Table.Briefing: China

Indien + Tesla + TSMC + Baidu

  • Indien-China: Zorn und Feindseligkeit – auch in Corona-Zeiten
  • Tesla sucht die Nähe zu den Behörden
  • TSMC: Genügend Chips für die Autobranche
  • Nio baut Elektroauto-Park in Hefei
  • Andrang auf Studentenvisa für die USA
  • Baidu lässt erste fahrerlose Taxis fahren
  • Wird China zur “Supermacht”?
  • Nancy Qian: Zwei Seiten des chinesischen BIP
  • Personalien
Liebe Leserin, lieber Leser,

zum Verhältnis von China zu Indien gibt es viele blumige Metaphern, beispielsweise die vom Drachen und Elefanten mit ihren jeweils unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Fest steht: Derzeit ist Indien in Not und China schickt Hilfsgüter. Diese Rollenverteilung passt gut zum chinesischen Selbstbild als Erfolgsnation, die nun andere Schwellenländer unterstützt. Doch der überbordende Stolz auf das Erreichte hat den Blick aufs Wesentliche verstellt: Statt uneigennützig zu helfen, steht die Rückständigkeit Indiens im Vordergrund – was beim Nachbarn so viel Ärger auslöst, dass er die Lieferungen am liebsten zurückweisen würde.

Tesla ist ebenso das PR-Wunder wie das Reichweiten-Wunder unter den Elektroautoherstellern. Doch große Bekanntheit macht aus einer Marke ein noch größeres Ziel für Angriffe aus den Sozialmedien – zumal in China mit seinen sehr anspruchsvollen Kunden. Über den ausländischen Anbieter hält die Zensur auch nicht ihre schützende Hand, sodass die Kritik an Elon Musk und seinen Autos immer weiter eskaliert. Das kann auch als Warnung für deutsche Marken dienen: Hochmut kommt vor dem Fall in der öffentlichen Wahrnehmung – gleichgültig, ob die Vorwürfe mangelnder Qualität berechtigt sind oder nicht.

Der taiwanische Chiphersteller TSMC nimmt derzeit eine Schlüsselrolle für etliche Industrien ein – von Auto über Gaming bis Handys. Aufgrund seiner Lieferprobleme stehen sogar in Deutschland die Produktionsbänder still. Jetzt sind hier zum ersten Mal seit Monaten wieder gute Nachrichten zu hören: Das Unternehmen sieht “eine gewisse Entspannung”. Für wie lange? Leider nur bis zum kommenden Monat. Den Managern in Fahrzeugindustrie dürfte dieser Versuch einer Beruhigung viel zu vage klingen.

Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock liefert derweil Hinweise auf ihre Vorstellungen von einer Neujustierung der deutschen Chinapolitik. “Wir dürfen gegenüber China nicht naiv sein”, sagte sie am Montagabend auf einer Veranstaltung. Europa müsse sich vor zu viel Einfluss aus Fernost schützen. Doch zugleich – und das ist typisch für die Grünen im Wahlkampf 2021 – zeigte sie sich realitätstauglich und pragmatisch: China sei “ein viel zu großer Markt”, um sich davon abzuschotten. Diese Erkenntnis hatten schon andere Führungspersonen vor ihr.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Presseschau

Antony Blinken mahnt vor militärischer Konfrontation mit China ZEIT
USA, Russland und China: Mit dem Wettbewerb der Großmächte ist eine Katastrophe vorprogrammiert MERKUR
Der Westen hat sein Überlegenheitsgefühl durch einen China-Komplex ersetzt HANDELSBLATT
Philippines foreign minister issues expletive-laced tweet over China sea dispute REUTERS
New Zealand leader Ardern takes tougher stance on China APNEWS
EU muss gegenüber China “weniger naiv” sein, meint Juncker EURACTIV
Baerbock will stärkere Rolle Europas gegenüber China HANDELSBLATT
Durch Peking rollen erste autonome Taxis N-TV
Satellitenbild der Woche: Wo China zerknittert SPIEGEL
A Chinese Communist Party-linked account mocked India’s Covid crisis on social media. It backfired CNN
Russia turns to China to make Sputnik shots to meet demand APNEWS
Fidelity Halves Its Ant Group Valuation After Beijing’s Clampdown WSJ
The back room calculations adding up to China’s next envoy to the US SCMP

Analyse

Zorn und Feindseligkeit – auch in Corona-Zeiten

Der Tweet auf dem chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo war zwar nur kurz. Doch er wirkte um so zerstörerischer auf die Beziehung zwischen Indien und China. Verfasst hat ihn am Samstag die Zentrale Politische und Juristische Kommission der Kommunistischen Partei Chinas – eine wichtige und mächtige Institution. Sie überwacht die Rechtsdurchsetzung beispielsweise durch die chinesische Polizei. Ihr aktueller Vorsitzender ist Guo Shengkun, der auch Mitglied im Politikbüro des Zentralkomitees der KP Chinas ist.

Konkret handelt es sich um eine Kollage aus zwei Fotoaufnahmen: Links zündet eine chinesische Weltraumrakete bei ihrem Start in den Orbit; rechts zünden indische Helfer Tote der Corona-Pandemie auf Scheiterhaufen an. Der Text dazu: China zündet versus Indien zündet.

Diese Botschaft hat seitdem die Zusammenarbeit zwischen den beiden Nachbarländern in der Corona-Pandemie zunichte gemacht. “Dieser Tweet ist voll von Arroganz, Aggressivität und Verachtung”, klagt Außenpolitik-Expertin Rajeswari Rajagopalan von der Denkfabrik Observer Research Foundation (ORF) in Delhi.

In normalen Zeiten würde ein solcher Tweet zu hitzigen Diskussionen in den abendlichen Talkrunden des indischen Fernsehens führen. Zeitungskommentatoren würden die Geschmacklosigkeit kritisieren und wahrscheinlich den Stolz der Inder beschwören, an dem eine solche Schmähung abperlen sollten. Doch nicht dieses Mal. Nicht jetzt.   

Dramatische Krise in Indien

Denn jetzt befindet sich Indien in einer humanitären Krise. “Wir benötigen sämtliche Hilfe, die verfügbar ist”, sagt Rajagopalan ohne Umschweife. “Eigentlich auch aus China.” In Indien wütet derzeit die zweite Corona-Welle – und zwar brutal. Allein am Samstag verzeichneten die Gesundheitsbehörden 392.488 Neuinfektionen. Die Zahl der Todesfälle erreichte mit 3689 ihren bisher höchsten Wert. Und Beobachter sind sich sicher: Diese Werte sind viel niedriger als die realen Zahlen. Das Institute for Health Metrics and Evaluation der Universität Washington schätzt, dass wohl nur drei bis vier Prozent der Ansteckungen in Indien entdeckt werden. Die Krematorien der Hauptstadt verbrennen derart viele Leichen, dass es in manchen Bezirken Asche regnet. Mancherorts geht schon das Brennholz aus.

Ein Ende der katastrophalen Entwicklung ist nicht in Sicht. Prognosen des Indian Institute of Technology in Kanpur zufolge wird die offizielle Zahl ihren Höhepunkt zwischen dem 4. bis 8. Mai mit 440.000 täglichen Neuinfektionen erreichen. Andere Forscher erwarten einen Anstieg auf sogar 800.000 bis eine Million pro Tag.

China bringt sich als Alternative zu den USA in Stellung

Klar ist, Indien benötigt dringend Hilfe aus dem Ausland. Doch ausgerechnet die USA lehnten zunächst mit dem Verweis Hilfe für Delhi ab, erst die eigene Bevölkerung impfen zu wollen. Zwar hat Washington die Entscheidung inzwischen zurückgenommen, doch China brachte sich umgehend als hilfsbereiter Partner in Stellung. Zwar sind China und Indien seit Jahrzehnten Erzrivalen, die beiden Großmächte führten gar schon Krieg gegeneinander. Doch es schien, als könnte die Corona-Pandemie derartige Gräben überwinden. Chinas Präsident Xi Jinping persönlich schickte am vergangenen Freitag eine Nachricht an seinen indischen Amtskollegen Narendra Modi. Darin hieß es: “China ist bereit, die Kooperation mit Indien im Kampf gegen die Pandemie zu verstärken, Unterstützung bereitzustellen und Indien zu assistieren.” An diesem Punkt hätte China noch als Retter aus der Situation hervorgehen und enorme Pluspunkte sammeln können.

Am Wochenende sind tatsächlich etliche Hilfslieferungen aus dem Ausland in Indien angekommen. Insgesamt 40 Länder lieferten medizinische Geräte, Medikamente und Schutzausrüstung. Aus Deutschland kamen 120 Beatmungsgeräte. In dieser Woche soll zudem eine mobile Sauerstoffanlage aufgebaut werden. Und auch aus China sind Frachtflugzeuge gelandet.

Flugzeuge aus China – und ein Tweet

Doch nicht nur Flugzeuge kamen aus Peking, sondern eben auch besagter Tweet. Er hat die Sichtweise auf das chinesische Verhalten komplett verändert. “Bei den Lieferungen aus China handelt es sich nicht um Hilfe, sondern um kommerzielle Güter”, erklärt Pramit Pal Chaudhuri von der Zeitung Hindustan Times. “Für alles aus China muss Indien bezahlen.” Peking habe lediglich geholfen, die Corona-Bedenken der Frachtlieferer zu beseitigen und so den Lufttransport indirekt ermöglicht. Unter anderem Sichuan Airlines hatte aufgrund des Pandemiegeschehens auf dem Subkontinent seine Flüge nach Indien unterbrochen.

