Table.Briefing: China

Cosco in Hamburg + Weniger Jobs für die Jugend

  • Ringen um Cosco-Einstieg im Hamburger Hafen
  • Zahl der jungen Arbeitslosen verdoppelt
  • USA drosseln Ausfuhren von Mikrochips
  • Britische Uni verzichtet auf chinesische Finanzierung
  • Festnahmen nach Kritik am Lockdown in Xinjiang
  • Weiter Dürre in Teilen des Landes
  • Standpunkt: Ukraine-Krieg verschärft die Entfremdung von China
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Hängepartie um den anvisierten Einstieg der chinesischen Reederei Cosco als Minderheitseigner an einem der drei Containerterminals im Hamburger Hafen ist ein gutes Beispiel für die neue Wachsamkeit der deutschen Politik. Geld aus der Volksrepublik wird nicht mehr unkritisch angenommen, und sei es noch so verlockend.

Eine sorgsame Prüfung des Deals durch das Wirtschaftsministerium ist nicht nur gerechtfertigt. Sie drängt sich regelrecht auf. Zumal es um einen Teil der kritischen Infrastruktur geht, die an ein chinesisches Staatsunternehmen veräußert werden soll. Faktisch würde eine Genehmigung der Investition den Verlust eines weiteren Stückchens Selbstständigkeit bedeuten, was die Logistik und die Versorgung der Bundesrepublik angeht.

Befürworter des chinesischen Einstiegs halten das sicher für Hysterie. Es handle sich doch nur um vier Liegeplätze und 14 Containerbrücken, lauten ihre Argumente – ein Bruchteil der Kapazitäten des Hamburger Hafens. Doch das Beispiel Energieversorgung führt uns zurzeit schmerzhaft vor Auge, wohin eine stetig zunehmende Abhängigkeit von einem autokratischen Staat führen kann.

Der Autor unseres heutigen Standpunktes, der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping, sieht die Volkswirtschaften und Gesellschaften von China und Deutschland bereits als “aufeinander angewiesen” an. Wenn dem so ist, dann wäre es ein Grund mehr, die Hafenbeteiligung abzulehnen, um nicht immer stärker angewiesen zu sein auf eine Volkswirtschaft, mit der wir im systemischen Wettbewerb stehen.

Der Erhalt unserer Selbstständigkeit verlangt seinen Preis. Und wir werden uns niemals alle einig sein, wie hoch dieser Preis sein soll. Aber es ist höchste Zeit, Anzahlungen zu leisten.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

Hafen-Einstieg von Cosco: Freude in Hamburg, Misstrauen in Berlin

Bald noch enger mit Hamburg verbunden? Ein Cosco-Containerschiff im Containerterminal Tollerort
Bald noch enger mit Hamburg verbunden? Ein Cosco-Containerschiff im Containerterminal Tollerort

Die Chinesen wollen. Die Hamburger Bürgerschaft will. Und auch die HHLA, der Betreiber des Hamburger Hafens, will. Die chinesische Reederei Cosco soll beim Hamburger Hafen einsteigen – könnte aber vom Bundeswirtschaftsministerium daran gehindert werden. Konkret geht es um eine 35-prozentige Minderheitenbeteiligung an “Tollerort”, einem der drei Containerterminals im Hamburger Hafen. Die Anlage verfügt über vier Liegeplätze und 14 Containerbrücken, und ist mit fünf Gleisen auch sehr gut angebunden für den Weitertransport von Waren über Land.

Zu Wochenbeginn legten die Verantwortlichen des Hamburger Hafens nochmals nach – und warnten die Bundesregierung davor, einen möglichen Einstieg von Cosco zu untersagen. “Eine Absage an die Chinesen wäre eine Katastrophe nicht nur für den Hafen, sondern für Deutschland”, sagte Axel Mattern gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Der Vorstand der Hafen Hamburg Marketing ist sicher: “Ein Einstieg der Chinesen in die Betriebsgesellschaft wäre ein Riesengewinn für den Hafen und keine Gefahr, zumal Cosco bald die weltgrößte Reederei sein wird.”

Allerdings muss Wirtschaftsminister Robert Habeck dem Vorhaben zustimmen – und in seinem Ministerium scheint es ernsthafte Bedenken gegen das chinesische Engagement zu geben. Derzeit läuft ein Investitionsprüfverfahren auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes. Im vorliegenden Fall geht es demnach “um den Erwerb einer Beteiligung an einem inländischen Unternehmen durch einen unionsfremden Erwerber im sektorübergreifenden Investitionsprüfungsverfahren”.

Cosco investiert weltweit – und gerne in Europa

Doch die alles entscheidende Frage, die auch den deutschen Wirtschaftsminister umtreiben dürfte, ist recht simpel: Welches Ziel verfolgen die Chinesen von Cosco im Hamburger Hafen? Aus ökonomischer Perspektive lässt sich ein Cosco-Einstieg in Hamburg durchaus nachvollziehen: Die viertgrößte Reederei der Welt und der drittgrößte Hafen Europas würden zusammenwachsen. Nach eigenen Angaben ist die gesamte Cosco-Flotte mit fast 1.400 Schiffen die größte der Welt. Bei den Frachtkapazitäten rangiert der chinesische Konzern immerhin auf dem vierten Platz. Es täten sich wohl viele Synergieeffekte auf. Doch gibt es auch eine politische Motivation?

China-Wissenschaftlerin Mareike Ohlberg hat intensiv zu chinesischen Investitionen in Nordamerika und Europa recherchiert – und ist dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass vermeintlich rein ökonomische Entscheidungen nicht selten von politischen Absichten direkt aus Peking geleitet werden. “Peking versichert, mit der Übernahme von Häfen lediglich den Handel fördern zu wollen, aber die Volksrepublik verfolgt einen langfristigen Plan, um strategischen Druck aufzubauen”, schreibt sie gemeinsam mit dem Australier Clive Hamilton in ihrem Buch “Die lautlose Eroberung”.

Eine häufig angewandte chinesische Taktik sei das Prinzip “yi shang bi zheng“, was die Instrumentalisierung heimischer Unternehmen im Ausland beschreibt. So soll auf die jeweilige Regierung Druck ausgeübt werden. Und tatsächlich nutzt China ökonomische Abhängigkeiten, um politische Loyalitäten einzufordern – auch in Europa.

Beispiel Griechenland. Im Oktober 2009 pachtete Cosco im Zuge der griechischen Finanzkrise die Hälfte des Containerhafens in Piräus für 35 Jahre. Kostenpunkt: 647 Millionen Dollar. Sieben Jahre später sicherte man sich dann noch die Aktienmehrheit am gesamten Hafen. Seither soll das von Cosco betriebene Terminal beträchtliche Gewinne erzielen, möglich gemacht durch Effizienzsteigerung und Lohnsenkungen. Und der marode Ankerplatz Piräus entwickelte sich wieder zu einem der am schnellsten wachsenden Mittelmeerhäfen.

2017 blockierte Athen eine kritische EU-Erklärung

2017 blockierte dann ausgerechnet die griechische Regierung eine kritische EU-Stellungnahme zu Pekings Menschenrechtsverletzungen. Kritiker erkannten darin erzwungene Loyalität. “Schon öfter ist aufgefallen, dass EU-Mitgliedsländer, in denen China in größerem Stil investiert, sich scheuen, auch EU-Werte oder EU-Interessen gegenüber China zu vertreten”, kommentierte damals der EU-Parlamentarier Jo Leinen (SPD). Fünf Jahre später scheint man im Bundeswirtschaftsministerium die damalige griechische Blockade noch nicht vergessen zu haben.

Coscos Zentrale befindet sich im Pekinger Bezirk Xicheng. Von hier aus plant und expandiert man in die ganze Welt: Das Unternehmen ist weltweit an 52 Containerterminals beteiligt. Allein in Europa hat Cosco zusammen mit der Partnerfirma China Merchants in 14 Häfen investiert – dazu zählen Mehrheitsbeteiligungen in Valencia und Bilbao, sowie Anteile an Nordrange-Häfen in Rotterdam, Antwerpen und Zeebrügge. Über die sogenannte Nordrange, die aus den wichtigen kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee besteht, werden etwa 80 Prozent des europäischen Im- und Exports abgewickelt.

