der EU-China-Gipfel bestand am Freitag wie befürchtet nur aus der kühlen Wiederholung bekannter Positionen auf beiden Seiten. Hier zeigen sich die Grenzen eines Online-Formats. Es gibt keine Chance für vertrauliche Gespräche am Rande. Ebenso fehlt die Möglichkeit, der anderen Seite noch einmal eindringlich die eigene Sicht der Dinge darzulegen.
Doch dieser Kollateralschaden der Pandemie verblasst derzeit gegen die Situation in Shanghai. In den Quarantänezentren drängen sich die Infizierten dicht an dicht. Die Lebensmittelverteilung verläuft unregelmäßig. So wichtig die Eindämmung der Pandemie ist, so deutlich dort treten gerade organisatorische Schwächen zutage. Für die KP ist das keine gute Nachricht. Wer den Anspruch hat, der Natur zum Wohle der Bürger die Stirn zu bieten, muss auch die Versorgung sicherstellen.
Die Nebenwirkungen der Null-Covid-Strategie sind inzwischen auch Teil der vielen Gründe für Ausländer, China den Rücken zu kehren. Marcel Grzanna hat mit Arbeitnehmern vor Ort und mit Rückkehrern gesprochen. Die Gesellschaft in China wird tendenziell intoleranter, nationalistischer und arroganter. Das Lebensumfeld ist insgesamt schwieriger. Kein Wunder, dass ein Exodus der Expats eingesetzt hat. Die Pandemie ist allerdings nicht die Ursache des Trends, sondern beschleunigt ihn nur.
Mit dem Ende des China-Kapitels in seinem Leben setzte bei Niklas die Erleichterung ein. “Ich bin wirklich froh, dass ich raus bin. Jetzt spüre ich, wie viel Energie diese Zeit tatsächlich gekostet hat”, sagt der Niederländer, der nach 17 Jahren in der Volksrepublik vor zwei Wochen seine Zelte in Shanghai abgebrochen hat.
“Als Ausländer in China zu leben ist inzwischen so, als wenn du die ganze Zeit auf rohen Eiern läufst. Überall lauern Konfrontationen nach dem Muster: Wir gegen euch“, sagt Niklas, der nicht mit vollem Namen zitiert werden möchte. Fast zwei Jahrzehnte lang arbeitete der 48-Jährige in China für internationale Firmen im Bereich Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR). In Shanghai habe er zu Beginn des Jahrhunderts die “goldenen Jahre” erlebt. Wie er sagt, war es vergleichsweise liberal und kosmopolitisch. Damit ist es vorbei.
“Die vergangenen Jahre unter Xi Jinping haben alles verändert“, sagt er. Zunehmend seien Alltagssituationen in politische Diskussionen mit Chinesen:innen gemündet, die der Niederländer nicht führen wollte. Immer wieder wurde er genötigt, zum Verhältnis Chinas zu Europa oder dem Rest der Welt Stellung zu beziehen. “Dabei bin ich ständig mit den gleichen Argumenten konfrontiert worden, ohne Differenzierung aus einer extrem nationalistischen Position”, erzählt Niklas. Kritik an der Volksrepublik sei in solchen Diskussionen immer weniger akzeptiert worden. Das Land entwickle sich zu einer “perfekt abgeschirmten Gesellschaft”.
Wachsender Nationalismus, totalitäre Züge, höhere Steuern und eine zermürbende Null-Covid-Strategie – für viele Staatsangehörige großer Industrienationen hat die Volksrepublik China ihren Zauber als Land der unbegrenzten Möglichkeiten verloren. Zahlreiche Alteingesessene kehren dem Land den Rücken und deutlich weniger Ausländer:innen entscheiden sich für einen langfristigen Aufenthalt.
Tatsächlich haben ausländische Firmen inzwischen Mühe, Leute zu finden, die in der Volksrepublik leben wollen. Die EU-Handelskammer stellt einen massiven Rückgang der Anzahl ausländischer Angestellter fest. Und in Hongkong, wo die örtliche Regierung die Entdemokratisierung extrem beschleunigt hat, schließen viele ausländische Firmen ihre Niederlassungen.
“China ist für Leute in meinem Alter einfach nicht mehr attraktiv”, sagt Stefan Sack, zwischen 2013 und 2016 Vizepräsident der Europäischen Handelskammer in Shanghai. Der 54-Jährige kehrte vor wenigen Monaten nach 16 Jahren in China nach Hamburg zurück. “Vieles ist aus der Balance geraten. Die Gehälter chinesischer Kollegen:innen sind kontinuierlich stark angestiegen, meins aber nicht. Und die anstehende deutliche Erhöhung der Einkommenssteuer für Ausländer verringert die Bezüge”, sagt Sack.
Der frühere Unternehmensberater sieht auch positive Entwicklungen. In der chinesischen Wirtschaft seien die “wilden Jahre” vorbei. Der Staat habe durch Regulierungen deutlich mehr Ordnung geschaffen. Doch Sack nimmt eine fortschreitende Erosion gesellschaftlicher Pluralität wahr. Die Meinungsvielfalt reduziere sich und komme einer “Gleichschaltung” nah.
Ähnliche Beobachtungen macht der Schotte Cameron Wilson. Im Gegensatz zu anderen, die China verlassen haben, lebt der 47-Jährige mit seiner chinesischen Familie weiterhin in Shanghai. Doch er gibt zu, dass seine Frustration enorm gewachsen ist. Jegliche Kritik am Gastgeberland werde heutzutage als das Resultat von Fake-News umgedeutet, die westliche Medien in die Welt setzten. Der Bewegungsspielraum für die Zivilgesellschaft sei dramatisch beschnitten.
Als Beispiel nennt Wilson den Profifußball. Fans dürfen nach einem Sieg nicht mehr vor dem Stadion in Gruppen stehen und gemeinsam feiern. Den Anhängern von Shanghai Shenhua ist es sogar verboten, Stoff-Schildkröten gegen den Erzrivalen Beijing Guo’an ins Stadion mitzunehmen. Die Shanghaier bezeichnen den Hauptstadtklub verächtlich als Schildkröten. Die Behörden entschieden: Die Stofftiere seien unzivilisiert.
Solch kleinliche Einschränkungen wirken belastend. “Wenn Shanghai eine internationale Metropole sein möchte, dann muss es auch ein Minimum an internationalen Standards erfüllen wie Diversität und Inklusion. Aber die Stadt entfernt sich immer weiter davon“, sagt Wilson. Als Ausländer einen Job als Ortskraft zu bekommen, werde immer schwieriger.
All das bleibt nicht ohne Wirkung. “Ich habe mich einfach nicht mehr willkommen gefühlt”, sagt Vuk Dragovic. Der Serbe lebte bis vor wenigen Wochen in Shanghai, wo er als selbstständiger Industriedesigner für internationale Kunden arbeitete. Ein Schlüsselmoment für ihn und seine Frau sei es gewesen, als die Polizei vor seiner Wohnungstür stand und unangemeldet eine Urinprobe verlangte, um ihn auf Drogenkonsum zu testen.
Es kam auch vor, dass er im Künstlerviertel Tianzifang nach seinen Ausweispapieren gefragt und seine Aufenthaltserlaubnis geprüft wurde. “Das habe ich in all den Jahren zuvor nie erlebt”, sagt Dragovic, der nach elf Jahren in der Volksrepublik jetzt in Berlin einen Neuanfang unternimmt. Vor allem nach Ausbruch des Handelskriegs zwischen China und den USA unter Präsident Donald Trump habe er eine wachsende Ablehnung der lokalen Bevölkerung gegen ihn wahrgenommen. Er erlebte, dass Chinesen es vermieden, den gleichen Fahrstuhl wie er zu benutzen.
Auch Europas Ruf sei ramponiert, hat der Niederländer Niklas festgestellt. “Ich habe eine regelrechte Verachtung für Europa gespürt. Wir seien schläfrig, langweilig und chaotisch.” Die zugespitzte Berichterstattung chinesischer Medien über gewalttätige Demonstrationen oder Ausschreitungen in EU-Staaten hätten das Bild eines düsteren Europas, das nicht mehr Herr der Lage sei, weiter verstärkt.
