wie gefährdet ist Taiwan? Darüber haben wir mit Eberhard Sandschneider gesprochen. Der ehemalige Professor der FU Berlin ist einer der profiliertesten Experten für Sicherheitspolitik – und für das chinesische Militär. Eine baldige Invasion der Insel befürchtet Sandschneider zwar nicht: Das Risiko sei zu hoch, sich mit den USA anzulegen, erklärt er Michael Radunski. Doch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten könnte es durchaus zu einem amerikanisch-chinesischen Krieg kommen. Da die Volksbefreiungsarmee zudem intern und extern immer stärker wird, kann dann doch noch eine Katastrophe drohen.
In Shanghai dauert der Lockdown nun schon die entscheidenden Tage zu lang. Da er ursprünglich nur auf wenige Tage angelegt war, gehen vielen Bewohnern der Stadt die Lebensmittel aus – und die Geduld. Das betrifft auch die Ausländer in der Stadt. Viel von ihnen ärgern sich trotz allem Verständnis für die Pandemiebekämpfung besonders darüber, dass sie die Stadt nur unter großen Schwierigkeiten verlassen können. Stattdessen steigt die Angst, in eine Quarantäne-Einrichtung eingewiesen zu werden, schreibt Christiane Kühl. Dort wiederum herrscht Lazarett-Stimmung. Omikron macht derweil seinem Ruf alle Ehre und sucht sich selbst in der stillgelegten Stadt immer neue Infektionsopfer.
Herr Sandschneider, der Krieg in der Ukraine ist noch nicht zu Ende, da sieht so mancher Experte schon den nächsten Kampf bevorstehen: China wird die Ablenkung des Westens mit Russland nutzen und Taiwan endlich zurück ins Mutterland holen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Nein, so verlockend dieser Vergleich und die Parallelen für manchen sein mag, die Ausgangslage in Asien ist doch eine völlig andere. Taiwan verfügt über die am besten ausgerüstete und die am besten ausgebildete Armee im West-Pazifik. China würde sich eine sehr blutige Nase holen. Hinzu kommt der Taiwan Relations Act, durch den die USA eng mit Taiwan verbunden sind. Es gibt ein Beistandsversprechen. Chinas Präsident Xi Jinping ist sich dieses Risikos bewusst. Insofern sind die aktuellen Spekulationen über einen möglichen Angriff Chinas auf Taiwan wirklich fehl am Platz. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Nicht vorstellen? Gleiches hätte man vor einigen Wochen wohl auch über einen möglichen Angriff Russlands auf die Ukraine gesagt. Die Realität ist eine andere.
Ja, es stimmt, man soll niemals nie sagen. Und man muss tatsächlich mit solchen Aussagen vorsichtig umgehen, aber so wie ich die Lage einschätze, mache ich mir um die Sicherheit Taiwans derzeit keine allzu großen Sorgen.
In Bezug auf Putin heißt es nun: Hätten wir ihm mal genau zugehört, dann wären wir jetzt nicht so überrascht. Er hat doch deutlich gesagt, was er von der Ukraine hält. Und auch Xi Jinping lässt keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen: Taiwan gehört zu China und muss zurück zum Mutterland.
Absolut richtig. Deshalb spreche ich auch nur vom Jetzt. Wer sich die chinesischen Pläne anschaut, weiß, dass sich die kritische Phase für Taiwan bis ins Jahr 2049 erstreckt. Und dass Xi Jinping die Ambitionen hat, ähnlich Großes zu erreichen wie Mao oder Deng Xiaoping steht außer Frage.
Also doch ein Risiko?
Das Risiko ist da. Deshalb müssen wir tun, was wir im Falle der Ukraine versäumt haben: Unmissverständlich klarmachen, dass der Westen entschlossen und geschlossen reagieren würde. US-Präsident Joe Biden hat in diesem Zusammenhang zu Recht die strategische Ambivalenz seiner Vorgänger abgeräumt und klargestellt, dass man im Falle eines chinesischen Angriffs Taiwan militärisch zur Seite stehen würde.
Lassen wir mal kurz die politische Komponente beiseite und schauen auf das Militär: Wie sähe es da mit einem Angriff auf Taiwan aus?
Es gibt unzählige Simulationen, die zeigen, wie ein chinesischer Angriff auf Taiwan aussehen könnte. Alles liegt auf dem Tisch bis ins kleinste Detail, von einer Internetblockade bis hin zu einer Seeblockade. Und in all diesen Szenarien wäre China derzeit der Verlierer.
Tatsächlich? In welcher Verfassung befindet sich denn das chinesische Militär?
Es holt dramatisch schnell auf. Wir alle waren dieses Jahr doch überrascht, dass der Militäretat nur moderat ansteigt. In den Jahren davor ist das Budget mal um 11 Prozent, mal um 17 Prozent gewachsen. Wenn man das in US-Dollar übersetzt, sind das offiziell rund 230 Milliarden Dollar – pro Jahr.
Klingt viel. Ist im Vergleich zu den USA mit seinen Militärausgaben von rund 770 Milliarden US-Dollar aber doch deutlich weniger.
Stimmt. Aber die Entwicklung ist eindeutig und schnell. Zu Beginn des Reformprozesses wurde das Militär hinten angestellt, allerdings verbunden mit dem Versprechen: Wenn die wirtschaftliche Leistung es hergibt, bekommt ihr Geld und Aufmerksamkeit. Das ist jetzt der Fall, wie beispielsweise die Liaoning zeigt. Chinas erster Flugzeugträger aus ursprünglich russischen Beständen, der zweite stammt aus Chinas Eigenproduktion. Sechs weitere sollen gebaut werden.
Dennoch gilt vielen die Volksbefreiungsarmee aber als schwach und in ihrer Struktur veraltet. Wo liegen die Probleme?
Die Volksbefreiungsarmee hat einen riesigen Wasserkopf, nämlich das überdimensionierte Landheer, welches zudem technisch nicht einmal sonderlich gut ausgestattet ist. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Zeit für Chinas Militär ist gekommen. Der Umbau läuft, die Schwerpunkte liegen mittlerweile auf Marine, Luftwaffe, Weltraumrüstung und Cyberwar. Also auf Bereichen, in denen sie relativ schnell den amerikanischen Streitkräften großen Schaden zufügen können.
Das ist das große Ziel?
Ja. China misst sich nur mit einem Land, den USA. Aktuell hat China eine Militärbasis im Ausland, in Djibouti. Die Angaben zu den US-Stützpunkten variieren, je nachdem, welche Maßstäbe man an eine Militäreinrichtung anlegt. Zurückhaltend gezählt sind es 163 Basen, auf der gesamten Welt verteilt. Das muss für China wie eine Einkreisung wirken. Und deshalb wird China neue Militärstützpunkte im Ausland aufbauen.
Was glauben Sie, wo das sein wird?
Es gibt eine ganze Reihe an ausgebauten Tiefseehäfen, die sich anbieten, zum Beispiel in Hambantota auf Sri Lanka. Der chinesische Bau des dortigen Tiefseehafens ist doch aberwitzig. Bevor China kam, landeten dort vielleicht mal fünf Schiffe im Jahr an. Aber der Hafen liegt geostrategisch ideal für chinesische Kriegsschiffe. Oh, ich sehe schon. Jetzt werden Sie das gleich wieder kritisieren.
Okay, dann mache ich das. Eine Militarisierung der Seewege kann nicht im Interesse des internationalen Freihandels sein.
Richtig, aber hier geht es um Chinas Interessen. Betrachten Sie es mal welthistorisch: Ein Land von dieser Größe, mit diesem wirtschaftlichen Erfolg über viele Jahre hinweg, das übersetzt irgendwann zwangsläufig wirtschaftliche Stärke in militärische Macht. Das Versprechen, das Deng Xiaoping einst den chinesischen Generälen gegeben hat, wird nun umgesetzt.
