Table.Briefing: China

Geely + Termine + EU-China + China-Indien + WHO + BBC + Johnny Erling

  • Chinas größter Autobauer Geely greift Tesla an
  • Termine der kommenden Woche
  • EU-China-Beziehungen: Zwischentief oder Zäsur?
  • China und Indien: Zwei Giganten mit fragiler Beziehung
  • Mehrere EU-Staaten kritisieren WHO-Bericht
  • WHO: Impfstoffe aus China mit guter Wirksamkeit
  • Auslandskorrespondenten kritisieren Peking
  • Staatsrat erlaubt Fusion von Sinochem und ChemChina
  • Johnny Erling: 1,4 Milliarden Namen – Big Brother kennt sie alle
Liebe Leserin, lieber Leser,

natürlich beschäftigen auch wir uns seit mehr als einer Woche intensiv mit den Folgen der gegenseitigen Sanktionierung der EU und Chinas. Da geht es der Redaktion von China.Table nicht anders als Ihnen. Zu heftig war der Schlagabtausch beider Seiten, als dass man keine Standortbestimmung innerhalb der EU-China-Beziehungen vornehmen will. Tiefpunkt oder gar Zäsur? Auf der Suche nach Antworten hat Felix Lee die aktuellen chinesischen Publikationen studiert und eingehend mit dem China-Kenner Markus Taube gesprochen.

Vom Kühlschrankhersteller bis hin zum Großaktionär von Daimler: Li Shufu hat eine zweifellos beeindruckende unternehmerische Karriere hingelegt. Heute ist er 59 Jahre alt – und will es offenbar noch einmal wissen. Mit seinem Unternehmen Geely und der Marke Zeekr greift er in den Premiummarkt der E-Autos ein, entwickelt neue Mobilitätsmodelle und technologische Plattformen. Jörn Petring, Gregor Koppenburg und Frank Sieren haben sich auf Lis Spuren begeben und loten seine Pläne aus.

Und selbstverständlich möchten wir sie auch am Ende dieser vorösterlichen Arbeitswoche nicht ohne eine Kolumne von Johnny Erling lassen, der uns in die Welt der chinesischen Namensfindung mitnimmt.

Wir hoffen, dass Sie entspannte und vor allem gesunde Ostertage verbringen können und freuen uns schon, Sie am Dienstagmorgen wieder am China.Table begrüßen zu dürfen.

Ihre
Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Presseschau

Blinken reaffirms Trump-era ruling on Hong Kong autonomy THE INDEPENDENT
China’s Consumers Boost Its Economic Recovery WSJ
BBC journalist leaves China after Beijing criticises Uighurs coverage THE GUARDIAN
China pushes to expand virus origin search beyond its border THE INDEPENDENT
China wants to make its Christians more Chinese THE ECONOMIST
NASA is the Latest to Offend China by Calling Taiwan a country BLOOMBERG
Taiwan to buy new US missiles to guard against China SCMP
China says it will stand with Middle East against foreign interference SCMP
China setzt auf Geheimverträge bei Krediten DW
China weist WHO-Vorwurf zur Corona-Studie zurück HANDELSBLATT
Die WHO kritisiert China – aber nur ganz, ganz zögerlich NZZ

Analyse

Chinas größter Autobauer Geely greift Tesla an

In China gibt es E-Auto-Startups wie Sand am Meer. Nicht jedes Unternehmen, das ankündigt, mit einer neuen E-Marke an den Start gehen zu wollen, ist deshalb eine genauere Betrachtung wert. Einige schaffen den Durchbruch zur Marktreife, andere bleiben auf halber Strecke liegen. Doch ein Name, den man in Zukunft mit Sicherheit häufiger lesen wird, ist “Zeekr”.  

Mit dieser neuen Marke geht Geely Automobile in Sachen Elektromobilität in den Angriff über. Der größte chinesische Autobauer will gegen die Platzhirsche BYD, Li Auto, Nio, Xpeng und Tesla antreten. “Zeekr Company Limited” heißt das neu gegründete Joint Venture, das zu 51 Prozent der Geely Automobile Holdings und zu 49 Prozent dem Mutterkonzern Zhejiang Geely Holding Group (ZGH) gehört. Beide Unternehmen stecken jeweils rund 260 Millionen Euro in das Projekt. 

Wie Geely mitteilte, sollen die ersten Zeekr-Fahrzeuge voraussichtlich im dritten Quartal 2021 ausgeliefert werden. In den kommenden fünf Jahren soll jedes Jahr ein neues Elektro-Modell der Marke auf den Markt kommen. Zunächst werde der Heimatmarkt ins Visier genommen, doch sollen auch “Exportmöglichkeiten untersucht werden, um die weltweite Marktnachfrage nach Premium-Elektrofahrzeugen zu befriedigen”. Der Zeekr soll in China in etwa soviel kosten wie Nios ET7 oder Teslas Model 3 – zwischen 300.000 Yuan (39.000 Euro) und 500.000 Yuan (65.000 Euro).

Es beginnt mit Kühlschränken

Konkurrenten im Premium-Segment, allen voran Tesla, aber auch die einschlägigen deutschen Hersteller, die gerade damit beginnen ihre elektrifizierten Modelle im größeren Stil zu produzieren, werden diese Ankündigung von Geely nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn sie wissen, was der Konzern und sein Gründer Li Shufu schon alles auf die Beine gestellt haben.  

Die eigentliche Karriere von Li begann Mitte der 80er-Jahre, als er mit Freunden eine Fabrik für Kühlschrankteile gründete. Später bauten die jungen Unternehmer Motorräder aus Taiwan nach. 1998 erhielt der “chinesische Henry Ford”, wie ihn einige in China nennen, die Lizenz zur Autoherstellung und sein Unternehmen, nun unter dem neuen Namen Geely, startete mit der Produktion von Fahrzeugen. Der Name des Autoherstellers Geely ist vom chinesischen Wort “jili” abgeleitet, was “Glück” oder “glückverheißend” bedeutet. Doch nur mit Glück ist Geely nicht zum größten chinesischen Autokonzerns in Privatbesitz geworden.

Mit Daimler zum Weltkonzern?

Nach dem rasanten Aufstieg in China arbeitet der 59-Jährige seit Jahren unter Hochdruck daran, einen Weltkonzern zu schmieden. Dabei helfen soll auch Daimler. Vor drei Jahren stieg Geely mit einer Beteiligung von knapp zehn Prozent zum größten Aktionär des Autobauers auf. Der Einstieg der Chinesen sorgte bei den Stuttgartern und auch in Deutschland für hitzige Debatten. Allerdings dürfte die Beteiligung an Daimler nicht mehr als ein Mosaikstein eines Plans sein, mit dem Li seinen Konzern in die Top-Liga der internationalen Autobauer katapultieren will. 

Ein anderes ambitioniertes Projekt ist die junge Geely-Marke Lynk & Co, die zum Ziel hat, junge Menschen Autos im Abo-Modell anzubieten. “Du bist eher der flexible Typ? Kein Problem. Die monatliche Mitgliedschaft gibt dir ein Auto, welches du jederzeit kündigen kannst – quasi ein Streamingdienst für Mobilität“, wirbt das Unternehmen auf seiner deutschen Website, auf der es eine Warteliste für seinen neuen Dienst anbietet.

Stehaufmännchen Li Shufu

Geely-Gründer Li Shufu möchte auch Zeekr als hippe Lifestyle-Marke etablieren. Die Produktplanung, das Marketing und den Verkauf der Zeekr-Fahrzeuge übernimmt das von Geely ebenfalls neu gegründete Unternehmen Lingling Technologies. Wie Tesla und NIO sollen die Zeekr-Fahrzeuge in prominent platzierten Showrooms zu einem festen Preis verkauft werden, statt sie traditionell über viele Händler zu streuen. 

Mittlerweile ist die Muttergesellschaft Zhejiang Geely Holding (ZGH) breit aufgestellt: Andere elektrifizierte Fahrzeugmarken, an der die Firma beteiligt ist, sind Lynk & Co (Joint Venture zwischen Geely und Volvo), Geometry, Volvo, Polestar, London Electric Vehicle Company (LEVC), Farizon Auto, Proton und Lotus. Bislang verkauft Geely jedoch noch immer vor allem Autos mit Verbrennungsmotor oder Hybride. Dabei hatte Li schon 2015 eine aggressive Elektrifizierungsstrategie ausgerufen. Er erklärte damals, dass bis zum Jahr 2020 mehr als 90 Prozent aller von Geely verkauften Autos elektrisch oder hybrid sein würden. Bis heute sind es jedoch nur etwa fünf Prozent. “Das muss uns gar nicht groß frustrieren. Wir versuchen es einfach noch einmal”, erklärt Li.

Und doch merkt man, dass es Li nun ums Ganze geht: Bei “Zeekr Company Ltd.” wird er persönlich den Job des Vorstandsvorsitzenden übernehmen. CEO wird An Conghui, der auch die Geely Automobile Group leitet. Dem schwedischen Konzern verschrieb Li zuletzt eine strenge Elektrifizierungsstrategie. Bis 2030 sollen bei Volvo nur noch E-Autos produziert werden. Damit setzt Volvo seine Elektrifizierungsstrategie noch schneller um als zunächst geplant.

Dennoch hat Geely im vergangenen Jahr einen Gewinneinbruch erleiden müssen. Das Unternehmen verzeichnete mit rund 709 Millionen Euro ein Drittel weniger Gewinn als im Jahr zuvor. Der Absatz fiel um drei Prozent auf 1,3 Millionen Fahrzeuge. Die Aktie fiel an der Hongkonger Börse um gut sieben Prozent. Analysten hatten mit einem weniger starken Gewinnrückgang gerechnet.

Für den geringeren Absatz wird vor allem der Corona-Stillstand verantwortlich gemacht. Insgesamt sind die Autoverkäufe in China im vergangenen Jahr um sechs Prozent gesunken. Geely hat jedoch auch Probleme mit seinem geplanten Listing an der Shanghaier Technologiebörse Star Board. Chinas Aktienmarktbehörden zweifeln, ob das Unternehmen für eine solche Notierung über genügend Hightech verfüge.

Geely investiert in E-Plattform und Batterie-Fabriken

Dabei setzt Geely nun auf eigene Technologie: Die neu geplanten Fahrzeuge sollen auf Basis von Geelys im September 2020 gelaunchter Elektro-Plattform SEA (Sustainable Experience Architecture) gebaut werden. Dabei werden eigene Batterie- und Elektromotor-Technologien entwickelt. Mit ihr will sich der Konzern als führender EV-Auftragsfertiger und Engineering-Dienstleister etablieren. Alle Marken von Geely basieren zukünftig auf die dieser Plattform. Das spart Produktionskosten im großen Stil. 

