CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 08. August 2025

„Dieses ,Boring is the new Sexy´ spielt uns in die Karten“

Die Bundesregierung setzt mit ihrer Hightech-Agenda und Investitionsboostern auf eine technologische Aufholjagd. Gleichzeitig werden deutsche Exporte durch US-Zölle belastet. Reichen die Impulse auf KI, Quantentechnologie oder Kernfusion, um im globalen Wettbewerb zu bestehen?

Mark Miller, Managing Partner und Gründer von Carlsquare.

Die Bundesregierung will mit ihrer Hightech-Agenda Themen wie Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie und Fusion vorantreiben. Kritiker meinen, viele Maßnahmen seien eher kurzfristig gedacht und setzten auf Konjunktur statt auf Strukturwandel. Wie bewerten Sie die Stoßrichtung – reichen die Weichenstellungen für nachhaltige Innovation? 

Fördermittel sind nur der erste Schritt. Entscheidend ist, dass Politik, Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam konkrete Hürden aus dem Weg räumen und an einem Strang ziehen. Der Staat signalisiert mit der Agenda: Hier entsteht Zukunftswertschöpfung. Es liegt aber an der Privatwirtschaft, Innovationen wirklich in den Markt zu bringen. Die Aufgabe der Regierung ist, stabile Rahmenbedingungen zu schaffen und den Weg für Zusammenarbeit zu ebnen. 

Die Bundesregierung setzt auf KI, Quanten, Biotech und Fusion. Sind das aus Ihrer Sicht die richtigen Schwerpunkte? Oder fehlt ein zentrales Thema? 

Genau das sind die Felder, in denen die Karten gerade neu gemischt werden. Hier entstehen in den nächsten Jahren neue Champions – vorausgesetzt, Start-ups und Mittelstand werden eng vernetzt und Innovationskraft kann schnell in marktfähige Produkte übersetzt werden. In anderen Bereichen, etwa bei klassischen Basistechnologien, ist der Innovationszyklus schon weiter. 

Der Verteidigungssektor ist kein expliziter Hightech-Fokus, dennoch passiert viel in dem Segment. Ist das mehr als nur eine Reaktion auf die geopolitische Lage? 

Ja, absolut. Ich sehe die Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur sehr positiv, weil dort plötzlich große Budgets für sinnvolle Dinge zur Verfügung stehen. Nehmen Sie eine Drohnenfirma wie Quantum Systems: Durch die neuen Anforderungen konnte die Firma enormes Wissen aufbauen, etwa im Bereich KI. Solche Firmen können plötzlich wachsen, einen Börsengang machen und dann selbst zum Käufer für andere Start-ups werden. So entstehen Multiplikationseffekte, die wir in Deutschland bisher zu selten hatten. Es ist eine Chance, endlich wieder große, international wettbewerbsfähige Plattform-Unternehmen in Deutschland aufzubauen. 

Sie sagen, der Staat muss den Boden bereiten, die Wirtschaft aber liefern. Schauen wir konkret auf Zukunftsfelder wie Quantencomputing oder Fusionsenergie: Sehen Sie dort schon belastbare Geschäftsmodelle und eine funktionierende Kommerzialisierung? 

Ja, es gibt bereits Firmen, die Kunden haben und Umsatz machen. Natürlich sind viele Anwendungen noch forschungsgetrieben. Was in Deutschland aber fehlt, ist der Wille großer Firmen, sich in diesen Feldern stärker zu engagieren und mit den Start-ups zu partnern. IBM oder Samsung sind da weiter. Meine Sorge ist: Wenn unsere jungen Technologiefirmen erfolgreich werden, haben wir in Deutschland nicht genug Käufer. Dann geht das Know-how bei einem Verkauf ins Ausland. 

Das ist ein bekanntes Problem. Der eigentliche Wert wird also exportiert? 

Der eigentliche Wert entsteht erst nach zehn Jahren und darüber hinaus. Dann, wenn aus diesen Firmen große Unternehmen werden, die wiederum Spin-offs hervorbringen und in andere Start-ups investieren. Diesen Multiplikationseffekt müssen wir im Land halten. 

Das ist der Blick auf die späteren Jahre. Wie sieht es bei der Finanzierung aus? 

Es gibt ein klares, weltweites Interesse an deutschen Spitzentechnologien. Investoren suchen global nach Clustern, in denen sie aktiv werden können. Deutschland ist ein sicheres, gutes Land. Für einen amerikanischen Investor ist ein Investment hier mindestens so gut wie in den USA, beim Zugang zu Talenten vielleicht sogar besser. Die verlässlichen Rahmenbedingungen helfen. Dieses „Boring is the new Sexy“ spielt uns hier in die Karten.

“Die Investoren sitzen auf viel Kapital, die politische Gemengelage wirkt berechenbarer.”
— Mark Miller

Wenn ein ausländischer Investor in drei bis fünf Jahren ein deutsches Tech-Unternehmen kauft – kauft er dann die innovative Technologie, den Zugang zum europäischen Markt oder die im Vergleich zu den USA günstigere Bewertung? 