Das wird zwangsläufig zu Reibereien mit der Weltmacht USA führen.
Das wird nicht dazu führen, das ist schon jetzt der Fall. Was derzeit im Südchinesischen Meer passiert, ist nur ein harmloses Vorgeplänkel. Die Konflikte werden zunehmen, so wie China sein gesteigertes Selbstbewusstsein immer mehr nach außen tragen wird.
So mancher fürchtet, dass auch einem Zwischenfall im Südchinesischen Meer unversehens mal ein Krieg zwischen den USA und China entstehen kann.
Aktuell wäre es nicht ratsam für China, einen Konflikt mit den USA einzugehen. Das werden sie auch nicht tun. Aber Sie haben recht. Ben Hodges, der ehemalige Oberkommandierende der US-Streitkräfte, wird nicht müde, darauf hinzuweisen, er rechne in den nächsten zehn Jahren mit einem Krieg zwischen China und den USA. Das wäre dann der Dritte Weltkrieg.
Sie sind da entspannter?
Na ja. Aus meiner Sicht gibt es vor allem zwei Gefahren: das Zufallsrisiko und das Risiko einer falschen Perzeption, wenn man die andere Seite falsch einschätzt und dann Fehler macht. So wie es aktuell mit Putin der Fall ist. Aber ich bleibe dabei: Derzeit schätzt Xi Jinping das Risiko richtig ein. Nur ob das in zehn Jahren noch so ist, weiß ich nicht.
Das Problem hierbei: Bei einem möglichen Konflikt gibt es zwei Seiten.
Ja, und genau das bereitet mir dann doch ein paar Sorgen. Die China-Debatte in den USA hat enorm an Schärfe gewonnen. Es gibt kaum einen Politiker, der China nicht als die größte Herausforderung der Zeit ansieht. Und im Unterschied zu Deutschland und Europa beinhaltet das auch immer die militärische Komponente. Ich war bei einer Diskussionsrunde im Dirkson Senate Building in Washington D.C., da sagte eine US-Kollegin: War is not the worst option – Krieg ist nicht die schlechteste Option. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Mir hat es total die Sprache verschlagen. Aber um mich herum hat keiner auch nur gezuckt.
Eberhard Sandschneider war von 1998 bis 2020 Professor für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Von 2003 bis 2016 war er zudem Otto-Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Inzwischen ist er Partner bei der Beratungsfirma “Berlin Global Advisors”.
Ein Ende der harten Corona-Bekämpfung in Shanghai ist nicht in Sicht. Am Samstag stellten die Behörden zwar vage in Aussicht, erste Stadtbezirke wieder teilweise zu öffnen. Voraussetzung dafür: Kein einziger positiver Test unter den dortigen Einwohnern in den vergangenen 14 Tagen. Doch daraus wird vorerst nichts. Die Fallzahlen steigen unerbittlich weiter. Am Sonntag wurden 24.943 Infektionen neu entdeckt. Vor einer Woche waren es noch weniger als 10.000 am Tag. Inzwischen steigt auch die Zahl der Fälle mit Symptomen. Am Sonntag waren es über tausend, dreimal so viele wie am Donnerstag.
Ein weiteres Problem sind die noch immer lückenhaften Nahrungsmittellieferungen. Die Behörden mussten einräumen, dass es bei den Essenslieferungen Probleme auf den “letzten 100 Metern” gebe. Vielen Bürgern gehen inzwischen ernsthaft die Lebensmittel aus. Auch Deutsche berichten vor Ort davon, dass sie keinen Reis und kein Gemüse mehr im Haus haben. “Wir gehen jetzt wortwörtlich ans Eingemachte”, sagt ein Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens.
Die Nervosität der Ausländer in Shanghai nimmt spürbar zu, wegen des Eingesperrtseins – in der Wohnung, in der Stadt, in China. Taxis und U-Bahnen verkehren derzeit nicht. Reisen aus Shanghai in andere Regionen Chinas sind wegen der verschiedenen Quarantäne-Regeln praktisch unmöglich: Entweder kommt man aus Shanghai nicht heraus, oder in andere Städte nicht hinein. So ist es nicht möglich, von Shanghai in den Nachbarort Taicang zu fahren, wo viele deutsche Firmen Fabriken haben, deren Mitarbeiter teilweise aus Shanghai dorthin pendeln – eigentlich.
Der Betrieb an den beiden Flughäfen ist auf ein Minimum geschrumpft. Die meisten internationalen Flüge müssen auf Nachbarstädte ausweichen. Dazu wurde in den letzten Tagen ein großer Teil der ohnehin wenigen planmäßigen Flüge aus Shanghai gecancelt, da das Bodenpersonal wegen des Lockdowns nicht zu den Flughäfen gelangte. Auch die Lufthansa musste deswegen mehrere Flüge nach Deutschland streichen.
Das Generalkonsulat der Bundesrepublik organisierte am Donnerstag nach Informationen von Deutschen in Shanghai zwei Online-Veranstaltungen, in denen die Diplomaten die Sorgen ausreisewilliger Menschen ansprachen: mangelnde Erreichbarkeit der Airlines und des Konsulats, keine Transportmöglichkeiten zum Flughafen oder die Schwierigkeiten, die Ergebnisse der nötigen PCR-Tests im vorgeschriebenen Zeitfenster zu bekommen. Die deutsche Außenhandelskammer in China (AHK) organisiert weiterhin zweimal im Monat Charterflüge aus Frankfurt nach Qingdao und zurück. Ähnliche Flüge nach Shanghai seien aktuell aber nicht geplant, teilte die AHK auf einem Webinar am Freitag mit.
Nach zwei Jahren ohne Heimaturlaub zerrt das Gefühl des Eingesperrtseins und die Aussicht auf einen weiteren Sommer in China an den Nerven vieler Expatriates und ihrer Familien. In mehr als 70 Städte im ganzen Land gelten nach EUCCC-Angaben inzwischen wieder coronabedingte Einschränkungen. China wird als Arbeitsplatz für Ausländer dadurch immer weniger attraktiv. Die Zahl der ausländischen Manager und Experten habe sich bis zum Sommer 2021 nach groben Schätzungen gegenüber Vor-Covid-Zeiten bereits halbiert, sagt EUCCC-Präsident Jörg Wuttke. “Die Zahl könnte sich in diesem Sommer noch einmal halbieren.” Die Lage in Shanghai dürfte den Trend erheblich beschleunigen.
Die Stadtverwaltung teilte am Freitag mit, dass 130.000 Betten für Coronavirus-Infizierte zur Verfügung stehen oder noch bereitgestellt werden. Man ist dabei, das National Exhibition and Convention Center in Hongqiao in die dann größte Isolierstation Shanghais umzufunktionieren – mit Kapazitäten für mindestens 40.000 positiv Getestete ohne Symptome. Die Nachbarprovinzen Zhejiang und Jiangsu stellten weitere 60.000 Betten für Menschen bereit, die aus Shanghai zur Quarantäne überstellt werden. Daraus geht hervor, dass die Behörden eine weitere Verschlechterung der Lage erwarten.
Aus dem bislang größten Quarantäne-Zentrum mit 15.000 Betten kursieren bereits abschreckende Berichte und Videos auf sozialen Medien. Sie zeigen riesige Räume mit Schlafwaben, lange Schlangen vor den Waschbecken oder Reihen von Dixi-Toiletten in wenig anheimelnden Hallen. “Es gibt eine große Angst, in eines der zentralen Quarantänezentren geschickt zu werden“, sagte Bettina Schön-Behanzin, Vorsitzende der EU-Handelskammer in Shanghai, vergangene Woche auf einem Webinar der EU-Kammer in China (EUCCC). In manchen Zentren reiche das Personal nicht aus. “Dort werben sie Patienten an, etwa um Essen zu verteilen.” Die ständigen PCR-Tests in den Wohnanlagen fänden teilweise in den frühesten Morgenstunden statt, berichten Anwohner. Auch das stresst, zumal dann das bange Warten auf das Ergebnis folgt.