So verheerend die Lage auch sein mag, Delhi werde nun das Hilfsangebot aus China nicht annehmen, prophezeit Happymon Jacob von der Jawaharlal Nehru Universität in Delhi. “In Wirklichkeit geht es Peking nicht um humanitäre Hilfe, sondern schlicht um Propaganda, die es zu eigenen Zwecken nutzen will.” Der Tweet zeige diese Denkweise ganz deutlich. ORF-Direktorin Rajagopalan wird noch deutlicher: “China hat sich unter Xi zu einer mächtigen, aber überaus arroganten Nation entwickelt.” Es zeige keinerlei Respekt für andere oder für internationales Recht. “Es scheint schon so weit, dass es sich nicht mal mehr schert, wie andere über das Land denken.”

Der Affront fällt in eine angespannte Lage

Die Wissenschaftlerin, der Professor wie auch der Journalist verweisen unisono auf den fragilen Zustand der Beziehungen (China.Table berichtete). Seit Sommer vergangenen Jahres haben sich die Beziehungen dramatisch verschlechtert. Damals war es an der gemeinsamen Grenze im Himalaya zu militärischen Zwischenfällen gekommen, bei denen auf beiden Seiten mehrere Soldaten verletzt und getötet wurden. Diese Grenzkonfrontation ist noch immer nicht beendet. Es stehen sich waffenstarrende Militäreinheiten gegenüber. Die Beziehung zu China sei weiterhin angespannt und abnormal, erklärt Chaudhuri.

In diese Situation platzte der Tweet. Es gebe eine Order von oben, “die besagt, es ist okay, auf das Versagen Indiens hinzuweisen”, spekuliert Chaudhuri. Es ist zwar nicht “Wolf-Warrior-Diplomatie, aber Ausdruck der allgemeinen Haltung Chinas gegenüber Indien.” Der Journalist verweist darauf, dass Pekings Diplomaten in den Verhandlungen mit ihren indischen Ansprechpartnern gerne sagen: “Denkt immer daran, ihr seid nur ein Fünftel von uns.” Gemeint sei damit das Bruttosozialprodukt der beiden Nachbarstaaten.

Nach heftiger Kritik im In- und Ausland wurde der folgenreiche Tweet inzwischen gelöscht. Doch auch die Reaktion des chinesischen Außenministeriums in Peking trägt nicht zur Entspannung der Lage bei. Dort heißt es, man könne besagtes Bild auf dem Weibo-Account derzeit nicht finden. Zu einer Entschuldigung, die vielleicht alles hätte klären können, rangen die Diplomaten sich nicht durch.

Was aber wieder offen zu Tage gefördert wurde, ist das tiefe Zerwürfnis zwischen China und Indien. Es ist dramatisch, dass in einer humanitären Krise wie der Corona-Pandemie derartige politische Spielchen nicht in den Hintergrund treten. Wie es eigentlich laufen sollte, zeigt ein Blick zurück zum Anfang der Pandemie: Als das Coronavirus in Wuhan entdeckt wurde, war Indien eines der ersten Länder, das Hilfsgüter in die chinesische Metropole schickte.

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Tesla sucht die Nähe zu den Behörden

Der US-Autobauer Tesla fürchtet offenbar den Einbruch seiner Verkaufszahlen auf dem chinesischen Markt. Das Unternehmen arbeitet fieberhaft daran, seinen guten Ruf im Land nicht völlig zu verspielen. Seine Umsätze waren in der Volksrepublik im Vorjahr um mehr als das Doppelte geklettert – doch nun droht eine Delle. Das Unternehmen ist daher entgegen seinen Gepflogenheiten seit Kurzem regelmäßiger Besucher bei behördlich organisierten Diskussionsrunden der Autoindustrie, berichtet Reuters. Außerdem sucht Tesla nach neuen Mitarbeitern, die sich hauptsächlich um die Beziehungen zu staatlichen Stellen im Land kümmern sollen. Das verstärkte Engagement ist Anzeichen dafür, dass Tesla die massive Kritik der vergangenen Wochen sehr ernst nimmt.

Der Sinneswandel ist das Resultat einer Unmenge an Warnungen, Drohungen, Protesten und Vorwürfen, die seit dem vergangenen Jahr in China auf Tesla eingeprasselt sind. Bislang hatte der Elektropionier in gewohnt sturer Ignoranz alle Probleme ausgesessen und dabei im Jahr 2020 sogar einen Rekordumsatz in China von 6,6 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Doch jetzt herrscht Alarmstufe Rot. Staatliche Medien schüren mit scharfen Kommentaren Ressentiments, die Kritik an dem Hersteller multipliziert sich millionenfach.

Zwar verkaufen sich Tesla-Fahrzeuge weiterhin ausgesprochen gut in der Volksrepublik, doch die Gefahr wächst, dass zunehmend mehr Marktanteile an chinesische Mitbewerber fallen (China.Table berichtete). Ein Szenario, das der chinesischen Regierung in Rahmen ihrer Industriepolitik sicherlich gut gefallen dürfte. Peking machte sich zwar die Signalwirkung von Teslas Engagement für das Elektrosegment in China zunutze, will aber eigentlich chinesische Champions aufbauen, die dann die Welt erobern. Ausländischen Firmen soll China nicht mehr als Basis für einen globalen Siegeszug dienen.

Erfolg oder Misserfolg entscheidet sich in China häufig auch am Beziehungsgeflecht, das ein Unternehmen pflegt. Tesla genoss anfänglich eine Sonderbehandlung, von der der Hersteller enorm profitierte. Chinas Behörden rollten den Amerikanern den roten Teppich aus, kümmerten sich um die reibungslose Finanzierung des Baus einer Gigafactory 3 in Shanghai, waren großzügig beim Steuersatz und zwangen den Weltmarktführer nicht einmal in ein Gemeinschaftsunternehmen. Tesla schlüpfte nur zu gern in die Rolle des Klassenbesten, versäumte es aber, diese Wertschätzung mit ausreichend Demut entgegenzunehmen.

Wut gegen Tesla kocht hoch

Statt sich interessiert und engagiert am Austausch mit den Behörden und Regulatoren zu zeigen, schwänzte das Management die Termine. Das ging zwar einige Jahre lang gut. Aber seit sich die Berichte über juristische Klagen chinesischer Kunden gegen Tesla und Rückrufe wegen technischer Mängel häuften, begann es zu brodeln bei Behörden und staatlichen Medien. Plötzlich brach sich eine Wut gegen Tesla Bahn, die ausländische Unternehmen in China immer dann erfasst, wenn diese – gerechtfertigt oder nicht – den Eindruck vermitteln, ihre chinesischen Kunden lägen ihnen nicht genug am Herzen (China.Table berichtete).

Es steht viel auf dem Spiel. “China ist ein Dreh- und Angelpunkt für Teslas globalen Erfolg“, schreibt der Börsenanalyst Daniel Ives in einer Bewertung für Kunden des Finanzdienstleisters Wedbush Securities. Tesla habe sich in den vergangenen Wochen ein “blaues Auge” geholt, bilanziert Ives. Offenbar ist dem Unternehmen das bei dem Blick in den Spiegel ebenfalls klar geworden. Die Aufgabe der neu angestellten Mitarbeiter ist es nun, “ein harmonisches externes Umfeld aufzubauen und die Geschäftsentwicklung auf dem regionalen Markt zu unterstützen”.

Ein harmonisches Umfeld besteht in der Volksrepublik in der Regel aus zwei Komponenten: kein Stress mit den Behörden und zufriedene Kunden. Doch besonders Teslas Verhältnis zu den Autofahrern hat gelitten. Einerseits weil diverse technische Probleme den Rückruf von insgesamt rund 86.000 Fahrzeugen in China provozierten und angeblich auch zu diversen Unfällen führten. Andererseits, weil sich zu viele Kunden von Teslas Vertrieb schlicht betrogen fühlten. In mehreren Fällen klagten Käufer der Marke über das Verkaufspersonal, das ihnen versichert hatte, dass sie keine späteren Rabatte durch staatliche Nachlässe oder Sonderaktionen des Herstellers befürchten mussten. Doch das Gegenteil war der Fall, und manche Kunden fühlten sich um fast 10.000 Euro gebracht, weil sie sich drei Monate früher als andere für einen Tesla entschieden hatten.

Kommunikationschefin tritt ins Fettnäpfchen

Bereits im Dezember hatte das chinesische Branchenportal Sina Tech berichtet, dass Teslas Management in China sein Vertriebspersonal gedrängt haben soll, bestimmte Fahrzeugvarianten des in Shanghai produzierten Model 3 bevorzugt unters Volk zu bringen. In einem Fall hatte ein Gericht in Shanghai die Klage eines Käufers jedoch abgewiesen, weil nach Ansicht des Richters nicht genügend Beweise für einen Betrug vorlagen. Doch solche Gerichtsentscheidungen helfen Tesla nur bedingt weiter, solange die Topangestellten ins Fettnäpfchen treten.

Grace Tao ist die Kommunikationschefin der Firma in der Volksrepublik. Ausgerechnet sie hat sich einen schweren Fauxpas geleistet. Nachdem eine Kundin während der Automesse in Shanghai den Stand des Herstellers gekapert und vom Dach eines ausgestellten Fahrzeugs lautstark ihren Unmut über Tesla kundgetan hatte, stellte Tao die Vermutung in den Raum, dass die Aktion der Frau möglicherweise von “Interessengruppen” unterstützt werde. Tao kennt ihr Heimatland nur zu gut, weswegen ihre Überlegung durchaus gerechtfertigt schien. Aber es war nicht klug, diese Gedanken öffentlich zu äußern. Denn auch die Behörden durften sich durchaus angesprochen fühlen. Und auch das Militär hatte sich bereits für Tesla interessiert – schließlich nehmen die Kameras an den vernetzten Autos laufend Bilder auf, die sich theoretisch auch für Spionage eignen.

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News

TSMC: Genügend Chips für die Autobranche – bis Ende Juni

Der weltweit führende Chiphersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) rechnet mit einer gewissen Entspannung bei der Halbleiter-Produktion für die Autobranche. Zumindest bis Ende Juni seien grundsätzlich genug Halbleiter-Elemente für die Kunden lieferbar. Das sagte TSMC-Chef Mark Liu dem amerikanischen Fernsehsender CBS.

