Table.Briefing: China

Die Realität der Taliban + Kamala Harris’ Asien-Strategie + Gabriel Felbermayr

  • Journalist Cem Sey zur Realität in Afghanistan
  • Kamala Harris wirbt in Asien um Vertrauen
  • Corona-Infektionsketten wirksam gestoppt
  • Anschlag auf Seidenstraßen-Projekt in Pakistan
  • USA beklagen mangelnde Kooperation im Drogenkampf
  • Aufschub für Didi-Expansion nach Europa
  • Hongkong zensiert Filme jetzt auch rückwirkend
  • Gabriel Felbermayr: Abkoppelung von China kann für Europa teuer werden
Liebe Leserin, lieber Leser,

die chaotische Lage in Afghanistan dominiert weiterhin das Weltgeschehen. Manche Beobachter glauben, dass China von der Machtübernahme der Taliban profitieren kann. Doch das ist keineswegs ausgemacht, wie der erfahrene Journalist und Afghanistan-Experte Cem Sey in unserem heutigen Interview erläutert. Die ökonomischen Möglichkeiten in Afghanistan werden vielfach zu optimistisch dargestellt, sagt Sey. China sorge sich weiterhin vor allem um die Sicherheit in der Region. Zu Recht, wie ein erneuter Terroranschlag auf chinesische Ingenieure in Pakistan zeigt.

Unterdessen ist die US-Vizepräsidentin Kamala Harris in den Indopazifik gereist, um in Singapur und Vietnam um Vertrauen zu werben. Hintergrund ist auch hier der überstürzte Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Ihre Botschaft: Wir sind noch da, und wir sind verlässlich. In der Region sorgt man sich vor allem um Chinas Bestrebungen um Vorherrschaft im Südchinesischen Meer. Chinesische Stimmen haben bereits gestreut, das Chaos in Afghanistan bedeute nichts Gutes für Taiwan und andere US-Verbündete. Das lässt die Harris-Visite umso dringender erscheinen.

Eine weitere laufende Debatte dreht sich um eine mögliche Entkopplung der westlichen Wirtschaften von China. Zu den Auswirkungen hat das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel Berechnungen angestellt. Diese ergaben, dass ein sogenanntes Decoupling die Europäer voraussichtlich teuer zu stehen käme. Die Details erläutert IfW-Präsident Gabriel Felbermayr im heutigen Standpunkt. Als Medienpartner wird China.Table eine Diskussionsreihe des Instituts mit Namen China Global Conversations begleiten.

Viel Spaß beim Lesen des heutigen Table wünscht

Ihre
Christiane Kühl
Bild von Christiane  Kühl

Interview

“China und die Taliban haben zueinander ein pragmatisches Verhältnis”

Cem Sey Afghanistan Taliban China
Der Journalist Cem Sey lebte als Korrespondent der Deutschen Welle drei Jahre in Afghanistan.

Herr Sey, nach dem Debakel des Westens in Afghanistan – ist China der große Profiteur?

Das lässt sich so noch nicht sagen. Natürlich ist nach dem Fall Kabuls und der Machtergreifung durch die Taliban eine geopolitische Lücke entstanden. Der Westen wird diese Lücke nicht mehr füllen. Und ja, China will gerne gute Beziehungen zu Afghanistan haben. Das hat die chinesische Führung auch schon angekündigt. China pflegt zudem gute Beziehungen zu Pakistan. Und Pakistan steht hinter der Taliban.

Das heißt: Für die Chinesen könnte eine Region entstehen, in der sie im Rahmen ihrer Belt-and-Road-Initiative Eisenbahnlinien und dergleichen bauen könnten. Ein Hindernis bleibt aber: die Nähe der Taliban zu gewalttätigen islamistischen Terrorgruppen. Wenn Extremisten in Afghanistan Fuß fassen, die womöglich die Extremisten unter Uiguren in China unterstützen, würde das Peking überhaupt nicht gefallen. Deswegen, denke ich, werden die Chinesen zunächst einmal sehr vorsichtig agieren.

Als die Taliban vor 20 Jahren an der Macht waren, waren sie selbst eine radikal-islamische Gruppe. Das passt doch überhaupt nicht zu China. Oder ticken die Taliban inzwischen anders?

Nein, das tun sie nicht. Aber Chinesen sind pragmatisch und haben auch kein Problem, mit anderen islamistischen Regierungen zusammenzuarbeiten. Die Taliban sollte man im Übrigen auch nicht mit dem IS verwechseln. Der IS ist eine durch und durch fanatische Bewegung. Die Taliban legen den Islam sehr streng aus und wollen dies auch autoritär durchsetzen. Es geht ihnen aber nicht darum, andere Länder zu islamisieren.

China, die Taliban und die Uiguren-Frage

Die Menschen in den anderen muslimisch geprägten Ländern in der Region sehen China und den Ausbau der Infrastruktur im Zuge seiner Neuen Seidenstraße mit großem Misstrauen. Nicht zuletzt auch wegen der Uiguren-Frage wächst in einigen dieser Länder die Gefahr von Anschlägen auf chinesische Einrichtungen.

Tadschiken, Kirgisen und Kasachen sind wie die Uiguren Turkvölker und ihnen kulturell sehr viel näher als die Paschtunen in Afghanistan. Es gibt zwar auch extremistische Taliban, die mit dem IS sympathisieren und die Uiguren-Frage aufgreifen. Diese sind aber meist in Pakistan. Die pakistanischen und afghanischen Taliban sind nicht gleichzusetzen. Das Ziel der afghanischen Taliban war es, die ausländischen Truppen aus dem Land zu haben und ihre Herrschaft auf Basis der Scharia-Gesetze wieder herzustellen. Das haben sie nun erreicht. Weder wird Peking seine Truppen nach Afghanistan schicken, noch ist China aus Sicht der Taliban der Feind .

Wie war bislang das Verhältnis der Afghanen zu China?

Viele Afghanen finden China interessant. Sie betrachten die Chinesen als ein Volk, dass in der Vergangenheit ebenfalls vom Westen unterdrückt war, sich aber aus den Fängen befreien konnte und nun selbst eine Weltmacht ist. Das finden die Afghanen bewundernswert. Afghanen denken zudem pragmatisch. Für sie spielt keine Rolle, ob ihre chinesischen Geschäftspartner muslimisch sind oder nicht. Zudem haben die Chinesen dem Land viele verlockende Angebote gemacht.

Bei der bislang größten chinesischen Investition, der Kupfermine in Mes Aymak, hat China seine Investitionen an keine Bedingungen geknüpft, die über das Geschäftliche hinausgehen. Die Afghanen empfanden das als Verhandlungen auf Augenhöhe. Das Gefühl hatten sie bei den Europäern und den Amerikanern nicht. Anders als die Amerikaner will sich China auch nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen. Das gefällt Vielen.

Möglichkeit eines engeren Verhältnis zwischen China und Afghanistan

Afghanistan ist angeblich reich an Rohstoffen, der Appetit der Chinesen danach ist groß. Warum haben die Chinesen vieles davon nicht längst abgeschöpft?

Natürlich hat Afghanistan auch Bodenschätze. Das haben bereits die Sowjets in den frühen 1980er-Jahren festgestellt. Doch sie haben auch herausgefunden, dass es zu kostspielig wäre, diese zu fördern. Es wäre schlicht und einfach nicht wirtschaftlich. In 2007 haben die USA Argumente gesucht, um die schon damals bröckelnde Unterstützung der Öffentlichkeit für den Einsatz in Afghanistan zu stabilisieren und haben unter anderem die angeblichen Funde der Sowjets aus der Schublade geholt. Seitdem glauben viele daran. Dass Afghanistan enorm rohstoffreich ist, ist also nur eine Legende.

Sonderlich erfolgreich waren die chinesischen Investitionen dann auch nicht. In Mes Aymak haben die Chinesen bis zum Schluss kaum etwas gefördert.

Das lag aber nicht an den Chinesen, sondern an der Korruption auf afghanischer Seite. Für die Mine mussten mehrere Dörfer verlegt werden. Die Bauern sollten entsprechend entschädigt werden, die Chinesen zahlten auch. Das Geld kam aber nie an. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit. Zudem wurde dann auf der Baustelle eine alte Ruine gefunden, woraufhin internationale Organisationen mit ihren Archäologen kamen. Das hat zu weiteren Verzögerungen geführt. Im Norden Afghanistans haben die Chinesen aber erfolgreich ein Gasfeld erschlossen, die Pipelines sind gebaut.

