es dauert ja noch eine Ewigkeit, bis der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen beginnt. Zweieinhalb Jahre sind es noch, bis er für Erstklässler gilt. Bis dahin müssen Schulen noch viele akute Fragen klären: Kommt der Digitalpakt II? Wie lässt sich das Startchancen-Programm umsetzen? Wie lassen sich Basiskompetenzen besser vermitteln – und das beim derzeitigen Lehrermangel?
Wer denkt bei so viel Tagesaktualität an das Jahr 2026? Helmut Dedy auf jeden Fall. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags ist sehr skeptisch, was den Start anbelangt. Im Interview, das mein Kollege Holger Schleper und ich mit ihm geführt haben, sagt er: “Ich glaube nicht, dass es zum Stichtag ein flächendeckendes Angebot geben wird.” Das Hauptproblem sieht er vor allem in der Struktur der Zusammenarbeit von Bund, Land und Kommunen. Ideen, wie sie besser laufen könnte, hat er natürlich auch.
Ein großes Problem beim Ganztagsausbau ist auch das Personal. Umso überraschender ist, dass eine neue Prognose der Bertelsmann Stiftung in der vergangenen Woche hier Entwarnung gegeben hat. Schon im kommenden Schuljahr könnte es nicht mehr zu wenige, sondern zu viele (!) Lehrkräfte an Grundschulen geben. Meine Kollegin Vera Kraft ist dem nachgegangen und hat interessante Erkenntnisse gewonnen. Auch dazu, wieso es immer wieder neue Lehrerbedarfsprognosen mit immer wieder neuen Zahlen gibt.
Und noch ein Thema beschäftigt uns in diesen Tagen: Dürfen Lehrkräfte eigentlich demonstrieren? Das Bedürfnis, sich politisch klar gegen rechts zu positionieren, ist bei vielen Lehrern groß. Umso erstaunlicher ist die Mail, die die Bezirksregierung Köln vor Kurzem an Schulen geschickt hat. Christian Füller hat die Geschichte recherchiert. Sie ist zum Kopfschütteln.
Viele Themen, viele Hintergründe – ich hoffe, Sie finden genug Zeit zum Lesen!
Herr Dedy, ab 2026 gilt der Rechtsanspruch auf den Ganztag an Grundschulen. Wird die Umsetzung zu diesem Zeitpunkt funktionieren?
Ich glaube nicht, dass es zum Stichtag ein flächendeckendes Angebot geben wird. Dafür haben Bund und Länder in der Vergangenheit zu viel Zeit vertan. Erst eineinhalb Jahre, nachdem der Rechtsanspruch auf Bundesebene beschlossen wurde, stand die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern. Wenn man es aus unserer Sicht beschreibt: Wir werden nicht halten können, was andere versprochen haben.
Warum sind Sie so skeptisch?
Wir haben drei limitierende Faktoren. Einmal das Geld, aber das ist nicht das Wichtigste. Auch wenn wir jede Menge Geld hätten, hätten wir nicht überall bereits die passenden Räume. Aber der entscheidende Faktor ist das fehlende Personal. Wir haben Knappheit im Bereich der Kita, in der Schulsozialarbeit, im Bereich von Inklusionshelferinnen und -helfern. Das wird sich auch auf den Rechtsanspruch im Ganztag auswirken.
Der Rechtsanspruch ist verkündet. Gleichzeitig zweifeln Sie als einer der Hauptakteure in der Praxis an der Umsetzbarkeit. Wie kann es zu solch einer Konstellation überhaupt kommen?
Wir zweifeln nicht an der Umsetzbarkeit. Aber der Zeitplan bis 2026 ist kaum machbar. Das ist ein Grundproblem der Struktur zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Wir erhalten häufig Aufgaben aus Verfahren, an denen wir nicht beteiligt sind. Es ist immer der Klassiker: Es gibt eine Pressekonferenz von Bund und Ländern, auf der ein Plan verkündet wird. Dann kommt Verwaltungsvereinbarung, Verwaltungsvereinbarung, Verwaltungsvereinbarung, danach dreht die KMK drei Runden, und irgendwann kommt die tatsächliche Umsetzung. Bis dahin hat mit den Kommunen dann meist noch niemand gesprochen. Das ist oft absurd.