Einer der wenigen, der während des Lockdowns aus Shanghai herausfliegen konnten, ist Ingo Matter. Sein eigentlich gebuchter Flug nach Paris sei gestrichen worden, erzählt der Deutsche, der mit Sitz in Shanghai einen internationalen Motorsport-Rennstall betreibt. Er ergatterte stattdessen ein Ticket nach Singapur, von wo aus er nach Paris weiterreisen konnte.
Neben seinem Flug nach Singapur war am Donnerstag im internationalen Terminal des Flughafens von Pudong nur ein einziger weiterer internationaler Flug angezeigt, das Terminal war menschenleer. Eigentlich soll es in Pudong gar keine internationalen Flüge mehr geben. “Auf dem Weg zum Flughafen Pudong waren wir das einzige Auto auf der Straße“, sagt Matter. Er habe nur über Bekannte von einem Fahrdienstunternehmen erfahren, das eine der wenigen Sondergenehmigungen für Fahrten zum Flughafen besaß. “Es ist schon surreal”, sagt Matter. Als er den für die Einreise nach Singapur nötigen PCR-Test machen musste, fuhr der Deutsche mit dem eigenen Wagen in die Klinik. Dafür brauchte er eine Sondererlaubnis, zweimal musste er an Straßensperren halten. Die Polizei prüft unter anderem die Gesundheits-App und die Genehmigung für die Fahrt.
Matter wohnt mit Ehefrau und Sohn in einer relativ kleinen Wohnanlage. Dort habe die Lieferung von Nahrungsmitteln durch das Nachbarschaftskomitee bislang gut geklappt. Er selbst und seine Familie seien daher entspannt gewesen. Doch er hat Bekannte in größeren Quartieren, in denen das Management für die Versorgung der vielen Bewohner nicht genug Mitarbeitende habe. Die Gesellschaft in Shanghai beginne sich zu spalten, hat Matter festgestellt. “Jüngere zweifeln die Härte der Maßnahmen inzwischen stärker an, während die Älteren eher linientreu bleiben.” Linientreu heißt: Sie stützen die Null-Covid-Politik.
Die Mehrheit der Chinesen scheint den Kurs der Regierung zwar zu akzeptieren. Doch viele Shanghaier beschwerten sich in sozialen Medien über die plötzlichen und schlecht kommunizierten Maßnahmen. Die Trennung positiv getesteter Kinder von ihren Eltern musste die Stadtregierung aufgrund von Protesten wütender Anwohner zumindest teilweise zurücknehmen. Einige Shanghaier Bürger schrien zuletzt gar Selbstmorddrohungen aus dem Fenster.
Manche Beobachter mutmaßen bereits, dass es innerhalb der KP deshalb bereits riesigen Ärger gibt. Drei Kader wurden bereits ihrer Posten enthoben. Peking könne wegen des Chaos in der Stadt den Shanghaier KP-Chef Li Qiang absetzen, lautet eine Spekulation. Li galt bislang allerdings als Vertrauter von Staatschef Xi Jinping und Kandidat für den Aufstieg in den mächtigen Ständigen Ausschuss des Politbüros. Ob Xi einen Getreuen opfern wird, ist allerdings fraglich.
Der Präsident verteidigte am Freitag erneut die strikte Null-Covid-Politik des Landes. Bei einer Ehrung von Olympia-Teilnehmern sagte Xi, bei den Winterspielen von Peking habe Chinas Corona-Politik “einmal mehr den Test bestanden”. Erst vergangene Woche hatte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua betont, Xi persönlich habe die Null-Covid-Politik entworfen. Eine Lockerung dieser Strategie ist also eher nicht zu erwarten.
Der chinesische Elektroautobauer Nio hat wegen Lieferkettenausfällen im Zuge der Corona-Krise die Produktion ausgesetzt. Mehrere Lieferpartner hätten seit März “aus Gründen, die mit der Epidemie zu tun haben”, etwa in Jilin, Shanghai und Jiangsu einer nach dem anderen ihre Produktion unterbrochen und müssten sich davon noch erholen, teilte der Tesla-Rivale am Samstag mit. Als Folge habe Nio seine Herstellung ebenfalls stoppen müssen. Das Unternehmen kündigte an, die Auslieferung von Fahrzeugen zu verschieben. Man bemühe sich zusammen mit den Zulieferern darum, die Produktion wieder in Gang zu bringen und gleichzeitig die Corona-Auflagen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie einzuhalten. rtr
Angesichts geo- und gesundheitspolitischer Krisen will die chinesische Regierung die Konjunktur stützen. Premier Li Keqiang kündigte die Anwendung neuer Instrumente an, um der Wirtschaft einen Schub zu geben. “Bereits eingeführte Maßnahmen sollten so schnell wie möglich umgesetzt werden”, sagte Li einer am Freitag veröffentlichten Mitteilung des Staatsrates zufolge. “Wir sollten zudem neue Gegenmaßnahmen ins Auge fassen.” Die globale Situation sei “kompliziert” und in China gebe es “pandemische Ausbrüche”. Ziel sei es nun, die Verbraucherpreise und den Arbeitsmarkt zu stabilisieren.
Die Ankündigung von frischem Konjunkturgeld hebt in China meist schon deutlich die Stimmung der Wirtschaft. Meist verbirgt sich dahinter eine Vereinfachung der Kreditvergabe plus Start neuer staatliche Bauprogramme. Kommende Woche gibt das Statistikamt die Wirtschaftszahlen für das erste Quartal bekannt. fin
Die Beratungsfirma Horizon bringt die Herstellung von Aluminium in der Region Xinjiang mit Zwangsarbeit in Verbindung. Falls die Darstellung richtig ist, drohen auf längere Sicht Auswirkungen auf die deutsche Autoindustrie, die Vorprodukte aus dem Metall von chinesischen Zulieferern beziehen. Horizon zufolge könnten acht führende Aluminium-Produzenten vom “Arbeitskräftetransfers” des Aufbau- und Produktionscorps in Xinjiang profitieren. Das gehe aus Regierungs- und Firmendokumenten hervor. Die Beratungsfirma gibt aber ausdrücklich zu, keine harten Belege für den Einsatz von Zwangsarbeit zu haben.
Als Beispiel nennt der Horizon-Bericht die Firma Xinjiang Zhonghe 新疆众和. Es handelt sich um einen staatseigenen und militärnahen Betrieb aus Urumqi. Er nimmt an Berufsausbildungsprogrammen für Wanderarbeiter teil, die unter Menschenrechtsexperten keinen guten Ruf genießen. Xinjiang Zhonghe beliefert Autozulieferer wie Beijing WKW Automotive Parts. WKW wiederum produziert für VW, BMW, BYD und Nio. Die EU plant in ihrem Lieferkettengesetz eine Sorgfaltspflicht für Menschenrechtsaspekte in der Produktion (China.Table berichtete). fin
“In China ist es verpönt, positiv über sich selbst zu sprechen”, sagt Christoph Schmitt. Also erzählt er, was andere über ihn sagen: Er sei ein ungewöhnlicher Wirtschaftsanwalt. Denn er interessiere sich nicht nur für Paragrafen, er könne gut zuhören und er schaffe Lösungen. All diese Eigenschaften sind wichtig, wenn er beispielsweise Joint-Venture-Verträge zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen erstellt. “Nachdem durch die Geldpolitik von Xi Jinping die Auslandsinvestitionen schwieriger geworden sind, sind an diese Stelle eine Vielzahl an Kooperationen getreten, die verhandelt werden müssen”, sagt der 58-Jährige. Solche Verhandlungen bestimmen sein Tagwerk.