Im Dezember gründete Geely Automobile Holdings bereits ein Joint Venture mit dem Batterie-Giganten CATL. Geely plant zudem für umgerechnet rund 3,87 Milliarden Euro eine Batteriefabrik in der Stadt Ganzhou in der Provinz Jiangxi zu bauen. Das Werk soll zunächst eine Jahreskapazität von 12 GWh erreichen, wobei ein Ausbau auf 42 GWh geplant ist. 

Neben Lynk & Co zeigt Li Shufu nun auch mit Zeekr, dass er sich als Erneuerer seiner Branche versteht. Der Henry Ford Chinas ist auf dem Weg ein Elon Musk zu werden. Gregor Koppenburg, Jörn Petring, Frank Sieren

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Termine

06.04.2021, 9:30-10:15 AM (EST)
Vortrag, CSIS: Towards a Better China Strategy Mehr

07.04.2021, 16:00 Uhr
Vortrag, Universität Wien: Is Madame Mao Dead? Anmeldung

07.04.2021,12:30-1:45 PM (EST)
Confronting China Lectures, Harvard Fairbank Center: China´s economy faces domestic and external challenges Mehr

07.04.2021, 1:15-3:00 PM (EST)
Vortrag, Harvard Museum: Non-Chinese “CHINESE” Art in the Harvard Art Museums Mehr

08.04.2021, 9:30-10:30 Uhr
Webinar, GIGA Hamburg: Franco-German Observatory of the Indo-Pacific Mehr

EU-China-Beziehungen: Am Tiefpunkt

Ganz so feindselig wie noch in der vergangenen Woche klingt Peking nicht mehr. Die gegenseitigen Sanktionen seien “eher symbolisch” zu verstehen, die Maßnahmen beider Seiten “zielten nicht auf die Wirtschafts- und Handelskooperationen ab”, schreibt Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Es bleibe zu hoffen, “dass keine Fraktion diese subtile Grenze inmitten des erbitterten ideologischen Wettbewerbs überschreitet, sodass der Konflikt nicht im Wirtschaftsbereich eskaliert”

Und auch die Global Times, das für seine nationalistischen Töne bekannte Parteiorgan der Kommunistischen Führung, schlägt versöhnlichere Töne an. “China will nicht, dass die Welt immer gespaltener wird”, heißt es im Leitartikel. Eine Verschärfung des Konflikts sei nicht im Interesse des Landes. “Die chinesische Führung plädiert stetig dafür, dass alle Länder trotz ihrer Differenzen respektvoll miteinander umgehen.”

Nach der turbulenten Vorwoche scheint die Führung in Peking zumindest ein Stück weit auf Entspannung zu setzen. Wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang hatte die Europäische Union erstmals seit über drei Jahrzehnten Sanktionen gegen vier chinesische Parteikader verhängt. Daraufhin sanktionierte die Staatsführung in Peking ihrerseits zehn europäische Politiker und Akademiker, dazu zusätzlich vier Institutionen, darunter Merics, den in Berlin ansässigen China-Think-Tank. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch ihre Familienmitglieder dürfen künftig weder nach China, noch nach Hongkong einreisen. Pekings Antwort fiel ausgesprochen unverhältnismäßig aus. Die EU sanktionierte vier Personen, China mindestens zwei Dutzend.

Zahlreiche EU-Länder bestellten in ihren Hauptstädten die Botschafter der Volksrepublik ein. Ende der vergangenen Woche gab es in den chinesischen sozialen Medien offensichtlich staatlich orchestrierte Kampagnen gegen westliche Marken, weil diese sich in der Vergangenheit auf die eine oder andere Weise kritisch zur Baumwollproduktion in Xinjiang geäußert hatten. Menschenrechtsorganisationen werfen den Behörden vor, Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren als Zwangsarbeiter eingesetzt zu haben. 

“Das ist jetzt ein Tiefpunkt”

Von einem Bruch in den chinesisch-europäischen Beziehungen war daraufhin die Rede. Von gefährlicher Eskalation sprachen europäische Politiker. Von “unheilvoller Eskalation” schreibt auch der China-Kenner und Zeit-Autor Matthias Nass. Die chinesische Botschaft in Berlin wiederum sprach von “böswilligen Lügen”, die die EU über China verbreitet hätten. War die vergangene Woche eine Zäsur? 

“Nein”, sagt der bekannte China-Ökonom Markus Taube. “Zäsur würde bedeuten, dass der Streit anhaltend ist und weiter eskaliert.” Taube leitet das Institut für Ostasienwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen und beobachtet die Ereignisse rund um die gegenseitigen Sanktionen sehr genau. “Das ist jetzt ein Tiefpunkt, heißt aber nicht, dass man da nicht in absehbarer Zeit wieder raus kommt.” Eine weitere Verschärfung der Anfeindungen erwartet er also nicht.

Und auch die Boykott-Kampagnen in den chinesischen sozialen Medien gegen westliche Marken hält er nicht für einen grundsätzlichen Wandel in Chinas Umgang mit ausländischen Unternehmen. Es gebe sie schließlich nicht zum ersten Mal. Daimler war erst vor zwei Jahren auf ähnliche Weise unter Beschuss geraten. In einem Werbespot hatte der Stuttgarter Konzern ein Zitat des Dalai Lama verwendet. Daimler musste sich öffentlich entschuldigen. “Das ist ein Muster, das wir von China kennen”, sagt Taube. 

In der Tat gibt es derzeit wenig Anzeichen, dass insbesondere die deutsche Wirtschaft unter den aktuellen politischen Konflikten leidet. Im Gegenteil: Sowohl der Handel als auch die Nachfrage nach deutschen Waren boomt im Reich der Mitte. Deutsche Exporteure konnten allein im Januar und Februar 31,1 Prozent mehr Güter nach China liefern als im Vorjahreszeitraum. Die chinesischen Importe aus Europa legten gar um 32,5 Prozent zu. Es dürfte wohl der hohen Nachfrage aus China zu verdanken sein, dass Deutschlands Wirtschaft trotz anhaltendem Lockdown im ersten Quartal nicht ins Minus rutscht. Die Volksrepublik war im vergangenen Corona-Jahr die einzige große Volkswirtschaft, die ein Wachstum verzeichnete. Erstmals überholte China die USA als wichtigster Handelspartner der EU.

Peking will weg vom Westen

Taube hält die ruppigen Sanktionen, die China gegen die EU verhängt hat, dennoch für einen Faktor, der die Wirtschaftsbeziehungen beeinflussen wird. Die europäische und die deutsche Wirtschaft könnten von ihren chinesischen Geschäftspartnern abrücken – zumal Peking signalisiert, dass die eigene Volkswirtschaft den Westen schon bald nicht mehr braucht. Schließlich hat der Nationale Volkskongress im Rahmen ihres neuen Fünfjahresplans das Konzept des sogenannten “Dual Circulation” vorgestellt. 

Ziel der Führung: Sich in Schlüsselbranchen unabhängig von Importen aus dem Ausland zu machen. Vor allem bei Halbleitern ist Chinas Hightech-Sektor nach wie vor abhängig vom Einfuhren – allen voran von US-Technologie. Diese Abhängigkeit ist angesichts des auch unter US-Präsident Joe Biden anhaltenden Wirtschaftskriegs ein Risiko, das ganze Unternehmen in ihrer Existenz gefährden könnte. “Huawei rennt vor die Wand, wenn sie in China im Laufe des Jahres nicht neue Chips kriegen”, sagt Ökonom Taube. 

Zwar hat Chinas Führung bereits Milliarden in den Aufbau einer eigenen Chip-Industrie gesteckt. Doch laut Taube braucht die Volksrepublik mindestens drei Jahre, bis das Land aufgeholt hat, eher fünf bis zehn. “Das mag zunächst einmal nicht nach viel klingen”, sagt Taube. “Aber in diesen paar Jahren kann für Unternehmen wie Huawei viel kaputt gehen.” 

Für deutsche Unternehmen hätten sich eigentlich Chancen ergeben. Sie hätten die Lücke füllen können, die US-Unternehmen wegen des Wirtschaftskriegs in China hinterlassen. Ohne die US-Konkurrenz wäre Deutschland der letzte große Ansprechpartner für China für verlässliche gute Technologien gewesen, vermutet Taube. 

Doch nach der jüngsten asymmetrischen Eskalation haben die Chinesen die Europäer geradezu in die Arme der Amerikaner getrieben. Selbst wenn China die Sanktionen lockert, wird das Misstrauen bleiben – auch bei deutschen Unternehmen, ist Taube überzeugt. “In den Strategie-Abteilungen und in den Vorstandsetagen wird man sich schon genau überlegen, wie man das Risiko mit China künftig zu bewerten hat.” Eine grundlegende Zäsur sei das nicht, aber ein wachsendes Misstrauen.

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China und Indien: Zwei Giganten mit fragiler Beziehung

Indien engagiert sich eigentlich nicht in Allianzen. Die Beschlüsse auf dem kürzlichen Video-Gipfel der vier Staaten des Quadrilateral Security Dialogue – kurz Quad – waren daher für Neu-Delhi schon ein spezieller Schritt. Mitte März einigten sich Indien, die USA, Japan und Australien darauf, gemeinsam mehr als eine Milliarde Dosen Covid-19-Impfstoff herzustellen und an Länder im indopazifischen Raum zu verteilen – mit besonderem Schwerpunkt auf die ASEAN-Staaten. Dorthin liefert bislang vor allem China Impfdosen. Außerdem beschloss Quad, Lieferketten für Seltene Erden aufzubauen, um Chinas Beinahe-Monopol zu brechen. Hinzu kommt eine wachsende Marine-Kooperation auf dem Meer – um, so das Abschluss-Dokument des Video-Gipfels “die Rolle des Völkerrechts im maritimen Bereich” zu priorisieren. Auch dabei geht es, klar, um China.

Quad ist bisher alles andere als ein formales Bündnis – auch wenn Chinas Außenminister Wang Yi es einmal als “Nato des Indo-Pazifik” bezeichnete. Und Indien beeilte sich nach dem Gipfel zu betonen, dass es keineswegs seine strategische Unabhängigkeit aufgegeben habe. China ist dennoch misstrauisch. Am Rande des Nationalen Volkskongresses im März hatte Wang Yi Indien zur Kooperation aufgerufen: “China und Indien sollten Freunde und Partner sein, anstatt Bedrohung und Konkurrenten. Wir sollten uns gegenseitig beim Aufbau helfen.”

