Interview | Autoindustrie
Erscheinungsdatum: 08. September 2025

Källenius: „Die Konkurrenz ist enorm"

Ola Källenius (Foto: Imago)

Mercedes-Chef Ola Källenius erklärt, wie er sich im hart umkämpften chinesischen Markt behaupten möchte. Und weshalb er ein Verbrenner-Aus für 2035 für kaum umsetzbar hält.

In China hat Mercedes zu kämpfen, während lokale Anbieter mit günstigen Preisen sehr erfolgreich sind. Woran liegt das, und wie wollen Sie gegenhalten?

Im Premium-Segment sind wir Marktführer in China und haben unsere Position trotz intensiven Wettbewerbs sehr gut behauptet. Richtig ist, dass das Wachstumstempo nach mehr als 20 Jahren Boomphase nachlässt und die Konkurrenz enorm ist – über 100 Hersteller buhlen um Kunden. Wir setzen auf klare Prioritäten: Wo verteidigen wir Marktanteile, wo können wir wachsen? Entscheidend ist unsere Produktoffensive. Allein in den nächsten drei Jahren bringen wir in China die größte Modelloffensive unserer Geschichte, darunter speziell angepasste Versionen des neuen elektrischen GLC.

Sie haben in Ihrer Rolle als ACEA-Präsident gemeinsam mit anderen Herstellern in einem Schreiben an die EU-Kommission betont, dass das Verbrenner-Aus 2035 in der heutigen Welt kaum umsetzbar sei. Warum?

Keine Industrie in Europa investiert so viel in Dekarbonisierung wie die Automobilindustrie. Als derzeitiger ACEA-Präsident kann ich sagen, dass die gesamte europäische Industrie bereits Hunderte Milliarden in Elektromobilität, Ladeinfrastruktur und alle flankierenden Faktoren investiert – und wir investieren weiter massiv. Wir sind voll auf Kurs und unterstützen das Ziel, 2050 klimaneutral zu sein.

Aber: Regulierung muss realistisch sein. Nicht alle 27 EU-Staaten entwickeln sich gleich schnell. Deutschland ist beim Ausbau der Ladeinfrastruktur weit, aber rund 20 Länder stehen noch ganz am Anfang. Glauben wir wirklich, dass in neun Jahren 100 Prozent der Käufer ausschließlich E-Autos wählen und es dafür dann auch überall Ladesäulen gibt? Plug-in-Hybride etwa sind extrem beliebt und bieten die Chance, im Alltag rein elektrisch zu fahren, bei Bedarf aber auch längere Strecken mit dem Verbrennungsmotor zurückzulegen. Dieses Segment würde durch ein starres Verbrenner-Aus komplett verschwinden – in einem Zeitraum, der in der Autoindustrie kaum mehr als ein Produktlebenszyklus ist.

Würde eine Anpassung der Regulierung bedeuten, dass Mercedes stärker auf Hybride setzt?

Wir sind in Europa Marktführer bei Plug-in-Hybriden mit elektrischen Reichweiten von über 100 Kilometern. Die Nachfrage ist stark. Aber uns geht es nicht nur um Mercedes, sondern um die gesamte Industrie. Es war ohnehin vorgesehen, die Regulierung nach einigen Jahren zu überprüfen. Diese Chance sollten wir nutzen, um Dekarbonisierung, wirtschaftliche Stärke, Innovation, und den Aufbau von Lieferketten gleichzeitig im Blick zu behalten.

Wir dürfen ja nicht vergessen: Die Autoindustrie stellt mit sieben Prozent des europäischen Bruttosozialproduktes die größte Industrie in Europa dar. Ein Drittel aller privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung fließen hierher. Wir wollen den „Lösungsraum“ aufmachen: Was hat funktioniert, was nicht? Und wie berücksichtigen wir auch den Bestand von 250 Millionen Fahrzeugen in Europa, der bislang nicht in die Regulierung einbezogen wird?

Es heißt, Sie sollen im Auftrag des Kanzlers oder anderer Regierungschefs das Thema in Brüssel verhandeln. Stimmt das?

Wir sprechen nicht für die Politik, aber wir sind ein wichtiger Denkpartner. Wir erleben überall – in Brüssel, in Berlin und auch bei unseren Zulieferern – eine lebhafte Debatte über das Thema. Diese Diskussion müssen wir jetzt konstruktiv führen, und zwar vor allem dort, wo die Regulierung entsteht: in Brüssel.

Kommen wir zum autonomen Fahren. Mercedes bietet hier bereits Tests mit einem Level-2++-System an. Was erleben Journalisten, die in so einem Fahrzeug mitfahren?

Mercedes ist da ganz vorne mit dabei und in einzelnen Dimensionen weltweit führend. Die Sicherheit haben wir dabei immer mit im Kopf. Jeder neue Mercedes ist heute mit einem Supercomputer, Sensorik rund ums Auto und einem KI-basierten Software-Stack ausgestattet. Mit Level-2++ erleben die Mitfahrenden eine Point-to-Point-Navigation: Das Auto fährt quasi von selbst von A nach B durch die Stadt.

Der Fahrer bleibt jedoch verantwortlich, muss aufmerksam bleiben und Hände am Lenkrad haben. Es fühlt sich an wie autonomes Fahren, ist es aber rechtlich noch nicht. Bei Level 3, das wir als Erste eingeführt haben, übernimmt das Auto tatsächlich die Fahraufgabe – etwa auf der Autobahn. Hier dürfen sich Fahrerin oder Fahrer dann tatsächlich anderen Dingen zuwenden, etwa ein Buch lesen oder ihr Handy nutzen.

Was braucht Europa, um hier nicht von China oder den USA abgehängt zu werden?

Technologisch ist automatisiertes und autonomes Fahren das spannendste Feld überhaupt. Und Mercedes wird hier auch künftig massiv investieren. Investitionen allein reichen aber nicht, wenn die Technologie nicht auf die Straße kommt. Europa braucht daher eine Regulierung, die es erlaubt, innovative Systeme auch tatsächlich einzusetzen. Sonst entstehen die Märkte woanders.

Zum Schluss noch ein Wort zu den Zöllen. Wie gehen Sie mit der Unsicherheit um, dass immer neue Abgaben kommen oder wegfallen können?

Wir spekulieren nicht über den Konjunktiv. Die EU hat aus meiner Sicht zuletzt mit den USA einen pragmatischen, bestmöglichen Deal geschlossen. Für uns gilt: Industrieentscheidungen trifft man mit einem Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren. Daran richten wir unseren Produktions- und Investitions-Footprint aus – nicht an kurzfristigen Zollfragen.

Ola Källenius ist seit 2019 Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz-Group AG. Er wurde 1969 im schwedischen Västervik geboren.

Letzte Aktualisierung: 11. September 2025

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