Während Berlin langfristige geostrategische Konsequenzen durch einen Einstieg Coscos in Hamburg fürchtet, erkennen Hafenbetreiber und Politik in der Hansestadt das kurzfristige Potenzial einer solchen Investition. “Es geht doch nur um eine Minderheitsbeteiligung an der Betreibergesellschaft des Terminals Tollerort, den Cosco schon heute maßgeblich nutzt”, sagt Hafen-Chef Mattern. Zudem wolle Cosco auch keinen Grund und Boden erwerben, argumentiert er.

Keine klare Linie innerhalb der Bundesregierung

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher drückte bereits im Juli seine Unterstützung für den Cosco-Einstieg aus. Der Deal würde die Rolle Hamburgs als zentralen europäischen Knotenpunkt für den Warenverkehr mit China stärken. Im September 2021 kursierten gar schon erste Meldungen, wonach der Deal zwischen Hafenbetreiber HHLA und Cosco schon unter Dach und Fach sei. Doch das war allzu vorschnell.

Angela Titzrath, HHLA-Vorstandsvorsitzende, erklärte im vergangenen Jahr gegenüber dem NDR, dass der Hafen schon jetzt sehr stark mit China verbunden sei. “30 Prozent des Warenumschlags in Deutschland mit China komme über den Standort.” Einzig die Gewerkschaft Ver.di sorgt sich um Arbeitsbedingungen und einen wachsenden “Einfluss der Reeder auf die lokalen Logistikbedingungen” durch solche Beteiligungen (China.Table berichtete).

Innerhalb der Bundesregierung scheint man bislang noch keine gemeinsame Linie gefunden zu haben: Die von den Grünen geführten Außen- und Wirtschaftsministerien sind tendenziell gegen einen Einstieg der Chinesen, wohingegen man im Kanzleramt, wo mit Olaf Scholz ein ehemaliger Erster Hamburger Bürgermeister das Sagen hat, eher wohlwollend auf das Vorhaben blickt.

So mancher Koalitionspolitiker soll sich aber bereits festgelegt haben: Eine kritische Infrastruktur wie ein Hafenterminal dürfe nicht in chinesische Hände geraten, auch nicht in Teilen. Medienberichte, wonach Wirtschaftsminister Habeck bereits ein Veto gegen den Einstieg von Cosco eingelegt haben soll, werden allerdings dementiert. Und doch: Der Umgang mit dem möglichen Einstieg von Cosco in Hamburg steht exemplarisch für den neuen Umgang Deutschlands mit China, dem Partner und Rivalen.

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Mehr arbeitslose Jugendliche als je zuvor

Arbeitslose Jugendliche in China: Arbeitssuchende stehen Schlange vor einer Foxconn-Fabrik in Shenzhen.
Arbeitssuchende stehen Schlange vor einer Foxconn-Fabrik in Shenzhen.

Xin Chen hatte sich den Start ins Berufsleben anders vorgestellt. Vergangenes Jahr machte er in der südchinesischen Metropole Shenzhen seinen Abschluss in Informatik. Eigentlich wäre ihm damit ein Job bei einem der chinesischen Tech-Giganten sicher gewesen. Doch trotz zahlreicher eingereichter Bewerbungen hat es für den 23-Jährigen mit einer Anstellung noch immer nicht geklappt.

“Es gibt kaum noch Stellenausschreibungen”, erzählt Xin, der sich jetzt als Essenslieferant durchschlagen muss, um seinen Lebensunterhalt leidlich zu finanzieren. “Ich sehe nicht, dass sich meine Situation bald bessern wird”, sagt er im Gespräch mit China.Table.

So wie Xin geht es vielen jungen Chinesen. Chinas städtische Jugendarbeitslosenquote erreichte im Juli 19,9 Prozent. Nach Angaben des Pekinger Statistikamtes ist das der höchste Wert, seit es mit der Erfassung der Jugendarbeitslosigkeit im Januar 2018 begonnen hat.

Jugendliche haben es besonders schwer

Damals lag die Quote noch bei 9,6 Prozent, was im internationalen Vergleich kein außergewöhnlich hoher Wert ist. Die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen zwischen 16 bis 24 Jahren fällt in der Regel höher aus als in der Gesamtbevölkerung. In der Krise sparen Unternehmen schließlich zuerst am Nachwuchs. Erfahrene Mitarbeiter haben es dagegen etwas leichter, ihren Job zu halten oder eine neue Anstellung zu finden, was sich auch in China an der Statistik ablesen lässt. Die generelle Arbeitslosenquote in den Städten lag dort zuletzt bei weiterhin relativ niedrigen 5,4 Prozent.

Junge Chinesen leiden vor allem unter den strengen Corona-Maßnahmen, die der Wirtschaft schweren Schaden zufügen. Das gibt auch das Statistikamt offen zu. “Unternehmen, die inmitten der Covid-Pandemie zu kämpfen haben, sind weniger in der Lage, neue Arbeitskräfte aufzunehmen”, analysierte ein Behördensprecher für jüngsten Zahlen.

Das Phänomen einer hohen Jugendarbeitslosigkeit in Krisenzeiten kennt man auch im Westen. In Südeuropa gab es für viele junge Menschen nach der Finanzkrise 2008 ebenso wenig Perspektive wie für deren Altersgenossen im heutigen China. In Spanien hatte damals über 20 Prozent aller 16-24-Jährigen keine Arbeit. Rechnete man alle Studenten und Schüler der Altersklasse heraus, waren es sogar mehr als 50 Prozent ohne Arbeit. Auch jungen Menschen in Italien oder Griechenland ging es nicht viel besser. Viele versuchten schließlich ihr Glück in anderen EU-Staaten.

Tech-Konzerne fallen bei Einstellungen aus

Diese Option haben junge arbeitslose Chinesen nicht. Allein ihre schiere Anzahl macht es unmöglich, dass sie von anderen Arbeitsmärkten, in denen die Pandemie kein so großes Thema mehr ist, absorbiert werden können. Das Arbeitslosen-Problem in China hat eine besondere Wucht, weil auf die geringe Nachfrage von Unternehmen ein noch nie dagewesenes Angebot neuer Arbeitskräfte trifft. Mit 10,76 Millionen Studenten machen in diesem Jahr so viele Chinesen ihren Abschluss wie noch nie. Die Zahl der erwarteten Absolventen liegt damit um 18,4 Prozent höher als noch 2021.

In der Vergangenheit waren es oft Chinas Tech-Konzerne, die besonders bei hoch qualifizierten Uni-Absolventen gerne zugriffen. Doch viele von ihnen sind nicht nur durch die allgemeine Wirtschaftskrise geschwächt, sondern müssen auch noch den Regierungs-Crackdown der vergangenen zwei Jahre verdauen. Durch die Bank haben Konzerne wie Tencent oder Alibaba Neueinstellungen in Teilen ihrer Unternehmen ausgesetzt und sogar Personal abgebaut. 

Peking weiß, dass es die Probleme am Arbeitsmarkt lösen muss, da eine zu hohe Arbeitslosigkeit sich auf die Zufriedenheit der Menschen und damit auf die Stabilität im Land auswirken könnte. Lu Feng, Ökonom an der Universität Peking, schlägt vor, dass die Regierung staatlich geförderte Kurzeit-Arbeitsprogramme einführen könnte. Auch sollten Unternehmen subventioniert werden, damit sie Studenten zumindest Praktika anbieten können. Doch allein das wird sicher nicht reichen. Für den Arbeitsmarkt gilt wie für die gesamte Wirtschaft: Hält Peking an den strikten Coronavirus-Maßnahmen fest, dürfte eine baldige Erholung ausbleiben. Jörn Petring/Gregor Koppenburg 

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News

USA wollen Chip-Export weiter einschränken

Die US-Regierung um Präsident Joe Biden plant offenbar, im kommenden Monat amerikanische Lieferungen von Halbleitern nach China weiter zu einzuschränken. Im Fokus stehen Halbleiter, die in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Chipherstellung verwendet werden. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und bezieht sich dabei auf mehrere Personen, die mit der Angelegenheit vertraute sein sollen.

Dem Bericht zufolge beabsichtige das US-Handelsministerium, neue Vorschriften auf der Grundlage der schon bestehenden Beschränkungen zu veröffentlichen. Diese waren Anfang dieses Jahres schriftlich den drei US-Unternehmen – KLA Corp, Lam Research Corp und Applied Materials Inc. mitgeteilt worden.

Demnach ist es den Unternehmen untersagt, Ausrüstung zur Chipherstellung an chinesische Fabriken, die fortschrittliche Halbleiter mit Sub-14-Nanometer-Prozessen herstellen, zu verkaufen. Einzige Ausnahme: Das Handelsministerium stellt explizit eine Exportgenehmigung aus. Entsprechende Vorgaben wurden zuletzt auch den Unternehmen Nvidia Corp und Advanced Micro Devices gemacht. Sie wurden zudem aufgefordert, Lieferungen mehrerer KI-Rechenchips nach China einzustellen. 