Gemeinsam mit seinem siebenköpfigen deutsch-chinesischen Team berät Christoph Schmitt deutsche Unternehmen, die sich in China niederlassen wollen – wie auch chinesische Unternehmen, die in Deutschland Fuß fassen wollen. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Fragen, zum Beispiel: Kann ein Chinese, der nicht in Deutschland lebt, Geschäftsführer eines deutschen Unternehmens werden? Welche Genehmigungen braucht er, um hier tätig zu werden? Welche Aspekte des Wettbewerbsrechts und welche technischen Anforderungen muss er beachten, wenn er Produkte auf den europäischen Markt bringen will?
Mit den kulturellen Gepflogenheiten in China kennt sich Christoph Schmitt sehr gut aus, denn er ist seit 25 Jahren im China-Geschäft tätig und war schon über 80 Mal in China. “Deutsch-chinesische Geschäfte kommen nicht dadurch zustande, dass man deutsche Unternehmer nach Shanghai einlädt und mit chinesischen Unternehmern in ein Restaurant setzt”, erklärt er. Stattdessen komme es auf Menschen an, die beide Kulturen vorsichtig miteinander vertraut machen können. “Chinesische Unternehmer sprechen nicht direkt übers Geschäft, sondern fragen erst, wo die Tochter des Anderen zur Schule geht, was deutsche Unternehmer vielleicht als anstößig empfinden”, erklärt er.
Anderes Beispiel: Für deutsche Unternehmer:innen ist ein Letter of Intent eine unverbindliche Absichtserklärung ohne Konsequenz, die sehr häufig abgeschlossen wird, während chinesische Unternehmer:innen das Papier als deutlich verbindlicher wahrnehmen und entsprechend vorsichtiger damit umgehen. Christoph Schmitt sieht seine Aufgabe darin, beiden das Denken der jeweils anderen Seite zu erklären und näherzubringen.
Natürlich muss sich Christoph Schmitt mit der Politik und dem Recht Chinas auskennen, denn beides hat einen starken Einfluss darauf, was unternehmerisch für seine Mandant:innen möglich ist. Hier helfe ihm sein gutes Netzwerk, erzählt er, sowohl zu dem Team aus chinesischen Anwälten und Juristen im eigenen Haus sowie zu Kooperationspartner:innen in China: “Wir informieren uns wechselseitig über neue Gesetzesvorhaben und die aktuelle Rechtsprechung. Und wir rufen uns auch einfach an, wenn Fragen auftauchen”. Diese Gespräche finden meist auf Deutsch oder Englisch statt. “Es ist einfach unglaublich, wie schnell Chinesen Deutsch lernen. Aber Chinesisch zu lernen ist halt sehr schwierig”, gibt der Familienvater zu. In einem Hotel könne er sich auf Mandarin zwar halbwegs verständlich machen, für komplexe Verhandlungen reichen seine Chinesisch-Kenntnisse aber noch nicht ganz aus.
Es war übrigens ein Mandant, der den gebürtigen Düsseldorfer Christoph Schmitt vor Jahrzehnten nach China führte. “Er wollte Abgasentsorgungsanlagen für die Mikrochip-Industrie verkaufen, da waren die Unternehmen in Taiwan und China zu der Zeit schon weiter”, erinnert er sich. Damals gründete der Mandant eine Gesellschaft in Hongkong. Später begann dann der Handel mit Festlandchina. Es folgt die Gründung der ersten Vertriebssatelliten vor Ort. Dadurch hat Christoph Schmitt erste Kontakte zu Staatsunternehmen geknüpft. Ab den 2000er-Jahren entwickelte sich schließlich ein freier Mittelstand in China, der sich auch für Europa interessierte und ebenfalls die Arbeit des deutschen Anwalts zu schätzen lernte. Janna Degener-Storr
Richard Liu hat seine Position als CEO des chinesischen E-Commerce-Riesen JD.com niedergelegt. Xu Lei bisher Präsident von JD.com, übernimmt mit sofortiger Wirkung die Aufgaben als CEO und tritt dem Vorstand des Unternehmens bei. Liu bleibt weiterhin Vorstandsvorsitzender.
Jeremy Page geht nach elf Jahren beim Wall Street Journal in Peking zum China-Team des Wochenmagazins The Economist. Als Asia Diplomatic Editor wird er künftig für den Economist aus Indien über internationale Beziehungen und Sicherheitsfragen im Indopazifik mit besonderem Schwerpunkt auf China berichten.
Janice Lam ist neue Chefin für die Luxusmarke Valentino in Greater China. Sie soll die die Expansion der Marke in der Region ausbauen. Lam verfügt über umfangreiche Erfahrung im Mode- und Luxussektor auf dem asiatischen Markt. Bevor sie zu Valentino kam, war sie mehrere Jahre bei der Richemont-Gruppe.
Nicht geeignet für Polterabende, durchaus beliebt aber als Grundausstattung für das spätere Eheleben – die eiserne Reisschale (铁饭碗 tiěfànwǎn, zusammengesetzt aus 铁 tiě “Eisen, eisern” und 饭碗 fàn-wǎn – “Reis-Schale”). Dieses berühmte chinesische Synonym für eine sichere Arbeitsstelle hat sich im Westen längst herumgesprochen. In China klappert dieses unverwüstliche Geschirr zum Beispiel in den Küchen und Kantinen von Partei- und Regierungsorganisationen, öffentlichen Institutionen, Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie allgemein in Staatsbetrieben und beim Militär.
Jobs bei solchen “Danweis” (单位 dānwèi – Arbeitseinheit), wie die öffentlichen Arbeitgeber auf Chinesisch heißen, gelten als krisensicherer Brot-, pardon, Reiserwerb, quasi als lebenslang sprudelnde Einnahmequelle. Ist man nämlich erst einmal im System drin (体制内 tǐzhì nèi “im System, Teil einer Institution”), fliegt man so schnell nicht wieder raus. Kein Wunder also, dass es gerade in wirtschaftlich ungemütlichen Zeiten wieder viele junge Chinesen hin zu den unverwüstlichen staatlichen Metallschalen zieht – und damit weg von den billigen Waimai-Plastikschalen, die die Lieferdienste (外卖 wàimài) Tag für Tag zu den Überstundenschiebern in die Büros privater Unternehmen tragen.
Um die tiěfànwǎn spannt sich übrigens ein ganzes wan-Wortfeld. Die Reisschale zu zerschmettern (砸饭碗 zá fànwǎn) ist zum Beispiel eine Analogie dafür, seine Einkommensquelle zu verlieren. Jemandem die Reisschale zu entreißen (抢饭碗 qiǎng fànwǎn), bedeutet, ihm die Stelle wegzuschnappen. Und wer nach seinem Reisschälchen sucht (找饭碗 zhǎo fànwǎn) ist auf Jobsuche. Das Gegenstück zum blechernen Behältnis sind im Übrigen fragile Tonschälchen (泥饭碗 ní fànwǎn), unsichere Arbeitsplätze, die schon beim kleinsten Wirtschaftsholpern einen Knacks bekommen. In den oberen Regalreihen der Gesellschaft kann man derweil mit etwas Glück die Bling-Bling-Version unter den Schüsselchen abgreifen, nämlich die goldene Reisschale (金饭碗 jīnfànwǎn), sprich eine höchst einträgliche und noch dazu verlässliche Arbeit.
