der Besuch von Bildungsministerin Stark-Watzinger in Taiwan beschäftigt uns heute im Nachgang sogar zweifach. Die ehemalige taiwanische Kulturministerin Lung Ying-tai äußert sich im Interview mit Fabian Peltsch skeptisch, ob solche Besuche überhaupt zielführend sind. Sie sieht die Visiten als Teil eines großen Theaterstücks, in dem die USA und China die Hauptrollen spielen. “Taiwan hat darin nicht viel zu sagen”, fürchtet Lung.
Das Gespräch mit Lung bezieht sich nicht direkt auf die FDP-Ministerin und ist schon vor ihrem Besuch entstanden. In Hinblick auf den Polit-Tourismus klagt sie jedoch allgemein: Wenn jetzt “all diese ausländischen Delegationen und Korrespondenten auf die Insel schwärmen, weil unsere Heimat die Frontlinie geworden ist”, dann verkennen sie, dass Taiwan schon seit 70 Jahren bedroht ist.
Der Sinologe Björn Alpermann wendet sich in einem Gastbeitrag gegen eine weitere Fehlinterpretation der Reise Stark-Watzingers. Die Ministerin habe keineswegs vor, die deutschen Sinologie durch engere Kontakte mit Taiwan von vermeintlicher Kuschelei mit der Volksrepublik abzubringen. Dahinter steckt eine laufende Debatte über die Unabhängigkeit deutscher Chinaforscherinnen und -forscher. Alpermann stellt klar: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind mehrheitlich nicht von chinesischen Fördermitteln abhängig und agieren weiterhin unabhängig.
Die Reisediplomatie geht derweil weiter. Zwar hat der brasilianische Präsident Lula seine geplante Peking-Reise abgesagt. Dafür haben sich nun nach Spaniens Premier Sánchez auch Frankreichs Präsident Macron und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei Xi Jinping angekündigt. Die hohe Präsidentendichte ist kein Zufall, analysiert Fabian Kretschmer. Xi hat die diplomatische Isolation erfolgreich durchbrochen, in die er sein Land zeitweilig manövriert hatte. Während die Vertreter der EU bei Xi um ihre Positionen werben, punktet dieser im globalen Süden umso üppiger. Die Botschaft von einer Alternative zum arroganten Westen kommt besser an denn je.
Einen produktiven Start in die Woche!
Ihre Bücher und Essays werden seit 40 Jahren von chinesischsprachigen Menschen auf der ganzen Welt gelesen. Auch auf dem Festland gehören sie zu den bekanntesten Autorinnen. 2019 wurden ihre Bücher dort jedoch verboten. Wie kam es dazu?
Schon vor 2019 waren bestimmte Bücher von mir auf dem Festland verboten, zum Beispiel “Big River Big Sea: Untold Stories of 1949”, ein Buch über den chinesischen Bürgerkrieg, der ja bis heute anhält. 2019 schrieb ich einen kurzen Artikel in Verteidigung der Hongkonger Proteste, und das führte dazu, dass all meine Bücher aus den Regalen der Buchläden und Schulbibliotheken entfernt wurden. Das hatte ich erwartet. Aber ich bekomme immer noch Mails und Briefe von Lesern aus China. Sie benutzen einen VPN, um mir zum Beispiel Nachrichten über Facebook zu senden. Verglichen mit der Zeit vor 2019 ist es natürlich um einiges weniger geworden.
Sie haben sich in vielen Ihrer Bücher darum bemüht, den Taiwanern eine Stimme zu geben. Wie empfinden Sie die derzeitige geopolitische Aufmerksamkeit, die Taiwan bekommt? Sind ausländische Delegationen, die Präsidentin Tsai Ing-wen die Hand schütteln wollen, eher ein Fluch oder ein Segen für die Sicherheit der Insel?
Das alles entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Wegen Streitigkeiten mit China wurde Taiwan 50 Jahre lang von der internationalen Gemeinschaft isoliert. Und jetzt schwärmen all diese ausländischen Delegationen und Korrespondenten auf die Insel, weil unsere Heimat die “Frontlinie” geworden ist, oder wie der Economist schrieb: “der gefährlichste Ort der Welt”. Ist das nun ein Fluch oder ein Segen?
Der Besuch von Nancy Pelosi war nur ein Akt in einem größeren Theaterstück. Die beiden Hauptdarsteller in diesem Stück sind die USA und China. Taiwan hat darin nicht viel zu sagen. Ja, die Gefahr einer Invasion ist real. Sie war nicht mehr so real seit den 1950er-Jahren. Aber wie nah sie wirklich ist, kann niemand vorhersagen. Es sind zu viele Faktoren involviert. Wir wissen nicht, wie sich die Beziehungen zwischen den USA und China fortentwickeln. Wir wissen nicht, wie der Krieg in der Ukraine ausgehen wird. Wie sich dieser Krieg weiter entwickelt, wird große Auswirkungen auf das Schicksal Taiwans haben.
Fühlen sich die Taiwaner heute so bedroht wie nie?
Außenseitern ist oft nicht klar, dass sich Taiwan seit 70 Jahren an der Front befindet. Wir sind in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass jederzeit ein Krieg ausbrechen kann. Besonders meine Generation – ich wurde in den 1950er-Jahren geboren – wuchs mit der Mentalität von Belagerten heran. Schauen Sie auf den Ozean vor uns: Taiwan ist von Wasser umgeben, aber viele Taiwaner können nicht schwimmen. Warum? Als Kinder haben wir uns nicht getraut, am Strand zu spielen, geschweige denn ins Wasser zu springen. Die 1.200 Kilometer lange Küstenlinie war eine militärische Zone, die von Soldaten bewacht wurde, die Gewehre und Bajonette trugen. Kindern wurde gesagt, sie sollen sich vom Strand fernhalten, weil Froschmänner aus China über die Meerenge schwimmen und uns mit einem Messer zwischen den Zähnen anspringen könnten. Bis heute sind viele Zugänge zum Wasser nicht öffentlich. Spuren der Belagerungs-Mentalität finden sich überall.
Fühlen sich die Menschen also jetzt gerade bedrohter als zuvor? Ja und Nein. Mehrere Generationen leben nun schon so lange mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein Krieg ausbricht, dass viele Menschen taub für die Realität geworden sind. Wie kann man sich auch 70 Jahre in Alarmbereitschaft befinden? Taiwan ist nun schon lange eine friedliche und florierende Gesellschaft, da wird es immer schwieriger, sich einen Krieg vorzustellen. Ja, die Menschen sind sich der Gefahr bewusst, aber sie fühlt sich für sie auch irreal an.
Die Regierung möchte den Militärdienst verlängern. Gleichzeitig formieren sich zivile Verteidigungsgruppen wie die “Forward Alliance”, um Taiwans Bürger besser auf einen möglichen Angriff vom Festland vorzubereiten.
Die Verlängerung der Wehrpflicht erfolgte vermutlich eher auf Druck der USA als auf Wunsch der taiwanischen Bürger. Die Selbstverteidigungsorganisationen, von der Sie sprechen, werden tatsächlich immer mehr. Da ist zum Beispiel die sogenannte “Black Bear Academy”, die von einem reichen Geschäftsmann gegründet wurde, der der Meinung ist, Taiwan müsse die Chinesen bis auf den Tod bekämpfen. Die Gruppe bildet jeden aus, der sich auf ein Gefecht vorbereiten möchte. Für die meisten Menschen bleibt eine friedliche Lösung jedoch nach wie vor das Hauptziel und ein Krieg bleibt schwer vorstellbar. Und das gilt vermutlich auch für die taiwanische Regierung. 2022 hat das Verteidigungsministerium eine Richtlinie für nationale Notfälle herausgegeben, worunter auch ein Kriegsfall fällt. Im Falle eines Stromausfalls, so heißt es da, solle man die Service-Hotline des Stromversorgers Taiwan Power anrufen. Die ganze Sache wurde zum Witz.
Glauben Sie, die Taiwaner würden sich gegen China im Falle eines Angriffs mit ebenso vereinigten Kräften wehren wie die Ukrainer gegen die russischen Invasoren?
Wenn es darum geht, tatsächlich zu den Waffen zu greifen, habe ich meine Zweifel. Der Glaube an das demokratische System und den taiwanischen Way of Life sind Konsens in Taiwan. Aber wie man dieses System schützt und den Way of Life aufrechterhält, darüber sind sich die Menschen uneinig.