Was muss anders werden?
Ich wünsche mir eine gemeinsame Diskussion der Ebenen Bund, Länder und Kommunen, wie es funktionieren kann. Konkret: Ich hatte ein Gespräch im Bundesfamilienministerium zum Ganztag. Dort hieß es, wir sehen das anders als ihr, wir schaffen das mit dem Personal. Wenn alle ihre eigenen Wahrheiten haben, hilft das nichts.
Und was könnte das Ergebnis einer Verständigung sein?
Wir müssen auf der Bundesebene nochmal die Debatte führen, wie ein ehrliches Erwartungsmanagement zum Rechtsanspruch gegenüber den Eltern aussehen soll. Eine schrittweise Einführung, beginnend mit den Erstklässlerinnen und Erstklässlern zum Schuljahr 2026/2027 und den dann nachfolgenden Jahrgängen, sieht das Gesetz ja ohnehin vor. Aber wie gesagt: Flächendeckend wird der Rechtsanspruch nicht für alle Grundschüler ab Sommer 2026 zu halten sein. Wir dürfen nicht bei den Eltern eine Erwartungshaltung wecken, die – je näher der Stichtag rückt – zerbröselt.
Grundsätzlich zweifeln Sie aber nicht am Ausbau des Ganztags?
Ganz und gar nicht, wir wollen den Ausbau. Wir glauben, dass der schulische Ganztag eine große Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit bietet, wenn man ihn gut macht. Dabei ist ein zentraler Punkt, wie man den Ganztag definiert. Bekommen wir einen gebundenen Ganztag, bei dem es eine Teilnahmeverpflichtung gibt? Einen rhythmisierten Ganztag, mit verteilten Unterrichtszeiten auf den Vor- und Nachmittag und einem pädagogisch sinnvollen Wechsel zwischen Lernen und Entspannung? Dann ist der Gestaltungsrahmen ein anderer, als wenn wir im bisherigen System bleiben: morgens Schule, nachmittags eher Betreuung. Nach unseren Vorstellungen hat der gebundene Ganztag viele Vorteile. Schulträger sollten ihn einführen können, wenn sie sich gemeinsam mit den Eltern dafür entscheiden.
Wer koordiniert die Kooperation mit den vielen außerschulischen Partnern?
Das ist im Kern unser Job. Jugendhilfe ist eine städtische Aufgabe, jedenfalls in den großen Städten. Bei den kleineren Städten ist es die Aufgabe der Landkreise. Dazu kommen freie Träger oder die Vereine, zu denen wir auch schon jetzt die Kontakte haben. Und das alles muss natürlich immer in Abstimmung mit den Schulen geschehen.
Sie sprechen die Vereine an. Wird es bei den Kooperationen zu einem Verdrängungswettbewerb kommen, bei dem kleine Vereine chancenlos sind?
Es gibt Städte, die davon berichten. Hier öffnet sich ein großer Markt, auf dem sich gerade die tummeln, die gut aufgestellt sind, die mit Bürokratie umgehen können. Die Großen können das besser als die kleinen Initiativen. Man wird die großen Vereine brauchen, weil es auch um Quantität geht. Aber wir brauchen auch die Vielfalt von Großen und Kleinen.
Gibt es Qualitätskriterien, nach denen die außerschulischen Partner ausgewählt werden?
Das hängt auch von der Konzeption des Ganztags ab. Der Umsetzungsstand in den Ländern ist unterschiedlich. Wenn es eine Betriebserlaubnispflicht für den Ganztag in Ländern gibt, können damit auch Auflagen hinsichtlich der Qualifikation des Personals verbunden sein, die der außerschulische Partner erfüllen muss.
