister Antony Blinken will offenbar Ende der Woche nach China reisen. Ursprünglich war sein Besuch schon vor vier Monaten geplant, wurde allerdings wegen nach dem Abschuss eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons abgesagt. Blinken werde am 18. Juni in Peking eintreffen, hieß es aus amerikanischen Regierungskreisen. Offiziell bestätigt ist die Reise allerdings noch nicht.

    Der Besuch Blinkens wäre ein wichtiger Schritt hin zu einer Normalisierung. Die Beziehungen zwischen den beiden Großmächten sind derzeit sehr angespannt. Auf dem Shangri-La-Dialog, der asiatischen Sicherheitskonferenz in Singapur, lieferten sich die Verteidigungsminister einen scharfen Schlagabtausch. Zwar hatten die USA um ein separates Treffen gebeten, zu mehr als einem kurzen Handschlag kam es allerdings nicht. Blinkens Reise nach China wäre die erste eines US-Außenministers seit fast fünf Jahren. rad

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    • Geopolitik
    • USA

    Immer weniger Hochzeiten

    In China sind 2022 so wenige Ehen geschlossen worden wie noch nie seit Beginn der Registrierungen. Wie aus Daten des Ministeriums für zivile Angelegenheiten hervorgeht, meldeten im vergangenen Jahr lediglich 6,83 Millionen Paare ihre Eheschließung an. Das sind etwa 800.000 weniger als im Jahr davor.

    Damit setzt sich der stetige Rückgang der vergangenen zehn Jahre fort, wobei zuletzt die Zahl der Eheschließungen auch durch die strengen Einschränkungen im Kampf gegen die Corona-Krise beeinflusst worden war. Unverheiratete Frauen werden gesellschaftlich und wirtschaftlich benachteiligt. Besonders schwer haben es alleinstehende Mütter.

    Die wenigen Ehen passen zu der generellen chinesischen Demografie. Zuletzt ging die Bevölkerungszahl Chinas zum ersten Mal seit sechs Jahrzehnten zurück. Zudem sank auch Chinas Geburtenrate im vergangenen Jahr auf 6,77 Geburten pro 1.000 Einwohner – und damit auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Daten-Erhebung.

    Längst versucht die Politik gegenzusteuern. Um Heirat zu fördern und für mehr Kinder zu sorgen, kündigte die Führung in Peking jüngst an, in mehr als 20 Städten Pilotprojekte zu starten, um eine neue Ära rund um das Heiraten und das Gebären von Kindern zu schaffen. So gewähren einige Provinzen Frischvermählten eine Verlängerung des bezahlten Eheurlaubs. rad

    • Demografie
    • Gesellschaft

    Lady of Liberty in Frankfurt

    Kundgebung in Frankfurt: Die Hongkonger in Deutschland stellten den Kopf der Lady of Liberty aus.

    Bürgerrechtsaktivisten haben ein symbolisches Überbleibsel der Hongkonger Protestbewegung in Frankfurt ausgestellt. Der Verein Hongkonger in Deutschland e.V. präsentierte am Samstag auf dem Liebfrauenberg den abgeschlagenen Kopf der Lady of Liberty. Das Kunstwerk symbolisiert eine Demonstrantin, die einen Schutzhelm, eine Schutzbrille und eine Gasmaske trägt.

    Mit ihrer Aktion wollten die Hongkonger in Deutschland an den Entzug ihrer in der Verfassung zugesicherten Bürgerrechte erinnern. “Mit diesem Symbol kann die Welt deutlich sehen, wie die Kommunistische Partei Chinas ihre Versprechen gebrochen und unsere Freiheit genommen hat. Niemand sollte Chinas Menschenrechtsverbrechen aus wirtschaftlichen Interessen ignorieren”, sagte die Vorsitzende Aniessa Andresen.

    Die einst vier Meter hohe Statue aus Gips und Styropor war im Jahr 2019 in einer nächtlichen Geheimaktion von einer Gruppe von Studenten auf dem Löwenfelsen in Hongkong errichtet worden. Allerdings thronte sie nur wenige Stunden über der Stadt, ehe sie von Unbekannten umgestürzt, zerstückelt und beschmiert wurde.

