Table.Briefing: China

EU-Vorstoß gegen Zwangsarbeit – UN-Menschenrechtsrat

  • EU-Kommission stellt Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit vor
  • Pekings Einfluss im UN-Menschenrechtsrat
  • UN-Botschafter schließt Tür für Zusammenarbeit
  • Kritik an Covid-Lockdown in Xinjiang
  • Festnahmen nach Kritik am Lockdown in Xinjiang
  • Britische Uni verzichtet auf chinesische Finanzierung
  • “Blick aus China” auf die Gefügigkeit des Volkes
Liebe Leserin, lieber Leser,

eigentlich wollte die EU-Kommission schon am Dienstag einen Gesetzesvorschlag zum Verbot von Zwangsarbeit vorstellen. Produkte, die von modernen Sklaven und Zwangsarbeiterinnen hergestellt werden, sollen zukünftig nicht mehr in der EU verkauft werden dürfen. Doch kurzfristig wurde die Veröffentlichung um einen Tag verschoben. Und in ihrer Rede zur Lage der EU am Mittwoch hat Ursula von der Leyen dieses wichtige Vorhaben mit keinem Wort erwähnt. Zeigt sich da Furcht vor der eigenen Courage?

Der Kommission dürfte in den kommenden Monaten heftiger Gegenwind von Unternehmensverbänden entgegenschlagen. In Krisen- und Inflationszeiten dürfe es keine neuen Regulierungen geben, die zusätzliche Kosten verursachen. Das Argument kennen wir von den Vorbereitungen für ein deutsches Lieferkettengesetz. Amelie Richter stellt heute den Gesetzentwurf zu Zwangsarbeit vor. Wir sind sehr gespannt auf die Abstimmungen mit dem Europaparlament und den Mitgliedsstaaten – und darauf, was von dem Vorhaben am Ende übrig bleibt.

Der UN-Menschenrechtsrat wird oft wegen seiner stimmberechtigten Mitglieder belächelt. Ob Kuba, Russland, China oder Pakistan – einige der Länder treten die Menschenrechte selbst mit Füßen. Deswegen könnte der UN-Bericht über die verheerende Menschenrechtssituation in Xinjiang der ehemaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte bald im sprichwörtlichen Papierkorb landen. China setzt derzeit alle Hebel in Bewegung, um eine nennenswerte Reaktion des Menschenrechtsrates zu verhindern, wie Marcel Grzanna berichtet. Und trotzdem ist es wichtig, dass solche Berichte veröffentlicht werden. Gesetzgeber und Parlamentarierinnen in demokratischen Staaten finden dort wichtige Argumente, um der weltweiten Geltung der Menschenrechte zur Durchsetzung zu verhelfen.

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

EU-Kommission nimmt auch Produkte aus Xinjiang ins Visier

Nach einigen Verzögerungen hat die EU-Kommission ihren viel beachteten Vorschlag für ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit vorgelegt. Künftig sollen Zwangsarbeitsprodukte ohne Ausnahme auf dem europäischen Markt verboten sein. Nach den Maßstäben des Kommissions-Vorschlags hätten es Produkte aus der chinesischen Provinz Xinjiang bald auf dem europäischen Markt schwer.

Anders als die USA mit dem Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) handelt es sich bei dem EU-Vorstoß allerdings um ein Vermarktungsverbot und keinen reinen Importstopp. Außerdem ist die Gesetzesvorlage nicht wie die US-Gesetzgebung auf eine Region oder bestimmte Produkte ausgelegt. Die Beweislast ist zudem anders gelagert. Gemeinsam haben die beiden Gesetze der USA und EU jedoch: Ein belegbarer Verdacht auf Zwangsarbeit reicht, um ein Produkt vom heimischen Markt zu nehmen sowie die Ein- und Ausfuhr verbieten zu können.

“Unser Ziel ist es, alle mit Zwangsarbeit hergestellten Produkte vom EU-Markt zu verbannen, unabhängig davon, wo sie hergestellt wurden. Unser Verbot gilt für einheimische Produkte, Exporte und Importe gleichermaßen”, erklärte Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Für die Umsetzung des Verbots sind die 27 Mitgliedsländer verantwortlich. Die nationalen Zoll- oder Marktaufsichtsbehörden sollen das Verbot durchsetzen.

“Risikobasierter Ansatz” mit Datenbank

Wie soll das Verbot funktionieren? Die EU-Kommission spricht bei ihrem Vorschlag von einem “risikobasierten Ansatz”. In einer ersten Phase sollen die Behörden der EU-Mitgliedsstaaten Zwangsarbeit-Risiken feststellen. Das erfolgt auf Basis von Informationen, etwa aus der Zivilgesellschaft, von NGOs oder aus Unternehmen. Mit diesen Informationen soll zudem eine Datenbank über Risikofaktoren aufgebaut werden. Dort werden beispielsweise Zeugenaussagen, NGO-Berichte oder anderen Dokumente zu Menschenrechtsverletzungen gesammelt.

Der Verdacht, dass ein bestimmtes Produkt mit Zwangsarbeit hergestellt wurde, kann von verschiedenen Stellen vorgebracht werden. Die nationalen Behörden müssen dann in einer zweiten Phase weitere Informationen von Unternehmen anfordern oder Prüfungen und Inspektionen auch von Zulieferern vornehmen. Wird ein Verstoß festgestellt, muss das Produkt innerhalb von sechs Wochen vom europäischen Binnenmarkt genommen werden. Sollte eine Untersuchung ins Stocken geraten, weil die betroffene Firma oder auch das Land, in dem die Produktion geprüft werden soll, nicht kooperieren, kann einfach auf Basis des Verdachts das Produkt gesperrt werden. So sollen endlose Überprüfungsschleifen und eine Hinhaltetaktik des betroffenen Landes verhindert werden.

Auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fallen in den Geltungsbereich des Gesetzesentwurfs. Allerdings wird sich die Durchsetzung wahrscheinlich auf große Unternehmen konzentrieren. Aspekte wie der Umfang der Geschäftstätigkeit und die Menge der betroffenen Produkte sollen während der Untersuchung berücksichtigt werden. KMUs sollen außerdem besondere Unterstützung bekommen, ihre Lieferketten zu prüfen.

Zwangsarbeit nach ILO-Definition in China schwierig

Was überhaupt als Zwangsarbeit angesehen wird, soll auf den Grundlagen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bestimmt werden. Die Organisation der Vereinten Nationen hat in den Konventionen 105 und 29 definiert, was als Zwangsarbeit gilt.

Und hier liegt ein großes Problem für den Handel mit China. Die Volksrepublik hat die beiden Übereinkommen zwar unterzeichnet und ratifiziert (China.Table berichtete) – die Führung in Peking erkennt aber immer noch nicht an, dass es Zwangsarbeit im Land überhaupt gibt.

Für den risikobasierten Verdachts-Ansatz sollte es allerdings ausreichend Material für die geplante Datenbank geben. So müssen die Behörden die Zwangsarbeit nicht bis ins Detail einzeln nachweisen, um Produkte verbieten zu können. Für Xinjiang gibt es hier ausreichend dokumentierte Belege, nicht zuletzt den Bericht der ehemaligen UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet und belegbare Zeugenaussagen von Betroffenen.

“Man kann nicht jedes Produkt zu 100 Prozent überprüfen”, sagt Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Außenhandelsausschusses des EU-Parlaments. Aber es lasse sich beispielsweise sagen, dass ein Produkt wie Christbaumschmuck zum großen Teil aus Chinas Provinz Xinjiang stamme. In solchen Fällen, sagt Lange, “wird es Veränderungen in den Wertschöpfungsketten geben”. Auch deutsche Unternehmen in Xinjiang, wie VW und BASF, müssten ihre Lieferketten genau prüfen.

Lücke bei staatlich verordneter Zwangsarbeit

Eine Lücke im EU-Vorschlag gibt es hinsichtlich China jedoch: Bei der Zwangsarbeit in Xinjiang ist der Staat die ausführende Kraft. Wie damit umgegangen werden soll, ist nicht klar angegeben. “Die Mehrdeutigkeit des Kommissions-Vorschlags zur staatlich verordneten Zwangsarbeit ist zutiefst besorgniserregend”, sagt Helene de Rengerve von der Organisation Anti-Slavery International. “Das Fehlen klarer Verfahren schränkt die Macht, Unternehmen dazu zu zwingen, staatlich verordnete Zwangsarbeit aus ihren Lieferketten zu entfernen, erheblich ein”, so de Rengerve.