Gute Worte tun not, denn China und Indien haben gerade einen Tiefpunkt ihrer wechselvollen Beziehungen hinter sich: Monate voller Scharmützel an der Grenze, denen im Juni im Galwan-Tal mindestens 20 indische und vier chinesische Soldaten zum Opfer fielen. Erst im Februar 2021 begann ein Tauwetter. Indien und China einigten sich auf eine Deeskalation an der Himalaya-Grenze. In einem Telefongespräch Ende Februar mit seinem indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar betonte Wang Yi laut dem chinesischen Readout, dass beide Staaten die Grenzfrage angemessen behandeln müssten “um ein Abgleiten der bilateralen Beziehungen in einen Teufelskreis zu verhindern.” Zur gleichen Zeit kehrte Indien zu einem alten Waffenstillstandsabkommen mit Pakistan zurück und willigte ein, an einer Anti-Terror-Übung mit der Shanghai Cooperation Organization (SCO) teilzunehmen, zu der sowohl China als auch Pakistan gehören. Die SCO ist eher ein Gegenpol zu Quad.

Doch noch ist unklar, ob China und Indien sich längerfristig in Richtung Kooperation oder Konkurrenz, oder gar Konflikt bewegen.

Nachbarn mit abgelegener Grenzlinie

China und Indien sind Nachbarn, aber auf eine geografisch merkwürdige Weise. Sie teilen eine rund 3.500 Kilometer lange, teils umstrittene und nicht markierte Kontrolllinie in unwegsamem Gelände mitten im Himalaya. Die meisten Chinesen und Inder leben Tausende Kilometer von dieser Grenze entfernt, die daher die Menschen nicht wirklich verbindet. Es gibt hier oben kaum Straßen oder andere Infrastruktur – und auch keinen kleinen Grenzhandel.

Überhaupt ist der Warenaustausch zwischen beiden mit einem Volumen von 87,6 Milliarden US-Dollar in 2020 ungewöhnlich bescheiden. Zum Vergleich: Der EU-China-Handel lag 2020 bei rund 600 Milliarden Euro, der Indien-EU-Handel bei gut 65 Milliarden Euro. China exportiert die typischen Dinge nach Indien: Plastik, Autoteile, pharmazeutische Chemikalien oder Elektronikartikel wie Smartphones. Diese Exporte machten 2020 gut drei Viertel des gesamten Handels aus – Indiens Handelsdefizit ist also groß. Das Land schickt vor allem Rohstoffe und Vorprodukte wie Eisenerz, Stahl, Baumwolle oder Fisch nach China.

1962 hatten beide Staaten einen kurzen Grenzkrieg ausgefochten. Danach herrschte Funkstille – bis 1998 der damalige Premierminister Rajiv Gandhi nach Peking reiste. Beide Länder einigten sich damals, dass die Beziehungen nicht länger von einer vorherigen Regelung der Grenzfrage abhängig gemacht werden sollten. Trotzdem gab es nie einen richtigen Durchbruch. Misstrauen und Missverständnisse auf beiden Seiten blieben groß.

Unsensibles Verhalten gegenüber Indien

China fürchtete nach den Worten des früheren Außenministers Vijay Gokhale stets eine Anbindung Indiens an den Westen. Delhi wiederum empfand Chinas Verhalten oft als unsensibel. China habe Indien “nie als wichtiges, eigenständiges Land wahrgenommen, das unabhängige Reaktionen auf geopolitische Zusammenhänge zeigen kann”, sagte Gokhale, Autor einer aktuellen Studie über die Zukunft der Beziehungen, kürzlich auf einem Webinar der Denkfabrik Carnegie India. “Sie betrachteten Indien immer als eine Art Ergänzung zu jemand anderem, als jemandes Lakai.” Gokhale nannte drei Beispiele. China habe den für Peking strategisch wichtigen Pakistan Economic Corridor 2015 öffentlich als Vorzeigeprojekt der Neuen Seidenstraße deklariert, ohne Indiens Ministerpräsidenten Narendra Modi bei einem direkt zuvor stattfindenden Staatsbesuch darüber zu informieren. 2016 blockierte Peking die Aufnahme Indiens in die globale “Nuclear Suppliers Group” – damals war Gokhale Botschafter in Peking. 2016, 2017 und 2019 blockierte China im UN-Sicherheitsrat die Aufnahme des Anführers der militanten pakistanischen Gruppierung Jaish-e-Mohammed, Masood Azhar, auf eine Terrorliste. Die Gruppe hatte zuletzt 2019 einen Konvoi im indisch kontrollierten Teil Kashmirs angegriffen. “Für China mögen dies kleinere Dinge gewesen sein; für Indien aber waren das wichtige Fragen”, so Gokhale. Umgekehrt ist für China jede Annäherung Indiens an die USA – vor allem im Indo-Pazifik – ein Dorn im Auge.

Wie geht es nun weiter? “Die Ereignisse von 2020 waren ein Wendepunkt. Ein Zurücksetzen der Beziehungen ist nicht mehr möglich. Sie müssen neu aufgebaut werden”, sagte Gokhale. Die öffentliche Meinung in Indien sei gekippt. Vor 2020 herrschten eine wohlwollende Ansicht über China vor sowie Bewunderung für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Befreiung so vieler Menschen aus der Armut. “Dies wird nun überschattet von einem Gefühl, dass China ein Gegner sei, dass es uns feindlich gesonnen ist und nicht will, dass Indien Fortschritte macht.” Die Worte ähneln auffällig Vorwürfen Chinas an den Westen.

Noch sieht es 2021 nicht nach einer umfassenden Trendwende aus. Zumal Indien voraussichtlich im Laufe des Jahres heimischen Telekomfirmen verbieten wird, Technologie der chinesischen Ausrüster Huawei und ZTE zu verwenden. Trotz der angespannten Beziehungen aber arbeiten Indien und China auf einer Reihe von Plattformen zusammen, unter anderem auf dem Dialogforum Russland-Indien-China. Indien ist auch Teil der BRICS-Gruppe mit Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – und wird in diesem Jahr einen BRICS-Gipfel veranstalten. Indien bleibt also vorerst ungebunden, die Lage offen. Eine enge, institutionelle Zusammenarbeit Indiens mit Quad gegen China aber wäre eine Zäsur. Delhi wird sich das gut überlegen.

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News

Kritik am Corona-Bericht der WHO

Nach der Veröffentlichung des WHO-Berichts zum Ursprung des Coronavirus haben mehrere EU-Staaten Kritik an dem Papier geäußert und China indirekt mangelnde Transparenz vorgeworfen. Litauen, Dänemark, Tschechien, Lettland, Estland und Slowenien schlossen sich einer gemeinsamen Erklärung der USA, Kanada und weiterer Staaten an, in der eine “erhebliche” Verzögerung des WHO-Berichts und fehlender Zugang zu Originaldaten und Proben kritisiert wird. Die insgesamt 14 Staaten sprechen sich für eine “transparente und unabhängige Analyse und Bewertung der Ursachen der Covid-19-Pandemie, die frei von unangemessenen Eingriffen und Einflüssen ist” aus, ohne Peking direkt zu nennen.

Das Forscherteam der WHO, das Anfang des Jahres nach Wuhan gereist war, hatte am Dienstag seinen lang erwarteten Bericht zum Ursprung des Virus vorgestellt. Für Aufsehen sorgte dabei, dass WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus China vorwarf, der Expertenmission zu den Ursprüngen der Corona-Pandemie nicht genügend Daten zur Verfügung gestellt zu haben. Künftig erwarte er “gemeinschaftliche Studien, um rechtzeitiger und umfassender Daten zu teilen”. Er brachte auch erneut die Theorie ins Spiel, der Ursprung des Coronavirus könnte in einem Laborunfall liegen – der Bericht der Expert:innen schließt diesen Strang aber als “extrem unwahrscheinlich” aus.

Der chinesische Co-Leiter des Forscherteams, Liang Wannian, widersprach den Vorwürfen. Die Wissenschaftler:innen hätten während der gesamten Untersuchung Zugang zu denselben Daten gehabt, sagte Liang laut einem Bericht von Reuters. Die Behauptungen über mangelnden Zugang sei nicht zutreffend, so Liang. “Natürlich können nach chinesischem Recht einige Daten nicht mitgenommen oder fotografiert werden, aber als wir sie gemeinsam in Wuhan analysiert haben, konnte jeder die Datenbank und die Materialien sehen, alles wurde zusammen gemacht”, zitiert der Bericht Liang.

Mehrere Abgeordnete des Europaparlaments wie der Franzose Raphaël Glucksmann forderten erhöhten internationalen Druck auf Peking. Die Wissenschaftler:innen der WHO hatten bei der Vorstellung des Berichts betont, es habe keinen Einfluss vonseiten Chinas gegeben. ari

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WHO: Impfstoffe aus China mit guter Wirksamkeit

Die chinesischen Impfstoffhersteller Sinovac und Sinopharm erfüllen mit ihren Covid-19-Impfstoffen die Anforderungen der WHO. Dies geht aus Informationen hervor, die die Unternehmen der WHO vergangene Woche vorgelegt hatten.

Das bedeute eine Wirksamkeit von ungefähr 50 Prozent und vorzugsweise nahe oder über 70 Prozent, hieß es von Seiten der WHO weiter. Bisher zeigen Studien aus Brasilien, der Türkei und Indonesien, dass die Wirksamkeitsdaten für Sinovac zwischen 50,65 und 83,5 Prozent schwanken. Vom Sinopharm-Impfstoff ist eine Wirksamkeit von 79,83 Prozent bekannt. Die Strategic Advisory Group of Experts (SAGE) der WHO hofft, bis Ende April Empfehlungen zu diesen Impfstoffen abgeben zu können, sagte ihr Vorsitzender Alejandro Cravioto am Mittwoch in Genf. niw

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Auslandskorrespondenten kritisieren Peking

Der Club der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) hat sich angesichts der Ausreise des BBC-Korrespondenten John Sudworth besorgt über sich verschärfende Drohungen gegen ausländische Journalist:innegeäußert. Der chinesische Staat und staatlich kontrollierte Einheiten würden immer häufiger “falsche Behauptungen aufstellen, ausländische Korrespondenten und ihre Organisationen seien von anti-chinesischen politischen Kräften motiviert”, teilte FCCC auf Twitter mit. Die chinesischen Behörden zeigten demnach auch eine größere Bereitschaft, Medienschaffende mit rechtlichen Maßnahmen zu bedrohen. Es gebe Sorge, dass ausländische Journalist:innen in diplomatische Auseinandersetzungen gerieten, die außerhalb ihrer Kontrolle lägen.