Liu habe im vergangenen Dezember zum ersten Mal von entsprechenden Engpässen gehört. Das Coronavirus und der Handelskrieg hatten zu einer Reihe von Fehlplanungen und Panikreaktionen geführt, die sich gegenseitig hochgeschaukelt haben und so zu einem Mangel an Halbleitern führten. Vor allem die Schlüsselstellung von Taiwan war ein entscheidender Faktor für die gravierende Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage (China.Table berichtete). Ab dem Folgemonat habe sein Unternehmen dann jedoch alles getan, um so viele Chips wie möglich für die Autohersteller bereitzustellen. Unter anderem hatte TSMC angekündigt, bis 2023 mehr als 100 Milliarden US-Dollar in die Chip-Produktion zu investieren. Allein in diesem Jahr werde TSMC 28 Milliarden Dollar in die Halbleitertechnologie stecken. “Heute gehen wir davon aus, dass wir die Mindestanforderungen vor Ende Juni erfüllen können.”

Doch Liu warnte zugleich vor allzu großen Hoffnungen. Seine Zusicherung bedeute jedenfalls nicht, dass die Zeit der Knappheit in zwei Monaten überwunden sei. “Es gibt eine zeitliche Verzögerung. Bei Auto-Chips ist die Lieferkette lang und komplex.” Aufgrund der starken Nachfrage nach den derzeit schwer verfügbaren Chips stieg der Gewinn von TSMC 2020 auf 140 Milliarden Taiwan-Dollar (rund 4,1 Milliarden Euro). Auch im ersten Quartal 2021 konnte TSMC einen Umsatzzuwachs um 17 Prozent verzeichnen auf 362,4 Milliarden Taiwan-Dollar. Das Unternehmen produziert Chips für die Automobilbranche wie auch für Handy-, Computer- und sogar Chip-Anbieter wie Apple, Qualcomm und AMD. rad

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Nio baut Elektroauto-Park in Hefei

Das chinesische Elektro-Startup Nio hat den Baubeginn eines neuen Industrieclusters namens Neo Park an seinem Standort Hefei in der Provinz Anhui bekannt gegeben. Der Neo Park sei als Industrie- und Entwicklungscluster mit dem Schwerpunkt Elektroautos und Autonomes Fahren konzipiert, teilte Nio am Montag mit. Nach chinesischen Medienberichten sind in dem von der Provinzregierung in Anhui umgesetzten Projekt Produktionskapazitäten für eine Million Elektroautos und Komponenten geplant – darunter auch Batterien. Die Anfangsinvestition liege laut Nio bei 50 Milliarden Yuan (rund 6,4 Milliarden Euro). Nio ist nur eines von vielen Unternehmen, die im Neo Park angesiedelt werden: Der Industriepark soll die gesamte Wertschöpfungskette für intelligente Elektroautos beherbergen, einschließlich der Software-Entwicklung.

Hefei treibt damit seine Entwicklung zu einer Drehscheibe für neue Mobilität weiter voran. Erst kürzlich hatte Volkswagen dort mit dem Bau einer Elektroautofabrik mit einer Kapazität von maximal 350.000 Autos begonnen (China.Table berichtete). Mit diesem Ziel half die Provinzregierung Anfang 2020 auch Nio aus einer finanziellen Klemme: Sie sagte dem Start-up mehr als zehn Milliarden Yuan (rund 1,3 Milliarden Euro) zu. Nio verpflichtete sich umgekehrt, Fabriken und Forschungszentren in der Stadt zu bauen sowie Anteile an lokale Staatsfirmen abzutreten.

Beobachter erwarten, dass Nio in diesen Tagen den Markteinstieg in Europa bekannt geben wird. Am Donnerstag ist dazu eine Pressekonferenz in Norwegen geplant. Geschäftlich läuft es für Nio in diesem Jahr deutlich besser als im Vorjahr. Im April verkaufte das Unternehmen nach eigenen Angaben 7.102 Autos, gut 125 Prozent mehr als im Vorjahresmonat – und das, obwohl Nio von dem globalen Chip-Mangel betroffen war und phasenweise die Produktion einstellen musste (China-Table berichtete). Der Umsatz im ersten Quartal stieg laut Nio gegenüber dem – wegen des Coronavirus allerdings besonders schwachen – Vorjahreszeitraum um 482 Prozent und gegenüber dem Vorquartal um gut 20 Prozent auf eine Milliarde Euro. Auf der Automesse in Shanghai stellte Nio zudem eine Offensive zum Ausbau der Ladeinfrastruktur vor. Dazu gehört unter anderem der Bau von 500 Ladeparks mit 2.000 Schnellladestationen sowie 100 weiterer Akku-Tauschstationen innerhalb von drei Jahren. ck

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Andrang auf Studentenvisa für die USA

Ab dem heutigen 4. Mai können chinesische Studenten wieder einen Visa-Antrag stellen, um für ein Studium in die USA zu reisen. Damit vergeben die US-Botschaft und Konsulate in China nach mehr als einem Jahr erstmals wieder Visatermine für Studenten. Der Schritt kommt, nachdem Washington vergangene Woche die Reisebeschränkungen für Studenten aus China und mehreren anderen Ländern aufgehoben hat.

Bis Mitte Mai soll die US-Botschaft in China täglich 2000 Visa-Termine für Studenten anbieten. Bereits eine Stunde nachdem die Internetseite der Botschaft für die Terminvergabe geöffnet wurde, gingen mehr als 3.000 Anträge ein, sagte William Bistransky, amerikanischer Generalkonsul in China.

Die Zeit drängt. Die Visa sind 120 Tage vor Studienbeginn zu beantragen. Wer im Herbstsemester anfangen will, braucht die Einreisegenehmigung daher schon sehr rasch. Zudem gilt für Studenten aus dem Ausland, dass sie 30 Tage vor Semesterbeginn ins Land eingereist sein müssen.

Die Studiengebühren von chinesischen Studenten sind für viele Colleges und Universitäten in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Das US-Handelsministerium hatte zuletzt errechnet, dass internationale Studenten im Jahr 2018 etwa 44 Milliarden US-Dollar zum Bruttoinlandprodukt beigetragen haben. Davon kamen 15 Milliarden US-Dollar von chinesischen Studenten

Dem Wirtschaftsmagazin Caixin zufolge studierten im vergangenen Jahr 382.000 chinesische Studenten in den USA. Das entspricht einem Rückgang von 20 Prozent gegenüber 2019, was vor allem auf die Reisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Ende der Siebzigerjahre lag die Zahl der chinesischen Studenten in den USA noch unter 1.000. niw

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Baidu lässt erste fahrerlose Taxis fahren

Ein Taxi ganz ohne Fahrer – der chinesische Internetriese Baidu bietet seit wenigen Tagen einen solchen Dienst an. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, kutschieren zehn Apollo-Go-Robotertaxis seit Sonntag Fahrgäste durch den Pekinger Shougang-Park im Westen der Stadt. Anders als bei früheren Demonstrationsfahrten (China.Table berichtete) sitzt nicht mal mehr ein Fahrer zur Sicherheit am Steuer. Sicherheitspersonal steht lediglich für Notfälle zur Verfügung.

Zunächst einmal verkehren diese automatisierten Fahrkabinen auf einem Gelände von etwa drei Quadratkilometern Fläche. Ähnlich einem Bus halten sie an acht Haltepunkten. Eine Fahrt kostet 30 Yuan (3,85 Euro). Fahrscheine können über eine App gekauft werden. Als Fahrgäste sind allerdings nur Personen zwischen 18 und 60 Jahren zugelassen. Kinder und Senioren dürfen vorerst noch nicht einsteigen. Baidu-Vizechef Kelly Wang ist dennoch zuversichtlich, dass diese Art des Transports in China bald massentauglich wird.

Der Baidu-Vizechef ist jedenfalls von der ersten Fahrt begeistert: Der Wagen musste zwar mehrfach bremsen, weil ihm unachtsame Fußgänger und neugierige Touristen zu nahe kamen. Er könne das Fahrerlebnis dennoch empfehlen, meint Wang. Nutzerin Amy Li, die das neue Angebot gleich ausprobieren wollte, gab hingegen zu bedenken, dass der Straßenverkehr nach wie vor recht komplex sei, so ganz traue sie dem neuen Gefährt daher nicht. “Wir alle haben schon erlebt, wie andere Fahrzeuge vordrängeln oder plötzlich die Spur wechseln”, sagte sie.

Baidu, das Chinas meist genutzte Internet-Suchmaschine betreibt, testet autonomes Fahren auf offener Straße seit vergangenem Jahr in insgesamt drei Städten. In den nächsten drei Jahren sollten das Programm auf 30 Städte ausgedehnt werden. flee

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Wird China zur “Supermacht”?

China leistet derzeit den größten Beitrag zu Wachstum der Weltwirtschaft. Dennoch ist längst nicht ausgemacht, dass es dem Land gelingen wird, zur “dominierenden Macht” der Weltwirtschaft zu werden. Zu dieser Bewertung kommen die Autoren einer aktuellen volkswirtschaftlichen Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die an diesem Dienstag erscheint und China.Table vorab vorliegt. Die Studie trägt den Titel “Volksrepublik China: Durchmarsch zur dominierenden Supermacht?”

Die Autoren, Thomas Meißner und Matthias Krieger, erwarten zwar weiteres Wachstum der chinesischen Wirtschaft – allerdings mit abnehmendem Tempo. Sie bescheinigen dem Land zwar “Attraktivität für Direktinvestitionen mit hoher Wertschöpfung” und erhebliche Innovationsfähigkeit. Damit könne China durchaus in die Gruppe der Länder mit hohem Einkommen pro Kopf aufsteigen. Ob China aber weltwirtschaftlich “dominant” in dem Sinne wird, dass die grundlegenden Innovationen, Standards und Produktentwicklungen künftig im Wesentlichen aus China kommen, bleibe offen, schreiben die Autoren.