Der Hauptgrund ist die Technologie. Wir haben kein Problem damit, Spitzen-Technologie in Deutschland zu entwickeln. Der Zugang zum europäischen Markt ist für globale Strategen ein sekundäres Thema. Die Frage ist eher: Wo finde ich die besten Teams und Produkte? Und wenn die in Deutschland sitzen, freuen sich die Investoren. Die Microsofts und IBMs dieser Welt scannen global die Technologiefelder. Für sie ist es einfach, sich hier zu engagieren. 

Gerade gibt es mit Blick auf künstliche Intelligenz die Debatte, ob Europa eigene Sprachmodelle und Hyperscaler braucht, um unabhängig und souverän zu bleiben. Ist das wirklich notwendig? 

Ich würde überwiegend sagen, wir können auf die vorhandene Infrastruktur der Hyperscaler setzen. Die EU sorgt mit dem AI-Act und Datenschutzregeln bereits dafür, dass diese Konzerne unsere Regeln befolgen. Das schafft eine gegenseitige Abhängigkeit. Wir sollten unsere Kräfte auf die Anwendung der KI in unseren starken Branchen fokussieren, um dort zivile Wertschöpfung zu generieren. Darin waren wir immer gut: Die großen Basisinnovationen wie die Dampfmaschine kamen oft von woanders, aber wir haben exzellente Kundenlösungen daraus entwickelt. 

Die USA schotten sich mit Zöllen ab, was die deutsche Exportwirtschaft empfindlich trifft. Welche Antwort sollte Deutschland darauf finden? 

Die aktuellen Zölle tun genug weh, um deutsche Firmen zu schwächen. Wir können nicht einfach zusehen, wie wir durch Zölle aus Märkten verdrängt werden, während wir selbst alle reinlassen. Kurzfristig haben wir die Nachteile. Wenn Finanzierung über Zölle statt über Steuern zum Trend wird, müssen wir vielleicht auch über Zölle auf die Dienstleistungen von Google, Apple und Facebook in Europa nachdenken. Das ist ökonomisch nicht ideal, aber die aktuelle Situation, in der nur wir Nachteile haben, kann auch keine Dauerlösung sein. 

Abgesehen von einer direkten Reaktion, halten Sie Zölle grundsätzlich für ein taugliches Mittel in der Wirtschaftspolitik, oder schaden sich am Ende alle Beteiligten? 

Ökonomisch sind Zölle nie ideal. Sie sind ein politisches Instrument, kein wirtschaftlich sinnvolles. Kurzfristig mag ein Akteur einen Vorteil erzielen, doch langfristig besteht die Gefahr, dass sich Handelsströme einfach neue Wege suchen und protektionistische Märkte umgehen. Ob sich die USA damit einen Gefallen tun, ist fraglich. Am Ende leidet der freie Handel, was in der Regel allen schadet.

“Ich erwarte im Herbst und im kommenden Frühling ein sehr lebendiges IPO-Umfeld.”
— Mark Miller

Kommen wir zum M&A-Markt: Nach dem Rekordjahr 2021 folgten Rückschläge – wie schlägt sich der Markt aktuell und in welchen Bereichen sehen Sie die größten Bewegungen? 

Die vergangenen zwei bis drei Jahre waren von Unsicherheit geprägt – Zinsen, Inflation, Lieferketten, der Krieg. Das hat den M&A-Markt um rund 30 Prozent einbrechen lassen. Seit etwa Mitte April dieses Jahres spüre ich einen gewissen Aufbruch. Das Narrativ, dass wir unser Land wieder auf Vordermann bringen, hilft dem Markt. Ich sehe extrem viel Bewegung im Software-Bereich. Viele Firmen nutzen KI, um ihre Produkte massiv zu verbessern. Das ist ein Gewinn für die Kunden und den Wert der Firma. 

Viele Banker sprechen davon, ab Herbst eine Welle von Börsengängen zu erwarten. Teilen Sie diesen Optimismus? 

Ja, ich erwarte im Herbst und im kommenden Frühling ein sehr lebendiges IPO-Umfeld. Die Investoren sitzen auf viel Kapital, die politische Gemengelage wirkt berechenbarer. Für Unternehmen mit robusten Geschäftsmodellen stehen die Chancen sehr gut – ob sie in Frankfurt, an der Nasdaq in Stockholm oder in den USA an den Markt gehen, ist fast zweitrangig. Die wichtigste Voraussetzung ist Mut und klare Perspektive. 

Lassen Sie uns zum Abschluss auf die deutsche Wirtschaft als Ganzes blicken. Wo müssten wir ansetzen, wenn Sie sich einen Hebel aussuchen dürften? 

An unserer Mentalität. Was uns oft fehlt, ist der Glaube an die eigene Kraft und der Wille, auch große Ambitionen konsequent zu verfolgen. Forschung, Kapital und eine funktionierende Rechtsordnung sind da – nun braucht es mehr Mut, Firmen auch mal von einer auf zwanzig Milliarden Euro wachsen zu lassen. Wir sind ein tolles Land mit einer starken Demokratie. Jetzt müssen wir die Ärmel hochkrempeln und wieder stärker zu einem Gründerland werden, das die besten Talente anzieht und ihnen ermöglicht, hier etwas Großes aufzubauen. 

Letzte Aktualisierung: 01. August 2025
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