Aber wäre es nicht wichtig, dass es bundesweite Qualitätskriterien gibt?
Die Sicherung der Qualität im Ganztag ist Aufgabe der Länder. Wir sehen ohnehin die Länder in der konzeptionellen Ausgestaltung des Ganztags stark in der Pflicht. Am besten kommen die Länder ihrer Verantwortung nach, wenn sie in den Schulgesetzen verankern, wie der Ganztag gestaltet wird. Bei der Frage der Qualitätskriterien beißt sich aber die Katze auch in den Schwanz. Es gibt zu wenig Personal. Gleichzeitig fordern wir Qualität in den Angeboten. Das ist das Dilemma, das wir derzeit schon in der Kita haben.
Noch mehr als der Ganztag muss Sie aktuell der Digitalpakt umtreiben. Der Digitalpakt Schule läuft im Mai 2024 aus. Im Bundeshaushalt 2024 ist kein Cent für eine Fortsetzung eingestellt. Frühestens kommt der Digitalpakt II ab 2025 …
Dieses mehr als halbe Jahr Finanzierungslücke, das sich abzeichnet, ist für uns Schulträger bundesweit ein echtes Problem. Wenn in der Zeit ein Gerät kaputtgeht, werden wir es nicht ohne Weiteres ersetzen können. Wenn der Arbeitsvertrag eines IT-Administrators oder einer -Administratorin verlängert werden muss, werden wir das nicht unbedingt tun können.
Und was ist, wenn es keinen Digitalpakt II gibt, der Bund also kein weiteres Geld für die Schulen bereitstellt?
Wenn es so käme, dann muss die Schulfinanzierung der Länder greifen. Die Länder sehen sich aber nicht immer in der Pflicht, für Digitalisierungskosten aufzukommen. Das hieße dann auch, dass die unterschiedliche Finanzausstattung der Städte über die Spielräume in der Bildung bestimmen würde. Das wären Bildung und Schuldigitalisierung nach Kassenlage.
Also fordern Sie eine neue Art der Schulfinanzierung?
Ja, wir brauchen eine durchgehende, verlässliche Finanzierung. Förderprogramme sind gut, dauerhafte Finanzierung ist besser. Wenn die Ergebnisse der jüngsten Bildungsstudien so alarmierend sind, wenn wir eine andere Bildung wollen und eine Schule, die nicht um 14 Uhr schließt, ist es notwendig, dass wir zukünftige Anforderungen an Schule auch verlässlich finanzieren.
Was fordern Sie konkret?
Wir haben immer noch die Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten. Das ist nicht mehr in allen Fällen zeitgemäß. Die Schulträger sind als “Hausmeister” für Gebäude und Ausstattung zuständig, die Länder für Lehrer und Lehrplan. Aber blicken Sie zum Beispiel auf die Inklusion. Sie benötigen andere Räume, das macht der Schulträger. Ich brauche aber auch Inklusionshelferinnen und -helfer. Wer macht das? Da geht der Streit los. Oder die Digitalisierung: Sobald der Digitalpakt I ausläuft, beginnt der Streit über Zuständigkeiten auch hier.
Was wäre der erste Schritt in Richtung einer neuen Schulfinanzierung?
Man muss sich die Geldflüsse anschauen. Wir benötigen bildungsökonomische Gutachten. Und dann werden wir eine Struktur für eine sachgerechte Aufteilung finden müssen. Wo das Land Einfluss nehmen kann, trägt es die Finanzierungsverantwortung, wo die Stadt Einfluss nehmen kann, gilt dasselbe für sie. In einigen Bundesländern gibt es bereits erste Gutachtenaufträge. Klar, das ist konfliktträchtig. Aber dann sind wir vielleicht in einer anderen bildungspolitischen Zukunft, in der wir nicht über jedes Förderprogramm zwischen Ländern und Kommunen oder zwischen Bund und Ländern streiten. Das ist zermürbend.
