Analyse
Erscheinungsdatum: 20. Januar 2025

China-Strategie: Diese Hürden warten auf die neue Bundesregierung

Außenministerin Annalena Baerbock sieht sich bestärkt darin, China künftig deutlicher die Grenzen aufzuzeigen. Die China-Strategie der Bundesregierung sei kein Sprint, sondern ein Marathon. Doch nach dem Koalitionsbruch stellt sich die Frage: Wer soll den Marathon laufen?

Es ist eine Bilanz, wenn auch keine offizielle, die Außenministerin Annalena Baerbock am Montag zieht, als sie mit Experten und Expertinnen über „China und die aktuellen geopolitischen Herausforderungen für Deutschland und Europa“ diskutiert. Anderthalb Jahre nach Vorstellung der China-Strategie der scheidenden Bundesregierung geht es beim Thinktank Merics um die Frage, wie sich Deutschland und Europa strategisch zu China verhalten sollen – und das an einem Tag, an dem in Washington der neue US-Präsident Donald Trump vereidigt wird.

„Wir haben gezeigt, dass wir uns nicht bedrohen oder erpressen lassen“, erklärt Baerbock an diesem Montag mit Hinblick auf die EU-Ausgleichszölle auf chinesische E-Autos. „Wenn andere versuchen, unsere Märkte zu fluten und Arbeitskräfte und Wirtschaftsstandorte herauszufordern, können wir mit unserer EU-Verhandlungsmacht dagegen halten. Viele sagten: Oh weh, was passiert denn dann? Na, erstmal ist gar nichts passiert.“

Das Interessante an Baerbocks Aussage ist, dass Deutschland diese Zölle gar nicht mitgetragen hat. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte – die Klagen der Autoindustrie vernehmend – von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und das deutsche Veto gegen den Willen der Grünen durchgedrückt. Und damit ist man mitten im Thema. Es gibt zwar nur eine China-Strategie. Doch sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie sie umzusetzen ist.

Baerbock hat stets deutlich gemacht, dass sie keine offenen Worte scheut und China klar Grenzen aufzeigen möchte. „Die Zeit des chinapolitischen Schlafwandelns ist vorbei “, hat sie soeben dem Handelsblatt gesagt. Zumal China „mehr oder weniger“ offen den russischen Handelskrieg in der Ukraine unterstütze und „mit enorm hochsubventionierten Exportkapazitäten handelspolitisch foul“ spiele.

Die Reaktion auf die EU-Zusatzzölle auf chinesische E-Autos gilt unter Diplomaten als sehr zurückhaltend. „Mit ihren Sanktionen auf Cognac wählten sie die unterste Eskalationsstufe “, sagt ein EU-Diplomat – einer von mehreren Diplomaten, mit denen Table.Briefings für diesen Artikel gesprochen hat. „Wir waren davon ausgegangen, dass sie sehr schnell bei Airbus landen.“

Als die Parteien im Koalitionsvertrag 2021 beschließen, eine China-Strategie zu erarbeiten, geschieht dies unter dem Eindruck, dass die chinesische Regierung die Offenheit demokratischer Systeme dazu nutzt, einen Akteur gegen den anderen auszuspielen. Sie drängt CEOs multinationaler Konzerne mit China-Geschäft dazu, Einfluss auf die Bundesregierung zu nehmen, positioniert ein europäisches Land gegen das andere, spielt Länder und Bund gegeneinander aus und manövriert zwischen den Parteilinien.

Mit der China-Strategie wollte die Regierung einen gemeinsamen Kurs aufzeigen. Es gab Überlegungen, diese Strategie geheim zu halten, denn natürlich war allen Beteiligten bewusst, dass sie ein diplomatisch heikles Signal an China senden würde. „Man hätte es so machen können wie China: Vorne herum lächeln und sich hintenrum strategisch aufstellen “, sagt einer der Diplomaten. In einem so offenen System wie dem deutschen aber hätte die Regierung damit längst nicht alle wichtigen Spieler erreichen können – Unternehmen, Universitäten, Kommunen, Stiftungen.