Der Trend zur Entfremdung zwischen lokaler und westlich geprägter Bevölkerung wird durch die unterschiedliche Positionierung Chinas und des Westens im Ukraine-Krieg noch angeheizt. “Es wäre Chinas Zeit, sich auf globaler Bühne Glaubwürdigkeit und Respekt zu verschaffen, nach dem das Land sich so sehnt. Stattdessen werden Verschwörungstheorien als Grundlage für die eigene Politik genutzt”, sagt Wilson. In der Konsequenz werde Chinas externe Kommunikation immer aggressiver.
Der frühere Kammer-Vizepräsident Stefan Sack sieht in den politischen Tendenzen einen guten Grund, das Land zu verlassen. Er fürchtet eine chinesische Invasion Taiwans binnen der kommenden fünf Jahre. “Wenn es so weit kommen sollte, dann würde ich als Staatsbürger eines Nato-Mitgliedes nicht mehr in China sein wollen, als Amerikaner schon gar nicht”, sagt Sack.
Elisabeth Liu ist Amerikanerin und lebt seit über anderthalb Jahrzehnten in Shanghai. Sie ist Mutter von vier Kindern. Ihr Ehemann kommt aus Singapur. Ihr ursprünglicher Plan war es, in fünf Jahren in ihre Heimat Texas zurückkehren. Jetzt will sie die Volksrepublik noch in diesem Jahr verlassen. Ein Grund auch hier: die Sorge vor einem Krieg mit Taiwan.
Die kompromisslose Coronavirus-Politik in Shanghai tat jetzt ihr Übriges. Seit Wochen macht sie ihrem Unverständnis für die Art und Weise des Gesundheits-Managements mit Galgenhumor über Sozialmedien Luft. Kürzlich postete sie eine Sprachnachricht ihres Mannes, der “gute Nachrichten” meldete. Ihm sei es gelungen, ein paar Tomaten, sechs Karotten und zwei Brokkoli aufzutreiben. Liu: “Ganz ehrlich, ich hoffe, dass ich das hier alles vergessen werde und einfach mit meinem Leben weitermachen kann.”
Schon 15 Minuten nach dem Treffen von Chinas Staats- und Regierungschef Xi Jinping mit den EU-Vertretern hatte die chinesische Seite bereits die erste Mitteilung mit Zitaten veröffentlicht: Die Volksrepublik hoffe, dass Europa ein eigenständiges China-Verständnis formuliert, eine eigenständige China-Politik aufrechterhält und gemeinsam stabile China-EU-Beziehungen vorantreibt, hieß es darin. Xi sprach über die Corona-Pandemie und globale wirtschaftliche Herausforderungen. Die “Ukraine-Krise” wurde erst am Ende der Mitteilung erwähnt.
Die frühe Veröffentlichung des Statements überraschte kaum. Sie zeigte, was eigentlich schon vor dem 23. EU-China-Gipfel am Freitag klar war. Die chinesische Führung wird sich nicht viel in ihrer Position bewegen. Das gilt vor allem bei dem für Brüssel mit brennender Priorität besprochenem Thema des Ukraine-Kriegs. Die Europäische Union wollte bei dem virtuellen Gipfeltreffen erneut Druck auf Peking wegen Chinas umstrittener Rückendeckung für Russland aufbauen – mit mäßigem Erfolg.
Das Gespräch sei “freimütig” gewesen, hieß es von der EU-Seite nach dem Video-Telefonat mit Xi. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel fanden nach eigenen Angaben deutliche Worte und warnten China vor der Unterstützung Moskaus. “Kein europäischer Bürger würde es verstehen, wenn es irgendeine Unterstützung für Russlands Fähigkeit geben würde, Krieg zu führen”, sagte die Kommissionspräsidentin nach den Gesprächen. “Das würde China hier in Europa einen großen Reputationsschaden zufügen.” Das Land trage auch als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat eine besondere Verantwortung, betonte von der Leyen.
Indirekt drohte die EU-Kommissionschefin Peking auch Konsequenzen: “Es ist klar, dass der russische Einmarsch in die Ukraine nicht nur ein entscheidender Moment für unseren Kontinent, sondern auch für unser Verhältnis zum Rest der Welt ist.” EU-Ratspräsident Michel ergänzte: “Wir haben China aufgefordert, einen Beitrag zum Ende des Krieges in der Ukraine zu leisten.” China könne den Völkerrechtsverstoß Russlands nicht ignorieren.
Öffentlich äußerte sich die EU-Führung klarer zu den Erwartungen an China wegen der Sanktionen gegen Russland: “Wir erwarten nicht, dass China unsere Sanktionen gegen Russland unterstützt, aber wir erwarten, dass es sie nicht behindert!”, betonten von der Leyen und Michel mit denselben Worten. EU-Beamten zufolge sei Xi auch ans Herz gelegt worden, mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sprechen.
Nach der schnellen ersten Mitteilung der chinesischen Seite dauerte es am Freitag einige Zeit, bis ein zweites Statement veröffentlicht wurde. In diesem ging Xi näher auf die Ukraine ein – und schob erneut dem Westen die Schuld an dem Konflikt zu: Er warnte davor, “Öl ins Feuer zu gießen und die Spannungen anzuheizen”. Die Grundursache der Ukraine-Krise seien “regionale Sicherheitsspannungen in Europa, die sich über Jahre aufgebaut haben”, so Xi. “In diesem Zeitalter sollten globale Sicherheitsrahmen nicht mehr auf einer Mentalität des Kalten Krieges aufgebaut sein.”
Vor allem mit der zweiten Mitteilung wurde klar: Den Gipfelteilnehmern ist es nicht gelungen, sich bei der Reaktion auf die Ukraine-Invasion anzunähern. “Systemische Rivalität ist eine neue Realität”, schlussfolgert die Direktorin des Asia-Programms am Thinktank ECFR, Janka Oertel, zu dem Treffen. “Es gab wenig Einigkeit zwischen den beiden Seiten und das Gespräch war weit davon entfernt, ‘business as usual’ zu sein.” Stattdessen gab es einen “Austausch gegensätzlicher Ansichten”. Beim Standpunkt zu den Strafmaßnahmen gegen Moskau habe Brüssel aber deutliche Worte gefunden, so Oertel. “Wenn China das verhängte Sanktionsregime offen untergräbt, wird das Konsequenzen haben. Das könnte jetzt nicht klarer sein.”
Diese Botschaft hatten die G7-, Nato- und EU-Staaten bereits unisono beim Gipfelmarathon vor eineinhalb Wochen (China.Table berichtete) in Richtung Peking entsandt. Washington hatte ein genaues Auge auf das Treffen am Freitag. “In Washington hat man das Gefühl, dass die USA und die EU sich in ihrer Einschätzung der Herausforderung China derzeit so nahe kommen wie nie zuvor”, meint Außenpolitik-Experte Noah Barkin vom Berliner Büro des German Marshall Fund (GMF).
Der Gipfel am Freitag habe dieses Gefühl noch bestärkt, so Barkin. Auf beiden Seiten des Atlantiks nehme man die Annäherung Chinas und Russlands als Bedrohung war. Als sich Putin und Xi im Februar der unbegrenzten Kooperation versichert haben, habe das die Wahrnehmung nachhaltig verschoben. “Das war auch die Botschaft des Gipfels”, so Barkin. “Unklar ist aber noch, ob die Zeitenwende, die Olaf Scholz ausgerufen hat, einen geopolitischen Wendepunkt markiert oder ob sie nur für Russland gilt.” Die USA hoffen nun auf Signale aus Berlin, dass die Neubewertung in Berlin auch China betrifft.
Von der Leyen und Michel sprachen am Freitagvormittag auch mit Premier Li Keqiang. China sei grundsätzlich gegen “die Teilung in Blöcke und Parteinahmen”, so Li. Die Volksrepublik wolle mit der EU und der Welt zusammenarbeiten, sagte der Premier. Allerdings werde sich sein Land “auf seine eigene Art” für den Frieden einsetzen.