Dass die Taiwaner noch immer sehr geteilt sind, liegt an unserer Geschichte, die bestimmte Erinnerungen hinterlassen hat. Es gibt Menschen, die sich vollkommen von China entfremdet fühlen und die sich der Unabhängigkeit Taiwans verschrieben haben, koste es was es wolle. Dann gibt es Menschen, die denken, dass die Chinesen und die Taiwaner trotz aller ideologischen Unterschiede Brüder und Schwestern sind und dass ein Krieg unter allen Umständen verhindert werden muss. Es gibt Menschen, die für mehr gegenseitiges Verständnis über die Taiwan-Straße hinweg werben. Sie machen die derzeitige Regierung dafür verantwortlich, Taiwan an die Schwelle eines Krieges gebracht zu haben. Und dann gibt es Menschen, die glauben, dass die USA schuld an der Krise sind und dass Taiwan das Opfer in einem hegemonialen Spiels ist. Nicht zuletzt gibt es noch die Bauern und Fischer. Für viele von ihnen ist es vor allem wichtig, viel zu produzieren und zu fangen und an die Märkte Chinas zu verkaufen. Sie finden es nicht wichtig, welche Flagge über ihren Köpfen weht, solange ihr Lebensunterhalt gesichert ist und ihre Kinder in Sicherheit sind.
Auf welcher Seite sehen Sie sich selbst?
Ich bin gegen Krieg. Egal wie. Und für diese Position wurde ich online massiv angefeindet. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Taiwan sich bewaffnet, um eine wirksame Abschreckung zu erreichen. Wir sollten aber nie vergessen, dass Abschreckung nur Teil eines größeren und ehrlichen Bemühens sein kann, einen Krieg zu vermeiden. Im Moment wird nur darüber gesprochen, zur Abschreckung aufzurüsten. Wenig oder gar keine Aufmerksamkeit wird darauf verwendet, wie man einen Krieg verhindert.
Würden Sie sich wünschen, dass die Rolle der USA in diesem Konflikt stärker diskutiert würde?
Die Position der USA ist, dass Taiwan sich bis an die Zähne bewaffnen muss. Um das zu erreichen, muss Taiwan Waffen von den USA kaufen. Und die USA wollen eine Menge Waffen an Taiwan verkaufen. Wenn du dich aber nur darauf konzentrierst, dein Militär auszubauen, ohne etwa Anstrengungen zum Verhandeln zu unternehmen, dann befindest du dich auf einem gefährlichen Weg. Unter einer anderen Regierung hatte Taiwan funktionierende Beziehungen zu China, was Strafverfolgung, Handelsabkommen und viele andere Bereiche betraf. Aber so wie es gerade läuft und seit einer Weile verfolgt wird, soll die Insel in eine Art Stachelschwein verwandelt werden. Das bereitet mir große Sorgen.
Welche Hoffnungen setzen Sie in Verhandlungen mit China?
Das Leben besteht nicht nur aus Politik. Was ist mit der Öffnung von Häfen oder der Einrichtung von Direktflügen? Über eine Million Taiwaner lebt in China. Wenn man ihre Familienmitglieder dazuzählt, kommt man auf vier bis fünf Millionen Taiwaner, bei einer Gesamtbevölkerung von 23 Millionen, die eine nahestehende Person haben, die in China wohnt oder arbeitet. Wie wäre es, wenn man mehr Flughäfen öffnen würde, damit diese Menschen es einfacher haben, nach Hause zu reisen? Wie wäre es, wenn man mehr chinesischen Studenten erlauben würde, nach Taiwan zum Studieren zu kommen? Wie wäre es, mehr Touristen willkommen zu heißen? Wie wäre es, chinesische Schriftsteller und Künstler und für kulturelle Austauschprogramme einzuladen? Natürlich muss das in beide Richtungen geschehen. Viele Barrieren wurden von chinesischer Seite aufgebaut. Aber, was ich meine ist, dass sich China und Taiwan nicht in einer Spirale der Feindlichkeit verfangen sollten. Guter Wille und sanfte Kommunikation können einen Krieg verhindern.
Wie empfanden Sie die Proteste junger Menschen in Hongkong 2019 und in China Ende vergangenen Jahres? Sollten jüngere Generationen in Taiwan, Hongkong und China mehr miteinander in Kontakt treten? Viele von Ihnen teilen offenbar die gleichen Ideale, wie etwa Meinungsfreiheit.
Es gab weitreichendes und robustes Networking zwischen jungen Menschen in Taiwan und Hongkong während der Proteste in Hongkong. Viele der Hongkonger, die an der Bewegung mitwirkten, sind nun in Taiwan im Exil. Nicht alle wurden von der taiwanischen Regierung freundlich willkommen geheißen, aber die Unterstützung für die Hongkonger in Taiwan hält an. Mit China verhält es sich anders. Dort gibt es viele junge Menschen, die ihrer Regierung kritisch gegenüberstehen, aber sie haben keine Möglichkeit, das öffentlich auszusprechen. Wie Hanna Arendt sagte: Das erste, was eine autoritäre Regierung unternimmt, ist dich einsam zu machen. Sie bringt dich zum Schweigen und isoliert dich von Gleichgesinnten, sodass du niemals genau weißt, wie viele da draußen noch deiner Meinung sind. Du wirst um die Möglichkeit gebracht, deine Ideen zu teilen und von anderen inspiriert zu werden. Die chinesische Regierung setzt das sehr effektiv um mithilfe von High-Tech. Ich denke Chinas Intellektuelle gehören heute zu den einsamsten Menschen der Welt.
Lung Ying-tai 龍應台 prägt als Schriftstellerin seit über 40 Jahren gesellschaftliche und politische Debatten in der chinesischsprachigen Welt. Ihre Bücher “Wild Fire” und “Big River, Big Sea” gelten als Meilensteine auf dem Weg zu einem taiwanischen Selbstbewusstsein. Ab 1987 lebte sie für einige Jahre in Heidelberg, wo sie an der Universität taiwanische Literatur unterrichtete. Von 2012 bis 2014 diente sie unter Präsident Ma Ying-jeou als erste Kulturministerin Taiwans. Ihr jüngstes Werk “Am Fuße des Kavulungan” erschien Anfang März bei Drachenhaus auf Deutsch. Lung Ying-tai lebt heute an der südöstlichen Küste Taiwans.
Mit schwindelerregendem Tempo ist die Führung in Peking in diesem Winter aus einem selbstauferlegten, nahezu dreijährigen “Null Covid”-Dornröschenschlaf aufgewacht – und versucht nun mit aller Macht, aus der internationalen Isolation herauszubrechen. Die bisherigen Erfolge sind beachtlich. Im Wochentakt treffen Staatsgäste aus aller Welt im Pekinger Regierungsviertel ein: Für Montag wurde Lula zu einem Besuch in Peking erwartet, den der brasilianische Präsident zwar aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, aber bald nachholen will.
Bereits am Mittwoch geben der spanische Regierungschef Pedro Sánchez und Emmanuel Macron aus Frankreich quasi die Klinke in die Hand. Macron wird vermutlich von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begleitet. All dies nur wenige Tage, nachdem sich Xi Jinping
Dass China um einen regen Austausch auf der internationalen Bühne bemüht ist, ist nicht neu. Doch der offensive Ton, in dem Xi eine eine globale Alternative postuliert, vollendet den Bruch mit der Doktrin der zurückhaltenden Diplomatie, die vor seiner Amtsübernahme galt. Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping hat bekanntlich einst vorgegeben, die eigenen Stärken zu verbergen und darauf zu warten, dass die Zeit für China reif ist, global Macht zu übernehmen.
Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen. Corona hat diesen Trend zwei Jahre lang überdeckt. Nun zeigt sich, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft endlich auf dem internationalen Parkett stärker mitredet – etwa, indem sie Posten bei den Vereinten Nationen besetzt.
Womit jedoch nur wenige Beobachter gerechnet hatten: Wie angriffslustig Chinas Staatschef das einst risikoscheue Land diplomatisch positioniert. Gegen Hongkong führte Xi trotz der internationalen Kritik stoisch flächendeckende Repressionen ein, im Südchinesischen Meer ignorierte er sämtliche territorialen Grenzen, und kurz nach dem Ukraine-Krieg stellte er sich zum Schock der Europäer demonstrativ an die Seite Russlands.
Ganz offen wettert Xi zudem mittlerweile gegen den verhassten Westen. Keine Rede ist mehr davon, dass die USA und Europa der Volksrepublik einst wohlwollend den Weg in die Welthandelsorganisation geebnet – und damit ihren wirtschaftlichen Aufstieg massiv beschleunigt hatten. Stattdessen ermahnt Xi seine Bevölkerung nur mehr daran, dass Washington und seine Verbündeten China eindämmen wollen.
In weiten Teilen des globalen Südens fällt Xis weltweite Vision auf fruchtbaren Boden. Jahrzehnte, in denen sich Washington als Weltpolizei aufspielte, haben tiefe Animositäten hinterlassen. Hinzu kommt das koloniale Erbe der Europäer. Die Volksrepublik China hingegen steht für einen Werte-befreiten Pragmatismus und ein wirtschaftliches Entwicklungsmodell, das hunderte Millionen Menschen aus bitterer Armut gehievt hat.