Kurz bevor sich Baerbock im Dezember 2024 auf den Weg nach Peking macht, besucht ein hochrangiger chinesischer Politiker diverse SPD-Größen. Es mangelt an strategischer Ausrichtung und Koordinierung, weil Partikularinteressen die oft kurzfristigen Wirtschaftsinteressen definieren. Und das ausgerechnet bei einem Gegenüber, das sehr langfristige strategische Interessen verfolgt und alle Einzelinteressen dem Staatsziel unterordnet. „China hat einen völlig anderen Werkzeugkasten als wir “, sagt ein Diplomat. „Sie können ihren Unternehmen sagen, was sie zu tun haben und im großen Stil subventionieren.“

Wie schwer es der diversen Ampel-Koalition fallen würde, ihre sehr unterschiedlichen Positionen zusammenzuführen, zeigte sich im Oktober 2022, als Bundeskanzler Olaf Scholz die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Terminal Tollerort im Hamburger Hafen durchsetzen wollte – gegen den Willen eines halben Dutzends seiner Ministerien, des Bundesnachrichtendienstes und der EU-Kommission. Sie liefen Sturm dagegen, dass Deutschland der Volksrepublik Zugriff auf einen weiteren Teil seiner kritischen Infrastruktur gewähren wollte.

Trotz aller Unterschiede gelingt es der Koalition dennoch, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen – an den strittigen Stellen wird so lange gefeilt, bis die Formulierungen watteweich sind. Sie greift dabei auf den Dreiklang aus „Partner“, „Wettbewerber“ und „strategischer Rivale“ zurück, den bereits die China-Strategie der EU im Jahr 2019 verankert hatte. Am 13. Juli 2023 wird die China-Strategie veröffentlicht. Und obwohl fast alle die Analyse der problematischen Handlungsweisen Chinas teilen, die in dem Dokument beschrieben werden, reißen die Gräben im politischen Tagesgeschäft immer wieder auf. In der Debatte um das Verbot von chinesischen Komponenten im deutschen 5G-Netz etwa. Damals streiten Scholz und Verkehrsminister Volker Wissing, damals noch FDP, die die chinesische Ausrüstung behalten wollen, mit Baerbock und ihrem Parteifreund und Wirtschaftsminister Robert Habeck, die Sicherheitsbedenken haben.

Es ist eine Debatte, die sich so ähnlich unter immer neuen Vorzeichen wiederholt. Strategische Überlegungen und Sicherheitsbedenken treffen auf wirtschaftliche Interessen, langfristige Ziele auf kurzfristige.

„Wir sind nun mal ein freies Land, in dem Gott sei Dank nicht alle homogen in eine Richtung gehen“, sagt Baerbock. Immerhin, ein Stück weit sei man gekommen: die Diversifizierung der Wirtschaft, die Prüfung ausländischer Investitionen, Global Gateway als europäische Alternative zur Belt and Road-Initiative, den Ausbau der Beziehungen zu asiatischen und pazifischen Partnern, das Engagement für die Freiheit der Seewege, innere Sicherheit und die Resilienz der Demokratie, etwa durch den besseren Umgang mit Desinformationen und den Digital Services Act.

Doch Baerbock will mehr. Sie will Deutschland und Europa besser schützen – sei es vor Investitionen in die kritische Infrastruktur, Überkapazitäten oder geheimen chinesischen Polizeistationen auf deutschem Boden. „Wir mussten erstmal den Hebel umlegen. Strategien wirken über Zeit."

Nun stellt sich wenige Wochen vor der Bundestagswahl die Frage, wer diese Zeit politisch prägen wird. Und mit wem. Wird sich eine neue Koalitionsregierung ähnlich am Umgang mit China reiben? Und in welchem geopolitischen Umfeld wird sie agieren? „Das ist ein Marathon und kein Sprint“, hat Baerbock gesagt. Fragt sich nur, wer ihn rennen wird.

Für besonders wichtig erachtet Baerbock, dass Europa mit den Ausgleichszöllen auf chinesische E-Autos bereits ein Instrument erarbeitet habe, um sich auch in Zukunft zu schützen. „ Wir haben das ja schon mal bei der Solarbranche und der Stahlbranche erlebt. Hätten wir bei den E-Autos keine klare Antwort gehabt, wäre absehbar, dass der nächste Versuch kommt."

Denn mit großer Wahrscheinlichkeit werden die chinesischen Überkapazitäten nicht mit den E-Autos enden. „Maschinenbau ist ein großes Thema“, sagt ein EU-Diplomat. „Da waren wir mal führend. Inzwischen bieten die Chinesen Produkte an, die preislich 40 Prozent unter den unseren liegen, aber fast genauso gut sind."

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

Teilen
Kopiert!