China ist auf den Import von Halbleitern aus den USA angewiesen. Zuletzt war Chinas monatliche Chipproduktion dramatisch zurückgegangen – und zwar auf den niedrigsten Stand seit 2020 (China.Table berichtete). In dem Bericht von Reuters heißt es nun, dass die neuen Vorschriften wohl zusätzliche Maßnahmen gegen China beinhalten. Auch könnten weitere US-Unternehmen von Einschränkungen betroffen sein, im Gespräch sind Intel Corp oder das Start-up Cerebras Systems.  

Das Vorgehen der US-Regierung, über solche “Briefe” an Unternehmen neue Regeln zu erlassen, verhindert einen langwierigen Gesetzesprozess. Allerdings gelten die “Briefe” nur für die Unternehmen, denen ein entsprechendes Schreiben auch zugestellt wurde. rad

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Britische Uni schließt Forschungszentren

Die britische Hochschule Imperial College wird einem Medienbericht zufolge zwei Forschungszentren schließen, die von chinesischen Luftfahrtunternehmen finanziell unterstützt wurden. Das AVIC Center for Structural Design and Manufacturing habe vom staatlichen chinesischen Rüstungs- und Flugzeugkonzern in der Vergangenheit rund sechs Millionen Pfund erhalten, um an Materialien für die Luft- und Raumfahrt zu forschen, berichtete die britische Zeitung “Guardian” am Montag. Eine weitere Einrichtung sei zusammen mit dem Beijing Institute of Aeronautical Materials (BIAM) betrieben worden. Beide Forschungszentren würden nun bis Ende des Jahres geschlossen, teilte die britische Tech-Uni laut Bericht mit.

Die Entscheidung sei getroffen worden, nachdem zwei Lizenzanträge aus den Forschungszentren bei der britischen “Export Control Joint Unit” (ECJU) abgelehnt worden waren. ECJU überwacht den Austausch sensibler Forschungsergebnisse mit internationalen Partnern. Die Chefs des britischen Geheimdienstes MI5 und des amerikanischen FBI hatten im Juli vor der von China ausgehenden Spionagebedrohung für britische Universitäten gewarnt (China.Table berichtete). ari

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Haftstrafen nach Lockdown-Posts

Die Polizei in Yining in der autonomen Provinz Xinjiang hat vier Menschen vorübergehend in Gewahrsam genommen. Das Quartett, dessen Namen allesamt auf Han-cinesische Abstammung hindeuten, hatte in sozialen Medien kritische Kommentare zum Lockdown in der Grenzregion zu Kasachstan hinterlassen. Sie müssen für fünf bis zehn Tage in Haft, weil ihnen vorgeworfen wird, sie würden Gerüchte verbreiten und Unruhe stiften.

Die Behörden kontrollieren den Nachrichtenfluss aus dem Gebiet derzeit streng und mit höchster Wachsamkeit, seit sie einen Lockdown über Xinjiang verhängt haben (China.Table berichtete). Dennoch kursieren Videos, die die dramatische Lage in lokalen Haushalten zeigen sollen. Unter anderem sind Bilder von Kindern zu sehen, die apathisch in ihren Betten liegen, weil sie offenbar seit Tagen nichts zu essen bekommen haben.

Uigurische und kasachische Aktivisten außerhalb der Volksrepublik werfen den Behörden in Yining, das auf kasachisch Gulja heißt, vor, die muslimische Bevölkerung der Stadt nicht mit Lebensmitteln zu versorgen. Schwangere sollen Fehlgeburten erlitten haben, nachdem sie mehrere Wochen zu Hause eingesperrt worden seien. Ein anderes Video zeigt die Leiche eins mittelalten Mannes in einem Bett, der verhungert sein soll. Bestätigungen für die Echtheit der Videos und Vorwürfe gab es zunächst nicht.

Die Behörden hatten am Wochenende zumindest Mängel bei der medizinischen Betreuung von Bewohnern der 400.000-Einwohner-Stadt.eingeräumt. Offenbar waren entsprechende Hilferufe über eine Hotline eingegangen. In ihrer Verzweiflung posten manche in WeChat-Gruppen Videos, die dann über Aktivisten ins Ausland geschmuggelt werden. In einem weiteren Video fleht ein Mann um Hilfe. Er zeigt Verständnis für den Lockdown, macht aber unmissverständlich auf die Notsituation aufmerksam. Er zeigt einen leeren Kühlschrank und seine drei Kinder am Esstisch, die demnach seit drei Tagen nichts zu essen gehabt hatten. grz

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Trockenheit auch nach der Hitze

Chinas Meteorologen schlagen Alarm: Die große Hitzewelle lasse zwar allmählich nach, aber die Dürre in Teilen des Landes sei noch lange nicht vorbei. In manchen Provinzen wie beispielsweise Jiangxi könnte sie gar noch bis in den Herbst andauern.

Dort befindet sich der Poyang Hu 鄱陽湖, der größte Süßwassersee Chinas. Wie die Zeitung South China Morning Post berichtet, wollen die Behörden in Jiangxi deshalb auch in den kommenden Wochen den Süßwassersee anzapfen. Dafür müssen sie allerdings immer weiter in den Poyang-See vordringen, da auch dessen Wasserstand zuletzt stark zurückgegangen ist. Der Wasserspiegel des Poyang ist zuletzt laut der Jiangxi Water Group täglich um 15 Zentimeter gesunken.

China war von einer der schlimmsten Hitzewellen und Dürren seit Jahrzehnten betroffen, die Seen und Flüsse im ganzen Land austrockneten (China.Table berichtete). Inzwischen hat die Hitzewelle nachgelassen, aber die Wetterbehörden warnen davor, dass die Dürre in einigen Gebieten, einschließlich Jiangxi, bis in den Herbst andauern könnte.

Auch in der südwestlichen Großstadt Chongqing sagten die Behörden, die Bedingungen hätten sich mit Regenfällen entspannt. Dennoch fürchten auch sie, dass die Dürre noch lange nicht vorbei sei und bis in den Winter hinein schwerwiegende Folgen haben könnte. rad

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Presseschau

Erste Begegnung seit Krieg gegen Ukraine: Chinesischer Präsident Xi trifft Putin auf internationalem Gipfel RND
Kopfzerbrechen wegen China und Russland vor UN-Menschenrechtsrat BOERSE
Russia plays up China’s support as it retreats in Ukraine EDITION
Kampfansage an China: EU verbietet alle Produkte, die in Zwangsarbeit entstanden sind T3N
Think China is aggressive now? Wait until after the 20th Party Congress THEHILL
Senate committee to meet this week over bipartisan Taiwan defense bill FOXNEWS
Taiwan will Vormachtstellung als Halbleiterlieferant weiter ausbauen DE
Harter Corona-Lockdown in China: Sogar Rettung nach 6,8-Erdbeben behindert DE
Xinjiang lockdown: Chinese censors drown out posts about food and medicine shortages THEGUARDIAN
Zero-Covid at what price? Chinese researchers are treading on sensitive ground EDITION
Exclusive: Biden to hit China with broader curbs on U.S. chip and tool exports REUTERS
Darf Chinas Staatsrederei Cosco in Hamburg investieren? Bundesregierung ringt um richtigen Kurs MERKUR
Landtagswahl in Niedersachsen: Grüne wollen im VW-Aufsichtsrat auf Menschenrechte in China achten N-TV
Schanghai will Chinas Zentrum für intelligentes Fahren werden NZZ
China soll genug Daten haben, um “Dossier über jeden erwachsenen Amerikaner zu erstellen” DERSTANDARD
Apple warned by US lawmakers over using Chinese YMTC chips in new iPhone THEREGISTER
China plans more Moon missions after discovering potential new lunar energy source INDEPENDENT
Mond-Mission der Nasa: Erste Stimmen warnen davor, dass die USA gegenüber China ins Hintertreffen geraten NZZ
Prada Cuts Ties With Chinese Star Held in Prostitute Scandal BLOOMBERG
Demografie: “Die Vorhersagen über den Aufstieg Chinas sind falsch” WELT
Litauen eröffnet Handelsbüro in Taipeh EURACTIV

Standpunkt

Deutschland und China – Die Zwischentöne gehen verloren

Von Rudolf Scharping
Rudolf Scharping über die Beziehungen zwischen China und Deutschland.