Zum einen lasse sich das politisch gewollte Streben nach “technologischer Autarkie” schlecht mit der notwendigen Effizienz vereinbaren. Zum anderen behindere die zentralistische Politik der KP Chinas und die personelle Verkrustung an der Spitze der Staatsführung die notwendige Flexibilität für die Entwicklung. asi

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Standpunkt

Die zwei Seiten des chinesischen BIP

Von Nancy Qian

Die Wirtschaftsberichterstattung über China konzentriert sich viel zu stark auf das Gesamt-BIP und nicht genügend auf das BIP pro Kopf, das die aussagekräftigere Kennzahl ist. Und diese verzerrte Berichterstattung hat wichtige Implikationen, denn die beiden Kennzahlen zeigen deutlich unterschiedliche Bilder von Chinas aktueller wirtschaftlicher und politischer Lage. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit zudem auf unterschiedliche Fragen.

Eine schnelle Suche in allen englischsprachigen Nachrichtenpublikationen in der ProQuest-Datenbank für den Zehnjahreszeitraum von 2011 bis 2021 zeigt, dass 20.915 Artikel Chinas BIP diskutierten, aber nur 1163 das BIP pro Kopf erwähnten. Proportional sogar noch größer war dieser Unterschied bei den acht größten und angesehensten Zeitungen, darunter der New York Times, dem Wall Street Journal und der Washington Post, wo 5.963 Artikel auf das chinesische BIP verwiesen, aber nur 305 das BIP pro Kopf diskutierten.

Wenig Beachtung: BIP pro Kopf

Im Jahr 2019 war Chinas BIP (zu Marktkursen) von 14 Billionen Dollar das weltweit zweithöchste hinter den USA (21 Billionen Dollar); auf dem dritten Platz lag Japan (fünf Billionen Dollar). Das aggregierte BIP spiegelt die Gesamtheit der Ressourcen – einschließlich der Steuerbasis – wider, die einer Regierung zur Verfügung stehen. Dies ist hilfreich für eine Betrachtung des Umfangs der staatlichen Investitionen Chinas wie etwa seines Raumfahrtprogramms oder seiner Militärkapazitäten. Für das Alltagsleben der chinesischen Bevölkerung jedoch ist es viel weniger relevant.

Dem meisten Ökonomen ist daher Chinas BIP pro Kopf – oder anders ausgedrückt: das Einkommen pro Person – wichtiger. Und die zentrale Erkenntnis hier ist, dass China trotz des phänomenalen Wachstums seines BIP während der vergangenen vier Jahrzehnte auch weiterhin ein armes Land bleibt.

Chinas BIP pro Kopf betrug 2019 etwa 8.242 Dollar. Damit liegt das Land zwischen Montenegro (8.591 Dollar) und Botsuana (8.093 Dollar). Sein BIP pro Kopf nach Kaufkraftparität – das heißt nach Bereinigung des Einkommens zur Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten – betrug 16.804 Dollar. Dies liegt unter dem weltweiten Durchschnitt von 17.811 Dollar, und China liegt damit auf dem 86. Platz in der Welt, zwischen Surinam (17.256 Dollar) und Bosnien und Herzegowina (16.289 Dollar). Im Gegensatz dazu liegt das BIP pro Kopf nach Kaufkraftparität in den USA und der Europäischen Union bei 65.298 bzw. 47.828 Dollar.

Noch hunderte Millionen Chinesen in Armut

Um das Ausmaß der Armut in China zu begreifen, müssen wir uns zudem den Grad der Ungleichheit innerhalb seiner großen Bevölkerung vergegenwärtigen. Die Ungleichheit in China (gemessen durch den Gini-Koeffizienten) ähnelt der in den USA und Indien. Da China eine Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen aufweist, bedeutet das, dass noch immer hunderte von Millionen Chinesen in Armut leben.

Laut Angaben der chinesischen Regierung haben 600 Millionen Menschen ein monatliches Einkommen von knapp 1.000 Yuan (155 Dollar). Das entspricht einem Jahreseinkommen von 1.860 Dollar. 75,6 Prozent dieser Menschen leben in ländlichen Gebieten.

Um die Reihen der weltärmsten Länder zu verlassen, muss China die Einkommen einer Bevölkerung von der Größe jener Subsahara-Afrikas und mit ähnlichem Durchschnittseinkommen (Afrika: 1.657 Dollar) erheblich steigern. Und die chinesische Regierung weiß, dass sie das tun muss, um sich die Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten. Unter ansonsten gleich bleibenden Umständen wird sie noch mindestens eine weitere Generation lang damit beschäftigt sein, die Einkommen im Lande zu steigern.

Doch kommen in der Politik “ansonsten gleich bleibende Umstände” selten vor – und Regierungen können ihre Unterstützung in der Bevölkerung zudem auf Weisen stärken, die das Wirtschaftswachstum nicht fördern. Die chinesische Regierung etwa betont ihre Rolle als Verteidiger der Bevölkerung gegen äußere oder unpersönliche Kräfte wie etwa Erdbeben oder die Covid-19-Pandemie. Sie hat zudem in letzter Zeit eine aggressive Haltung in Bezug auf territoriale Streitigkeiten im Südchinesischen Meer und entlang der chinesisch-indischen Grenze eingenommen.

Die westlichen Länder haben auf diese und andere Maßnahmen auf viele Weisen reagiert. Die USA weiten derzeit ihre Militärpräsenz im Südchinesischen Meer aus, während sich China aufgrund von Menschenrechtsbedenken zudem der Gefahr von Wirtschaftssanktionen und eines Boykotts der Olympischen Winterspiele in Peking in 2022 ausgesetzt sieht.

Sanktionen erfahrungsgemäß wenig zielführend

Die Erfahrung legt nahe, dass Sanktionen, Boykotte und militärischer Druck ihre beabsichtigten Ziele kaum erreichen dürften. Russland etwa ist seit 2014 westlichen Wirtschaftssanktionen ausgesetzt – und die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat kürzlich weitere Strafmaßnahmen angekündigt – doch hat der Kreml seine Politik der Besetzung des Donezbeckens in der Ostukraine trotzdem fortgesetzt. In ähnlicher Weise hatten im Kalten Krieg die Boykotte der Olympischen Spiele in Moskau 1980 und in Los Angeles 1984 kaum eine Wirkung auf eine der beiden Seiten.

Im Gegenteil: Militärische Aggression provoziert häufig eine politische Gegenreaktion im Zielland und stärkt die Unterstützung für die Regierung. Wirtschaftssanktionen können ähnliche Auswirkungen haben und die öffentliche Unterstützung für eine kompromisslose politische Linie verfestigen.

Dieser Effekt lässt sich derzeit problemlos in China beobachten. Viele Chinesen glauben, dass der Westen versucht, neuerlich seine politische Vorherrschaft geltend zu machen, und fühlen sich schmerzhaft an den Kolonialismus und den Zweiten Weltkrieg erinnert. Damals kamen in China 20 Millionen Menschen ums Leben – mehr als in jedem anderen Land mit Ausnahme der Sowjetunion. Die von der westlichen Politik gegenüber China ausgelösten starken Emotionen überschatten die Tatsache, dass Chinas Handlungen Länder wie Indien, Vietnam und Indonesien, die ebenfalls unter einer brutalen Kolonialpolitik gelitten haben, mit Sorge erfüllen.

Zugleich lenken diese emotionalen Reaktionen die Aufmerksamkeit von wichtigen innenpolitischen Fragen ab, nicht zuletzt der Notwendigkeit, die Einkommen zu steigern. Chinas Arme, von denen den meisten Grenzstreitigkeiten oder internationale Sportereignisse ziemlich egal sein dürften, werden die Hauptleittragenden eventueller Kollateralschäden sein.

Für einen effektiven Dialog mit China sollten sich andere Länder an Folgendes erinnern: Im Gegensatz zum ersten Eindruck ist das Land kein wirtschaftlicher Monolith. Hinter dem weltweit zweithöchsten BIP verbergen sich hunderte von Millionen Menschen, die einfach nur der Armut entkommen möchten.

Nancy Qian ist Professorin für Betriebswirtschaft und Entscheidungswissenschaften an der Kellogg School of Management der Northwestern University und Direktorin des China Lab der Universität. Aus dem Englischen von Jan Doolan.

Copyright: Project Syndicate

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Personalien

Shou Zi Chew is the new CEO at social media platform Tiktok. Chew comes directly from the Chinese parent company Bytedance. There, he took up the post of CFO only last month and will continue to hold it. Before that, he was CFO and president of the International Business division of Chinese electronics manufacturer Xiaomi for several years.

Vanessa Pappas, who had led the business at Tiktok as interim CEO since August 2020, is moving to a COO position within the Group.

Eight months ago, Kevin Mayer had resigned his chief executive post at Tiktok. Mayer, a former Disney executive, had been on the job at Tiktok for less than three months before he resigned due to political pressure. The US government under Donald Trump had pushed for the sale of Tiktok’s US division, seeing Bytedance as a threat to national security.

Dr. Hannes Jedeck has been Executive Director of the Confucius Institute at the Rheinische Friedrich-Wilhelms University in Bonn since the beginning of May. Jedeck is the founder of IBAC (Initiative for the Nationwide Development of China Competence). He was program coordinator at the Confucius Institute at Heidelberg University until the end of April.