Die Chinesen werden ihre Geschäfte weiterführen können?

Ich vermute schon. Die Europäer und Amerikaner haben alle ihre Geschäfte gestoppt und Afghanistan unter den Taliban den Geldhahn zugedreht. Die Taliban haben also kein Geld und werden dankbar sein, wenn China und Russland jetzt als Geldgeber einspringen. 

Unter den Taliban könnte das afghanisch-chinesische Verhältnis also noch enger werden?

Ich halte das für möglich. Solange der Westen im Land war, war es für chinesische Investoren schwieriger Fuß zu fassen. Als es zum Beispiel um die Gasfelder im Norden des Landes ging, hatte die afghanische Seite westliche Berater zur Seite. Diese fallen nun weg. 

Sollte es China unter den Taliban gelingen noch stärker Fuß zu fassen in Afghanistan – was hätte das für die Region für Folgen?

Afghanistan ist in der Region wie ein Schwarzes Loch, das alle umliegenden Länder zu verschlingen droht. Das war schon in den letzten 20 Jahren so. Alle angrenzenden Länder haben riesige Drogenprobleme. Das ist auf den Anbau und den Handel in Afghanistan zurückzuführen. Ebenso ist es beim Waffenhandel. Sollte es den Taliban gelingen, den Drogen- und Waffenhandel stärker unter Kontrolle zu bekommen, wird das nicht nur aus chinesischer Sicht für mehr Stabilität in der Region sorgen. Zugleich gibt es jedoch das angespannte Verhältnis zwischen Indien und China. Beide versuchen über Afghanistan ihre Rivalität auszuspielen. Und wenn die Volksrepublik sich nun zu sehr in Afghanistan breit macht, wird Indien entsprechend reagieren. Das wiederum könnte die Region destabilisieren. 

Cem Sey ist Journalist für deutsche und türkischsprachige Medien. Er war 2007 bis 2019 US-Korrespondent der türkischsprachigen Sektion der Deutschen Welle (DW), hat zwischen 2012 und 2015 als Korrespondent in Kabul gelebt und zwischen 2016 und 2019 in Singapur. Schon in den 00er-Jahren war Sey im Auftrag der Akademie der Deutschen Welle, der Mediathek Afghanistan und dem Journalisten-Training der Vereinten Nationen regelmäßig als Medientrainer in Afghanistan.

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Analyse

Kamala Harris: Die USA sind eine Macht im Indopazifik

Die Vertrauensfrage steht im Mittelpunkt der Südostasien-Reise von Kamala Harris. Die US-Vizepräsidentin ist in die Region gereist, um ihren dortigen Partnerländern zu versichern: Wir sind hier, und wir sorgen für Ordnung. Amerika zeigt, dass es begriffen hat, welch gemischte Gefühle der Abzug ihres Militärs aus Afghanistan in Südostasien hinterlassen hat. Dort ist die Supermacht seit Jahrzehnten als ordnende Kraft präsent. Vornehmlich gibt es dort die Sorge, dass die USA auch andere Verbündete sich selbst überlassen könnten und damit einer chinesischen Hegemonie den Weg ebnen. Das gilt vor allem für jene rund um das Südchinesische Meer.

In Singapur formulierte Harris eine Vision der USA für die Region, die den betreffenden Ländern die Sorgen nehmen soll: “Frieden und Stabilität, Freiheit auf den Meeren, ungehinderter Handel, Förderung der Menschenrechte, Bekenntnis zur internationalen regelbasierten Ordnung und die Erkenntnis, dass unsere gemeinsamen Interessen kein Nullsummenspiel sind.” Der Indopazifik sei die “Top-Priorität” ihres Landes.

Kurze Zeit später machte sich die Vizepräsidentin auf den Weg nach Vietnam, um auch dort für ihre Regierung als einen verlässlichen Partner zu werben. Sie reiste damit in jenes Land, aus dem US-Truppen 1975 regelrecht geflüchtet waren – was die historische Analogie lieferte zu den Ereignissen in Afghanistans Hauptstadt Kabul vor wenigen Tagen. Ihre Ankunft verzögerte sich, weil die Geheimdienste noch Berichte über Anschläge mit Mikrowellen-Waffen prüften.

Die psychologische Komponente der chaotischen Bilder aus Afghanistan kommentierte der Politologe Li Mingjiang von der Rajaratnam School of International Studies (RSIS) in Singapur im Interview mit China.Table: “Zumindest sendet das Chaos in Afghanistan einige negative Signale an einen bestimmten Teil der sozialpolitischen Eliten in Ostasien.” Es ist keine Mainstream-Ansicht, aber: “Einige fangen an, die Glaubwürdigkeit der USA anzuzweifeln“.

China ist der Elefant im Raum

Falls die USA wirklich an Rückhalt in der Region verlieren, sind zahlreiche ihrer Interessen gefährdet. Rohstoffe, Militärbasen und Handelsrouten sind von elementarer Bedeutung für Washington. Sie brauchen sie, um ihre Rolle als führende Weltmacht gegen China erfolgreich zu verteidigen. Singapurs Hafen ist als Umschlagplatz für US-Waren in die Region nahezu unverzichtbar. Die Straße von Malakka als Nadelöhr der Westroute nach Singapur hat als Versorgungslinie immense strategische Bedeutung. Das Gleiche gilt allerdings auch für China. Es befürchtet, seine Ölversorgung aus dem Mittleren Osten könne im Ernstfall vor Malakka von den Amerikanern blockiert werden.

Dass es China ist, das Washingtons Rolle herausfordert, ließ Kamala Harris derweil unerwähnt. In ihrer Rede betonte die Vizepräsidentin dagegen, dass sich das Engagement der Amerikaner nicht speziell gegen einen bestimmten Akteur richte. Doch der Elefant im Raum ist die Volksrepublik. Harris musste gar nicht deutlicher werden, damit ihre Zuhörer das verstehen.

Die Chinesen bemühten sich auch gar nicht erst darum, den offensichtlichen Wettbewerb um Einfluss und Vertrauen in den Anrainerstaaten zu verschleiern. Das chinesische Konsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt, auch Saigon genannt, hatte am Wochenende einen Cartoon auf seiner Internetseite gepostet. Darauf zu sehen war ein Mann kurz vor dem Ertrinken, der laut um Hilfe rief. Ein potenzieller Retter warf ihm zwar einen Schwimmreifen zu. Die Pointe des Cartoons: Der vermeintliche Retter in der Not stellte dann plötzlich sein Bemühen ein und sagte: “Leb wohl, Bruder.” Ganz offensichtlich ist damit Amerika gemeint.

Peking will wichtigster Partner der ASEAN sein

Doch Chinas Einfluss in Vietnam ist längst geschwunden. Die ideologische Nähe zwischen den Regierungsparteien beider Länder und ihren gemeinsamen sozialistischen Wurzeln ist schon längst einem pragmatischen Realismus gewichen. In Vietnam zumindest hat Chinas forderndes und kompromissloses Auftreten im Südchinesischen Meer viele Scherben hinterlassen. In einer Umfrage des ISEAS-Yusof Ishak Institute in Singapur in zehn Staaten Südostasiens sind es die Vietnamesen, die eine chinesische Machtzunahme am meisten fürchten – und einen wachsenden Einfluss der Amerikaner in der Region befürworten. Es klingt fast trotzig, wenn die staatliche chinesische Tageszeitung Global Times in einem Leitartikel am Montag feststellte, dass Peking “der wichtigste Partner der ASEAN” sei. Die ASEAN ist der Verband südostasiatischer Staaten.

Doch China tut sich schwer, den Anrainern sein Handeln im Südchinesischen Meer als partnerschaftliche Politik zu verkaufen. Es wird als rücksichtslos empfunden. Peking habe “noch einen langen Weg vor sich, wenn es darum geht, sein Image in Vietnam ‘liebenswerter’ zu machen”, glaubt Dien Nguyen An Luong vom ISEAS-Institute in Anlehnung an die neue Marschroute von Staatspräsident Xi Jinping. In einem Beitrag für die South China Morning Post nennt Dien Nguyen einfache Gründe: “Antichinesische Gefühle sind in den vietnamesischen Diskurs gesickert und verstärkt worden. Sie werden nicht so schnell wieder verblassen.”

Es wirkt derzeit so, als komme die zurückhaltende Kommunikation der USA in Vietnam besser an als Chinas Säbelrasseln. Die chinesische Botschaft vor Ort schießt immer wieder in scharfen Worten gegen die Amerikaner. Diese wiederum beschränken sich in ihrer Social-Media-Präsenz auf Themen wie Bildung und Kultur, wie das ISEAS-Institut analysiert hat. Die Öffentlichkeit honoriert offenbar die fairere und subtilere Herangehensweise der USA.