Danach aber sollte man seinen Blick erst einmal aufs Essen richten, und zwar bitte das im eigenen Schälchen, statt gierig anzuvisieren, was noch im großen Topf ist. Dieses Verhalten nämlich (吃着碗里 看着锅里 chīzhe wǎn lǐ kànzhe guō lǐ “aus der Schüssel essen und in den Topf blicken”) ist die blumige chinesische Umschreibung dafür, den Hals nicht vollzukriegen. Jeder bleibe also bitte bei seinem ergatterten Reisschälchen, aus welchem Material auch immer.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
wie gefährdet ist Taiwan? Darüber haben wir mit Eberhard Sandschneider gesprochen. Der ehemalige Professor der FU Berlin ist einer der profiliertesten Experten für Sicherheitspolitik – und für das chinesische Militär. Eine baldige Invasion der Insel befürchtet Sandschneider zwar nicht: Das Risiko sei zu hoch, sich mit den USA anzulegen, erklärt er Michael Radunski. Doch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten könnte es durchaus zu einem amerikanisch-chinesischen Krieg kommen. Da die Volksbefreiungsarmee zudem intern und extern immer stärker wird, kann dann doch noch eine Katastrophe drohen.
In Shanghai dauert der Lockdown nun schon die entscheidenden Tage zu lang. Da er ursprünglich nur auf wenige Tage angelegt war, gehen vielen Bewohnern der Stadt die Lebensmittel aus – und die Geduld. Das betrifft auch die Ausländer in der Stadt. Viel von ihnen ärgern sich trotz allem Verständnis für die Pandemiebekämpfung besonders darüber, dass sie die Stadt nur unter großen Schwierigkeiten verlassen können. Stattdessen steigt die Angst, in eine Quarantäne-Einrichtung eingewiesen zu werden, schreibt Christiane Kühl. Dort wiederum herrscht Lazarett-Stimmung. Omikron macht derweil seinem Ruf alle Ehre und sucht sich selbst in der stillgelegten Stadt immer neue Infektionsopfer.
Herr Sandschneider, der Krieg in der Ukraine ist noch nicht zu Ende, da sieht so mancher Experte schon den nächsten Kampf bevorstehen: China wird die Ablenkung des Westens mit Russland nutzen und Taiwan endlich zurück ins Mutterland holen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Nein, so verlockend dieser Vergleich und die Parallelen für manchen sein mag, die Ausgangslage in Asien ist doch eine völlig andere. Taiwan verfügt über die am besten ausgerüstete und die am besten ausgebildete Armee im West-Pazifik. China würde sich eine sehr blutige Nase holen. Hinzu kommt der Taiwan Relations Act, durch den die USA eng mit Taiwan verbunden sind. Es gibt ein Beistandsversprechen. Chinas Präsident Xi Jinping ist sich dieses Risikos bewusst. Insofern sind die aktuellen Spekulationen über einen möglichen Angriff Chinas auf Taiwan wirklich fehl am Platz. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Nicht vorstellen? Gleiches hätte man vor einigen Wochen wohl auch über einen möglichen Angriff Russlands auf die Ukraine gesagt. Die Realität ist eine andere.
Ja, es stimmt, man soll niemals nie sagen. Und man muss tatsächlich mit solchen Aussagen vorsichtig umgehen, aber so wie ich die Lage einschätze, mache ich mir um die Sicherheit Taiwans derzeit keine allzu großen Sorgen.
In Bezug auf Putin heißt es nun: Hätten wir ihm mal genau zugehört, dann wären wir jetzt nicht so überrascht. Er hat doch deutlich gesagt, was er von der Ukraine hält. Und auch Xi Jinping lässt keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen: Taiwan gehört zu China und muss zurück zum Mutterland.
Absolut richtig. Deshalb spreche ich auch nur vom Jetzt. Wer sich die chinesischen Pläne anschaut, weiß, dass sich die kritische Phase für Taiwan bis ins Jahr 2049 erstreckt. Und dass Xi Jinping die Ambitionen hat, ähnlich Großes zu erreichen wie Mao oder Deng Xiaoping steht außer Frage.
Also doch ein Risiko?
Das Risiko ist da. Deshalb müssen wir tun, was wir im Falle der Ukraine versäumt haben: Unmissverständlich klarmachen, dass der Westen entschlossen und geschlossen reagieren würde. US-Präsident Joe Biden hat in diesem Zusammenhang zu Recht die strategische Ambivalenz seiner Vorgänger abgeräumt und klargestellt, dass man im Falle eines chinesischen Angriffs Taiwan militärisch zur Seite stehen würde.
Lassen wir mal kurz die politische Komponente beiseite und schauen auf das Militär: Wie sähe es da mit einem Angriff auf Taiwan aus?
Es gibt unzählige Simulationen, die zeigen, wie ein chinesischer Angriff auf Taiwan aussehen könnte. Alles liegt auf dem Tisch bis ins kleinste Detail, von einer Internetblockade bis hin zu einer Seeblockade. Und in all diesen Szenarien wäre China derzeit der Verlierer.
Tatsächlich? In welcher Verfassung befindet sich denn das chinesische Militär?
Es holt dramatisch schnell auf. Wir alle waren dieses Jahr doch überrascht, dass der Militäretat nur moderat ansteigt. In den Jahren davor ist das Budget mal um 11 Prozent, mal um 17 Prozent gewachsen. Wenn man das in US-Dollar übersetzt, sind das offiziell rund 230 Milliarden Dollar – pro Jahr.
Klingt viel. Ist im Vergleich zu den USA mit seinen Militärausgaben von rund 770 Milliarden US-Dollar aber doch deutlich weniger.
Stimmt. Aber die Entwicklung ist eindeutig und schnell. Zu Beginn des Reformprozesses wurde das Militär hinten angestellt, allerdings verbunden mit dem Versprechen: Wenn die wirtschaftliche Leistung es hergibt, bekommt ihr Geld und Aufmerksamkeit. Das ist jetzt der Fall, wie beispielsweise die Liaoning zeigt. Chinas erster Flugzeugträger aus ursprünglich russischen Beständen, der zweite stammt aus Chinas Eigenproduktion. Sechs weitere sollen gebaut werden.
Dennoch gilt vielen die Volksbefreiungsarmee aber als schwach und in ihrer Struktur veraltet. Wo liegen die Probleme?
Die Volksbefreiungsarmee hat einen riesigen Wasserkopf, nämlich das überdimensionierte Landheer, welches zudem technisch nicht einmal sonderlich gut ausgestattet ist. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Zeit für Chinas Militär ist gekommen. Der Umbau läuft, die Schwerpunkte liegen mittlerweile auf Marine, Luftwaffe, Weltraumrüstung und Cyberwar. Also auf Bereichen, in denen sie relativ schnell den amerikanischen Streitkräften großen Schaden zufügen können.
Das ist das große Ziel?
Ja. China misst sich nur mit einem Land, den USA. Aktuell hat China eine Militärbasis im Ausland, in Djibouti. Die Angaben zu den US-Stützpunkten variieren, je nachdem, welche Maßstäbe man an eine Militäreinrichtung anlegt. Zurückhaltend gezählt sind es 163 Basen, auf der gesamten Welt verteilt. Das muss für China wie eine Einkreisung wirken. Und deshalb wird China neue Militärstützpunkte im Ausland aufbauen.
Was glauben Sie, wo das sein wird?
Es gibt eine ganze Reihe an ausgebauten Tiefseehäfen, die sich anbieten, zum Beispiel in Hambantota auf Sri Lanka. Der chinesische Bau des dortigen Tiefseehafens ist doch aberwitzig. Bevor China kam, landeten dort vielleicht mal fünf Schiffe im Jahr an. Aber der Hafen liegt geostrategisch ideal für chinesische Kriegsschiffe. Oh, ich sehe schon. Jetzt werden Sie das gleich wieder kritisieren.
Okay, dann mache ich das. Eine Militarisierung der Seewege kann nicht im Interesse des internationalen Freihandels sein.
Richtig, aber hier geht es um Chinas Interessen. Betrachten Sie es mal welthistorisch: Ein Land von dieser Größe, mit diesem wirtschaftlichen Erfolg über viele Jahre hinweg, das übersetzt irgendwann zwangsläufig wirtschaftliche Stärke in militärische Macht. Das Versprechen, das Deng Xiaoping einst den chinesischen Generälen gegeben hat, wird nun umgesetzt.
