Mutausbruch für ein zukunftsfähiges Abitur

Verena Pausder ist Unternehmerin und Expertin für digitale Bildung.

Die Zukunft wird eine Herausforderung. Klimawandel, Digitalisierung, Fachkräftemangel. Wenn unsere Kinder die Schule verlassen, sollten sie darauf vorbereitet sein. Alle. Egal, wo sie wohnen, wo sie herkommen, welche Schule sie besuchen, oder welchen sozialen Hintergrund sie haben. Es sollte unser Anspruch sein, sie im besten Humboldtschen Sinne zu mündigen Gestalter:innen der Zukunft auszubilden. 

Was läge da also näher, als sich das Abitur anzusehen und zu schauen, ob es diesen Anforderungen Rechnung trägt. Björn Nölte, vom Institut für zeitgemäße Prüfungskultur, sagt etwas Richtiges. Wir könnten uns die „schönsten Dinge für den Lernprozess ausdenken. Lernende werden immer danach fragen, welche Prüfungen am Ende auf sie warten.“ 

KMK: Mehr Klausuren, weniger Freiheit

Und als ob das nicht schon Herausforderung genug wäre, hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, dass die Abiturprüfungen künftig zur besseren Vergleichbarkeit über alle Bundesländer einheitlicher werden sollen. Die Kultusministerkonferenz arbeitet bereits mit Hochdruck an genau diesem angeblich zukunftsfähigen Abitur. Die Rahmenbedingungen sollen bereits Mitte März entschieden sein – 2027 sollen die ersten ihren Abschluss nach den neuen Regeln erreichen. 

So weit, so hoffnungsvoll. 

Doch gräbt man sich tiefer in die Materie, merkt man, dass wenig an dem neuen Entwurf zukunftsfähig ist. Das wird klar mit Blick auf die Potsdamer Erklärung, die eine großen Zahl Bildungsschaffender verfasst und unterschrieben hat. Denn die Leistungsmessung in der Oberstufe und vor allem im Abitur soll auch in Zukunft dominiert werden von Klausuren in den jeweiligen Fächern. Die Schüler:innen müssen sie einzeln und in der Regel mit der Hand schreiben.

Und das ist genau das Gegenteil dessen, was wir jetzt brauchen. 

Denn ein einheitliches Abitur mit fast ausschließlich schriftlichen Prüfungen geht komplett in die falsche Richtung. Das sieht man gerade in Zeiten von KI-Lösungen wie ChatGPT sowie dem Ziel, die Schüler:innen zu befähigen, ihre eigenen Wege – ob digital oder analog – zu finden. Es berücksichtigt auch in keiner Weise die Diversität unserer heutigen Gesellschaft. Hier gibt es vielfältige Herkunftsgeschichten, unterschiedliche Sprach- und Lernvoraussetzungen sowie Begabungen der Schüler:innen. Uniformität ist das Gegenteil von Bildungsgerechtigkeit.

E-Portfolios statt Füller-Klausuren

Unser Land braucht künftig Problemlöser:innen, die den Herausforderungen der Zukunft innovative Lösungen entgegensetzen können und sich in einer Gesellschaft mit Herausforderungen wie Fake News, Hatespeech, datenbasierten Diensten und digitalen Programmen zurechtfinden und diese verstehen und aktiv gestalten. Und zu diesen werden wir sie nur ausbilden, wenn die Prüfungen am Ende eines jeden Themas und Fachs auch zur neuen Arbeitsweise passen. Deshalb sollten E-Portfolios, Multimedia-Präsentationen, Forschungsberichte, praktische Arbeiten, Kolloquien und Pitches genauso Eingang finden in die Benotung und Abinote wie handschriftliche Prüfungen in Präsenz.

Wir brauchen ein Bildungssystem, das diese neuen Anforderungen an Schule und Bildung reflektiert und ein Abitur, welches auch Projektarbeit, digitale Arbeiten und vor allem die Synthese und die kritische Auseinandersetzung mit dem Gelernten ermöglicht, und zwar nicht nur in handschriftlicher Form.

Innovationsklausel, die für alle Schulen gilt

Um die Weiterentwicklung des Schulwesens auch zukünftig zu sichern, sollte dringend eine Innovationsklausel in den Vorschlag der KMK aufgenommen werden, durch die Innovation in der Schule systematisch ermöglicht, unterstützt, begleitet und ausgewertet werden kann. Diese Klausel muss über das Instrument des bisherigen Schulversuchs hinausgehen, damit es nicht nur für einzelne Modellschulen, sondern für möglichst viele Schulen möglich ist und damit zu einem Wettbewerb der besten Ideen zur Gestaltung der Schule der Zukunft führt.

Diese Forderung der Bildungsschaffenden rund um die Potsdamer Erklärung sollte daher zwingend in die Abiturreform der KMK einfließen, damit diese wirklich die Weichen für die Zukunft stellt und zu mehr Bildungsgerechtigkeit, Problemlösekompetenz und Mündigkeit unserer Schüler:innen im 21. Jahrhundert führt.

Verena Pausder ist Expertin für Start-ups und digitale Bildung. 2017 gründete sie den Verein „Digitale Bildung für alle!“. 2020 erschien ihr SPIEGEL-Beststeller „Das neue Land“, in dem sie eine Vision entwirft, wie Deutschland New Work, Innovation und Digitalisierung für sich nutzen kann.

Lesen Sie auch: Verena Pausder – meinungsstarke Unternehmerin

Mehr zum Thema

    Wer K sagt muss auch I sagen
    „Das Internet macht nicht an Ländergrenzen halt“
    „So wie in Dresden 2008“
    Energiegeld: „Ich fühle mich als Versuchskaninchen“