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  • Konfuzius-Institute
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Dessert

Produce Pandas heißt die erste Plus-Size-Boygroup aus China. Ihre fünf Mitglieder bringen neuen Wind in die Branche, indem sie sich optisch vom Schönheitsideal der bisherigen Boybands absetzen. Statt wie “kleines Frischfleisch” – so werden die gertenschlanken, hellhäutigen jungen Männer in der Film- und Musikbranche gern bezeichnet – auszusehen und strikte Diäten einzuhalten, geht Produce Pandas einen anderen Weg. Ihr neuer Song heißt: “Gute Plauze”.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    zum Verhältnis von China zu Indien gibt es viele blumige Metaphern, beispielsweise die vom Drachen und Elefanten mit ihren jeweils unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Fest steht: Derzeit ist Indien in Not und China schickt Hilfsgüter. Diese Rollenverteilung passt gut zum chinesischen Selbstbild als Erfolgsnation, die nun andere Schwellenländer unterstützt. Doch der überbordende Stolz auf das Erreichte hat den Blick aufs Wesentliche verstellt: Statt uneigennützig zu helfen, steht die Rückständigkeit Indiens im Vordergrund – was beim Nachbarn so viel Ärger auslöst, dass er die Lieferungen am liebsten zurückweisen würde.

    Tesla ist ebenso das PR-Wunder wie das Reichweiten-Wunder unter den Elektroautoherstellern. Doch große Bekanntheit macht aus einer Marke ein noch größeres Ziel für Angriffe aus den Sozialmedien – zumal in China mit seinen sehr anspruchsvollen Kunden. Über den ausländischen Anbieter hält die Zensur auch nicht ihre schützende Hand, sodass die Kritik an Elon Musk und seinen Autos immer weiter eskaliert. Das kann auch als Warnung für deutsche Marken dienen: Hochmut kommt vor dem Fall in der öffentlichen Wahrnehmung – gleichgültig, ob die Vorwürfe mangelnder Qualität berechtigt sind oder nicht.

    Der taiwanische Chiphersteller TSMC nimmt derzeit eine Schlüsselrolle für etliche Industrien ein – von Auto über Gaming bis Handys. Aufgrund seiner Lieferprobleme stehen sogar in Deutschland die Produktionsbänder still. Jetzt sind hier zum ersten Mal seit Monaten wieder gute Nachrichten zu hören: Das Unternehmen sieht “eine gewisse Entspannung”. Für wie lange? Leider nur bis zum kommenden Monat. Den Managern in Fahrzeugindustrie dürfte dieser Versuch einer Beruhigung viel zu vage klingen.

    Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock liefert derweil Hinweise auf ihre Vorstellungen von einer Neujustierung der deutschen Chinapolitik. “Wir dürfen gegenüber China nicht naiv sein”, sagte sie am Montagabend auf einer Veranstaltung. Europa müsse sich vor zu viel Einfluss aus Fernost schützen. Doch zugleich – und das ist typisch für die Grünen im Wahlkampf 2021 – zeigte sie sich realitätstauglich und pragmatisch: China sei “ein viel zu großer Markt”, um sich davon abzuschotten. Diese Erkenntnis hatten schon andere Führungspersonen vor ihr.

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Presseschau

    Antony Blinken mahnt vor militärischer Konfrontation mit China ZEIT
    USA, Russland und China: Mit dem Wettbewerb der Großmächte ist eine Katastrophe vorprogrammiert MERKUR
    Der Westen hat sein Überlegenheitsgefühl durch einen China-Komplex ersetzt HANDELSBLATT
    Philippines foreign minister issues expletive-laced tweet over China sea dispute REUTERS
    New Zealand leader Ardern takes tougher stance on China APNEWS
    EU muss gegenüber China “weniger naiv” sein, meint Juncker EURACTIV
    Baerbock will stärkere Rolle Europas gegenüber China HANDELSBLATT
    Durch Peking rollen erste autonome Taxis N-TV
    Satellitenbild der Woche: Wo China zerknittert SPIEGEL
    A Chinese Communist Party-linked account mocked India’s Covid crisis on social media. It backfired CNN
    Russia turns to China to make Sputnik shots to meet demand APNEWS
    Fidelity Halves Its Ant Group Valuation After Beijing’s Clampdown WSJ
    The back room calculations adding up to China’s next envoy to the US SCMP

    Analyse

    Zorn und Feindseligkeit – auch in Corona-Zeiten

    Der Tweet auf dem chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo war zwar nur kurz. Doch er wirkte um so zerstörerischer auf die Beziehung zwischen Indien und China. Verfasst hat ihn am Samstag die Zentrale Politische und Juristische Kommission der Kommunistischen Partei Chinas – eine wichtige und mächtige Institution. Sie überwacht die Rechtsdurchsetzung beispielsweise durch die chinesische Polizei. Ihr aktueller Vorsitzender ist Guo Shengkun, der auch Mitglied im Politikbüro des Zentralkomitees der KP Chinas ist.

    Konkret handelt es sich um eine Kollage aus zwei Fotoaufnahmen: Links zündet eine chinesische Weltraumrakete bei ihrem Start in den Orbit; rechts zünden indische Helfer Tote der Corona-Pandemie auf Scheiterhaufen an. Der Text dazu: China zündet versus Indien zündet.

    Diese Botschaft hat seitdem die Zusammenarbeit zwischen den beiden Nachbarländern in der Corona-Pandemie zunichte gemacht. “Dieser Tweet ist voll von Arroganz, Aggressivität und Verachtung”, klagt Außenpolitik-Expertin Rajeswari Rajagopalan von der Denkfabrik Observer Research Foundation (ORF) in Delhi.

    In normalen Zeiten würde ein solcher Tweet zu hitzigen Diskussionen in den abendlichen Talkrunden des indischen Fernsehens führen. Zeitungskommentatoren würden die Geschmacklosigkeit kritisieren und wahrscheinlich den Stolz der Inder beschwören, an dem eine solche Schmähung abperlen sollten. Doch nicht dieses Mal. Nicht jetzt.   

    Dramatische Krise in Indien

    Denn jetzt befindet sich Indien in einer humanitären Krise. “Wir benötigen sämtliche Hilfe, die verfügbar ist”, sagt Rajagopalan ohne Umschweife. “Eigentlich auch aus China.” In Indien wütet derzeit die zweite Corona-Welle – und zwar brutal. Allein am Samstag verzeichneten die Gesundheitsbehörden 392.488 Neuinfektionen. Die Zahl der Todesfälle erreichte mit 3689 ihren bisher höchsten Wert. Und Beobachter sind sich sicher: Diese Werte sind viel niedriger als die realen Zahlen. Das Institute for Health Metrics and Evaluation der Universität Washington schätzt, dass wohl nur drei bis vier Prozent der Ansteckungen in Indien entdeckt werden. Die Krematorien der Hauptstadt verbrennen derart viele Leichen, dass es in manchen Bezirken Asche regnet. Mancherorts geht schon das Brennholz aus.

    Ein Ende der katastrophalen Entwicklung ist nicht in Sicht. Prognosen des Indian Institute of Technology in Kanpur zufolge wird die offizielle Zahl ihren Höhepunkt zwischen dem 4. bis 8. Mai mit 440.000 täglichen Neuinfektionen erreichen. Andere Forscher erwarten einen Anstieg auf sogar 800.000 bis eine Million pro Tag.

    China bringt sich als Alternative zu den USA in Stellung

    Klar ist, Indien benötigt dringend Hilfe aus dem Ausland. Doch ausgerechnet die USA lehnten zunächst mit dem Verweis Hilfe für Delhi ab, erst die eigene Bevölkerung impfen zu wollen. Zwar hat Washington die Entscheidung inzwischen zurückgenommen, doch China brachte sich umgehend als hilfsbereiter Partner in Stellung. Zwar sind China und Indien seit Jahrzehnten Erzrivalen, die beiden Großmächte führten gar schon Krieg gegeneinander. Doch es schien, als könnte die Corona-Pandemie derartige Gräben überwinden. Chinas Präsident Xi Jinping persönlich schickte am vergangenen Freitag eine Nachricht an seinen indischen Amtskollegen Narendra Modi. Darin hieß es: “China ist bereit, die Kooperation mit Indien im Kampf gegen die Pandemie zu verstärken, Unterstützung bereitzustellen und Indien zu assistieren.” An diesem Punkt hätte China noch als Retter aus der Situation hervorgehen und enorme Pluspunkte sammeln können.

    Am Wochenende sind tatsächlich etliche Hilfslieferungen aus dem Ausland in Indien angekommen. Insgesamt 40 Länder lieferten medizinische Geräte, Medikamente und Schutzausrüstung. Aus Deutschland kamen 120 Beatmungsgeräte. In dieser Woche soll zudem eine mobile Sauerstoffanlage aufgebaut werden. Und auch aus China sind Frachtflugzeuge gelandet.

    Flugzeuge aus China – und ein Tweet

    Doch nicht nur Flugzeuge kamen aus Peking, sondern eben auch besagter Tweet. Er hat die Sichtweise auf das chinesische Verhalten komplett verändert. “Bei den Lieferungen aus China handelt es sich nicht um Hilfe, sondern um kommerzielle Güter”, erklärt Pramit Pal Chaudhuri von der Zeitung Hindustan Times. “Für alles aus China muss Indien bezahlen.” Peking habe lediglich geholfen, die Corona-Bedenken der Frachtlieferer zu beseitigen und so den Lufttransport indirekt ermöglicht. Unter anderem Sichuan Airlines hatte aufgrund des Pandemiegeschehens auf dem Subkontinent seine Flüge nach Indien unterbrochen.

    So verheerend die Lage auch sein mag, Delhi werde nun das Hilfsangebot aus China nicht annehmen, prophezeit Happymon Jacob von der Jawaharlal Nehru Universität in Delhi. “In Wirklichkeit geht es Peking nicht um humanitäre Hilfe, sondern schlicht um Propaganda, die es zu eigenen Zwecken nutzen will.” Der Tweet zeige diese Denkweise ganz deutlich. ORF-Direktorin Rajagopalan wird noch deutlicher: “China hat sich unter Xi zu einer mächtigen, aber überaus arroganten Nation entwickelt.” Es zeige keinerlei Respekt für andere oder für internationales Recht. “Es scheint schon so weit, dass es sich nicht mal mehr schert, wie andere über das Land denken.”