Dass die Amerikaner auch sonst die Nase vorn haben in der Gunst der Anrainerstaaten, ließ kürzlich Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong durchblicken. Er wies darauf hin, dass die Wahrnehmung der Entschlossenheit und des Engagements der USA in der Region davon abhängen werde, “was die USA in Zukunft tun, wie sie sich in der Region neu positionieren und wie sie ihre zahlreichen Freunde, Partner und Verbündeten einbinden.” Ein klares Signal, das auch in China verstanden wurde. In Chinas Sozialmedien schimpften zahlreiche Kommentatoren daraufhin, dass Singapur sich offensichtlich an die USA anbiedere. “Stiefellecker”, war eine der Beleidigungen. Doch dass diese scharfe Rhetorik der Volksrepublik nun aber Pluspunkte verschafft, ist eher unwahrscheinlich.

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News

Ausbrüche von Delta weitgehend unter Kontrolle

Zum ersten Mal seit dem 19. Juli meldet China keine neuen Infektionen mit Sars-CoV-2. Die Behörden haben damit eine Reihe von Delta-Ausbrüchen effektiv unter Kontrolle gebracht. Dieser Erfolg steht in deutlichem Gegensatz zur steigenden Sorge vor hoher Inzidenz in westlichen Ländern. Die wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung von Delta waren Massentests, lange und konsequent eingehaltene Quarantänezeiten sowie Strafen für KP-Verantwortliche in Gegenden mit Infektionen. Mehr als 100 Millionen Menschen wurden nach Angaben von Bloomberg seit Beginn des Ausbruchs getestet.

Die Meinungskontrolle des Landes unterdrückte derweil Stimmen, die sich angesichts der hohen Impfquote für eine Rückkehr zur Normalität und höhere Akzeptanz für steigende Infektionszahlen aussprachen. Chinas Gesundheitsbehörden haben der eigenen Bevölkerung knapp zwei Milliarden Impfdosen verabreicht. Im Hinblick auf die olympischen Spiele im kommenden Winter will Peking jedoch keine Risiken eingehen. fin

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Wieder Anschlag auf BRI-Projekt in Pakistan

Die Sicherheitslage für Chinesen in Pakistan verschlechtert sich offenbar weiter. Zwei pakistanische Kinder starben bei einem Selbstmordattentat am Freitag auf einen Convoy mit chinesischen Ingenieuren nahe dem südwestpakistanischen Hafen Gwadar. Ein Chinese war unter den Verletzten. Eine militante Separatistenorganisation namens Befreiungsarmee Belutschistans bekannte sich zu dem Anschlag. Die Botschaft der Volksrepublik in Islamabad forderte Pakistan zu einer Untersuchung der Vorgänge und zu einer verstärkten Kooperation mit Peking bei der Terrorabwehr auf. Chinesen sollten öffentliche Plätze meiden, so die Botschaft.

Die Volksrepublik sorgt sich schon lange um die Sicherheit entlang des “China Pakistan Economic Corridor (CPEC), wo es Milliarden von Dollar investiert hat. Tausende chinesischer Arbeiter sind dort an Bauprojekten beteiligt — einschließlich der Hafenentwicklung von Gwadar. Diese soll die Volksrepublik Zugang zum Indischen Ozean bringen. Der CPEC ist daher eines der Schlüsselprojekte der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI).

Zweiter Anschlag innerhalb weniger Monate

Erst im Juli waren in Pakistan 13 Menschen, darunter neun chinesische Vertragsarbeiter eines BRI-Staudammprojekts in Dasu, bei einem Anschlag getötet worden. Erst nach einigem Zögern räumte Islamabad auf Drängen Pekings einen terroristischen Hintergrund ein. Pakistans Außenminister Shah Mehmood Qureshi machte vergangene Woche eine Gruppe von Militanten unter dem Dach der pakistanischen Taliban für den Anschlag verantwortlich. Diese Gruppe habe Verbindungen zu afghanischen und indischen Geheimagenten.

Der Experte Andrew Small vom Asienprogramm der Denkfabrik German Marshall Fund brachte die Attacken in der South China Morning Post mit dem Chaos und der sich verschlechternden Sicherheitslage im an Pakistan angrenzenden Afghanistan in Verbindung: “Es wurde schon länger erwartet, dass der US-Truppenabzug und die daraus entstandene Situation zu erhöhten Sicherheitsgefahren für den CPEC führen würde.” ck

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USA fordern hartes Vorgehen gegen Fentanyl-Exporte

Die US-Regierung beklagt mangelndes Entgegenkommen der chinesischen Behörden im Kampf gegen die illegale Lieferung von Schmerzmitteln. Die U.S.-China Economic and Security Review Commission (USCC) sieht konkret nur wenig Fortschritte in der Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Missbrauch des Schmerzmittels Fentanyl. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters, der eine entsprechende Studie der Regierungskommission vorab vorlag.

Die USA leiden unter den Nachwirkungen einer selbst verursachten Krise rund um opiumähnliche Schmerzmittel, zu denen Fentanyl zählt. Amerikanische Ärzte haben die hochwirksamen Medikamente jahrelang massenhaft verschrieben. Inzwischen sind diese legalen Drogen zwar reguliert. Zahlreiche Amerikaner sind jedoch bereits süchtig. Um sich weiterhin mit den Substanzen zu versorgen, bestellen sie Fentanyl auf dem Schwarzmarkt in China. Die Händler senden die Tabletten meist unkompliziert per Post. Die chinesische Regierung hat zwar schon mehrfach versprochen, gegen die Anbieter vorzugehen. Schon die Regierung von Ex-Präsident Donald Trump war jedoch unzufrieden mit den Ermittlungserfolgen. fin

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Didi verschiebt Europa-Expansion

Das Fahrdienstunternehmen Didi Chuxing hat seine Europa-Pläne für mindestens ein Jahr auf Eis gelegt. Das berichtet die britische Zeitung The Telegraph. Das Unternehmen wollte seine Dienstleistungen ursprünglich in mehreren europäischen Städten in Deutschland, Frankreich und Großbritannien anbieten. Der Bericht nennt neue Datenschutzbestimmungen chinesischer Behörden werden als Grund für den Stopp der Expansion. Die Behörden unterziehen Didi derzeit einer Cybersicherheits-Prüfung, um die sichere Speicherung der von dem Unternehmen gesammelten Nutzerdaten zu gewährleisten. Die South China Morning Post nennt zudem Vorgaben Pekings zur Senkung der Preise für die Mitfahrdienste als Ursache der stockenden Expansionspläne des Unternehmens. Geringere Umsätze im chinesischen Heimatmarkt könnten teure Expansionspläne in hart umkämpften externen Märkten zunichtemachen, so Analysten. nib

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Hongkong zensiert auch ältere Filme

Die Sonderverwaltungszone nähert sich nun auch bei der Filmindustrie den Zensurmethoden des Festlandes an. Eine am Dienstag verabschiedete Gesetzesänderung sieht vor, ab sofort auch ältere Filme auf mögliche Verstöße gegen das Nationale Sicherheitsgesetz zu überprüfen, bevor sie öffentlich gezeigt werden. Dazu sollen auch Filme gehören, die früher bereits grünes Licht bekamen – in Zeiten, als Hongkong die Kulturszene noch gewähren ließ und nur etwa bei besonders freizügigen Szenen eingriff. Die Hongkonger Filmszene war daher äußerst lebendig. Lokale Filmemacher wie Wong Kar-wai zählten zu den internationalen Größen ihrer Zunft. Die Industrie gehörte nach Hollywood zu den großen weltweit; und auch heute gibt es noch einige bekannte Studios und eine Indie-Szene.