Kritik am Kommissions-Vorschlag gibt es auch, da er keinerlei Entschädigung für Opfer der Zwangsarbeit vorsieht. Betroffene können keine Kompensation einfordern. Auch, dass das Verbot für Produkte gilt, nicht aber für Dienstleistungen, ist ein Schwachpunkt der Gesetzesvorlage.

Verschiedene Meinungen in EU-Parlament

Wie geht es nun weiter? Zunächst müssen das Europaparlament und der Rat der Mitgliedsländer ihre Positionen festlegen. Das könnte dauern. Der Vorschlag der EU-Kommission müsse jetzt analysiert und gegebenenfalls verbessert werden, schrieb der Handelsausschuss-Vorsitzende Lange auf Twitter. Es dürfte noch bis Anfang kommenden Jahres dauern, bis die EU-Parlamentarier ihre Position für die Verhandlungen mit der Kommission und dem EU-Rat festgelegt haben. Konservative Abgeordnete forderten bereits eine Rückstellung der Gesetzesvorlage. So forderte CDU-Politiker Daniel Caspary beispielsweise ein generelles Moratorium für EU-Gesetze, “die wirtschaftliche Tätigkeit erschweren”.

Der SPD-Europaabgeordnete und Vize-Vorsitzende der China-Delegation des Parlaments, René Repasi, sieht in dem Verbot einiges an Potenzial: “Ich gehe davon aus, dass dieser Rechtsakt große Wirkung haben wird.” Dass Peking sich das ohne Weiteres gefallen lässt, kann bezweifelt werden. “Es wird zu einer Reaktion kommen”, sagt Repasi. China könne sich aber nicht erlauben, den Handel mit der EU einzuschränken. Er gehe nicht davon aus, dass es zu großen Störungen in den Handelsketten komme, so Repasi. Ausreichend Zeit für die Vorbereitung hätten EU-Firmen: Wenn sich die EU-Institutionen auf einen Gesetzesvorschlag geeinigt haben, soll es noch ganze 24 Monate dauern, bis das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit in Kraft tritt.

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Chinas Lobby könnte Xinjiang-Resolution verhindern

Volker Türk wird neuer UN-Hochkommissar für Menschenrechte. Er gilt als China-nah. Eine UN-Resolution zu Xinjiang könnte durch Chinas Lobby verhindert werden.
Volker Türk wird neuer UN-Hochkommissar für Menschenrechte. Er gilt als China-nah.

Es sind geschäftige Zeiten für Chen Xu, Chinas Gesandten in Genf. Der ständige Vertreter der Volksrepublik am Sitz des UN-Menschenrechtsrats versucht in diesen Tagen mit allen Mitteln, eine mögliche Resolution gegen die Volksrepublik zu verhindern. Und vermutlich wird er damit Erfolg haben. Allerdings sind die Vorzeichen bei der 51. Sitzung des Rates, die sich bis in den Oktober hinziehen wird, besondere.

Der Bericht der inzwischen aus dem Amt geschiedenen Hochkommissarin Michelle Bachelet zur Menschenrechtslage in der autonomen chinesischen Region Xinjiang hat ein internationales Momentum dazu geschaffen, die chinesische Regierung für die willkürliche Internierung von Millionen von Menschen und deren politische Umerziehung zur Rechenschaft zu ziehen. Die Deutlichkeit, mit der der Bericht “mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit” anprangert, hatte sogar die Chinesen überrascht. Eine Resolution des Rates würde automatisch eine UN-Untersuchung nach sich ziehen.

Doch Chinas kontinuierliche Lobbyarbeit auf allen Ebenen der Vereinten Nationen und bei all ihren Mitgliedsstaaten zahlt sich aus. China nimmt seit Jahren intensiv Einfluss auf die Arbeit des Gremiums und verschafft sich dort immer wieder die nötigen Mehrheiten, um Resolutionen der Staatengemeinschaft gegen Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik zu verhindern. Während also die US-Regierung und zahlreiche Parlamente demokratischer Staaten des politischen Westens von einem Genozid in Xinjiang sprechen, etikettieren Staaten wie Äthiopien, Pakistan oder Kuba die Verbrechen als innere staatliche Angelegenheiten, die den Rest der Welt nichts angingen. Ganz im Sinne Chinas.

Chinas Botschafter in Genf gibt sich zuversichtlich

Zu groß ist auch in der aktuellen Besetzung des Rates die Koalition all jener, die bereit sind, Peking zu verteidigen. “China igelt sich ein und sieht sich zu keiner Zusammenarbeit in jedweder Form gezwungen. Ich glaube, das ist ein klares Anzeichen dafür, dass das Land sicher ist, dass es nicht zu einer Resolution kommen wird”, sagt ein Vertreter einer teilnehmenden UN-Organisation, der für öffentliche Stellungnahmen nicht autorisiert ist. “Der Menschenrechtsrat erlebt eine tiefere Spaltung. Das ist wie eine bipolare Störung im multilateralen Kontext.”

Chinas Botschafter Chen Xu ist sich der Unterstützung gewiss und gibt sich entsprechend zuversichtlich. “Die Welt der Entwicklungsländer wird sämtliche Initiativen, die gegen China gerichtet sind, abwehren”, prophezeit der Diplomat. Jegliches Bemühen, solche Initiativen zu starten, seien zum Scheitern verurteilt.

Olaf Wientzek von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Genf sieht das Kräfteverhältnis ebenfalls zugunsten Chinas gelagert. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters nannte er eine erwartete Stimmenanzahl von 16:14 gegen eine Resolution bei 17 Enthaltungen in dem 47 Staaten starken Gremium. “Je stärker das Mandat ist, desto größer sind die Chancen, dass es abgelehnt wird”, glaubt Wientzek.

Eine halbe Million Uiguren durch die Justiz verurteilt

Ihr Selbstbewusstsein macht die Volksrepublik auch durch ihre formellen Zugeständnisse in Sachen Zwangsarbeit deutlich. Mit der Ratifizierung der Konventionen 29 und 105 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) bekannte sich Peking kürzlich dazu, Zwangsarbeit als Maßnahme zur politischen Umerziehung oder aus ethnischen und religiösen Gründen abzulehnen. Doch genau diese Vergehen warf ihr ein japanischer Sonderberichterstatter in seinem Bericht an den Menschenrechtsrat vor.

Doch an China perlen die Vorwürfe ab. Der aktuelle Fünf-Jahresplan für die Region Xinjiang macht zudem wenig Hoffnung, dass sich an der willkürlichen Internierung von Uiguren und anderen ethnischen Minderheiten kurzfristig etwas ändert. Das Papier, das bis 2025 als Referenz für politische und wirtschaftliche Ziele gilt, erwähnt ausdrücklich die “Terrorismusbekämpfung”, die China als Rechtfertigung für sein hartes Vorgehen in Xinjiang nutzt. Etliche staatliche Dokumente und Augenzeugenberichte belegen jedoch, dass Haftstrafen und Zwangsarbeit als Mittel zur Umerziehung Teil einer völlig aus dem Ruder gelaufenen, vermeintlichen Terrorismusbekämpfung sind.

Am Mittwoch veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) neue Zahlen, nach denen mehr als eine halbe Million Menschen seit 2017 durch die chinesische Justiz zu Haftstrafen in Xinjiang verurteilt worden sind. “Diese formellen Strafverfolgungen, bei denen viele Menschen ohne Gerichtsverfahren bestraft wurden, unterscheiden sich von den willkürlichen Inhaftierungen in den außerhalb der Legalität befindlichen Einrichtungen für ‘politische Bildung’”, schreibt die Organisation in ihrem Bericht. Die Zahl der Internierten in den Umerziehungslagern geht in die Millionen, kann aber allenfalls geschätzt werden.

Bachelet-Nachfolger Türk stößt in Genf bitter auf

“Die Hoffnung Chinas ist, dass dem Westen mittelfristig der Atem ausgeht und die Koalition gegen Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu bröckeln beginnt”, sagt ein Vertreter der UN-Organisation, der nicht autorisiert ist, öffentlich zu kommentieren. “Deren Einstellung ist es, dass sich die Aufregung schon legen wird, wenn nur genug Zeit verstrichen ist. Deshalb befürchte ich, dass sich in China trotz der Ratifizierung von Konventionen nichts ändern wird.”

Wohl erst Anfang des kommenden Jahres wird eine technische Beratungskommission in die Volksrepublik reisen, um mit den Behörden vor Ort eine gemeinsame Definition von Zwangsarbeit zu ermitteln und eine gesetzliche Umsetzung voranzubringen. Die Kommission führt jedoch keine Untersuchung durch, so wie eine Resolution des Menschenrechtsrates sie nach ziehen würde.