Am sichtbarsten spiegelt sich Xi Jinpings gewachsener Einfluss in der neuen Seidenstraße wider, die sich von Zentralasien bis nach Lateinamerika erstreckt. Inzwischen haben über 150 Staaten haben das Memorandum der “Belt and Road”-Initiative unterschrieben.
Xi betonte zuletzt in seinen Reden immer wieder: China liefere den historischen Beweis dafür, dass Modernisierung nicht gleich Verwestlichung bedeute. Der Autokrat stellt sein Land als “Friedensnation” dar, die keine Hegemonie anstrebt, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Länder einmischt und Entwicklungsländer nicht ausbeutet.
Dass es sich bei dieser idealisierten Eigenumschreibung vor allem um Propaganda handelt, mag zwar die vorherrschende Meinung in Europa und den USA sein. In vielen Teilen Afrikas und auch Südamerikas hingegen wird China durchaus als willkommener Handelspartner und verantwortlicher Vermittler wahrgenommen.
Und doch wird sich Xi mit zunehmender Verantwortungsrolle auch immer stärker in dieselben Widersprüche und Doppelstandards verstricken, die er öffentlichkeitswirksam dem Westen anlastet. Ganz offen war dies beim chinesischen Friedensplan zum Ukraine-Krieg zu beobachten. Peking erinnert zwar gleich im ersten Absatz des Dokuments an die territoriale Souveränität sämtlicher Länder. Es kritisiert gleichzeitig die russische Invasion mit keiner Silbe. Fabian Kretschmer
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Ding Xuexiang, einer der neuen chinesischen Vizepremierminister, hat am Sonntag auf dem China Development Forum versprochen, dass “Dual Circulation” auch weiterhin Marktzugang für ausländische Firmen beinhaltet. “Chinas Entwicklungsmuster beruht nicht auf einer isolierten Binnenwirtschaft (circulation), sondern ist fundamental offen, mit einem doppelten Kreislauf (dual circulation), die ausländische und inländische Märkte verknüpft”, sagte Ding einem Bericht der South China Morning Post zufolge.
Das China Development Forum ist eine hochrangig besetzte Wirtschaftskonferenz, die jährlich in Peking stattfindet. Auch die deutsche Wirtschaft war in diesem Jahr wieder gut vertreten. Allianz-Vorstanschef Oliver Bäte hielt eine Rede. Die Chefs von BMW und Siemens, Oliver Zipse und Roland Busch, werden zusammen mit Bäte am Montag im Rahmen der Konferenz auch den neuen Regierungschef Li Qiang treffen können, berichtet das Handelsblatt.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgieva, warnte auf der Veranstaltung vor weltweit steigenden Risiken im Finanzsystem. Die Stabilität des Wachstums in China sei da ein “Hoffnungszweig”. Die anwesende Wirtschaftselite folgte dieser Einschätzung. Ihre Stimmung ging in Richtung eines fortgesetzten und sogar vertieften Engagements auf dem chinesischen Markt. fin
Volvo will sein nächstes Elektroauto-Modell in China produzieren lassen, um es nach Europe zu exportieren. Das sagte Firmenchef Jim Rowan der japanischen Zeitung Nikkei. Indem Volvo das Auto auf einer gemeinsamen Plattform mit der chinesischen Mutter Geely entwickelt, lassen sich erhebliche Kosten sparen, so Rowan. Dazu gehöre es, das Auto in chinesischen Werken zusammensetzen zu lassen. Auch in Export in die USA sei nach derzeitigen Handelsregeln kein Problem.
Bisher hatte Volvo darauf verwiesen, weiterhin vor allem in Werken in Göteborg und im belgischen Gent zu produzieren. Die schwedische Marke Volvo gehört seit 2010 dem chinesischen Geely-Konzern aus Hangzhou. 2021 hat das Unternehmen seine völlige Wende zur Elektromobilität bekanntgegeben. Das neue Modell soll vergleichsweise klein und günstig sein, um junge Kundengruppen anzusprechen. fin
Die Führung in Peking tritt Vorwürfen entgegen, sie dränge chinesische Unternehmen zur Herausgabe von im Ausland gesammelten persönlichen Nutzerdaten. “China hat noch nie und wird auch in Zukunft nicht von Unternehmen oder Einzelpersonen verlangen, im Ausland befindliche Daten in einer Weise zu erheben oder zur Verfügung zu stellen, die gegen dortiges Recht verstößt”, sagte ein Sprecher des Außenministeriums.
“Die US-Regierung hat bislang keinen Beweis dafür erbracht, dass Tiktok eine Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit darstellt, sondern stattdessen erneut Schuldvermutungen und ungerechtfertigte Angriffe vorgebracht”, sagte der chinesische Außenamtssprecher weiter. Es bestehe vielmehr der Verdacht “fremdenfeindlicher politischer Verfolgung“.
Die US-Seite beruft sich hingegen auf ein chinesisches Gesetz von 2017, das von lokalen Unternehmen verlangt, personenbezogene Daten an die Behörden zu übergeben, wenn diese der nationalen Sicherheit dienen. Tiktok-Chef Shou Zi Chew räumte am Donnerstag bei einer Anhörung im US-Kongress ein, dass persönliche Daten einiger US-Bürger chinesischem Recht unterlägen. flee
Als Reaktion auf das US-Embargo für Chip-Exporte treibt China die Entwicklung von Halbleitern im eigenen Land voran. Der Technologie-Konzern Huawei habe eine sogenannte EDA-Software entwickelt, um Halbleiter in 14-Nanometer-Technologie zu entwerfen, zitierte das Finanzmagazin Caijing aus einer Rede eines hochrangigen Managers. Umfangreiche Tests würden im Laufe des Jahres beginnen.
Bei Computerchips wird die Größe der Transistoren in Nanometern gemessen. Je kleiner dieser Wert, desto leistungsfähiger ist ein Prozessor, weil mehr Transistoren auf die gleiche Fläche passen. 14-Nanometer-Halbleiter liegen zwei bis drei Generationen hinter aktueller Spitzentechnologie. Der weltgrößte Auftragsfertiger TSMC produziert im einstelligen Nanometer-Bereich.
Der Markt für EDA-Software wird derzeit von drei US-Firmen beherrscht – der Siemens-Tochter Mentor Graphics, Cadence Design und Synopsys. Diese dürfen wegen des US-Embargos ihre Produkte nicht mehr in die Volksrepublik liefern. In China gibt es auch einige Anbieter, die aber von Experten im internationalen Vergleich als nicht wettbewerbsfähig betrachtet werden. Huawei ist besonders stark von den US-Sanktionen betroffen und investiert daher Milliarden, um sich unabhängiger von ausländischen Importen zu machen. rtr
In Taiwan hat es zuletzt wieder viel zu wenig geregnet – und das beeinflusst auch die Halbleiterindustrie. Der Weltmarktführer TSMC verbraucht allein an seinem Standort im Taiwan Science Park täglich knapp 100 Millionen Liter Wasser, berichtet Nikkei Asia. Die Industriestadt Kaohsiung hat in diesem Monat bereits Sparmaßnahmen für Wasser verkündet. Im Jahr 2021 mussten Chiphersteller ihre Fabriken zum Teil herunterfahren, weil die Versorgung stockte. TCMC hat seitdem neue Brunnen gebohrt und große Zisternen anlegen lassen. fin
Seit geraumer Zeit tobt ein Meinungskampf um die Stellung der Sinologie und ihr Verhältnis zur Volksrepublik. Lange als Orchideenfach verstanden, tut sich die Disziplin in Teilen schwer mit der politischen Bedeutung, die ihr inzwischen zugemessen wird. Doch ist der Eindruck grundfalsch, die Sinologie als Ganzes habe sich von der immer autoritärer regierenden Kommunistischen Partei den Schneid abkaufen lassen.
Im Gegenteil melden sich immer mehr Sinologinnen und Sinologen öffentlich zu Wort und beteiligen sich rege an der notwendigen Debatte über die Neuausrichtung der deutschen und europäischen Chinapolitik. Dessen ungeachtet hält sich hartnäckig die Unterstellung, das Fach sei in Abhängigkeiten gegenüber China rettungslos verstrickt. Dies zeigte jüngst ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung zum Taiwanbesuch der Bundesbildungsministerin.
Hier ließ der Autor es so klingen, als reiste Bettina Stark-Watzinger primär dorthin, um “im Interesse der eigenen Hochschullandschaft […] alternative Informations- und Lehrinhalte im Bereich der Sinologie” zu ermöglichen. Denn, so schreibt er weiter: “Die China-Expertise, die Lehrstühle und Institute hierzulande, sind inzwischen so sehr von Geld und Interessen der Volksrepublik durchzogen, dass mehr wissenschaftlicher Abstand geboten ist.”