Doch all dies dürfte unter der wachsenden Kontrolle des Staates zunehmend verkümmern. Denn nach dem neuen Zensurgesetz sind nun alle Filminhalte verboten, die als Aufrufe zur Spaltung, zum Umsturz, zum Terrorismus oder als geheime Absprachen mit ausländischen Kräften gesehen werden könnten. Die Definition ist wie immer vage. Wer nicht genehmigte Filme vorführt, dem drohen bis zu drei Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu umgerechnet 110.000 Euro. Das Gesetz muss nächste Woche vom Legislativrat beschlossen werden – die Zustimmung gilt angesichts der Übermacht Peking-treuer Abgeordneter als sicher. In China selbst gilt seit Jahrzehnten eine strenge Zensur, und jenseits von Superhelden-Streifen laufen dort nur wenige westliche Filme in den Kinos. ck

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Presseschau

China’s yuan internationalisation faces coronavirus, geopolitical threats despite record cross-border use SCMP
Uber rival Didi Chuxing suspends plans for UK and Europe launch GUARDIAN
Chinese tech shares rebound after JD.com earnings defy crackdown FT (PAY)
China holds naval drills ahead of US-led Quad exercise off the coast of Guam SCMP
China’s crypto crackdown delivers windfall to global bitcoin ‘miners’ FT (PAY)
Jetzt wird China auch für Deutschlands Schlüsselindustrien zur Gefahr WELT (PAY)
Kamala Harris kritisiert Peking: »China nötigt und schüchtert ein« SPIEGEL
Schiffsstau in China – im Herbst drohen Lücken in den Regalen deutscher Geschäfte HANDELSBLATT

Standpunkt

Abkoppelung von China kann für Europa teuer werden

Von Gabriel Felbermayr
Gabriel Felbermayr zur Abkopplung Chinas

Lieferengpässe infolge der Corona-Krise haben in der EU die Diskussion über eine stärkere wirtschaftliche Eigenständigkeit und die Rückverlagerung der Produktion bestimmter Güter etwa aus China befeuert. Manchmal geht es dabei nur um einzelne kritische Produkte wie zum Beispiel Medizingüter. Doch die Palette der “heimzuholenden” Produktionsprozesse wird von jenen gerne ausgeweitet, die China als besonders mächtigen strategischen Rivalen einschätzen. Es kann gute strategische Gründe geben, kritische Güter oder industriepolitisch wichtige nicht mehr nur aus China zu beziehen. Was von den Befürwortern einer solchen Politik allerdings häufig unterschlagen wird, sind die Kosten, die damit verbunden sind. 

Simulation einer Abkoppelung der EU

Wir haben am Institut für Weltwirtschaft simuliert, welche Folgen es hätte, wenn die EU Handelsbarrieren – abseits von neuen Zöllen – verdoppeln würde, um die heimische Produktion zu fördern. Das kann zum Beispiel durch eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge, Steuervorteile oder andere Subventionen für EU-Anbieter geschehen – oder durch Importquoten oder -verbote für ausgewählte Güter. Das Ergebnis: Würde die EU einseitig entsprechende Handelsbarrieren gegenüber China verdoppeln, würde das 130 Milliarden Euro (0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP) kosten – bei vergleichbaren Gegenmaßnahmen Chinas wüchsen die Kosten auf 170 Milliarden Euro (1 Prozent des BIP).

Schon das teilweise Entkoppeln von internationalen Liefernetzen würde also den Lebensstandard der Menschen in der EU – wie auch bei ihren Handelspartnern – deutlich verschlechtern. Dagegen sind die angeblichen Vorteile einer größeren Autonomie oder Souveränität häufig diffus und schwer zu beziffern. Sie könnten sogar illusorisch sein, falls Risiken sich dadurch in einer kleineren Zahl von Märkten ballen. Die jüngste Flutkatastrophe in Deutschland hat gezeigt, dass sich Krisen auch direkt vor unserer Haustür ereignen können, die Produktion in Europa also nicht in jedem Fall ein “sicherer Hafen” ist.

Intuitiv würde man meinen, dass sich die Entkoppelung von Liefernetzen dann auszahlt, wenn ein Lieferanten-Land einen wirtschaftlichen Schock erleidet – wie zum Beispiel China, als die Corona-Epidemie noch ein dortiges lokales Ereignis war. Doch selbst für diesen Fall zeigen Simulationen, dass eine generelle Entkoppelung von Lieferketten größeren wirtschaftlichen Schaden anrichtet, als wenn sich der wirtschaftliche Schock aus dem betroffenen Land auf andere überträgt.

Ein Abkoppeln der EU von internationalen Zulieferern würde auch die Preise für Zwischengüter steigen lassen. Das überträgt sich entlang der Lieferketten in höhere Preise sowohl für innerhalb der EU konsumierte Güter als auch für EU-Exporte, die dann wiederum Güter in anderen Ländern verteuern. Solche ungewollten Nebeneffekte, die eine Autonomiepolitik der EU haben könnte, werden häufig ausgeblendet.

Alternative Instrumente für die Diversifizierung

Deutschland wäre als international wirtschaftlich besonders stark vernetztes Land härter als viele andere EU-Länder betroffen: Bei einer einseitigen Entkoppelung von China trüge Deutschland rund ein Viertel der Lasten (32 Milliarden Euro, 0,9 Prozent des BIP). Ein eskalierender Handelskrieg mit der Volksrepublik könnte diese Kosten noch einmal um 50 Prozent steigen lassen.

Von einer einseitigen Abkoppelung von China würden einige Branchen in der EU durchaus profitieren – etwa der Groß- und Einzelhandel, der Bausektor oder der Maschinen- und Anlagenbau. Andere Sektoren – vor allem der Fahrzeugbau – würden Wertschöpfung verlieren. Bei einem zweiseitigen Handelskrieg mit China wäre das Ergebnis über alle Branchen negativ.

Wer die Abhängigkeit verringern will, sollte andere Instrumente wählen. Statt chinesische Lieferanten rauszudrängen, wäre es sicherlich sinnvoller, Liefernetze zu diversifizieren, um in Krisen- oder Konfliktfällen auf mehrere Lieferanten zugreifen zu können. Bei kritischen Gütern zum Beispiel aus dem Medizinsektor könnte der Liefersicherheit ein höheres Gewicht in den Beschaffungsverträgen der Krankenkassen mit den Pharmaunternehmen gegeben werden – etwa durch entsprechende Vertragsstrafen.

Lagerhaltung ist teuer, kann aber zu einer lohnenswerten Versicherung gegen Produktionsausfall werden, wenn die Zahlungsbereitschaft für Liefersicherheit künftig höher ist als in der Vergangenheit. Die Entwicklung zu einer Kreislaufwirtschaft, die stark auf Recycling setzt, hat nicht nur ökologische Vorteile, sondern kann auch die Abhängigkeit etwa von Rohmateriallieferungen Dritter verringern. Und ein tief integrierter europäischer Binnenmarkt ist die vielleicht beste Versicherung gegen Abhängigkeiten in internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

Wer über negative Aspekte der Abhängigkeit von China diskutiert, darf die Kosten nicht außer Acht lassen, wenn die Vorteile internationaler Arbeitsteilung aufs Spiel gesetzt werden. Das bedeutet nicht, dass ein “Weiter wie bisher” die beste Lösung ist. Aber die Kosten-Nutzen-Abwägung eines neuen Politikansatzes mit Blick auf China muss schon vollständig ausfallen.

Dieser Beitrag gehört in den Kontext der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Am Donnerstag diskutieren Institutspräsident Gabriel Felbermayr und Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, im Rahmen dieses Formats über das Thema “China und Europa: Riskante wirtschaftliche Abhängigkeiten?” China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.

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Personalien

Peter Löhnert wird bei dem amerikanischen Investment-Riesen Blackrock in Hongkong der neue Verantwortliche für Indexfonds mit Fokus auf Asien-Pazifik. Löhnert arbeitet bereits seit zehn Jahren für Blackrock. Zuletzt war er am Standort London tätig. Seine Finanzkarriere hatte er bei der Commerzbank in Frankfurt begonnen.

Zou Jiayi ist neuer Vizesekretär der kommunistischen Parteigruppe der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes. Das klingt sperrig, ist aber ein wichtiger Posten. Die Konsultativkonferenz ist das Beratungsgremium des chinesischen Parlaments; ihre Sitzungen und Beschlüsse erhalten viel Aufmerksamkeit. Sie wird ebenfalls von der KP Chinas kontrolliert.