In dieser Gemengelage tritt der Österreicher Volker Türk Mitte Oktober den Posten als UN-Hochkommissar für Menschenrechte an. Türk hat 30 Jahre Erfahrung im UN-Flüchtlingshilfswerk und gehörte zuletzt zum Beraterstab von UN-Generalsekretär António Guterres. Die Personalie stößt dem Vernehmen nach vielen Mitarbeitern des Hochkommissariats bitter auf. Türk gilt als Karrierist und verlängerter Arm von Guterres, dem seinerseits eine zu große Nähe zur chinesischen Regierung vorgeworfen wird. Auch Türk eilt in Genf der Ruf voraus, er würde einen sanften Umgang mit Peking bevorzugen.

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News

UN-Botschafter stellt Zusammenarbeit infrage

Chinas UN-Botschafter in Genf hat nach der Veröffentlichung eines viel beachteten Berichts über mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang die Zusammenarbeit Pekings mit dem UN-Menschenrechtsbüro infrage gestellt. “Wir können nicht zusammenarbeiten, als ob nichts passiert wäre”, sagte Botschafter Chen Xu Reportern in einem virtuellen Briefing. Das Menschenrechts-Büro haben selbst die Tür für Kooperation geschlossen, indem “die sogenannte Bewertung” veröffentlicht worden sei, zitiert Reuters den Botschafter. Den UN-Bericht nannte er demnach “illegal und ungültig”. Der China-Bericht soll während einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in dieser Woche debattiert werden. Chen sagte, er werde sich in dieser Sitzung allen Maßnahmen gegen China “stark widersetzen”.

Der Bericht war nur wenige Minuten vor Amtsende der Hohen Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, veröffentlicht worden (China.Table berichtete). Kritiker hatten der Chilenin zuvor mehrfach ein zu sanftes Vorgehen gegen Peking vorgeworfen. Chinas UN-Botschafter Chen erklärte, er habe das Gefühl, dass die “offensichtlichen Änderungen in Bachelets Haltung” darauf hinwiesen, dass diese die Schlussfolgerungen des Berichts nicht unterstütze. Bachelet sei mit den Schlussfolgerungen nicht einverstanden gewesen, weshalb der Bericht erst in der letzten Minuten veröffentlicht worden sei, so Chen.

Bachelet folgt nun der Österreicher Volker Türk als Menschenrechtskommissar nach. Die UN-Generalversammlung stimmte vergangene Woche der Ernennung durch UN-Generalsekretär António Guterres zu. Kritiker monierten die mangelnde Transparenz bei der Auswahl der Bachelet-Nachfolge. Türk gilt zudem als Wunschkandidat Chinas, da von ihm keine besonders harte Gangart gegen Peking erwartet wird. ari/rtr

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Kritik aus Xinjiang zu rigiden Covid-Lockdowns

Ungeachtet der wirtschaftlichen Folgen beharren Chinas Behörden weiterhin auf Massentests und Lockdowns. Zum diesjährigen Mondfest konnten viele Bewohner nicht über das Feiertagswochenende zu ihren Verwandten und Familien fahren. Die Nationale Gesundheitskommission hatte vergangenen Donnerstag kurzfristig eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, die bis Ende Oktober gelten sollen. Demnach sollen die Menschen unabhängig von der Infektionsrate regelmäßig getestet werden, wie der Nachrichtenagentur Bloomberg meldete. Während des anstehenden Nationalfeiertages Anfang Oktober geht das Land normalerweise in die sogenannte “Golden-Week” mit mehreren freien Tagen. Aufgrund des 20. Parteitages am 16. Oktober hatte Peking zuletzt die Maßnahmen im Land wieder verschärft. So dürfen Reisende aus und nach Peking nicht in Gebiete fahren oder aus Regionen kommen, in denen es in den vergangenen sieben Tagen eine Infektion gab.

Für zunehmende öffentliche Besorgnis führten nun Berichte über den Lockdown in der Stadt Yining in Xinjiang. Dort kann ein Großteil der rund 400.000 Bewohner ihre Wohnungen nicht mehr verlassen und ist auf staatliche Lebensmittellieferungen angewiesen. Auf der Online-Plattform Weibo berichteten Bewohner, dass die Essenslieferungen jedoch nur unregelmäßig ankommen. In anderen Berichten ist die Rede von Krankenhäusern, die auch in Notfällen den Einlass von Patienten verweigern, wenn diese keinen aktuellen PCR-Test vorweisen können. Besorgte User posteten Fotos von ihren Wohnanlagen, deren Eingänge mit Planen abgeriegelt wurden. Diese Beschreibungen sind nicht neu. Aus Yining, wo der Lockdown bereits seit eineinhalb Monaten in Kraft ist, werden Bilder durch die staatliche Zensur unterdrückt. Laut dem Wirtschaftsmagazin Caixin mussten die Behörden in Yining zuletzt jedoch öffentlich zugeben, dass “einige Einheimische Schwierigkeiten hatten, sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen”. ari/niw

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Haftstrafen nach Lockdown-Posts

Die Polizei in Yining in der autonomen Provinz Xinjiang hat vier Menschen vorübergehend in Gewahrsam genommen. Das Quartett, dessen Namen allesamt auf Han-cinesische Abstammung hindeuten, hatte in sozialen Medien kritische Kommentare zum Lockdown in der Grenzregion zu Kasachstan hinterlassen. Sie müssen für fünf bis zehn Tage in Haft, weil ihnen vorgeworfen wird, sie würden Gerüchte verbreiten und Unruhe stiften.

Die Behörden kontrollieren den Nachrichtenfluss aus dem Gebiet derzeit streng und mit höchster Wachsamkeit, seit sie einen Lockdown über Xinjiang verhängt haben (China.Table berichtete). Dennoch kursieren Videos, die die dramatische Lage in lokalen Haushalten zeigen sollen. Unter anderem sind Bilder von Kindern zu sehen, die apathisch in ihren Betten liegen, weil sie offenbar seit Tagen nichts zu essen bekommen haben.

Uigurische und kasachische Aktivisten außerhalb der Volksrepublik werfen den Behörden in Yining, das auf kasachisch Gulja heißt, vor, die muslimische Bevölkerung der Stadt nicht mit Lebensmitteln zu versorgen. Schwangere sollen Fehlgeburten erlitten haben, nachdem sie mehrere Wochen zu Hause eingesperrt worden seien. Ein anderes Video zeigt die Leiche eins mittelalten Mannes in einem Bett, der verhungert sein soll. Bestätigungen für die Echtheit der Videos und Vorwürfe gab es zunächst nicht.

Die Behörden hatten am Wochenende zumindest Mängel bei der medizinischen Betreuung von Bewohnern der 400.000-Einwohner-Stadt.eingeräumt. Offenbar waren entsprechende Hilferufe über eine Hotline eingegangen. In ihrer Verzweiflung posten manche in WeChat-Gruppen Videos, die dann über Aktivisten ins Ausland geschmuggelt werden. In einem weiteren Video fleht ein Mann um Hilfe. Er zeigt Verständnis für den Lockdown, macht aber unmissverständlich auf die Notsituation aufmerksam. Er zeigt einen leeren Kühlschrank und seine drei Kinder am Esstisch, die demnach seit drei Tagen nichts zu essen gehabt hatten. grz

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Britische Uni schließt Forschungszentren

Die britische Hochschule Imperial College wird einem Medienbericht zufolge zwei Forschungszentren schließen, die von chinesischen Luftfahrtunternehmen finanziell unterstützt wurden. Das AVIC Center for Structural Design and Manufacturing habe vom staatlichen chinesischen Rüstungs- und Flugzeugkonzern in der Vergangenheit rund sechs Millionen Pfund erhalten, um an Materialien für die Luft- und Raumfahrt zu forschen, berichtete die britische Zeitung “Guardian” am Montag. Eine weitere Einrichtung sei zusammen mit dem Beijing Institute of Aeronautical Materials (BIAM) betrieben worden. Beide Forschungszentren würden nun bis Ende des Jahres geschlossen, teilte die britische Tech-Uni laut Bericht mit.

Die Entscheidung sei getroffen worden, nachdem zwei Lizenzanträge aus den Forschungszentren bei der britischen “Export Control Joint Unit” (ECJU) abgelehnt worden waren. ECJU überwacht den Austausch sensibler Forschungsergebnisse mit internationalen Partnern. Die Chefs des britischen Geheimdienstes MI5 und des amerikanischen FBI hatten im Juli vor der von China ausgehenden Spionagebedrohung für britische Universitäten gewarnt (China.Table berichtete). ari

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Standpunkt

Die seltsame Gefügigkeit der Chinesen

Ein einziger Corona-Fall bedeutet in China den Lockdown ganzer Metropolen. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie ist die Zahl schwerer Covid-19-Erkrankungen und Todesfälle im Land von der Größenordnung her so niedrig wie im Rest der Welt. Peking ist jedoch nach wie vor besessen von seiner Null-Covid-Politik. 

Ein chinesischer Lockdown ist dabei wesentlich strikter als der “harte” Lockdown, der in Deutschland gleich zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 verhängt wurde. In der chinesischen Version dürfen die Menschen ihre Wohnungen überhaupt nicht verlassen, nicht einmal für Beerdigungen, Erntearbeiten, Lebensmitteleinkäufe und Spaziergänge mit dem Hund. Dringende medizinische Behandlungen werden oft verschoben. Todesfälle, die durch diese brutale Politik verursacht werden, sind an der Tagesordnung.

Wie können 1,4 Milliarden Menschen derart gefügig sein, dass sie die ungerechtfertigten Einschränkungen persönlicher Freiheitsrechte derart lange hinnehmen? 

Die Antwort ist komplex

Zunächst wird die Schwere der Erkrankung durch gezielte Propaganda und Fehlinformationen hochstilisiert. Der lockerere Umgang westlicher Regierungen mit der Pandemie (sowie ihre realen Fehler) werden als Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben abgestempelt, beispielsweise wie in den Vereinigten Staaten unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Pekings Propaganda hat die Angst der Menschen sehr effektiv genutzt, um sie zur Kooperation zu bewegen.

Nachdem die Bevölkerung die sinkende Zahl der Corona-Todesfälle allmählich bemerkt hatte, nutzten die Behörden den allgemeinen Gehorsam der chinesischen Bevölkerung gegenüber der Regierung, um die strengen Maßnahmen weiterzuführen. 

Die chinesische Bevölkerung wird ihr ganzes Leben lang darauf getrimmt, Befehlen der Obrigkeit Folge zu leisten, und zwar vom Kindergarten bis zum Berufsleben. 

Ich habe lange Zeit in Peking gelebt. In meiner Nachbarschaft gab es einen Kindergarten, eine Grundschule und eine weiterführende Schule. Von meinem Küchenfenster aus konnte ich direkt auf den Schulhof sehen. An den Schultagen versammelten sich dort jeden Tag gegen zehn Uhr morgens alle Schüler, etwa 200 an der Zahl, und durchliefen immer die gleiche Routine.

Zum Gehorsam erzogen

Der erste Teil ist eine Formationsübung im militärischen Stil. Alle folgen den Befehlen einer männlichen, autoritären Stimme aus einem Lautsprecher. Der zweite Teil sind Dehnungsübungen, bei der alle gleichzeitig dieselben Bewegungen zu Begleitmusik und auf Kommando ausführen. Zum Schluss präsentiert ein Lehrer oder gelegentlich auch ein Schüler einer höheren Klasse, ebenfalls über Lautsprecher, das Ergebnis der sogenannten “Disziplinarkontrolle”, wobei Schüler mit guten Leistungen gelobt und Schüler mit schlechten Leistungen scharf getadelt werden. In der Grundschule geschieht das Gleiche, im Kindergarten auch, aber in kürzerer, sanfterer Form. 

So war es schon fast immer seit der Gründung der Volksrepublik, und es ist überall in China mehr oder weniger das gleiche Prozedere.

Die Dehnungsübung hat ihre Vorteile, sie ist gut für den Körper und die Gesundheit, auch wenn die gleiche Übung tagein tagaus recht öde ist. Aber bei den anderen beiden Elementen geht es im Wesentlichen nur um Disziplin und das Befolgen von Anweisungen.

Diese Art von Gehorsamkeitstraining ist nur ein Beispiel, das tief in der chinesischen Kultur verwurzelt ist und perfekt vom totalitären Regime für seine Zwecke genutzt wird. Sie dienen dazu, die Individualität zu unterdrücken und einen homogenen kollektiven Körper zu schaffen. Tatsächlich ist “kollektives Interesse” ein Begriff, der von den Machthabern auf verschiedenen Ebenen in China häufig gebraucht wird.

Was als kollektive Interesse gilt, wird natürlich ausschließlich von ihnen bestimmt. In den meisten Fällen werden diese “kollektiven Interessen”, ob sie nun echt oder nur vorgetäuscht sind, auf Kosten der Rechte des Einzelnen und manchmal sogar auf Kosten seines Lebens durchgesetzt.

Das Wissen der Chinesen um ihre Rechte war schon immer niedrig, was hier auf einen Mangel an Aufklärung zurückgeht. In den 1990er Jahren und im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gab es einige Fortschritte, aber in den letzten zehn Jahren hat sich die Situation wieder verschlechtert. “Rechte” sind im heutigen China fast ein Tabuwort, vor allem wenn man sie einfordert oder sich auf sie beruft, um sich gegen die Regierung zu verteidigen, seien es Arbeitnehmerrechte, Frauenrechte, LGBT-Rechte, Gewerkschafts- und Demonstrationsrechte. Kommentare, die sich für Rechte einsetzen, werden zensiert, Konten in den sozialen Medien gelöscht, Organisationen, die in diesen Bereichen arbeiten, werden geschlossen, Anwälte und Aktivisten werden schikaniert und inhaftiert.

Eine von der Regierung geschürte Angst

Was das Coronavirus angeht, so propagiert Präsident Xi Jinping unermüdlich seine Null-Covid Politik. Die Beamten auf den verschiedenen Regierungsebenen sind sich bewusst, dass sie keine Wahl haben, als sie zumindest ordnungsgemäß umzusetzen, wenn nicht gar zu übertreiben, um ihre Loyalität unter Beweis zu stellen. Anderenfalls müssen sie die Konsequenzen tragen, womit auch ihre Karriere beendet ist. Auch die Bevölkerung weiß, dass sie sich fügen muss, wenn der politische Wille derart unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird. Andernfalls erwarten sie zahlreiche Strafen.

Das Stichwort lautet: Angst. Es mag zweifellos mutige Seelen geben, die versuchen, ihre Mitmenschen zum Widerstand zu bewegen, zum Beispiel gegen die unverhältnismäßig harten Coronamaßnahmen. Jedoch werden solche Versuche durch die allgegenwärtigen Sicherheitskameras in der realen Welt, und durch ein ausgeklügeltes Zensursystem und eine Armee menschlicher Kontrolleure in der virtuellen Welt, schnell aufgedeckt. Die Probleme, die von solchen wenigen Andersdenkenden entstehen, werden schnell und von der Mehrheit unbemerkt zerschlagen. Jegliche Hinweise auf sie, falls es je welche gab, werden schnell gelöscht, um die restliche Bevölkerung nicht noch anzustacheln.

Die Menschen, die Teil dieses Überwachungsapparates sind, repräsentieren, um es mit den Worten von Hannah Arendt zu sagen, die Banalität des Bösen. Einige von ihnen glauben möglicherweise sogar tatsächlich, dass sie dem Land damit helfen.

Ein Probelauf für mehr Überwachung?

Aber woher rührt Pekings Besessenheit mit Null-Covid? Der wahrscheinlichste Grund ist Xis Sorge vor sozialen Unruhen vor dem 20. Parteitag, auf dem er voraussichtlich seine dritte Amtszeit als Parteichef und Präsident antritt. Er betrachtet es als seinen persönlichen Erfolg, dass China die Coronasituation anfangs besser unter Kontrolle hatte als der Rest der Welt, und er will sich diesen Erfolg bis zur Sicherung seiner dritten Amtszeit bewahren.

Laut einer anderen Theorie sieht der Staat die Corona-Maßnahmen als eine Art Testlauf für eine noch stärkere Überwachung der Gesellschaft an. Diese Vermutung lässt sich nicht hinreichend begründen. Aber auch wenn dies nicht der Plan der Regierung ist, werden die Erfahrungen, die während der Pandemie gemacht wurden, sicherlich in der Zukunft genutzt werden.

Was die Frage angeht, warum alle hochrangigen Funktionäre und politischen Entscheidungsträger Xis Entscheidung folgen. Kurz gesagt, das ist seinem brillanten Umgang mit innerparteilichen Grabenkämpfen zu verdanken. Aber das ist eine andere Geschichte.

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  • Xi Jinping

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • UN-Botschafter schließt Tür für Zusammenarbeit
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    • Festnahmen nach Kritik am Lockdown in Xinjiang
    • Britische Uni verzichtet auf chinesische Finanzierung
    • “Blick aus China” auf die Gefügigkeit des Volkes
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    eigentlich wollte die EU-Kommission schon am Dienstag einen Gesetzesvorschlag zum Verbot von Zwangsarbeit vorstellen. Produkte, die von modernen Sklaven und Zwangsarbeiterinnen hergestellt werden, sollen zukünftig nicht mehr in der EU verkauft werden dürfen. Doch kurzfristig wurde die Veröffentlichung um einen Tag verschoben. Und in ihrer Rede zur Lage der EU am Mittwoch hat Ursula von der Leyen dieses wichtige Vorhaben mit keinem Wort erwähnt. Zeigt sich da Furcht vor der eigenen Courage?

    Der Kommission dürfte in den kommenden Monaten heftiger Gegenwind von Unternehmensverbänden entgegenschlagen. In Krisen- und Inflationszeiten dürfe es keine neuen Regulierungen geben, die zusätzliche Kosten verursachen. Das Argument kennen wir von den Vorbereitungen für ein deutsches Lieferkettengesetz. Amelie Richter stellt heute den Gesetzentwurf zu Zwangsarbeit vor. Wir sind sehr gespannt auf die Abstimmungen mit dem Europaparlament und den Mitgliedsstaaten – und darauf, was von dem Vorhaben am Ende übrig bleibt.

    Der UN-Menschenrechtsrat wird oft wegen seiner stimmberechtigten Mitglieder belächelt. Ob Kuba, Russland, China oder Pakistan – einige der Länder treten die Menschenrechte selbst mit Füßen. Deswegen könnte der UN-Bericht über die verheerende Menschenrechtssituation in Xinjiang der ehemaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte bald im sprichwörtlichen Papierkorb landen. China setzt derzeit alle Hebel in Bewegung, um eine nennenswerte Reaktion des Menschenrechtsrates zu verhindern, wie Marcel Grzanna berichtet. Und trotzdem ist es wichtig, dass solche Berichte veröffentlicht werden. Gesetzgeber und Parlamentarierinnen in demokratischen Staaten finden dort wichtige Argumente, um der weltweiten Geltung der Menschenrechte zur Durchsetzung zu verhelfen.

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    EU-Kommission nimmt auch Produkte aus Xinjiang ins Visier

    Nach einigen Verzögerungen hat die EU-Kommission ihren viel beachteten Vorschlag für ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit vorgelegt. Künftig sollen Zwangsarbeitsprodukte ohne Ausnahme auf dem europäischen Markt verboten sein. Nach den Maßstäben des Kommissions-Vorschlags hätten es Produkte aus der chinesischen Provinz Xinjiang bald auf dem europäischen Markt schwer.

    Anders als die USA mit dem Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) handelt es sich bei dem EU-Vorstoß allerdings um ein Vermarktungsverbot und keinen reinen Importstopp. Außerdem ist die Gesetzesvorlage nicht wie die US-Gesetzgebung auf eine Region oder bestimmte Produkte ausgelegt. Die Beweislast ist zudem anders gelagert. Gemeinsam haben die beiden Gesetze der USA und EU jedoch: Ein belegbarer Verdacht auf Zwangsarbeit reicht, um ein Produkt vom heimischen Markt zu nehmen sowie die Ein- und Ausfuhr verbieten zu können.

    “Unser Ziel ist es, alle mit Zwangsarbeit hergestellten Produkte vom EU-Markt zu verbannen, unabhängig davon, wo sie hergestellt wurden. Unser Verbot gilt für einheimische Produkte, Exporte und Importe gleichermaßen”, erklärte Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Für die Umsetzung des Verbots sind die 27 Mitgliedsländer verantwortlich. Die nationalen Zoll- oder Marktaufsichtsbehörden sollen das Verbot durchsetzen.

    “Risikobasierter Ansatz” mit Datenbank

    Wie soll das Verbot funktionieren? Die EU-Kommission spricht bei ihrem Vorschlag von einem “risikobasierten Ansatz”. In einer ersten Phase sollen die Behörden der EU-Mitgliedsstaaten Zwangsarbeit-Risiken feststellen. Das erfolgt auf Basis von Informationen, etwa aus der Zivilgesellschaft, von NGOs oder aus Unternehmen. Mit diesen Informationen soll zudem eine Datenbank über Risikofaktoren aufgebaut werden. Dort werden beispielsweise Zeugenaussagen, NGO-Berichte oder anderen Dokumente zu Menschenrechtsverletzungen gesammelt.

    Der Verdacht, dass ein bestimmtes Produkt mit Zwangsarbeit hergestellt wurde, kann von verschiedenen Stellen vorgebracht werden. Die nationalen Behörden müssen dann in einer zweiten Phase weitere Informationen von Unternehmen anfordern oder Prüfungen und Inspektionen auch von Zulieferern vornehmen. Wird ein Verstoß festgestellt, muss das Produkt innerhalb von sechs Wochen vom europäischen Binnenmarkt genommen werden. Sollte eine Untersuchung ins Stocken geraten, weil die betroffene Firma oder auch das Land, in dem die Produktion geprüft werden soll, nicht kooperieren, kann einfach auf Basis des Verdachts das Produkt gesperrt werden. So sollen endlose Überprüfungsschleifen und eine Hinhaltetaktik des betroffenen Landes verhindert werden.

    Auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fallen in den Geltungsbereich des Gesetzesentwurfs. Allerdings wird sich die Durchsetzung wahrscheinlich auf große Unternehmen konzentrieren. Aspekte wie der Umfang der Geschäftstätigkeit und die Menge der betroffenen Produkte sollen während der Untersuchung berücksichtigt werden. KMUs sollen außerdem besondere Unterstützung bekommen, ihre Lieferketten zu prüfen.

    Zwangsarbeit nach ILO-Definition in China schwierig

    Was überhaupt als Zwangsarbeit angesehen wird, soll auf den Grundlagen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bestimmt werden. Die Organisation der Vereinten Nationen hat in den Konventionen 105 und 29 definiert, was als Zwangsarbeit gilt.

    Und hier liegt ein großes Problem für den Handel mit China. Die Volksrepublik hat die beiden Übereinkommen zwar unterzeichnet und ratifiziert (China.Table berichtete) – die Führung in Peking erkennt aber immer noch nicht an, dass es Zwangsarbeit im Land überhaupt gibt.

    Für den risikobasierten Verdachts-Ansatz sollte es allerdings ausreichend Material für die geplante Datenbank geben. So müssen die Behörden die Zwangsarbeit nicht bis ins Detail einzeln nachweisen, um Produkte verbieten zu können. Für Xinjiang gibt es hier ausreichend dokumentierte Belege, nicht zuletzt den Bericht der ehemaligen UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet und belegbare Zeugenaussagen von Betroffenen.

    “Man kann nicht jedes Produkt zu 100 Prozent überprüfen”, sagt Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Außenhandelsausschusses des EU-Parlaments. Aber es lasse sich beispielsweise sagen, dass ein Produkt wie Christbaumschmuck zum großen Teil aus Chinas Provinz Xinjiang stamme. In solchen Fällen, sagt Lange, “wird es Veränderungen in den Wertschöpfungsketten geben”. Auch deutsche Unternehmen in Xinjiang, wie VW und BASF, müssten ihre Lieferketten genau prüfen.

    Lücke bei staatlich verordneter Zwangsarbeit

    Eine Lücke im EU-Vorschlag gibt es hinsichtlich China jedoch: Bei der Zwangsarbeit in Xinjiang ist der Staat die ausführende Kraft. Wie damit umgegangen werden soll, ist nicht klar angegeben. “Die Mehrdeutigkeit des Kommissions-Vorschlags zur staatlich verordneten Zwangsarbeit ist zutiefst besorgniserregend”, sagt Helene de Rengerve von der Organisation Anti-Slavery International. “Das Fehlen klarer Verfahren schränkt die Macht, Unternehmen dazu zu zwingen, staatlich verordnete Zwangsarbeit aus ihren Lieferketten zu entfernen, erheblich ein”, so de Rengerve.

    Kritik am Kommissions-Vorschlag gibt es auch, da er keinerlei Entschädigung für Opfer der Zwangsarbeit vorsieht. Betroffene können keine Kompensation einfordern. Auch, dass das Verbot für Produkte gilt, nicht aber für Dienstleistungen, ist ein Schwachpunkt der Gesetzesvorlage.

    Verschiedene Meinungen in EU-Parlament

    Wie geht es nun weiter? Zunächst müssen das Europaparlament und der Rat der Mitgliedsländer ihre Positionen festlegen. Das könnte dauern. Der Vorschlag der EU-Kommission müsse jetzt analysiert und gegebenenfalls verbessert werden, schrieb der Handelsausschuss-Vorsitzende Lange auf Twitter. Es dürfte noch bis Anfang kommenden Jahres dauern, bis die EU-Parlamentarier ihre Position für die Verhandlungen mit der Kommission und dem EU-Rat festgelegt haben. Konservative Abgeordnete forderten bereits eine Rückstellung der Gesetzesvorlage. So forderte CDU-Politiker Daniel Caspary beispielsweise ein generelles Moratorium für EU-Gesetze, “die wirtschaftliche Tätigkeit erschweren”.

    Der SPD-Europaabgeordnete und Vize-Vorsitzende der China-Delegation des Parlaments, René Repasi, sieht in dem Verbot einiges an Potenzial: “Ich gehe davon aus, dass dieser Rechtsakt große Wirkung haben wird.” Dass Peking sich das ohne Weiteres gefallen lässt, kann bezweifelt werden. “Es wird zu einer Reaktion kommen”, sagt Repasi. China könne sich aber nicht erlauben, den Handel mit der EU einzuschränken. Er gehe nicht davon aus, dass es zu großen Störungen in den Handelsketten komme, so Repasi. Ausreichend Zeit für die Vorbereitung hätten EU-Firmen: Wenn sich die EU-Institutionen auf einen Gesetzesvorschlag geeinigt haben, soll es noch ganze 24 Monate dauern, bis das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit in Kraft tritt.

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    Chinas Lobby könnte Xinjiang-Resolution verhindern

    Volker Türk wird neuer UN-Hochkommissar für Menschenrechte. Er gilt als China-nah. Eine UN-Resolution zu Xinjiang könnte durch Chinas Lobby verhindert werden.
    Volker Türk wird neuer UN-Hochkommissar für Menschenrechte. Er gilt als China-nah.

    Es sind geschäftige Zeiten für Chen Xu, Chinas Gesandten in Genf. Der ständige Vertreter der Volksrepublik am Sitz des UN-Menschenrechtsrats versucht in diesen Tagen mit allen Mitteln, eine mögliche Resolution gegen die Volksrepublik zu verhindern. Und vermutlich wird er damit Erfolg haben. Allerdings sind die Vorzeichen bei der 51. Sitzung des Rates, die sich bis in den Oktober hinziehen wird, besondere.

    Der Bericht der inzwischen aus dem Amt geschiedenen Hochkommissarin Michelle Bachelet zur Menschenrechtslage in der autonomen chinesischen Region Xinjiang hat ein internationales Momentum dazu geschaffen, die chinesische Regierung für die willkürliche Internierung von Millionen von Menschen und deren politische Umerziehung zur Rechenschaft zu ziehen. Die Deutlichkeit, mit der der Bericht “mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit” anprangert, hatte sogar die Chinesen überrascht. Eine Resolution des Rates würde automatisch eine UN-Untersuchung nach sich ziehen.

    Doch Chinas kontinuierliche Lobbyarbeit auf allen Ebenen der Vereinten Nationen und bei all ihren Mitgliedsstaaten zahlt sich aus. China nimmt seit Jahren intensiv Einfluss auf die Arbeit des Gremiums und verschafft sich dort immer wieder die nötigen Mehrheiten, um Resolutionen der Staatengemeinschaft gegen Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik zu verhindern. Während also die US-Regierung und zahlreiche Parlamente demokratischer Staaten des politischen Westens von einem Genozid in Xinjiang sprechen, etikettieren Staaten wie Äthiopien, Pakistan oder Kuba die Verbrechen als innere staatliche Angelegenheiten, die den Rest der Welt nichts angingen. Ganz im Sinne Chinas.

    Chinas Botschafter in Genf gibt sich zuversichtlich

    Zu groß ist auch in der aktuellen Besetzung des Rates die Koalition all jener, die bereit sind, Peking zu verteidigen. “China igelt sich ein und sieht sich zu keiner Zusammenarbeit in jedweder Form gezwungen. Ich glaube, das ist ein klares Anzeichen dafür, dass das Land sicher ist, dass es nicht zu einer Resolution kommen wird”, sagt ein Vertreter einer teilnehmenden UN-Organisation, der für öffentliche Stellungnahmen nicht autorisiert ist. “Der Menschenrechtsrat erlebt eine tiefere Spaltung. Das ist wie eine bipolare Störung im multilateralen Kontext.”

    Chinas Botschafter Chen Xu ist sich der Unterstützung gewiss und gibt sich entsprechend zuversichtlich. “Die Welt der Entwicklungsländer wird sämtliche Initiativen, die gegen China gerichtet sind, abwehren”, prophezeit der Diplomat. Jegliches Bemühen, solche Initiativen zu starten, seien zum Scheitern verurteilt.

    Olaf Wientzek von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Genf sieht das Kräfteverhältnis ebenfalls zugunsten Chinas gelagert. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters nannte er eine erwartete Stimmenanzahl von 16:14 gegen eine Resolution bei 17 Enthaltungen in dem 47 Staaten starken Gremium. “Je stärker das Mandat ist, desto größer sind die Chancen, dass es abgelehnt wird”, glaubt Wientzek.

    Eine halbe Million Uiguren durch die Justiz verurteilt

    Ihr Selbstbewusstsein macht die Volksrepublik auch durch ihre formellen Zugeständnisse in Sachen Zwangsarbeit deutlich. Mit der Ratifizierung der Konventionen 29 und 105 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) bekannte sich Peking kürzlich dazu, Zwangsarbeit als Maßnahme zur politischen Umerziehung oder aus ethnischen und religiösen Gründen abzulehnen. Doch genau diese Vergehen warf ihr ein japanischer Sonderberichterstatter in seinem Bericht an den Menschenrechtsrat vor.

    Doch an China perlen die Vorwürfe ab. Der aktuelle Fünf-Jahresplan für die Region Xinjiang macht zudem wenig Hoffnung, dass sich an der willkürlichen Internierung von Uiguren und anderen ethnischen Minderheiten kurzfristig etwas ändert. Das Papier, das bis 2025 als Referenz für politische und wirtschaftliche Ziele gilt, erwähnt ausdrücklich die “Terrorismusbekämpfung”, die China als Rechtfertigung für sein hartes Vorgehen in Xinjiang nutzt. Etliche staatliche Dokumente und Augenzeugenberichte belegen jedoch, dass Haftstrafen und Zwangsarbeit als Mittel zur Umerziehung Teil einer völlig aus dem Ruder gelaufenen, vermeintlichen Terrorismusbekämpfung sind.

    Am Mittwoch veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) neue Zahlen, nach denen mehr als eine halbe Million Menschen seit 2017 durch die chinesische Justiz zu Haftstrafen in Xinjiang verurteilt worden sind. “Diese formellen Strafverfolgungen, bei denen viele Menschen ohne Gerichtsverfahren bestraft wurden, unterscheiden sich von den willkürlichen Inhaftierungen in den außerhalb der Legalität befindlichen Einrichtungen für ‘politische Bildung’”, schreibt die Organisation in ihrem Bericht. Die Zahl der Internierten in den Umerziehungslagern geht in die Millionen, kann aber allenfalls geschätzt werden.

    Bachelet-Nachfolger Türk stößt in Genf bitter auf

    “Die Hoffnung Chinas ist, dass dem Westen mittelfristig der Atem ausgeht und die Koalition gegen Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu bröckeln beginnt”, sagt ein Vertreter der UN-Organisation, der nicht autorisiert ist, öffentlich zu kommentieren. “Deren Einstellung ist es, dass sich die Aufregung schon legen wird, wenn nur genug Zeit verstrichen ist. Deshalb befürchte ich, dass sich in China trotz der Ratifizierung von Konventionen nichts ändern wird.”

    Wohl erst Anfang des kommenden Jahres wird eine technische Beratungskommission in die Volksrepublik reisen, um mit den Behörden vor Ort eine gemeinsame Definition von Zwangsarbeit zu ermitteln und eine gesetzliche Umsetzung voranzubringen. Die Kommission führt jedoch keine Untersuchung durch, so wie eine Resolution des Menschenrechtsrates sie nach ziehen würde.

    In dieser Gemengelage tritt der Österreicher Volker Türk Mitte Oktober den Posten als UN-Hochkommissar für Menschenrechte an. Türk hat 30 Jahre Erfahrung im UN-Flüchtlingshilfswerk und gehörte zuletzt zum Beraterstab von UN-Generalsekretär António Guterres. Die Personalie stößt dem Vernehmen nach vielen Mitarbeitern des Hochkommissariats bitter auf. Türk gilt als Karrierist und verlängerter Arm von Guterres, dem seinerseits eine zu große Nähe zur chinesischen Regierung vorgeworfen wird. Auch Türk eilt in Genf der Ruf voraus, er würde einen sanften Umgang mit Peking bevorzugen.

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    UN-Botschafter stellt Zusammenarbeit infrage

    Chinas UN-Botschafter in Genf hat nach der Veröffentlichung eines viel beachteten Berichts über mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang die Zusammenarbeit Pekings mit dem UN-Menschenrechtsbüro infrage gestellt. “Wir können nicht zusammenarbeiten, als ob nichts passiert wäre”, sagte Botschafter Chen Xu Reportern in einem virtuellen Briefing. Das Menschenrechts-Büro haben selbst die Tür für Kooperation geschlossen, indem “die sogenannte Bewertung” veröffentlicht worden sei, zitiert Reuters den Botschafter. Den UN-Bericht nannte er demnach “illegal und ungültig”. Der China-Bericht soll während einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in dieser Woche debattiert werden. Chen sagte, er werde sich in dieser Sitzung allen Maßnahmen gegen China “stark widersetzen”.

    Der Bericht war nur wenige Minuten vor Amtsende der Hohen Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, veröffentlicht worden (China.Table berichtete). Kritiker hatten der Chilenin zuvor mehrfach ein zu sanftes Vorgehen gegen Peking vorgeworfen. Chinas UN-Botschafter Chen erklärte, er habe das Gefühl, dass die “offensichtlichen Änderungen in Bachelets Haltung” darauf hinwiesen, dass diese die Schlussfolgerungen des Berichts nicht unterstütze. Bachelet sei mit den Schlussfolgerungen nicht einverstanden gewesen, weshalb der Bericht erst in der letzten Minuten veröffentlicht worden sei, so Chen.

    Bachelet folgt nun der Österreicher Volker Türk als Menschenrechtskommissar nach. Die UN-Generalversammlung stimmte vergangene Woche der Ernennung durch UN-Generalsekretär António Guterres zu. Kritiker monierten die mangelnde Transparenz bei der Auswahl der Bachelet-Nachfolge. Türk gilt zudem als Wunschkandidat Chinas, da von ihm keine besonders harte Gangart gegen Peking erwartet wird. ari/rtr

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    Kritik aus Xinjiang zu rigiden Covid-Lockdowns

    Ungeachtet der wirtschaftlichen Folgen beharren Chinas Behörden weiterhin auf Massentests und Lockdowns. Zum diesjährigen Mondfest konnten viele Bewohner nicht über das Feiertagswochenende zu ihren Verwandten und Familien fahren. Die Nationale Gesundheitskommission hatte vergangenen Donnerstag kurzfristig eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, die bis Ende Oktober gelten sollen. Demnach sollen die Menschen unabhängig von der Infektionsrate regelmäßig getestet werden, wie der Nachrichtenagentur Bloomberg meldete. Während des anstehenden Nationalfeiertages Anfang Oktober geht das Land normalerweise in die sogenannte “Golden-Week” mit mehreren freien Tagen. Aufgrund des 20. Parteitages am 16. Oktober hatte Peking zuletzt die Maßnahmen im Land wieder verschärft. So dürfen Reisende aus und nach Peking nicht in Gebiete fahren oder aus Regionen kommen, in denen es in den vergangenen sieben Tagen eine Infektion gab.

    Für zunehmende öffentliche Besorgnis führten nun Berichte über den Lockdown in der Stadt Yining in Xinjiang. Dort kann ein Großteil der rund 400.000 Bewohner ihre Wohnungen nicht mehr verlassen und ist auf staatliche Lebensmittellieferungen angewiesen. Auf der Online-Plattform Weibo berichteten Bewohner, dass die Essenslieferungen jedoch nur unregelmäßig ankommen. In anderen Berichten ist die Rede von Krankenhäusern, die auch in Notfällen den Einlass von Patienten verweigern, wenn diese keinen aktuellen PCR-Test vorweisen können. Besorgte User posteten Fotos von ihren Wohnanlagen, deren Eingänge mit Planen abgeriegelt wurden. Diese Beschreibungen sind nicht neu. Aus Yining, wo der Lockdown bereits seit eineinhalb Monaten in Kraft ist, werden Bilder durch die staatliche Zensur unterdrückt. Laut dem Wirtschaftsmagazin Caixin mussten die Behörden in Yining zuletzt jedoch öffentlich zugeben, dass “einige Einheimische Schwierigkeiten hatten, sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen”. ari/niw

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    Haftstrafen nach Lockdown-Posts

    Die Polizei in Yining in der autonomen Provinz Xinjiang hat vier Menschen vorübergehend in Gewahrsam genommen. Das Quartett, dessen Namen allesamt auf Han-cinesische Abstammung hindeuten, hatte in sozialen Medien kritische Kommentare zum Lockdown in der Grenzregion zu Kasachstan hinterlassen. Sie müssen für fünf bis zehn Tage in Haft, weil ihnen vorgeworfen wird, sie würden Gerüchte verbreiten und Unruhe stiften.

    Die Behörden kontrollieren den Nachrichtenfluss aus dem Gebiet derzeit streng und mit höchster Wachsamkeit, seit sie einen Lockdown über Xinjiang verhängt haben (China.Table berichtete). Dennoch kursieren Videos, die die dramatische Lage in lokalen Haushalten zeigen sollen. Unter anderem sind Bilder von Kindern zu sehen, die apathisch in ihren Betten liegen, weil sie offenbar seit Tagen nichts zu essen bekommen haben.

    Uigurische und kasachische Aktivisten außerhalb der Volksrepublik werfen den Behörden in Yining, das auf kasachisch Gulja heißt, vor, die muslimische Bevölkerung der Stadt nicht mit Lebensmitteln zu versorgen. Schwangere sollen Fehlgeburten erlitten haben, nachdem sie mehrere Wochen zu Hause eingesperrt worden seien. Ein anderes Video zeigt die Leiche eins mittelalten Mannes in einem Bett, der verhungert sein soll. Bestätigungen für die Echtheit der Videos und Vorwürfe gab es zunächst nicht.

    Die Behörden hatten am Wochenende zumindest Mängel bei der medizinischen Betreuung von Bewohnern der 400.000-Einwohner-Stadt.eingeräumt. Offenbar waren entsprechende Hilferufe über eine Hotline eingegangen. In ihrer Verzweiflung posten manche in WeChat-Gruppen Videos, die dann über Aktivisten ins Ausland geschmuggelt werden. In einem weiteren Video fleht ein Mann um Hilfe. Er zeigt Verständnis für den Lockdown, macht aber unmissverständlich auf die Notsituation aufmerksam. Er zeigt einen leeren Kühlschrank und seine drei Kinder am Esstisch, die demnach seit drei Tagen nichts zu essen gehabt hatten. grz

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    Britische Uni schließt Forschungszentren

    Die britische Hochschule Imperial College wird einem Medienbericht zufolge zwei Forschungszentren schließen, die von chinesischen Luftfahrtunternehmen finanziell unterstützt wurden. Das AVIC Center for Structural Design and Manufacturing habe vom staatlichen chinesischen Rüstungs- und Flugzeugkonzern in der Vergangenheit rund sechs Millionen Pfund erhalten, um an Materialien für die Luft- und Raumfahrt zu forschen, berichtete die britische Zeitung “Guardian” am Montag. Eine weitere Einrichtung sei zusammen mit dem Beijing Institute of Aeronautical Materials (BIAM) betrieben worden. Beide Forschungszentren würden nun bis Ende des Jahres geschlossen, teilte die britische Tech-Uni laut Bericht mit.