Im Gespräch mit Li habe man deutlich gemacht, dass eine Reihe von Differenzen angegangen werden müssten, betonte die EU-Seite. Als Beispiele nannte von der Leyen bei der anschließenden Pressekonferenz die von Peking verhängten Sanktionen gegen Mitglieder des EU-Parlaments, den eingeschränkten Zugang europäischer Unternehmen zum chinesischen Markt, Menschenrechtsfragen und die Handelsblockade Chinas gegen Litauen (China.Table berichtete). Konkrete Fortschritte bei der Beilegung dieser Differenzen gab es nicht.
Dabei habe China gerade im Dreieck EU-China-USA gerade ein Interesse daran, Brüssel positiv zu stimmen und damit eine engere Bindung an die USA zu vermeiden, sagt Thomas des Garets Geddes, Research Fellow beim deutschen Thinktank Merics: “Die USA sind seit langem Chinas am meisten gefürchteter und verachteter Gegner, nicht die EU.” Deshalb würden viele Analysten Chinas einräumen, dass die EU innerhalb des Dreiecks derzeit in einer relativ günstigen Position sei, so der Experte. “Es würde mich nicht überraschen, wenn China bereit wäre, einiges für die EU zu tun, damit sie nicht zu sehr in Richtung USA abdriftet.” Die Volksrepublik sei interessiert an der Neutralität oder strategischen Autonomie der EU, so des Garets Geddes. “Das wäre für China extrem wichtig.” Mitarbeit: Christiane Kühl
In Shanghai wird es zunehmend schwer, an Lebensmittel zu kommen. Zwar lässt die Stadtverwaltung über die Ortskomitees Tüten mit Grundnahrungsmitteln verteilen. Doch die sonst üblichen Bestellungen bei Supermärkten sind wegen der hohen Nachfrage und Versorgungsengpässen fast nicht mehr möglich. Die Zahl der Lieferfahrer ist merklich geringer als im Normalbetrieb. Viele Haushalte müssen sich daher derzeit massiv einschränken. Die besten Chancen für erfolgreiche Lieferungen ergeben sich aus Sammelbestellungen ganzer Nachbarschaften.
Auch viele Bürger, die eine strikte Pandemiepolitik grundsätzlich befürworten, sehen die Auswirkungen des Lockdowns inzwischen kritisch. Es organisieren sich dort regelrechte Proteste mit je einigen Dutzend Teilnehmern, die sich in Hinterhöfen und Seitenstraßen zusammentun. Videos dieser Proteste werden auf Chinas Sozialmedien rasch gelöscht. Trotzdem gingen zahlreiche empörende Nachrichten und Videos viral, beispielsweise Berichte darüber, dass Coronavirus-positive Kleinkinder von ihren Eltern getrennt worden seien.
Unklarheit besteht derweil darüber, mit wie vielen Fällen die Gesundheitseinrichtungen der Stadt es zu tun haben. Am Sonntag meldeten die Behörden 7.788 neue Fälle, davon alle bis auf 438 ohne Symptome. Diese Zahl wäre angesichts der hochentwickelten Infrastruktur von Shanghai vernachlässigbar. Zugleich mehren sich die Warnungen vor einer Überlastung der Krankenhäuser und der Wichtigkeit der Seucheneindämmung.
Bei exponentieller Ausbreitung würde aus einzelnen Omikron-Fälle innerhalb weniger Wochen eine Welle werden. Das zeigt auch der Trend. Trotz des schon einwöchigen Lockdowns steigen die Zahlen der neu entdeckten Infektionen. Zumindest eine Gesundheitseinrichtung soll sich zudem schon am Limit befinden. China-weit liegt die Zahl der Neuinfektionen mit 13.287 auf dem höchsten Stand seit der Ursprungs-Infektionswelle im Jahr 2020.
Die höchste Führung mischt sich daher zunehmend in das Shanghaier Pandemiemanagement ein. Das Politbüromitglied Sun Chunlan reiste am Samstag in die Stadt und sparte nicht an Rat und Phrasen. Im Auftrag von Xi Jinping betonte sie dort, es “unumgänglich, die dynamisch Null-Covid-Strategie entschlossen und stringent umzusetzen”, um eine schnelle Aufhebung des Lockdowns zu ermöglichen. Sun nahm an Sitzungen der Expertengruppen vor Ort Teil und gab zahlreiche Anweisungen. Sie besuchte auch ein Krankenhaus.
Die Lockdowns in der Stadt ziehen sich derweil hin. Zwar ist die Ausgangssperre in Pudong offiziell aufgehoben, währende Puxi vollständig abgeriegelt ist. Doch auch dort stehen zahlreiche Wohnblocks und Stadtviertel unter Quarantäne. Wenn ein positiv getesteter Fall in einem Planquadrat der Stadt auftaucht, dann tritt dort automatisch eine Verlängerung um eine Woche in Kraft. Am Sonntag forderte die Stadt ihre Bürger auch, zusätzlich zu den Massentests auch Selbsttests zu Hause vorzunehmen, um die letzten Infektionsherde zu finden.
Aus der Nachbarstadt Suzhou, nur 90 Kilometer von Shanghai entfernt, kommen derzeit ominöse Nachrichten. Die örtliche Seuchenkontrollbehörde meldet das Auftreten eine neuen Virus-Subtyps. In einer Probe von einem Patienten habe sich Ende März eine Mutante von Sars-CoV-2 gefunden, die sich von Omikron ableite, aber noch nicht in der internationalen Datenbank von Virus-Daten Gisaid verzeichnet sei, meldet CCTV über Wechat. Suzhou sequenziert derzeit nach eigenen Angaben das Genom aller hereinkommenden Proben. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, im laufenden Betrieb auf Mutationen zu stoßen. Viren mutieren zwar ständig, doch nur wenige der neuen Varianten vermehren sich auch erfolgreich. fin
China sagt die für Ende April geplante Autoshow in Peking ab. Ein neues Datum nannte der Veranstalter nicht. Dieses werde zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben. Die Entwicklung der Corona-Pandemie werde genau beobachtet.
Chinas größte Handelsmasse ist ebenfalls von Covid betroffen. Die Canton Fair in Guangzhou steht in diesem Monat nur im Netz für Anbieter und Käufer offen. Die Firmen stellen ihre Produkte vom 15. bis zum 24. April in Streaming-Events vor. Vor der Pandemie konnten sich Kaufinteressenten in den riesigen Messehallen selbst ein Bild von Aussehen und Qualität der Waren machen.
Kritiker finden, dass der Sinn einer Handelsmesse durch das Online-Format unterlaufen wird – schließlich gibt es reichlich Plattformen für die Online-Vorstellung von Produkten, die ganzjährig verfügbar sind. China will derzeit vor allem die Verbreitung von Omikron im Inland verhindern. Eine große Messe mit über 180.000 Besuchern gilt da als kontraproduktiv. Die Kanton-Messe findet zweimal jährlich statt. fin/rtr
Fu Zhenghua, zuvor ein hoher Kader, wurde aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Er war von 2018 bis 2020 Justizminister. Zuvor war er als Vizeminister für Öffentliche Sicherheit und damit Geheimdienstchef. Seit Oktober liefen Ermittlungen gegen Fu wegen Verstößen gegen die Disziplin (China.Table berichtete). Wie in anderen aktuellen Fällen wurde hier ein Jäger zum Gejagten: Im Jahr 2013 leitete er im Auftrag von Xi Jinping die Korruptionsermittlungen gegen Zhou Yongkang, dem zuvor allmächtigen Sicherheitschef. Fu hat stets besonders streng gegen Regierungskritiker, Anwälte und Aktivisten ermitteln lassen.
Das Beispiel Fu Zhenghua zeigt, dass gerade im Jahr des Parteikongresses kein hoher Politiker vor einem tiefen Sturz sicher ist (China.Table berichtete). Vor anderthalb Wochen wurden auch Ermittlungen gegen Shen Deyong bekannt. Dieser war einst Vizepräsident des Obersten Volksgerichts. fin
“Eigentlich wollte ich Musikerin werden, wie meine Mutter”, sagt Barbara Mittler. Aber ihr Vater, der beruflich in China beschäftigt war, motivierte sie schon als Schülerin, Mandarin zu lernen. Und dann bekam sie einen Studienplatz in Oxford, wo sie in Einzelunterricht lernte, unter anderem Geschichte bei Mark Elvin und klassisches Chinesisch bei Raymond Dawson. “Wir mussten jede Woche einen Aufsatz schreiben und vorlesen. Die Kritik bekamen wir sofort und direkt rechts und links ab”, erinnert sich die 54-Jährige, die heute selbst als Sinologie-Professorin an der Universität Heidelberg ist.