Sudworth hatte dem FCCC zufolge das chinesische Festland bereits vergangene Woche verlassen, um seine Sicherheit und die seiner Familie zu gewährleisten. Der Journalist, der seit neun Jahren für die BBC aus China berichtete, sei nun in Taiwan, teilte sein Arbeitgeber mit. Sudworths Frau Yvonne Murray, die als China-Korrespondentin für Irlands öffentlich-rechtlichen Sender RTE arbeitet, sei ebenfalls ausgereist. Der Ausreise seien “monatelange persönliche Angriffe” gegen Sudworth und seine BBC-Kollegen vorausgegangen, die “sowohl von chinesischen Staatsmedien als auch von chinesischen Regierungsbeamten verbreitet wurden”, erklärten BBC und FCCC.

Zwischen London und Peking hat sich in den vergangenen Monaten ein Streit über die BBC und den chinesischen Staatssender CGTN entwickelt. Großbritannien hatte CGTN die Sendeerlaubnis wegen parteiischer Berichterstattung entzogen, China stellte daraufhin die Verbreitung von BBC in Festlandchina und Hongkong ein. Peking wirft der BBC vor, Falschnachrichten über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu verbreiten und fährt massive Kampagnen gegen Journalist:innen. Sudworth wurde laut FCCC von staatlichen Medien in Online-Videos gezeigt, in denen Aufnahmen von Polizeikameras genutzt wurden. ari

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Staatsrat erlaubt Fusion von Sinochem und ChemChina

Chinas Staatsrat hat einer Fusion der Sinochem Group und der China National Chemical Corp (ChemChina) zugestimmt. Die staatliche Kommission für die Überwachung und Verwaltung von Vermögenswerten (Sasac) bestätigte den Schritt gestern in einem kurzen Statement. Sinochem und ChemChina würden eine “gemeinsame Reorganisation” durchführen, hieß es in der Mitteilung von Sasac.

Durch die Zusammenlegung der beiden Staatskonzerne würde das weltweit größte Chemieunternehmen entstehen. Medienberichten zufolge wurde die Fusion bereits seit mehreren Jahren diskutiert. Der Vorsitzende beider Unternehmen, Ning Gaoning, hatte im November 2019 erklärt, dass eine Zusammenlegung geprüft und an den damit verbundenen Finanz- und Rechtsfragen gearbeitet werde, wie Bloomberg berichtete. Der Deal schafft demnach einen Konzern mit einem Vermögen von mehr als 100 Milliarden US-Dollar.

Das Wall Street Journal hatte im Dezember berichtet, dass die beiden Staatskonzerne nach einer Fusionsmöglichkeit suchten, um eine US-Kontrolle im Zusammenhang mit dem Besitz des Schweizer Saatgutunternehmens Syngenta AG zu vermeiden. ChemChina hatte das Schweizer Unternehmen demnach 2016 für 43 Milliarden US-Dollar gekauft. Sowohl ChemChina als auch Sinochem sind dem Bericht zufolge zudem auf eine schwarze Liste des Pentagons gesetzt worden, da sie angeblich Verbindungen zum chinesischen Militär hatten (alles zum Militär vom China.Table). ari

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Standpunkt

1,4 Milliarden Namen – Big Brother kennt sie alle

Von Johnny Erling
Ein Bild von Johnny Erling aus dem Jahre 2017

Der Familienrat trat Wochen vor der Geburt der Tochter zusammen. Eltern und Großeltern suchten einen passenden Vornamen. Er sollte sinnvoll sein, gut klingen, sich leicht schreiben und aussprechen lassen. Der angehende Großvater schlug im Buch der Orakel (Yiqing) und bei Konfuzius nach; der Vater surfte online. Ihre Wahl fiel auf das Doppel-Zeichen “YouYou” (有有). Es bedeutet “etwas haben, oder etwas ist vorhanden”. Das Zeichen steckt als Glücksymbol im Yiqing und im Sinnspruch der Philosophie: Wu Zhong Sheng You – Aus Nichts entsteht das You. Die Mutter mochte den melodischen Klang, wenn bei der Aussprache von You der dritte Ton durch Verdopplung swingt.     

Das war 2006. Die Beijinger Familie schilderte mir, wie sie auf traditionellem Weg den Rufnamen fanden, der nach chinesischer Sitte hinter dem Familiennamen des Vaters steht. Die Polizeibehörde registrierte die Tochter nach Vorlage ihres Geburtsscheins, dem Nachweis, Einzelkind zu sein und der Meldebestätigung (Hukou) ihres Wohnsitzes mit einer 18stelligen Nummer.   

Die neue Freiheit der Namensgebung

Heute geht es einfacher zu. Zahlreiche preiswerte Apps erleichtern die Suche nach dem passenden Namen. Vor allem haben Eltern erstmals einen Rechtsanspruch, den Nach- und Vornamen (姓名权) ihres Kindes selbst zu bestimmen. Seit 1. Januar ist das erste Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China (民法典) in Kraft. Es regelt in mehreren Artikeln, dass Namen natürlicher Personen frei “entschieden, genutzt und verändert” werden dürfen, solange diese nicht gegen den allgemeinen guten Geschmack verstoßen. Oder, wenn andere gerechtfertigte Gründe dagegen vorliegen. Etwa wie Mitte 2017. Da ließen Parteibehörden im Zuge ihrer Unterdrückung der Uiguren islamistische Reizworte als Teil des Namens verbieten. Sie vermuteten Aufstachelung zum “Heiligen Krieg” oder Separatismus. 

Immerhin verbrieft das neue Gesetz ein Mehr an Gleichberechtigung. Wegen des “Wandels in den sozialen Normen und dem Ende der “Ein Kind-Familie” 2016 dürfen Neugeborene den Nachnamen ihrer Mutter übernehmen. Das machte sich bei der im Jahr 2020 geborenen Generation (10,035 Millionen Kinder) schon bemerkbar. Dennoch: Auf jeweils 12 Kinder, die den Nachnamen des Vaters übernahmen, kam erst eines, das den Namen der Mutter trägt.   

Das alles geht aus dem “Nationalen Report über die Namen in China 2020” hervor, der auf der Webseite der Polizei veröffentlicht wurde. Darin brüstet sich das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, die Erfassung der Namen zum Baustein seiner seit 2018 verfolgten “Big-Data-Strategie” gemacht zu haben. Die Digitalisierung sei so fortgeschritten, dass “wir das weltweit größte Informations- und Verwaltungssystem über die Bevölkerung errichtet haben.” Chinas heute 1,4 Milliarden Menschen, die mit ihrem Hukou (Bleiberecht) registriert sind, könnten sie über “alle Lebensphasen und landesweiter Migration” nachverfolgen. Das Problem: Die enorme Fülle an Namen und Daten sind der Rohstoff zur Entwicklung ausgefeilter Überwachungstechniken. China ist heute bereits bei der Identifikation von Gesichtern mit Hilfe Künstlicher Intelligenz weltweit führend.  

Wang heißen 100 Millionen Menschen

Nach dem Polizeireport sollen Chinas Namen seit mehr als 5000 Jahren bestehen. Ein 2010 erschienenes Großwörterbuch für Nachnamen in China (中国姓氏大辞典) erfasst 23.813 Familiennamen. Davon seien heute 6150 noch im Umlauf. Die Namen, die die Mehrheit aller Chinesen (85 Prozent) tragen, fallen unter die “Liste der 100 Nachnamen” (baijiaxing). 2020 hörte sogar jeder Dritte (30.8 Prozent) unter den 1,4 Milliarden Menschen auf einen unter den ersten fünf Familiennamen aus der Liste: Wang, Li, Zhang, Liu oder Chen  (王,李, 张, 刘, 陈”). Wang – so heißen allein mehr als 100 Millionen Personen in China.  

Weil viele Eltern dann auch noch denselben Vornamen für ihre Kinder auswählen, wird alles doppelt-gemoppelt. Massen gleichnamiger Chinesen bevölkern die Volksrepublik. Kein Wunder, dass die Polizei ihre Landsleute mit einem Online-Service zum Namenscheck in allen 31 Provinzen und Stadtstaaten ermutigen will, damit sie seltenere, oder mehrsilbige Vornamen wählen. Für statistische Erhebungen (auch für die Polizeifahndung) ist der derzeitige Zustand ein Albtraum, solange Hunderttausende unter jeweils nur einem Namen registriert sind.

Weidong – geboren Ende der 50iger Jahre   

Eine Tabelle im Polizeireport analysiert, wie die Wahl der Vornamen vom Zeitgeist zwischen 1949 bis 2019 abhing und sich alle zehn Jahre änderte. Dabei zeigt sich, dass manche Eltern wohl den Rufnamen ihrer Kinder zum Ausweis für ihre öffentlich demonstrierte Begeisterung für das Regime machten.  Chinesen mit Vornamen wie “Jianguo” (Aufbau des Staates)  oder  “Xinhua” (Neues China) sind meist um 1950 geboren. Aus Abkürzungen für absurde politische Kampagnen generierten sich viele Vornamen. Wer etwa “Zhaoying” (Überholt England) hieß, wurde Ende der 50er Jahre geboren. “Weidong” (Verteidigt Mao Zedong) fiel in die Zeit der Kulturrevolution, ebenso wie gerne als Vornamen verwandte Symbolwörter  wie  “Rote Sonne”, “Roter Fels”  bis zur “Meereswelle”. Erst nach dem Tod Maos 1976 wurde nach und nach die Namensgebung weitgehend entpolitisiert. In Vornamen spiegelten sich Wünsche für die Zukunft ihrer Kinder, Kult aus Film, Musik und Sport, Liebe zur Landschaft und Kultur oder erneut der Rückgriff auf klassische Namen.  

Chinas Wort für Familienname “Xing” (姓) setzt sich aus den Schriftzeichen für Frau und Geburt zusammen. Es leitet sich vom Matriarchat in Chinas Urgesellschaft ab, schreibt der Polizeireport. Erst vor 2000 Jahren bildete sich nach der Reichseinigung und einheitlichen Verwaltungsreformen das heutige vom Vater geprägte Namenssystem heraus. Die Digitalisierung führt nun zu einer neuen Normierung, die 1,4 Milliarden Chinesen auch über die Erfassung ihrer Namen zu gläsernen Menschen macht. 