Die perfekte Überleitung zum Startchancen-Programm. Wenn alles gut läuft, werden Bund und Länder das Programm nach zähen Verhandlungen in den kommenden Tagen beschließen. Was kommt dann auf die Kommunen zu?
Etliche Länder haben noch keinen Sozialindex, nach denen die Schulen ausgewählt werden können. Die Frage, welche Schulen profitieren sollen, muss gemeinsam zwischen Land und Schulträgern entschieden werden. Wir brauchen jetzt das klare “Go” von den Ländern, dass sie mit uns die Startchancen-Schulen gemeinsam festlegen wollen. Die Schulträger sollten zudem den Umgang mit den Schulbudgets mitgestalten können.
Wer bestimmt letztendlich, welche Schule zur Startchancen-Schule wird?
Formal entscheidet das Land. Die Landesperspektive kann aber nicht so genau sein wie unsere. Deshalb biete ich an – aber fordere es auch ein – die Städte zu beteiligen. Wenn die Länder einen Sozialindex entwickeln müssen, brauchen sie Daten wie den SGB-II-Bezug. Die Städte haben diese und weitere Sozialdaten. Daher ist es klug, uns einzubeziehen.
Im Koalitionsvertrag der Ampel wurde für die Bildung eine Arbeitsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen angekündigt. Noch hat sich hier dem Vernehmen nach nichts getan. Wie hoffnungsfroh sind Sie, dass das in dieser Legislaturperiode noch kommt?
Ich glaube nicht, dass da etwas kommt. Wir hatten vor einiger Zeit einen Briefwechsel mit dem BMBF. Der war nett, rausgekommen ist nichts. Es wäre schon schön, wenn man die Städte als Mitgestalter von örtlicher Bildungspolitik mehr respektieren würde. Ob wir dazu eine ständige Arbeitsgruppe brauchen oder uns mehrmals im Jahr themenbezogen treffen, ist zweitrangig. Bildungspolitik geht nur gemeinsam, mit allen drei Ebenen.
Hunderttausende gehen seit der Enthüllung eines Geheimtreffens Rechtsextremer auf die Straße. Am 16. Januar fand die erste Großdemonstration in Köln mit rund 30.000 Menschen statt, darunter viele Lehrkräfte. Aber schon wenige Tage später fanden Kölner Lehrkräfte ein Schreiben der Bezirksregierung in ihrem Postfach, das für manche wie eine Ohrfeige wirkte. Als Beschäftigte des Landes hätten sie ihre Neutralitätspflicht sowie das Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot des Beamtengesetzes einzuhalten, heißt es darin. Die Mail aus dem Regierungspräsidium bezog sich formell auf die Europawahlen im Juni. Sie löste dennoch Verunsicherung, Empörung – und scharfe juristische Kritik aus.
Lehrer Stefan Behlau, der mit seiner Tochter auf der Kölner Demonstration war, kritisierte die Unsensibilität des Kölner Regierungspräsidiums. Behlau ist Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung in Nordrhein-Westfalen. Er weiß, dass das Schreiben regelmäßig vor Wahlen verschickt wird. Dennoch beharrt er darauf, “dass Lehrer natürlich nicht meinungsfrei agieren müssten”.
Genau das suggerierte aber ein Anhang an der Schulmail mit dem Titel “Hinweise zur Aufgabenerfüllung im öffentlichen Dienst des Landes NRW”. Das PDF ist neun Punkte lang und attestiert Lehrern ein eingeschränktes Recht auf freie Meinungsäußerung (Dokument als PDF). Die Bezirksregierung Köln verwies auf Anfrage von Table.Media auf das Innenministerium. Das Innenministerium wiederum äußerte sich bis Redaktionsschluss trotz Anfrage nicht.
Behlaus Kollegin Jana Koch hatte nach der E-Mail aus der Bezirksregierung viel zu tun. Viele – vor allem junge – Lehrkräfte und Schulleitungen meldeten sich bei der Kölner Schulberaterin. “Die Lehrerinnen und Lehrer waren verunsichert”, erzählt Koch, die bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist. “Sie wollten nach dieser Schulmail wissen: Darf ich denn nicht demonstrieren?” Koch stellte klar: Streiken dürften Lehrer nicht, aber sehr wohl demonstrieren.