Ihre Leidenschaft für die Musik ist ein Grund dafür, dass Barbara Mittler in ihrer eigenen Arbeit immer schon Lehre, Forschung und den Transfer von Wissen in die Gesellschaft eng miteinander verknüpft hat. Der musikalische Kontakt zwischen Europa und Asien beschäftigte sie zunächst in ihrer Dissertation und später dann auch im Exzellenzcluster “Asien und Europa im globalen Kontext”, aus dem schließlich das “Centrum für Asienwissenschaften und Transkulturelle Studien” (CATS) in Heidelberg entstand. Von der alten zur neuen Seidenstraße, von alten Imperien zum neuen Kolonialismus: “Wir untersuchten hier die Asymmetrien in kulturellen Flüssen – die zum Beispiel in den letzten zweihundert Jahren vornehmlich von West nach Ost gingen, sich jetzt aber wieder einmal umkehren”, erklärt sie. Zwei Jahrhunderte lang sei jetzt Wissen von Europa nach Asien geflossen. Heute wisse China viel mehr über Europa als Europa über China.
Die Sinologie-Professorin nimmt bei ihrer Arbeit immer auch chinesische Perspektiven in den Blick – auch wenn sie manchmal das Gefühl hat, dafür angefeindet zu werden. “China ist kein einfacher Untersuchungsgegenstand und kein einfacher Dialogpartner. Aber wenn ich versuche, China in seiner Vielfalt, die ganz unterschiedliche Stimmen aus Taiwan, Hongkong und Übersee und Gegenwart und Vergangenheit einschließt, zu verstehen, dann heißt das doch nicht, dass ich von ‘China’ gekauft werde”, betont sie.
Barbara Mittler initiiert auch immer wieder Ausstellungen, Konzerte oder Theateraufführungen mit Chinabezug und begleitet diese wissenschaftlich. Ein prominentes Beispiel war die Veranstaltungsreihe “1968 Global – China und die Welt”, die in Filmen, Vorträgen, Ausstellungen und Konzerten und schließlich einer Kammeroper Maos Kulturrevolution in einen globalen Kontext stellte. Mit ihren wissenschaftlichen Ergebnissen möchte sie die Menschen erreichen – in Kunst und Kultur, aber beispielsweise auch in der Schulbildung.
Seit den 2000er-Jahren gibt es das Projekt “China an die Schulen” und es gibt in Heidelberg den Studiengang Chinesisch auf Lehramt. Heute leitet die Professorin die China-Schul-Akademie, die Lehrmaterialien für den Fachunterricht zu China entwickelt, und Fortbildungen für Lehrkräfte sowie ein Zertifikat “China-Kompetenz für die Schule” anbietet.
In ihrem Privatleben ist Barbara Mittler sowohl durch ihre Faszination für China als auch durch ihre Musikbegeisterung motiviert. Wie sie selbst machen auch ihr Mann und ihre Kinder Musik. Einer ihrer Söhne will Hornist werden – und zeigt der Mutter die Grenzen auf: “Wenn ich mit ihm spiele, merke ich deutlich: Er ist der Profi.” Jana Degener-Storr
Michael Kruppe engagiert sich im Vorstand der AHK Shanghai. Kruppe ist seit 2014 Chef des Shanghai New International Expo Center (SNIEC).
Liu Zhengjun wird offenbar neuer Chairman der staatlichen Investmentgesellschaft China Huarong Asset Management. Er kommt von der Citic Group. Huarong hat die Besetzung noch nicht bestätigt.
Was ist dieser Tage das beliebteste Tier in China? Das grüne Pferd natürlich! Denken Sie jetzt bitte nicht, mit mir oder den Chinesen seien die Gäule durchgegangen. Die Erklärung folgt nämlich auf dem Hufe: 绿马 lǜmǎ – wörtlich “grünes Pferd” – ist nämlich ein Wortspiel in Anlehnung an den grünen Covid-Gesundheitscode (健康码 jiànkāngmǎ “Gesundheitscode”), den man in China momentan bei jedem Ausritt vorlegen muss. Springt dieser digitale Passierschein auf grün (绿码 lǜmǎ “grüner Code”) hat man freien Galopp. Zufällig wird der “grüne Code” genauso ausgesprochen wie “grünes Pferd” (natürlich aber mit anderen Schriftzeichen geschrieben). Das hat die Netzgemeinde zu dieser tierischen Metapher inspiriert. Abrufen kann man seinen Freilaufstatus unter anderem im “Gesundheitsschätzchen” (健康宝 jiànkāngbǎo) der Social-Media-App WeChat oder im “Bezahlschätzchen” (支付宝 zhīfùbǎo) der Mobile-Payment-App von Alibaba (diese beiden heißen übrigens wirklich so!).
Wer in China fest im Alltagssattel sitzen will, muss sein “grünes Pferd” hegen und pflegen. Denn ohne Grünpony kein Park- oder Supermarktritt, geschweige denn ein Provinzgrenzen überschreitender Städtetrip. Die chinesische Netzgemeinde nimmt’s mit Humor. Dort machen Memes von liebevoll gepäppelten und fest umarmten grünen Vierhufern die Runde. 抱住绿马 bàozhù lǜmǎ “das grüne Pferd fest umarmen” lautet das Motto. Wieder eine phonetische Anspielung, nämlich an das ähnlich klingende “den grünen Gesundheitscode bewahren” (保住绿码 bǎozhù lǜmǎ).
Rote Pferde dagegen sorgen – anders als am Ballermann oder im deutschen Karneval (“Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt…”) – für Schockstarre statt Polonäse und Partystimmung. Denn springt das “Gesundheitsschätzen” auf “rot” (红码 hóngmǎ “roter Code”), heißt es antraben zum Coronatest (核酸检测 hésuān jiǎncè “Nukleinsäuretest”).
Ohne Pferde kam man als Chinesischlerner übrigens auch schon in Vor-Coronavirus-Zeiten nur schwerlich über die Runden. Das Zeichen 马 (mǎ) ist nämlich eine beliebte Wahl bei der lautlichen Übertragung ausländischer Männervornamen, von Mark (马克 Mǎkè) und Max (马克斯 Mǎkèsī) bis Markus (马尔库斯 Mǎ’ěrkùsī) und Martin (马丁 Mǎdīng). Auch bei Nachnamen wird damit nicht gegeizt, vor allem im Chinesischen selbst. Hier gehören zu den “Promihengsten” zum Beispiel Alibaba-Gründer Jack Ma (马云 Mǎ Yún), Tischtennis-Legende Ma Long (马龙 Mǎ Lóng) oder Tencent-Gründer Ma Huateng (马华腾 Mǎ Huáténg), der sich auch passenderweise gleich den englischen Namen Pony Ma zugelegt hat. Zu den bekanntesten Übersetzungshengsten auf der internationalen Rennbahn zählt zum Beispiel das “Oba-Pferd” (Sie wissen schon – ehemaliger US-Präsident mit Friedensnobelpreis, auf Chinesisch: 奥巴马 Ào-bā-mǎ).
Falls es Sie also mal reitet, ihr Chinesisch zu vertiefen, machen Sie sich auf tierische Überraschungen gefasst. Vielleicht entdecken Sie ja sogar eine neue Passion und galoppieren mit pfiffigem Lernkonzept selbst an eingefleischten Sinologie-Cracks vorbei. Dafür gibt es – Sie werden es schon geahnt haben – auch eine Pferdeallegorie: nämlich das “schwarze Pferd” (黑马 hēimǎ), im Chinesischen ein Synonym für einen Überraschungssieger bzw. siegreichen Außenseiter. Also – auf zu neuen Weiden!