Belege für die vermeintliche Unterwanderung der deutschen Sinologie durch Geld und Einfluss der autoritären Volksrepublik fehlen. Dennoch wird ein ganzes Fachgebiet denunziert. Die Realität sieht jedoch anders aus: Wie jedes universitäre Fach werden die Sinologie und ihre Angestellten aus öffentlichen Mitteln – Landeshaushalten, DFG, BMBF, EU unter anderem Drittmittelgeber – finanziert. Die immer wieder genannten Konfuzius-Institute und zwei aus China kofinanzierte Sprachprofessuren spielen eine verschwindend geringe Rolle, sind teils ausgelaufen bzw. werden gerade abgewickelt. Finanzielle Abhängigkeiten lassen sich nicht konstatieren. Und nebenbei bemerkt haben alle im öffentlichen Dienst tätigen Chinawissenschaftler und -wissenschaftlerinnen ihren Amtseid auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung geleistet. Ihnen zu unterstellen, sie seien mehr den “Interessen der Volksrepublik” dienlich, kommt einer Verleumdung nahe.
Ein kursorischer Blick auf Curricula und Kooperationspartner deutscher Sinologie-Institute reicht aus, um zu erkennen, dass Taiwan seit langem nicht nur in Lehre und Forschung berücksichtigt wird, sondern auch die enge Zusammenarbeit mit taiwanesischen Institutionen gang und gäbe ist. Sie beschäftigen Sprachlehrkräfte von dort, unterhalten Austauschprogramme und forschen gemeinsam mit taiwanesischen Kolleginnen und Kollegen.
Stark-Watzinger ist keineswegs nach Taiwan gereist, weil die hiesige Sinologie diesbezüglich Nachhilfe benötigen würde, sondern um konkrete Vereinbarungen zur Forschungszusammenarbeit vor allem im Bereich Hochtechnologie zu verhandeln. Statt “der Sinologie” zu misstrauen, baut das Bundesbildungsministerium gerade eine Reihe von Projekten auf, in denen sinologische Lehrstühle und andere Zentren der Chinaexpertise den Rest der Wissenschaftslandschaft in Deutschland mit Chinakompetenzen versorgen sollen. Denn wer versteht die Risiken der Zusammenarbeit mit China besser als die geschmähten Sinologinnen und Sinologen?
Die Diskussion um die Sinologie ist nur ein kleiner Teil der größeren Chinadebatte. Sie steht aber beispielhaft für das große Ganze. Denn sie zeigt, wie schwierig es ist, Zerrbilder zu bekämpfen, die sich aufgrund steter Wiederholung in vielen Köpfen festgesetzt haben. Dagegen hilft nur ein entschiedener Widerspruch. Statt Pauschalurteilen benötigen wir eine differenzierte Auseinandersetzung zu China – und die wird ohne die qualifizierten Beiträge von Sinologinnen und Sinologen nicht zu führen sein.
Wer sich aber mit Vorverurteilungen konfrontiert sieht, wird es sich genau überlegen, aktiv die Öffentlichkeit suchen zu wollen. Ein”Schweigen der Sinologen” wäre jedoch fatal. Man stelle sich einmal vor, wie Deutschland durch die Corona-Pandemie gekommen wäre, wenn sämtliche Virologinnen und Virologen aufgrund des pauschalen Vorurteils, sie seien ohnehin alle von der Pharmaindustrie gekauft, sich nicht am öffentlichen Diskurs, der Aufklärung und der Politikberatung beteiligt hätten.
Delicia Tan wird Chefin der Hongkong-Tochter der internationalen PR-Agentur Edelmann. Sie ist von dort auch für das Perlflussdelta und Taiwan zuständig.
Madhav Sheth scheidet als Chef von Realme aus, der Indien-Tochter des chinesischen Smartphone-Herstellers Oppo. Seine Nachfolge soll aus China kommen.
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Im Internet gibt es bekanntlich jede Menge Schweinereien. Sie sollten sich aber vor allem davor hüten, einem Schweineschwindler auf die Schlachtbank zu geraten. Das würde man Ihnen zumindest in China raten. Soll heißen: Lassen Sie sich nicht als armes Würstchen von einem Love-Scammer grillen. Denn die Abzocke von Heiratsschwindlern 2.0, also Tinder-Schwindlern und Konsorten, die im Internet liebeshungrigen Singles auflauern und ihnen den letzten Yuan aus den Rippen leiern, nennt man in China heute “Schweineschlachtspiel”, auf Chinesisch 杀猪盘 shāzhūpán.
Das Wort ist eine Zeichenkombi aus 杀 shā “töten”, 猪 zhū “Schwein” und 盘 pán, was eigentlich “Platte” oder “Teller” bedeutet, aber auch ein Zählwort für Angriffe, Partien und Aktionen im Sport sein kann. So kommt 盘 pán etwa auch in Begriffen wie 一 盘棋 yī pán qí “eine Partie Schach” oder 开盘 kāipán “einen Eröffnungszug machen” vor.
Die Figürchen der perfiden Pig-Partie, um die es hier geht, sind aber nicht Läufer, Springer und Türme, sondern naive arme Single-Schweine. Der Ursprung der Metapher ist nicht abschließend geklärt. In der chinesischen Tierkreiszeichen-Mythologie jedenfalls gilt das Grunzgetier nicht nur als besonders fleißig, sondern auch als mitfühlend, großzügig und liebenswürdig. Beste Beute also für Balzbetrüger.
Genauso wie bei uns, lauern die Herzensbrecher-Halunken ihren potenziellen Opfern meist auf Onlineportalen wie Single- oder Freundschaftsbörsen auf (婚恋交友网站 hūnliàn jiāoyǒu wǎngzhàn). Die Schlachter selbst nennen diese Plattformen als ihr Jagdrevier sarkastisch 猪圈 zhūjuàn, also “Schweinestall”.
Der typische Love- oder Romance-Scam ist dabei in Ost und West nach ähnlichem Muster gestrickt. Die Opferschweine (genannt 猪 zhū) sind in der Regel verzweifelte Alleinstehende (单身 dānshēn) in etwas fortgeschrittenerem Alter. Im ersten Schritt werden keine Perlen vor die Säue geworfen, sondern ein saustarkes Profil (人设 rénshè) rausgehauen. Es dient dazu, emotional bedürftige Borstenviecher anzufüttern und sich als vermeintlich perfekter Partner (完美恋人 wánměi liànrén) zu inszenieren.
Welcher Schweinefraß (猪饲料 zhū sìliào), sprich betrügerisches Lockmaterial, am besten mundet oder ködert, hängt natürlich stark davon ab, ob man als Viehzüchter nun eine “Sau” oder einen “Eber” vor sich hat. Weibliche Opfer finden dem Vernehmen nach nämlich vor allem einfühlsame und humorvolle Artgenossen zum Anbeißen. Am besten sollten diese außerdem einen Bildungsgrad ab Borsten-Bachelor aufwärts (高学历 gāo xuélì “hoher Bildungsabschluss”) sowie finanziell ordentlich Speck auf den Rippen (高收入 gāo shōurù “hohes Einkommen”) mitbringen.
Eber sind hingegen auf der Suche nach der Bilderbuch-Baifumei (白富美 báifùměi), das chinesische Synonym für “Traumfrau”, also einer Schönheit (美 měi “schön”) mit hellem Teint (白 bái “weiß, blass”) und hohem Kontostand (富 fù “reich, wohlhabend”). Gewürzt ist diese gute Partie dann am besten noch mit cleverem Köpfchen (高知女性 gāozhī nǚxìng “intellektuelle Dame”) und einer ordentlichen Prise Lebensfreude (热爱生活 rè’ài shēnghuó).
Haben Wutz und Watz erst einmal angebissen, werden sie mächtig gemästet. Sprich: Es wird allmählich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, um sie handzahm zu machen. Im chinesischen Schweineschwindler-Slang heißt das 养猪 yǎng zhū “Schweine züchten”. Hat das Mastvieh dann gefühlsmäßig genügend Wampe angesetzt, wird das Betrugsmesser gewetzt und gezückt, um das Vertrauensverhältnis nach allen Regeln der Kunst auszuschlachten und die vorgegaukelte Liebelei zu Profit zu verwursten.
Die Schweinezüchter lassen dann lügenmäßig richtig die Sau raus, um ihre Opfer bis auf den letzten Yuan auszuweiden. Sie locken die Liebestrunkenen zum Beispiel auf Glückspielplattformen, verführen sie zu vermeintlich lukrativen Investments oder bitten um größere Geldsummen, um sich aus einer angeblichen Notlage zu befreien. Werden die Geschröpften des Nepps dann gewahr, sind Raub-Romeo und Abzocke-Aphrodite natürlich schon längst wie gesengte Säue über alle Berge verschwunden, samt Moneten.