Aus dem US-Außenministerium, dem “Office of the Historian”: “Chinese Communists: Short range – no change. Long range – we do not want 800.000.000 living in angry isolation. We want contact … (want) China – cooperative member of international community ….”; Richard Nixon im Januar 1969. Wer die Entwicklung verfolgt, bis zur Aufnahme der Volksrepublik China in die Vereinten Nationen (1975)  oder zur Aufnahme von Beziehungen zu den USA (1979), erkennt schnell: Nie in den letzten Jahrzehnten gab es so wenig direkte Begegnung zwischen China und der Welt.

Fast drei Jahre der Corona-Pandemie haben zu enormem Stress geführt, gleich ob im menschlichen oder kulturellen, im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Austausch. Wo man “screen to screen” kommuniziert, gehen Zwischentöne verloren, also Chancen auf besseres Verständnis, auf allmähliche Annäherung oder gar Verständigung. Der Angriff Russlands auf die Ukraine verschärft diese Entfremdung.

Die Antworten auf die sich überlagernden (und sich gegenseitig verschärfenden) Gefahren für Klima und Bio-Diversität, für Frieden und stabile Entwicklung, für Gesundheit oder den Zusammenhalt der Gesellschaften, sind zum Teil fundamental verschieden. Deutschland und Europa sollten genau hinschauen.

Dieses Jahr markiert auch den 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und China. Ministerpräsident Fumio Kishida sprach kürzlich von dem Ziel konstruktiver und stabiler Beziehungen zwischen beiden Staaten. Wie Südkorea, Australien und Neuseeland haben die Japaner die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) mit China und den ASEAN-Staaten ratifiziert. Diese größte Freihandelszone der Welt repräsentiert das wirtschaftliche und politische Interesse an gemeinsamer und stabiler Entwicklung für ein Drittel der Menschheit und auch der weltwirtschaftlichen Leistung.

Ein differenzierteres Bild von der Wirklichkeit gewinnen

Indien, Brasilien, Südafrika und China gehören zu jenen Staaten, die den Angriff Russlands auf die Ukraine für eine zuvörderst europäische Angelegenheit halten. So machen beispielsweise Unternehmen aus Indien gute Geschäfte mit dem Einkauf russischen Erdöls (gegen Rabatt) und dem Weiterverkauf der erzeugten Produkte (zu Weltmarktpreisen).

Deutschland und Europa sollten ein differenzierteres Bild von der Wirklichkeit gewinnen, auch von China. Umgekehrt gilt das auch. Bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1972 tobte in China die Kulturrevolution, zerstörte Menschen, zerriss Familien, ruinierte China in jeder Hinsicht. Die politische Lage war, gelinde gesagt, komplex. Deutschland aber nahm Beziehungen auf und leistete einen Beitrag zu konstruktiver Friedens- und Entwicklungspolitik.

Und heute: Es breitet sich der Slogan aus von der “Abhängigkeit”, der man durch “De-Coupling” begegnen könne, ja müsse. Betrachtet man die gegenseitigen Abhängigkeiten nüchtern, dann kommt das Bild von Volkswirtschaften und Gesellschaften zum Vorschein, die aufeinander angewiesen sind.

Ob medizinische Wirkstoffe (bis zu 70 Prozent aus China) oder Halbleiter, ob Vorprodukte für Maschinen- und Anlagenbau oder die Chemieindustrie, ob Seltene Erden oder anderes, für unsere Energiewende unverzichtbares Material – die Liste ließe sich beliebig verlängern, in beide Richtungen. Nie war der Handel umfangreicher, die Investitionen höher, die Forschung und Entwicklung intensiver – trotz Corona. Aber es geht ja um viel mehr als die wirtschaftlichen Vorteile einer globalen Arbeitsteilung und deren Absicherung in einem stabilen politischen Rahmen.

China kann eine internationale Eskalation nicht gebrauchen

Die Grundlagen menschlichen Lebens sind weltweit herausgefordert. Darauf werden wir zukunftsfeste Antworten nur gemeinsam finden. Zwei Beispiele: Ohne China gibt es keine global tragfähige Antwort auf den Klimawandel. Die Ziele Chinas sind ambitioniert, bleiben aber zurück hinter den Erfordernissen und auch den technischen Möglichkeiten. Dies aber wird sich nur ändern, wenn man in Verhandlungen bessere Lösungen für alle Seiten findet.

Lieferketten müssen resilienter werden, der Bezug von Rohstoffen, Energie oder anderen Produkten diversifizierter – das richtet sich aber gegen niemanden, sondern entspricht den jeweils eigenen Interessen. In China versteht man das sofort – wie RCEP allen zuletzt vor Augen führte. Überdies: China, die USA und auch Europa haben jeweils “zu Hause” dermaßen große Herausforderungen zu meistern, da braucht niemand eine eskalierende internationale Lage.

Wo nüchterne Interessenvertretung rhetorisch aufgeladen wird, ist  Eskalation nicht weit. Demokratische Gesellschaften verbinden Interessen und Haltungen. Daran kann es keine Abstriche geben. Auch das versteht man in China. Wer bei welcher Gelegenheit was sagt und seinem Gegenüber wie viel zumutet, das steht auf einem anderen Blatt. Als Hinweis: 1992 besuchte der japanische Kaiser China; es war die Zeit ausgiebigster Freundschaftsbekundungen. Akihito brachte sein “Bedauern” (!) zum Ausdruck über andere (nicht näher angesprochene) Teile der Geschichte.

Wir würden vor Empörung aufschreien, wollte ein deutsches Staatsoberhaupt sich in Polen oder Frankreich so äußern zu der Geschichte zwischen, sagen wir einmal, 1830 und 1945. Die chinesischen Gastgeber des Tenno jedoch sagten nur freundlich, dass es dieser Anmerkung nicht bedurft hätte; und genau so war es gemeint in dieser Zeit und unter den damaligen Umständen.

Aufforderung an Peking, verantwortungsvoll zu agieren

China muss entscheiden, ob es die Grundlagen seines Erfolges (vor allem seit dem Beitritt zur WTO) “zurückbauen” will. So kann man manches wahrnehmen aus den Entscheidungen der letzten Jahre. Ob die Politik der Reform und Öffnung so sicher fortgesetzt wird wie Yangtze und Gelber Fluss stromabwärts fließen, das muss sich zeigen.

Jedenfalls bleibt es ja nicht bei bloß wirtschaftlichen Konsequenzen der Repressionen rund um Covid – die breite Unterstützung in der chinesischen Bevölkerung des Jahres 2020 hat sich verwandelt in Frust und Zorn, in einem Maße, das auch die Führung in Peking nicht einfach ignorieren kann. Nicht zuletzt: Dass die brutalen Folgen des Ukraine-Krieges für die weltweite Nahrungsversorgung mithilfe der Vereinten Nationen und der Türkei gemildert werden konnten, ist ein gutes Zeichen – für China ist es eher eine dringende Aufforderung, wirklich aktiv und verantwortlich zu agieren.

Denn auch der Frieden ist eine weltweite Herausforderung, die ohne China nicht zukunftsfest beantwortet werden kann. Henry Kissinger wurde gefragt nach dem Pelosi-Besuch in Taiwan (der für niemanden hilfreich war); seine Hoffnung sei es, dass die USA Außenpolitik betreiben und sich dabei leiten lassen von Interessen, nicht von Innenpolitik.

Rudolf Scharping war zwischen 1998 und 2002 Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland und ist ehemaliger Bundesvorsitzender der SPD. Mit seiner Beratungsfirma RSBK unterstützt er seit über 15 Jahren Unternehmen beim Markteintritt in China.

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Personalie

Mark Gibbs verlässt den Software-Entwickler SAP. Nach rund neun Jahren als President Greater China wechselt Gibbs zu UiPath Inc, einem amerikanischen Entwickler für Automatisierungssoftware.

