Executive Summary
Erscheinungsdatum: 17. April 2025

Gesetzesflut belastet Standort Deutschland

Wie dringend ein Abbau der überbordenden Bürokratie in Deutschland ist, um den Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähiger zu machen, belegt jetzt eine unveröffentlichte Studie von Stefan Wagner von der Universität Wien gemeinsam mit der European School of Management and Technology Berlin (ESMT). Danach ist das Volumen der Gesetzgebung innerhalb von 15 Jahren um rund 60 Prozent angewachsen. Im Vergleich zu 2024 hat es sich trotz aller politischen Bekenntnisse der Ampel-Koalition zum Bürokratieabbau sogar nochmal um 2,5 Prozent erhöht. „Die Regulierung in Deutschland nimmt nicht ab, sondern zu. Der Standort ist dadurch immer unattraktiver geworden“, sagte Betriebswirtschaftsprofessor Wagner dem CEO.Table.

Die von dem Inhaber des Lehrstuhls für Technologie und Innovationsmanagement an der Universität Wien ermittelten Zahlen zeigen eine dramatische Entwicklung: Während der Umfang aller Bundesgesetze im Jahr 2010 noch bei 1.082 Einzelnormen mit insgesamt rund 24.775 Seiten lag, erreichte er Anfang 2025 bereits 1.306 Einzelgesetze mit rund 39.536 Normseiten. Fokussiert man sich auf die vier umfangreichsten Rechtsgebiete, zeigt sich, dass der Zuwachs seit 2010 vor allem durch eine überproportionale Zunahme von Regelungen im Bereich Finanzwesen (plus 88 Prozent) und dem Wirtschaftsrecht (plus 110 Prozent) getrieben wurde. Die Zunahme in den Bereichen Verwaltung (plus 54 Prozent) sowie Sozialgesetzgebung (plus 46 Prozent) war dagegen deutlich langsamer.

„Ein Teil der Regulierung ist auf europäische Vorgaben zurückzuführen, die Deutschland umfassender als andere EU-Staaten umsetzt. Ein anderer Teil ist durch neue Politikfelder beim Klima-, Daten- oder Verbraucherschutz angewachsen, die früher eine untergeordnete oder noch gar keine Rolle spielten“, sagte Wagner. Zusammen mit der ESMT hat der Professor mit der Internetplattform Buzer einen Index erstellt, der die Entwicklung der Bürokratie in Deutschland analysiert. Die direkten Bürokratiekosten beziffert das Münchner ifo-Institut mittlerweile mit 65 Milliarden Euro, die Kosten durch entgangene Wirtschaftsleistung auf 146 Milliarden Euro pro Jahr.

Was die Zunahme der bürokratischen Lasten im internationalen Vergleich bedeutet, ordnet eine Untersuchung des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen ein. Aus der Studie geht hervor, dass Deutschland im OECD-Vergleich wegen seiner geringen Effizienz öffentlicher Leistungen abgehängt ist. So müssen hierzulande Mitarbeiter 37 Stunden Arbeitszeit in Bürokratie investieren, um ein Standardexportgeschäft abzuwickeln. Damit liegt Deutschland auf Platz 20 von 21 untersuchten OECD-Staaten. In zwölf dieser Länder dauert der Vorgang laut der Studie nur eine Stunde, in weiteren vier Ländern drei bis vier Stunden.

Union und SPD haben das Problem erkannt. Sie wollen in der kommenden Legislaturperiode ein „Sofortprogramm Bürokratieabbau“ starten. Im Koalitionsvertrag ist ein ganzes Bündel von Deregulierungszielen festgeschrieben worden. Danach soll eine neue Bundesregierung unter anderem die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 25 Prozent reduzieren, was etwa einem Betrag von 16 Milliarden Euro entspricht. Der Erfüllungsaufwand für Firmen, Bürger sowie Verwaltung soll um mindestens zehn Milliarden Euro sinken. Zudem haben sich Union und SPD vorgenommen, Ende 2025 mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abzuschaffen sowie den Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand (Lieferkettengesetz) signifikant zu reduzieren. Die Bürokratie in Behörden und Ministerien soll massiv abgebaut, das Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich verkürzt und die Digitalisierung vorangetrieben werden.

„Ziele und Vorgaben im Koalitionsvertrag sind umfassend ausgehandelt, um Firmen nachhaltig zu entlasten und Deutschland für Investitionen – auch aus dem Ausland – wieder attraktiver zu machen. Dies stärkt die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts, und das ist die Grundlage für ein nachhaltiges Wachstum. Was jetzt aber zählt, ist Handeln“, sagte der Finanz- und Haushaltsexperte der CSU, Alois Rainer. Damit es nicht wie in früheren Jahren bei Ankündigungen bleibt, mahnt Rainer ein jährliches Evaluierungsverfahren an, das die Fortschritte transparent mache und die Umsetzung der Ziele für die kommenden zwölf Monate festschreibe. „Das ist eine Körnerarbeit. Aber nur über strenge Vorgaben werden wir den Bürokratieabbau schaffen“, so Rainer.

Die Reaktion in der Wirtschaft auf die Deregulierungsoffensive fällt allerdings verhalten aus. „Entscheidend ist nun, dass die Maßnahmen tatsächlich in den Betrieben ankommen.“ Den Ankündigungen im Koalitionsvertrag müssen zügig konkrete Gesetze folgen. Zu häufig sind in der Vergangenheit Bemühungen zum Bürokratieabbau im Sande verlaufen, sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Peter Adrian, dem CEO.Table.

Und Alexander Jakschik, VDMA-Vizepräsident und Vorstand der Ult AG, meint: „Der Koalitionsvertrag enthält einige Punkte, die uns mit Blick auf den benötigten Bürokratieabbau durchaus hoffnungsvoll stimmen – nicht zuletzt die vollständige Abschaffung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Aber das reicht nicht, und der im Koalitionsvertrag anvisierte generelle Abbau von 25 Prozent aller Bürokratiekosten ist zu vage. Hier hätten wir weitere, ganz konkrete Ankündigungen zur Entlastung des industriellen Mittelstands erwartet. Ein echtes Standort-Upgrade sähe anders aus.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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