Die übers Schweinsohr Gehauenen haben dann nur noch das Nachsehen und fühlen sich meist saudreckig. Bleibt nur zu hoffen, dass Sie in Liebesdingen mehr Schwein haben und keinen Charakterschweinen auf den Leim gehen. Weder in China noch sonst wo.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
der Besuch von Bildungsministerin Stark-Watzinger in Taiwan beschäftigt uns heute im Nachgang sogar zweifach. Die ehemalige taiwanische Kulturministerin Lung Ying-tai äußert sich im Interview mit Fabian Peltsch skeptisch, ob solche Besuche überhaupt zielführend sind. Sie sieht die Visiten als Teil eines großen Theaterstücks, in dem die USA und China die Hauptrollen spielen. “Taiwan hat darin nicht viel zu sagen”, fürchtet Lung.
Das Gespräch mit Lung bezieht sich nicht direkt auf die FDP-Ministerin und ist schon vor ihrem Besuch entstanden. In Hinblick auf den Polit-Tourismus klagt sie jedoch allgemein: Wenn jetzt “all diese ausländischen Delegationen und Korrespondenten auf die Insel schwärmen, weil unsere Heimat die Frontlinie geworden ist”, dann verkennen sie, dass Taiwan schon seit 70 Jahren bedroht ist.
Der Sinologe Björn Alpermann wendet sich in einem Gastbeitrag gegen eine weitere Fehlinterpretation der Reise Stark-Watzingers. Die Ministerin habe keineswegs vor, die deutschen Sinologie durch engere Kontakte mit Taiwan von vermeintlicher Kuschelei mit der Volksrepublik abzubringen. Dahinter steckt eine laufende Debatte über die Unabhängigkeit deutscher Chinaforscherinnen und -forscher. Alpermann stellt klar: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind mehrheitlich nicht von chinesischen Fördermitteln abhängig und agieren weiterhin unabhängig.
Die Reisediplomatie geht derweil weiter. Zwar hat der brasilianische Präsident Lula seine geplante Peking-Reise abgesagt. Dafür haben sich nun nach Spaniens Premier Sánchez auch Frankreichs Präsident Macron und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei Xi Jinping angekündigt. Die hohe Präsidentendichte ist kein Zufall, analysiert Fabian Kretschmer. Xi hat die diplomatische Isolation erfolgreich durchbrochen, in die er sein Land zeitweilig manövriert hatte. Während die Vertreter der EU bei Xi um ihre Positionen werben, punktet dieser im globalen Süden umso üppiger. Die Botschaft von einer Alternative zum arroganten Westen kommt besser an denn je.
Einen produktiven Start in die Woche!
Ihre Bücher und Essays werden seit 40 Jahren von chinesischsprachigen Menschen auf der ganzen Welt gelesen. Auch auf dem Festland gehören sie zu den bekanntesten Autorinnen. 2019 wurden ihre Bücher dort jedoch verboten. Wie kam es dazu?
Schon vor 2019 waren bestimmte Bücher von mir auf dem Festland verboten, zum Beispiel “Big River Big Sea: Untold Stories of 1949”, ein Buch über den chinesischen Bürgerkrieg, der ja bis heute anhält. 2019 schrieb ich einen kurzen Artikel in Verteidigung der Hongkonger Proteste, und das führte dazu, dass all meine Bücher aus den Regalen der Buchläden und Schulbibliotheken entfernt wurden. Das hatte ich erwartet. Aber ich bekomme immer noch Mails und Briefe von Lesern aus China. Sie benutzen einen VPN, um mir zum Beispiel Nachrichten über Facebook zu senden. Verglichen mit der Zeit vor 2019 ist es natürlich um einiges weniger geworden.
Sie haben sich in vielen Ihrer Bücher darum bemüht, den Taiwanern eine Stimme zu geben. Wie empfinden Sie die derzeitige geopolitische Aufmerksamkeit, die Taiwan bekommt? Sind ausländische Delegationen, die Präsidentin Tsai Ing-wen die Hand schütteln wollen, eher ein Fluch oder ein Segen für die Sicherheit der Insel?
Das alles entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Wegen Streitigkeiten mit China wurde Taiwan 50 Jahre lang von der internationalen Gemeinschaft isoliert. Und jetzt schwärmen all diese ausländischen Delegationen und Korrespondenten auf die Insel, weil unsere Heimat die “Frontlinie” geworden ist, oder wie der Economist schrieb: “der gefährlichste Ort der Welt”. Ist das nun ein Fluch oder ein Segen?
Der Besuch von Nancy Pelosi war nur ein Akt in einem größeren Theaterstück. Die beiden Hauptdarsteller in diesem Stück sind die USA und China. Taiwan hat darin nicht viel zu sagen. Ja, die Gefahr einer Invasion ist real. Sie war nicht mehr so real seit den 1950er-Jahren. Aber wie nah sie wirklich ist, kann niemand vorhersagen. Es sind zu viele Faktoren involviert. Wir wissen nicht, wie sich die Beziehungen zwischen den USA und China fortentwickeln. Wir wissen nicht, wie der Krieg in der Ukraine ausgehen wird. Wie sich dieser Krieg weiter entwickelt, wird große Auswirkungen auf das Schicksal Taiwans haben.
Fühlen sich die Taiwaner heute so bedroht wie nie?
Außenseitern ist oft nicht klar, dass sich Taiwan seit 70 Jahren an der Front befindet. Wir sind in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass jederzeit ein Krieg ausbrechen kann. Besonders meine Generation – ich wurde in den 1950er-Jahren geboren – wuchs mit der Mentalität von Belagerten heran. Schauen Sie auf den Ozean vor uns: Taiwan ist von Wasser umgeben, aber viele Taiwaner können nicht schwimmen. Warum? Als Kinder haben wir uns nicht getraut, am Strand zu spielen, geschweige denn ins Wasser zu springen. Die 1.200 Kilometer lange Küstenlinie war eine militärische Zone, die von Soldaten bewacht wurde, die Gewehre und Bajonette trugen. Kindern wurde gesagt, sie sollen sich vom Strand fernhalten, weil Froschmänner aus China über die Meerenge schwimmen und uns mit einem Messer zwischen den Zähnen anspringen könnten. Bis heute sind viele Zugänge zum Wasser nicht öffentlich. Spuren der Belagerungs-Mentalität finden sich überall.
Fühlen sich die Menschen also jetzt gerade bedrohter als zuvor? Ja und Nein. Mehrere Generationen leben nun schon so lange mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein Krieg ausbricht, dass viele Menschen taub für die Realität geworden sind. Wie kann man sich auch 70 Jahre in Alarmbereitschaft befinden? Taiwan ist nun schon lange eine friedliche und florierende Gesellschaft, da wird es immer schwieriger, sich einen Krieg vorzustellen. Ja, die Menschen sind sich der Gefahr bewusst, aber sie fühlt sich für sie auch irreal an.
Die Regierung möchte den Militärdienst verlängern. Gleichzeitig formieren sich zivile Verteidigungsgruppen wie die “Forward Alliance”, um Taiwans Bürger besser auf einen möglichen Angriff vom Festland vorzubereiten.
Die Verlängerung der Wehrpflicht erfolgte vermutlich eher auf Druck der USA als auf Wunsch der taiwanischen Bürger. Die Selbstverteidigungsorganisationen, von der Sie sprechen, werden tatsächlich immer mehr. Da ist zum Beispiel die sogenannte “Black Bear Academy”, die von einem reichen Geschäftsmann gegründet wurde, der der Meinung ist, Taiwan müsse die Chinesen bis auf den Tod bekämpfen. Die Gruppe bildet jeden aus, der sich auf ein Gefecht vorbereiten möchte. Für die meisten Menschen bleibt eine friedliche Lösung jedoch nach wie vor das Hauptziel und ein Krieg bleibt schwer vorstellbar. Und das gilt vermutlich auch für die taiwanische Regierung. 2022 hat das Verteidigungsministerium eine Richtlinie für nationale Notfälle herausgegeben, worunter auch ein Kriegsfall fällt. Im Falle eines Stromausfalls, so heißt es da, solle man die Service-Hotline des Stromversorgers Taiwan Power anrufen. Die ganze Sache wurde zum Witz.
Glauben Sie, die Taiwaner würden sich gegen China im Falle eines Angriffs mit ebenso vereinigten Kräften wehren wie die Ukrainer gegen die russischen Invasoren?
Wenn es darum geht, tatsächlich zu den Waffen zu greifen, habe ich meine Zweifel. Der Glaube an das demokratische System und den taiwanischen Way of Life sind Konsens in Taiwan. Aber wie man dieses System schützt und den Way of Life aufrechterhält, darüber sind sich die Menschen uneinig.