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Dessert

China hat am Mittwoch das Fast-Radioteleskop für Wissenschaftler anderer Länder geöffnet und wird Anträge für Beobachtungszeit annehmen. Das Teleskop hat vor einigen Jahren das Arecibo-Observatorium in Puerto Rico als größtes Radioteleskop der Welt abgelöst. Arecibo ist mittlerweile wegen Verschleiß kollabiert. Im Film GoldenEye turnte James Bond noch auf Arecibo herum. Ob der Geheimagent auch auf Fast willkommen ist, war nicht bekannt.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Chinas größter Autobauer Geely greift Tesla an
    • Termine der kommenden Woche
    • EU-China-Beziehungen: Zwischentief oder Zäsur?
    • China und Indien: Zwei Giganten mit fragiler Beziehung
    • Mehrere EU-Staaten kritisieren WHO-Bericht
    • WHO: Impfstoffe aus China mit guter Wirksamkeit
    • Auslandskorrespondenten kritisieren Peking
    • Staatsrat erlaubt Fusion von Sinochem und ChemChina
    • Johnny Erling: 1,4 Milliarden Namen – Big Brother kennt sie alle
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    natürlich beschäftigen auch wir uns seit mehr als einer Woche intensiv mit den Folgen der gegenseitigen Sanktionierung der EU und Chinas. Da geht es der Redaktion von China.Table nicht anders als Ihnen. Zu heftig war der Schlagabtausch beider Seiten, als dass man keine Standortbestimmung innerhalb der EU-China-Beziehungen vornehmen will. Tiefpunkt oder gar Zäsur? Auf der Suche nach Antworten hat Felix Lee die aktuellen chinesischen Publikationen studiert und eingehend mit dem China-Kenner Markus Taube gesprochen.

    Vom Kühlschrankhersteller bis hin zum Großaktionär von Daimler: Li Shufu hat eine zweifellos beeindruckende unternehmerische Karriere hingelegt. Heute ist er 59 Jahre alt – und will es offenbar noch einmal wissen. Mit seinem Unternehmen Geely und der Marke Zeekr greift er in den Premiummarkt der E-Autos ein, entwickelt neue Mobilitätsmodelle und technologische Plattformen. Jörn Petring, Gregor Koppenburg und Frank Sieren haben sich auf Lis Spuren begeben und loten seine Pläne aus.

    Und selbstverständlich möchten wir sie auch am Ende dieser vorösterlichen Arbeitswoche nicht ohne eine Kolumne von Johnny Erling lassen, der uns in die Welt der chinesischen Namensfindung mitnimmt.

    Wir hoffen, dass Sie entspannte und vor allem gesunde Ostertage verbringen können und freuen uns schon, Sie am Dienstagmorgen wieder am China.Table begrüßen zu dürfen.

    Ihre
    Antje Sirleschtov
    Bild von Antje  Sirleschtov

    Presseschau

    Blinken reaffirms Trump-era ruling on Hong Kong autonomy THE INDEPENDENT
    China’s Consumers Boost Its Economic Recovery WSJ
    BBC journalist leaves China after Beijing criticises Uighurs coverage THE GUARDIAN
    China pushes to expand virus origin search beyond its border THE INDEPENDENT
    China wants to make its Christians more Chinese THE ECONOMIST
    NASA is the Latest to Offend China by Calling Taiwan a country BLOOMBERG
    Taiwan to buy new US missiles to guard against China SCMP
    China says it will stand with Middle East against foreign interference SCMP
    China setzt auf Geheimverträge bei Krediten DW
    China weist WHO-Vorwurf zur Corona-Studie zurück HANDELSBLATT
    Die WHO kritisiert China – aber nur ganz, ganz zögerlich NZZ

    Analyse

    Chinas größter Autobauer Geely greift Tesla an

    In China gibt es E-Auto-Startups wie Sand am Meer. Nicht jedes Unternehmen, das ankündigt, mit einer neuen E-Marke an den Start gehen zu wollen, ist deshalb eine genauere Betrachtung wert. Einige schaffen den Durchbruch zur Marktreife, andere bleiben auf halber Strecke liegen. Doch ein Name, den man in Zukunft mit Sicherheit häufiger lesen wird, ist “Zeekr”.  

    Mit dieser neuen Marke geht Geely Automobile in Sachen Elektromobilität in den Angriff über. Der größte chinesische Autobauer will gegen die Platzhirsche BYD, Li Auto, Nio, Xpeng und Tesla antreten. “Zeekr Company Limited” heißt das neu gegründete Joint Venture, das zu 51 Prozent der Geely Automobile Holdings und zu 49 Prozent dem Mutterkonzern Zhejiang Geely Holding Group (ZGH) gehört. Beide Unternehmen stecken jeweils rund 260 Millionen Euro in das Projekt. 

    Wie Geely mitteilte, sollen die ersten Zeekr-Fahrzeuge voraussichtlich im dritten Quartal 2021 ausgeliefert werden. In den kommenden fünf Jahren soll jedes Jahr ein neues Elektro-Modell der Marke auf den Markt kommen. Zunächst werde der Heimatmarkt ins Visier genommen, doch sollen auch “Exportmöglichkeiten untersucht werden, um die weltweite Marktnachfrage nach Premium-Elektrofahrzeugen zu befriedigen”. Der Zeekr soll in China in etwa soviel kosten wie Nios ET7 oder Teslas Model 3 – zwischen 300.000 Yuan (39.000 Euro) und 500.000 Yuan (65.000 Euro).

    Es beginnt mit Kühlschränken

    Konkurrenten im Premium-Segment, allen voran Tesla, aber auch die einschlägigen deutschen Hersteller, die gerade damit beginnen ihre elektrifizierten Modelle im größeren Stil zu produzieren, werden diese Ankündigung von Geely nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn sie wissen, was der Konzern und sein Gründer Li Shufu schon alles auf die Beine gestellt haben.  

    Die eigentliche Karriere von Li begann Mitte der 80er-Jahre, als er mit Freunden eine Fabrik für Kühlschrankteile gründete. Später bauten die jungen Unternehmer Motorräder aus Taiwan nach. 1998 erhielt der “chinesische Henry Ford”, wie ihn einige in China nennen, die Lizenz zur Autoherstellung und sein Unternehmen, nun unter dem neuen Namen Geely, startete mit der Produktion von Fahrzeugen. Der Name des Autoherstellers Geely ist vom chinesischen Wort “jili” abgeleitet, was “Glück” oder “glückverheißend” bedeutet. Doch nur mit Glück ist Geely nicht zum größten chinesischen Autokonzerns in Privatbesitz geworden.

    Mit Daimler zum Weltkonzern?

    Nach dem rasanten Aufstieg in China arbeitet der 59-Jährige seit Jahren unter Hochdruck daran, einen Weltkonzern zu schmieden. Dabei helfen soll auch Daimler. Vor drei Jahren stieg Geely mit einer Beteiligung von knapp zehn Prozent zum größten Aktionär des Autobauers auf. Der Einstieg der Chinesen sorgte bei den Stuttgartern und auch in Deutschland für hitzige Debatten. Allerdings dürfte die Beteiligung an Daimler nicht mehr als ein Mosaikstein eines Plans sein, mit dem Li seinen Konzern in die Top-Liga der internationalen Autobauer katapultieren will. 

    Ein anderes ambitioniertes Projekt ist die junge Geely-Marke Lynk & Co, die zum Ziel hat, junge Menschen Autos im Abo-Modell anzubieten. “Du bist eher der flexible Typ? Kein Problem. Die monatliche Mitgliedschaft gibt dir ein Auto, welches du jederzeit kündigen kannst – quasi ein Streamingdienst für Mobilität“, wirbt das Unternehmen auf seiner deutschen Website, auf der es eine Warteliste für seinen neuen Dienst anbietet.

    Stehaufmännchen Li Shufu

    Geely-Gründer Li Shufu möchte auch Zeekr als hippe Lifestyle-Marke etablieren. Die Produktplanung, das Marketing und den Verkauf der Zeekr-Fahrzeuge übernimmt das von Geely ebenfalls neu gegründete Unternehmen Lingling Technologies. Wie Tesla und NIO sollen die Zeekr-Fahrzeuge in prominent platzierten Showrooms zu einem festen Preis verkauft werden, statt sie traditionell über viele Händler zu streuen. 

    Mittlerweile ist die Muttergesellschaft Zhejiang Geely Holding (ZGH) breit aufgestellt: Andere elektrifizierte Fahrzeugmarken, an der die Firma beteiligt ist, sind Lynk & Co (Joint Venture zwischen Geely und Volvo), Geometry, Volvo, Polestar, London Electric Vehicle Company (LEVC), Farizon Auto, Proton und Lotus. Bislang verkauft Geely jedoch noch immer vor allem Autos mit Verbrennungsmotor oder Hybride. Dabei hatte Li schon 2015 eine aggressive Elektrifizierungsstrategie ausgerufen. Er erklärte damals, dass bis zum Jahr 2020 mehr als 90 Prozent aller von Geely verkauften Autos elektrisch oder hybrid sein würden. Bis heute sind es jedoch nur etwa fünf Prozent. “Das muss uns gar nicht groß frustrieren. Wir versuchen es einfach noch einmal”, erklärt Li.

    Und doch merkt man, dass es Li nun ums Ganze geht: Bei “Zeekr Company Ltd.” wird er persönlich den Job des Vorstandsvorsitzenden übernehmen. CEO wird An Conghui, der auch die Geely Automobile Group leitet. Dem schwedischen Konzern verschrieb Li zuletzt eine strenge Elektrifizierungsstrategie. Bis 2030 sollen bei Volvo nur noch E-Autos produziert werden. Damit setzt Volvo seine Elektrifizierungsstrategie noch schneller um als zunächst geplant.

    Dennoch hat Geely im vergangenen Jahr einen Gewinneinbruch erleiden müssen. Das Unternehmen verzeichnete mit rund 709 Millionen Euro ein Drittel weniger Gewinn als im Jahr zuvor. Der Absatz fiel um drei Prozent auf 1,3 Millionen Fahrzeuge. Die Aktie fiel an der Hongkonger Börse um gut sieben Prozent. Analysten hatten mit einem weniger starken Gewinnrückgang gerechnet.

    Für den geringeren Absatz wird vor allem der Corona-Stillstand verantwortlich gemacht. Insgesamt sind die Autoverkäufe in China im vergangenen Jahr um sechs Prozent gesunken. Geely hat jedoch auch Probleme mit seinem geplanten Listing an der Shanghaier Technologiebörse Star Board. Chinas Aktienmarktbehörden zweifeln, ob das Unternehmen für eine solche Notierung über genügend Hightech verfüge.

    Geely investiert in E-Plattform und Batterie-Fabriken

    Dabei setzt Geely nun auf eigene Technologie: Die neu geplanten Fahrzeuge sollen auf Basis von Geelys im September 2020 gelaunchter Elektro-Plattform SEA (Sustainable Experience Architecture) gebaut werden. Dabei werden eigene Batterie- und Elektromotor-Technologien entwickelt. Mit ihr will sich der Konzern als führender EV-Auftragsfertiger und Engineering-Dienstleister etablieren. Alle Marken von Geely basieren zukünftig auf die dieser Plattform. Das spart Produktionskosten im großen Stil. 