Dessert

Nicole Kidman dreht derzeit in Hongkong die Amazon-Serie “The Expatriates”; hier ist sie am Ende eines Drehtags im Stadtteil Mong Kok zu sehen. Die Serie beruht auf einem Buch der Autorin Janice Y. K. Lee. Es geht hier tatsächlich um die zahlreichen Expats in der asiatischen Großstadt: ihr glamouröses Leben und ihre Freundschaften mit festem Ablaufdatum. Die Ankunft der australischen Schauspielerin in Hongkong hatte indessen Unmut ausgelöst: Aufgrund einer Ausnahmeregel für prominente Filmschaffende war Kidman nach der Einreise von der Quarantäne befreit.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Journalist Cem Sey zur Realität in Afghanistan
    • Kamala Harris wirbt in Asien um Vertrauen
    • Corona-Infektionsketten wirksam gestoppt
    • Anschlag auf Seidenstraßen-Projekt in Pakistan
    • USA beklagen mangelnde Kooperation im Drogenkampf
    • Aufschub für Didi-Expansion nach Europa
    • Hongkong zensiert Filme jetzt auch rückwirkend
    • Gabriel Felbermayr: Abkoppelung von China kann für Europa teuer werden
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die chaotische Lage in Afghanistan dominiert weiterhin das Weltgeschehen. Manche Beobachter glauben, dass China von der Machtübernahme der Taliban profitieren kann. Doch das ist keineswegs ausgemacht, wie der erfahrene Journalist und Afghanistan-Experte Cem Sey in unserem heutigen Interview erläutert. Die ökonomischen Möglichkeiten in Afghanistan werden vielfach zu optimistisch dargestellt, sagt Sey. China sorge sich weiterhin vor allem um die Sicherheit in der Region. Zu Recht, wie ein erneuter Terroranschlag auf chinesische Ingenieure in Pakistan zeigt.

    Unterdessen ist die US-Vizepräsidentin Kamala Harris in den Indopazifik gereist, um in Singapur und Vietnam um Vertrauen zu werben. Hintergrund ist auch hier der überstürzte Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Ihre Botschaft: Wir sind noch da, und wir sind verlässlich. In der Region sorgt man sich vor allem um Chinas Bestrebungen um Vorherrschaft im Südchinesischen Meer. Chinesische Stimmen haben bereits gestreut, das Chaos in Afghanistan bedeute nichts Gutes für Taiwan und andere US-Verbündete. Das lässt die Harris-Visite umso dringender erscheinen.

    Eine weitere laufende Debatte dreht sich um eine mögliche Entkopplung der westlichen Wirtschaften von China. Zu den Auswirkungen hat das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel Berechnungen angestellt. Diese ergaben, dass ein sogenanntes Decoupling die Europäer voraussichtlich teuer zu stehen käme. Die Details erläutert IfW-Präsident Gabriel Felbermayr im heutigen Standpunkt. Als Medienpartner wird China.Table eine Diskussionsreihe des Instituts mit Namen China Global Conversations begleiten.

    Viel Spaß beim Lesen des heutigen Table wünscht

    Ihre
    Christiane Kühl
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    Interview

    “China und die Taliban haben zueinander ein pragmatisches Verhältnis”

    Cem Sey Afghanistan Taliban China
    Der Journalist Cem Sey lebte als Korrespondent der Deutschen Welle drei Jahre in Afghanistan.

    Herr Sey, nach dem Debakel des Westens in Afghanistan – ist China der große Profiteur?

    Das lässt sich so noch nicht sagen. Natürlich ist nach dem Fall Kabuls und der Machtergreifung durch die Taliban eine geopolitische Lücke entstanden. Der Westen wird diese Lücke nicht mehr füllen. Und ja, China will gerne gute Beziehungen zu Afghanistan haben. Das hat die chinesische Führung auch schon angekündigt. China pflegt zudem gute Beziehungen zu Pakistan. Und Pakistan steht hinter der Taliban.

    Das heißt: Für die Chinesen könnte eine Region entstehen, in der sie im Rahmen ihrer Belt-and-Road-Initiative Eisenbahnlinien und dergleichen bauen könnten. Ein Hindernis bleibt aber: die Nähe der Taliban zu gewalttätigen islamistischen Terrorgruppen. Wenn Extremisten in Afghanistan Fuß fassen, die womöglich die Extremisten unter Uiguren in China unterstützen, würde das Peking überhaupt nicht gefallen. Deswegen, denke ich, werden die Chinesen zunächst einmal sehr vorsichtig agieren.

    Als die Taliban vor 20 Jahren an der Macht waren, waren sie selbst eine radikal-islamische Gruppe. Das passt doch überhaupt nicht zu China. Oder ticken die Taliban inzwischen anders?

    Nein, das tun sie nicht. Aber Chinesen sind pragmatisch und haben auch kein Problem, mit anderen islamistischen Regierungen zusammenzuarbeiten. Die Taliban sollte man im Übrigen auch nicht mit dem IS verwechseln. Der IS ist eine durch und durch fanatische Bewegung. Die Taliban legen den Islam sehr streng aus und wollen dies auch autoritär durchsetzen. Es geht ihnen aber nicht darum, andere Länder zu islamisieren.

    China, die Taliban und die Uiguren-Frage

    Die Menschen in den anderen muslimisch geprägten Ländern in der Region sehen China und den Ausbau der Infrastruktur im Zuge seiner Neuen Seidenstraße mit großem Misstrauen. Nicht zuletzt auch wegen der Uiguren-Frage wächst in einigen dieser Länder die Gefahr von Anschlägen auf chinesische Einrichtungen.

    Tadschiken, Kirgisen und Kasachen sind wie die Uiguren Turkvölker und ihnen kulturell sehr viel näher als die Paschtunen in Afghanistan. Es gibt zwar auch extremistische Taliban, die mit dem IS sympathisieren und die Uiguren-Frage aufgreifen. Diese sind aber meist in Pakistan. Die pakistanischen und afghanischen Taliban sind nicht gleichzusetzen. Das Ziel der afghanischen Taliban war es, die ausländischen Truppen aus dem Land zu haben und ihre Herrschaft auf Basis der Scharia-Gesetze wieder herzustellen. Das haben sie nun erreicht. Weder wird Peking seine Truppen nach Afghanistan schicken, noch ist China aus Sicht der Taliban der Feind .

    Wie war bislang das Verhältnis der Afghanen zu China?

    Viele Afghanen finden China interessant. Sie betrachten die Chinesen als ein Volk, dass in der Vergangenheit ebenfalls vom Westen unterdrückt war, sich aber aus den Fängen befreien konnte und nun selbst eine Weltmacht ist. Das finden die Afghanen bewundernswert. Afghanen denken zudem pragmatisch. Für sie spielt keine Rolle, ob ihre chinesischen Geschäftspartner muslimisch sind oder nicht. Zudem haben die Chinesen dem Land viele verlockende Angebote gemacht.

    Bei der bislang größten chinesischen Investition, der Kupfermine in Mes Aymak, hat China seine Investitionen an keine Bedingungen geknüpft, die über das Geschäftliche hinausgehen. Die Afghanen empfanden das als Verhandlungen auf Augenhöhe. Das Gefühl hatten sie bei den Europäern und den Amerikanern nicht. Anders als die Amerikaner will sich China auch nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen. Das gefällt Vielen.

    Möglichkeit eines engeren Verhältnis zwischen China und Afghanistan

    Afghanistan ist angeblich reich an Rohstoffen, der Appetit der Chinesen danach ist groß. Warum haben die Chinesen vieles davon nicht längst abgeschöpft?

    Natürlich hat Afghanistan auch Bodenschätze. Das haben bereits die Sowjets in den frühen 1980er-Jahren festgestellt. Doch sie haben auch herausgefunden, dass es zu kostspielig wäre, diese zu fördern. Es wäre schlicht und einfach nicht wirtschaftlich. In 2007 haben die USA Argumente gesucht, um die schon damals bröckelnde Unterstützung der Öffentlichkeit für den Einsatz in Afghanistan zu stabilisieren und haben unter anderem die angeblichen Funde der Sowjets aus der Schublade geholt. Seitdem glauben viele daran. Dass Afghanistan enorm rohstoffreich ist, ist also nur eine Legende.

    Sonderlich erfolgreich waren die chinesischen Investitionen dann auch nicht. In Mes Aymak haben die Chinesen bis zum Schluss kaum etwas gefördert.

    Das lag aber nicht an den Chinesen, sondern an der Korruption auf afghanischer Seite. Für die Mine mussten mehrere Dörfer verlegt werden. Die Bauern sollten entsprechend entschädigt werden, die Chinesen zahlten auch. Das Geld kam aber nie an. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit. Zudem wurde dann auf der Baustelle eine alte Ruine gefunden, woraufhin internationale Organisationen mit ihren Archäologen kamen. Das hat zu weiteren Verzögerungen geführt. Im Norden Afghanistans haben die Chinesen aber erfolgreich ein Gasfeld erschlossen, die Pipelines sind gebaut.

    Die Chinesen werden ihre Geschäfte weiterführen können?