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Dessert

Während der dreitägigen Feierlichkeiten des Mondfestes, die gestern zu Ende gegangen sind, erwiesen sich die Longmen-Grotten in Luoyang in der Provinz Henan wie üblich als Magnet für chinesische Touristen. Mit 2.345 Nischen und mehr als 100.000 Buddha-Statuen zählen die Grotten zu den bedeutendsten buddhistischen Wallfahrtsstätten Chinas. Ihr Baubeginn liegt mehr als 1.500 Jahre zurück.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Ringen um Cosco-Einstieg im Hamburger Hafen
    • Zahl der jungen Arbeitslosen verdoppelt
    • USA drosseln Ausfuhren von Mikrochips
    • Britische Uni verzichtet auf chinesische Finanzierung
    • Festnahmen nach Kritik am Lockdown in Xinjiang
    • Weiter Dürre in Teilen des Landes
    • Standpunkt: Ukraine-Krieg verschärft die Entfremdung von China
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Hängepartie um den anvisierten Einstieg der chinesischen Reederei Cosco als Minderheitseigner an einem der drei Containerterminals im Hamburger Hafen ist ein gutes Beispiel für die neue Wachsamkeit der deutschen Politik. Geld aus der Volksrepublik wird nicht mehr unkritisch angenommen, und sei es noch so verlockend.

    Eine sorgsame Prüfung des Deals durch das Wirtschaftsministerium ist nicht nur gerechtfertigt. Sie drängt sich regelrecht auf. Zumal es um einen Teil der kritischen Infrastruktur geht, die an ein chinesisches Staatsunternehmen veräußert werden soll. Faktisch würde eine Genehmigung der Investition den Verlust eines weiteren Stückchens Selbstständigkeit bedeuten, was die Logistik und die Versorgung der Bundesrepublik angeht.

    Befürworter des chinesischen Einstiegs halten das sicher für Hysterie. Es handle sich doch nur um vier Liegeplätze und 14 Containerbrücken, lauten ihre Argumente – ein Bruchteil der Kapazitäten des Hamburger Hafens. Doch das Beispiel Energieversorgung führt uns zurzeit schmerzhaft vor Auge, wohin eine stetig zunehmende Abhängigkeit von einem autokratischen Staat führen kann.

    Der Autor unseres heutigen Standpunktes, der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping, sieht die Volkswirtschaften und Gesellschaften von China und Deutschland bereits als “aufeinander angewiesen” an. Wenn dem so ist, dann wäre es ein Grund mehr, die Hafenbeteiligung abzulehnen, um nicht immer stärker angewiesen zu sein auf eine Volkswirtschaft, mit der wir im systemischen Wettbewerb stehen.

    Der Erhalt unserer Selbstständigkeit verlangt seinen Preis. Und wir werden uns niemals alle einig sein, wie hoch dieser Preis sein soll. Aber es ist höchste Zeit, Anzahlungen zu leisten.

    Ihr
    Marcel Grzanna
    Bild von Marcel  Grzanna

    Analyse

    Hafen-Einstieg von Cosco: Freude in Hamburg, Misstrauen in Berlin

    Bald noch enger mit Hamburg verbunden? Ein Cosco-Containerschiff im Containerterminal Tollerort
    Bald noch enger mit Hamburg verbunden? Ein Cosco-Containerschiff im Containerterminal Tollerort

    Die Chinesen wollen. Die Hamburger Bürgerschaft will. Und auch die HHLA, der Betreiber des Hamburger Hafens, will. Die chinesische Reederei Cosco soll beim Hamburger Hafen einsteigen – könnte aber vom Bundeswirtschaftsministerium daran gehindert werden. Konkret geht es um eine 35-prozentige Minderheitenbeteiligung an “Tollerort”, einem der drei Containerterminals im Hamburger Hafen. Die Anlage verfügt über vier Liegeplätze und 14 Containerbrücken, und ist mit fünf Gleisen auch sehr gut angebunden für den Weitertransport von Waren über Land.

    Zu Wochenbeginn legten die Verantwortlichen des Hamburger Hafens nochmals nach – und warnten die Bundesregierung davor, einen möglichen Einstieg von Cosco zu untersagen. “Eine Absage an die Chinesen wäre eine Katastrophe nicht nur für den Hafen, sondern für Deutschland”, sagte Axel Mattern gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Der Vorstand der Hafen Hamburg Marketing ist sicher: “Ein Einstieg der Chinesen in die Betriebsgesellschaft wäre ein Riesengewinn für den Hafen und keine Gefahr, zumal Cosco bald die weltgrößte Reederei sein wird.”

    Allerdings muss Wirtschaftsminister Robert Habeck dem Vorhaben zustimmen – und in seinem Ministerium scheint es ernsthafte Bedenken gegen das chinesische Engagement zu geben. Derzeit läuft ein Investitionsprüfverfahren auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes. Im vorliegenden Fall geht es demnach “um den Erwerb einer Beteiligung an einem inländischen Unternehmen durch einen unionsfremden Erwerber im sektorübergreifenden Investitionsprüfungsverfahren”.

    Cosco investiert weltweit – und gerne in Europa

    Doch die alles entscheidende Frage, die auch den deutschen Wirtschaftsminister umtreiben dürfte, ist recht simpel: Welches Ziel verfolgen die Chinesen von Cosco im Hamburger Hafen? Aus ökonomischer Perspektive lässt sich ein Cosco-Einstieg in Hamburg durchaus nachvollziehen: Die viertgrößte Reederei der Welt und der drittgrößte Hafen Europas würden zusammenwachsen. Nach eigenen Angaben ist die gesamte Cosco-Flotte mit fast 1.400 Schiffen die größte der Welt. Bei den Frachtkapazitäten rangiert der chinesische Konzern immerhin auf dem vierten Platz. Es täten sich wohl viele Synergieeffekte auf. Doch gibt es auch eine politische Motivation?

    China-Wissenschaftlerin Mareike Ohlberg hat intensiv zu chinesischen Investitionen in Nordamerika und Europa recherchiert – und ist dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass vermeintlich rein ökonomische Entscheidungen nicht selten von politischen Absichten direkt aus Peking geleitet werden. “Peking versichert, mit der Übernahme von Häfen lediglich den Handel fördern zu wollen, aber die Volksrepublik verfolgt einen langfristigen Plan, um strategischen Druck aufzubauen”, schreibt sie gemeinsam mit dem Australier Clive Hamilton in ihrem Buch “Die lautlose Eroberung”.

    Eine häufig angewandte chinesische Taktik sei das Prinzip “yi shang bi zheng“, was die Instrumentalisierung heimischer Unternehmen im Ausland beschreibt. So soll auf die jeweilige Regierung Druck ausgeübt werden. Und tatsächlich nutzt China ökonomische Abhängigkeiten, um politische Loyalitäten einzufordern – auch in Europa.

    Beispiel Griechenland. Im Oktober 2009 pachtete Cosco im Zuge der griechischen Finanzkrise die Hälfte des Containerhafens in Piräus für 35 Jahre. Kostenpunkt: 647 Millionen Dollar. Sieben Jahre später sicherte man sich dann noch die Aktienmehrheit am gesamten Hafen. Seither soll das von Cosco betriebene Terminal beträchtliche Gewinne erzielen, möglich gemacht durch Effizienzsteigerung und Lohnsenkungen. Und der marode Ankerplatz Piräus entwickelte sich wieder zu einem der am schnellsten wachsenden Mittelmeerhäfen.

    2017 blockierte Athen eine kritische EU-Erklärung

    2017 blockierte dann ausgerechnet die griechische Regierung eine kritische EU-Stellungnahme zu Pekings Menschenrechtsverletzungen. Kritiker erkannten darin erzwungene Loyalität. “Schon öfter ist aufgefallen, dass EU-Mitgliedsländer, in denen China in größerem Stil investiert, sich scheuen, auch EU-Werte oder EU-Interessen gegenüber China zu vertreten”, kommentierte damals der EU-Parlamentarier Jo Leinen (SPD). Fünf Jahre später scheint man im Bundeswirtschaftsministerium die damalige griechische Blockade noch nicht vergessen zu haben.

    Coscos Zentrale befindet sich im Pekinger Bezirk Xicheng. Von hier aus plant und expandiert man in die ganze Welt: Das Unternehmen ist weltweit an 52 Containerterminals beteiligt. Allein in Europa hat Cosco zusammen mit der Partnerfirma China Merchants in 14 Häfen investiert – dazu zählen Mehrheitsbeteiligungen in Valencia und Bilbao, sowie Anteile an Nordrange-Häfen in Rotterdam, Antwerpen und Zeebrügge. Über die sogenannte Nordrange, die aus den wichtigen kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee besteht, werden etwa 80 Prozent des europäischen Im- und Exports abgewickelt.

    Während Berlin langfristige geostrategische Konsequenzen durch einen Einstieg Coscos in Hamburg fürchtet, erkennen Hafenbetreiber und Politik in der Hansestadt das kurzfristige Potenzial einer solchen Investition. “Es geht doch nur um eine Minderheitsbeteiligung an der Betreibergesellschaft des Terminals Tollerort, den Cosco schon heute maßgeblich nutzt”, sagt Hafen-Chef Mattern. Zudem wolle Cosco auch keinen Grund und Boden erwerben, argumentiert er.