    Im Dezember gründete Geely Automobile Holdings bereits ein Joint Venture mit dem Batterie-Giganten CATL. Geely plant zudem für umgerechnet rund 3,87 Milliarden Euro eine Batteriefabrik in der Stadt Ganzhou in der Provinz Jiangxi zu bauen. Das Werk soll zunächst eine Jahreskapazität von 12 GWh erreichen, wobei ein Ausbau auf 42 GWh geplant ist. 

    Neben Lynk & Co zeigt Li Shufu nun auch mit Zeekr, dass er sich als Erneuerer seiner Branche versteht. Der Henry Ford Chinas ist auf dem Weg ein Elon Musk zu werden. Gregor Koppenburg, Jörn Petring, Frank Sieren

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    Termine

    06.04.2021, 9:30-10:15 AM (EST)
    Vortrag, CSIS: Towards a Better China Strategy Mehr

    07.04.2021, 16:00 Uhr
    Vortrag, Universität Wien: Is Madame Mao Dead? Anmeldung

    07.04.2021,12:30-1:45 PM (EST)
    Confronting China Lectures, Harvard Fairbank Center: China´s economy faces domestic and external challenges Mehr

    07.04.2021, 1:15-3:00 PM (EST)
    Vortrag, Harvard Museum: Non-Chinese “CHINESE” Art in the Harvard Art Museums Mehr

    08.04.2021, 9:30-10:30 Uhr
    Webinar, GIGA Hamburg: Franco-German Observatory of the Indo-Pacific Mehr

    EU-China-Beziehungen: Am Tiefpunkt

    Ganz so feindselig wie noch in der vergangenen Woche klingt Peking nicht mehr. Die gegenseitigen Sanktionen seien “eher symbolisch” zu verstehen, die Maßnahmen beider Seiten “zielten nicht auf die Wirtschafts- und Handelskooperationen ab”, schreibt Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Es bleibe zu hoffen, “dass keine Fraktion diese subtile Grenze inmitten des erbitterten ideologischen Wettbewerbs überschreitet, sodass der Konflikt nicht im Wirtschaftsbereich eskaliert”

    Und auch die Global Times, das für seine nationalistischen Töne bekannte Parteiorgan der Kommunistischen Führung, schlägt versöhnlichere Töne an. “China will nicht, dass die Welt immer gespaltener wird”, heißt es im Leitartikel. Eine Verschärfung des Konflikts sei nicht im Interesse des Landes. “Die chinesische Führung plädiert stetig dafür, dass alle Länder trotz ihrer Differenzen respektvoll miteinander umgehen.”

    Nach der turbulenten Vorwoche scheint die Führung in Peking zumindest ein Stück weit auf Entspannung zu setzen. Wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang hatte die Europäische Union erstmals seit über drei Jahrzehnten Sanktionen gegen vier chinesische Parteikader verhängt. Daraufhin sanktionierte die Staatsführung in Peking ihrerseits zehn europäische Politiker und Akademiker, dazu zusätzlich vier Institutionen, darunter Merics, den in Berlin ansässigen China-Think-Tank. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch ihre Familienmitglieder dürfen künftig weder nach China, noch nach Hongkong einreisen. Pekings Antwort fiel ausgesprochen unverhältnismäßig aus. Die EU sanktionierte vier Personen, China mindestens zwei Dutzend.

    Zahlreiche EU-Länder bestellten in ihren Hauptstädten die Botschafter der Volksrepublik ein. Ende der vergangenen Woche gab es in den chinesischen sozialen Medien offensichtlich staatlich orchestrierte Kampagnen gegen westliche Marken, weil diese sich in der Vergangenheit auf die eine oder andere Weise kritisch zur Baumwollproduktion in Xinjiang geäußert hatten. Menschenrechtsorganisationen werfen den Behörden vor, Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren als Zwangsarbeiter eingesetzt zu haben. 

    “Das ist jetzt ein Tiefpunkt”

    Von einem Bruch in den chinesisch-europäischen Beziehungen war daraufhin die Rede. Von gefährlicher Eskalation sprachen europäische Politiker. Von “unheilvoller Eskalation” schreibt auch der China-Kenner und Zeit-Autor Matthias Nass. Die chinesische Botschaft in Berlin wiederum sprach von “böswilligen Lügen”, die die EU über China verbreitet hätten. War die vergangene Woche eine Zäsur? 

    “Nein”, sagt der bekannte China-Ökonom Markus Taube. “Zäsur würde bedeuten, dass der Streit anhaltend ist und weiter eskaliert.” Taube leitet das Institut für Ostasienwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen und beobachtet die Ereignisse rund um die gegenseitigen Sanktionen sehr genau. “Das ist jetzt ein Tiefpunkt, heißt aber nicht, dass man da nicht in absehbarer Zeit wieder raus kommt.” Eine weitere Verschärfung der Anfeindungen erwartet er also nicht.

    Und auch die Boykott-Kampagnen in den chinesischen sozialen Medien gegen westliche Marken hält er nicht für einen grundsätzlichen Wandel in Chinas Umgang mit ausländischen Unternehmen. Es gebe sie schließlich nicht zum ersten Mal. Daimler war erst vor zwei Jahren auf ähnliche Weise unter Beschuss geraten. In einem Werbespot hatte der Stuttgarter Konzern ein Zitat des Dalai Lama verwendet. Daimler musste sich öffentlich entschuldigen. “Das ist ein Muster, das wir von China kennen”, sagt Taube. 

    In der Tat gibt es derzeit wenig Anzeichen, dass insbesondere die deutsche Wirtschaft unter den aktuellen politischen Konflikten leidet. Im Gegenteil: Sowohl der Handel als auch die Nachfrage nach deutschen Waren boomt im Reich der Mitte. Deutsche Exporteure konnten allein im Januar und Februar 31,1 Prozent mehr Güter nach China liefern als im Vorjahreszeitraum. Die chinesischen Importe aus Europa legten gar um 32,5 Prozent zu. Es dürfte wohl der hohen Nachfrage aus China zu verdanken sein, dass Deutschlands Wirtschaft trotz anhaltendem Lockdown im ersten Quartal nicht ins Minus rutscht. Die Volksrepublik war im vergangenen Corona-Jahr die einzige große Volkswirtschaft, die ein Wachstum verzeichnete. Erstmals überholte China die USA als wichtigster Handelspartner der EU.

    Peking will weg vom Westen

    Taube hält die ruppigen Sanktionen, die China gegen die EU verhängt hat, dennoch für einen Faktor, der die Wirtschaftsbeziehungen beeinflussen wird. Die europäische und die deutsche Wirtschaft könnten von ihren chinesischen Geschäftspartnern abrücken – zumal Peking signalisiert, dass die eigene Volkswirtschaft den Westen schon bald nicht mehr braucht. Schließlich hat der Nationale Volkskongress im Rahmen ihres neuen Fünfjahresplans das Konzept des sogenannten “Dual Circulation” vorgestellt. 

    Ziel der Führung: Sich in Schlüsselbranchen unabhängig von Importen aus dem Ausland zu machen. Vor allem bei Halbleitern ist Chinas Hightech-Sektor nach wie vor abhängig vom Einfuhren – allen voran von US-Technologie. Diese Abhängigkeit ist angesichts des auch unter US-Präsident Joe Biden anhaltenden Wirtschaftskriegs ein Risiko, das ganze Unternehmen in ihrer Existenz gefährden könnte. “Huawei rennt vor die Wand, wenn sie in China im Laufe des Jahres nicht neue Chips kriegen”, sagt Ökonom Taube. 

    Zwar hat Chinas Führung bereits Milliarden in den Aufbau einer eigenen Chip-Industrie gesteckt. Doch laut Taube braucht die Volksrepublik mindestens drei Jahre, bis das Land aufgeholt hat, eher fünf bis zehn. “Das mag zunächst einmal nicht nach viel klingen”, sagt Taube. “Aber in diesen paar Jahren kann für Unternehmen wie Huawei viel kaputt gehen.” 

    Für deutsche Unternehmen hätten sich eigentlich Chancen ergeben. Sie hätten die Lücke füllen können, die US-Unternehmen wegen des Wirtschaftskriegs in China hinterlassen. Ohne die US-Konkurrenz wäre Deutschland der letzte große Ansprechpartner für China für verlässliche gute Technologien gewesen, vermutet Taube. 

    Doch nach der jüngsten asymmetrischen Eskalation haben die Chinesen die Europäer geradezu in die Arme der Amerikaner getrieben. Selbst wenn China die Sanktionen lockert, wird das Misstrauen bleiben – auch bei deutschen Unternehmen, ist Taube überzeugt. “In den Strategie-Abteilungen und in den Vorstandsetagen wird man sich schon genau überlegen, wie man das Risiko mit China künftig zu bewerten hat.” Eine grundlegende Zäsur sei das nicht, aber ein wachsendes Misstrauen.

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    China und Indien: Zwei Giganten mit fragiler Beziehung

    Indien engagiert sich eigentlich nicht in Allianzen. Die Beschlüsse auf dem kürzlichen Video-Gipfel der vier Staaten des Quadrilateral Security Dialogue – kurz Quad – waren daher für Neu-Delhi schon ein spezieller Schritt. Mitte März einigten sich Indien, die USA, Japan und Australien darauf, gemeinsam mehr als eine Milliarde Dosen Covid-19-Impfstoff herzustellen und an Länder im indopazifischen Raum zu verteilen – mit besonderem Schwerpunkt auf die ASEAN-Staaten. Dorthin liefert bislang vor allem China Impfdosen. Außerdem beschloss Quad, Lieferketten für Seltene Erden aufzubauen, um Chinas Beinahe-Monopol zu brechen. Hinzu kommt eine wachsende Marine-Kooperation auf dem Meer – um, so das Abschluss-Dokument des Video-Gipfels “die Rolle des Völkerrechts im maritimen Bereich” zu priorisieren. Auch dabei geht es, klar, um China.

    Quad ist bisher alles andere als ein formales Bündnis – auch wenn Chinas Außenminister Wang Yi es einmal als “Nato des Indo-Pazifik” bezeichnete. Und Indien beeilte sich nach dem Gipfel zu betonen, dass es keineswegs seine strategische Unabhängigkeit aufgegeben habe. China ist dennoch misstrauisch. Am Rande des Nationalen Volkskongresses im März hatte Wang Yi Indien zur Kooperation aufgerufen: “China und Indien sollten Freunde und Partner sein, anstatt Bedrohung und Konkurrenten. Wir sollten uns gegenseitig beim Aufbau helfen.”

