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Erscheinungsdatum: 23. Mai 2025

Souveränität und Sicherheit im Orbit: Warum Europa jetzt eigene Standards braucht 

Satelliten ermöglichen Mobilität, Kommunikation und Energiesicherheit. Doch der wachsende Markt im Weltall bringt neue Risiken mit sich. Um Europas technologische Souveränität zu sichern, braucht es Standards, Prüfverfahren und einen Schulterschluss von Industrie, Wissenschaft und Regulierung. Die Tüv Nord Group bringt ihre Systemkompetenz in diese neue Raumfahrtära ein und unterstützt damit Europas Sicherheit und Verlässlichkeit im Orbit.

Weltraumgestützte Technologien und Systeme bestimmen unser tägliches Leben. Unsere Mobilität und Kommunikation wären ohne Satelliten nicht möglich. Diese sind auch essenziell beim Betrieb von Stromnetzen oder beim Monitoring von Umweltveränderungen. Sie helfen dabei, Ernten zu überwachen, Naturkatastrophen schneller zu erkennen oder den Flugverkehr effizient zu steuern. Auch Unternehmen verlassen sich zunehmend auf Satellitenkonnektivität, etwa für die Logistik in Echtzeit oder für den Betrieb entlegener Industrieanlagen. Gleichzeitig entwickeln Start-ups Medikamente in Schwerelosigkeit oder testen 3D-Druckverfahren für die Raumfahrt.

Raumfahrt steht hoch im Kurs. Mit dem neuen Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt hat die Bundesregierung ein Zeichen gesetzt. Es war eine klare, nötige und vielleicht sogar überfällige Konsequenz, der Raumfahrt einen eigenen Platz in einem Ministerium einzuräumen.

Eine eigene Satelliteninfrastruktur ist der Schlüssel für europäische Daten-Unabhängigkeit. Noch wird der Orbit von wenigen Playern sowohl infrastrukturell als auch wirtschaftlich dominiert. Mit dem europäischen IRIS²-Programm (Infrastructure for Resilience, Interconnectivity and Security by Satellite) soll sich das ändern. Die Europäische Union plant damit eine eigene unabhängige, sichere und leistungsfähige Satelliteninfrastruktur, um Europas digitale Souveränität zu stärken. Geplant ist der Aufbau einer multiorbitalen Konstellation mit 290 Satelliten – 264 in niedriger Erdumlaufbahn (LEO) und 18 in mittlerer Erdumlaufbahn (MEO).

Neue Räume der Zusammenarbeit entstehen. Die Zahl der Anwendungen und Anbieter im All nimmt zu. Zusätzliche Akteure drängen in den Orbit, die Eintrittsbarrieren sinken. Die Dynamik ist hoch, denn sie zeigt den technologischen Fortschritt und den Willen zur Entwicklung. Gleichzeitig entstehen neue Anforderungen etwa an die Koordination der Technologien, an die Sicherheit der Systeme oder an die Qualität der eingesetzten Materialien. Wer koordiniert die Vielzahl an Systemen? Wer kontrolliert die Qualität von weltraumbasierten Produkten und Dienstleistungen? Je mehr Akteure zusammenwirken, desto wichtiger wird ein gemeinsames Verständnis für Zuverlässigkeit und Verantwortung. Es entstehen über nationale und institutionelle Grenzen hinweg neue Räume der Zusammenarbeit.

Ein Markt entsteht – aber ohne Sicherheitsarchitektur. Die wirtschaftliche Dynamik im New Space ist beeindruckend, aber sie ist nicht ohne Schattenseite. Bereits heute häufen sich Beinahe-Kollisionen im Orbit, etwa zwischen defekten Satelliten und aktiven Systemen. Auch Cyberattacken auf Raumfahrtsysteme nehmen zu: Ein erfolgreicher Angriff auf einen Navigations- oder Wettersatelliten könnte ganze Infrastrukturen auf der Erde gefährden, vom Bahnverkehr bis zur Energieversorgung. Und wenn kommerzielle Anbieter suborbitale Transporte oder Biotech-Labore im All planen, stellt sich die Frage: Wer prüft die Zuverlässigkeit dieser Systeme? Wer garantiert ihre Sicherheit?