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
der EU-China-Gipfel bestand am Freitag wie befürchtet nur aus der kühlen Wiederholung bekannter Positionen auf beiden Seiten. Hier zeigen sich die Grenzen eines Online-Formats. Es gibt keine Chance für vertrauliche Gespräche am Rande. Ebenso fehlt die Möglichkeit, der anderen Seite noch einmal eindringlich die eigene Sicht der Dinge darzulegen.
Doch dieser Kollateralschaden der Pandemie verblasst derzeit gegen die Situation in Shanghai. In den Quarantänezentren drängen sich die Infizierten dicht an dicht. Die Lebensmittelverteilung verläuft unregelmäßig. So wichtig die Eindämmung der Pandemie ist, so deutlich dort treten gerade organisatorische Schwächen zutage. Für die KP ist das keine gute Nachricht. Wer den Anspruch hat, der Natur zum Wohle der Bürger die Stirn zu bieten, muss auch die Versorgung sicherstellen.
Die Nebenwirkungen der Null-Covid-Strategie sind inzwischen auch Teil der vielen Gründe für Ausländer, China den Rücken zu kehren. Marcel Grzanna hat mit Arbeitnehmern vor Ort und mit Rückkehrern gesprochen. Die Gesellschaft in China wird tendenziell intoleranter, nationalistischer und arroganter. Das Lebensumfeld ist insgesamt schwieriger. Kein Wunder, dass ein Exodus der Expats eingesetzt hat. Die Pandemie ist allerdings nicht die Ursache des Trends, sondern beschleunigt ihn nur.
Mit dem Ende des China-Kapitels in seinem Leben setzte bei Niklas die Erleichterung ein. “Ich bin wirklich froh, dass ich raus bin. Jetzt spüre ich, wie viel Energie diese Zeit tatsächlich gekostet hat”, sagt der Niederländer, der nach 17 Jahren in der Volksrepublik vor zwei Wochen seine Zelte in Shanghai abgebrochen hat.
“Als Ausländer in China zu leben ist inzwischen so, als wenn du die ganze Zeit auf rohen Eiern läufst. Überall lauern Konfrontationen nach dem Muster: Wir gegen euch“, sagt Niklas, der nicht mit vollem Namen zitiert werden möchte. Fast zwei Jahrzehnte lang arbeitete der 48-Jährige in China für internationale Firmen im Bereich Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR). In Shanghai habe er zu Beginn des Jahrhunderts die “goldenen Jahre” erlebt. Wie er sagt, war es vergleichsweise liberal und kosmopolitisch. Damit ist es vorbei.
“Die vergangenen Jahre unter Xi Jinping haben alles verändert“, sagt er. Zunehmend seien Alltagssituationen in politische Diskussionen mit Chinesen:innen gemündet, die der Niederländer nicht führen wollte. Immer wieder wurde er genötigt, zum Verhältnis Chinas zu Europa oder dem Rest der Welt Stellung zu beziehen. “Dabei bin ich ständig mit den gleichen Argumenten konfrontiert worden, ohne Differenzierung aus einer extrem nationalistischen Position”, erzählt Niklas. Kritik an der Volksrepublik sei in solchen Diskussionen immer weniger akzeptiert worden. Das Land entwickle sich zu einer “perfekt abgeschirmten Gesellschaft”.
Wachsender Nationalismus, totalitäre Züge, höhere Steuern und eine zermürbende Null-Covid-Strategie – für viele Staatsangehörige großer Industrienationen hat die Volksrepublik China ihren Zauber als Land der unbegrenzten Möglichkeiten verloren. Zahlreiche Alteingesessene kehren dem Land den Rücken und deutlich weniger Ausländer:innen entscheiden sich für einen langfristigen Aufenthalt.
Tatsächlich haben ausländische Firmen inzwischen Mühe, Leute zu finden, die in der Volksrepublik leben wollen. Die EU-Handelskammer stellt einen massiven Rückgang der Anzahl ausländischer Angestellter fest. Und in Hongkong, wo die örtliche Regierung die Entdemokratisierung extrem beschleunigt hat, schließen viele ausländische Firmen ihre Niederlassungen.
“China ist für Leute in meinem Alter einfach nicht mehr attraktiv”, sagt Stefan Sack, zwischen 2013 und 2016 Vizepräsident der Europäischen Handelskammer in Shanghai. Der 54-Jährige kehrte vor wenigen Monaten nach 16 Jahren in China nach Hamburg zurück. “Vieles ist aus der Balance geraten. Die Gehälter chinesischer Kollegen:innen sind kontinuierlich stark angestiegen, meins aber nicht. Und die anstehende deutliche Erhöhung der Einkommenssteuer für Ausländer verringert die Bezüge”, sagt Sack.
Der frühere Unternehmensberater sieht auch positive Entwicklungen. In der chinesischen Wirtschaft seien die “wilden Jahre” vorbei. Der Staat habe durch Regulierungen deutlich mehr Ordnung geschaffen. Doch Sack nimmt eine fortschreitende Erosion gesellschaftlicher Pluralität wahr. Die Meinungsvielfalt reduziere sich und komme einer “Gleichschaltung” nah.
Ähnliche Beobachtungen macht der Schotte Cameron Wilson. Im Gegensatz zu anderen, die China verlassen haben, lebt der 47-Jährige mit seiner chinesischen Familie weiterhin in Shanghai. Doch er gibt zu, dass seine Frustration enorm gewachsen ist. Jegliche Kritik am Gastgeberland werde heutzutage als das Resultat von Fake-News umgedeutet, die westliche Medien in die Welt setzten. Der Bewegungsspielraum für die Zivilgesellschaft sei dramatisch beschnitten.
Als Beispiel nennt Wilson den Profifußball. Fans dürfen nach einem Sieg nicht mehr vor dem Stadion in Gruppen stehen und gemeinsam feiern. Den Anhängern von Shanghai Shenhua ist es sogar verboten, Stoff-Schildkröten gegen den Erzrivalen Beijing Guo’an ins Stadion mitzunehmen. Die Shanghaier bezeichnen den Hauptstadtklub verächtlich als Schildkröten. Die Behörden entschieden: Die Stofftiere seien unzivilisiert.
Solch kleinliche Einschränkungen wirken belastend. “Wenn Shanghai eine internationale Metropole sein möchte, dann muss es auch ein Minimum an internationalen Standards erfüllen wie Diversität und Inklusion. Aber die Stadt entfernt sich immer weiter davon“, sagt Wilson. Als Ausländer einen Job als Ortskraft zu bekommen, werde immer schwieriger.
All das bleibt nicht ohne Wirkung. “Ich habe mich einfach nicht mehr willkommen gefühlt”, sagt Vuk Dragovic. Der Serbe lebte bis vor wenigen Wochen in Shanghai, wo er als selbstständiger Industriedesigner für internationale Kunden arbeitete. Ein Schlüsselmoment für ihn und seine Frau sei es gewesen, als die Polizei vor seiner Wohnungstür stand und unangemeldet eine Urinprobe verlangte, um ihn auf Drogenkonsum zu testen.
Es kam auch vor, dass er im Künstlerviertel Tianzifang nach seinen Ausweispapieren gefragt und seine Aufenthaltserlaubnis geprüft wurde. “Das habe ich in all den Jahren zuvor nie erlebt”, sagt Dragovic, der nach elf Jahren in der Volksrepublik jetzt in Berlin einen Neuanfang unternimmt. Vor allem nach Ausbruch des Handelskriegs zwischen China und den USA unter Präsident Donald Trump habe er eine wachsende Ablehnung der lokalen Bevölkerung gegen ihn wahrgenommen. Er erlebte, dass Chinesen es vermieden, den gleichen Fahrstuhl wie er zu benutzen.
Auch Europas Ruf sei ramponiert, hat der Niederländer Niklas festgestellt. “Ich habe eine regelrechte Verachtung für Europa gespürt. Wir seien schläfrig, langweilig und chaotisch.” Die zugespitzte Berichterstattung chinesischer Medien über gewalttätige Demonstrationen oder Ausschreitungen in EU-Staaten hätten das Bild eines düsteren Europas, das nicht mehr Herr der Lage sei, weiter verstärkt.