Das wird zwangsläufig zu Reibereien mit der Weltmacht USA führen.
Das wird nicht dazu führen, das ist schon jetzt der Fall. Was derzeit im Südchinesischen Meer passiert, ist nur ein harmloses Vorgeplänkel. Die Konflikte werden zunehmen, so wie China sein gesteigertes Selbstbewusstsein immer mehr nach außen tragen wird.
So mancher fürchtet, dass auch einem Zwischenfall im Südchinesischen Meer unversehens mal ein Krieg zwischen den USA und China entstehen kann.
Aktuell wäre es nicht ratsam für China, einen Konflikt mit den USA einzugehen. Das werden sie auch nicht tun. Aber Sie haben recht. Ben Hodges, der ehemalige Oberkommandierende der US-Streitkräfte, wird nicht müde, darauf hinzuweisen, er rechne in den nächsten zehn Jahren mit einem Krieg zwischen China und den USA. Das wäre dann der Dritte Weltkrieg.
Sie sind da entspannter?
Na ja. Aus meiner Sicht gibt es vor allem zwei Gefahren: das Zufallsrisiko und das Risiko einer falschen Perzeption, wenn man die andere Seite falsch einschätzt und dann Fehler macht. So wie es aktuell mit Putin der Fall ist. Aber ich bleibe dabei: Derzeit schätzt Xi Jinping das Risiko richtig ein. Nur ob das in zehn Jahren noch so ist, weiß ich nicht.
Das Problem hierbei: Bei einem möglichen Konflikt gibt es zwei Seiten.
Ja, und genau das bereitet mir dann doch ein paar Sorgen. Die China-Debatte in den USA hat enorm an Schärfe gewonnen. Es gibt kaum einen Politiker, der China nicht als die größte Herausforderung der Zeit ansieht. Und im Unterschied zu Deutschland und Europa beinhaltet das auch immer die militärische Komponente. Ich war bei einer Diskussionsrunde im Dirkson Senate Building in Washington D.C., da sagte eine US-Kollegin: War is not the worst option – Krieg ist nicht die schlechteste Option. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Mir hat es total die Sprache verschlagen. Aber um mich herum hat keiner auch nur gezuckt.
Eberhard Sandschneider war von 1998 bis 2020 Professor für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Von 2003 bis 2016 war er zudem Otto-Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Inzwischen ist er Partner bei der Beratungsfirma “Berlin Global Advisors”.
Ein Ende der harten Corona-Bekämpfung in Shanghai ist nicht in Sicht. Am Samstag stellten die Behörden zwar vage in Aussicht, erste Stadtbezirke wieder teilweise zu öffnen. Voraussetzung dafür: Kein einziger positiver Test unter den dortigen Einwohnern in den vergangenen 14 Tagen. Doch daraus wird vorerst nichts. Die Fallzahlen steigen unerbittlich weiter. Am Sonntag wurden 24.943 Infektionen neu entdeckt. Vor einer Woche waren es noch weniger als 10.000 am Tag. Inzwischen steigt auch die Zahl der Fälle mit Symptomen. Am Sonntag waren es über tausend, dreimal so viele wie am Donnerstag.
Ein weiteres Problem sind die noch immer lückenhaften Nahrungsmittellieferungen. Die Behörden mussten einräumen, dass es bei den Essenslieferungen Probleme auf den “letzten 100 Metern” gebe. Vielen Bürgern gehen inzwischen ernsthaft die Lebensmittel aus. Auch Deutsche berichten vor Ort davon, dass sie keinen Reis und kein Gemüse mehr im Haus haben. “Wir gehen jetzt wortwörtlich ans Eingemachte”, sagt ein Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens.
Die Nervosität der Ausländer in Shanghai nimmt spürbar zu, wegen des Eingesperrtseins – in der Wohnung, in der Stadt, in China. Taxis und U-Bahnen verkehren derzeit nicht. Reisen aus Shanghai in andere Regionen Chinas sind wegen der verschiedenen Quarantäne-Regeln praktisch unmöglich: Entweder kommt man aus Shanghai nicht heraus, oder in andere Städte nicht hinein. So ist es nicht möglich, von Shanghai in den Nachbarort Taicang zu fahren, wo viele deutsche Firmen Fabriken haben, deren Mitarbeiter teilweise aus Shanghai dorthin pendeln – eigentlich.
Der Betrieb an den beiden Flughäfen ist auf ein Minimum geschrumpft. Die meisten internationalen Flüge müssen auf Nachbarstädte ausweichen. Dazu wurde in den letzten Tagen ein großer Teil der ohnehin wenigen planmäßigen Flüge aus Shanghai gecancelt, da das Bodenpersonal wegen des Lockdowns nicht zu den Flughäfen gelangte. Auch die Lufthansa musste deswegen mehrere Flüge nach Deutschland streichen.
Das Generalkonsulat der Bundesrepublik organisierte am Donnerstag nach Informationen von Deutschen in Shanghai zwei Online-Veranstaltungen, in denen die Diplomaten die Sorgen ausreisewilliger Menschen ansprachen: mangelnde Erreichbarkeit der Airlines und des Konsulats, keine Transportmöglichkeiten zum Flughafen oder die Schwierigkeiten, die Ergebnisse der nötigen PCR-Tests im vorgeschriebenen Zeitfenster zu bekommen. Die deutsche Außenhandelskammer in China (AHK) organisiert weiterhin zweimal im Monat Charterflüge aus Frankfurt nach Qingdao und zurück. Ähnliche Flüge nach Shanghai seien aktuell aber nicht geplant, teilte die AHK auf einem Webinar am Freitag mit.
Nach zwei Jahren ohne Heimaturlaub zerrt das Gefühl des Eingesperrtseins und die Aussicht auf einen weiteren Sommer in China an den Nerven vieler Expatriates und ihrer Familien. In mehr als 70 Städte im ganzen Land gelten nach EUCCC-Angaben inzwischen wieder coronabedingte Einschränkungen. China wird als Arbeitsplatz für Ausländer dadurch immer weniger attraktiv. Die Zahl der ausländischen Manager und Experten habe sich bis zum Sommer 2021 nach groben Schätzungen gegenüber Vor-Covid-Zeiten bereits halbiert, sagt EUCCC-Präsident Jörg Wuttke. “Die Zahl könnte sich in diesem Sommer noch einmal halbieren.” Die Lage in Shanghai dürfte den Trend erheblich beschleunigen.
Die Stadtverwaltung teilte am Freitag mit, dass 130.000 Betten für Coronavirus-Infizierte zur Verfügung stehen oder noch bereitgestellt werden. Man ist dabei, das National Exhibition and Convention Center in Hongqiao in die dann größte Isolierstation Shanghais umzufunktionieren – mit Kapazitäten für mindestens 40.000 positiv Getestete ohne Symptome. Die Nachbarprovinzen Zhejiang und Jiangsu stellten weitere 60.000 Betten für Menschen bereit, die aus Shanghai zur Quarantäne überstellt werden. Daraus geht hervor, dass die Behörden eine weitere Verschlechterung der Lage erwarten.
Aus dem bislang größten Quarantäne-Zentrum mit 15.000 Betten kursieren bereits abschreckende Berichte und Videos auf sozialen Medien. Sie zeigen riesige Räume mit Schlafwaben, lange Schlangen vor den Waschbecken oder Reihen von Dixi-Toiletten in wenig anheimelnden Hallen. “Es gibt eine große Angst, in eines der zentralen Quarantänezentren geschickt zu werden“, sagte Bettina Schön-Behanzin, Vorsitzende der EU-Handelskammer in Shanghai, vergangene Woche auf einem Webinar der EU-Kammer in China (EUCCC). In manchen Zentren reiche das Personal nicht aus. “Dort werben sie Patienten an, etwa um Essen zu verteilen.” Die ständigen PCR-Tests in den Wohnanlagen fänden teilweise in den frühesten Morgenstunden statt, berichten Anwohner. Auch das stresst, zumal dann das bange Warten auf das Ergebnis folgt.