Dass die Taiwaner noch immer sehr geteilt sind, liegt an unserer Geschichte, die bestimmte Erinnerungen hinterlassen hat. Es gibt Menschen, die sich vollkommen von China entfremdet fühlen und die sich der Unabhängigkeit Taiwans verschrieben haben, koste es was es wolle. Dann gibt es Menschen, die denken, dass die Chinesen und die Taiwaner trotz aller ideologischen Unterschiede Brüder und Schwestern sind und dass ein Krieg unter allen Umständen verhindert werden muss. Es gibt Menschen, die für mehr gegenseitiges Verständnis über die Taiwan-Straße hinweg werben. Sie machen die derzeitige Regierung dafür verantwortlich, Taiwan an die Schwelle eines Krieges gebracht zu haben. Und dann gibt es Menschen, die glauben, dass die USA schuld an der Krise sind und dass Taiwan das Opfer in einem hegemonialen Spiels ist. Nicht zuletzt gibt es noch die Bauern und Fischer. Für viele von ihnen ist es vor allem wichtig, viel zu produzieren und zu fangen und an die Märkte Chinas zu verkaufen. Sie finden es nicht wichtig, welche Flagge über ihren Köpfen weht, solange ihr Lebensunterhalt gesichert ist und ihre Kinder in Sicherheit sind.
Auf welcher Seite sehen Sie sich selbst?
Ich bin gegen Krieg. Egal wie. Und für diese Position wurde ich online massiv angefeindet. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Taiwan sich bewaffnet, um eine wirksame Abschreckung zu erreichen. Wir sollten aber nie vergessen, dass Abschreckung nur Teil eines größeren und ehrlichen Bemühens sein kann, einen Krieg zu vermeiden. Im Moment wird nur darüber gesprochen, zur Abschreckung aufzurüsten. Wenig oder gar keine Aufmerksamkeit wird darauf verwendet, wie man einen Krieg verhindert.
Würden Sie sich wünschen, dass die Rolle der USA in diesem Konflikt stärker diskutiert würde?
Die Position der USA ist, dass Taiwan sich bis an die Zähne bewaffnen muss. Um das zu erreichen, muss Taiwan Waffen von den USA kaufen. Und die USA wollen eine Menge Waffen an Taiwan verkaufen. Wenn du dich aber nur darauf konzentrierst, dein Militär auszubauen, ohne etwa Anstrengungen zum Verhandeln zu unternehmen, dann befindest du dich auf einem gefährlichen Weg. Unter einer anderen Regierung hatte Taiwan funktionierende Beziehungen zu China, was Strafverfolgung, Handelsabkommen und viele andere Bereiche betraf. Aber so wie es gerade läuft und seit einer Weile verfolgt wird, soll die Insel in eine Art Stachelschwein verwandelt werden. Das bereitet mir große Sorgen.
Welche Hoffnungen setzen Sie in Verhandlungen mit China?
Das Leben besteht nicht nur aus Politik. Was ist mit der Öffnung von Häfen oder der Einrichtung von Direktflügen? Über eine Million Taiwaner lebt in China. Wenn man ihre Familienmitglieder dazuzählt, kommt man auf vier bis fünf Millionen Taiwaner, bei einer Gesamtbevölkerung von 23 Millionen, die eine nahestehende Person haben, die in China wohnt oder arbeitet. Wie wäre es, wenn man mehr Flughäfen öffnen würde, damit diese Menschen es einfacher haben, nach Hause zu reisen? Wie wäre es, wenn man mehr chinesischen Studenten erlauben würde, nach Taiwan zum Studieren zu kommen? Wie wäre es, mehr Touristen willkommen zu heißen? Wie wäre es, chinesische Schriftsteller und Künstler und für kulturelle Austauschprogramme einzuladen? Natürlich muss das in beide Richtungen geschehen. Viele Barrieren wurden von chinesischer Seite aufgebaut. Aber, was ich meine ist, dass sich China und Taiwan nicht in einer Spirale der Feindlichkeit verfangen sollten. Guter Wille und sanfte Kommunikation können einen Krieg verhindern.
Wie empfanden Sie die Proteste junger Menschen in Hongkong 2019 und in China Ende vergangenen Jahres? Sollten jüngere Generationen in Taiwan, Hongkong und China mehr miteinander in Kontakt treten? Viele von Ihnen teilen offenbar die gleichen Ideale, wie etwa Meinungsfreiheit.
Es gab weitreichendes und robustes Networking zwischen jungen Menschen in Taiwan und Hongkong während der Proteste in Hongkong. Viele der Hongkonger, die an der Bewegung mitwirkten, sind nun in Taiwan im Exil. Nicht alle wurden von der taiwanischen Regierung freundlich willkommen geheißen, aber die Unterstützung für die Hongkonger in Taiwan hält an. Mit China verhält es sich anders. Dort gibt es viele junge Menschen, die ihrer Regierung kritisch gegenüberstehen, aber sie haben keine Möglichkeit, das öffentlich auszusprechen. Wie Hanna Arendt sagte: Das erste, was eine autoritäre Regierung unternimmt, ist dich einsam zu machen. Sie bringt dich zum Schweigen und isoliert dich von Gleichgesinnten, sodass du niemals genau weißt, wie viele da draußen noch deiner Meinung sind. Du wirst um die Möglichkeit gebracht, deine Ideen zu teilen und von anderen inspiriert zu werden. Die chinesische Regierung setzt das sehr effektiv um mithilfe von High-Tech. Ich denke Chinas Intellektuelle gehören heute zu den einsamsten Menschen der Welt.
Lung Ying-tai 龍應台 prägt als Schriftstellerin seit über 40 Jahren gesellschaftliche und politische Debatten in der chinesischsprachigen Welt. Ihre Bücher “Wild Fire” und “Big River, Big Sea” gelten als Meilensteine auf dem Weg zu einem taiwanischen Selbstbewusstsein. Ab 1987 lebte sie für einige Jahre in Heidelberg, wo sie an der Universität taiwanische Literatur unterrichtete. Von 2012 bis 2014 diente sie unter Präsident Ma Ying-jeou als erste Kulturministerin Taiwans. Ihr jüngstes Werk “Am Fuße des Kavulungan” erschien Anfang März bei Drachenhaus auf Deutsch. Lung Ying-tai lebt heute an der südöstlichen Küste Taiwans.
Mit schwindelerregendem Tempo ist die Führung in Peking in diesem Winter aus einem selbstauferlegten, nahezu dreijährigen “Null Covid”-Dornröschenschlaf aufgewacht – und versucht nun mit aller Macht, aus der internationalen Isolation herauszubrechen. Die bisherigen Erfolge sind beachtlich. Im Wochentakt treffen Staatsgäste aus aller Welt im Pekinger Regierungsviertel ein: Für Montag wurde Lula zu einem Besuch in Peking erwartet, den der brasilianische Präsident zwar aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, aber bald nachholen will.
Bereits am Mittwoch geben der spanische Regierungschef Pedro Sánchez und Emmanuel Macron aus Frankreich quasi die Klinke in die Hand. Macron wird vermutlich von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begleitet. All dies nur wenige Tage, nachdem sich Xi Jinping
Dass China um einen regen Austausch auf der internationalen Bühne bemüht ist, ist nicht neu. Doch der offensive Ton, in dem Xi eine eine globale Alternative postuliert, vollendet den Bruch mit der Doktrin der zurückhaltenden Diplomatie, die vor seiner Amtsübernahme galt. Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping hat bekanntlich einst vorgegeben, die eigenen Stärken zu verbergen und darauf zu warten, dass die Zeit für China reif ist, global Macht zu übernehmen.
Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen. Corona hat diesen Trend zwei Jahre lang überdeckt. Nun zeigt sich, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft endlich auf dem internationalen Parkett stärker mitredet – etwa, indem sie Posten bei den Vereinten Nationen besetzt.
Womit jedoch nur wenige Beobachter gerechnet hatten: Wie angriffslustig Chinas Staatschef das einst risikoscheue Land diplomatisch positioniert. Gegen Hongkong führte Xi trotz der internationalen Kritik stoisch flächendeckende Repressionen ein, im Südchinesischen Meer ignorierte er sämtliche territorialen Grenzen, und kurz nach dem Ukraine-Krieg stellte er sich zum Schock der Europäer demonstrativ an die Seite Russlands.
Ganz offen wettert Xi zudem mittlerweile gegen den verhassten Westen. Keine Rede ist mehr davon, dass die USA und Europa der Volksrepublik einst wohlwollend den Weg in die Welthandelsorganisation geebnet – und damit ihren wirtschaftlichen Aufstieg massiv beschleunigt hatten. Stattdessen ermahnt Xi seine Bevölkerung nur mehr daran, dass Washington und seine Verbündeten China eindämmen wollen.
In weiten Teilen des globalen Südens fällt Xis weltweite Vision auf fruchtbaren Boden. Jahrzehnte, in denen sich Washington als Weltpolizei aufspielte, haben tiefe Animositäten hinterlassen. Hinzu kommt das koloniale Erbe der Europäer. Die Volksrepublik China hingegen steht für einen Werte-befreiten Pragmatismus und ein wirtschaftliches Entwicklungsmodell, das hunderte Millionen Menschen aus bitterer Armut gehievt hat.