    Ich vermute schon. Die Europäer und Amerikaner haben alle ihre Geschäfte gestoppt und Afghanistan unter den Taliban den Geldhahn zugedreht. Die Taliban haben also kein Geld und werden dankbar sein, wenn China und Russland jetzt als Geldgeber einspringen. 

    Unter den Taliban könnte das afghanisch-chinesische Verhältnis also noch enger werden?

    Ich halte das für möglich. Solange der Westen im Land war, war es für chinesische Investoren schwieriger Fuß zu fassen. Als es zum Beispiel um die Gasfelder im Norden des Landes ging, hatte die afghanische Seite westliche Berater zur Seite. Diese fallen nun weg. 

    Sollte es China unter den Taliban gelingen noch stärker Fuß zu fassen in Afghanistan – was hätte das für die Region für Folgen?

    Afghanistan ist in der Region wie ein Schwarzes Loch, das alle umliegenden Länder zu verschlingen droht. Das war schon in den letzten 20 Jahren so. Alle angrenzenden Länder haben riesige Drogenprobleme. Das ist auf den Anbau und den Handel in Afghanistan zurückzuführen. Ebenso ist es beim Waffenhandel. Sollte es den Taliban gelingen, den Drogen- und Waffenhandel stärker unter Kontrolle zu bekommen, wird das nicht nur aus chinesischer Sicht für mehr Stabilität in der Region sorgen. Zugleich gibt es jedoch das angespannte Verhältnis zwischen Indien und China. Beide versuchen über Afghanistan ihre Rivalität auszuspielen. Und wenn die Volksrepublik sich nun zu sehr in Afghanistan breit macht, wird Indien entsprechend reagieren. Das wiederum könnte die Region destabilisieren. 

    Cem Sey ist Journalist für deutsche und türkischsprachige Medien. Er war 2007 bis 2019 US-Korrespondent der türkischsprachigen Sektion der Deutschen Welle (DW), hat zwischen 2012 und 2015 als Korrespondent in Kabul gelebt und zwischen 2016 und 2019 in Singapur. Schon in den 00er-Jahren war Sey im Auftrag der Akademie der Deutschen Welle, der Mediathek Afghanistan und dem Journalisten-Training der Vereinten Nationen regelmäßig als Medientrainer in Afghanistan.

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    Analyse

    Kamala Harris: Die USA sind eine Macht im Indopazifik

    Die Vertrauensfrage steht im Mittelpunkt der Südostasien-Reise von Kamala Harris. Die US-Vizepräsidentin ist in die Region gereist, um ihren dortigen Partnerländern zu versichern: Wir sind hier, und wir sorgen für Ordnung. Amerika zeigt, dass es begriffen hat, welch gemischte Gefühle der Abzug ihres Militärs aus Afghanistan in Südostasien hinterlassen hat. Dort ist die Supermacht seit Jahrzehnten als ordnende Kraft präsent. Vornehmlich gibt es dort die Sorge, dass die USA auch andere Verbündete sich selbst überlassen könnten und damit einer chinesischen Hegemonie den Weg ebnen. Das gilt vor allem für jene rund um das Südchinesische Meer.

    In Singapur formulierte Harris eine Vision der USA für die Region, die den betreffenden Ländern die Sorgen nehmen soll: “Frieden und Stabilität, Freiheit auf den Meeren, ungehinderter Handel, Förderung der Menschenrechte, Bekenntnis zur internationalen regelbasierten Ordnung und die Erkenntnis, dass unsere gemeinsamen Interessen kein Nullsummenspiel sind.” Der Indopazifik sei die “Top-Priorität” ihres Landes.

    Kurze Zeit später machte sich die Vizepräsidentin auf den Weg nach Vietnam, um auch dort für ihre Regierung als einen verlässlichen Partner zu werben. Sie reiste damit in jenes Land, aus dem US-Truppen 1975 regelrecht geflüchtet waren – was die historische Analogie lieferte zu den Ereignissen in Afghanistans Hauptstadt Kabul vor wenigen Tagen. Ihre Ankunft verzögerte sich, weil die Geheimdienste noch Berichte über Anschläge mit Mikrowellen-Waffen prüften.

    Die psychologische Komponente der chaotischen Bilder aus Afghanistan kommentierte der Politologe Li Mingjiang von der Rajaratnam School of International Studies (RSIS) in Singapur im Interview mit China.Table: “Zumindest sendet das Chaos in Afghanistan einige negative Signale an einen bestimmten Teil der sozialpolitischen Eliten in Ostasien.” Es ist keine Mainstream-Ansicht, aber: “Einige fangen an, die Glaubwürdigkeit der USA anzuzweifeln“.

    China ist der Elefant im Raum

    Falls die USA wirklich an Rückhalt in der Region verlieren, sind zahlreiche ihrer Interessen gefährdet. Rohstoffe, Militärbasen und Handelsrouten sind von elementarer Bedeutung für Washington. Sie brauchen sie, um ihre Rolle als führende Weltmacht gegen China erfolgreich zu verteidigen. Singapurs Hafen ist als Umschlagplatz für US-Waren in die Region nahezu unverzichtbar. Die Straße von Malakka als Nadelöhr der Westroute nach Singapur hat als Versorgungslinie immense strategische Bedeutung. Das Gleiche gilt allerdings auch für China. Es befürchtet, seine Ölversorgung aus dem Mittleren Osten könne im Ernstfall vor Malakka von den Amerikanern blockiert werden.

    Dass es China ist, das Washingtons Rolle herausfordert, ließ Kamala Harris derweil unerwähnt. In ihrer Rede betonte die Vizepräsidentin dagegen, dass sich das Engagement der Amerikaner nicht speziell gegen einen bestimmten Akteur richte. Doch der Elefant im Raum ist die Volksrepublik. Harris musste gar nicht deutlicher werden, damit ihre Zuhörer das verstehen.

    Die Chinesen bemühten sich auch gar nicht erst darum, den offensichtlichen Wettbewerb um Einfluss und Vertrauen in den Anrainerstaaten zu verschleiern. Das chinesische Konsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt, auch Saigon genannt, hatte am Wochenende einen Cartoon auf seiner Internetseite gepostet. Darauf zu sehen war ein Mann kurz vor dem Ertrinken, der laut um Hilfe rief. Ein potenzieller Retter warf ihm zwar einen Schwimmreifen zu. Die Pointe des Cartoons: Der vermeintliche Retter in der Not stellte dann plötzlich sein Bemühen ein und sagte: “Leb wohl, Bruder.” Ganz offensichtlich ist damit Amerika gemeint.

    Peking will wichtigster Partner der ASEAN sein

    Doch Chinas Einfluss in Vietnam ist längst geschwunden. Die ideologische Nähe zwischen den Regierungsparteien beider Länder und ihren gemeinsamen sozialistischen Wurzeln ist schon längst einem pragmatischen Realismus gewichen. In Vietnam zumindest hat Chinas forderndes und kompromissloses Auftreten im Südchinesischen Meer viele Scherben hinterlassen. In einer Umfrage des ISEAS-Yusof Ishak Institute in Singapur in zehn Staaten Südostasiens sind es die Vietnamesen, die eine chinesische Machtzunahme am meisten fürchten – und einen wachsenden Einfluss der Amerikaner in der Region befürworten. Es klingt fast trotzig, wenn die staatliche chinesische Tageszeitung Global Times in einem Leitartikel am Montag feststellte, dass Peking “der wichtigste Partner der ASEAN” sei. Die ASEAN ist der Verband südostasiatischer Staaten.

    Doch China tut sich schwer, den Anrainern sein Handeln im Südchinesischen Meer als partnerschaftliche Politik zu verkaufen. Es wird als rücksichtslos empfunden. Peking habe “noch einen langen Weg vor sich, wenn es darum geht, sein Image in Vietnam ‘liebenswerter’ zu machen”, glaubt Dien Nguyen An Luong vom ISEAS-Institute in Anlehnung an die neue Marschroute von Staatspräsident Xi Jinping. In einem Beitrag für die South China Morning Post nennt Dien Nguyen einfache Gründe: “Antichinesische Gefühle sind in den vietnamesischen Diskurs gesickert und verstärkt worden. Sie werden nicht so schnell wieder verblassen.”

    Es wirkt derzeit so, als komme die zurückhaltende Kommunikation der USA in Vietnam besser an als Chinas Säbelrasseln. Die chinesische Botschaft vor Ort schießt immer wieder in scharfen Worten gegen die Amerikaner. Diese wiederum beschränken sich in ihrer Social-Media-Präsenz auf Themen wie Bildung und Kultur, wie das ISEAS-Institut analysiert hat. Die Öffentlichkeit honoriert offenbar die fairere und subtilere Herangehensweise der USA.