    Keine klare Linie innerhalb der Bundesregierung

    Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher drückte bereits im Juli seine Unterstützung für den Cosco-Einstieg aus. Der Deal würde die Rolle Hamburgs als zentralen europäischen Knotenpunkt für den Warenverkehr mit China stärken. Im September 2021 kursierten gar schon erste Meldungen, wonach der Deal zwischen Hafenbetreiber HHLA und Cosco schon unter Dach und Fach sei. Doch das war allzu vorschnell.

    Angela Titzrath, HHLA-Vorstandsvorsitzende, erklärte im vergangenen Jahr gegenüber dem NDR, dass der Hafen schon jetzt sehr stark mit China verbunden sei. “30 Prozent des Warenumschlags in Deutschland mit China komme über den Standort.” Einzig die Gewerkschaft Ver.di sorgt sich um Arbeitsbedingungen und einen wachsenden “Einfluss der Reeder auf die lokalen Logistikbedingungen” durch solche Beteiligungen (China.Table berichtete).

    Innerhalb der Bundesregierung scheint man bislang noch keine gemeinsame Linie gefunden zu haben: Die von den Grünen geführten Außen- und Wirtschaftsministerien sind tendenziell gegen einen Einstieg der Chinesen, wohingegen man im Kanzleramt, wo mit Olaf Scholz ein ehemaliger Erster Hamburger Bürgermeister das Sagen hat, eher wohlwollend auf das Vorhaben blickt.

    So mancher Koalitionspolitiker soll sich aber bereits festgelegt haben: Eine kritische Infrastruktur wie ein Hafenterminal dürfe nicht in chinesische Hände geraten, auch nicht in Teilen. Medienberichte, wonach Wirtschaftsminister Habeck bereits ein Veto gegen den Einstieg von Cosco eingelegt haben soll, werden allerdings dementiert. Und doch: Der Umgang mit dem möglichen Einstieg von Cosco in Hamburg steht exemplarisch für den neuen Umgang Deutschlands mit China, dem Partner und Rivalen.

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    Mehr arbeitslose Jugendliche als je zuvor

    Arbeitslose Jugendliche in China: Arbeitssuchende stehen Schlange vor einer Foxconn-Fabrik in Shenzhen.
    Arbeitssuchende stehen Schlange vor einer Foxconn-Fabrik in Shenzhen.

    Xin Chen hatte sich den Start ins Berufsleben anders vorgestellt. Vergangenes Jahr machte er in der südchinesischen Metropole Shenzhen seinen Abschluss in Informatik. Eigentlich wäre ihm damit ein Job bei einem der chinesischen Tech-Giganten sicher gewesen. Doch trotz zahlreicher eingereichter Bewerbungen hat es für den 23-Jährigen mit einer Anstellung noch immer nicht geklappt.

    “Es gibt kaum noch Stellenausschreibungen”, erzählt Xin, der sich jetzt als Essenslieferant durchschlagen muss, um seinen Lebensunterhalt leidlich zu finanzieren. “Ich sehe nicht, dass sich meine Situation bald bessern wird”, sagt er im Gespräch mit China.Table.

    So wie Xin geht es vielen jungen Chinesen. Chinas städtische Jugendarbeitslosenquote erreichte im Juli 19,9 Prozent. Nach Angaben des Pekinger Statistikamtes ist das der höchste Wert, seit es mit der Erfassung der Jugendarbeitslosigkeit im Januar 2018 begonnen hat.

    Jugendliche haben es besonders schwer

    Damals lag die Quote noch bei 9,6 Prozent, was im internationalen Vergleich kein außergewöhnlich hoher Wert ist. Die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen zwischen 16 bis 24 Jahren fällt in der Regel höher aus als in der Gesamtbevölkerung. In der Krise sparen Unternehmen schließlich zuerst am Nachwuchs. Erfahrene Mitarbeiter haben es dagegen etwas leichter, ihren Job zu halten oder eine neue Anstellung zu finden, was sich auch in China an der Statistik ablesen lässt. Die generelle Arbeitslosenquote in den Städten lag dort zuletzt bei weiterhin relativ niedrigen 5,4 Prozent.

    Junge Chinesen leiden vor allem unter den strengen Corona-Maßnahmen, die der Wirtschaft schweren Schaden zufügen. Das gibt auch das Statistikamt offen zu. “Unternehmen, die inmitten der Covid-Pandemie zu kämpfen haben, sind weniger in der Lage, neue Arbeitskräfte aufzunehmen”, analysierte ein Behördensprecher für jüngsten Zahlen.

    Das Phänomen einer hohen Jugendarbeitslosigkeit in Krisenzeiten kennt man auch im Westen. In Südeuropa gab es für viele junge Menschen nach der Finanzkrise 2008 ebenso wenig Perspektive wie für deren Altersgenossen im heutigen China. In Spanien hatte damals über 20 Prozent aller 16-24-Jährigen keine Arbeit. Rechnete man alle Studenten und Schüler der Altersklasse heraus, waren es sogar mehr als 50 Prozent ohne Arbeit. Auch jungen Menschen in Italien oder Griechenland ging es nicht viel besser. Viele versuchten schließlich ihr Glück in anderen EU-Staaten.

    Tech-Konzerne fallen bei Einstellungen aus

    Diese Option haben junge arbeitslose Chinesen nicht. Allein ihre schiere Anzahl macht es unmöglich, dass sie von anderen Arbeitsmärkten, in denen die Pandemie kein so großes Thema mehr ist, absorbiert werden können. Das Arbeitslosen-Problem in China hat eine besondere Wucht, weil auf die geringe Nachfrage von Unternehmen ein noch nie dagewesenes Angebot neuer Arbeitskräfte trifft. Mit 10,76 Millionen Studenten machen in diesem Jahr so viele Chinesen ihren Abschluss wie noch nie. Die Zahl der erwarteten Absolventen liegt damit um 18,4 Prozent höher als noch 2021.

    In der Vergangenheit waren es oft Chinas Tech-Konzerne, die besonders bei hoch qualifizierten Uni-Absolventen gerne zugriffen. Doch viele von ihnen sind nicht nur durch die allgemeine Wirtschaftskrise geschwächt, sondern müssen auch noch den Regierungs-Crackdown der vergangenen zwei Jahre verdauen. Durch die Bank haben Konzerne wie Tencent oder Alibaba Neueinstellungen in Teilen ihrer Unternehmen ausgesetzt und sogar Personal abgebaut. 

    Peking weiß, dass es die Probleme am Arbeitsmarkt lösen muss, da eine zu hohe Arbeitslosigkeit sich auf die Zufriedenheit der Menschen und damit auf die Stabilität im Land auswirken könnte. Lu Feng, Ökonom an der Universität Peking, schlägt vor, dass die Regierung staatlich geförderte Kurzeit-Arbeitsprogramme einführen könnte. Auch sollten Unternehmen subventioniert werden, damit sie Studenten zumindest Praktika anbieten können. Doch allein das wird sicher nicht reichen. Für den Arbeitsmarkt gilt wie für die gesamte Wirtschaft: Hält Peking an den strikten Coronavirus-Maßnahmen fest, dürfte eine baldige Erholung ausbleiben. Jörn Petring/Gregor Koppenburg 

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    USA wollen Chip-Export weiter einschränken

    Die US-Regierung um Präsident Joe Biden plant offenbar, im kommenden Monat amerikanische Lieferungen von Halbleitern nach China weiter zu einzuschränken. Im Fokus stehen Halbleiter, die in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Chipherstellung verwendet werden. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und bezieht sich dabei auf mehrere Personen, die mit der Angelegenheit vertraute sein sollen.

    Dem Bericht zufolge beabsichtige das US-Handelsministerium, neue Vorschriften auf der Grundlage der schon bestehenden Beschränkungen zu veröffentlichen. Diese waren Anfang dieses Jahres schriftlich den drei US-Unternehmen – KLA Corp, Lam Research Corp und Applied Materials Inc. mitgeteilt worden.

    Demnach ist es den Unternehmen untersagt, Ausrüstung zur Chipherstellung an chinesische Fabriken, die fortschrittliche Halbleiter mit Sub-14-Nanometer-Prozessen herstellen, zu verkaufen. Einzige Ausnahme: Das Handelsministerium stellt explizit eine Exportgenehmigung aus. Entsprechende Vorgaben wurden zuletzt auch den Unternehmen Nvidia Corp und Advanced Micro Devices gemacht. Sie wurden zudem aufgefordert, Lieferungen mehrerer KI-Rechenchips nach China einzustellen. 