    2019 hatte Hongkong monatelange Proteste gegen den wachsenden Einfluss der Kommunistischen Partei erlebt. Die Demonstrationen mündeten in der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes und in der politischen Säuberung oppositioneller Stimmen. grz

    • Gesellschaft
    • Hongkong
    • Nationales Sicherheitsgesetz

    Presseschau

    It’s time to focus on preventing war with China, not preparing for it FORBES
    Chinas nukleare Aufrüstung: Gefährliches Druckmittel TAZ
    USA entwickeln Raketen – um chinesische Schiffe aus über 1000 Kilometer Entfernung zu versenken MERKUR
    USA bestätigen Vorwürfe: China nutzt Kuba für Spionage N-TV
    U.S. Coast Guard to widen Indo-Pacific presence with eye on China NIKKEI
    Andere Absichten als Abschreckung? Chinas atomare Ambitionen RND
    Flight training for Chinese military pilots targeted in latest US export crackdown REUTERS
    Xi Jinping baut Beziehungen mit Honduras aus ZEIT
    Dutch government to screen foreign PhD tech students, denies targeting China REUTERS
    Hong Kong protesters allegedly attacked by Chinese activists in Southampton THEGUARDIAN
    Last Indian Journalist Ordered To Leave China, Signaling India’s Complete Media Withdrawal OUTLOOKINDIA
    China’s southern cities call for power saving as grid stress increases CHANNELNEWSASIA
    Gesellschaft schrumpft und altert rapide – China: Die Demografie-Bombe – Bevölkerung schrumpft FINANZMARKTWELT
    So bereitet die deutsche Wirtschaft das Extrem-Szenario um Taiwan vor WELT
    Warum Vietnam als alternativer Produktionsstandort neben China immer wichtiger wird NZZ
    U.S. to Allow South Korean, Taiwan Chip Makers to Keep Operations in China WSJ
    Immobilien stehen für 30% des BIP – China: Jahrelanger Abschwung durch Krise bei Immobilien FINANZMARKTWELT
    Gold bars used to lure Chinese homebuyers amid market slowdown THEGUARDIAN
    Microsoft’s Big Footprint In China Is Out Of Step With U.S. Security Concerns FORBES
    Microsoft zieht KI-Entwickler aus China ab, verlegt sie nach Kanada WINFUTURE
    Samsung-Manager wollte ganze Chipfabrik in China kopieren FUTUREZONE
    “Für Deutsche ist ein Auto ein Auto, für Chinesen ein Computer auf Rädern” HANDELSBLATT
    Tesla Unveils New Giga Laboratory Showroom In China INSIDEEVS
    Es geht auch um die Ästhetik: Chinesische Airline führt Gewichtskontrolle für Flugbegleiterinnen ein T-ONLINE
    Probleme mit dem Pass: Leo Messi in China von der Polizei festgehalten BILD
    Was geschah nach dem Urknall? China will mit Mondsatelliten ins Universum horchen T-ONLINE

    Heads

    Wu Ming-yi – Mit Eco-Fiction gegen Umweltzerstörung

    In seiner Heimat Taiwan ist Wu Ming-yi einer der bekanntesten Schriftsteller der Gegenwartsliteratur. Für seinen historischen Roman “The Stolen Bicycle” wurde er 2018 als erster Taiwaner für den Booker-Preis nominiert. Seinen bislang einzigen ins Deutsche übersetzten Roman “Der Mann mit den Facettenaugen” rechnet man der sogenannten Eco-Fiction zu – Literatur, die sich mit dem menschlichen Einfluss auf die Natur auseinandersetzt.

    In dem so fantasievollen wie drastischen Werk beschreibt Wu unter anderem, wie sich eine gewaltige Müllinsel Taiwans Küste nähert und dabei Menschen zusammenbringt, deren Wege sich ohne die menschengemachte Katastrophe niemals gekreuzt hätten.

    Der 1971 in Taoyuan geborene Schriftsteller und Literaturprofessor der Dong-Hwa-Nationaluniversität begreift sich auch als Aktivist. Schon in den 1980er-Jahren engagierte er sich in taiwanischen Umweltschutzgruppen. Damals habe man vor allem gegen multinationale Konzerne protestiert, die mittels Steuererleichterungen und niedriger Lohnkosten nach Taiwan gelockt wurden, erklärt er. Vor allem die Kunststoff- und Chemieindustrie hatte Taiwans Wirtschaftswunder ab den späten 1950er-Jahren befeuert. Die Kosten für die Umwelt waren enorm.

    Eine Müllinsel viermal so groß wie Deutschland

    1986 führte der Bau einer Titandioxid-Fabrik des amerikanischen Chemie-Riesen Dupont zur ersten großen Umweltschutzbewegung Taiwans. Auch Wu verfolgte die Ereignisse damals aufmerksam. 2011 schloss er sich dann selbst großen Demonstrationen gegen ein Petrochemie-Projekt in der Küstenstadt Changhua an. Es waren die größten Aktionen in Südostasien und zeitigte den bis heute umfassendsten Klimaschutzprotest in Taiwan. “Ein von mir konzipiertes Buch wurde damals zeitgleich zu den Protesten veröffentlicht, das die Gegenstimmen vieler Wissenschaftler, Intellektueller und Autoren bündelte.” Der Protest hatte Wirkung. Das 20 Milliarden Dollar teure Projekt wurde vom damaligen Präsidenten Ma Ying-jeou untersagt.