Der Trend zur Entfremdung zwischen lokaler und westlich geprägter Bevölkerung wird durch die unterschiedliche Positionierung Chinas und des Westens im Ukraine-Krieg noch angeheizt. “Es wäre Chinas Zeit, sich auf globaler Bühne Glaubwürdigkeit und Respekt zu verschaffen, nach dem das Land sich so sehnt. Stattdessen werden Verschwörungstheorien als Grundlage für die eigene Politik genutzt”, sagt Wilson. In der Konsequenz werde Chinas externe Kommunikation immer aggressiver.
Der frühere Kammer-Vizepräsident Stefan Sack sieht in den politischen Tendenzen einen guten Grund, das Land zu verlassen. Er fürchtet eine chinesische Invasion Taiwans binnen der kommenden fünf Jahre. “Wenn es so weit kommen sollte, dann würde ich als Staatsbürger eines Nato-Mitgliedes nicht mehr in China sein wollen, als Amerikaner schon gar nicht”, sagt Sack.
Elisabeth Liu ist Amerikanerin und lebt seit über anderthalb Jahrzehnten in Shanghai. Sie ist Mutter von vier Kindern. Ihr Ehemann kommt aus Singapur. Ihr ursprünglicher Plan war es, in fünf Jahren in ihre Heimat Texas zurückkehren. Jetzt will sie die Volksrepublik noch in diesem Jahr verlassen. Ein Grund auch hier: die Sorge vor einem Krieg mit Taiwan.
Die kompromisslose Coronavirus-Politik in Shanghai tat jetzt ihr Übriges. Seit Wochen macht sie ihrem Unverständnis für die Art und Weise des Gesundheits-Managements mit Galgenhumor über Sozialmedien Luft. Kürzlich postete sie eine Sprachnachricht ihres Mannes, der “gute Nachrichten” meldete. Ihm sei es gelungen, ein paar Tomaten, sechs Karotten und zwei Brokkoli aufzutreiben. Liu: “Ganz ehrlich, ich hoffe, dass ich das hier alles vergessen werde und einfach mit meinem Leben weitermachen kann.”
Schon 15 Minuten nach dem Treffen von Chinas Staats- und Regierungschef Xi Jinping mit den EU-Vertretern hatte die chinesische Seite bereits die erste Mitteilung mit Zitaten veröffentlicht: Die Volksrepublik hoffe, dass Europa ein eigenständiges China-Verständnis formuliert, eine eigenständige China-Politik aufrechterhält und gemeinsam stabile China-EU-Beziehungen vorantreibt, hieß es darin. Xi sprach über die Corona-Pandemie und globale wirtschaftliche Herausforderungen. Die “Ukraine-Krise” wurde erst am Ende der Mitteilung erwähnt.
Die frühe Veröffentlichung des Statements überraschte kaum. Sie zeigte, was eigentlich schon vor dem 23. EU-China-Gipfel am Freitag klar war. Die chinesische Führung wird sich nicht viel in ihrer Position bewegen. Das gilt vor allem bei dem für Brüssel mit brennender Priorität besprochenem Thema des Ukraine-Kriegs. Die Europäische Union wollte bei dem virtuellen Gipfeltreffen erneut Druck auf Peking wegen Chinas umstrittener Rückendeckung für Russland aufbauen – mit mäßigem Erfolg.
Das Gespräch sei “freimütig” gewesen, hieß es von der EU-Seite nach dem Video-Telefonat mit Xi. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel fanden nach eigenen Angaben deutliche Worte und warnten China vor der Unterstützung Moskaus. “Kein europäischer Bürger würde es verstehen, wenn es irgendeine Unterstützung für Russlands Fähigkeit geben würde, Krieg zu führen”, sagte die Kommissionspräsidentin nach den Gesprächen. “Das würde China hier in Europa einen großen Reputationsschaden zufügen.” Das Land trage auch als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat eine besondere Verantwortung, betonte von der Leyen.
Indirekt drohte die EU-Kommissionschefin Peking auch Konsequenzen: “Es ist klar, dass der russische Einmarsch in die Ukraine nicht nur ein entscheidender Moment für unseren Kontinent, sondern auch für unser Verhältnis zum Rest der Welt ist.” EU-Ratspräsident Michel ergänzte: “Wir haben China aufgefordert, einen Beitrag zum Ende des Krieges in der Ukraine zu leisten.” China könne den Völkerrechtsverstoß Russlands nicht ignorieren.
Öffentlich äußerte sich die EU-Führung klarer zu den Erwartungen an China wegen der Sanktionen gegen Russland: “Wir erwarten nicht, dass China unsere Sanktionen gegen Russland unterstützt, aber wir erwarten, dass es sie nicht behindert!”, betonten von der Leyen und Michel mit denselben Worten. EU-Beamten zufolge sei Xi auch ans Herz gelegt worden, mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sprechen.
Nach der schnellen ersten Mitteilung der chinesischen Seite dauerte es am Freitag einige Zeit, bis ein zweites Statement veröffentlicht wurde. In diesem ging Xi näher auf die Ukraine ein – und schob erneut dem Westen die Schuld an dem Konflikt zu: Er warnte davor, “Öl ins Feuer zu gießen und die Spannungen anzuheizen”. Die Grundursache der Ukraine-Krise seien “regionale Sicherheitsspannungen in Europa, die sich über Jahre aufgebaut haben”, so Xi. “In diesem Zeitalter sollten globale Sicherheitsrahmen nicht mehr auf einer Mentalität des Kalten Krieges aufgebaut sein.”
Vor allem mit der zweiten Mitteilung wurde klar: Den Gipfelteilnehmern ist es nicht gelungen, sich bei der Reaktion auf die Ukraine-Invasion anzunähern. “Systemische Rivalität ist eine neue Realität”, schlussfolgert die Direktorin des Asia-Programms am Thinktank ECFR, Janka Oertel, zu dem Treffen. “Es gab wenig Einigkeit zwischen den beiden Seiten und das Gespräch war weit davon entfernt, ‘business as usual’ zu sein.” Stattdessen gab es einen “Austausch gegensätzlicher Ansichten”. Beim Standpunkt zu den Strafmaßnahmen gegen Moskau habe Brüssel aber deutliche Worte gefunden, so Oertel. “Wenn China das verhängte Sanktionsregime offen untergräbt, wird das Konsequenzen haben. Das könnte jetzt nicht klarer sein.”
Diese Botschaft hatten die G7-, Nato- und EU-Staaten bereits unisono beim Gipfelmarathon vor eineinhalb Wochen (China.Table berichtete) in Richtung Peking entsandt. Washington hatte ein genaues Auge auf das Treffen am Freitag. “In Washington hat man das Gefühl, dass die USA und die EU sich in ihrer Einschätzung der Herausforderung China derzeit so nahe kommen wie nie zuvor”, meint Außenpolitik-Experte Noah Barkin vom Berliner Büro des German Marshall Fund (GMF).
Der Gipfel am Freitag habe dieses Gefühl noch bestärkt, so Barkin. Auf beiden Seiten des Atlantiks nehme man die Annäherung Chinas und Russlands als Bedrohung war. Als sich Putin und Xi im Februar der unbegrenzten Kooperation versichert haben, habe das die Wahrnehmung nachhaltig verschoben. “Das war auch die Botschaft des Gipfels”, so Barkin. “Unklar ist aber noch, ob die Zeitenwende, die Olaf Scholz ausgerufen hat, einen geopolitischen Wendepunkt markiert oder ob sie nur für Russland gilt.” Die USA hoffen nun auf Signale aus Berlin, dass die Neubewertung in Berlin auch China betrifft.
Von der Leyen und Michel sprachen am Freitagvormittag auch mit Premier Li Keqiang. China sei grundsätzlich gegen “die Teilung in Blöcke und Parteinahmen”, so Li. Die Volksrepublik wolle mit der EU und der Welt zusammenarbeiten, sagte der Premier. Allerdings werde sich sein Land “auf seine eigene Art” für den Frieden einsetzen.