    China ist auf den Import von Halbleitern aus den USA angewiesen. Zuletzt war Chinas monatliche Chipproduktion dramatisch zurückgegangen – und zwar auf den niedrigsten Stand seit 2020 (China.Table berichtete). In dem Bericht von Reuters heißt es nun, dass die neuen Vorschriften wohl zusätzliche Maßnahmen gegen China beinhalten. Auch könnten weitere US-Unternehmen von Einschränkungen betroffen sein, im Gespräch sind Intel Corp oder das Start-up Cerebras Systems.  

    Das Vorgehen der US-Regierung, über solche “Briefe” an Unternehmen neue Regeln zu erlassen, verhindert einen langwierigen Gesetzesprozess. Allerdings gelten die “Briefe” nur für die Unternehmen, denen ein entsprechendes Schreiben auch zugestellt wurde. rad

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    Britische Uni schließt Forschungszentren

    Die britische Hochschule Imperial College wird einem Medienbericht zufolge zwei Forschungszentren schließen, die von chinesischen Luftfahrtunternehmen finanziell unterstützt wurden. Das AVIC Center for Structural Design and Manufacturing habe vom staatlichen chinesischen Rüstungs- und Flugzeugkonzern in der Vergangenheit rund sechs Millionen Pfund erhalten, um an Materialien für die Luft- und Raumfahrt zu forschen, berichtete die britische Zeitung “Guardian” am Montag. Eine weitere Einrichtung sei zusammen mit dem Beijing Institute of Aeronautical Materials (BIAM) betrieben worden. Beide Forschungszentren würden nun bis Ende des Jahres geschlossen, teilte die britische Tech-Uni laut Bericht mit.

    Die Entscheidung sei getroffen worden, nachdem zwei Lizenzanträge aus den Forschungszentren bei der britischen “Export Control Joint Unit” (ECJU) abgelehnt worden waren. ECJU überwacht den Austausch sensibler Forschungsergebnisse mit internationalen Partnern. Die Chefs des britischen Geheimdienstes MI5 und des amerikanischen FBI hatten im Juli vor der von China ausgehenden Spionagebedrohung für britische Universitäten gewarnt (China.Table berichtete). ari

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    Haftstrafen nach Lockdown-Posts

    Die Polizei in Yining in der autonomen Provinz Xinjiang hat vier Menschen vorübergehend in Gewahrsam genommen. Das Quartett, dessen Namen allesamt auf Han-cinesische Abstammung hindeuten, hatte in sozialen Medien kritische Kommentare zum Lockdown in der Grenzregion zu Kasachstan hinterlassen. Sie müssen für fünf bis zehn Tage in Haft, weil ihnen vorgeworfen wird, sie würden Gerüchte verbreiten und Unruhe stiften.

    Die Behörden kontrollieren den Nachrichtenfluss aus dem Gebiet derzeit streng und mit höchster Wachsamkeit, seit sie einen Lockdown über Xinjiang verhängt haben (China.Table berichtete). Dennoch kursieren Videos, die die dramatische Lage in lokalen Haushalten zeigen sollen. Unter anderem sind Bilder von Kindern zu sehen, die apathisch in ihren Betten liegen, weil sie offenbar seit Tagen nichts zu essen bekommen haben.

    Uigurische und kasachische Aktivisten außerhalb der Volksrepublik werfen den Behörden in Yining, das auf kasachisch Gulja heißt, vor, die muslimische Bevölkerung der Stadt nicht mit Lebensmitteln zu versorgen. Schwangere sollen Fehlgeburten erlitten haben, nachdem sie mehrere Wochen zu Hause eingesperrt worden seien. Ein anderes Video zeigt die Leiche eins mittelalten Mannes in einem Bett, der verhungert sein soll. Bestätigungen für die Echtheit der Videos und Vorwürfe gab es zunächst nicht.

    Die Behörden hatten am Wochenende zumindest Mängel bei der medizinischen Betreuung von Bewohnern der 400.000-Einwohner-Stadt.eingeräumt. Offenbar waren entsprechende Hilferufe über eine Hotline eingegangen. In ihrer Verzweiflung posten manche in WeChat-Gruppen Videos, die dann über Aktivisten ins Ausland geschmuggelt werden. In einem weiteren Video fleht ein Mann um Hilfe. Er zeigt Verständnis für den Lockdown, macht aber unmissverständlich auf die Notsituation aufmerksam. Er zeigt einen leeren Kühlschrank und seine drei Kinder am Esstisch, die demnach seit drei Tagen nichts zu essen gehabt hatten. grz

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    Trockenheit auch nach der Hitze

    Chinas Meteorologen schlagen Alarm: Die große Hitzewelle lasse zwar allmählich nach, aber die Dürre in Teilen des Landes sei noch lange nicht vorbei. In manchen Provinzen wie beispielsweise Jiangxi könnte sie gar noch bis in den Herbst andauern.

    Dort befindet sich der Poyang Hu 鄱陽湖, der größte Süßwassersee Chinas. Wie die Zeitung South China Morning Post berichtet, wollen die Behörden in Jiangxi deshalb auch in den kommenden Wochen den Süßwassersee anzapfen. Dafür müssen sie allerdings immer weiter in den Poyang-See vordringen, da auch dessen Wasserstand zuletzt stark zurückgegangen ist. Der Wasserspiegel des Poyang ist zuletzt laut der Jiangxi Water Group täglich um 15 Zentimeter gesunken.

    China war von einer der schlimmsten Hitzewellen und Dürren seit Jahrzehnten betroffen, die Seen und Flüsse im ganzen Land austrockneten (China.Table berichtete). Inzwischen hat die Hitzewelle nachgelassen, aber die Wetterbehörden warnen davor, dass die Dürre in einigen Gebieten, einschließlich Jiangxi, bis in den Herbst andauern könnte.

    Auch in der südwestlichen Großstadt Chongqing sagten die Behörden, die Bedingungen hätten sich mit Regenfällen entspannt. Dennoch fürchten auch sie, dass die Dürre noch lange nicht vorbei sei und bis in den Winter hinein schwerwiegende Folgen haben könnte. rad

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    Presseschau

    Erste Begegnung seit Krieg gegen Ukraine: Chinesischer Präsident Xi trifft Putin auf internationalem Gipfel RND
    Kopfzerbrechen wegen China und Russland vor UN-Menschenrechtsrat BOERSE
    Russia plays up China’s support as it retreats in Ukraine EDITION
    Kampfansage an China: EU verbietet alle Produkte, die in Zwangsarbeit entstanden sind T3N
    Think China is aggressive now? Wait until after the 20th Party Congress THEHILL
    Senate committee to meet this week over bipartisan Taiwan defense bill FOXNEWS
    Taiwan will Vormachtstellung als Halbleiterlieferant weiter ausbauen DE
    Harter Corona-Lockdown in China: Sogar Rettung nach 6,8-Erdbeben behindert DE
    Xinjiang lockdown: Chinese censors drown out posts about food and medicine shortages THEGUARDIAN
    Zero-Covid at what price? Chinese researchers are treading on sensitive ground EDITION
    Exclusive: Biden to hit China with broader curbs on U.S. chip and tool exports REUTERS
    Darf Chinas Staatsrederei Cosco in Hamburg investieren? Bundesregierung ringt um richtigen Kurs MERKUR
    Landtagswahl in Niedersachsen: Grüne wollen im VW-Aufsichtsrat auf Menschenrechte in China achten N-TV
    Schanghai will Chinas Zentrum für intelligentes Fahren werden NZZ
    China soll genug Daten haben, um “Dossier über jeden erwachsenen Amerikaner zu erstellen” DERSTANDARD
    Apple warned by US lawmakers over using Chinese YMTC chips in new iPhone THEREGISTER
    China plans more Moon missions after discovering potential new lunar energy source INDEPENDENT
    Mond-Mission der Nasa: Erste Stimmen warnen davor, dass die USA gegenüber China ins Hintertreffen geraten NZZ
    Prada Cuts Ties With Chinese Star Held in Prostitute Scandal BLOOMBERG
    Demografie: “Die Vorhersagen über den Aufstieg Chinas sind falsch” WELT
    Litauen eröffnet Handelsbüro in Taipeh EURACTIV

    Standpunkt

    Deutschland und China – Die Zwischentöne gehen verloren

    Von Rudolf Scharping
    Rudolf Scharping über die Beziehungen zwischen China und Deutschland.

