Von Thilo Boss
Die Erklärung gleicht einem Hilferuf: Erstmals in der Geschichte der Lufthansa hat der Aufsichtsrat der Fluggesellschaft eine politische Resolution verfasst. Die Kontrolleure von Europas größter Airline mit Ex-Merck-Manager Karl-Ludwig Kley an der Spitze sehen harte Zeiten auf das Unternehmen zukommen. Hohe Kosten und eine Überregulierung lasten auf dem Luftverkehrsstandort Deutschland – und damit auch auf dem Konzern mit dem Kranich im Logo. „Wertschöpfung und Arbeitsplätze geraten in Gefahr“, warnt das Gremium.
Unter der schlechten Lage leidet aber nicht nur die Lufthansa. Die horrenden staatlichen Standortkosten machen hierzulande allen Airlines, Flughäfen, Dienstleistern und dem Einzelhandel rund um den Luftverkehr zu schaffen. Sie drücken inzwischen die gesamte Branche an die Wand. In keinem anderen Land Europas sind Gebühren und Steuern an den Flughäfen so hoch wie in Deutschland. Nirgends sind sie in den vergangenen fünf Jahren dermaßen schnell gestiegen – hier haben sie sich in diesem Zeitraum fast verdoppelt. „Das hat die Wettbewerbssituation im Vergleich zu den Mitbewerbern nochmal wesentlich verschlechtert. Wir erwarten ein dramatisches Jahr 2025. Der Kipppunkt, der Fluggesellschaften nach betriebswirtschaftlichen Alternativen suchen lässt, ist erreicht“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Joachim Lang.
Soll heißen: Fluggesellschaften setzen nun verstärkt ihre Flieger aus betriebswirtschaftlichen Gründen auf Strecken außerhalb Deutschlands ein, die profitabler sind, um nicht in die roten Zahlen zu fliegen. Den Auftakt dazu hatte bereits Mitte des vergangenen Jahres Ryanair gemacht. Fluglinienchef Eddie Wilson verkündete damals, dass der irische Low-Cost-Carrier 2025 die Flughäfen von Dortmund, Dresden und Leipzig nicht mehr anfliegen, das Angebot in Hamburg um 60 Prozent und das in Berlin um 20 Prozent reduzieren werde, weil sie zu teuer seien. Die LH-Tochter Eurowings folgte und auch Lufthansa selbst ist gezwungen, innerdeutsche Verbindungen, etwa aus Paderborn, Leipzig oder Friedrichshafen, zu streichen, so der Bevollmächtigte des Konzernvorstands, Kay Lindemann.
Warum die Fluggesellschaften ihre Angebote in Deutschland reduzieren, verdeutlicht der Blick auf die Zahlen, die der BDL zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat ausrechnen lassen. Danach belaufen sich die staatlichen Standortkosten für die Abfertigung eines A320 in Frankfurt/Main auf 4410 Euro. In Rom sind es 2208, in Madrid 660, in Istanbul 522, in Prag 500 und in Dublin 244 Euro. „Das belegt die Wettbewerbsverzerrung. Kosten werden auf die Ticketpreise umgelegt und das führt zu einer Veränderung der Verkehrsströme “, sagt Hauptgeschäftsführer Lang. Mit anderen Worten: Um zu sparen, fliegen mittlerweile viele Fluggäste beispielsweise nicht mehr vom Dresdner Airport, sondern vom nur rund 150 Kilometer entfernten Flughafen in Prag ab.
„Die staatlich regulierten Standortkosten sind zu hoch. Fluggesellschaften bauen ihr Angebot aufgrund dieser Kostenentwicklung in anderen Märkten aus, wo sie weniger Gebühren an den Staat entrichten müsse. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass unser Heimatmarkt Schlusslicht bei der Erholung des Passagieraufkommens in Europa ist“, sagt Fraport-CEO Stefan Schulte. Für den Frankfurter Flughafen, inzwischen nur noch Europas Nummer 6 im Passagieraufkommen, bedeutet das, dass er fast genauso wie die anderen deutschen Airports mit 14 Prozent deutlich hinter dem Aufkommen des Corona-Vorkrisenniveaus von 2019 liegt und den Anschluss an das europäische und weltweite dynamische Luftverkehrswachstum verloren hat.
Für die Frage, wie sich das auf die Geschäfte der Fraport AG auswirkt, lohnt ein Blick in den Geschäftsbericht des Konzerns. Der verdeutlicht nämlich, wie abgehängt der deutsche Luftverkehrsstandort ist. Einen Großteil ihres Betriebsgewinns erwirtschaften die Hessen durch Auslandsgeschäfte. Die Beteiligungen in Brasilien (Porto Alegre und Fortaleza), im türkischen Antalya, der peruanischen Hauptstadt Lima, Bulgarien (Varna und Burgas) oder im slowenischen Ljubljana entwickeln sich zu Goldgruben. Vor allem aber die 14 griechischen Regionalflughäfen verzeichneten Passagierrekorde, so Vorstandschef Schulte.
Wegen der Abkopplung des deutschen Marktes vom boomenden Luftverkehrssektor plädiert der BDL dafür, dass in einem ersten Schritt nach dem Vorbild Schwedens die deutsche Luftverkehrssteuer fallen soll. Sie allein macht etwa die Hälfte der staatlichen Belastungen aus und wird nur in sieben der 27 EU-Staaten überhaupt erhoben. Dies würde, so BDL-Hauptgeschäftsführer Lang, die horrenden Kosten in Deutschland zumindest auf den europäischen Schnitt von rund 2500 Euro zurückführen und Basis für mehr Wachstum sein.
Doch das allein wird wohl nicht ausreichen, um die deutsche Luftfahrtverkehrswirtschaft wieder in eine Poleposition wie in den 90er und 2000er Jahren zu bringen. „Wir sind doppelt gekniffen. Auf unserem Heimatmarkt müssen wir mit den horrenden staatlichen Standortkosten fertig werden. Aber auch international haben wir es mit einem verzerrten Wettbewerb zu tun. Während wir in der EU mit stetig steigenden Abgaben und Gebühren und hohen regulatorische Auflagen konfrontiert sind, profitieren Airlines aus China, vom Persischen Golf oder Bosporus von niedrigen Standortkosten, geringen sozialen Standards und hohen staatlichen Investitionen in den Luftverkehrssektor", sagt Lufthansa-Manager Lindemann.
Zudem treffe auch die seit dem 1. Januar geltende Beimischungsquote für nachhaltige Flugkraftstoffe EU-Airlines einseitig. Das bringe der Konkurrenz mit Drehkreuzen in Dubai oder Istanbul einen erheblichen Kostenvorteil. „Denn dort gilt die Quote nicht. Dazu kommt, dass diese Airlines im Gegensatz zu europäischen und amerikanischen Fluggesellschaften den russischen Luftraum nutzen. Durch diese kürzeren Routen sparen sie weitere Kosten. All das sind Wettbewerbsverzerrungen, die aufgehoben werden müssen“, sagt Lufthansa-Manager Lindemann.