    Der Affront fällt in eine angespannte Lage

    Die Wissenschaftlerin, der Professor wie auch der Journalist verweisen unisono auf den fragilen Zustand der Beziehungen (China.Table berichtete). Seit Sommer vergangenen Jahres haben sich die Beziehungen dramatisch verschlechtert. Damals war es an der gemeinsamen Grenze im Himalaya zu militärischen Zwischenfällen gekommen, bei denen auf beiden Seiten mehrere Soldaten verletzt und getötet wurden. Diese Grenzkonfrontation ist noch immer nicht beendet. Es stehen sich waffenstarrende Militäreinheiten gegenüber. Die Beziehung zu China sei weiterhin angespannt und abnormal, erklärt Chaudhuri.

    In diese Situation platzte der Tweet. Es gebe eine Order von oben, “die besagt, es ist okay, auf das Versagen Indiens hinzuweisen”, spekuliert Chaudhuri. Es ist zwar nicht “Wolf-Warrior-Diplomatie, aber Ausdruck der allgemeinen Haltung Chinas gegenüber Indien.” Der Journalist verweist darauf, dass Pekings Diplomaten in den Verhandlungen mit ihren indischen Ansprechpartnern gerne sagen: “Denkt immer daran, ihr seid nur ein Fünftel von uns.” Gemeint sei damit das Bruttosozialprodukt der beiden Nachbarstaaten.

    Nach heftiger Kritik im In- und Ausland wurde der folgenreiche Tweet inzwischen gelöscht. Doch auch die Reaktion des chinesischen Außenministeriums in Peking trägt nicht zur Entspannung der Lage bei. Dort heißt es, man könne besagtes Bild auf dem Weibo-Account derzeit nicht finden. Zu einer Entschuldigung, die vielleicht alles hätte klären können, rangen die Diplomaten sich nicht durch.

    Was aber wieder offen zu Tage gefördert wurde, ist das tiefe Zerwürfnis zwischen China und Indien. Es ist dramatisch, dass in einer humanitären Krise wie der Corona-Pandemie derartige politische Spielchen nicht in den Hintergrund treten. Wie es eigentlich laufen sollte, zeigt ein Blick zurück zum Anfang der Pandemie: Als das Coronavirus in Wuhan entdeckt wurde, war Indien eines der ersten Länder, das Hilfsgüter in die chinesische Metropole schickte.

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    Tesla sucht die Nähe zu den Behörden

    Der US-Autobauer Tesla fürchtet offenbar den Einbruch seiner Verkaufszahlen auf dem chinesischen Markt. Das Unternehmen arbeitet fieberhaft daran, seinen guten Ruf im Land nicht völlig zu verspielen. Seine Umsätze waren in der Volksrepublik im Vorjahr um mehr als das Doppelte geklettert – doch nun droht eine Delle. Das Unternehmen ist daher entgegen seinen Gepflogenheiten seit Kurzem regelmäßiger Besucher bei behördlich organisierten Diskussionsrunden der Autoindustrie, berichtet Reuters. Außerdem sucht Tesla nach neuen Mitarbeitern, die sich hauptsächlich um die Beziehungen zu staatlichen Stellen im Land kümmern sollen. Das verstärkte Engagement ist Anzeichen dafür, dass Tesla die massive Kritik der vergangenen Wochen sehr ernst nimmt.

    Der Sinneswandel ist das Resultat einer Unmenge an Warnungen, Drohungen, Protesten und Vorwürfen, die seit dem vergangenen Jahr in China auf Tesla eingeprasselt sind. Bislang hatte der Elektropionier in gewohnt sturer Ignoranz alle Probleme ausgesessen und dabei im Jahr 2020 sogar einen Rekordumsatz in China von 6,6 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Doch jetzt herrscht Alarmstufe Rot. Staatliche Medien schüren mit scharfen Kommentaren Ressentiments, die Kritik an dem Hersteller multipliziert sich millionenfach.

    Zwar verkaufen sich Tesla-Fahrzeuge weiterhin ausgesprochen gut in der Volksrepublik, doch die Gefahr wächst, dass zunehmend mehr Marktanteile an chinesische Mitbewerber fallen (China.Table berichtete). Ein Szenario, das der chinesischen Regierung in Rahmen ihrer Industriepolitik sicherlich gut gefallen dürfte. Peking machte sich zwar die Signalwirkung von Teslas Engagement für das Elektrosegment in China zunutze, will aber eigentlich chinesische Champions aufbauen, die dann die Welt erobern. Ausländischen Firmen soll China nicht mehr als Basis für einen globalen Siegeszug dienen.

    Erfolg oder Misserfolg entscheidet sich in China häufig auch am Beziehungsgeflecht, das ein Unternehmen pflegt. Tesla genoss anfänglich eine Sonderbehandlung, von der der Hersteller enorm profitierte. Chinas Behörden rollten den Amerikanern den roten Teppich aus, kümmerten sich um die reibungslose Finanzierung des Baus einer Gigafactory 3 in Shanghai, waren großzügig beim Steuersatz und zwangen den Weltmarktführer nicht einmal in ein Gemeinschaftsunternehmen. Tesla schlüpfte nur zu gern in die Rolle des Klassenbesten, versäumte es aber, diese Wertschätzung mit ausreichend Demut entgegenzunehmen.

    Wut gegen Tesla kocht hoch

    Statt sich interessiert und engagiert am Austausch mit den Behörden und Regulatoren zu zeigen, schwänzte das Management die Termine. Das ging zwar einige Jahre lang gut. Aber seit sich die Berichte über juristische Klagen chinesischer Kunden gegen Tesla und Rückrufe wegen technischer Mängel häuften, begann es zu brodeln bei Behörden und staatlichen Medien. Plötzlich brach sich eine Wut gegen Tesla Bahn, die ausländische Unternehmen in China immer dann erfasst, wenn diese – gerechtfertigt oder nicht – den Eindruck vermitteln, ihre chinesischen Kunden lägen ihnen nicht genug am Herzen (China.Table berichtete).

    Es steht viel auf dem Spiel. “China ist ein Dreh- und Angelpunkt für Teslas globalen Erfolg“, schreibt der Börsenanalyst Daniel Ives in einer Bewertung für Kunden des Finanzdienstleisters Wedbush Securities. Tesla habe sich in den vergangenen Wochen ein “blaues Auge” geholt, bilanziert Ives. Offenbar ist dem Unternehmen das bei dem Blick in den Spiegel ebenfalls klar geworden. Die Aufgabe der neu angestellten Mitarbeiter ist es nun, “ein harmonisches externes Umfeld aufzubauen und die Geschäftsentwicklung auf dem regionalen Markt zu unterstützen”.

    Ein harmonisches Umfeld besteht in der Volksrepublik in der Regel aus zwei Komponenten: kein Stress mit den Behörden und zufriedene Kunden. Doch besonders Teslas Verhältnis zu den Autofahrern hat gelitten. Einerseits weil diverse technische Probleme den Rückruf von insgesamt rund 86.000 Fahrzeugen in China provozierten und angeblich auch zu diversen Unfällen führten. Andererseits, weil sich zu viele Kunden von Teslas Vertrieb schlicht betrogen fühlten. In mehreren Fällen klagten Käufer der Marke über das Verkaufspersonal, das ihnen versichert hatte, dass sie keine späteren Rabatte durch staatliche Nachlässe oder Sonderaktionen des Herstellers befürchten mussten. Doch das Gegenteil war der Fall, und manche Kunden fühlten sich um fast 10.000 Euro gebracht, weil sie sich drei Monate früher als andere für einen Tesla entschieden hatten.

    Kommunikationschefin tritt ins Fettnäpfchen

    Bereits im Dezember hatte das chinesische Branchenportal Sina Tech berichtet, dass Teslas Management in China sein Vertriebspersonal gedrängt haben soll, bestimmte Fahrzeugvarianten des in Shanghai produzierten Model 3 bevorzugt unters Volk zu bringen. In einem Fall hatte ein Gericht in Shanghai die Klage eines Käufers jedoch abgewiesen, weil nach Ansicht des Richters nicht genügend Beweise für einen Betrug vorlagen. Doch solche Gerichtsentscheidungen helfen Tesla nur bedingt weiter, solange die Topangestellten ins Fettnäpfchen treten.

    Grace Tao ist die Kommunikationschefin der Firma in der Volksrepublik. Ausgerechnet sie hat sich einen schweren Fauxpas geleistet. Nachdem eine Kundin während der Automesse in Shanghai den Stand des Herstellers gekapert und vom Dach eines ausgestellten Fahrzeugs lautstark ihren Unmut über Tesla kundgetan hatte, stellte Tao die Vermutung in den Raum, dass die Aktion der Frau möglicherweise von “Interessengruppen” unterstützt werde. Tao kennt ihr Heimatland nur zu gut, weswegen ihre Überlegung durchaus gerechtfertigt schien. Aber es war nicht klug, diese Gedanken öffentlich zu äußern. Denn auch die Behörden durften sich durchaus angesprochen fühlen. Und auch das Militär hatte sich bereits für Tesla interessiert – schließlich nehmen die Kameras an den vernetzten Autos laufend Bilder auf, die sich theoretisch auch für Spionage eignen.

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    News

    TSMC: Genügend Chips für die Autobranche – bis Ende Juni

    Der weltweit führende Chiphersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) rechnet mit einer gewissen Entspannung bei der Halbleiter-Produktion für die Autobranche. Zumindest bis Ende Juni seien grundsätzlich genug Halbleiter-Elemente für die Kunden lieferbar. Das sagte TSMC-Chef Mark Liu dem amerikanischen Fernsehsender CBS.