Regulierung hinkt der technischen Entwicklung hinterher. Während Staaten wie Frankreich oder die USA konkrete Raumfahrtstrategien verfolgen, Zertifizierungsverfahren aufsetzen und Standards etablieren, ist Deutschland in vielen Bereichen noch in der Sondierungsphase. Die Konsequenz: Deutsche Unternehmen sind im internationalen Vergleich oft zu langsam. Nicht aus Mangel an Innovationskraft, sondern wegen fehlender regulatorischer Klarheit. Dabei ist es gerade jetzt entscheidend, ein gemeinsames Verständnis für Sicherheitsanforderungen zu entwickeln. Es reicht nicht, technologische Entwicklungen nur zu fördern. Sie müssen auch überprüfbar, zertifizierbar und beherrschbar sein.

Erfahrung in sicherheitskritischen Systemen kann helfen. Die Tüv Nord Group verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Prüfung komplexer technischer Systeme. Ob in industriellen Großanlagen, in der Energieversorgung oder in digitalen Infrastrukturen: Überall dort, wo Ausfälle kritische Folgen haben, sorgen wir für verlässliche Prüfverfahren und klare Standards. Seit mehr als zwei Dekaden haben wir uns insbesondere auch auf das Engineering und die Prüfung von Komponenten für den Einsatz im Weltraum spezialisiert. Hier arbeiten wir mit Kunden aus der Raumfahrtindustrie an Risikomodellen für orbitale Systeme, prüfen Komponenten und Subsysteme, die extremen physikalischen Bedingungen im All standhalten müssen, und erarbeiten Sicherheitskonzepte für weltraumgestützte Kommunikationsnetze. Damit bringen wir die Logik sicherer Systeme dorthin, wo sie künftig dringend gebraucht wird.

Chancen erkennen – Sicherheit mitdenken. Der Orbit bietet vielfältige Anwendungsfelder, die in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen werden. Dazu gehören Kommunikation und Navigation ebenso wie etwa suborbitale Transportlösungen oder wissenschaftliche Experimente unter den Bedingungen der Mikrogravitation. All diese Entwicklungen haben eines gemeinsam: Ihre Funktionsfähigkeit hängt maßgeblich von der Qualität der eingesetzten Technik und der Sicherheit ihrer Abläufe ab. Es lohnt sich daher, mögliche Schwachstellen frühzeitig mitzudenken, etwa durch transparente Standards, nachvollziehbare Prüfprozesse und unabhängige Bewertungen.

Gemeinsam gestalten – mit Standards und Verlässlichkeit. Wenn es gelingt, Raumfahrt von Beginn an mit einem Bewusstsein für Qualität und Sicherheit zu denken, können neue Anwendungen nicht nur schneller realisiert, sondern auch langfristig stabil betrieben werden. Der Aufbau technischer Standards, verbunden mit einem strukturierten Dialog zwischen Industrie, Wissenschaft und Behörden, kann dabei helfen, neue Entwicklungen verantwortungsvoll abzusichern. Die TÜV NORD GROUP steht bereit, diesen Weg als Partner für Prüfung, Zertifizierung und Systemverständnis mitzugestalten. Es geht um nicht weniger als eine erfolgreiche und zukunftsgewandte Standortpolitik und die technologische Souveränität Europas.

Dr. Dirk Stenkamp ist Vorstandsvorsitzender der Tüv Nord AG. Davor arbeitete er als Mitglied des Vorstands der Carl Zeiss SMT AG und Mitglied des Vorstands und Chief Operating Officer bei centrotherm photovoltaics AG, Blaubeuren. Stenkamp hat seit 2014 eine Gastprofessur an der Shanghai Maritime University inne und ist berufenes Mitglied im Kuratorium des Fraunhofer-Instituts für Keramische Technologien und Systeme (IKTS).

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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