Einer der wenigen, der während des Lockdowns aus Shanghai herausfliegen konnten, ist Ingo Matter. Sein eigentlich gebuchter Flug nach Paris sei gestrichen worden, erzählt der Deutsche, der mit Sitz in Shanghai einen internationalen Motorsport-Rennstall betreibt. Er ergatterte stattdessen ein Ticket nach Singapur, von wo aus er nach Paris weiterreisen konnte.
Neben seinem Flug nach Singapur war am Donnerstag im internationalen Terminal des Flughafens von Pudong nur ein einziger weiterer internationaler Flug angezeigt, das Terminal war menschenleer. Eigentlich soll es in Pudong gar keine internationalen Flüge mehr geben. “Auf dem Weg zum Flughafen Pudong waren wir das einzige Auto auf der Straße“, sagt Matter. Er habe nur über Bekannte von einem Fahrdienstunternehmen erfahren, das eine der wenigen Sondergenehmigungen für Fahrten zum Flughafen besaß. “Es ist schon surreal”, sagt Matter. Als er den für die Einreise nach Singapur nötigen PCR-Test machen musste, fuhr der Deutsche mit dem eigenen Wagen in die Klinik. Dafür brauchte er eine Sondererlaubnis, zweimal musste er an Straßensperren halten. Die Polizei prüft unter anderem die Gesundheits-App und die Genehmigung für die Fahrt.
Matter wohnt mit Ehefrau und Sohn in einer relativ kleinen Wohnanlage. Dort habe die Lieferung von Nahrungsmitteln durch das Nachbarschaftskomitee bislang gut geklappt. Er selbst und seine Familie seien daher entspannt gewesen. Doch er hat Bekannte in größeren Quartieren, in denen das Management für die Versorgung der vielen Bewohner nicht genug Mitarbeitende habe. Die Gesellschaft in Shanghai beginne sich zu spalten, hat Matter festgestellt. “Jüngere zweifeln die Härte der Maßnahmen inzwischen stärker an, während die Älteren eher linientreu bleiben.” Linientreu heißt: Sie stützen die Null-Covid-Politik.
Die Mehrheit der Chinesen scheint den Kurs der Regierung zwar zu akzeptieren. Doch viele Shanghaier beschwerten sich in sozialen Medien über die plötzlichen und schlecht kommunizierten Maßnahmen. Die Trennung positiv getesteter Kinder von ihren Eltern musste die Stadtregierung aufgrund von Protesten wütender Anwohner zumindest teilweise zurücknehmen. Einige Shanghaier Bürger schrien zuletzt gar Selbstmorddrohungen aus dem Fenster.
Manche Beobachter mutmaßen bereits, dass es innerhalb der KP deshalb bereits riesigen Ärger gibt. Drei Kader wurden bereits ihrer Posten enthoben. Peking könne wegen des Chaos in der Stadt den Shanghaier KP-Chef Li Qiang absetzen, lautet eine Spekulation. Li galt bislang allerdings als Vertrauter von Staatschef Xi Jinping und Kandidat für den Aufstieg in den mächtigen Ständigen Ausschuss des Politbüros. Ob Xi einen Getreuen opfern wird, ist allerdings fraglich.
Der Präsident verteidigte am Freitag erneut die strikte Null-Covid-Politik des Landes. Bei einer Ehrung von Olympia-Teilnehmern sagte Xi, bei den Winterspielen von Peking habe Chinas Corona-Politik “einmal mehr den Test bestanden”. Erst vergangene Woche hatte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua betont, Xi persönlich habe die Null-Covid-Politik entworfen. Eine Lockerung dieser Strategie ist also eher nicht zu erwarten.
Der chinesische Elektroautobauer Nio hat wegen Lieferkettenausfällen im Zuge der Corona-Krise die Produktion ausgesetzt. Mehrere Lieferpartner hätten seit März “aus Gründen, die mit der Epidemie zu tun haben”, etwa in Jilin, Shanghai und Jiangsu einer nach dem anderen ihre Produktion unterbrochen und müssten sich davon noch erholen, teilte der Tesla-Rivale am Samstag mit. Als Folge habe Nio seine Herstellung ebenfalls stoppen müssen. Das Unternehmen kündigte an, die Auslieferung von Fahrzeugen zu verschieben. Man bemühe sich zusammen mit den Zulieferern darum, die Produktion wieder in Gang zu bringen und gleichzeitig die Corona-Auflagen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie einzuhalten. rtr
Angesichts geo- und gesundheitspolitischer Krisen will die chinesische Regierung die Konjunktur stützen. Premier Li Keqiang kündigte die Anwendung neuer Instrumente an, um der Wirtschaft einen Schub zu geben. “Bereits eingeführte Maßnahmen sollten so schnell wie möglich umgesetzt werden”, sagte Li einer am Freitag veröffentlichten Mitteilung des Staatsrates zufolge. “Wir sollten zudem neue Gegenmaßnahmen ins Auge fassen.” Die globale Situation sei “kompliziert” und in China gebe es “pandemische Ausbrüche”. Ziel sei es nun, die Verbraucherpreise und den Arbeitsmarkt zu stabilisieren.
Die Ankündigung von frischem Konjunkturgeld hebt in China meist schon deutlich die Stimmung der Wirtschaft. Meist verbirgt sich dahinter eine Vereinfachung der Kreditvergabe plus Start neuer staatliche Bauprogramme. Kommende Woche gibt das Statistikamt die Wirtschaftszahlen für das erste Quartal bekannt. fin
Die Beratungsfirma Horizon bringt die Herstellung von Aluminium in der Region Xinjiang mit Zwangsarbeit in Verbindung. Falls die Darstellung richtig ist, drohen auf längere Sicht Auswirkungen auf die deutsche Autoindustrie, die Vorprodukte aus dem Metall von chinesischen Zulieferern beziehen. Horizon zufolge könnten acht führende Aluminium-Produzenten vom “Arbeitskräftetransfers” des Aufbau- und Produktionscorps in Xinjiang profitieren. Das gehe aus Regierungs- und Firmendokumenten hervor. Die Beratungsfirma gibt aber ausdrücklich zu, keine harten Belege für den Einsatz von Zwangsarbeit zu haben.
Als Beispiel nennt der Horizon-Bericht die Firma Xinjiang Zhonghe 新疆众和. Es handelt sich um einen staatseigenen und militärnahen Betrieb aus Urumqi. Er nimmt an Berufsausbildungsprogrammen für Wanderarbeiter teil, die unter Menschenrechtsexperten keinen guten Ruf genießen. Xinjiang Zhonghe beliefert Autozulieferer wie Beijing WKW Automotive Parts. WKW wiederum produziert für VW, BMW, BYD und Nio. Die EU plant in ihrem Lieferkettengesetz eine Sorgfaltspflicht für Menschenrechtsaspekte in der Produktion (China.Table berichtete). fin
“In China ist es verpönt, positiv über sich selbst zu sprechen”, sagt Christoph Schmitt. Also erzählt er, was andere über ihn sagen: Er sei ein ungewöhnlicher Wirtschaftsanwalt. Denn er interessiere sich nicht nur für Paragrafen, er könne gut zuhören und er schaffe Lösungen. All diese Eigenschaften sind wichtig, wenn er beispielsweise Joint-Venture-Verträge zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen erstellt. “Nachdem durch die Geldpolitik von Xi Jinping die Auslandsinvestitionen schwieriger geworden sind, sind an diese Stelle eine Vielzahl an Kooperationen getreten, die verhandelt werden müssen”, sagt der 58-Jährige. Solche Verhandlungen bestimmen sein Tagwerk.