    Liu habe im vergangenen Dezember zum ersten Mal von entsprechenden Engpässen gehört. Das Coronavirus und der Handelskrieg hatten zu einer Reihe von Fehlplanungen und Panikreaktionen geführt, die sich gegenseitig hochgeschaukelt haben und so zu einem Mangel an Halbleitern führten. Vor allem die Schlüsselstellung von Taiwan war ein entscheidender Faktor für die gravierende Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage (China.Table berichtete). Ab dem Folgemonat habe sein Unternehmen dann jedoch alles getan, um so viele Chips wie möglich für die Autohersteller bereitzustellen. Unter anderem hatte TSMC angekündigt, bis 2023 mehr als 100 Milliarden US-Dollar in die Chip-Produktion zu investieren. Allein in diesem Jahr werde TSMC 28 Milliarden Dollar in die Halbleitertechnologie stecken. “Heute gehen wir davon aus, dass wir die Mindestanforderungen vor Ende Juni erfüllen können.”

    Doch Liu warnte zugleich vor allzu großen Hoffnungen. Seine Zusicherung bedeute jedenfalls nicht, dass die Zeit der Knappheit in zwei Monaten überwunden sei. “Es gibt eine zeitliche Verzögerung. Bei Auto-Chips ist die Lieferkette lang und komplex.” Aufgrund der starken Nachfrage nach den derzeit schwer verfügbaren Chips stieg der Gewinn von TSMC 2020 auf 140 Milliarden Taiwan-Dollar (rund 4,1 Milliarden Euro). Auch im ersten Quartal 2021 konnte TSMC einen Umsatzzuwachs um 17 Prozent verzeichnen auf 362,4 Milliarden Taiwan-Dollar. Das Unternehmen produziert Chips für die Automobilbranche wie auch für Handy-, Computer- und sogar Chip-Anbieter wie Apple, Qualcomm und AMD. rad

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    Nio baut Elektroauto-Park in Hefei

    Das chinesische Elektro-Startup Nio hat den Baubeginn eines neuen Industrieclusters namens Neo Park an seinem Standort Hefei in der Provinz Anhui bekannt gegeben. Der Neo Park sei als Industrie- und Entwicklungscluster mit dem Schwerpunkt Elektroautos und Autonomes Fahren konzipiert, teilte Nio am Montag mit. Nach chinesischen Medienberichten sind in dem von der Provinzregierung in Anhui umgesetzten Projekt Produktionskapazitäten für eine Million Elektroautos und Komponenten geplant – darunter auch Batterien. Die Anfangsinvestition liege laut Nio bei 50 Milliarden Yuan (rund 6,4 Milliarden Euro). Nio ist nur eines von vielen Unternehmen, die im Neo Park angesiedelt werden: Der Industriepark soll die gesamte Wertschöpfungskette für intelligente Elektroautos beherbergen, einschließlich der Software-Entwicklung.

    Hefei treibt damit seine Entwicklung zu einer Drehscheibe für neue Mobilität weiter voran. Erst kürzlich hatte Volkswagen dort mit dem Bau einer Elektroautofabrik mit einer Kapazität von maximal 350.000 Autos begonnen (China.Table berichtete). Mit diesem Ziel half die Provinzregierung Anfang 2020 auch Nio aus einer finanziellen Klemme: Sie sagte dem Start-up mehr als zehn Milliarden Yuan (rund 1,3 Milliarden Euro) zu. Nio verpflichtete sich umgekehrt, Fabriken und Forschungszentren in der Stadt zu bauen sowie Anteile an lokale Staatsfirmen abzutreten.

    Beobachter erwarten, dass Nio in diesen Tagen den Markteinstieg in Europa bekannt geben wird. Am Donnerstag ist dazu eine Pressekonferenz in Norwegen geplant. Geschäftlich läuft es für Nio in diesem Jahr deutlich besser als im Vorjahr. Im April verkaufte das Unternehmen nach eigenen Angaben 7.102 Autos, gut 125 Prozent mehr als im Vorjahresmonat – und das, obwohl Nio von dem globalen Chip-Mangel betroffen war und phasenweise die Produktion einstellen musste (China-Table berichtete). Der Umsatz im ersten Quartal stieg laut Nio gegenüber dem – wegen des Coronavirus allerdings besonders schwachen – Vorjahreszeitraum um 482 Prozent und gegenüber dem Vorquartal um gut 20 Prozent auf eine Milliarde Euro. Auf der Automesse in Shanghai stellte Nio zudem eine Offensive zum Ausbau der Ladeinfrastruktur vor. Dazu gehört unter anderem der Bau von 500 Ladeparks mit 2.000 Schnellladestationen sowie 100 weiterer Akku-Tauschstationen innerhalb von drei Jahren. ck

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    Andrang auf Studentenvisa für die USA

    Ab dem heutigen 4. Mai können chinesische Studenten wieder einen Visa-Antrag stellen, um für ein Studium in die USA zu reisen. Damit vergeben die US-Botschaft und Konsulate in China nach mehr als einem Jahr erstmals wieder Visatermine für Studenten. Der Schritt kommt, nachdem Washington vergangene Woche die Reisebeschränkungen für Studenten aus China und mehreren anderen Ländern aufgehoben hat.

    Bis Mitte Mai soll die US-Botschaft in China täglich 2000 Visa-Termine für Studenten anbieten. Bereits eine Stunde nachdem die Internetseite der Botschaft für die Terminvergabe geöffnet wurde, gingen mehr als 3.000 Anträge ein, sagte William Bistransky, amerikanischer Generalkonsul in China.

    Die Zeit drängt. Die Visa sind 120 Tage vor Studienbeginn zu beantragen. Wer im Herbstsemester anfangen will, braucht die Einreisegenehmigung daher schon sehr rasch. Zudem gilt für Studenten aus dem Ausland, dass sie 30 Tage vor Semesterbeginn ins Land eingereist sein müssen.

    Die Studiengebühren von chinesischen Studenten sind für viele Colleges und Universitäten in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Das US-Handelsministerium hatte zuletzt errechnet, dass internationale Studenten im Jahr 2018 etwa 44 Milliarden US-Dollar zum Bruttoinlandprodukt beigetragen haben. Davon kamen 15 Milliarden US-Dollar von chinesischen Studenten

    Dem Wirtschaftsmagazin Caixin zufolge studierten im vergangenen Jahr 382.000 chinesische Studenten in den USA. Das entspricht einem Rückgang von 20 Prozent gegenüber 2019, was vor allem auf die Reisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Ende der Siebzigerjahre lag die Zahl der chinesischen Studenten in den USA noch unter 1.000. niw

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    Baidu lässt erste fahrerlose Taxis fahren

    Ein Taxi ganz ohne Fahrer – der chinesische Internetriese Baidu bietet seit wenigen Tagen einen solchen Dienst an. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, kutschieren zehn Apollo-Go-Robotertaxis seit Sonntag Fahrgäste durch den Pekinger Shougang-Park im Westen der Stadt. Anders als bei früheren Demonstrationsfahrten (China.Table berichtete) sitzt nicht mal mehr ein Fahrer zur Sicherheit am Steuer. Sicherheitspersonal steht lediglich für Notfälle zur Verfügung.

    Zunächst einmal verkehren diese automatisierten Fahrkabinen auf einem Gelände von etwa drei Quadratkilometern Fläche. Ähnlich einem Bus halten sie an acht Haltepunkten. Eine Fahrt kostet 30 Yuan (3,85 Euro). Fahrscheine können über eine App gekauft werden. Als Fahrgäste sind allerdings nur Personen zwischen 18 und 60 Jahren zugelassen. Kinder und Senioren dürfen vorerst noch nicht einsteigen. Baidu-Vizechef Kelly Wang ist dennoch zuversichtlich, dass diese Art des Transports in China bald massentauglich wird.

    Der Baidu-Vizechef ist jedenfalls von der ersten Fahrt begeistert: Der Wagen musste zwar mehrfach bremsen, weil ihm unachtsame Fußgänger und neugierige Touristen zu nahe kamen. Er könne das Fahrerlebnis dennoch empfehlen, meint Wang. Nutzerin Amy Li, die das neue Angebot gleich ausprobieren wollte, gab hingegen zu bedenken, dass der Straßenverkehr nach wie vor recht komplex sei, so ganz traue sie dem neuen Gefährt daher nicht. “Wir alle haben schon erlebt, wie andere Fahrzeuge vordrängeln oder plötzlich die Spur wechseln”, sagte sie.

    Baidu, das Chinas meist genutzte Internet-Suchmaschine betreibt, testet autonomes Fahren auf offener Straße seit vergangenem Jahr in insgesamt drei Städten. In den nächsten drei Jahren sollten das Programm auf 30 Städte ausgedehnt werden. flee

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    Wird China zur “Supermacht”?

    China leistet derzeit den größten Beitrag zu Wachstum der Weltwirtschaft. Dennoch ist längst nicht ausgemacht, dass es dem Land gelingen wird, zur “dominierenden Macht” der Weltwirtschaft zu werden. Zu dieser Bewertung kommen die Autoren einer aktuellen volkswirtschaftlichen Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die an diesem Dienstag erscheint und China.Table vorab vorliegt. Die Studie trägt den Titel “Volksrepublik China: Durchmarsch zur dominierenden Supermacht?”

    Die Autoren, Thomas Meißner und Matthias Krieger, erwarten zwar weiteres Wachstum der chinesischen Wirtschaft – allerdings mit abnehmendem Tempo. Sie bescheinigen dem Land zwar “Attraktivität für Direktinvestitionen mit hoher Wertschöpfung” und erhebliche Innovationsfähigkeit. Damit könne China durchaus in die Gruppe der Länder mit hohem Einkommen pro Kopf aufsteigen. Ob China aber weltwirtschaftlich “dominant” in dem Sinne wird, dass die grundlegenden Innovationen, Standards und Produktentwicklungen künftig im Wesentlichen aus China kommen, bleibe offen, schreiben die Autoren.