    Gute Worte tun not, denn China und Indien haben gerade einen Tiefpunkt ihrer wechselvollen Beziehungen hinter sich: Monate voller Scharmützel an der Grenze, denen im Juni im Galwan-Tal mindestens 20 indische und vier chinesische Soldaten zum Opfer fielen. Erst im Februar 2021 begann ein Tauwetter. Indien und China einigten sich auf eine Deeskalation an der Himalaya-Grenze. In einem Telefongespräch Ende Februar mit seinem indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar betonte Wang Yi laut dem chinesischen Readout, dass beide Staaten die Grenzfrage angemessen behandeln müssten “um ein Abgleiten der bilateralen Beziehungen in einen Teufelskreis zu verhindern.” Zur gleichen Zeit kehrte Indien zu einem alten Waffenstillstandsabkommen mit Pakistan zurück und willigte ein, an einer Anti-Terror-Übung mit der Shanghai Cooperation Organization (SCO) teilzunehmen, zu der sowohl China als auch Pakistan gehören. Die SCO ist eher ein Gegenpol zu Quad.

    Doch noch ist unklar, ob China und Indien sich längerfristig in Richtung Kooperation oder Konkurrenz, oder gar Konflikt bewegen.

    Nachbarn mit abgelegener Grenzlinie

    China und Indien sind Nachbarn, aber auf eine geografisch merkwürdige Weise. Sie teilen eine rund 3.500 Kilometer lange, teils umstrittene und nicht markierte Kontrolllinie in unwegsamem Gelände mitten im Himalaya. Die meisten Chinesen und Inder leben Tausende Kilometer von dieser Grenze entfernt, die daher die Menschen nicht wirklich verbindet. Es gibt hier oben kaum Straßen oder andere Infrastruktur – und auch keinen kleinen Grenzhandel.

    Überhaupt ist der Warenaustausch zwischen beiden mit einem Volumen von 87,6 Milliarden US-Dollar in 2020 ungewöhnlich bescheiden. Zum Vergleich: Der EU-China-Handel lag 2020 bei rund 600 Milliarden Euro, der Indien-EU-Handel bei gut 65 Milliarden Euro. China exportiert die typischen Dinge nach Indien: Plastik, Autoteile, pharmazeutische Chemikalien oder Elektronikartikel wie Smartphones. Diese Exporte machten 2020 gut drei Viertel des gesamten Handels aus – Indiens Handelsdefizit ist also groß. Das Land schickt vor allem Rohstoffe und Vorprodukte wie Eisenerz, Stahl, Baumwolle oder Fisch nach China.

    1962 hatten beide Staaten einen kurzen Grenzkrieg ausgefochten. Danach herrschte Funkstille – bis 1998 der damalige Premierminister Rajiv Gandhi nach Peking reiste. Beide Länder einigten sich damals, dass die Beziehungen nicht länger von einer vorherigen Regelung der Grenzfrage abhängig gemacht werden sollten. Trotzdem gab es nie einen richtigen Durchbruch. Misstrauen und Missverständnisse auf beiden Seiten blieben groß.

    Unsensibles Verhalten gegenüber Indien

    China fürchtete nach den Worten des früheren Außenministers Vijay Gokhale stets eine Anbindung Indiens an den Westen. Delhi wiederum empfand Chinas Verhalten oft als unsensibel. China habe Indien “nie als wichtiges, eigenständiges Land wahrgenommen, das unabhängige Reaktionen auf geopolitische Zusammenhänge zeigen kann”, sagte Gokhale, Autor einer aktuellen Studie über die Zukunft der Beziehungen, kürzlich auf einem Webinar der Denkfabrik Carnegie India. “Sie betrachteten Indien immer als eine Art Ergänzung zu jemand anderem, als jemandes Lakai.” Gokhale nannte drei Beispiele. China habe den für Peking strategisch wichtigen Pakistan Economic Corridor 2015 öffentlich als Vorzeigeprojekt der Neuen Seidenstraße deklariert, ohne Indiens Ministerpräsidenten Narendra Modi bei einem direkt zuvor stattfindenden Staatsbesuch darüber zu informieren. 2016 blockierte Peking die Aufnahme Indiens in die globale “Nuclear Suppliers Group” – damals war Gokhale Botschafter in Peking. 2016, 2017 und 2019 blockierte China im UN-Sicherheitsrat die Aufnahme des Anführers der militanten pakistanischen Gruppierung Jaish-e-Mohammed, Masood Azhar, auf eine Terrorliste. Die Gruppe hatte zuletzt 2019 einen Konvoi im indisch kontrollierten Teil Kashmirs angegriffen. “Für China mögen dies kleinere Dinge gewesen sein; für Indien aber waren das wichtige Fragen”, so Gokhale. Umgekehrt ist für China jede Annäherung Indiens an die USA – vor allem im Indo-Pazifik – ein Dorn im Auge.

    Wie geht es nun weiter? “Die Ereignisse von 2020 waren ein Wendepunkt. Ein Zurücksetzen der Beziehungen ist nicht mehr möglich. Sie müssen neu aufgebaut werden”, sagte Gokhale. Die öffentliche Meinung in Indien sei gekippt. Vor 2020 herrschten eine wohlwollende Ansicht über China vor sowie Bewunderung für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Befreiung so vieler Menschen aus der Armut. “Dies wird nun überschattet von einem Gefühl, dass China ein Gegner sei, dass es uns feindlich gesonnen ist und nicht will, dass Indien Fortschritte macht.” Die Worte ähneln auffällig Vorwürfen Chinas an den Westen.

    Noch sieht es 2021 nicht nach einer umfassenden Trendwende aus. Zumal Indien voraussichtlich im Laufe des Jahres heimischen Telekomfirmen verbieten wird, Technologie der chinesischen Ausrüster Huawei und ZTE zu verwenden. Trotz der angespannten Beziehungen aber arbeiten Indien und China auf einer Reihe von Plattformen zusammen, unter anderem auf dem Dialogforum Russland-Indien-China. Indien ist auch Teil der BRICS-Gruppe mit Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – und wird in diesem Jahr einen BRICS-Gipfel veranstalten. Indien bleibt also vorerst ungebunden, die Lage offen. Eine enge, institutionelle Zusammenarbeit Indiens mit Quad gegen China aber wäre eine Zäsur. Delhi wird sich das gut überlegen.

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    Kritik am Corona-Bericht der WHO

    Nach der Veröffentlichung des WHO-Berichts zum Ursprung des Coronavirus haben mehrere EU-Staaten Kritik an dem Papier geäußert und China indirekt mangelnde Transparenz vorgeworfen. Litauen, Dänemark, Tschechien, Lettland, Estland und Slowenien schlossen sich einer gemeinsamen Erklärung der USA, Kanada und weiterer Staaten an, in der eine “erhebliche” Verzögerung des WHO-Berichts und fehlender Zugang zu Originaldaten und Proben kritisiert wird. Die insgesamt 14 Staaten sprechen sich für eine “transparente und unabhängige Analyse und Bewertung der Ursachen der Covid-19-Pandemie, die frei von unangemessenen Eingriffen und Einflüssen ist” aus, ohne Peking direkt zu nennen.

    Das Forscherteam der WHO, das Anfang des Jahres nach Wuhan gereist war, hatte am Dienstag seinen lang erwarteten Bericht zum Ursprung des Virus vorgestellt. Für Aufsehen sorgte dabei, dass WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus China vorwarf, der Expertenmission zu den Ursprüngen der Corona-Pandemie nicht genügend Daten zur Verfügung gestellt zu haben. Künftig erwarte er “gemeinschaftliche Studien, um rechtzeitiger und umfassender Daten zu teilen”. Er brachte auch erneut die Theorie ins Spiel, der Ursprung des Coronavirus könnte in einem Laborunfall liegen – der Bericht der Expert:innen schließt diesen Strang aber als “extrem unwahrscheinlich” aus.

    Der chinesische Co-Leiter des Forscherteams, Liang Wannian, widersprach den Vorwürfen. Die Wissenschaftler:innen hätten während der gesamten Untersuchung Zugang zu denselben Daten gehabt, sagte Liang laut einem Bericht von Reuters. Die Behauptungen über mangelnden Zugang sei nicht zutreffend, so Liang. “Natürlich können nach chinesischem Recht einige Daten nicht mitgenommen oder fotografiert werden, aber als wir sie gemeinsam in Wuhan analysiert haben, konnte jeder die Datenbank und die Materialien sehen, alles wurde zusammen gemacht”, zitiert der Bericht Liang.

    Mehrere Abgeordnete des Europaparlaments wie der Franzose Raphaël Glucksmann forderten erhöhten internationalen Druck auf Peking. Die Wissenschaftler:innen der WHO hatten bei der Vorstellung des Berichts betont, es habe keinen Einfluss vonseiten Chinas gegeben. ari

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    WHO: Impfstoffe aus China mit guter Wirksamkeit

    Die chinesischen Impfstoffhersteller Sinovac und Sinopharm erfüllen mit ihren Covid-19-Impfstoffen die Anforderungen der WHO. Dies geht aus Informationen hervor, die die Unternehmen der WHO vergangene Woche vorgelegt hatten.

    Das bedeute eine Wirksamkeit von ungefähr 50 Prozent und vorzugsweise nahe oder über 70 Prozent, hieß es von Seiten der WHO weiter. Bisher zeigen Studien aus Brasilien, der Türkei und Indonesien, dass die Wirksamkeitsdaten für Sinovac zwischen 50,65 und 83,5 Prozent schwanken. Vom Sinopharm-Impfstoff ist eine Wirksamkeit von 79,83 Prozent bekannt. Die Strategic Advisory Group of Experts (SAGE) der WHO hofft, bis Ende April Empfehlungen zu diesen Impfstoffen abgeben zu können, sagte ihr Vorsitzender Alejandro Cravioto am Mittwoch in Genf. niw

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    Auslandskorrespondenten kritisieren Peking

    Der Club der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) hat sich angesichts der Ausreise des BBC-Korrespondenten John Sudworth besorgt über sich verschärfende Drohungen gegen ausländische Journalist:innegeäußert. Der chinesische Staat und staatlich kontrollierte Einheiten würden immer häufiger “falsche Behauptungen aufstellen, ausländische Korrespondenten und ihre Organisationen seien von anti-chinesischen politischen Kräften motiviert”, teilte FCCC auf Twitter mit. Die chinesischen Behörden zeigten demnach auch eine größere Bereitschaft, Medienschaffende mit rechtlichen Maßnahmen zu bedrohen. Es gebe Sorge, dass ausländische Journalist:innen in diplomatische Auseinandersetzungen gerieten, die außerhalb ihrer Kontrolle lägen.