“Ich finde das Timing dieser Mail an alle Lehrer:innen sehr unglücklich”, sagt auch die Kölner Lehrerin Inga Feuser, die bei “Teachers for Future” aktiv ist. Das Schreiben hätte unbedingt einer Einordnung bedurft, dass sich das Mäßigungs- und Neutralitätsgebot nicht auf die Teilnahme an Demonstrationen erstrecke. “So, wie es jetzt rausgegeben wurde, schürt dieses Schreiben Unsicherheit unter den Lehrkräften – und das zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt”, sagte Feuser Table.Media.
Während Lehrer und Gewerkschafter sich an Timing und Tonlage des Anschreibens störten, geht der Verfassungsrechtler und Experte für Schulfragen, Michael Wrase, viel weiter. Er hinterfragt grundsätzlich die “Hinweise zur Aufgabenerfüllung im öffentlichen Dienst des Landes NRW”. Diese wirkten, so Wrase zu Table.Media, wie ein “Maulkorberlass” für die Lehrkräfte. Die Hinweise sollten nicht mehr verwendet werden, sagte Wrase, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung arbeitet.
Nach Recherche von Table.Media stammen die am Montag vergangener Woche verschickten Hinweise aus dem Jahr 1991. Sie wurden von dem 2004 verstorbenen Wissenschaftsminister und späteren Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) erstmals verwendet. Die Schranken für die politische Meinungsäußerung außerhalb des Schuldienstes seien in den Hinweisen “viel zu eng gezogen”, schreibt Wrase in einer juristischen Einschätzung. Es erwecke den Eindruck, “als würden die Hinweise noch auf dem überkommenen Verständnis des Beamtenverhältnisses als ‘besonderes Gewaltverhältnis’ beruhen. Das ist schon lange nicht mehr vertretbar”.
Jene Stelle in den Hinweisen des Innenministeriums, wo es um die politische Meinungsäußerung von Beamten geht, nennt Wrase sogar irreführend. “Hier differenziert das Schreiben nicht ausreichend klar, um deutlich zu machen, dass außerhalb des Dienstes selbstverständlich das Recht auf freie Meinungsäußerung und zur politischen Betätigung gilt und nur äußersten Grenzen unterliegt.” Mit anderen Worten: Das schlechte Gefühl vieler Lehrkräfte, nach der Demonstration gegen rechts eingeschüchtert worden zu sein, entspricht auch der verfassungsrechtlichen Einordnung.
Der Leiter der Kölner Heliosschule, Andreas Niessen, fand die Aussendung fragwürdig. Er vermisste in der Mail “einen Hinweis auf die Notwendigkeit, dass Landesbeamt:innen und somit auch Lehrer:innen nicht schweigen, wenn Grundgesetz oder Landesverfassung gefährdet erscheinen”. Niessen sagte Table.Media, dass man den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund die Ängste anmerke – nachdem ein Geheimtreffen von AfD-Politikern mit dem Neonazi Martin Sellner bekannt wurde, die Abschiebungen von Millionen Menschen besprachen. Er klärte deshalb in einer Videobotschaft seine Schulgemeinschaft “über die menschenverachtenden Pläne” auf.
Inga Feuser von Teachers for Future geht noch einen Schritt weiter. Sie sagte, Lehrerinnen und Lehrer hätten sogar die Pflicht, für die Verfassung einzustehen. Das Schreiben der Bezirksregierung Köln sei besonders problematisch, weil es die Sätze des Beamtenstatusgesetzes zu Mäßigung und Neutralität hervorhebe, “die wie eine Einschüchterung wirken. Weggelassen wurde hingegen der dritte Satz, der Beamte und auch Lehrkräfte dazu verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen – und für ihren Erhalt einzutreten”.