    Zum einen lasse sich das politisch gewollte Streben nach “technologischer Autarkie” schlecht mit der notwendigen Effizienz vereinbaren. Zum anderen behindere die zentralistische Politik der KP Chinas und die personelle Verkrustung an der Spitze der Staatsführung die notwendige Flexibilität für die Entwicklung. asi

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    Standpunkt

    Die zwei Seiten des chinesischen BIP

    Von Nancy Qian

    Die Wirtschaftsberichterstattung über China konzentriert sich viel zu stark auf das Gesamt-BIP und nicht genügend auf das BIP pro Kopf, das die aussagekräftigere Kennzahl ist. Und diese verzerrte Berichterstattung hat wichtige Implikationen, denn die beiden Kennzahlen zeigen deutlich unterschiedliche Bilder von Chinas aktueller wirtschaftlicher und politischer Lage. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit zudem auf unterschiedliche Fragen.

    Eine schnelle Suche in allen englischsprachigen Nachrichtenpublikationen in der ProQuest-Datenbank für den Zehnjahreszeitraum von 2011 bis 2021 zeigt, dass 20.915 Artikel Chinas BIP diskutierten, aber nur 1163 das BIP pro Kopf erwähnten. Proportional sogar noch größer war dieser Unterschied bei den acht größten und angesehensten Zeitungen, darunter der New York Times, dem Wall Street Journal und der Washington Post, wo 5.963 Artikel auf das chinesische BIP verwiesen, aber nur 305 das BIP pro Kopf diskutierten.

    Wenig Beachtung: BIP pro Kopf

    Im Jahr 2019 war Chinas BIP (zu Marktkursen) von 14 Billionen Dollar das weltweit zweithöchste hinter den USA (21 Billionen Dollar); auf dem dritten Platz lag Japan (fünf Billionen Dollar). Das aggregierte BIP spiegelt die Gesamtheit der Ressourcen – einschließlich der Steuerbasis – wider, die einer Regierung zur Verfügung stehen. Dies ist hilfreich für eine Betrachtung des Umfangs der staatlichen Investitionen Chinas wie etwa seines Raumfahrtprogramms oder seiner Militärkapazitäten. Für das Alltagsleben der chinesischen Bevölkerung jedoch ist es viel weniger relevant.

    Dem meisten Ökonomen ist daher Chinas BIP pro Kopf – oder anders ausgedrückt: das Einkommen pro Person – wichtiger. Und die zentrale Erkenntnis hier ist, dass China trotz des phänomenalen Wachstums seines BIP während der vergangenen vier Jahrzehnte auch weiterhin ein armes Land bleibt.

    Chinas BIP pro Kopf betrug 2019 etwa 8.242 Dollar. Damit liegt das Land zwischen Montenegro (8.591 Dollar) und Botsuana (8.093 Dollar). Sein BIP pro Kopf nach Kaufkraftparität – das heißt nach Bereinigung des Einkommens zur Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten – betrug 16.804 Dollar. Dies liegt unter dem weltweiten Durchschnitt von 17.811 Dollar, und China liegt damit auf dem 86. Platz in der Welt, zwischen Surinam (17.256 Dollar) und Bosnien und Herzegowina (16.289 Dollar). Im Gegensatz dazu liegt das BIP pro Kopf nach Kaufkraftparität in den USA und der Europäischen Union bei 65.298 bzw. 47.828 Dollar.

    Noch hunderte Millionen Chinesen in Armut

    Um das Ausmaß der Armut in China zu begreifen, müssen wir uns zudem den Grad der Ungleichheit innerhalb seiner großen Bevölkerung vergegenwärtigen. Die Ungleichheit in China (gemessen durch den Gini-Koeffizienten) ähnelt der in den USA und Indien. Da China eine Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen aufweist, bedeutet das, dass noch immer hunderte von Millionen Chinesen in Armut leben.

    Laut Angaben der chinesischen Regierung haben 600 Millionen Menschen ein monatliches Einkommen von knapp 1.000 Yuan (155 Dollar). Das entspricht einem Jahreseinkommen von 1.860 Dollar. 75,6 Prozent dieser Menschen leben in ländlichen Gebieten.

    Um die Reihen der weltärmsten Länder zu verlassen, muss China die Einkommen einer Bevölkerung von der Größe jener Subsahara-Afrikas und mit ähnlichem Durchschnittseinkommen (Afrika: 1.657 Dollar) erheblich steigern. Und die chinesische Regierung weiß, dass sie das tun muss, um sich die Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten. Unter ansonsten gleich bleibenden Umständen wird sie noch mindestens eine weitere Generation lang damit beschäftigt sein, die Einkommen im Lande zu steigern.

    Doch kommen in der Politik “ansonsten gleich bleibende Umstände” selten vor – und Regierungen können ihre Unterstützung in der Bevölkerung zudem auf Weisen stärken, die das Wirtschaftswachstum nicht fördern. Die chinesische Regierung etwa betont ihre Rolle als Verteidiger der Bevölkerung gegen äußere oder unpersönliche Kräfte wie etwa Erdbeben oder die Covid-19-Pandemie. Sie hat zudem in letzter Zeit eine aggressive Haltung in Bezug auf territoriale Streitigkeiten im Südchinesischen Meer und entlang der chinesisch-indischen Grenze eingenommen.

    Die westlichen Länder haben auf diese und andere Maßnahmen auf viele Weisen reagiert. Die USA weiten derzeit ihre Militärpräsenz im Südchinesischen Meer aus, während sich China aufgrund von Menschenrechtsbedenken zudem der Gefahr von Wirtschaftssanktionen und eines Boykotts der Olympischen Winterspiele in Peking in 2022 ausgesetzt sieht.

    Sanktionen erfahrungsgemäß wenig zielführend

    Die Erfahrung legt nahe, dass Sanktionen, Boykotte und militärischer Druck ihre beabsichtigten Ziele kaum erreichen dürften. Russland etwa ist seit 2014 westlichen Wirtschaftssanktionen ausgesetzt – und die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat kürzlich weitere Strafmaßnahmen angekündigt – doch hat der Kreml seine Politik der Besetzung des Donezbeckens in der Ostukraine trotzdem fortgesetzt. In ähnlicher Weise hatten im Kalten Krieg die Boykotte der Olympischen Spiele in Moskau 1980 und in Los Angeles 1984 kaum eine Wirkung auf eine der beiden Seiten.

    Im Gegenteil: Militärische Aggression provoziert häufig eine politische Gegenreaktion im Zielland und stärkt die Unterstützung für die Regierung. Wirtschaftssanktionen können ähnliche Auswirkungen haben und die öffentliche Unterstützung für eine kompromisslose politische Linie verfestigen.

    Dieser Effekt lässt sich derzeit problemlos in China beobachten. Viele Chinesen glauben, dass der Westen versucht, neuerlich seine politische Vorherrschaft geltend zu machen, und fühlen sich schmerzhaft an den Kolonialismus und den Zweiten Weltkrieg erinnert. Damals kamen in China 20 Millionen Menschen ums Leben – mehr als in jedem anderen Land mit Ausnahme der Sowjetunion. Die von der westlichen Politik gegenüber China ausgelösten starken Emotionen überschatten die Tatsache, dass Chinas Handlungen Länder wie Indien, Vietnam und Indonesien, die ebenfalls unter einer brutalen Kolonialpolitik gelitten haben, mit Sorge erfüllen.

    Zugleich lenken diese emotionalen Reaktionen die Aufmerksamkeit von wichtigen innenpolitischen Fragen ab, nicht zuletzt der Notwendigkeit, die Einkommen zu steigern. Chinas Arme, von denen den meisten Grenzstreitigkeiten oder internationale Sportereignisse ziemlich egal sein dürften, werden die Hauptleittragenden eventueller Kollateralschäden sein.

    Für einen effektiven Dialog mit China sollten sich andere Länder an Folgendes erinnern: Im Gegensatz zum ersten Eindruck ist das Land kein wirtschaftlicher Monolith. Hinter dem weltweit zweithöchsten BIP verbergen sich hunderte von Millionen Menschen, die einfach nur der Armut entkommen möchten.

    Nancy Qian ist Professorin für Betriebswirtschaft und Entscheidungswissenschaften an der Kellogg School of Management der Northwestern University und Direktorin des China Lab der Universität. Aus dem Englischen von Jan Doolan.

    Copyright: Project Syndicate

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    Shou Zi Chew is the new CEO at social media platform Tiktok. Chew comes directly from the Chinese parent company Bytedance. There, he took up the post of CFO only last month and will continue to hold it. Before that, he was CFO and president of the International Business division of Chinese electronics manufacturer Xiaomi for several years.

    Vanessa Pappas, who had led the business at Tiktok as interim CEO since August 2020, is moving to a COO position within the Group.

    Eight months ago, Kevin Mayer had resigned his chief executive post at Tiktok. Mayer, a former Disney executive, had been on the job at Tiktok for less than three months before he resigned due to political pressure. The US government under Donald Trump had pushed for the sale of Tiktok’s US division, seeing Bytedance as a threat to national security.

    Dr. Hannes Jedeck has been Executive Director of the Confucius Institute at the Rheinische Friedrich-Wilhelms University in Bonn since the beginning of May. Jedeck is the founder of IBAC (Initiative for the Nationwide Development of China Competence). He was program coordinator at the Confucius Institute at Heidelberg University until the end of April.

    • ByteDance
    • Konfuzius-Institute
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    Dessert

    Produce Pandas heißt die erste Plus-Size-Boygroup aus China. Ihre fünf Mitglieder bringen neuen Wind in die Branche, indem sie sich optisch vom Schönheitsideal der bisherigen Boybands absetzen. Statt wie “kleines Frischfleisch” – so werden die gertenschlanken, hellhäutigen jungen Männer in der Film- und Musikbranche gern bezeichnet – auszusehen und strikte Diäten einzuhalten, geht Produce Pandas einen anderen Weg. Ihr neuer Song heißt: “Gute Plauze”.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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