Herr Dörre, die EU hat ein Verteidigungspaket von 800 Milliarden Euro geschnürt, Deutschland will mit einem dreistelligen Milliardenbetrag die Modernisierung und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr vorantreiben. Wird sich das schon positiv auf die Umsatzprognose von Hensoldt für 2025 auswirken?
Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Anstieg der Umsätze in einem Korridor von 2,5 bis 2,6 Milliarden Euro. Damit sehen wir im Vergleich zu 2024 ein klares Wachstum. Dies haben wir unter der Prämisse prognostiziert, dass Deutschland – wie unter den Nato-Staaten vereinbart – zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aufwendet. Inzwischen ist die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben gelockert worden. Darin erkennen wir klare Potenziale, die unser Wachstum ankurbeln können. Jetzt ist es an der neuen Bundesregierung, die konkreten Eckpfeiler zu setzen.
Gilt das auch für Europa?
Der finanzielle Umfang und das Ziel sind definiert, der Weg dorthin ist aber noch unklar. Die EU muss sich noch mit den Nationalstaaten über die Umsetzung des Verteidigungspakets einigen. Das sind jedenfalls die Erkenntnisse, die ich aus Gesprächen mit EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius gewonnen habe. Ich gehe davon aus, dass wir hier in der zweiten Jahreshälfte mehr wissen. Für uns sind aber zunächst die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die daraus folgenden Aufträge die entscheidenden Parameter. Und hier zeichnet sich ab, dass die Verteidigungsausgaben auf etwa drei bis vier Prozent des BIP erhöht werden könnten. Aber auch das wird die neue Koalition aus Union und SPD im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2025 und 2026 festlegen.
Hat Deutschland dafür überhaupt noch die Zeit? Und haben Sie, wenn Aufträge erteilt werden, überhaupt die Kapazitäten, um den Bedarf zu decken? Aufrüstung geht nicht von heute auf morgen. Nach Angaben der Nachrichtendienste rüstet Russland massiv auf und ist laut BND-Chef Bruno Kahl spätestens 2030 für einen Krieg gegen die Nato bereit.
Wir brauchen Planungssicherheit. Dafür müssen konkrete Bestellungen kommen. Das ist der wichtigste nächste Schritt, auf den wir jetzt warten. Hensoldt ist sehr gut aufgestellt, weil wir uns tatsächlich schon mit dem Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine entschieden haben, in den Aufbau neuer Produktionskapazitäten zu investieren. Wir sind gerüstet. Der neue Bundesverteidigungsminister ist jetzt am Zug. Wir können die Aufträge zeitnah abarbeiten.
Sie sagen Hensoldt ist gut aufgestellt, was heißt das genau?
In den letzten drei Jahren haben wir rund eine Milliarde Euro für Investitionen in die Hand genommen. Gut eine halbe Milliarde Euro ist in die Technologie geflossen. Hier haben wir besonders in die Digitalisierung und Vernetzung unserer Produkte investiert. Rund 250 Millionen Euro haben wir in die Absicherung unserer Lieferketten investiert, zum Beispiel haben wir uns viel Material auf Lager gelegt, darunter wichtige Komponenten und Halbleiter. Eine weitere Viertelmilliarde Euro haben wir in Infrastruktur investiert, dazu gehört auch ein neues, 30.000 Quadratmeter großes Logistikzentrum. Und im Sommer werden wir unser neues Werk in Oberkochen beziehen, wo wir optronische Systeme vor allem für das Heer und die Marine herstellen. Das Werk hilft uns, neue Aufträge zu bedienen und weiter zu skalieren. Auch am Standort Ulm, wo wir das Luftverteidigungsradar TRML-4D fertigen, haben wir investiert, beispielsweise in eine zweite Fertigungslinie für Leiterplatten. Damit haben wir die Produktionsmenge von drei auf heute 15 Systeme pro Jahr gesteigert und sehen eine Reservekapazität von rund 50 Prozent. Um es mit einem militärischen Bild zu beschreiben: Wir stehen Gewehr bei Fuß.
Das TRML-4D ist wichtig für die Luftverteidigung. Wie viele Systeme benötigt Europa, um den Luftraum lückenlos zu überwachen?