    Dass die Amerikaner auch sonst die Nase vorn haben in der Gunst der Anrainerstaaten, ließ kürzlich Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong durchblicken. Er wies darauf hin, dass die Wahrnehmung der Entschlossenheit und des Engagements der USA in der Region davon abhängen werde, “was die USA in Zukunft tun, wie sie sich in der Region neu positionieren und wie sie ihre zahlreichen Freunde, Partner und Verbündeten einbinden.” Ein klares Signal, das auch in China verstanden wurde. In Chinas Sozialmedien schimpften zahlreiche Kommentatoren daraufhin, dass Singapur sich offensichtlich an die USA anbiedere. “Stiefellecker”, war eine der Beleidigungen. Doch dass diese scharfe Rhetorik der Volksrepublik nun aber Pluspunkte verschafft, ist eher unwahrscheinlich.

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    Ausbrüche von Delta weitgehend unter Kontrolle

    Zum ersten Mal seit dem 19. Juli meldet China keine neuen Infektionen mit Sars-CoV-2. Die Behörden haben damit eine Reihe von Delta-Ausbrüchen effektiv unter Kontrolle gebracht. Dieser Erfolg steht in deutlichem Gegensatz zur steigenden Sorge vor hoher Inzidenz in westlichen Ländern. Die wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung von Delta waren Massentests, lange und konsequent eingehaltene Quarantänezeiten sowie Strafen für KP-Verantwortliche in Gegenden mit Infektionen. Mehr als 100 Millionen Menschen wurden nach Angaben von Bloomberg seit Beginn des Ausbruchs getestet.

    Die Meinungskontrolle des Landes unterdrückte derweil Stimmen, die sich angesichts der hohen Impfquote für eine Rückkehr zur Normalität und höhere Akzeptanz für steigende Infektionszahlen aussprachen. Chinas Gesundheitsbehörden haben der eigenen Bevölkerung knapp zwei Milliarden Impfdosen verabreicht. Im Hinblick auf die olympischen Spiele im kommenden Winter will Peking jedoch keine Risiken eingehen. fin

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    Wieder Anschlag auf BRI-Projekt in Pakistan

    Die Sicherheitslage für Chinesen in Pakistan verschlechtert sich offenbar weiter. Zwei pakistanische Kinder starben bei einem Selbstmordattentat am Freitag auf einen Convoy mit chinesischen Ingenieuren nahe dem südwestpakistanischen Hafen Gwadar. Ein Chinese war unter den Verletzten. Eine militante Separatistenorganisation namens Befreiungsarmee Belutschistans bekannte sich zu dem Anschlag. Die Botschaft der Volksrepublik in Islamabad forderte Pakistan zu einer Untersuchung der Vorgänge und zu einer verstärkten Kooperation mit Peking bei der Terrorabwehr auf. Chinesen sollten öffentliche Plätze meiden, so die Botschaft.

    Die Volksrepublik sorgt sich schon lange um die Sicherheit entlang des “China Pakistan Economic Corridor (CPEC), wo es Milliarden von Dollar investiert hat. Tausende chinesischer Arbeiter sind dort an Bauprojekten beteiligt — einschließlich der Hafenentwicklung von Gwadar. Diese soll die Volksrepublik Zugang zum Indischen Ozean bringen. Der CPEC ist daher eines der Schlüsselprojekte der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI).

    Zweiter Anschlag innerhalb weniger Monate

    Erst im Juli waren in Pakistan 13 Menschen, darunter neun chinesische Vertragsarbeiter eines BRI-Staudammprojekts in Dasu, bei einem Anschlag getötet worden. Erst nach einigem Zögern räumte Islamabad auf Drängen Pekings einen terroristischen Hintergrund ein. Pakistans Außenminister Shah Mehmood Qureshi machte vergangene Woche eine Gruppe von Militanten unter dem Dach der pakistanischen Taliban für den Anschlag verantwortlich. Diese Gruppe habe Verbindungen zu afghanischen und indischen Geheimagenten.

    Der Experte Andrew Small vom Asienprogramm der Denkfabrik German Marshall Fund brachte die Attacken in der South China Morning Post mit dem Chaos und der sich verschlechternden Sicherheitslage im an Pakistan angrenzenden Afghanistan in Verbindung: “Es wurde schon länger erwartet, dass der US-Truppenabzug und die daraus entstandene Situation zu erhöhten Sicherheitsgefahren für den CPEC führen würde.” ck

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    USA fordern hartes Vorgehen gegen Fentanyl-Exporte

    Die US-Regierung beklagt mangelndes Entgegenkommen der chinesischen Behörden im Kampf gegen die illegale Lieferung von Schmerzmitteln. Die U.S.-China Economic and Security Review Commission (USCC) sieht konkret nur wenig Fortschritte in der Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Missbrauch des Schmerzmittels Fentanyl. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters, der eine entsprechende Studie der Regierungskommission vorab vorlag.

    Die USA leiden unter den Nachwirkungen einer selbst verursachten Krise rund um opiumähnliche Schmerzmittel, zu denen Fentanyl zählt. Amerikanische Ärzte haben die hochwirksamen Medikamente jahrelang massenhaft verschrieben. Inzwischen sind diese legalen Drogen zwar reguliert. Zahlreiche Amerikaner sind jedoch bereits süchtig. Um sich weiterhin mit den Substanzen zu versorgen, bestellen sie Fentanyl auf dem Schwarzmarkt in China. Die Händler senden die Tabletten meist unkompliziert per Post. Die chinesische Regierung hat zwar schon mehrfach versprochen, gegen die Anbieter vorzugehen. Schon die Regierung von Ex-Präsident Donald Trump war jedoch unzufrieden mit den Ermittlungserfolgen. fin

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    Didi verschiebt Europa-Expansion

    Das Fahrdienstunternehmen Didi Chuxing hat seine Europa-Pläne für mindestens ein Jahr auf Eis gelegt. Das berichtet die britische Zeitung The Telegraph. Das Unternehmen wollte seine Dienstleistungen ursprünglich in mehreren europäischen Städten in Deutschland, Frankreich und Großbritannien anbieten. Der Bericht nennt neue Datenschutzbestimmungen chinesischer Behörden werden als Grund für den Stopp der Expansion. Die Behörden unterziehen Didi derzeit einer Cybersicherheits-Prüfung, um die sichere Speicherung der von dem Unternehmen gesammelten Nutzerdaten zu gewährleisten. Die South China Morning Post nennt zudem Vorgaben Pekings zur Senkung der Preise für die Mitfahrdienste als Ursache der stockenden Expansionspläne des Unternehmens. Geringere Umsätze im chinesischen Heimatmarkt könnten teure Expansionspläne in hart umkämpften externen Märkten zunichtemachen, so Analysten. nib

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    Hongkong zensiert auch ältere Filme

    Die Sonderverwaltungszone nähert sich nun auch bei der Filmindustrie den Zensurmethoden des Festlandes an. Eine am Dienstag verabschiedete Gesetzesänderung sieht vor, ab sofort auch ältere Filme auf mögliche Verstöße gegen das Nationale Sicherheitsgesetz zu überprüfen, bevor sie öffentlich gezeigt werden. Dazu sollen auch Filme gehören, die früher bereits grünes Licht bekamen – in Zeiten, als Hongkong die Kulturszene noch gewähren ließ und nur etwa bei besonders freizügigen Szenen eingriff. Die Hongkonger Filmszene war daher äußerst lebendig. Lokale Filmemacher wie Wong Kar-wai zählten zu den internationalen Größen ihrer Zunft. Die Industrie gehörte nach Hollywood zu den großen weltweit; und auch heute gibt es noch einige bekannte Studios und eine Indie-Szene.