Gemeinsam mit seinem siebenköpfigen deutsch-chinesischen Team berät Christoph Schmitt deutsche Unternehmen, die sich in China niederlassen wollen – wie auch chinesische Unternehmen, die in Deutschland Fuß fassen wollen. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Fragen, zum Beispiel: Kann ein Chinese, der nicht in Deutschland lebt, Geschäftsführer eines deutschen Unternehmens werden? Welche Genehmigungen braucht er, um hier tätig zu werden? Welche Aspekte des Wettbewerbsrechts und welche technischen Anforderungen muss er beachten, wenn er Produkte auf den europäischen Markt bringen will?
Mit den kulturellen Gepflogenheiten in China kennt sich Christoph Schmitt sehr gut aus, denn er ist seit 25 Jahren im China-Geschäft tätig und war schon über 80 Mal in China. “Deutsch-chinesische Geschäfte kommen nicht dadurch zustande, dass man deutsche Unternehmer nach Shanghai einlädt und mit chinesischen Unternehmern in ein Restaurant setzt”, erklärt er. Stattdessen komme es auf Menschen an, die beide Kulturen vorsichtig miteinander vertraut machen können. “Chinesische Unternehmer sprechen nicht direkt übers Geschäft, sondern fragen erst, wo die Tochter des Anderen zur Schule geht, was deutsche Unternehmer vielleicht als anstößig empfinden”, erklärt er.
Anderes Beispiel: Für deutsche Unternehmer:innen ist ein Letter of Intent eine unverbindliche Absichtserklärung ohne Konsequenz, die sehr häufig abgeschlossen wird, während chinesische Unternehmer:innen das Papier als deutlich verbindlicher wahrnehmen und entsprechend vorsichtiger damit umgehen. Christoph Schmitt sieht seine Aufgabe darin, beiden das Denken der jeweils anderen Seite zu erklären und näherzubringen.
Natürlich muss sich Christoph Schmitt mit der Politik und dem Recht Chinas auskennen, denn beides hat einen starken Einfluss darauf, was unternehmerisch für seine Mandant:innen möglich ist. Hier helfe ihm sein gutes Netzwerk, erzählt er, sowohl zu dem Team aus chinesischen Anwälten und Juristen im eigenen Haus sowie zu Kooperationspartner:innen in China: “Wir informieren uns wechselseitig über neue Gesetzesvorhaben und die aktuelle Rechtsprechung. Und wir rufen uns auch einfach an, wenn Fragen auftauchen”. Diese Gespräche finden meist auf Deutsch oder Englisch statt. “Es ist einfach unglaublich, wie schnell Chinesen Deutsch lernen. Aber Chinesisch zu lernen ist halt sehr schwierig”, gibt der Familienvater zu. In einem Hotel könne er sich auf Mandarin zwar halbwegs verständlich machen, für komplexe Verhandlungen reichen seine Chinesisch-Kenntnisse aber noch nicht ganz aus.
Es war übrigens ein Mandant, der den gebürtigen Düsseldorfer Christoph Schmitt vor Jahrzehnten nach China führte. “Er wollte Abgasentsorgungsanlagen für die Mikrochip-Industrie verkaufen, da waren die Unternehmen in Taiwan und China zu der Zeit schon weiter”, erinnert er sich. Damals gründete der Mandant eine Gesellschaft in Hongkong. Später begann dann der Handel mit Festlandchina. Es folgt die Gründung der ersten Vertriebssatelliten vor Ort. Dadurch hat Christoph Schmitt erste Kontakte zu Staatsunternehmen geknüpft. Ab den 2000er-Jahren entwickelte sich schließlich ein freier Mittelstand in China, der sich auch für Europa interessierte und ebenfalls die Arbeit des deutschen Anwalts zu schätzen lernte. Janna Degener-Storr
Richard Liu hat seine Position als CEO des chinesischen E-Commerce-Riesen JD.com niedergelegt. Xu Lei bisher Präsident von JD.com, übernimmt mit sofortiger Wirkung die Aufgaben als CEO und tritt dem Vorstand des Unternehmens bei. Liu bleibt weiterhin Vorstandsvorsitzender.
Jeremy Page geht nach elf Jahren beim Wall Street Journal in Peking zum China-Team des Wochenmagazins The Economist. Als Asia Diplomatic Editor wird er künftig für den Economist aus Indien über internationale Beziehungen und Sicherheitsfragen im Indopazifik mit besonderem Schwerpunkt auf China berichten.
Janice Lam ist neue Chefin für die Luxusmarke Valentino in Greater China. Sie soll die die Expansion der Marke in der Region ausbauen. Lam verfügt über umfangreiche Erfahrung im Mode- und Luxussektor auf dem asiatischen Markt. Bevor sie zu Valentino kam, war sie mehrere Jahre bei der Richemont-Gruppe.
Nicht geeignet für Polterabende, durchaus beliebt aber als Grundausstattung für das spätere Eheleben – die eiserne Reisschale (铁饭碗 tiěfànwǎn, zusammengesetzt aus 铁 tiě “Eisen, eisern” und 饭碗 fàn-wǎn – “Reis-Schale”). Dieses berühmte chinesische Synonym für eine sichere Arbeitsstelle hat sich im Westen längst herumgesprochen. In China klappert dieses unverwüstliche Geschirr zum Beispiel in den Küchen und Kantinen von Partei- und Regierungsorganisationen, öffentlichen Institutionen, Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie allgemein in Staatsbetrieben und beim Militär.
Jobs bei solchen “Danweis” (单位 dānwèi – Arbeitseinheit), wie die öffentlichen Arbeitgeber auf Chinesisch heißen, gelten als krisensicherer Brot-, pardon, Reiserwerb, quasi als lebenslang sprudelnde Einnahmequelle. Ist man nämlich erst einmal im System drin (体制内 tǐzhì nèi “im System, Teil einer Institution”), fliegt man so schnell nicht wieder raus. Kein Wunder also, dass es gerade in wirtschaftlich ungemütlichen Zeiten wieder viele junge Chinesen hin zu den unverwüstlichen staatlichen Metallschalen zieht – und damit weg von den billigen Waimai-Plastikschalen, die die Lieferdienste (外卖 wàimài) Tag für Tag zu den Überstundenschiebern in die Büros privater Unternehmen tragen.
Um die tiěfànwǎn spannt sich übrigens ein ganzes wan-Wortfeld. Die Reisschale zu zerschmettern (砸饭碗 zá fànwǎn) ist zum Beispiel eine Analogie dafür, seine Einkommensquelle zu verlieren. Jemandem die Reisschale zu entreißen (抢饭碗 qiǎng fànwǎn), bedeutet, ihm die Stelle wegzuschnappen. Und wer nach seinem Reisschälchen sucht (找饭碗 zhǎo fànwǎn) ist auf Jobsuche. Das Gegenstück zum blechernen Behältnis sind im Übrigen fragile Tonschälchen (泥饭碗 ní fànwǎn), unsichere Arbeitsplätze, die schon beim kleinsten Wirtschaftsholpern einen Knacks bekommen. In den oberen Regalreihen der Gesellschaft kann man derweil mit etwas Glück die Bling-Bling-Version unter den Schüsselchen abgreifen, nämlich die goldene Reisschale (金饭碗 jīnfànwǎn), sprich eine höchst einträgliche und noch dazu verlässliche Arbeit.
Danach aber sollte man seinen Blick erst einmal aufs Essen richten, und zwar bitte das im eigenen Schälchen, statt gierig anzuvisieren, was noch im großen Topf ist. Dieses Verhalten nämlich (吃着碗里 看着锅里 chīzhe wǎn lǐ kànzhe guō lǐ “aus der Schüssel essen und in den Topf blicken”) ist die blumige chinesische Umschreibung dafür, den Hals nicht vollzukriegen. Jeder bleibe also bitte bei seinem ergatterten Reisschälchen, aus welchem Material auch immer.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.