Ob das Innenministerium und die anderen Regierungspräsidien in NRW auf die Kritik eingehen, wird man bald sehen. Denn die “Hinweise zur Aufgabenerfüllung im öffentlichen Dienst des Landes NRW” stehen gerade in ganz NRW zum Versand an.
Sie sorgen für politischen Druck – aber auch für Verwirrung. Die Prognosen, wie viele Lehrkräfte in Zukunft fehlen, fallen teils sehr unterschiedlich aus. Die wissenschaftlichen Berater der Kultusministerkonferenz raten daher, Berechnungen auf vergleichbaren Standards aufzubauen. Dass das gar nicht so einfach ist, zeigt die aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung. Die darin vorgestellte Aussicht auf einen baldigen “Lehrerüberschuss” an Grundschulen löst nicht nur Erleichterung aus. Bildungsexperten kritisieren die Machart der Studie und diskutieren, was sich aufgrund dieser neuen Prognose für die Schulen ändert.
Der momentan akute Lehrermangel an Grundschulen soll schon bald überwunden sein. Zu diesem Schluss kam vor ein paar Monaten bereits die Kultusministerkonferenz (KMK), als sie einen Überschuss von 6.300 Absolventinnen und Absolventen bis zum Jahr 2035 prognostizierte (zum Download). Neuen Schätzungen zufolge könnte diese Zahl jedoch um ein Siebenfaches größer sein.
Das Muster hat sich in den vergangenen Jahren häufig wiederholt: Die KMK legt eine Bedarfsprognose vor und wenige Wochen später rechnen Bildungsforscher, meist Klaus Klemm und Dirk Zorn, nach und kommen auf andere Ergebnisse. Dieses Mal liegt der Grund für die unterschiedlichen Werte in erster Linie an der Geburtenrate. Die KMK hat für ihre Berechnung die Zahl der Geburten für 2022 und 2023 geschätzt und daraus die Schülerzahlen für die kommenden Jahre abgeleitet. Doch diese Schätzung war zu hoch, denn in diesen Jahren kamen in Deutschland weniger Kinder zur Welt als in den Jahren zuvor. Diese Erkenntnis haben Klaus Klemm, emeritierter Professor für Bildungsforschung, und Dirk Zorn, bei der Bertelsmann Stiftung zuständig für den Bereich Bildung, nun in ihrer eigenen Berechnung berücksichtigt.
Dennoch erklären die veränderten Geburtenzahlen nur rund die Hälfte der Differenz zur KMK-Prognose, sagt Zorn im Gespräch mit Table.Media. Die KMK lege nicht alle Faktoren, die sie für ihre Prognose verwendet, offen. “Während wir zunächst darlegen, wie viele Lehrkräfte zur Fortschreibung des gegenwärtigen Personalschlüssels nötig wären, haben die Länder geplante Reformvorhaben bereits mit einbezogen”, erklärt Zorn. Dies haben die Autoren Klemm und Zorn bei dieser Studie bewusst nicht getan. “Natürlich gibt es enormen Handlungsbedarf, die Qualität des Lernens zu verbessern”, sagt Zorn und nennt als Beispiele das Startchancen-Programm und eine intensivere Förderung der Basiskompetenzen in Reaktion auf die letzten IQB- und Pisa-Ergebnisse.
“Wenn wir in früheren Studien solche Reformbedarfe in die Rechnungen einbezogen haben, wurde das politisch oft als reines ‘Wünsch-Dir-Was’ kritisiert”, sagt Zorn. In den Prognosen der Bundesländer, auf die sich wiederum die Prognose der KMK stützt, sind solche Vorhaben dagegen oft berücksichtigt. Die KMK kommt daher in Summe auf einen deutlich höheren Bedarf an Lehrkräften als Klemm und Zorn. “Das erklärt, warum der Überschuss der KMK nicht größer ausfällt”, sagt Zorn.
