Von Moritz Schularick
Es heißt, dass Generale zwar Schlachten, Ökonomen aber Kriege gewinnen. Wenn man die deutsche Debatte der letzten Monate verfolgt hat, dann sieht es in der Tat nicht gut aus um die Kriegstüchtigkeit des Landes. Denn die Debatte um die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben zeugt nicht zuletzt von einer nahezu totalen Abrüstung in militärökonomischen Fragen. Ein paar Beispiele:
Erstens ist das Land die meiste Zeit damit beschäftigt, Inputs zu diskutieren – ob wir jetzt zwei, drei oder vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) investieren müssen – während eigentlich notwendige Outputs, also militärische Fähigkeiten, im Zentrum stehen sollten. Dazu gehört etwa eine funktionierende Luftverteidigung, mit der wir deutsche Großstädte gegen mehr als hundert in Kaliningrad stationierte SS-26 Raketen schützen können. Zurzeit können wir das nämlich nicht. Dazu gehört auch, dass wir im Bedarfsfall in Europa ausreichend Artillerie-Munition produzieren können und unseren Rückstand in der Militärtechnologie, etwa bei Drohnentechnologien, aufholen und weiterhin den Freiheitskampf der Ukraine unterstützen können. Wenn man das will, dann werden wir auf absehbare Zeit mit Verteidigungsausgaben von drei bis vier Prozent des BIPs planen müssen – aber nur unter der Voraussetzung, dass die Bundeswehr von einer Friedensverwaltungsbürokratie zu einer effizienten und schlagkräftigen Truppe wird, die das frische Geld besser einsetzt.
Zweitens gehört dazu, dass wir uns ehrlich über die verschiedenen Szenarien unterhalten müssen, auf die wir uns vorbereiten müssen. Alle im politischen Berlin bisher diskutierten Planungen beziehen sich auf den Fall, in dem sich Europa weiterhin auf die USA verlassen kann. Noch traut sich niemand ernsthaft darüber nachzudenken, was wäre, wenn die USA als Anker für die Verteidigung Westeuropas ausfallen.
Es geht nicht darum, Trump kurzfristig glücklich zu machen, sondern sich auch auf Szenarien vorzubereiten, die außerhalb der Komfortzone liegen. Die drei bis vier Prozent des BIP, die wir jetzt diskutieren, beziehen sich auf den ersten Fall. Sie beziehen sich auf die Notwendigkeit größerer Fähigkeiten zur Abschreckung eines aggressiven Russlands. Wenn sich die USA in Isolationismus zurückziehen und Europa komplett auf eigenen Füßen stehen muss, dann sind die Zahlen deutlich höher.
Drittens gehört dazu, dass wir nicht nur die Kosten – von Kanzler Scholz in einem höchst unglücklichen Vergleich als „Zeche“ bezeichnet – sondern auch die ökonomischen Effekte von deutlich höheren Verteidigungsausgaben in die Betrachtung einbeziehen. Über die ökonomischen Konsequenzen von Aufrüstungsprogrammen können Ökonomen in der Tat etwas sagen. Um wie viel steigt das BIP, wenn der Staat mehr für Verteidigung ausgibt? Die seriösen Schätzungen reichen hier von einem Multiplikator von 0,6 bis 1,5. In anderen Worten, wenn wir dauerhaft zwei Prozent des BIP mehr für Verteidigung ausgeben, dann steigt das deutsche BIP um eins bis drei Prozent. In einem Land, das seit zwei Jahren in der Rezession feststeckt, wäre ein Wachstumsschub von zwei Prozent ein dringend benötigter Anschub. Aber haben wir überhaupt die Ressourcen, insbesondere die Arbeitskräfte für diesen Konjunkturimpuls? Bis vor kurzem konnte man hier durchaus geteilter Meinung sein. Angesichts der täglich wachsenden Krise in der Autoindustrie und den Zulieferern führt hier kein Weg mehr an der Schlussfolgerung vorbei, dass wir diesen Impuls auch ökonomisch gut gebrauchen können.
Schließlich zur viel diskutierten Frage der Finanzierung. Auch hier gibt es relativ klar ökonomische Antworten. Vorübergehende Erhöhungen der Verteidigungsausgaben sollten über Kredit finanziert werden. Permanente Zuwächse müssen langfristig über Steuern aus dem Haushalt finanziert werden. Aber auch bei der Finanzierung permanenter Zuwächse spricht vieles dafür, den Übergang zu „smoothen“ und graduell im Bundeshaushalt umzuschichten, und zwar als Teil von Reformen, welche die deutschen Sozialsysteme zukunftsfest machen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen, sondern nur über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Bis dahin besteht die erstbeste Lösung darin, Verteidigungsinvestitionen von der Schuldenbremse auszunehmen, damit wir als Land geopolitisch handlungsfähig sind, wenn wir es sein müssen. Die zweitbeste Lösung ist ein zweites, sehr viel größeres Sondervermögen in Kombination mit einer glaubhaften Verpflichtung, jedes Jahr den regulären Verteidigungshaushalt zu erhöhen, sodass wir in zehn Jahren keine weiteren Kredite brauchen. Oder mit anderen Worten: Verteidigung hat ihren Preis.
Prof. Moritz Schularick ist Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW).