Table.Briefing: China

Dombrovskis + Biontech + Hongkong + Dolkun Isa + Litauen + Qiushi

  • EU-Handelsstrategie fordert Peking heraus
  • Biontech – Zwischen den Fronten von Peking und Taipei
  • Die Termine der kommenden Woche
  • Hongkongs Brain Drain
  • Dolkun Isa: Von Peking bedrohter Aktivist
  • Litauen stoppt Kauf chinesischer Gepäckscanner
  • Qiushi – Sprachrohr des Xi-ismus
Liebe Leserin, lieber Leser,

wie tickt Xi Jinping? Ganze Heerscharen von Sinologen und Politikdeutern rund um den Globus beschäftigen sich mit dieser Frage. Lest “Qiushi” aufmerksam, rät uns Johnny Erling und gibt im China-Table-Standpunkt wichtige Anleitungen zum verstehenden Studium des ZK-Theoriemagazins.

Zwischen die Fronten zu geraten droht gerade das Mainzer Biopharma-Unternehmen Biontech, wie Finn Mayer-Kuckuk beschreibt. Statt Taiwan mit dem begehrten Corona-Impfstoff über das chinesische Unternehmen Fosun zu beliefern, will Biontech den direkten Weg nach Taipei wählen. Dass Peking not amused darüber ist, leuchtet ein. Ein diplomatischer Drahtseilakt, dessen Ausgang uns noch beschäftigen wird.

Die Lage der Uiguren ist seit geraumer Zeit ein zentrales Thema in der Auseinandersetzung des Westens mit dem Pekinger Machtapparat. Marcel Grzanna hat sich jetzt mit Dolkun Isa unterhalten. Der deutsche Staatsbürger uigurischer Abstammung lebt in München und weist seit Jahren auf Unterdrückung und Misshandlung seiner Landsleute hin. Peking versucht ihn mit Terrorverdächtigungen und Einschüchterungen mundtot zu machen.

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Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Presseschau

Chinas Kommunistische Partei muss die innovativen Kräfte entfesseln NZZ
Hamburger Forscher: Coronavirus stammt wohl doch aus China-Labor NDR
Serbien: Chinas Lieblingspartner DW
China verschärft Zensurregeln für Blogger weiter: “Den gesamten Prozess kontrollieren RND
China kontrolliert kritische Rohstoffe: Die Panik um Seltene Erden ist zurück MANAGER MAGAZIN
In Hunt for Covid-19 Origin, WHO Team Focuses on Two Animal Types in China WSJ
China attaches no political strings to COVID-19 vaccine cooperation, Chinese FM says GLOBAL TIMES
The meaning of China’s vaccine diplomacy SUPCHINA
Coronavirus: Sinovac claims good results against British and South African strains challenging vaccine makers SOUTH CHINA MORNING POST
Biden’s Plan to Link Arms With Europe Against Russia and China Isn’t So Simple NYT
China faces fateful choices, especially involving Taiwan ECONOMIST
US-China tensions simmer as UN chief calls for cooperation SOUTH CHINA MORNING POST
Chinese stocks touch record as traders return after lunar new year FT
China defends use of Twitter, Facebook in virus campaign WASHINGTON POST

Analyse

EU-Handelsstrategie fordert Peking heraus

“Offen, nachhaltig und durchsetzungsfähig” soll die EU-Handelspolitik in den kommenden Jahren aussehen. Dass der größte Partner China bei der Neuausrichtung der Brüsseler Handelsstrategie eine herausragende Rolle spielt, wurde auch bei der Präsentation gestern klar – denn die Beziehungen zu Peking bekamen von Handelskommissar Valdis Dombrovskis noch drei zusätzliche Wunsch-Charakteristika verpasst: “Wechselseitig, ausgewogen und fair” (“reciprocal, balanced and fair”) müssten die Handelsverbindungen sein, so der EU-Kommissionsvize. “Das bedeutet, mehr zu tun, um die globalen Wettbewerbsbedingungen zu verbessern und sicherzustellen, dass unsere Partner ihren Verpflichtungen nachkommen”, sagte Dombrovskis.

EU-Handelspolitik soll geopolitische Spannung aufheben

Helfen soll dabei nach Ansicht der EU-Kommission vor allem eine grundlegende Reform der Welthandelsorganisation (WTO) – aber auch im eigenen EU-Rahmen will die Brüsseler Behörde wehrhafter werden, wenn Regeln gebrochen werden. Neben dem Klimawandel und der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise hat die EU-Kommission wachsende geopolitische Spannungen als ein Hauptproblem für den Welthandel ausgemacht. Der rasche Aufstieg Chinas zeige die “globalen Ambitionen” und folge einem “eigenständigen staatskapitalistischen Modell”, das den globalen Handel und die politische Ordnung grundlegend geändert habe, heißt es in dem Papier.

Zuletzt hatte die Kommission vor fünf Jahren ihre “Handel für alle”-Strategie vorgelegt – diese enthielt auch das Vorhaben, zu prüfen, ob mit Taiwan über Investitionen verhandelt werden könnte – in der aktuellen Handelsstrategie ist davon jedoch nicht mehr die Rede. Kommissionsvize Dombrovskis sagte zwar, der “Arbeitsfluss” diesbezüglich werde fortgesetzt. Konkret nannte er jedoch keine Schritte. “Dass die Perspektive eines Investitionsabkommens mit Taiwan, die noch in der ‘Trade for All’-Strategie von 2015 enthalten war, nicht erwähnt wird, ist aber ein deutlicher und unerfreulicher Rückschritt”, sagte EU-Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer China.Table.

Was China angeht stand im Fokus der Neuausrichtung vor allem eines: Die Volksrepublik müsse im internationalen Handel größere Verpflichtungen eingehen. Es gebe viele Themen, die angegangen werden müssten, so Dombrovskis. Große Erwartungen scheint es dabei an die seit langem geforderte WTO-Reform zu geben. Denn in den Vorschlägen der EU-Kommission dafür wird Peking mehrmals direkt genannt: “Das Niveau, auf dem China seine Märkte geöffnet hat, entspricht nicht seinem Gewicht in der Weltwirtschaft.” Dass der Staat zusätzlich weiterhin einen entscheidenden Einfluss auf das wirtschaftliche Umfeld Chinas ausübe, führe zu Wettbewerbsverzerrungen, die von den aktuellen WTO-Regeln nicht ausreichend berücksichtigt werden könnten, so die EU-Kritik.

WTO-Regeln neu ausrichten

“Die derzeitige Struktur der WTO-Marktzugangsverpflichtungen für Waren und Dienstleistungen entspricht nicht der tatsächlichen Offenheit vieler Länder und spiegelt nicht die signifikanten Gewichtsveränderungen bestimmter wichtiger Handelsnationen der Weltwirtschaft (z. B. China) wider”, steht im Strategiepapier. Das müsste geändert werden, so die Brüsseler Behörde. Eine weitere Liberalisierung vonseiten Chinas verliehe nach Ansicht der EU-Kommission auch der Rolle der Volksrepublik in der Organisation mehr Legitimität. Für die Neuauflage der WTO-Linien will Brüssel außerdem strenge Regeln gegen erzwungenen Technologietransfer und mehr Transparenz für innerstaatliche Regulierung. China solle zudem “Aufgrund seines Gewichts im System” mit gutem Beispiel vorangehen und den möglichen SDT-Sonderstatus für Entwicklungsländer der WTO in keinen laufenden Verhandlungen beanspruchen.

Eine Reform der derzeit vom Handelskrieg zwischen den USA, EU und China gebeutelten Organisation ist keine neue Forderung. Handelskommissar Dombrovskis sieht wegen des Wechsels an der Spitze der WTO und im Weißen Haus derzeit jedoch ein “Momentum” für Veränderung.

“Die EU wird jedoch ohne die Unterstützung anderer Mitglieder nicht in der Lage sein, die Führung bei der Wiederherstellung der Relevanz der WTO zu übernehmen”, sagt Steven Blockmans vom Brüsseler Think-tank Centre for European Policy Studies (CEPS) China.Table zu den Vorschlägen. Eine Voraussetzung für die Modernisierung des multilateralen globalen Handelssystems ist seiner Meinung nach erstmal die Normalisierung der Dreiecks-Handelsbeziehungen zwischen der EU, den USA und China. Auf die Brüsseler Behörde wartet laut Blockmans ein schwieriger Balanceakt: Sie muss mit den konkurrierenden Großmächten zusammenarbeiten, um so das veraltete Streitbeilegungssystem der WTO überarbeiten, neue WTO-Regeln für Umweltschutz und Standards im digitalen Handel festlegen zu können.

Bilaterale Fronten glätten

Blockmans sieht an beiden bilateralen Fronten aber noch viel Arbeit: Mit den USA müsse die EU die unter der Trump-Regierung erschütterten Beziehungen wieder glätten – und mit Peking müsse noch das Investitionsabkommen CAI über die Bühne gebracht werden. Mit der Neuauflage der Handelspolitik zeige die EU allerdings deutlich, dass sie ein Verfechter des Multilateralismus sei, lobt Blockmans

Das CAI sei ein “wichtiger Schritt vorwärts in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und China”, erklärt die EU-Kommission und betonte erneut, dass dieses ein Element einer umfassenderen China-Handelsstrategie sei. Zu dieser gehöre beispielsweise auch ein EU-Lieferkettengesetz, an dem derzeit gearbeitet werde, so Dombrovskis. Wie Nachhaltigkeit in den Wertschöpfungsketten am besten umgesetzt und kontrolliert werden könne, werde derzeit in einer Studie untersucht, so der Kommissionsvize. Auch über ein EU-weites Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit mit Kontrollen direkt an den Grenzen des EU-Binnenmarkts werde gesprochen, so Dombrovskis.

Um die Interessen der EU, vor allem von kleinen und mittelständischen Unternehmen, zu unterstützen, sollen dem EU-Vorschlag zufolge auch bilaterale Kanäle auf Unternehmensebene vermehrt genutzt werden. Für China nannte Brüssel dafür als Beispiel das EU-Zentrum für kleine und mittelgroße Betriebe, die in China tätig sein wollen.

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Biontech – Zwischen Peking und Taipei

Der Mainzer Biopharma-Hersteller Biontech bewegt sich im Umgang mit China und Taiwan auf dünnem Eis. “Biontech setzt sich dafür ein, dabei zu helfen, die Pandemie weltweit zu beenden, und wir beabsichtigen, Taiwan mit unserem Impfstoff im Rahmen unseres globalen Engagements zu versorgen“, sagte eine Biontech-Sprecherin am Donnerstag gegenüber China-Table. “Die Gespräche werden derzeit geführt.” Gemeint sind Verhandlungen über die Konditionen von Impfstoff-Lieferungen aus Europa nach Taiwan, die seit einigen Wochen im Gang sind.

Im Licht von Äußerungen des Taiwanischen Gesundheitsministers lässt sich daraus ableiten, dass das Unternehmen den begehrten Corona-Impfstoff auch direkt – und ohne Umweg über das Festland – an die Insel liefern will. Das wäre allerdings ein Affront gegen den chinesischen Biontech-Partner Fosun Pharma und könnte Irritationen in Peking auslösen. Denn im Dezember hat Biontech mit Fosun eine Liefervereinbarung geschlossen, die Berichten zufolge auch Macau, Hongkong und Taiwan umfasst. Damit wäre Fosun als Vertriebspartner für die Insel zuständig.

Eine Vertragsgestaltung, die Taiwan eindeutig China zuschlägt, ist auch ganz nach dem Geschmack der chinesischen Politik. Die Regierung bringt ausländische Firmen immer wieder dazu, das Gebiet organisatorisch und von der Wortwahl her als Teil Chinas zu behandeln. Dem Druck aus Peking hat beispielsweise auch die Lufthansa nachgegeben, die seit zwei Jahren überall nur noch von “Taiwan, China” spricht, auch auf den Buchungs-Webseiten.

Umgekehrt ist das auch der Grund dafür, warum Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen Impfstoff-Lieferungen aus China ablehnt. Wegen niedriger Infektionszahlen ist die Eile dort nicht groß. Zugleich will sie den politischen Schaden nicht in Kauf nehmen, den eine Versorgung von China aus anrichten könnte. Denn die chinesische Propaganda würde mit Sicherheit groß herausstellen, wie großzügig das Mutterland seiner vermeintlich ureigensten Region hilft. Stattdessen hat Taiwan sich bemüht, den Biontech-Impfstoff auf direktem Weg von westlichen Herstellern zu beziehen. Auch mit dem US-Anbieter Moderna und mit Astrazeneca hat das Unternehmen bereits Verträge unterschrieben. Ungefähr seit Anfang Januar laufen nun auch die direkten Verhandlungen mit Biontech.

Sabotiert Peking einen Vertrag zwischen Biontech und Taiwan?

Doch Peking stört sich gewaltig an den Verhandlungen zwischen Taipei und Mainz – schließlich hält mit Fosun ein Unternehmen vom Festland eine Vertriebslizenz für Taiwan. Hinter den Kulissen liefen offenbar Bemühungen, die Gespräche über einen Liefervertrag Taiwans mit Biontech zu sabotieren. Biontech erbat sich Berichten aus Taipei zufolge plötzlich Bedenkzeit. Taiwans Gesundheitsminister Chen Shih-chung unterstellte, dass “externe Kräfte” eingegriffen haben – gemeint sind Fosun oder die chinesische Regierung.

Nun kommt von Biontech die Bestätigung, dass immer noch Gespräche laufen und der Wille da ist, Taiwan zu beliefern. Das Unternehmen befindet sich nun in der Zwickmühle zwischen seinem Anspruch, den Impfstoff an alle interessierten Länder abzugeben und seiner bestehenden Verpflichtung gegenüber Fosun, einem Partner der ersten Stunde bei dem Corona-Projekt. Der chinesische Partner hat immerhin 50 Millionen Euro in Biontech investiert und übernimmt den Vertrieb in China. Auch der Aufbau einer Produktionsstätte ist geplant.

Das Gezerre um Corona-Impfstoffe für die Insel hat indirekt auch mit dem weltweiten Mangel an Mikrochips zu tun. Nachdem die Bundesregierung Taiwan gebeten hat, bevorzugt Halbleiterbausteine für die deutsche Autoindustrie zu liefern, hat Taipei im Gegenzug gefragt, ob Deutschland sich mit der Bereitstellung von Impfstoffen revanchieren könne. Die Sache sei dann im Sande verlaufen, ist in Berlin zu hören. Einerseits will dort keiner die Chinesen verärgern. Außerdem wollte die Regierung keine Impfstoffexporte einfädeln, während gerade eine Riesendiskussion um deren mangelnde Beschaffung lief.

  • Fosun

Termine

22.02.2021, 18:00-19:30 Uhr
Vortrag, SOAS London The Rise of the Chinese Techno-Security State Under Xi Jinping Mehr

22.02.2021, 12:00-1:00 Uhr PM (EST)
Panel Disucssion, Harvard Fairbank Center for Chinese Studies Iran and China´s Belt and Road Initiative: Between desirable and feasible. Mehr

23.02.2021, 13:30 Uhr
Vortrag, University of Manchester China-Russia Friendship – Internationally, Interpersonally Mehr

23.02.2021, 18:00 Uhr
Diskussion, Young China Watchers Bruessels V4-China relations in the 2020s: Opportunities and Challenges Mehr

24.02.2021, 19:30-21:00 Uhr
Diskussion, Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW. Ist China Vorbild für eine Zero-Covid-Strategie? Mehr

26.02.2021, 9:00-10:30 Uhr (CET)
Webinar, German Marshall Fund China and Geopolitics in the Indo-Pacific after COVID-19 Mehr

26.02.2021, 19:00-20:00 Uhr
Vortrag, SOAS London A year on. How Covid is changing China and how it engages with the world Mehr

27.02.-28.02.2021, 10:00-2:00 Uhr PM (EST)
Konferenz, Harvard Center for Chinese Studies Harvard East Asia Society Conference 2021 – Moving bodies: Mobility and Control across East Asia Mehr

Hongkongs Brain Drain

Nach Angaben der taiwanesischen Einwanderungsbehörde ist die Zahl der Bürger aus Hongkong, die im vergangenen Jahr einen Aufenthaltstitel in Taiwan bekommen haben, so hoch wie seit drei Jahrzehnten nicht. Demnach erhielten 10.813 Hongkonger 2020 eine potentiell verlängerbare Kurzzeit-Aufenthaltserlaubnis und 1.576 eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis. 2019 waren es gerade mal 5.858 und 102. Es wird nicht bekanntgegeben, ob sich die Hongkonger, die eine Aufenthaltserlaubnis für Taiwan haben, tatsächlich überwiegend in Taiwan aufhalten. Dennoch ist es ein starker Anstieg, auch wenn es in absoluten Zahlen gesehen nur eine Minderheit ist. In Hongkong leben knapp 7,5 Millionen Menschen.

Anders sieht die Lage schon aus, wenn man sich die Gesamtstatistik Hongkongs anschaut. Zum ersten Mal in fast 20 Jahren ist die Bevölkerungszahl leicht gesunken. Um 0,6 Prozent oder 46 000 Menschen. Das hat das Hongkonger Statistikamt gestern bekanntgegeben. Der Sprecher nennt vor allem die Pandemie als Grund dafür. Und dass es erstmals mehr Tote als Geburten gegeben habe. Die Verunsicherung der Bevölkerung angesichts des Sicherheitsgesetzes wurde nicht erwähnt. 

Die taiwanesische Zeitung Liberty Times wiederum sieht in der Pandemie auch einen Grund dafür, dass die Zahl der Hongkonger, die sich in Taiwan niederlassen wollen, nicht noch höher gewesen ist.

Der letzte Auswanderungsrekord war 2014 während der pro-demokratischen “Regenschirm-Revolution” aufgestellt worden. Damals bemühten sich 7.506 Hongkonger erfolgreich um einen Aufenthaltstitel. Eine Umfrage des Hong Kong Institute of Asia-Pacific Studies verdeutlicht jedenfalls die Verunsicherung der Bevölkerung. Demnach planen 43,9 Prozent der Hongkonger Bürger die Auswanderung, und die Hälfte von ihnen sei bereits mit den Planungen fortgeschritten. Unter den bevorzugten Reisezielen liegt Taiwan an dritter Stelle, hinter Großbritannien und Australien sowie vor Kanada und den USA. Noch im Dezember waren die Sätze “emigrating to Taiwan” und “emigrating to Canada” unter den meistgesuchten Begriffen auf Google Hongkong, oftmals in Kombination mit Bankennamen wie HSBC, was darauf hindeutet, dass nicht nur Studenten sondern auch die gebildete Mittelschicht nach einem Ausweg suchen. Ein Brain Drain, der den Abschwung der internationalen Wirtschaftsmetropole beschleunigen dürfte. 

Erleichterte Einreise nach Taiwan

Hauptgrund für den Migrationswillen dürfte vor allem das im Mai in Kraft getretene Nationale Sicherheitsgesetz sein, das Pekings Spielraum gegenüber Demonstranten und Dissidenten in der Sonderverwaltungszone vergrößert. Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen im Sommer 2020 hatte Taipeh die Bestimmungen für den Grenzübertritt nach Taiwan “aus humanitären Gründen” gelockert und ein neues Büro geschaffen, um Hongkongern die Beschaffung einer Aufenthaltserlaubnis zu erleichtern.  

“Taiwan verurteilt China nachdrücklich wegen Verletzung der Demokratie und der Menschenrechte in Hongkong und wird den Hongkongern weiterhin helfen, praktische Unterstützung und Unterstützung auf der Grundlage unserer Gesetze zu leisten”, erklärte Taiwans Regierungssprecherin Kolas Yotaka damals.

Taiwan hat nach wie vor kein offizielles Asylgesetz. Die Gesetzgebung ist bewusst vage. Es wird von Fall zu Fall entschieden, zum einen um Peking nicht zu provozieren, das den Inselstaat als Provinz betrachtet. Zum anderen, um bei einem möglichen schlagartigen Flüchtlings-Ansturm vom Festland die Kontrolle zu behalten. Taiwan bietet jedoch eine Reihe von Wegen zur Staatsbürgerschaft, darunter Familienzusammenzug, Studium, Arbeit oder Investitionen. So erhalten Investoren aus Hongkong eine Wohnberechtigung in Taiwan, wenn sie umgerechnet 180.000 Euro investieren. Auch das Netz freiwilliger Helfer für politische Geflüchtete ist in Taiwan traditionell groß. Es gibt zahlreiche NGOs, die Exilanten helfen, eine Wohnung zu finden oder sich an der Universität einzuschreiben. Seit Juli 2020 ist etwa auch die Zahl der Hongkonger, die sich in Taiwan als Studierende eingeschrieben haben, um 28 Prozent gewachsen. Viele Studierende, die in Taiwan ihren Abschluss machen, bleiben anschließend im Land, sofern sie denn einen Job finden.  

Gute Gründe wegzuziehen

Schon vor den Protesten und dem neuen Sicherheitsgesetz gab es gute Gründe, Hongkong zu verlassen, vor allem die hohen Mietpreise, die niedrigen Löhne und die ebenfalls begrenzten Jobchancen sind zu nennen. Die Arbeitslosenrate in Hongkong war mit 6,6 Prozent zuletzt so hoch wie seit 16 Jahren nicht mehr, was aber auch den Lockdown-Maßnahmen geschuldet ist. Ein Großteil der Wirtschaft hängt am Shopping-Tourismus. 

Taiwan bietet sich vor allem aufgrund der geographischen und kulturellen Nähe als Auswanderungsziel für Hongkong-Chinesen zunächst einmal an. Das 24 Millionen Einwohner zählende Taiwan ist nicht nur liberal und demokratisch, sondern auch eines der reichsten Länder Asiens

Stagnierende Löhne in Taiwan

Doch ein Einwanderungsparadies ist Taiwan für Hongkonger nicht: Gerade für junge Menschen ist die Jobsuche hart. Die Arbeitslosenquote in Taiwan stieg im Dezember um 0,01 Prozent auf 3,68 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Löhne stagnieren seit 16 Jahren. Der Mindestlohn Taiwans liegt heute unter dem von Slowenien und Spanien – und zwar bei höheren Lebenshaltungskosten und vergleichsweise hoher Steuerlast. Mit der größeren wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber China ist auch die Bedeutung von Englisch und Kantonesisch als Geschäftssprache gesunken: Wer kein perfektes Mandarin spricht, hat weniger Aussichten auf einen gut bezahlten Job. Die meisten Hongkonger sprechen jedoch besser Kantonesisch als Mandarin. Kantonesisch spricht man vor allem im Süden Chinas. Es ist für jemanden, dessen Muttersprache Mandarin ist, nicht auf Anhieb zu verstehen. Hinzu kommt, dass viele lokale Unternehmen oft noch immer zögern, Ausländer einzustellen. 

Derzeit arbeitet das Mainland Affairs Council (MAC) an Reformen, um Menschen aus Hongkong auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger zu machen, darunter eine Absenkung des bisher geforderten Mindestgehaltes für ausländische Fachkräfte. Tatsächlich könnte Taiwan langfristig von mehr Einwanderung profitieren. Mit einer der niedrigsten Geburtenraten der Welt (1,218 Kinder pro Frau) ist die Bevölkerungszahl der Insel im Jahr 2020 ebenfalls zum ersten Mal zurückgegangen. Laut dem National Development Council wird bis 2025 jeder fünfte Bürger Taiwans über 65 Jahre alt sein. Ein klares Bild der Abwanderungsbewegung aus Hongkong in Richtung Taiwan und andere Länder wird sich jedoch erst ergeben, wenn die Einschränkungen der Pandemie die Zahlen nicht mehr verzerren. Dann wird vermutlich auch die Zahl von Festlandchinesen, die sich in Hongkong niederlassen, wieder deutlich zunehmen. Aber womöglich wird die Zahl der Chinesen, die die Stadt verlassen, weil sie sich in ihrem persönlichen Freiraum eingeschränkt fühlen, ebenfalls noch deutlich steigen. 

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Dolkun Isa: Von Peking bedrohter Aktivist

Einflussnahme und Drohungen durch chinesische Spitzel auf Kritiker des Regimes im Ausland bereiten US-Politikern große Sorge. In einem zweiseitigen Schreiben warnte eine Handvoll Senatoren und Kongressabgeordnete in der vergangenen Woche Außenminister Anthony Blinken vor repressiven Regierungen, die “zunehmend unverschämt” jenseits ihrer eigenen Staatsgrenzen Methoden der Unterdrückung anwenden würden, um Regimegegner zum Schweigen zu bringen. China, aber auch Russland, die Türkei, Ägypten und Saudi-Arabien würden die Souveränität anderer, “oftmals demokratischer” Staaten unterwandern und die Menschenrechte der Verfolgten verletzen.

“Berichten zufolge bedrohen Agenten, die im Namen der chinesischen Regierung handeln, ethnische Uiguren und andere chinesischstämmige Bürger in den USA, Kanada und Europa, um sie im Austausch gegen eine bessere Behandlung von Familienmitgliedern (in China) zum Schweigen zu bringen”, heißt es in dem Brief. Chinesische Dissidenten berichten seit Jahren über Drohungen gegen ihre Familien, die weiterhin in der Volksrepublik leben. Das Federal Bureau of Investigation (FBI) spricht von einem engen Zusammenhang zur Operation Fox Hunt durch die chinesische Staatssicherheit. Seit 2014 zielen Sicherheitsbeamte aus der Volksrepublik auf Chinesen oder Chinesischstämmige, die im Ausland leben. Offiziell richtet sich die ‘Fuchsjagd’ gegen Korruption. Das FBI geht jedoch davon aus, dass Dissidenten ebenso als Zielscheibe der Operation gelten.

Auch in Deutschland sind chinesische Handlanger offenbar aktiv und bedrohen Aktivisten des Weltkongresses der Uiguren (WUC) in München, eine Vereinigung, die auf die Situation der Uiguren in der autonomen chinesischen Region Xinjiang aufmerksam macht. Dessen Mitgründer und Generalsekretär, Dolkun Isa, sagt im Gespräch mit China.Table, er sei in der Vergangenheit immer wieder eingeschüchtert worden, sei es durch schriftliche Nachrichten, Telefonanrufe oder persönliche Attacken. In Xinjiang sitzen eine Million Uiguren in Umerziehungslagern, in denen es zu Folter und Vergewaltigungen kommen soll. China leugnet die Existenz der Lager nicht, bestreitet aber Berichte über Misshandlungen und spricht stattdessen von Umschulungen.

Nicht bewiesene Vorwürfe des Terrorismus

Dolkun Isa lebt seit 1996 in Deutschland, seit 15 Jahren ist er deutscher Staatsbürger. Schon in den 1980er Jahren geriet er ins Visier der chinesischen Behörden, weil er einer der Köpfe der uigurischen Studentenbewegung war, die sich damals schon gegen wachsende Repressionen durch Pekings Minderheitenpolitik in der Region auflehnte. Der Physiker und Politologe folgte damals der Empfehlung durch einen wohlgesonnenen Kontakt im chinesischen Machtapparat, das Land zu verlassen. Über den Umweg Türkei kam er schließlich nach Deutschland, wo ihm politisches Asyl gewährt wurde. “Ich erinnere mich an den Abschied von meinen Eltern. Ich habe nicht geahnt, dass es ein Abschied für immer sein würde”, sagt Isa.

Bis 2017 sei regelmäßiger Austausch mit seiner Familie in Xinjiang noch möglich gewesen. Seitdem erfahre er nur noch durch chinesische Medien, was mit seinen Angehörigen vor Ort geschehen ist. Seine Mutter soll in einem der zahlreichen Internierungslager für Uiguren verstorben sein. Auch der Vater ist tot. Woran er gestorben ist, weiß Dolkun Isa nicht. Von einem jüngeren Bruder fehlt seit fünf Jahren jede Spur, ein älterer Bruder sei zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden, heißt es.

Im Januar 2020 verbreiteten chinesische Staatsmedien dann ein Video, in dem Dolkun Isas ältere Schwester schwere Anschuldigungen gegen ihn erhebt. “Es ist herzlos von meinem jüngeren Bruder, den Tod meiner verstorbenen Eltern zu nutzen, um aus dem Ausland gegen Xinjiang zu hetzen”, sagte sie darin. Sie sei sehr verärgert. Die Eltern, so betonte sie, seien aufgrund von Alter und Krankheit gestorben. Dolkun Isa glaubt, seine Schwester wurde von chinesischen Beamten gezwungen, sich derart zu äußern.

Um Dolkun Isa zu verunglimpfen, wird er in chinesischen Medien seit Jahren als “Terrorist” oder “Separatist” bezeichnet. Man wirft ihm vor, mehrere Bombenanschläge geplant zu haben. Beweise gibt es nicht. Wissen die Chinesen also mehr als deutsche Behörden? Das Auswärtige Amt will sich zwar nicht äußern, aber das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz teilte China.Table mit: “Der Weltkongress der Uiguren ist und war auch in der Vergangenheit kein Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV). Dem BayLfV liegen keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zu terroristischen Verbindungen der betreffenden Organisation oder ihrer Führungsspitze vor.

Um Dolkun Isas Auftreten vor internationalen Gremien zu verhindern, greifen auch chinesische Diplomaten offenbar zu drastischen Mitteln. Die Grünen-Abgeordnete Margarete Bause erinnert sich an eine Begegnung in ihrem Büro mit dem chinesischen Generalkonsul in München, als sie noch Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag war. Das Konsulat hatte vehement auf einen kurzfristigen Termin gedrängt. Kurz zuvor hatte der damals noch weitgehend unbekannte WUC die Politikerin zu einer Veranstaltung eingeladen. Der chinesische Generalkonsul hielt sich kurz, erinnert sich Bause. Er forderte die Abgeordnete umgehend auf, die Veranstaltung zu meiden.

2018 verurteilte die chinesische Botschaft eine Beratung des Deutschen Bundestages zur Menschenrechtslage in Xinjiang und drohte mit einer Verschlechterung der deutsch-chinesischen Beziehungen. In Rom verhinderten chinesische Diplomaten 2017 eine Anhörung Dolkun Isas vor dem italienischen Senat. Ein Mitglied des Gremiums sagte Dolkun Isa damals, Peking habe mit dem Abzug seines Botschafters gedroht. Seinen Zugang zum Gebäude der Vereinten Nationen in New York konnte die chinesische Regierung 2018 mit einer Protestnote nur im ersten Anlauf verhindern. Später wurde Isa doch noch akkreditiert.

Uiguren-Vertretung öffnet Büro in Berlin

Bis 2018 stand der Aktivist, wie sich Dolkun Isa selbst bezeichnet, auf der Fahndungsliste von Interpol. Erfolglos aus chinesischer Sicht. “Die Vorwürfe gegen den WUC und die Ausschreibung von Herrn Isa zur Fahndung wurden nie konkret begründet oder gar plausibel belegt”, sagt der Terrorismusforscher Sebastian Lange von der Humboldt-Universität in Berlin. Auch die für innere Sicherheit zuständigen deutschen Behörden sähen die geäußerten Vorwürfe als nicht belegt an. Gewiss solle die Deutung eingeführt und verbreitet werden, dass sich der Umgang mit den Uiguren in China aus “legitimen Sicherheitsinteressen” heraus begründen ließe. “Die Darstellung von Uiguren als Terroristen soll die in China begangenen Menschenrechtsverletzungen relativieren”, glaubt Lange.

So oder so beschreitet der WUC einen schmalen Grat. Eine öffentliche Forderung nach Unabhängigkeit der Region als Republik Ost-Turkistan würde es Peking erleichtern, uigurische Aktivitäten weltweit als Separatismus zu brandmarken. Internationale Unterstützung für die eigene Sache wäre für Dolkun Isa und seine Mitstreiter dann wohl schwieriger zu organisieren. Deswegen sagt Isa: “Eine Mehrheit der uigurischen Bevölkerung würde eine Unabhängigkeit sicherlich unterstützen. Aber das ist nicht das Ansinnen des Weltkongresses. Uns geht es allein um die politische Selbstbestimmung der Uiguren nach internationalem Recht.

Um die eigenen Interessen noch besser in Deutschland vertreten zu können, eröffnete der WUC im vergangenen Jahr auch ein Büro in Berlin. Man wolle sich im politischen Herzen des Landes in Zukunft mehr Gehör verschaffen.

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News

Litauen stoppt Kauf chinesischer Gepäckscanner

Litauen hat die Beschaffung von Gepäckscannern des chinesischen Staatsunternehmens Nuctech für seine Flughäfen blockiert. Hintergrund der Entscheidung sei, dass das Geschäft nicht im Einklang mit den Interessen der nationalen Sicherheit stehe, berichtete die baltische Nachrichtenagentur BNS unter Berufung auf die Sprecherin der litauischen Regierungschefin Ingrida Simonyte. Nuctech hatte zuvor eine Ausschreibung des Flughafenbetreibers Lietuvos Oro Uostai (Lithuanian Airports, LOU) für die Installation von Gepäckscannern in dem EU- und Nato-Land gewonnen.

Der Schritt folgte Medienberichten zufolge nach einer nicht öffentlich gemachten Empfehlung einer Regierungskommission, die die Aktivitäten von Unternehmen in Litauen prüft. Nuctech wies bereits Anfang Februar Bedenken zurück als klar wurde, dass Litauen den Deal nochmals prüfen will. Die Ausrüstung werde in Polen “unter den strengsten geltenden EU- und nationalen Leistungs- und Sicherheitsstandards” hergestellt, teilte die niederländische Tochter des chinesischen Staatsbetriebs mit.

Auch in den Niederlanden regte sich jüngst Misstrauen gegen die Nuctech-Scanner: Sicherheitsexperten seien besorgt über die digitale Sicherheit der Geräte, schrieb die Tageszeitung Het Financieele Dagblad. Nuctech-Scanner werden demnach im Rotterdamer Hafen, auf Flughäfen und in Verteilerzentren eingesetzt. Dem Bericht zufolge befürchteten Experten Spionage oder Datenmissbrauch durch den chinesischen Staat, da die Scanner sensible Daten, beispielsweise darüber, welche Waren ins Land kommen und gehen, liefern könnten.

Das Wall Street Journal hatte bereits im Sommer 2020 berichtet, dass die USA europäische Regierungen dazu gedrängt haben soll, nicht mit Nuctech zusammenzuarbeiten. ari

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Standpunkt

Qiushi – Sprachrohr des Xi-ismus

Von Johnny Erling
Johnny Erling

Es war am 1. Oktober 2019. Kurz vor meiner Ausreise aus China verschaffte ich mir noch einen Eindruck vom omnipotenten Staats- und Parteichef Xi Jinping. Als Oberbefehlshaber der Armee nahm er zum 70. Gründungstag der Volksrepublik eine riesige Armeeparade im Herzen von Beijing ab. Die Waffenschau protzte mit nuklear bestückbaren DF-41- Interkontinentalraketen. Von der Brüstung des Tiananmen-Tores hatte Xi zuvor gerufen, was tags darauf für Schlagzeilen in aller Welt sorgte: “Es gibt keine Macht, die die Fundamente dieser großen Nation erschüttern kann. Niemand kann unser Volk und die Nation am Voranschreiten hindern.”  

Doch am selben Tag erschien das halbmonatlich herausgegebene ZK-Theoriemagazin “Qiushi” (Suche nach der Wahrheit) mit einer Ansprache von Xi, die ganz anders klang. Vorsicht: Der wahre Feind komme von innen. “Ich meine, nur wir selbst könnten uns besiegen. Niemand anderes kann das.” 

Seine bis dato unveröffentlichte Rede stammte vom 5. Januar 2018. Er hatte sein neues Zentralkomitee zusammengerufen, nachdem er vom Parteitag für weitere fünf Jahre als Parteichef bestätigt worden war. Zudem hatte er es geschafft, sein “Xi-Jinping-Denken” als neue Leitideologie in den Parteistatuten zu verankern. Eigentlich hätte Xi triumphieren müssen. Stattdessen warnte er seine Genossen eindringlich, auf der Hut vor dem Niedergang zu sein. Er zählte ihnen fast ein Dutzend Beispiele aus der Geschichte auf, wie Chinas mächtige Herrscherhäuser vom Qin-Kaiser bis zur späten Qing-Dynastie aus Selbstverschulden kollabierten. Kläglich ging auch die glorreiche Sowjetunion unter und ihre Kommunistische Partei an Schwindsucht ein, weil sie ihre sozialistischen Ideale und Werte verraten hatten. “Herrscher verloren ihre zentrale Autorität und das Land, die Fähigkeit, zentralisiert und vereint zu handeln.”  Dass Xi diese Rede ausgerechnet am Tag der 70-Jahres-Feiern veröffentlichen ließ, zeigt die andere Seite der Medaille seiner Macht zwischen Auftrumpfen nach außen und Krisenangst nach Innen

Im Qiushi Xi übersetzt im Original lesen     

Solche Einsichten gewinnt man dank Qiushi. Welche Reden und Aufsätze des Parteichefs das Magazin druckt, wobei manche Texte erstmals veröffentlicht werden,  hängt nicht davon ab, von wann sie stammen. Sobald sie erscheinen, sind sie News. CCTV, Xinhua und alle Staatsmedien kündigen sie als “wichtige” Reden an. Hinter der Auswahl steckt Kalkül. Chinas Führung setzt damit ein Problem als aktuelles Thema für das Land. Zwischen den Zeilen verbergen sich “Breaking News” für Eingeweihte. In den Übergangswochen des USA-Präsidentenwechsels druckte Qiushi auffallend viele Reden Xis zur Globalisierung, Reformen und Marktwirtschaft nach, die er in Davos, vor den Vereinten Nationen, oder in China über den Schutz des Geistigen Eigentums hielt, ein durchsichtiger Wink nach Washington, wie sehr er auf einen Neuanfang in den Beziehungen setzt.    

Der Relaunch der Parteizeitschrift im Vierfarbendruck mit Xi als Starschreiber jeder Ausgabe unterstreicht seine neue Rolle als ideologischer Vordenker der KP Chinas. Der japanische Nikkei-Büroleiter in Beijing, Tetsushi Takahhashi, schrieb: “Das Magazin hat sich von einem Sprachrohr der Partei zum ‘Sprachrohr des Xiismus’ verwandelt”.  

Von Xis Amtsantritt 2013 an wurden bis Februar 2021 seine Texte siebzigmal in der Qiushi abgedruckt. Seit ihrem Relaunch 2019 sind sie Aufmacher jeder Ausgabe, fand das “China Media Project” von David Bandursky in der Studie “Xi Jinping, der Schlagzeilen-Kolumnist” heraus. Kein chinesischer Führer seit Mao hat einen solch überbordenden Personenkult um sich entfacht.   

Vergangenen Montag, den 15. Februar, erschien die Qiushi trotz Frühlingsfest erneut mit einem Text von Xi, diesmal zum Thema Armutsbekämpfung. Die bis dahin unveröffentlichte Rede hatte er am 29. und 30. Dezember 2012 gehalten. Damals nannte er eine Zahl von 120 Millionen Chinesen, die unter extremer Armut lebten. Als Elendsgrenze setzte Beijing ein Einkommen unter 2300 Yuan pro Jahr an, niedriger als sonst wo in der Welt. Doch das schmälert Xis Erfolg nicht. In seiner Neujahrsansprache für 2021 feierte er sich für die nun vollständige Überwindung extremer Armut in China.   

Wirklich vollständig?  In seiner Rede von 2012 gesteht Xi Probleme ein, von denen er 2011 dank der Enthüllungen von “Medien” erfuhr. Er kritisiert, dass bei der Armutsbekämpfung Durchschnittswerte genannt würden. Die aber “vertuschen die Ungleichheiten” (平均数会掩盖差距). Dann erregt er sich darüber, wie bei der Armutsfeststellung der Staat betrogen wird. Er sei  “unzufrieden und sogar wütend”, dass Hilfsgelder unterschlagen oder zweckentfremdet würden. “Das ist ein Verbrechen”. Manche der Leser werden sich fragen, ob es heute anders ist. 

Die Texte in der Qiushi lassen sich dank Google-Translate in verständliches Englisch übertragen. Man braucht also nicht mehr Sinologe zu sein, um in der ZK-Zeitschrift, deren chinesischer Name so passend “Suche nach der Wahrheit” bedeutet, zwischen den Zeilen nach genau dieser zu suchen.

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Dessert

Shanghai grüßt die Berliner Verkehrsbetriebe! In der chinesischen Metropole fahren mittlerweile selbstfahrende Essenslieferwagen, die sehr an die selbstfahrenden BVG-Busse erinnern, die durch Berlin Tegel düsen.
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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • EU-Handelsstrategie fordert Peking heraus
    • Biontech – Zwischen den Fronten von Peking und Taipei
    • Die Termine der kommenden Woche
    • Hongkongs Brain Drain
    • Dolkun Isa: Von Peking bedrohter Aktivist
    • Litauen stoppt Kauf chinesischer Gepäckscanner
    • Qiushi – Sprachrohr des Xi-ismus
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wie tickt Xi Jinping? Ganze Heerscharen von Sinologen und Politikdeutern rund um den Globus beschäftigen sich mit dieser Frage. Lest “Qiushi” aufmerksam, rät uns Johnny Erling und gibt im China-Table-Standpunkt wichtige Anleitungen zum verstehenden Studium des ZK-Theoriemagazins.

    Zwischen die Fronten zu geraten droht gerade das Mainzer Biopharma-Unternehmen Biontech, wie Finn Mayer-Kuckuk beschreibt. Statt Taiwan mit dem begehrten Corona-Impfstoff über das chinesische Unternehmen Fosun zu beliefern, will Biontech den direkten Weg nach Taipei wählen. Dass Peking not amused darüber ist, leuchtet ein. Ein diplomatischer Drahtseilakt, dessen Ausgang uns noch beschäftigen wird.

    Die Lage der Uiguren ist seit geraumer Zeit ein zentrales Thema in der Auseinandersetzung des Westens mit dem Pekinger Machtapparat. Marcel Grzanna hat sich jetzt mit Dolkun Isa unterhalten. Der deutsche Staatsbürger uigurischer Abstammung lebt in München und weist seit Jahren auf Unterdrückung und Misshandlung seiner Landsleute hin. Peking versucht ihn mit Terrorverdächtigungen und Einschüchterungen mundtot zu machen.

    Ihre
    Antje Sirleschtov
    Bild von Antje  Sirleschtov

    Presseschau

    Chinas Kommunistische Partei muss die innovativen Kräfte entfesseln NZZ
    Hamburger Forscher: Coronavirus stammt wohl doch aus China-Labor NDR
    Serbien: Chinas Lieblingspartner DW
    China verschärft Zensurregeln für Blogger weiter: “Den gesamten Prozess kontrollieren RND
    China kontrolliert kritische Rohstoffe: Die Panik um Seltene Erden ist zurück MANAGER MAGAZIN
    In Hunt for Covid-19 Origin, WHO Team Focuses on Two Animal Types in China WSJ
    China attaches no political strings to COVID-19 vaccine cooperation, Chinese FM says GLOBAL TIMES
    The meaning of China’s vaccine diplomacy SUPCHINA
    Coronavirus: Sinovac claims good results against British and South African strains challenging vaccine makers SOUTH CHINA MORNING POST
    Biden’s Plan to Link Arms With Europe Against Russia and China Isn’t So Simple NYT
    China faces fateful choices, especially involving Taiwan ECONOMIST
    US-China tensions simmer as UN chief calls for cooperation SOUTH CHINA MORNING POST
    Chinese stocks touch record as traders return after lunar new year FT
    China defends use of Twitter, Facebook in virus campaign WASHINGTON POST

    Analyse

    EU-Handelsstrategie fordert Peking heraus

    “Offen, nachhaltig und durchsetzungsfähig” soll die EU-Handelspolitik in den kommenden Jahren aussehen. Dass der größte Partner China bei der Neuausrichtung der Brüsseler Handelsstrategie eine herausragende Rolle spielt, wurde auch bei der Präsentation gestern klar – denn die Beziehungen zu Peking bekamen von Handelskommissar Valdis Dombrovskis noch drei zusätzliche Wunsch-Charakteristika verpasst: “Wechselseitig, ausgewogen und fair” (“reciprocal, balanced and fair”) müssten die Handelsverbindungen sein, so der EU-Kommissionsvize. “Das bedeutet, mehr zu tun, um die globalen Wettbewerbsbedingungen zu verbessern und sicherzustellen, dass unsere Partner ihren Verpflichtungen nachkommen”, sagte Dombrovskis.

    EU-Handelspolitik soll geopolitische Spannung aufheben

    Helfen soll dabei nach Ansicht der EU-Kommission vor allem eine grundlegende Reform der Welthandelsorganisation (WTO) – aber auch im eigenen EU-Rahmen will die Brüsseler Behörde wehrhafter werden, wenn Regeln gebrochen werden. Neben dem Klimawandel und der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise hat die EU-Kommission wachsende geopolitische Spannungen als ein Hauptproblem für den Welthandel ausgemacht. Der rasche Aufstieg Chinas zeige die “globalen Ambitionen” und folge einem “eigenständigen staatskapitalistischen Modell”, das den globalen Handel und die politische Ordnung grundlegend geändert habe, heißt es in dem Papier.

    Zuletzt hatte die Kommission vor fünf Jahren ihre “Handel für alle”-Strategie vorgelegt – diese enthielt auch das Vorhaben, zu prüfen, ob mit Taiwan über Investitionen verhandelt werden könnte – in der aktuellen Handelsstrategie ist davon jedoch nicht mehr die Rede. Kommissionsvize Dombrovskis sagte zwar, der “Arbeitsfluss” diesbezüglich werde fortgesetzt. Konkret nannte er jedoch keine Schritte. “Dass die Perspektive eines Investitionsabkommens mit Taiwan, die noch in der ‘Trade for All’-Strategie von 2015 enthalten war, nicht erwähnt wird, ist aber ein deutlicher und unerfreulicher Rückschritt”, sagte EU-Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer China.Table.

    Was China angeht stand im Fokus der Neuausrichtung vor allem eines: Die Volksrepublik müsse im internationalen Handel größere Verpflichtungen eingehen. Es gebe viele Themen, die angegangen werden müssten, so Dombrovskis. Große Erwartungen scheint es dabei an die seit langem geforderte WTO-Reform zu geben. Denn in den Vorschlägen der EU-Kommission dafür wird Peking mehrmals direkt genannt: “Das Niveau, auf dem China seine Märkte geöffnet hat, entspricht nicht seinem Gewicht in der Weltwirtschaft.” Dass der Staat zusätzlich weiterhin einen entscheidenden Einfluss auf das wirtschaftliche Umfeld Chinas ausübe, führe zu Wettbewerbsverzerrungen, die von den aktuellen WTO-Regeln nicht ausreichend berücksichtigt werden könnten, so die EU-Kritik.

    WTO-Regeln neu ausrichten

    “Die derzeitige Struktur der WTO-Marktzugangsverpflichtungen für Waren und Dienstleistungen entspricht nicht der tatsächlichen Offenheit vieler Länder und spiegelt nicht die signifikanten Gewichtsveränderungen bestimmter wichtiger Handelsnationen der Weltwirtschaft (z. B. China) wider”, steht im Strategiepapier. Das müsste geändert werden, so die Brüsseler Behörde. Eine weitere Liberalisierung vonseiten Chinas verliehe nach Ansicht der EU-Kommission auch der Rolle der Volksrepublik in der Organisation mehr Legitimität. Für die Neuauflage der WTO-Linien will Brüssel außerdem strenge Regeln gegen erzwungenen Technologietransfer und mehr Transparenz für innerstaatliche Regulierung. China solle zudem “Aufgrund seines Gewichts im System” mit gutem Beispiel vorangehen und den möglichen SDT-Sonderstatus für Entwicklungsländer der WTO in keinen laufenden Verhandlungen beanspruchen.

    Eine Reform der derzeit vom Handelskrieg zwischen den USA, EU und China gebeutelten Organisation ist keine neue Forderung. Handelskommissar Dombrovskis sieht wegen des Wechsels an der Spitze der WTO und im Weißen Haus derzeit jedoch ein “Momentum” für Veränderung.

    “Die EU wird jedoch ohne die Unterstützung anderer Mitglieder nicht in der Lage sein, die Führung bei der Wiederherstellung der Relevanz der WTO zu übernehmen”, sagt Steven Blockmans vom Brüsseler Think-tank Centre for European Policy Studies (CEPS) China.Table zu den Vorschlägen. Eine Voraussetzung für die Modernisierung des multilateralen globalen Handelssystems ist seiner Meinung nach erstmal die Normalisierung der Dreiecks-Handelsbeziehungen zwischen der EU, den USA und China. Auf die Brüsseler Behörde wartet laut Blockmans ein schwieriger Balanceakt: Sie muss mit den konkurrierenden Großmächten zusammenarbeiten, um so das veraltete Streitbeilegungssystem der WTO überarbeiten, neue WTO-Regeln für Umweltschutz und Standards im digitalen Handel festlegen zu können.

    Bilaterale Fronten glätten

    Blockmans sieht an beiden bilateralen Fronten aber noch viel Arbeit: Mit den USA müsse die EU die unter der Trump-Regierung erschütterten Beziehungen wieder glätten – und mit Peking müsse noch das Investitionsabkommen CAI über die Bühne gebracht werden. Mit der Neuauflage der Handelspolitik zeige die EU allerdings deutlich, dass sie ein Verfechter des Multilateralismus sei, lobt Blockmans

    Das CAI sei ein “wichtiger Schritt vorwärts in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und China”, erklärt die EU-Kommission und betonte erneut, dass dieses ein Element einer umfassenderen China-Handelsstrategie sei. Zu dieser gehöre beispielsweise auch ein EU-Lieferkettengesetz, an dem derzeit gearbeitet werde, so Dombrovskis. Wie Nachhaltigkeit in den Wertschöpfungsketten am besten umgesetzt und kontrolliert werden könne, werde derzeit in einer Studie untersucht, so der Kommissionsvize. Auch über ein EU-weites Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit mit Kontrollen direkt an den Grenzen des EU-Binnenmarkts werde gesprochen, so Dombrovskis.

    Um die Interessen der EU, vor allem von kleinen und mittelständischen Unternehmen, zu unterstützen, sollen dem EU-Vorschlag zufolge auch bilaterale Kanäle auf Unternehmensebene vermehrt genutzt werden. Für China nannte Brüssel dafür als Beispiel das EU-Zentrum für kleine und mittelgroße Betriebe, die in China tätig sein wollen.

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    Biontech – Zwischen Peking und Taipei

    Der Mainzer Biopharma-Hersteller Biontech bewegt sich im Umgang mit China und Taiwan auf dünnem Eis. “Biontech setzt sich dafür ein, dabei zu helfen, die Pandemie weltweit zu beenden, und wir beabsichtigen, Taiwan mit unserem Impfstoff im Rahmen unseres globalen Engagements zu versorgen“, sagte eine Biontech-Sprecherin am Donnerstag gegenüber China-Table. “Die Gespräche werden derzeit geführt.” Gemeint sind Verhandlungen über die Konditionen von Impfstoff-Lieferungen aus Europa nach Taiwan, die seit einigen Wochen im Gang sind.

    Im Licht von Äußerungen des Taiwanischen Gesundheitsministers lässt sich daraus ableiten, dass das Unternehmen den begehrten Corona-Impfstoff auch direkt – und ohne Umweg über das Festland – an die Insel liefern will. Das wäre allerdings ein Affront gegen den chinesischen Biontech-Partner Fosun Pharma und könnte Irritationen in Peking auslösen. Denn im Dezember hat Biontech mit Fosun eine Liefervereinbarung geschlossen, die Berichten zufolge auch Macau, Hongkong und Taiwan umfasst. Damit wäre Fosun als Vertriebspartner für die Insel zuständig.

    Eine Vertragsgestaltung, die Taiwan eindeutig China zuschlägt, ist auch ganz nach dem Geschmack der chinesischen Politik. Die Regierung bringt ausländische Firmen immer wieder dazu, das Gebiet organisatorisch und von der Wortwahl her als Teil Chinas zu behandeln. Dem Druck aus Peking hat beispielsweise auch die Lufthansa nachgegeben, die seit zwei Jahren überall nur noch von “Taiwan, China” spricht, auch auf den Buchungs-Webseiten.

    Umgekehrt ist das auch der Grund dafür, warum Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen Impfstoff-Lieferungen aus China ablehnt. Wegen niedriger Infektionszahlen ist die Eile dort nicht groß. Zugleich will sie den politischen Schaden nicht in Kauf nehmen, den eine Versorgung von China aus anrichten könnte. Denn die chinesische Propaganda würde mit Sicherheit groß herausstellen, wie großzügig das Mutterland seiner vermeintlich ureigensten Region hilft. Stattdessen hat Taiwan sich bemüht, den Biontech-Impfstoff auf direktem Weg von westlichen Herstellern zu beziehen. Auch mit dem US-Anbieter Moderna und mit Astrazeneca hat das Unternehmen bereits Verträge unterschrieben. Ungefähr seit Anfang Januar laufen nun auch die direkten Verhandlungen mit Biontech.

    Sabotiert Peking einen Vertrag zwischen Biontech und Taiwan?

    Doch Peking stört sich gewaltig an den Verhandlungen zwischen Taipei und Mainz – schließlich hält mit Fosun ein Unternehmen vom Festland eine Vertriebslizenz für Taiwan. Hinter den Kulissen liefen offenbar Bemühungen, die Gespräche über einen Liefervertrag Taiwans mit Biontech zu sabotieren. Biontech erbat sich Berichten aus Taipei zufolge plötzlich Bedenkzeit. Taiwans Gesundheitsminister Chen Shih-chung unterstellte, dass “externe Kräfte” eingegriffen haben – gemeint sind Fosun oder die chinesische Regierung.

    Nun kommt von Biontech die Bestätigung, dass immer noch Gespräche laufen und der Wille da ist, Taiwan zu beliefern. Das Unternehmen befindet sich nun in der Zwickmühle zwischen seinem Anspruch, den Impfstoff an alle interessierten Länder abzugeben und seiner bestehenden Verpflichtung gegenüber Fosun, einem Partner der ersten Stunde bei dem Corona-Projekt. Der chinesische Partner hat immerhin 50 Millionen Euro in Biontech investiert und übernimmt den Vertrieb in China. Auch der Aufbau einer Produktionsstätte ist geplant.

    Das Gezerre um Corona-Impfstoffe für die Insel hat indirekt auch mit dem weltweiten Mangel an Mikrochips zu tun. Nachdem die Bundesregierung Taiwan gebeten hat, bevorzugt Halbleiterbausteine für die deutsche Autoindustrie zu liefern, hat Taipei im Gegenzug gefragt, ob Deutschland sich mit der Bereitstellung von Impfstoffen revanchieren könne. Die Sache sei dann im Sande verlaufen, ist in Berlin zu hören. Einerseits will dort keiner die Chinesen verärgern. Außerdem wollte die Regierung keine Impfstoffexporte einfädeln, während gerade eine Riesendiskussion um deren mangelnde Beschaffung lief.

    • Fosun

    Termine

    22.02.2021, 18:00-19:30 Uhr
    Vortrag, SOAS London The Rise of the Chinese Techno-Security State Under Xi Jinping Mehr

    22.02.2021, 12:00-1:00 Uhr PM (EST)
    Panel Disucssion, Harvard Fairbank Center for Chinese Studies Iran and China´s Belt and Road Initiative: Between desirable and feasible. Mehr

    23.02.2021, 13:30 Uhr
    Vortrag, University of Manchester China-Russia Friendship – Internationally, Interpersonally Mehr

    23.02.2021, 18:00 Uhr
    Diskussion, Young China Watchers Bruessels V4-China relations in the 2020s: Opportunities and Challenges Mehr

    24.02.2021, 19:30-21:00 Uhr
    Diskussion, Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW. Ist China Vorbild für eine Zero-Covid-Strategie? Mehr

    26.02.2021, 9:00-10:30 Uhr (CET)
    Webinar, German Marshall Fund China and Geopolitics in the Indo-Pacific after COVID-19 Mehr

    26.02.2021, 19:00-20:00 Uhr
    Vortrag, SOAS London A year on. How Covid is changing China and how it engages with the world Mehr

    27.02.-28.02.2021, 10:00-2:00 Uhr PM (EST)
    Konferenz, Harvard Center for Chinese Studies Harvard East Asia Society Conference 2021 – Moving bodies: Mobility and Control across East Asia Mehr

    Hongkongs Brain Drain

    Nach Angaben der taiwanesischen Einwanderungsbehörde ist die Zahl der Bürger aus Hongkong, die im vergangenen Jahr einen Aufenthaltstitel in Taiwan bekommen haben, so hoch wie seit drei Jahrzehnten nicht. Demnach erhielten 10.813 Hongkonger 2020 eine potentiell verlängerbare Kurzzeit-Aufenthaltserlaubnis und 1.576 eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis. 2019 waren es gerade mal 5.858 und 102. Es wird nicht bekanntgegeben, ob sich die Hongkonger, die eine Aufenthaltserlaubnis für Taiwan haben, tatsächlich überwiegend in Taiwan aufhalten. Dennoch ist es ein starker Anstieg, auch wenn es in absoluten Zahlen gesehen nur eine Minderheit ist. In Hongkong leben knapp 7,5 Millionen Menschen.

    Anders sieht die Lage schon aus, wenn man sich die Gesamtstatistik Hongkongs anschaut. Zum ersten Mal in fast 20 Jahren ist die Bevölkerungszahl leicht gesunken. Um 0,6 Prozent oder 46 000 Menschen. Das hat das Hongkonger Statistikamt gestern bekanntgegeben. Der Sprecher nennt vor allem die Pandemie als Grund dafür. Und dass es erstmals mehr Tote als Geburten gegeben habe. Die Verunsicherung der Bevölkerung angesichts des Sicherheitsgesetzes wurde nicht erwähnt. 

    Die taiwanesische Zeitung Liberty Times wiederum sieht in der Pandemie auch einen Grund dafür, dass die Zahl der Hongkonger, die sich in Taiwan niederlassen wollen, nicht noch höher gewesen ist.

    Der letzte Auswanderungsrekord war 2014 während der pro-demokratischen “Regenschirm-Revolution” aufgestellt worden. Damals bemühten sich 7.506 Hongkonger erfolgreich um einen Aufenthaltstitel. Eine Umfrage des Hong Kong Institute of Asia-Pacific Studies verdeutlicht jedenfalls die Verunsicherung der Bevölkerung. Demnach planen 43,9 Prozent der Hongkonger Bürger die Auswanderung, und die Hälfte von ihnen sei bereits mit den Planungen fortgeschritten. Unter den bevorzugten Reisezielen liegt Taiwan an dritter Stelle, hinter Großbritannien und Australien sowie vor Kanada und den USA. Noch im Dezember waren die Sätze “emigrating to Taiwan” und “emigrating to Canada” unter den meistgesuchten Begriffen auf Google Hongkong, oftmals in Kombination mit Bankennamen wie HSBC, was darauf hindeutet, dass nicht nur Studenten sondern auch die gebildete Mittelschicht nach einem Ausweg suchen. Ein Brain Drain, der den Abschwung der internationalen Wirtschaftsmetropole beschleunigen dürfte. 

    Erleichterte Einreise nach Taiwan

    Hauptgrund für den Migrationswillen dürfte vor allem das im Mai in Kraft getretene Nationale Sicherheitsgesetz sein, das Pekings Spielraum gegenüber Demonstranten und Dissidenten in der Sonderverwaltungszone vergrößert. Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen im Sommer 2020 hatte Taipeh die Bestimmungen für den Grenzübertritt nach Taiwan “aus humanitären Gründen” gelockert und ein neues Büro geschaffen, um Hongkongern die Beschaffung einer Aufenthaltserlaubnis zu erleichtern.  

    “Taiwan verurteilt China nachdrücklich wegen Verletzung der Demokratie und der Menschenrechte in Hongkong und wird den Hongkongern weiterhin helfen, praktische Unterstützung und Unterstützung auf der Grundlage unserer Gesetze zu leisten”, erklärte Taiwans Regierungssprecherin Kolas Yotaka damals.

    Taiwan hat nach wie vor kein offizielles Asylgesetz. Die Gesetzgebung ist bewusst vage. Es wird von Fall zu Fall entschieden, zum einen um Peking nicht zu provozieren, das den Inselstaat als Provinz betrachtet. Zum anderen, um bei einem möglichen schlagartigen Flüchtlings-Ansturm vom Festland die Kontrolle zu behalten. Taiwan bietet jedoch eine Reihe von Wegen zur Staatsbürgerschaft, darunter Familienzusammenzug, Studium, Arbeit oder Investitionen. So erhalten Investoren aus Hongkong eine Wohnberechtigung in Taiwan, wenn sie umgerechnet 180.000 Euro investieren. Auch das Netz freiwilliger Helfer für politische Geflüchtete ist in Taiwan traditionell groß. Es gibt zahlreiche NGOs, die Exilanten helfen, eine Wohnung zu finden oder sich an der Universität einzuschreiben. Seit Juli 2020 ist etwa auch die Zahl der Hongkonger, die sich in Taiwan als Studierende eingeschrieben haben, um 28 Prozent gewachsen. Viele Studierende, die in Taiwan ihren Abschluss machen, bleiben anschließend im Land, sofern sie denn einen Job finden.  

    Gute Gründe wegzuziehen

    Schon vor den Protesten und dem neuen Sicherheitsgesetz gab es gute Gründe, Hongkong zu verlassen, vor allem die hohen Mietpreise, die niedrigen Löhne und die ebenfalls begrenzten Jobchancen sind zu nennen. Die Arbeitslosenrate in Hongkong war mit 6,6 Prozent zuletzt so hoch wie seit 16 Jahren nicht mehr, was aber auch den Lockdown-Maßnahmen geschuldet ist. Ein Großteil der Wirtschaft hängt am Shopping-Tourismus. 

    Taiwan bietet sich vor allem aufgrund der geographischen und kulturellen Nähe als Auswanderungsziel für Hongkong-Chinesen zunächst einmal an. Das 24 Millionen Einwohner zählende Taiwan ist nicht nur liberal und demokratisch, sondern auch eines der reichsten Länder Asiens

    Stagnierende Löhne in Taiwan

    Doch ein Einwanderungsparadies ist Taiwan für Hongkonger nicht: Gerade für junge Menschen ist die Jobsuche hart. Die Arbeitslosenquote in Taiwan stieg im Dezember um 0,01 Prozent auf 3,68 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Löhne stagnieren seit 16 Jahren. Der Mindestlohn Taiwans liegt heute unter dem von Slowenien und Spanien – und zwar bei höheren Lebenshaltungskosten und vergleichsweise hoher Steuerlast. Mit der größeren wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber China ist auch die Bedeutung von Englisch und Kantonesisch als Geschäftssprache gesunken: Wer kein perfektes Mandarin spricht, hat weniger Aussichten auf einen gut bezahlten Job. Die meisten Hongkonger sprechen jedoch besser Kantonesisch als Mandarin. Kantonesisch spricht man vor allem im Süden Chinas. Es ist für jemanden, dessen Muttersprache Mandarin ist, nicht auf Anhieb zu verstehen. Hinzu kommt, dass viele lokale Unternehmen oft noch immer zögern, Ausländer einzustellen. 

    Derzeit arbeitet das Mainland Affairs Council (MAC) an Reformen, um Menschen aus Hongkong auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger zu machen, darunter eine Absenkung des bisher geforderten Mindestgehaltes für ausländische Fachkräfte. Tatsächlich könnte Taiwan langfristig von mehr Einwanderung profitieren. Mit einer der niedrigsten Geburtenraten der Welt (1,218 Kinder pro Frau) ist die Bevölkerungszahl der Insel im Jahr 2020 ebenfalls zum ersten Mal zurückgegangen. Laut dem National Development Council wird bis 2025 jeder fünfte Bürger Taiwans über 65 Jahre alt sein. Ein klares Bild der Abwanderungsbewegung aus Hongkong in Richtung Taiwan und andere Länder wird sich jedoch erst ergeben, wenn die Einschränkungen der Pandemie die Zahlen nicht mehr verzerren. Dann wird vermutlich auch die Zahl von Festlandchinesen, die sich in Hongkong niederlassen, wieder deutlich zunehmen. Aber womöglich wird die Zahl der Chinesen, die die Stadt verlassen, weil sie sich in ihrem persönlichen Freiraum eingeschränkt fühlen, ebenfalls noch deutlich steigen. 

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    Dolkun Isa: Von Peking bedrohter Aktivist

    Einflussnahme und Drohungen durch chinesische Spitzel auf Kritiker des Regimes im Ausland bereiten US-Politikern große Sorge. In einem zweiseitigen Schreiben warnte eine Handvoll Senatoren und Kongressabgeordnete in der vergangenen Woche Außenminister Anthony Blinken vor repressiven Regierungen, die “zunehmend unverschämt” jenseits ihrer eigenen Staatsgrenzen Methoden der Unterdrückung anwenden würden, um Regimegegner zum Schweigen zu bringen. China, aber auch Russland, die Türkei, Ägypten und Saudi-Arabien würden die Souveränität anderer, “oftmals demokratischer” Staaten unterwandern und die Menschenrechte der Verfolgten verletzen.

    “Berichten zufolge bedrohen Agenten, die im Namen der chinesischen Regierung handeln, ethnische Uiguren und andere chinesischstämmige Bürger in den USA, Kanada und Europa, um sie im Austausch gegen eine bessere Behandlung von Familienmitgliedern (in China) zum Schweigen zu bringen”, heißt es in dem Brief. Chinesische Dissidenten berichten seit Jahren über Drohungen gegen ihre Familien, die weiterhin in der Volksrepublik leben. Das Federal Bureau of Investigation (FBI) spricht von einem engen Zusammenhang zur Operation Fox Hunt durch die chinesische Staatssicherheit. Seit 2014 zielen Sicherheitsbeamte aus der Volksrepublik auf Chinesen oder Chinesischstämmige, die im Ausland leben. Offiziell richtet sich die ‘Fuchsjagd’ gegen Korruption. Das FBI geht jedoch davon aus, dass Dissidenten ebenso als Zielscheibe der Operation gelten.

    Auch in Deutschland sind chinesische Handlanger offenbar aktiv und bedrohen Aktivisten des Weltkongresses der Uiguren (WUC) in München, eine Vereinigung, die auf die Situation der Uiguren in der autonomen chinesischen Region Xinjiang aufmerksam macht. Dessen Mitgründer und Generalsekretär, Dolkun Isa, sagt im Gespräch mit China.Table, er sei in der Vergangenheit immer wieder eingeschüchtert worden, sei es durch schriftliche Nachrichten, Telefonanrufe oder persönliche Attacken. In Xinjiang sitzen eine Million Uiguren in Umerziehungslagern, in denen es zu Folter und Vergewaltigungen kommen soll. China leugnet die Existenz der Lager nicht, bestreitet aber Berichte über Misshandlungen und spricht stattdessen von Umschulungen.

    Nicht bewiesene Vorwürfe des Terrorismus

    Dolkun Isa lebt seit 1996 in Deutschland, seit 15 Jahren ist er deutscher Staatsbürger. Schon in den 1980er Jahren geriet er ins Visier der chinesischen Behörden, weil er einer der Köpfe der uigurischen Studentenbewegung war, die sich damals schon gegen wachsende Repressionen durch Pekings Minderheitenpolitik in der Region auflehnte. Der Physiker und Politologe folgte damals der Empfehlung durch einen wohlgesonnenen Kontakt im chinesischen Machtapparat, das Land zu verlassen. Über den Umweg Türkei kam er schließlich nach Deutschland, wo ihm politisches Asyl gewährt wurde. “Ich erinnere mich an den Abschied von meinen Eltern. Ich habe nicht geahnt, dass es ein Abschied für immer sein würde”, sagt Isa.

    Bis 2017 sei regelmäßiger Austausch mit seiner Familie in Xinjiang noch möglich gewesen. Seitdem erfahre er nur noch durch chinesische Medien, was mit seinen Angehörigen vor Ort geschehen ist. Seine Mutter soll in einem der zahlreichen Internierungslager für Uiguren verstorben sein. Auch der Vater ist tot. Woran er gestorben ist, weiß Dolkun Isa nicht. Von einem jüngeren Bruder fehlt seit fünf Jahren jede Spur, ein älterer Bruder sei zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden, heißt es.

    Im Januar 2020 verbreiteten chinesische Staatsmedien dann ein Video, in dem Dolkun Isas ältere Schwester schwere Anschuldigungen gegen ihn erhebt. “Es ist herzlos von meinem jüngeren Bruder, den Tod meiner verstorbenen Eltern zu nutzen, um aus dem Ausland gegen Xinjiang zu hetzen”, sagte sie darin. Sie sei sehr verärgert. Die Eltern, so betonte sie, seien aufgrund von Alter und Krankheit gestorben. Dolkun Isa glaubt, seine Schwester wurde von chinesischen Beamten gezwungen, sich derart zu äußern.

    Um Dolkun Isa zu verunglimpfen, wird er in chinesischen Medien seit Jahren als “Terrorist” oder “Separatist” bezeichnet. Man wirft ihm vor, mehrere Bombenanschläge geplant zu haben. Beweise gibt es nicht. Wissen die Chinesen also mehr als deutsche Behörden? Das Auswärtige Amt will sich zwar nicht äußern, aber das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz teilte China.Table mit: “Der Weltkongress der Uiguren ist und war auch in der Vergangenheit kein Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV). Dem BayLfV liegen keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zu terroristischen Verbindungen der betreffenden Organisation oder ihrer Führungsspitze vor.

    Um Dolkun Isas Auftreten vor internationalen Gremien zu verhindern, greifen auch chinesische Diplomaten offenbar zu drastischen Mitteln. Die Grünen-Abgeordnete Margarete Bause erinnert sich an eine Begegnung in ihrem Büro mit dem chinesischen Generalkonsul in München, als sie noch Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag war. Das Konsulat hatte vehement auf einen kurzfristigen Termin gedrängt. Kurz zuvor hatte der damals noch weitgehend unbekannte WUC die Politikerin zu einer Veranstaltung eingeladen. Der chinesische Generalkonsul hielt sich kurz, erinnert sich Bause. Er forderte die Abgeordnete umgehend auf, die Veranstaltung zu meiden.

    2018 verurteilte die chinesische Botschaft eine Beratung des Deutschen Bundestages zur Menschenrechtslage in Xinjiang und drohte mit einer Verschlechterung der deutsch-chinesischen Beziehungen. In Rom verhinderten chinesische Diplomaten 2017 eine Anhörung Dolkun Isas vor dem italienischen Senat. Ein Mitglied des Gremiums sagte Dolkun Isa damals, Peking habe mit dem Abzug seines Botschafters gedroht. Seinen Zugang zum Gebäude der Vereinten Nationen in New York konnte die chinesische Regierung 2018 mit einer Protestnote nur im ersten Anlauf verhindern. Später wurde Isa doch noch akkreditiert.

    Uiguren-Vertretung öffnet Büro in Berlin

    Bis 2018 stand der Aktivist, wie sich Dolkun Isa selbst bezeichnet, auf der Fahndungsliste von Interpol. Erfolglos aus chinesischer Sicht. “Die Vorwürfe gegen den WUC und die Ausschreibung von Herrn Isa zur Fahndung wurden nie konkret begründet oder gar plausibel belegt”, sagt der Terrorismusforscher Sebastian Lange von der Humboldt-Universität in Berlin. Auch die für innere Sicherheit zuständigen deutschen Behörden sähen die geäußerten Vorwürfe als nicht belegt an. Gewiss solle die Deutung eingeführt und verbreitet werden, dass sich der Umgang mit den Uiguren in China aus “legitimen Sicherheitsinteressen” heraus begründen ließe. “Die Darstellung von Uiguren als Terroristen soll die in China begangenen Menschenrechtsverletzungen relativieren”, glaubt Lange.

    So oder so beschreitet der WUC einen schmalen Grat. Eine öffentliche Forderung nach Unabhängigkeit der Region als Republik Ost-Turkistan würde es Peking erleichtern, uigurische Aktivitäten weltweit als Separatismus zu brandmarken. Internationale Unterstützung für die eigene Sache wäre für Dolkun Isa und seine Mitstreiter dann wohl schwieriger zu organisieren. Deswegen sagt Isa: “Eine Mehrheit der uigurischen Bevölkerung würde eine Unabhängigkeit sicherlich unterstützen. Aber das ist nicht das Ansinnen des Weltkongresses. Uns geht es allein um die politische Selbstbestimmung der Uiguren nach internationalem Recht.

    Um die eigenen Interessen noch besser in Deutschland vertreten zu können, eröffnete der WUC im vergangenen Jahr auch ein Büro in Berlin. Man wolle sich im politischen Herzen des Landes in Zukunft mehr Gehör verschaffen.

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    Litauen stoppt Kauf chinesischer Gepäckscanner

    Litauen hat die Beschaffung von Gepäckscannern des chinesischen Staatsunternehmens Nuctech für seine Flughäfen blockiert. Hintergrund der Entscheidung sei, dass das Geschäft nicht im Einklang mit den Interessen der nationalen Sicherheit stehe, berichtete die baltische Nachrichtenagentur BNS unter Berufung auf die Sprecherin der litauischen Regierungschefin Ingrida Simonyte. Nuctech hatte zuvor eine Ausschreibung des Flughafenbetreibers Lietuvos Oro Uostai (Lithuanian Airports, LOU) für die Installation von Gepäckscannern in dem EU- und Nato-Land gewonnen.

    Der Schritt folgte Medienberichten zufolge nach einer nicht öffentlich gemachten Empfehlung einer Regierungskommission, die die Aktivitäten von Unternehmen in Litauen prüft. Nuctech wies bereits Anfang Februar Bedenken zurück als klar wurde, dass Litauen den Deal nochmals prüfen will. Die Ausrüstung werde in Polen “unter den strengsten geltenden EU- und nationalen Leistungs- und Sicherheitsstandards” hergestellt, teilte die niederländische Tochter des chinesischen Staatsbetriebs mit.

    Auch in den Niederlanden regte sich jüngst Misstrauen gegen die Nuctech-Scanner: Sicherheitsexperten seien besorgt über die digitale Sicherheit der Geräte, schrieb die Tageszeitung Het Financieele Dagblad. Nuctech-Scanner werden demnach im Rotterdamer Hafen, auf Flughäfen und in Verteilerzentren eingesetzt. Dem Bericht zufolge befürchteten Experten Spionage oder Datenmissbrauch durch den chinesischen Staat, da die Scanner sensible Daten, beispielsweise darüber, welche Waren ins Land kommen und gehen, liefern könnten.

    Das Wall Street Journal hatte bereits im Sommer 2020 berichtet, dass die USA europäische Regierungen dazu gedrängt haben soll, nicht mit Nuctech zusammenzuarbeiten. ari

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    Standpunkt

    Qiushi – Sprachrohr des Xi-ismus

    Von Johnny Erling
    Johnny Erling

    Es war am 1. Oktober 2019. Kurz vor meiner Ausreise aus China verschaffte ich mir noch einen Eindruck vom omnipotenten Staats- und Parteichef Xi Jinping. Als Oberbefehlshaber der Armee nahm er zum 70. Gründungstag der Volksrepublik eine riesige Armeeparade im Herzen von Beijing ab. Die Waffenschau protzte mit nuklear bestückbaren DF-41- Interkontinentalraketen. Von der Brüstung des Tiananmen-Tores hatte Xi zuvor gerufen, was tags darauf für Schlagzeilen in aller Welt sorgte: “Es gibt keine Macht, die die Fundamente dieser großen Nation erschüttern kann. Niemand kann unser Volk und die Nation am Voranschreiten hindern.”  

    Doch am selben Tag erschien das halbmonatlich herausgegebene ZK-Theoriemagazin “Qiushi” (Suche nach der Wahrheit) mit einer Ansprache von Xi, die ganz anders klang. Vorsicht: Der wahre Feind komme von innen. “Ich meine, nur wir selbst könnten uns besiegen. Niemand anderes kann das.” 

    Seine bis dato unveröffentlichte Rede stammte vom 5. Januar 2018. Er hatte sein neues Zentralkomitee zusammengerufen, nachdem er vom Parteitag für weitere fünf Jahre als Parteichef bestätigt worden war. Zudem hatte er es geschafft, sein “Xi-Jinping-Denken” als neue Leitideologie in den Parteistatuten zu verankern. Eigentlich hätte Xi triumphieren müssen. Stattdessen warnte er seine Genossen eindringlich, auf der Hut vor dem Niedergang zu sein. Er zählte ihnen fast ein Dutzend Beispiele aus der Geschichte auf, wie Chinas mächtige Herrscherhäuser vom Qin-Kaiser bis zur späten Qing-Dynastie aus Selbstverschulden kollabierten. Kläglich ging auch die glorreiche Sowjetunion unter und ihre Kommunistische Partei an Schwindsucht ein, weil sie ihre sozialistischen Ideale und Werte verraten hatten. “Herrscher verloren ihre zentrale Autorität und das Land, die Fähigkeit, zentralisiert und vereint zu handeln.”  Dass Xi diese Rede ausgerechnet am Tag der 70-Jahres-Feiern veröffentlichen ließ, zeigt die andere Seite der Medaille seiner Macht zwischen Auftrumpfen nach außen und Krisenangst nach Innen

    Im Qiushi Xi übersetzt im Original lesen     

    Solche Einsichten gewinnt man dank Qiushi. Welche Reden und Aufsätze des Parteichefs das Magazin druckt, wobei manche Texte erstmals veröffentlicht werden,  hängt nicht davon ab, von wann sie stammen. Sobald sie erscheinen, sind sie News. CCTV, Xinhua und alle Staatsmedien kündigen sie als “wichtige” Reden an. Hinter der Auswahl steckt Kalkül. Chinas Führung setzt damit ein Problem als aktuelles Thema für das Land. Zwischen den Zeilen verbergen sich “Breaking News” für Eingeweihte. In den Übergangswochen des USA-Präsidentenwechsels druckte Qiushi auffallend viele Reden Xis zur Globalisierung, Reformen und Marktwirtschaft nach, die er in Davos, vor den Vereinten Nationen, oder in China über den Schutz des Geistigen Eigentums hielt, ein durchsichtiger Wink nach Washington, wie sehr er auf einen Neuanfang in den Beziehungen setzt.    

    Der Relaunch der Parteizeitschrift im Vierfarbendruck mit Xi als Starschreiber jeder Ausgabe unterstreicht seine neue Rolle als ideologischer Vordenker der KP Chinas. Der japanische Nikkei-Büroleiter in Beijing, Tetsushi Takahhashi, schrieb: “Das Magazin hat sich von einem Sprachrohr der Partei zum ‘Sprachrohr des Xiismus’ verwandelt”.  

    Von Xis Amtsantritt 2013 an wurden bis Februar 2021 seine Texte siebzigmal in der Qiushi abgedruckt. Seit ihrem Relaunch 2019 sind sie Aufmacher jeder Ausgabe, fand das “China Media Project” von David Bandursky in der Studie “Xi Jinping, der Schlagzeilen-Kolumnist” heraus. Kein chinesischer Führer seit Mao hat einen solch überbordenden Personenkult um sich entfacht.   

    Vergangenen Montag, den 15. Februar, erschien die Qiushi trotz Frühlingsfest erneut mit einem Text von Xi, diesmal zum Thema Armutsbekämpfung. Die bis dahin unveröffentlichte Rede hatte er am 29. und 30. Dezember 2012 gehalten. Damals nannte er eine Zahl von 120 Millionen Chinesen, die unter extremer Armut lebten. Als Elendsgrenze setzte Beijing ein Einkommen unter 2300 Yuan pro Jahr an, niedriger als sonst wo in der Welt. Doch das schmälert Xis Erfolg nicht. In seiner Neujahrsansprache für 2021 feierte er sich für die nun vollständige Überwindung extremer Armut in China.   

    Wirklich vollständig?  In seiner Rede von 2012 gesteht Xi Probleme ein, von denen er 2011 dank der Enthüllungen von “Medien” erfuhr. Er kritisiert, dass bei der Armutsbekämpfung Durchschnittswerte genannt würden. Die aber “vertuschen die Ungleichheiten” (平均数会掩盖差距). Dann erregt er sich darüber, wie bei der Armutsfeststellung der Staat betrogen wird. Er sei  “unzufrieden und sogar wütend”, dass Hilfsgelder unterschlagen oder zweckentfremdet würden. “Das ist ein Verbrechen”. Manche der Leser werden sich fragen, ob es heute anders ist. 

    Die Texte in der Qiushi lassen sich dank Google-Translate in verständliches Englisch übertragen. Man braucht also nicht mehr Sinologe zu sein, um in der ZK-Zeitschrift, deren chinesischer Name so passend “Suche nach der Wahrheit” bedeutet, zwischen den Zeilen nach genau dieser zu suchen.

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