    Sudworth hatte dem FCCC zufolge das chinesische Festland bereits vergangene Woche verlassen, um seine Sicherheit und die seiner Familie zu gewährleisten. Der Journalist, der seit neun Jahren für die BBC aus China berichtete, sei nun in Taiwan, teilte sein Arbeitgeber mit. Sudworths Frau Yvonne Murray, die als China-Korrespondentin für Irlands öffentlich-rechtlichen Sender RTE arbeitet, sei ebenfalls ausgereist. Der Ausreise seien “monatelange persönliche Angriffe” gegen Sudworth und seine BBC-Kollegen vorausgegangen, die “sowohl von chinesischen Staatsmedien als auch von chinesischen Regierungsbeamten verbreitet wurden”, erklärten BBC und FCCC.

    Zwischen London und Peking hat sich in den vergangenen Monaten ein Streit über die BBC und den chinesischen Staatssender CGTN entwickelt. Großbritannien hatte CGTN die Sendeerlaubnis wegen parteiischer Berichterstattung entzogen, China stellte daraufhin die Verbreitung von BBC in Festlandchina und Hongkong ein. Peking wirft der BBC vor, Falschnachrichten über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu verbreiten und fährt massive Kampagnen gegen Journalist:innen. Sudworth wurde laut FCCC von staatlichen Medien in Online-Videos gezeigt, in denen Aufnahmen von Polizeikameras genutzt wurden. ari

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    Staatsrat erlaubt Fusion von Sinochem und ChemChina

    Chinas Staatsrat hat einer Fusion der Sinochem Group und der China National Chemical Corp (ChemChina) zugestimmt. Die staatliche Kommission für die Überwachung und Verwaltung von Vermögenswerten (Sasac) bestätigte den Schritt gestern in einem kurzen Statement. Sinochem und ChemChina würden eine “gemeinsame Reorganisation” durchführen, hieß es in der Mitteilung von Sasac.

    Durch die Zusammenlegung der beiden Staatskonzerne würde das weltweit größte Chemieunternehmen entstehen. Medienberichten zufolge wurde die Fusion bereits seit mehreren Jahren diskutiert. Der Vorsitzende beider Unternehmen, Ning Gaoning, hatte im November 2019 erklärt, dass eine Zusammenlegung geprüft und an den damit verbundenen Finanz- und Rechtsfragen gearbeitet werde, wie Bloomberg berichtete. Der Deal schafft demnach einen Konzern mit einem Vermögen von mehr als 100 Milliarden US-Dollar.

    Das Wall Street Journal hatte im Dezember berichtet, dass die beiden Staatskonzerne nach einer Fusionsmöglichkeit suchten, um eine US-Kontrolle im Zusammenhang mit dem Besitz des Schweizer Saatgutunternehmens Syngenta AG zu vermeiden. ChemChina hatte das Schweizer Unternehmen demnach 2016 für 43 Milliarden US-Dollar gekauft. Sowohl ChemChina als auch Sinochem sind dem Bericht zufolge zudem auf eine schwarze Liste des Pentagons gesetzt worden, da sie angeblich Verbindungen zum chinesischen Militär hatten (alles zum Militär vom China.Table). ari

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    Standpunkt

    1,4 Milliarden Namen – Big Brother kennt sie alle

    Von Johnny Erling
    Ein Bild von Johnny Erling aus dem Jahre 2017

    Der Familienrat trat Wochen vor der Geburt der Tochter zusammen. Eltern und Großeltern suchten einen passenden Vornamen. Er sollte sinnvoll sein, gut klingen, sich leicht schreiben und aussprechen lassen. Der angehende Großvater schlug im Buch der Orakel (Yiqing) und bei Konfuzius nach; der Vater surfte online. Ihre Wahl fiel auf das Doppel-Zeichen “YouYou” (有有). Es bedeutet “etwas haben, oder etwas ist vorhanden”. Das Zeichen steckt als Glücksymbol im Yiqing und im Sinnspruch der Philosophie: Wu Zhong Sheng You – Aus Nichts entsteht das You. Die Mutter mochte den melodischen Klang, wenn bei der Aussprache von You der dritte Ton durch Verdopplung swingt.     

    Das war 2006. Die Beijinger Familie schilderte mir, wie sie auf traditionellem Weg den Rufnamen fanden, der nach chinesischer Sitte hinter dem Familiennamen des Vaters steht. Die Polizeibehörde registrierte die Tochter nach Vorlage ihres Geburtsscheins, dem Nachweis, Einzelkind zu sein und der Meldebestätigung (Hukou) ihres Wohnsitzes mit einer 18stelligen Nummer.   

    Die neue Freiheit der Namensgebung

    Heute geht es einfacher zu. Zahlreiche preiswerte Apps erleichtern die Suche nach dem passenden Namen. Vor allem haben Eltern erstmals einen Rechtsanspruch, den Nach- und Vornamen (姓名权) ihres Kindes selbst zu bestimmen. Seit 1. Januar ist das erste Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China (民法典) in Kraft. Es regelt in mehreren Artikeln, dass Namen natürlicher Personen frei “entschieden, genutzt und verändert” werden dürfen, solange diese nicht gegen den allgemeinen guten Geschmack verstoßen. Oder, wenn andere gerechtfertigte Gründe dagegen vorliegen. Etwa wie Mitte 2017. Da ließen Parteibehörden im Zuge ihrer Unterdrückung der Uiguren islamistische Reizworte als Teil des Namens verbieten. Sie vermuteten Aufstachelung zum “Heiligen Krieg” oder Separatismus. 

    Immerhin verbrieft das neue Gesetz ein Mehr an Gleichberechtigung. Wegen des “Wandels in den sozialen Normen und dem Ende der “Ein Kind-Familie” 2016 dürfen Neugeborene den Nachnamen ihrer Mutter übernehmen. Das machte sich bei der im Jahr 2020 geborenen Generation (10,035 Millionen Kinder) schon bemerkbar. Dennoch: Auf jeweils 12 Kinder, die den Nachnamen des Vaters übernahmen, kam erst eines, das den Namen der Mutter trägt.   

    Das alles geht aus dem “Nationalen Report über die Namen in China 2020” hervor, der auf der Webseite der Polizei veröffentlicht wurde. Darin brüstet sich das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, die Erfassung der Namen zum Baustein seiner seit 2018 verfolgten “Big-Data-Strategie” gemacht zu haben. Die Digitalisierung sei so fortgeschritten, dass “wir das weltweit größte Informations- und Verwaltungssystem über die Bevölkerung errichtet haben.” Chinas heute 1,4 Milliarden Menschen, die mit ihrem Hukou (Bleiberecht) registriert sind, könnten sie über “alle Lebensphasen und landesweiter Migration” nachverfolgen. Das Problem: Die enorme Fülle an Namen und Daten sind der Rohstoff zur Entwicklung ausgefeilter Überwachungstechniken. China ist heute bereits bei der Identifikation von Gesichtern mit Hilfe Künstlicher Intelligenz weltweit führend.  

    Wang heißen 100 Millionen Menschen

    Nach dem Polizeireport sollen Chinas Namen seit mehr als 5000 Jahren bestehen. Ein 2010 erschienenes Großwörterbuch für Nachnamen in China (中国姓氏大辞典) erfasst 23.813 Familiennamen. Davon seien heute 6150 noch im Umlauf. Die Namen, die die Mehrheit aller Chinesen (85 Prozent) tragen, fallen unter die “Liste der 100 Nachnamen” (baijiaxing). 2020 hörte sogar jeder Dritte (30.8 Prozent) unter den 1,4 Milliarden Menschen auf einen unter den ersten fünf Familiennamen aus der Liste: Wang, Li, Zhang, Liu oder Chen  (王,李, 张, 刘, 陈”). Wang – so heißen allein mehr als 100 Millionen Personen in China.  

    Weil viele Eltern dann auch noch denselben Vornamen für ihre Kinder auswählen, wird alles doppelt-gemoppelt. Massen gleichnamiger Chinesen bevölkern die Volksrepublik. Kein Wunder, dass die Polizei ihre Landsleute mit einem Online-Service zum Namenscheck in allen 31 Provinzen und Stadtstaaten ermutigen will, damit sie seltenere, oder mehrsilbige Vornamen wählen. Für statistische Erhebungen (auch für die Polizeifahndung) ist der derzeitige Zustand ein Albtraum, solange Hunderttausende unter jeweils nur einem Namen registriert sind.

    Weidong – geboren Ende der 50iger Jahre   

    Eine Tabelle im Polizeireport analysiert, wie die Wahl der Vornamen vom Zeitgeist zwischen 1949 bis 2019 abhing und sich alle zehn Jahre änderte. Dabei zeigt sich, dass manche Eltern wohl den Rufnamen ihrer Kinder zum Ausweis für ihre öffentlich demonstrierte Begeisterung für das Regime machten.  Chinesen mit Vornamen wie “Jianguo” (Aufbau des Staates)  oder  “Xinhua” (Neues China) sind meist um 1950 geboren. Aus Abkürzungen für absurde politische Kampagnen generierten sich viele Vornamen. Wer etwa “Zhaoying” (Überholt England) hieß, wurde Ende der 50er Jahre geboren. “Weidong” (Verteidigt Mao Zedong) fiel in die Zeit der Kulturrevolution, ebenso wie gerne als Vornamen verwandte Symbolwörter  wie  “Rote Sonne”, “Roter Fels”  bis zur “Meereswelle”. Erst nach dem Tod Maos 1976 wurde nach und nach die Namensgebung weitgehend entpolitisiert. In Vornamen spiegelten sich Wünsche für die Zukunft ihrer Kinder, Kult aus Film, Musik und Sport, Liebe zur Landschaft und Kultur oder erneut der Rückgriff auf klassische Namen.  

    Chinas Wort für Familienname “Xing” (姓) setzt sich aus den Schriftzeichen für Frau und Geburt zusammen. Es leitet sich vom Matriarchat in Chinas Urgesellschaft ab, schreibt der Polizeireport. Erst vor 2000 Jahren bildete sich nach der Reichseinigung und einheitlichen Verwaltungsreformen das heutige vom Vater geprägte Namenssystem heraus. Die Digitalisierung führt nun zu einer neuen Normierung, die 1,4 Milliarden Chinesen auch über die Erfassung ihrer Namen zu gläsernen Menschen macht. 

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    Dessert

    China hat am Mittwoch das Fast-Radioteleskop für Wissenschaftler anderer Länder geöffnet und wird Anträge für Beobachtungszeit annehmen. Das Teleskop hat vor einigen Jahren das Arecibo-Observatorium in Puerto Rico als größtes Radioteleskop der Welt abgelöst. Arecibo ist mittlerweile wegen Verschleiß kollabiert. Im Film GoldenEye turnte James Bond noch auf Arecibo herum. Ob der Geheimagent auch auf Fast willkommen ist, war nicht bekannt.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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