Am sichtbarsten spiegelt sich Xi Jinpings gewachsener Einfluss in der neuen Seidenstraße wider, die sich von Zentralasien bis nach Lateinamerika erstreckt. Inzwischen haben über 150 Staaten haben das Memorandum der “Belt and Road”-Initiative unterschrieben.
Xi betonte zuletzt in seinen Reden immer wieder: China liefere den historischen Beweis dafür, dass Modernisierung nicht gleich Verwestlichung bedeute. Der Autokrat stellt sein Land als “Friedensnation” dar, die keine Hegemonie anstrebt, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Länder einmischt und Entwicklungsländer nicht ausbeutet.
Dass es sich bei dieser idealisierten Eigenumschreibung vor allem um Propaganda handelt, mag zwar die vorherrschende Meinung in Europa und den USA sein. In vielen Teilen Afrikas und auch Südamerikas hingegen wird China durchaus als willkommener Handelspartner und verantwortlicher Vermittler wahrgenommen.
Und doch wird sich Xi mit zunehmender Verantwortungsrolle auch immer stärker in dieselben Widersprüche und Doppelstandards verstricken, die er öffentlichkeitswirksam dem Westen anlastet. Ganz offen war dies beim chinesischen Friedensplan zum Ukraine-Krieg zu beobachten. Peking erinnert zwar gleich im ersten Absatz des Dokuments an die territoriale Souveränität sämtlicher Länder. Es kritisiert gleichzeitig die russische Invasion mit keiner Silbe. Fabian Kretschmer
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Ding Xuexiang, einer der neuen chinesischen Vizepremierminister, hat am Sonntag auf dem China Development Forum versprochen, dass “Dual Circulation” auch weiterhin Marktzugang für ausländische Firmen beinhaltet. “Chinas Entwicklungsmuster beruht nicht auf einer isolierten Binnenwirtschaft (circulation), sondern ist fundamental offen, mit einem doppelten Kreislauf (dual circulation), die ausländische und inländische Märkte verknüpft”, sagte Ding einem Bericht der South China Morning Post zufolge.
Das China Development Forum ist eine hochrangig besetzte Wirtschaftskonferenz, die jährlich in Peking stattfindet. Auch die deutsche Wirtschaft war in diesem Jahr wieder gut vertreten. Allianz-Vorstanschef Oliver Bäte hielt eine Rede. Die Chefs von BMW und Siemens, Oliver Zipse und Roland Busch, werden zusammen mit Bäte am Montag im Rahmen der Konferenz auch den neuen Regierungschef Li Qiang treffen können, berichtet das Handelsblatt.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgieva, warnte auf der Veranstaltung vor weltweit steigenden Risiken im Finanzsystem. Die Stabilität des Wachstums in China sei da ein “Hoffnungszweig”. Die anwesende Wirtschaftselite folgte dieser Einschätzung. Ihre Stimmung ging in Richtung eines fortgesetzten und sogar vertieften Engagements auf dem chinesischen Markt. fin
Volvo will sein nächstes Elektroauto-Modell in China produzieren lassen, um es nach Europe zu exportieren. Das sagte Firmenchef Jim Rowan der japanischen Zeitung Nikkei. Indem Volvo das Auto auf einer gemeinsamen Plattform mit der chinesischen Mutter Geely entwickelt, lassen sich erhebliche Kosten sparen, so Rowan. Dazu gehöre es, das Auto in chinesischen Werken zusammensetzen zu lassen. Auch in Export in die USA sei nach derzeitigen Handelsregeln kein Problem.
Bisher hatte Volvo darauf verwiesen, weiterhin vor allem in Werken in Göteborg und im belgischen Gent zu produzieren. Die schwedische Marke Volvo gehört seit 2010 dem chinesischen Geely-Konzern aus Hangzhou. 2021 hat das Unternehmen seine völlige Wende zur Elektromobilität bekanntgegeben. Das neue Modell soll vergleichsweise klein und günstig sein, um junge Kundengruppen anzusprechen. fin
Die Führung in Peking tritt Vorwürfen entgegen, sie dränge chinesische Unternehmen zur Herausgabe von im Ausland gesammelten persönlichen Nutzerdaten. “China hat noch nie und wird auch in Zukunft nicht von Unternehmen oder Einzelpersonen verlangen, im Ausland befindliche Daten in einer Weise zu erheben oder zur Verfügung zu stellen, die gegen dortiges Recht verstößt”, sagte ein Sprecher des Außenministeriums.
“Die US-Regierung hat bislang keinen Beweis dafür erbracht, dass Tiktok eine Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit darstellt, sondern stattdessen erneut Schuldvermutungen und ungerechtfertigte Angriffe vorgebracht”, sagte der chinesische Außenamtssprecher weiter. Es bestehe vielmehr der Verdacht “fremdenfeindlicher politischer Verfolgung“.
Die US-Seite beruft sich hingegen auf ein chinesisches Gesetz von 2017, das von lokalen Unternehmen verlangt, personenbezogene Daten an die Behörden zu übergeben, wenn diese der nationalen Sicherheit dienen. Tiktok-Chef Shou Zi Chew räumte am Donnerstag bei einer Anhörung im US-Kongress ein, dass persönliche Daten einiger US-Bürger chinesischem Recht unterlägen. flee
Als Reaktion auf das US-Embargo für Chip-Exporte treibt China die Entwicklung von Halbleitern im eigenen Land voran. Der Technologie-Konzern Huawei habe eine sogenannte EDA-Software entwickelt, um Halbleiter in 14-Nanometer-Technologie zu entwerfen, zitierte das Finanzmagazin Caijing aus einer Rede eines hochrangigen Managers. Umfangreiche Tests würden im Laufe des Jahres beginnen.
Bei Computerchips wird die Größe der Transistoren in Nanometern gemessen. Je kleiner dieser Wert, desto leistungsfähiger ist ein Prozessor, weil mehr Transistoren auf die gleiche Fläche passen. 14-Nanometer-Halbleiter liegen zwei bis drei Generationen hinter aktueller Spitzentechnologie. Der weltgrößte Auftragsfertiger TSMC produziert im einstelligen Nanometer-Bereich.
Der Markt für EDA-Software wird derzeit von drei US-Firmen beherrscht – der Siemens-Tochter Mentor Graphics, Cadence Design und Synopsys. Diese dürfen wegen des US-Embargos ihre Produkte nicht mehr in die Volksrepublik liefern. In China gibt es auch einige Anbieter, die aber von Experten im internationalen Vergleich als nicht wettbewerbsfähig betrachtet werden. Huawei ist besonders stark von den US-Sanktionen betroffen und investiert daher Milliarden, um sich unabhängiger von ausländischen Importen zu machen. rtr
In Taiwan hat es zuletzt wieder viel zu wenig geregnet – und das beeinflusst auch die Halbleiterindustrie. Der Weltmarktführer TSMC verbraucht allein an seinem Standort im Taiwan Science Park täglich knapp 100 Millionen Liter Wasser, berichtet Nikkei Asia. Die Industriestadt Kaohsiung hat in diesem Monat bereits Sparmaßnahmen für Wasser verkündet. Im Jahr 2021 mussten Chiphersteller ihre Fabriken zum Teil herunterfahren, weil die Versorgung stockte. TCMC hat seitdem neue Brunnen gebohrt und große Zisternen anlegen lassen. fin
Seit geraumer Zeit tobt ein Meinungskampf um die Stellung der Sinologie und ihr Verhältnis zur Volksrepublik. Lange als Orchideenfach verstanden, tut sich die Disziplin in Teilen schwer mit der politischen Bedeutung, die ihr inzwischen zugemessen wird. Doch ist der Eindruck grundfalsch, die Sinologie als Ganzes habe sich von der immer autoritärer regierenden Kommunistischen Partei den Schneid abkaufen lassen.
Im Gegenteil melden sich immer mehr Sinologinnen und Sinologen öffentlich zu Wort und beteiligen sich rege an der notwendigen Debatte über die Neuausrichtung der deutschen und europäischen Chinapolitik. Dessen ungeachtet hält sich hartnäckig die Unterstellung, das Fach sei in Abhängigkeiten gegenüber China rettungslos verstrickt. Dies zeigte jüngst ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung zum Taiwanbesuch der Bundesbildungsministerin.
Hier ließ der Autor es so klingen, als reiste Bettina Stark-Watzinger primär dorthin, um “im Interesse der eigenen Hochschullandschaft […] alternative Informations- und Lehrinhalte im Bereich der Sinologie” zu ermöglichen. Denn, so schreibt er weiter: “Die China-Expertise, die Lehrstühle und Institute hierzulande, sind inzwischen so sehr von Geld und Interessen der Volksrepublik durchzogen, dass mehr wissenschaftlicher Abstand geboten ist.”