Im Gespräch mit Li habe man deutlich gemacht, dass eine Reihe von Differenzen angegangen werden müssten, betonte die EU-Seite. Als Beispiele nannte von der Leyen bei der anschließenden Pressekonferenz die von Peking verhängten Sanktionen gegen Mitglieder des EU-Parlaments, den eingeschränkten Zugang europäischer Unternehmen zum chinesischen Markt, Menschenrechtsfragen und die Handelsblockade Chinas gegen Litauen (China.Table berichtete). Konkrete Fortschritte bei der Beilegung dieser Differenzen gab es nicht.
Dabei habe China gerade im Dreieck EU-China-USA gerade ein Interesse daran, Brüssel positiv zu stimmen und damit eine engere Bindung an die USA zu vermeiden, sagt Thomas des Garets Geddes, Research Fellow beim deutschen Thinktank Merics: “Die USA sind seit langem Chinas am meisten gefürchteter und verachteter Gegner, nicht die EU.” Deshalb würden viele Analysten Chinas einräumen, dass die EU innerhalb des Dreiecks derzeit in einer relativ günstigen Position sei, so der Experte. “Es würde mich nicht überraschen, wenn China bereit wäre, einiges für die EU zu tun, damit sie nicht zu sehr in Richtung USA abdriftet.” Die Volksrepublik sei interessiert an der Neutralität oder strategischen Autonomie der EU, so des Garets Geddes. “Das wäre für China extrem wichtig.” Mitarbeit: Christiane Kühl
In Shanghai wird es zunehmend schwer, an Lebensmittel zu kommen. Zwar lässt die Stadtverwaltung über die Ortskomitees Tüten mit Grundnahrungsmitteln verteilen. Doch die sonst üblichen Bestellungen bei Supermärkten sind wegen der hohen Nachfrage und Versorgungsengpässen fast nicht mehr möglich. Die Zahl der Lieferfahrer ist merklich geringer als im Normalbetrieb. Viele Haushalte müssen sich daher derzeit massiv einschränken. Die besten Chancen für erfolgreiche Lieferungen ergeben sich aus Sammelbestellungen ganzer Nachbarschaften.
Auch viele Bürger, die eine strikte Pandemiepolitik grundsätzlich befürworten, sehen die Auswirkungen des Lockdowns inzwischen kritisch. Es organisieren sich dort regelrechte Proteste mit je einigen Dutzend Teilnehmern, die sich in Hinterhöfen und Seitenstraßen zusammentun. Videos dieser Proteste werden auf Chinas Sozialmedien rasch gelöscht. Trotzdem gingen zahlreiche empörende Nachrichten und Videos viral, beispielsweise Berichte darüber, dass Coronavirus-positive Kleinkinder von ihren Eltern getrennt worden seien.
Unklarheit besteht derweil darüber, mit wie vielen Fällen die Gesundheitseinrichtungen der Stadt es zu tun haben. Am Sonntag meldeten die Behörden 7.788 neue Fälle, davon alle bis auf 438 ohne Symptome. Diese Zahl wäre angesichts der hochentwickelten Infrastruktur von Shanghai vernachlässigbar. Zugleich mehren sich die Warnungen vor einer Überlastung der Krankenhäuser und der Wichtigkeit der Seucheneindämmung.
Bei exponentieller Ausbreitung würde aus einzelnen Omikron-Fälle innerhalb weniger Wochen eine Welle werden. Das zeigt auch der Trend. Trotz des schon einwöchigen Lockdowns steigen die Zahlen der neu entdeckten Infektionen. Zumindest eine Gesundheitseinrichtung soll sich zudem schon am Limit befinden. China-weit liegt die Zahl der Neuinfektionen mit 13.287 auf dem höchsten Stand seit der Ursprungs-Infektionswelle im Jahr 2020.
Die höchste Führung mischt sich daher zunehmend in das Shanghaier Pandemiemanagement ein. Das Politbüromitglied Sun Chunlan reiste am Samstag in die Stadt und sparte nicht an Rat und Phrasen. Im Auftrag von Xi Jinping betonte sie dort, es “unumgänglich, die dynamisch Null-Covid-Strategie entschlossen und stringent umzusetzen”, um eine schnelle Aufhebung des Lockdowns zu ermöglichen. Sun nahm an Sitzungen der Expertengruppen vor Ort Teil und gab zahlreiche Anweisungen. Sie besuchte auch ein Krankenhaus.
Die Lockdowns in der Stadt ziehen sich derweil hin. Zwar ist die Ausgangssperre in Pudong offiziell aufgehoben, währende Puxi vollständig abgeriegelt ist. Doch auch dort stehen zahlreiche Wohnblocks und Stadtviertel unter Quarantäne. Wenn ein positiv getesteter Fall in einem Planquadrat der Stadt auftaucht, dann tritt dort automatisch eine Verlängerung um eine Woche in Kraft. Am Sonntag forderte die Stadt ihre Bürger auch, zusätzlich zu den Massentests auch Selbsttests zu Hause vorzunehmen, um die letzten Infektionsherde zu finden.
Aus der Nachbarstadt Suzhou, nur 90 Kilometer von Shanghai entfernt, kommen derzeit ominöse Nachrichten. Die örtliche Seuchenkontrollbehörde meldet das Auftreten eine neuen Virus-Subtyps. In einer Probe von einem Patienten habe sich Ende März eine Mutante von Sars-CoV-2 gefunden, die sich von Omikron ableite, aber noch nicht in der internationalen Datenbank von Virus-Daten Gisaid verzeichnet sei, meldet CCTV über Wechat. Suzhou sequenziert derzeit nach eigenen Angaben das Genom aller hereinkommenden Proben. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, im laufenden Betrieb auf Mutationen zu stoßen. Viren mutieren zwar ständig, doch nur wenige der neuen Varianten vermehren sich auch erfolgreich. fin
China sagt die für Ende April geplante Autoshow in Peking ab. Ein neues Datum nannte der Veranstalter nicht. Dieses werde zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben. Die Entwicklung der Corona-Pandemie werde genau beobachtet.
Chinas größte Handelsmasse ist ebenfalls von Covid betroffen. Die Canton Fair in Guangzhou steht in diesem Monat nur im Netz für Anbieter und Käufer offen. Die Firmen stellen ihre Produkte vom 15. bis zum 24. April in Streaming-Events vor. Vor der Pandemie konnten sich Kaufinteressenten in den riesigen Messehallen selbst ein Bild von Aussehen und Qualität der Waren machen.
Kritiker finden, dass der Sinn einer Handelsmesse durch das Online-Format unterlaufen wird – schließlich gibt es reichlich Plattformen für die Online-Vorstellung von Produkten, die ganzjährig verfügbar sind. China will derzeit vor allem die Verbreitung von Omikron im Inland verhindern. Eine große Messe mit über 180.000 Besuchern gilt da als kontraproduktiv. Die Kanton-Messe findet zweimal jährlich statt. fin/rtr
Fu Zhenghua, zuvor ein hoher Kader, wurde aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Er war von 2018 bis 2020 Justizminister. Zuvor war er als Vizeminister für Öffentliche Sicherheit und damit Geheimdienstchef. Seit Oktober liefen Ermittlungen gegen Fu wegen Verstößen gegen die Disziplin (China.Table berichtete). Wie in anderen aktuellen Fällen wurde hier ein Jäger zum Gejagten: Im Jahr 2013 leitete er im Auftrag von Xi Jinping die Korruptionsermittlungen gegen Zhou Yongkang, dem zuvor allmächtigen Sicherheitschef. Fu hat stets besonders streng gegen Regierungskritiker, Anwälte und Aktivisten ermitteln lassen.
Das Beispiel Fu Zhenghua zeigt, dass gerade im Jahr des Parteikongresses kein hoher Politiker vor einem tiefen Sturz sicher ist (China.Table berichtete). Vor anderthalb Wochen wurden auch Ermittlungen gegen Shen Deyong bekannt. Dieser war einst Vizepräsident des Obersten Volksgerichts. fin
“Eigentlich wollte ich Musikerin werden, wie meine Mutter”, sagt Barbara Mittler. Aber ihr Vater, der beruflich in China beschäftigt war, motivierte sie schon als Schülerin, Mandarin zu lernen. Und dann bekam sie einen Studienplatz in Oxford, wo sie in Einzelunterricht lernte, unter anderem Geschichte bei Mark Elvin und klassisches Chinesisch bei Raymond Dawson. “Wir mussten jede Woche einen Aufsatz schreiben und vorlesen. Die Kritik bekamen wir sofort und direkt rechts und links ab”, erinnert sich die 54-Jährige, die heute selbst als Sinologie-Professorin an der Universität Heidelberg ist.