    Doch all dies dürfte unter der wachsenden Kontrolle des Staates zunehmend verkümmern. Denn nach dem neuen Zensurgesetz sind nun alle Filminhalte verboten, die als Aufrufe zur Spaltung, zum Umsturz, zum Terrorismus oder als geheime Absprachen mit ausländischen Kräften gesehen werden könnten. Die Definition ist wie immer vage. Wer nicht genehmigte Filme vorführt, dem drohen bis zu drei Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu umgerechnet 110.000 Euro. Das Gesetz muss nächste Woche vom Legislativrat beschlossen werden – die Zustimmung gilt angesichts der Übermacht Peking-treuer Abgeordneter als sicher. In China selbst gilt seit Jahrzehnten eine strenge Zensur, und jenseits von Superhelden-Streifen laufen dort nur wenige westliche Filme in den Kinos. ck

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    China’s yuan internationalisation faces coronavirus, geopolitical threats despite record cross-border use SCMP
    Uber rival Didi Chuxing suspends plans for UK and Europe launch GUARDIAN
    Chinese tech shares rebound after JD.com earnings defy crackdown FT (PAY)
    China holds naval drills ahead of US-led Quad exercise off the coast of Guam SCMP
    China’s crypto crackdown delivers windfall to global bitcoin ‘miners’ FT (PAY)
    Jetzt wird China auch für Deutschlands Schlüsselindustrien zur Gefahr WELT (PAY)
    Kamala Harris kritisiert Peking: »China nötigt und schüchtert ein« SPIEGEL
    Schiffsstau in China – im Herbst drohen Lücken in den Regalen deutscher Geschäfte HANDELSBLATT

    Standpunkt

    Abkoppelung von China kann für Europa teuer werden

    Von Gabriel Felbermayr
    Gabriel Felbermayr zur Abkopplung Chinas

    Lieferengpässe infolge der Corona-Krise haben in der EU die Diskussion über eine stärkere wirtschaftliche Eigenständigkeit und die Rückverlagerung der Produktion bestimmter Güter etwa aus China befeuert. Manchmal geht es dabei nur um einzelne kritische Produkte wie zum Beispiel Medizingüter. Doch die Palette der “heimzuholenden” Produktionsprozesse wird von jenen gerne ausgeweitet, die China als besonders mächtigen strategischen Rivalen einschätzen. Es kann gute strategische Gründe geben, kritische Güter oder industriepolitisch wichtige nicht mehr nur aus China zu beziehen. Was von den Befürwortern einer solchen Politik allerdings häufig unterschlagen wird, sind die Kosten, die damit verbunden sind. 

    Simulation einer Abkoppelung der EU

    Wir haben am Institut für Weltwirtschaft simuliert, welche Folgen es hätte, wenn die EU Handelsbarrieren – abseits von neuen Zöllen – verdoppeln würde, um die heimische Produktion zu fördern. Das kann zum Beispiel durch eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge, Steuervorteile oder andere Subventionen für EU-Anbieter geschehen – oder durch Importquoten oder -verbote für ausgewählte Güter. Das Ergebnis: Würde die EU einseitig entsprechende Handelsbarrieren gegenüber China verdoppeln, würde das 130 Milliarden Euro (0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP) kosten – bei vergleichbaren Gegenmaßnahmen Chinas wüchsen die Kosten auf 170 Milliarden Euro (1 Prozent des BIP).

    Schon das teilweise Entkoppeln von internationalen Liefernetzen würde also den Lebensstandard der Menschen in der EU – wie auch bei ihren Handelspartnern – deutlich verschlechtern. Dagegen sind die angeblichen Vorteile einer größeren Autonomie oder Souveränität häufig diffus und schwer zu beziffern. Sie könnten sogar illusorisch sein, falls Risiken sich dadurch in einer kleineren Zahl von Märkten ballen. Die jüngste Flutkatastrophe in Deutschland hat gezeigt, dass sich Krisen auch direkt vor unserer Haustür ereignen können, die Produktion in Europa also nicht in jedem Fall ein “sicherer Hafen” ist.

    Intuitiv würde man meinen, dass sich die Entkoppelung von Liefernetzen dann auszahlt, wenn ein Lieferanten-Land einen wirtschaftlichen Schock erleidet – wie zum Beispiel China, als die Corona-Epidemie noch ein dortiges lokales Ereignis war. Doch selbst für diesen Fall zeigen Simulationen, dass eine generelle Entkoppelung von Lieferketten größeren wirtschaftlichen Schaden anrichtet, als wenn sich der wirtschaftliche Schock aus dem betroffenen Land auf andere überträgt.

    Ein Abkoppeln der EU von internationalen Zulieferern würde auch die Preise für Zwischengüter steigen lassen. Das überträgt sich entlang der Lieferketten in höhere Preise sowohl für innerhalb der EU konsumierte Güter als auch für EU-Exporte, die dann wiederum Güter in anderen Ländern verteuern. Solche ungewollten Nebeneffekte, die eine Autonomiepolitik der EU haben könnte, werden häufig ausgeblendet.

    Alternative Instrumente für die Diversifizierung

    Deutschland wäre als international wirtschaftlich besonders stark vernetztes Land härter als viele andere EU-Länder betroffen: Bei einer einseitigen Entkoppelung von China trüge Deutschland rund ein Viertel der Lasten (32 Milliarden Euro, 0,9 Prozent des BIP). Ein eskalierender Handelskrieg mit der Volksrepublik könnte diese Kosten noch einmal um 50 Prozent steigen lassen.

    Von einer einseitigen Abkoppelung von China würden einige Branchen in der EU durchaus profitieren – etwa der Groß- und Einzelhandel, der Bausektor oder der Maschinen- und Anlagenbau. Andere Sektoren – vor allem der Fahrzeugbau – würden Wertschöpfung verlieren. Bei einem zweiseitigen Handelskrieg mit China wäre das Ergebnis über alle Branchen negativ.

    Wer die Abhängigkeit verringern will, sollte andere Instrumente wählen. Statt chinesische Lieferanten rauszudrängen, wäre es sicherlich sinnvoller, Liefernetze zu diversifizieren, um in Krisen- oder Konfliktfällen auf mehrere Lieferanten zugreifen zu können. Bei kritischen Gütern zum Beispiel aus dem Medizinsektor könnte der Liefersicherheit ein höheres Gewicht in den Beschaffungsverträgen der Krankenkassen mit den Pharmaunternehmen gegeben werden – etwa durch entsprechende Vertragsstrafen.

    Lagerhaltung ist teuer, kann aber zu einer lohnenswerten Versicherung gegen Produktionsausfall werden, wenn die Zahlungsbereitschaft für Liefersicherheit künftig höher ist als in der Vergangenheit. Die Entwicklung zu einer Kreislaufwirtschaft, die stark auf Recycling setzt, hat nicht nur ökologische Vorteile, sondern kann auch die Abhängigkeit etwa von Rohmateriallieferungen Dritter verringern. Und ein tief integrierter europäischer Binnenmarkt ist die vielleicht beste Versicherung gegen Abhängigkeiten in internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

    Wer über negative Aspekte der Abhängigkeit von China diskutiert, darf die Kosten nicht außer Acht lassen, wenn die Vorteile internationaler Arbeitsteilung aufs Spiel gesetzt werden. Das bedeutet nicht, dass ein “Weiter wie bisher” die beste Lösung ist. Aber die Kosten-Nutzen-Abwägung eines neuen Politikansatzes mit Blick auf China muss schon vollständig ausfallen.

    Dieser Beitrag gehört in den Kontext der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Am Donnerstag diskutieren Institutspräsident Gabriel Felbermayr und Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, im Rahmen dieses Formats über das Thema “China und Europa: Riskante wirtschaftliche Abhängigkeiten?” China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.

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    Personalien

    Peter Löhnert wird bei dem amerikanischen Investment-Riesen Blackrock in Hongkong der neue Verantwortliche für Indexfonds mit Fokus auf Asien-Pazifik. Löhnert arbeitet bereits seit zehn Jahren für Blackrock. Zuletzt war er am Standort London tätig. Seine Finanzkarriere hatte er bei der Commerzbank in Frankfurt begonnen.

    Zou Jiayi ist neuer Vizesekretär der kommunistischen Parteigruppe der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes. Das klingt sperrig, ist aber ein wichtiger Posten. Die Konsultativkonferenz ist das Beratungsgremium des chinesischen Parlaments; ihre Sitzungen und Beschlüsse erhalten viel Aufmerksamkeit. Sie wird ebenfalls von der KP Chinas kontrolliert.

    Dessert

    Nicole Kidman dreht derzeit in Hongkong die Amazon-Serie “The Expatriates”; hier ist sie am Ende eines Drehtags im Stadtteil Mong Kok zu sehen. Die Serie beruht auf einem Buch der Autorin Janice Y. K. Lee. Es geht hier tatsächlich um die zahlreichen Expats in der asiatischen Großstadt: ihr glamouröses Leben und ihre Freundschaften mit festem Ablaufdatum. Die Ankunft der australischen Schauspielerin in Hongkong hatte indessen Unmut ausgelöst: Aufgrund einer Ausnahmeregel für prominente Filmschaffende war Kidman nach der Einreise von der Quarantäne befreit.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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