    Die Entscheidung sei getroffen worden, nachdem zwei Lizenzanträge aus den Forschungszentren bei der britischen “Export Control Joint Unit” (ECJU) abgelehnt worden waren. ECJU überwacht den Austausch sensibler Forschungsergebnisse mit internationalen Partnern. Die Chefs des britischen Geheimdienstes MI5 und des amerikanischen FBI hatten im Juli vor der von China ausgehenden Spionagebedrohung für britische Universitäten gewarnt (China.Table berichtete). ari

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    Standpunkt

    Die seltsame Gefügigkeit der Chinesen

    Ein einziger Corona-Fall bedeutet in China den Lockdown ganzer Metropolen. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie ist die Zahl schwerer Covid-19-Erkrankungen und Todesfälle im Land von der Größenordnung her so niedrig wie im Rest der Welt. Peking ist jedoch nach wie vor besessen von seiner Null-Covid-Politik. 

    Ein chinesischer Lockdown ist dabei wesentlich strikter als der “harte” Lockdown, der in Deutschland gleich zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 verhängt wurde. In der chinesischen Version dürfen die Menschen ihre Wohnungen überhaupt nicht verlassen, nicht einmal für Beerdigungen, Erntearbeiten, Lebensmitteleinkäufe und Spaziergänge mit dem Hund. Dringende medizinische Behandlungen werden oft verschoben. Todesfälle, die durch diese brutale Politik verursacht werden, sind an der Tagesordnung.

    Wie können 1,4 Milliarden Menschen derart gefügig sein, dass sie die ungerechtfertigten Einschränkungen persönlicher Freiheitsrechte derart lange hinnehmen? 

    Die Antwort ist komplex

    Zunächst wird die Schwere der Erkrankung durch gezielte Propaganda und Fehlinformationen hochstilisiert. Der lockerere Umgang westlicher Regierungen mit der Pandemie (sowie ihre realen Fehler) werden als Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben abgestempelt, beispielsweise wie in den Vereinigten Staaten unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Pekings Propaganda hat die Angst der Menschen sehr effektiv genutzt, um sie zur Kooperation zu bewegen.

    Nachdem die Bevölkerung die sinkende Zahl der Corona-Todesfälle allmählich bemerkt hatte, nutzten die Behörden den allgemeinen Gehorsam der chinesischen Bevölkerung gegenüber der Regierung, um die strengen Maßnahmen weiterzuführen. 

    Die chinesische Bevölkerung wird ihr ganzes Leben lang darauf getrimmt, Befehlen der Obrigkeit Folge zu leisten, und zwar vom Kindergarten bis zum Berufsleben. 

    Ich habe lange Zeit in Peking gelebt. In meiner Nachbarschaft gab es einen Kindergarten, eine Grundschule und eine weiterführende Schule. Von meinem Küchenfenster aus konnte ich direkt auf den Schulhof sehen. An den Schultagen versammelten sich dort jeden Tag gegen zehn Uhr morgens alle Schüler, etwa 200 an der Zahl, und durchliefen immer die gleiche Routine.

    Zum Gehorsam erzogen

    Der erste Teil ist eine Formationsübung im militärischen Stil. Alle folgen den Befehlen einer männlichen, autoritären Stimme aus einem Lautsprecher. Der zweite Teil sind Dehnungsübungen, bei der alle gleichzeitig dieselben Bewegungen zu Begleitmusik und auf Kommando ausführen. Zum Schluss präsentiert ein Lehrer oder gelegentlich auch ein Schüler einer höheren Klasse, ebenfalls über Lautsprecher, das Ergebnis der sogenannten “Disziplinarkontrolle”, wobei Schüler mit guten Leistungen gelobt und Schüler mit schlechten Leistungen scharf getadelt werden. In der Grundschule geschieht das Gleiche, im Kindergarten auch, aber in kürzerer, sanfterer Form. 

    So war es schon fast immer seit der Gründung der Volksrepublik, und es ist überall in China mehr oder weniger das gleiche Prozedere.

    Die Dehnungsübung hat ihre Vorteile, sie ist gut für den Körper und die Gesundheit, auch wenn die gleiche Übung tagein tagaus recht öde ist. Aber bei den anderen beiden Elementen geht es im Wesentlichen nur um Disziplin und das Befolgen von Anweisungen.

    Diese Art von Gehorsamkeitstraining ist nur ein Beispiel, das tief in der chinesischen Kultur verwurzelt ist und perfekt vom totalitären Regime für seine Zwecke genutzt wird. Sie dienen dazu, die Individualität zu unterdrücken und einen homogenen kollektiven Körper zu schaffen. Tatsächlich ist “kollektives Interesse” ein Begriff, der von den Machthabern auf verschiedenen Ebenen in China häufig gebraucht wird.

    Was als kollektive Interesse gilt, wird natürlich ausschließlich von ihnen bestimmt. In den meisten Fällen werden diese “kollektiven Interessen”, ob sie nun echt oder nur vorgetäuscht sind, auf Kosten der Rechte des Einzelnen und manchmal sogar auf Kosten seines Lebens durchgesetzt.

    Das Wissen der Chinesen um ihre Rechte war schon immer niedrig, was hier auf einen Mangel an Aufklärung zurückgeht. In den 1990er Jahren und im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gab es einige Fortschritte, aber in den letzten zehn Jahren hat sich die Situation wieder verschlechtert. “Rechte” sind im heutigen China fast ein Tabuwort, vor allem wenn man sie einfordert oder sich auf sie beruft, um sich gegen die Regierung zu verteidigen, seien es Arbeitnehmerrechte, Frauenrechte, LGBT-Rechte, Gewerkschafts- und Demonstrationsrechte. Kommentare, die sich für Rechte einsetzen, werden zensiert, Konten in den sozialen Medien gelöscht, Organisationen, die in diesen Bereichen arbeiten, werden geschlossen, Anwälte und Aktivisten werden schikaniert und inhaftiert.

    Eine von der Regierung geschürte Angst

    Was das Coronavirus angeht, so propagiert Präsident Xi Jinping unermüdlich seine Null-Covid Politik. Die Beamten auf den verschiedenen Regierungsebenen sind sich bewusst, dass sie keine Wahl haben, als sie zumindest ordnungsgemäß umzusetzen, wenn nicht gar zu übertreiben, um ihre Loyalität unter Beweis zu stellen. Anderenfalls müssen sie die Konsequenzen tragen, womit auch ihre Karriere beendet ist. Auch die Bevölkerung weiß, dass sie sich fügen muss, wenn der politische Wille derart unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird. Andernfalls erwarten sie zahlreiche Strafen.

    Das Stichwort lautet: Angst. Es mag zweifellos mutige Seelen geben, die versuchen, ihre Mitmenschen zum Widerstand zu bewegen, zum Beispiel gegen die unverhältnismäßig harten Coronamaßnahmen. Jedoch werden solche Versuche durch die allgegenwärtigen Sicherheitskameras in der realen Welt, und durch ein ausgeklügeltes Zensursystem und eine Armee menschlicher Kontrolleure in der virtuellen Welt, schnell aufgedeckt. Die Probleme, die von solchen wenigen Andersdenkenden entstehen, werden schnell und von der Mehrheit unbemerkt zerschlagen. Jegliche Hinweise auf sie, falls es je welche gab, werden schnell gelöscht, um die restliche Bevölkerung nicht noch anzustacheln.

    Die Menschen, die Teil dieses Überwachungsapparates sind, repräsentieren, um es mit den Worten von Hannah Arendt zu sagen, die Banalität des Bösen. Einige von ihnen glauben möglicherweise sogar tatsächlich, dass sie dem Land damit helfen.

    Ein Probelauf für mehr Überwachung?

    Aber woher rührt Pekings Besessenheit mit Null-Covid? Der wahrscheinlichste Grund ist Xis Sorge vor sozialen Unruhen vor dem 20. Parteitag, auf dem er voraussichtlich seine dritte Amtszeit als Parteichef und Präsident antritt. Er betrachtet es als seinen persönlichen Erfolg, dass China die Coronasituation anfangs besser unter Kontrolle hatte als der Rest der Welt, und er will sich diesen Erfolg bis zur Sicherung seiner dritten Amtszeit bewahren.

    Laut einer anderen Theorie sieht der Staat die Corona-Maßnahmen als eine Art Testlauf für eine noch stärkere Überwachung der Gesellschaft an. Diese Vermutung lässt sich nicht hinreichend begründen. Aber auch wenn dies nicht der Plan der Regierung ist, werden die Erfahrungen, die während der Pandemie gemacht wurden, sicherlich in der Zukunft genutzt werden.

    Was die Frage angeht, warum alle hochrangigen Funktionäre und politischen Entscheidungsträger Xis Entscheidung folgen. Kurz gesagt, das ist seinem brillanten Umgang mit innerparteilichen Grabenkämpfen zu verdanken. Aber das ist eine andere Geschichte.

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    China.Table Redaktion

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