Ihre Leidenschaft für die Musik ist ein Grund dafür, dass Barbara Mittler in ihrer eigenen Arbeit immer schon Lehre, Forschung und den Transfer von Wissen in die Gesellschaft eng miteinander verknüpft hat. Der musikalische Kontakt zwischen Europa und Asien beschäftigte sie zunächst in ihrer Dissertation und später dann auch im Exzellenzcluster “Asien und Europa im globalen Kontext”, aus dem schließlich das “Centrum für Asienwissenschaften und Transkulturelle Studien” (CATS) in Heidelberg entstand. Von der alten zur neuen Seidenstraße, von alten Imperien zum neuen Kolonialismus: “Wir untersuchten hier die Asymmetrien in kulturellen Flüssen – die zum Beispiel in den letzten zweihundert Jahren vornehmlich von West nach Ost gingen, sich jetzt aber wieder einmal umkehren”, erklärt sie. Zwei Jahrhunderte lang sei jetzt Wissen von Europa nach Asien geflossen. Heute wisse China viel mehr über Europa als Europa über China.
Die Sinologie-Professorin nimmt bei ihrer Arbeit immer auch chinesische Perspektiven in den Blick – auch wenn sie manchmal das Gefühl hat, dafür angefeindet zu werden. “China ist kein einfacher Untersuchungsgegenstand und kein einfacher Dialogpartner. Aber wenn ich versuche, China in seiner Vielfalt, die ganz unterschiedliche Stimmen aus Taiwan, Hongkong und Übersee und Gegenwart und Vergangenheit einschließt, zu verstehen, dann heißt das doch nicht, dass ich von ‘China’ gekauft werde”, betont sie.
Barbara Mittler initiiert auch immer wieder Ausstellungen, Konzerte oder Theateraufführungen mit Chinabezug und begleitet diese wissenschaftlich. Ein prominentes Beispiel war die Veranstaltungsreihe “1968 Global – China und die Welt”, die in Filmen, Vorträgen, Ausstellungen und Konzerten und schließlich einer Kammeroper Maos Kulturrevolution in einen globalen Kontext stellte. Mit ihren wissenschaftlichen Ergebnissen möchte sie die Menschen erreichen – in Kunst und Kultur, aber beispielsweise auch in der Schulbildung.
Seit den 2000er-Jahren gibt es das Projekt “China an die Schulen” und es gibt in Heidelberg den Studiengang Chinesisch auf Lehramt. Heute leitet die Professorin die China-Schul-Akademie, die Lehrmaterialien für den Fachunterricht zu China entwickelt, und Fortbildungen für Lehrkräfte sowie ein Zertifikat “China-Kompetenz für die Schule” anbietet.
In ihrem Privatleben ist Barbara Mittler sowohl durch ihre Faszination für China als auch durch ihre Musikbegeisterung motiviert. Wie sie selbst machen auch ihr Mann und ihre Kinder Musik. Einer ihrer Söhne will Hornist werden – und zeigt der Mutter die Grenzen auf: “Wenn ich mit ihm spiele, merke ich deutlich: Er ist der Profi.” Jana Degener-Storr
Michael Kruppe engagiert sich im Vorstand der AHK Shanghai. Kruppe ist seit 2014 Chef des Shanghai New International Expo Center (SNIEC).
Liu Zhengjun wird offenbar neuer Chairman der staatlichen Investmentgesellschaft China Huarong Asset Management. Er kommt von der Citic Group. Huarong hat die Besetzung noch nicht bestätigt.
Was ist dieser Tage das beliebteste Tier in China? Das grüne Pferd natürlich! Denken Sie jetzt bitte nicht, mit mir oder den Chinesen seien die Gäule durchgegangen. Die Erklärung folgt nämlich auf dem Hufe: 绿马 lǜmǎ – wörtlich “grünes Pferd” – ist nämlich ein Wortspiel in Anlehnung an den grünen Covid-Gesundheitscode (健康码 jiànkāngmǎ “Gesundheitscode”), den man in China momentan bei jedem Ausritt vorlegen muss. Springt dieser digitale Passierschein auf grün (绿码 lǜmǎ “grüner Code”) hat man freien Galopp. Zufällig wird der “grüne Code” genauso ausgesprochen wie “grünes Pferd” (natürlich aber mit anderen Schriftzeichen geschrieben). Das hat die Netzgemeinde zu dieser tierischen Metapher inspiriert. Abrufen kann man seinen Freilaufstatus unter anderem im “Gesundheitsschätzchen” (健康宝 jiànkāngbǎo) der Social-Media-App WeChat oder im “Bezahlschätzchen” (支付宝 zhīfùbǎo) der Mobile-Payment-App von Alibaba (diese beiden heißen übrigens wirklich so!).
Wer in China fest im Alltagssattel sitzen will, muss sein “grünes Pferd” hegen und pflegen. Denn ohne Grünpony kein Park- oder Supermarktritt, geschweige denn ein Provinzgrenzen überschreitender Städtetrip. Die chinesische Netzgemeinde nimmt’s mit Humor. Dort machen Memes von liebevoll gepäppelten und fest umarmten grünen Vierhufern die Runde. 抱住绿马 bàozhù lǜmǎ “das grüne Pferd fest umarmen” lautet das Motto. Wieder eine phonetische Anspielung, nämlich an das ähnlich klingende “den grünen Gesundheitscode bewahren” (保住绿码 bǎozhù lǜmǎ).
Rote Pferde dagegen sorgen – anders als am Ballermann oder im deutschen Karneval (“Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt…”) – für Schockstarre statt Polonäse und Partystimmung. Denn springt das “Gesundheitsschätzen” auf “rot” (红码 hóngmǎ “roter Code”), heißt es antraben zum Coronatest (核酸检测 hésuān jiǎncè “Nukleinsäuretest”).
Ohne Pferde kam man als Chinesischlerner übrigens auch schon in Vor-Coronavirus-Zeiten nur schwerlich über die Runden. Das Zeichen 马 (mǎ) ist nämlich eine beliebte Wahl bei der lautlichen Übertragung ausländischer Männervornamen, von Mark (马克 Mǎkè) und Max (马克斯 Mǎkèsī) bis Markus (马尔库斯 Mǎ’ěrkùsī) und Martin (马丁 Mǎdīng). Auch bei Nachnamen wird damit nicht gegeizt, vor allem im Chinesischen selbst. Hier gehören zu den “Promihengsten” zum Beispiel Alibaba-Gründer Jack Ma (马云 Mǎ Yún), Tischtennis-Legende Ma Long (马龙 Mǎ Lóng) oder Tencent-Gründer Ma Huateng (马华腾 Mǎ Huáténg), der sich auch passenderweise gleich den englischen Namen Pony Ma zugelegt hat. Zu den bekanntesten Übersetzungshengsten auf der internationalen Rennbahn zählt zum Beispiel das “Oba-Pferd” (Sie wissen schon – ehemaliger US-Präsident mit Friedensnobelpreis, auf Chinesisch: 奥巴马 Ào-bā-mǎ).
Falls es Sie also mal reitet, ihr Chinesisch zu vertiefen, machen Sie sich auf tierische Überraschungen gefasst. Vielleicht entdecken Sie ja sogar eine neue Passion und galoppieren mit pfiffigem Lernkonzept selbst an eingefleischten Sinologie-Cracks vorbei. Dafür gibt es – Sie werden es schon geahnt haben – auch eine Pferdeallegorie: nämlich das “schwarze Pferd” (黑马 hēimǎ), im Chinesischen ein Synonym für einen Überraschungssieger bzw. siegreichen Außenseiter. Also – auf zu neuen Weiden!
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.