Belege für die vermeintliche Unterwanderung der deutschen Sinologie durch Geld und Einfluss der autoritären Volksrepublik fehlen. Dennoch wird ein ganzes Fachgebiet denunziert. Die Realität sieht jedoch anders aus: Wie jedes universitäre Fach werden die Sinologie und ihre Angestellten aus öffentlichen Mitteln – Landeshaushalten, DFG, BMBF, EU unter anderem Drittmittelgeber – finanziert. Die immer wieder genannten Konfuzius-Institute und zwei aus China kofinanzierte Sprachprofessuren spielen eine verschwindend geringe Rolle, sind teils ausgelaufen bzw. werden gerade abgewickelt. Finanzielle Abhängigkeiten lassen sich nicht konstatieren. Und nebenbei bemerkt haben alle im öffentlichen Dienst tätigen Chinawissenschaftler und -wissenschaftlerinnen ihren Amtseid auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung geleistet. Ihnen zu unterstellen, sie seien mehr den “Interessen der Volksrepublik” dienlich, kommt einer Verleumdung nahe.
Ein kursorischer Blick auf Curricula und Kooperationspartner deutscher Sinologie-Institute reicht aus, um zu erkennen, dass Taiwan seit langem nicht nur in Lehre und Forschung berücksichtigt wird, sondern auch die enge Zusammenarbeit mit taiwanesischen Institutionen gang und gäbe ist. Sie beschäftigen Sprachlehrkräfte von dort, unterhalten Austauschprogramme und forschen gemeinsam mit taiwanesischen Kolleginnen und Kollegen.
Stark-Watzinger ist keineswegs nach Taiwan gereist, weil die hiesige Sinologie diesbezüglich Nachhilfe benötigen würde, sondern um konkrete Vereinbarungen zur Forschungszusammenarbeit vor allem im Bereich Hochtechnologie zu verhandeln. Statt “der Sinologie” zu misstrauen, baut das Bundesbildungsministerium gerade eine Reihe von Projekten auf, in denen sinologische Lehrstühle und andere Zentren der Chinaexpertise den Rest der Wissenschaftslandschaft in Deutschland mit Chinakompetenzen versorgen sollen. Denn wer versteht die Risiken der Zusammenarbeit mit China besser als die geschmähten Sinologinnen und Sinologen?
Die Diskussion um die Sinologie ist nur ein kleiner Teil der größeren Chinadebatte. Sie steht aber beispielhaft für das große Ganze. Denn sie zeigt, wie schwierig es ist, Zerrbilder zu bekämpfen, die sich aufgrund steter Wiederholung in vielen Köpfen festgesetzt haben. Dagegen hilft nur ein entschiedener Widerspruch. Statt Pauschalurteilen benötigen wir eine differenzierte Auseinandersetzung zu China – und die wird ohne die qualifizierten Beiträge von Sinologinnen und Sinologen nicht zu führen sein.
Wer sich aber mit Vorverurteilungen konfrontiert sieht, wird es sich genau überlegen, aktiv die Öffentlichkeit suchen zu wollen. Ein”Schweigen der Sinologen” wäre jedoch fatal. Man stelle sich einmal vor, wie Deutschland durch die Corona-Pandemie gekommen wäre, wenn sämtliche Virologinnen und Virologen aufgrund des pauschalen Vorurteils, sie seien ohnehin alle von der Pharmaindustrie gekauft, sich nicht am öffentlichen Diskurs, der Aufklärung und der Politikberatung beteiligt hätten.
Delicia Tan wird Chefin der Hongkong-Tochter der internationalen PR-Agentur Edelmann. Sie ist von dort auch für das Perlflussdelta und Taiwan zuständig.
Madhav Sheth scheidet als Chef von Realme aus, der Indien-Tochter des chinesischen Smartphone-Herstellers Oppo. Seine Nachfolge soll aus China kommen.
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Im Internet gibt es bekanntlich jede Menge Schweinereien. Sie sollten sich aber vor allem davor hüten, einem Schweineschwindler auf die Schlachtbank zu geraten. Das würde man Ihnen zumindest in China raten. Soll heißen: Lassen Sie sich nicht als armes Würstchen von einem Love-Scammer grillen. Denn die Abzocke von Heiratsschwindlern 2.0, also Tinder-Schwindlern und Konsorten, die im Internet liebeshungrigen Singles auflauern und ihnen den letzten Yuan aus den Rippen leiern, nennt man in China heute “Schweineschlachtspiel”, auf Chinesisch 杀猪盘 shāzhūpán.
Das Wort ist eine Zeichenkombi aus 杀 shā “töten”, 猪 zhū “Schwein” und 盘 pán, was eigentlich “Platte” oder “Teller” bedeutet, aber auch ein Zählwort für Angriffe, Partien und Aktionen im Sport sein kann. So kommt 盘 pán etwa auch in Begriffen wie 一 盘棋 yī pán qí “eine Partie Schach” oder 开盘 kāipán “einen Eröffnungszug machen” vor.
Die Figürchen der perfiden Pig-Partie, um die es hier geht, sind aber nicht Läufer, Springer und Türme, sondern naive arme Single-Schweine. Der Ursprung der Metapher ist nicht abschließend geklärt. In der chinesischen Tierkreiszeichen-Mythologie jedenfalls gilt das Grunzgetier nicht nur als besonders fleißig, sondern auch als mitfühlend, großzügig und liebenswürdig. Beste Beute also für Balzbetrüger.
Genauso wie bei uns, lauern die Herzensbrecher-Halunken ihren potenziellen Opfern meist auf Onlineportalen wie Single- oder Freundschaftsbörsen auf (婚恋交友网站 hūnliàn jiāoyǒu wǎngzhàn). Die Schlachter selbst nennen diese Plattformen als ihr Jagdrevier sarkastisch 猪圈 zhūjuàn, also “Schweinestall”.
Der typische Love- oder Romance-Scam ist dabei in Ost und West nach ähnlichem Muster gestrickt. Die Opferschweine (genannt 猪 zhū) sind in der Regel verzweifelte Alleinstehende (单身 dānshēn) in etwas fortgeschrittenerem Alter. Im ersten Schritt werden keine Perlen vor die Säue geworfen, sondern ein saustarkes Profil (人设 rénshè) rausgehauen. Es dient dazu, emotional bedürftige Borstenviecher anzufüttern und sich als vermeintlich perfekter Partner (完美恋人 wánměi liànrén) zu inszenieren.
Welcher Schweinefraß (猪饲料 zhū sìliào), sprich betrügerisches Lockmaterial, am besten mundet oder ködert, hängt natürlich stark davon ab, ob man als Viehzüchter nun eine “Sau” oder einen “Eber” vor sich hat. Weibliche Opfer finden dem Vernehmen nach nämlich vor allem einfühlsame und humorvolle Artgenossen zum Anbeißen. Am besten sollten diese außerdem einen Bildungsgrad ab Borsten-Bachelor aufwärts (高学历 gāo xuélì “hoher Bildungsabschluss”) sowie finanziell ordentlich Speck auf den Rippen (高收入 gāo shōurù “hohes Einkommen”) mitbringen.
Eber sind hingegen auf der Suche nach der Bilderbuch-Baifumei (白富美 báifùměi), das chinesische Synonym für “Traumfrau”, also einer Schönheit (美 měi “schön”) mit hellem Teint (白 bái “weiß, blass”) und hohem Kontostand (富 fù “reich, wohlhabend”). Gewürzt ist diese gute Partie dann am besten noch mit cleverem Köpfchen (高知女性 gāozhī nǚxìng “intellektuelle Dame”) und einer ordentlichen Prise Lebensfreude (热爱生活 rè’ài shēnghuó).
Haben Wutz und Watz erst einmal angebissen, werden sie mächtig gemästet. Sprich: Es wird allmählich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, um sie handzahm zu machen. Im chinesischen Schweineschwindler-Slang heißt das 养猪 yǎng zhū “Schweine züchten”. Hat das Mastvieh dann gefühlsmäßig genügend Wampe angesetzt, wird das Betrugsmesser gewetzt und gezückt, um das Vertrauensverhältnis nach allen Regeln der Kunst auszuschlachten und die vorgegaukelte Liebelei zu Profit zu verwursten.
Die Schweinezüchter lassen dann lügenmäßig richtig die Sau raus, um ihre Opfer bis auf den letzten Yuan auszuweiden. Sie locken die Liebestrunkenen zum Beispiel auf Glückspielplattformen, verführen sie zu vermeintlich lukrativen Investments oder bitten um größere Geldsummen, um sich aus einer angeblichen Notlage zu befreien. Werden die Geschröpften des Nepps dann gewahr, sind Raub-Romeo und Abzocke-Aphrodite natürlich schon längst wie gesengte Säue über alle Berge verschwunden, samt Moneten.
Die übers Schweinsohr Gehauenen haben dann nur noch das Nachsehen und fühlen sich meist saudreckig. Bleibt nur zu hoffen, dass Sie in Liebesdingen mehr Schwein haben und keinen Charakterschweinen auf den Leim gehen. Weder in China noch sonst wo.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.