    Vieles von dem Detailwissen, das in seinen wissenschaftlich fundierten Romanen zum Tragen kommt, hat Wu sich über die Jahre in seiner aktivistischen Arbeit angeeignet. So existiert auch die auf dem Meer treibende Müllinsel aus dem Roman tatsächlich: Der “Great Pacific Garbage Patch” ist ein Strudel aus bis zu 50 Jahre altem Unrat, der sich mittlerweile über 1,6 Millionen Quadratkilometer erstreckt – eine Fläche, viermal so groß wie Deutschland.

    Taiwan steht am Scheideweg

    “Die Umweltschutzauflagen sind für ausländische Unternehmen seit den ersten Protesten in den 1980er-Jahren strenger und strikter geworden”, sagt Wu. “Das heutige Taiwan hat hohe Standards bezüglich Umweltschutz erreicht – das zeigt sich auch im Alltag, wie man etwa beim Abfall-Recycling sieht.” Dennoch stehe die Insel am Scheideweg, sagt der Schriftsteller. “Taiwan steht vor der Wahl, entweder ein ökologisches Vorbild für ganz Südostasien zu werden oder ein verlassenes Ödland, das sich nach immer mehr Wirtschaftswachstum verzehrt.”

    Wie viele andere Inseln der Welt ist Taiwan von den steigenden Temperaturen akut gefährdet. Aufgrund des höheren Meeresspiegels werden Fluten und extreme Stürme zunehmen. Die Regierung Taiwans hat sich vorgenommen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Demgegenüber stehen die wachsenden Energiebedürfnisse der Wirtschaft. Besonders die florierende Halbleiterindustrie benötigt enorm viel Energie. Aber auch traditionelle Industrien wie Stahl, Zement oder Chemie brauchen Strom. “Das Thema, das in Taiwan heute am heißesten diskutiert wird, ist, welche Energiequelle die beste für uns ist: Gas, Atomkraft oder erneuerbare Energien?” Taiwan hat sich vorgenommen, bis 2025 rund 20 Prozent der Stromerzeugung durch alternative Quellen zu generieren – 2018 waren es nur fünf Prozent. Atomkraft soll ab 2025 gar nicht mehr zum Einsatz kommen.

    China gefährdet Taiwans Klimaziele

    Neben Solarkraft und Geothermie soll bei Taiwans Energiewende vor allem Offhore-Windkraft eine tragende Rolle spielen. Die Bedingungen in der Taiwanstraße sind vielversprechend: Die Gewässer sind flach, die Windstärken hoch. Ein Risiko, das dabei auch hier wieder stärker in den Fokus rückt, ist die Bedrohung aus China. “Wir sehen an der Ukraine, wie wichtig die Energieversorgung im Kriegsfall ist”, sagt Wu. “Taiwan muss allein aufgrund seiner nationalen Sicherheit unabhängig sein. Darüber hinaus ist der Schutz der Meere wichtiger geworden. Davor richteten wir die Diskussion über den chinesischen Einfluss oft auf unser ‘Land’. Nun schauen wir verstärkt aufs Meer.”

    Ein weiteres Problem, das durch Chinas Gebietsansprüche über Taiwan entsteht, ist die politische Isolierung der Insel, die sich auch in globalen Umweltkooperationen niederschlägt. “Taiwan hat kaum Einfluss in internationalen Organisationen – egal, ob es offizielle oder inoffizielle Organisationen sind. Es ist daher schwer für Taiwan, beim Thema Umweltschutz international Fuß zu fassen.” Fabian Peltsch, Mitarbeit: Ziyi Huang

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    Personalie

    Eric Aufricht ist neuer Leiter von Mercedes me Charge für die Region Übersee & China. Zuvor leitete Aufricht die Mercedes Pay GmbH, ein anderer Zweig des deutschen Automobilkonzerns.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    Die Taiwanerin Hsieh Su-wei (r.) und die Chinesin Wang Xinyu (2.v.r.) haben das Doppelfinale der French Open gegen die us-kanadische Kombination Townsend/Fernandez gewonnen. Je nach politischer Gesinnung lässt sich der Triumph als Symbol für die Chancen einer chinesisch-taiwanischen Vereinigung interpretieren oder als Beispiel für die Chancen, wenn man in Zukunft Seite an Seite friedlich koexistiert.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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