    Aus dem US-Außenministerium, dem “Office of the Historian”: “Chinese Communists: Short range – no change. Long range – we do not want 800.000.000 living in angry isolation. We want contact … (want) China – cooperative member of international community ….”; Richard Nixon im Januar 1969. Wer die Entwicklung verfolgt, bis zur Aufnahme der Volksrepublik China in die Vereinten Nationen (1975)  oder zur Aufnahme von Beziehungen zu den USA (1979), erkennt schnell: Nie in den letzten Jahrzehnten gab es so wenig direkte Begegnung zwischen China und der Welt.

    Fast drei Jahre der Corona-Pandemie haben zu enormem Stress geführt, gleich ob im menschlichen oder kulturellen, im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Austausch. Wo man “screen to screen” kommuniziert, gehen Zwischentöne verloren, also Chancen auf besseres Verständnis, auf allmähliche Annäherung oder gar Verständigung. Der Angriff Russlands auf die Ukraine verschärft diese Entfremdung.

    Die Antworten auf die sich überlagernden (und sich gegenseitig verschärfenden) Gefahren für Klima und Bio-Diversität, für Frieden und stabile Entwicklung, für Gesundheit oder den Zusammenhalt der Gesellschaften, sind zum Teil fundamental verschieden. Deutschland und Europa sollten genau hinschauen.

    Dieses Jahr markiert auch den 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und China. Ministerpräsident Fumio Kishida sprach kürzlich von dem Ziel konstruktiver und stabiler Beziehungen zwischen beiden Staaten. Wie Südkorea, Australien und Neuseeland haben die Japaner die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) mit China und den ASEAN-Staaten ratifiziert. Diese größte Freihandelszone der Welt repräsentiert das wirtschaftliche und politische Interesse an gemeinsamer und stabiler Entwicklung für ein Drittel der Menschheit und auch der weltwirtschaftlichen Leistung.

    Ein differenzierteres Bild von der Wirklichkeit gewinnen

    Indien, Brasilien, Südafrika und China gehören zu jenen Staaten, die den Angriff Russlands auf die Ukraine für eine zuvörderst europäische Angelegenheit halten. So machen beispielsweise Unternehmen aus Indien gute Geschäfte mit dem Einkauf russischen Erdöls (gegen Rabatt) und dem Weiterverkauf der erzeugten Produkte (zu Weltmarktpreisen).

    Deutschland und Europa sollten ein differenzierteres Bild von der Wirklichkeit gewinnen, auch von China. Umgekehrt gilt das auch. Bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1972 tobte in China die Kulturrevolution, zerstörte Menschen, zerriss Familien, ruinierte China in jeder Hinsicht. Die politische Lage war, gelinde gesagt, komplex. Deutschland aber nahm Beziehungen auf und leistete einen Beitrag zu konstruktiver Friedens- und Entwicklungspolitik.

    Und heute: Es breitet sich der Slogan aus von der “Abhängigkeit”, der man durch “De-Coupling” begegnen könne, ja müsse. Betrachtet man die gegenseitigen Abhängigkeiten nüchtern, dann kommt das Bild von Volkswirtschaften und Gesellschaften zum Vorschein, die aufeinander angewiesen sind.

    Ob medizinische Wirkstoffe (bis zu 70 Prozent aus China) oder Halbleiter, ob Vorprodukte für Maschinen- und Anlagenbau oder die Chemieindustrie, ob Seltene Erden oder anderes, für unsere Energiewende unverzichtbares Material – die Liste ließe sich beliebig verlängern, in beide Richtungen. Nie war der Handel umfangreicher, die Investitionen höher, die Forschung und Entwicklung intensiver – trotz Corona. Aber es geht ja um viel mehr als die wirtschaftlichen Vorteile einer globalen Arbeitsteilung und deren Absicherung in einem stabilen politischen Rahmen.

    China kann eine internationale Eskalation nicht gebrauchen

    Die Grundlagen menschlichen Lebens sind weltweit herausgefordert. Darauf werden wir zukunftsfeste Antworten nur gemeinsam finden. Zwei Beispiele: Ohne China gibt es keine global tragfähige Antwort auf den Klimawandel. Die Ziele Chinas sind ambitioniert, bleiben aber zurück hinter den Erfordernissen und auch den technischen Möglichkeiten. Dies aber wird sich nur ändern, wenn man in Verhandlungen bessere Lösungen für alle Seiten findet.

    Lieferketten müssen resilienter werden, der Bezug von Rohstoffen, Energie oder anderen Produkten diversifizierter – das richtet sich aber gegen niemanden, sondern entspricht den jeweils eigenen Interessen. In China versteht man das sofort – wie RCEP allen zuletzt vor Augen führte. Überdies: China, die USA und auch Europa haben jeweils “zu Hause” dermaßen große Herausforderungen zu meistern, da braucht niemand eine eskalierende internationale Lage.

    Wo nüchterne Interessenvertretung rhetorisch aufgeladen wird, ist  Eskalation nicht weit. Demokratische Gesellschaften verbinden Interessen und Haltungen. Daran kann es keine Abstriche geben. Auch das versteht man in China. Wer bei welcher Gelegenheit was sagt und seinem Gegenüber wie viel zumutet, das steht auf einem anderen Blatt. Als Hinweis: 1992 besuchte der japanische Kaiser China; es war die Zeit ausgiebigster Freundschaftsbekundungen. Akihito brachte sein “Bedauern” (!) zum Ausdruck über andere (nicht näher angesprochene) Teile der Geschichte.

    Wir würden vor Empörung aufschreien, wollte ein deutsches Staatsoberhaupt sich in Polen oder Frankreich so äußern zu der Geschichte zwischen, sagen wir einmal, 1830 und 1945. Die chinesischen Gastgeber des Tenno jedoch sagten nur freundlich, dass es dieser Anmerkung nicht bedurft hätte; und genau so war es gemeint in dieser Zeit und unter den damaligen Umständen.

    Aufforderung an Peking, verantwortungsvoll zu agieren

    China muss entscheiden, ob es die Grundlagen seines Erfolges (vor allem seit dem Beitritt zur WTO) “zurückbauen” will. So kann man manches wahrnehmen aus den Entscheidungen der letzten Jahre. Ob die Politik der Reform und Öffnung so sicher fortgesetzt wird wie Yangtze und Gelber Fluss stromabwärts fließen, das muss sich zeigen.

    Jedenfalls bleibt es ja nicht bei bloß wirtschaftlichen Konsequenzen der Repressionen rund um Covid – die breite Unterstützung in der chinesischen Bevölkerung des Jahres 2020 hat sich verwandelt in Frust und Zorn, in einem Maße, das auch die Führung in Peking nicht einfach ignorieren kann. Nicht zuletzt: Dass die brutalen Folgen des Ukraine-Krieges für die weltweite Nahrungsversorgung mithilfe der Vereinten Nationen und der Türkei gemildert werden konnten, ist ein gutes Zeichen – für China ist es eher eine dringende Aufforderung, wirklich aktiv und verantwortlich zu agieren.

    Denn auch der Frieden ist eine weltweite Herausforderung, die ohne China nicht zukunftsfest beantwortet werden kann. Henry Kissinger wurde gefragt nach dem Pelosi-Besuch in Taiwan (der für niemanden hilfreich war); seine Hoffnung sei es, dass die USA Außenpolitik betreiben und sich dabei leiten lassen von Interessen, nicht von Innenpolitik.

    Rudolf Scharping war zwischen 1998 und 2002 Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland und ist ehemaliger Bundesvorsitzender der SPD. Mit seiner Beratungsfirma RSBK unterstützt er seit über 15 Jahren Unternehmen beim Markteintritt in China.

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    Mark Gibbs verlässt den Software-Entwickler SAP. Nach rund neun Jahren als President Greater China wechselt Gibbs zu UiPath Inc, einem amerikanischen Entwickler für Automatisierungssoftware.

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    Dessert

    Während der dreitägigen Feierlichkeiten des Mondfestes, die gestern zu Ende gegangen sind, erwiesen sich die Longmen-Grotten in Luoyang in der Provinz Henan wie üblich als Magnet für chinesische Touristen. Mit 2.345 Nischen und mehr als 100.000 Buddha-Statuen zählen die Grotten zu den bedeutendsten buddhistischen Wallfahrtsstätten Chinas. Ihr Baubeginn liegt mehr als 1.500 Jahre zurück.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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