Dafür brauchen wir nach unseren Schätzungen mehr als 100 TRML-4D-Radare. Das ist auch eine Zahl, die wir in den Gesprächen mit Analysten kommunizieren.
Reichen die Kapazitäten in Ihrem Werk in Ulm dafür überhaupt aus? Es zeichnet sich doch schon jetzt ab, dass mehr Radare gebraucht werden, um die europäische Verteidigungsbereitschaft schnell zu garantieren.
Eine zweite Fertigungslinie aufzubauen, liegt auf der Hand und wir arbeiten bereits an entsprechenden Plänen. Hier profitieren wir von den Erfahrungen, die wir mit den Kapazitätserweiterungen in den vergangenen drei Jahren gemacht haben.
Investitionen dieser Art erfordern konkrete Aufträge. Hier könnte das zuständige Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz im Rahmen bestehender Lieferverträge rasch agieren und weitere Bestellungen auslösen. Ein Beispiel dafür wäre das Aufklärungssystem Pegasus, weitere Luftverteidigungsradare, aber auch Kampf- und Schützenpanzer, für die wir moderne Sensorik liefern. Parallel dazu sollten von der neuen Bundesregierung auch die F E-Mittel gesteigert werden, damit wir in diesen Schlüsseltechnologien weltweit weiter an der Spitze bleiben.
Sie sprechen von sicheren Lieferketten. Die Weltlage hat sich nicht nur mit Blick auf Russland wesentlich verändert. US-Präsident Donald Trump betreibt eine protektionistische Politik. Kann auch Hensoldt in den Strudel der Trumpschen Zollpolitik geraten?
Wir haben uns in den letzten Jahren sehr robust aufgestellt, verfügen über eine hohe Wertschöpfungstiefe und haben für die meisten Komponenten mehrere Lieferanten. Natürlich beobachten wir die Zollpolitik der US-Administration. Hensoldt liefert etwa Laserentfernungsmesser für den Abrams-Kampfpanzer. Zudem arbeiten wir sehr eng mit den US-amerikanischen Unternehmen wie Boeing oder Raytheon zusammen. Mit Lockheed Martin haben wir im vergangenen Jahr ein Kooperationsabkommen geschlossen. Und viele US-Waffensysteme sind für die Bundeswehr alternativlos. Deswegen gehe ich nicht davon aus, dass wir wie bei den Konsumgütern von Zöllen betroffen sein werden. Die Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten sind zu groß.
Die europäische Verteidigungsindustrie ist sehr zersplittert. Viele Experten fordern Kooperation oder Zusammenschlüsse, wie sie mit KNDS umgesetzt sind oder bei der Zusammenarbeit von Leonardo und Rheinmetall gerade geschieht. Welchen Weg schlägt Hensoldt ein?
Wir sind ein Hochtechnologieunternehmen. Das werden wir auch bleiben. Ein Zusammenschluss würde nur Sinn machen, wenn auch die Leistungsfähigkeit beider Unternehmen auf einem gleichen Niveau liegt. Ein Zusammenschluss hat auch Nachteile. Die Integration zweier Unternehmen bindet Kräfte und Ressourcen. Wir brauchen aber angesichts der russischen Bedrohung jetzt eine leistungsfähige Rüstungsindustrie. Deshalb machen für mich Kooperationen mehr Sinn, vor allem, wenn dadurch Synergien gehoben werden können.
Dennoch, wachsen kann Hensoldt auch durch Zukäufe. 2024 haben Sie den Elektronik-Spezialisten ESG übernommen. Sind weitere M A geplant, um bis 2030 das Fünf-Milliarden-Umsatzziel zu erreichen?
Eine Übernahme macht vor allem dann Sinn, wenn wir damit unsere Technologiebasis, beispielsweise im Bereich der vernetzten und smarten Sensorik oder bei Software-Defined Defence, stärken können. Wir werden keine Zukäufe nur wegen des Umsatzvolumens tätigen. Unter diesen Randbedingungen sind Zukäufe durchaus auch in den kommenden Jahren ein Mittel, um Hensoldt zu stärken.
Oliver Dörre ist seit April 2024 CEO des Radar- und Sensorspezialisten Hensoldt. Der studierte Informatiker war zuvor CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung von Thales Deutschland.