Ein zentraler Grund, warum die Prognosen sich so stark unterscheiden, sind daher schlicht die unterschiedlichen zugrundeliegenden Zahlen. Die Berechnungen von Stiftungen und Forschungsinstituten greifen häufig auf deutschlandweite Statistiken zurück und können schneller auf Veränderungen reagieren. Die KMK addiert dagegen die Bedarfsprognosen der Länder. Das gibt zwar Einblicke in regionale Entwicklungen, dauert aber länger. Zudem verwenden auch nicht alle Länder die gleichen Kriterien, was zu weiteren Unstimmigkeiten führt.
Dieter Dohmen sieht die Berechnungen der Bertelsmann Stiftung aber noch aus anderen Gründen kritisch. Denn Klemm und Zorn gehen davon aus, dass die Geburtenzahlen in den kommenden Jahren auf dem sehr niedrigen Niveau von 2023 bleiben. “Das ist zwar eine legitime Annahme“, sagt der Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). “Aber sie ist hochspekulativ.” Noch dazu hält Dohmen die Zahlen der ausscheidenden Lehrkräfte – sei es wegen Ruhestand oder aus anderen Gründen – für zu niedrig angesetzt. Das Neuangebot an Lehrkräften sei dagegen sowohl bei der KMK als auch der Bertelsmann Studie “sehr optimistisch”. “In unseren Berechnungen kommen wir auf solch hohe Zahlen nur dann, wenn wir davon ausgehen, dass rund 20 Prozent der Neueinstellungen Personen sind, die kein Lehramt studiert haben”, sagt der FiBS-Direktor.
Damit die Prognosen in Zukunft einheitlicher und besser nachvollziehbar werden, haben sich vor einigen Tagen Mitglieder der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) mit Bildungsforscher Klaus Klemm bei einem “SWK Talk” beraten. Ziel sei laut SWK-Vorsitzendem Olaf Köller “ein besseres Frühwarnsystem”. Dafür müssten insbesondere die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung schneller in die Schülerprognostik einfließen, sagt Klemm. “Das funktioniere zum Teil bereits mit der vorhandenen Datenbasis.”
Letztendlich sind es aber nicht nur die Datenlage oder die Methodik, die die Berechnungen beeinflussen. “Man darf nicht vergessen, dass die Prognosen der Länder häufig politischem Einfluss ausgesetzt sind”, sagt FiBS-Direktor Dohmen. Was genau berücksichtigt wird – da müssten die Prognosen der Länder noch transparenter werden, fordert Dohmen.
Die Länder selbst reagieren auf die Bertelsmann-Studie eher zurückhaltend. Die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Dorothee Feller etwa sagte Table.Media: “Über die von der Bertelsmann Stiftung vorgelegten Zahlen sollten wir uns nicht zu früh freuen.” Die Grundannahmen der Studie – zu Geburtenrückgang und einer sinkenden Zahl an zugewanderten Schülerinnen und Schülern – würden nicht der landeseigenen Prognose entsprechen. Doch selbst wenn diese Annahmen eintreffen sollten, werde es in NRW “noch Jahre dauern, bis der Lehrkräftemangel im Grundschulbereich überwunden ist”, so Feller.
In Bayern verlässt man sich auch lieber auf die eigenen Berechnungen. “Selbst wenn der Überhang stärker ausfällt als ursprünglich angenommen, ist vollkommen klar, dass jede Lehrkraft ein Einstellungsangebot erhalten wird”, versichert ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums im Gespräch mit Table.Media. An der bisherigen Planung, etwa mehr Stellen zu schaffen, ändere sich nichts. Durch den Ganztagsausbau und die zusätzlichen Fördermaßnahmen für Lesen, Schreiben und Rechnen im Zuge der Pisa-Offensive würden die Fachkräfte an Grundschulen dringend benötigt.
Die Sorge mancher Bildungsverbände, die Studie der Bertelsmann Stiftung würde das falsche Signal an die Politik senden, teilt Studienautor Zorn nicht. “Die Fortschreibung des Status quo dient lediglich dazu, den Grundbedarf an Lehrkräften zu bestimmen”, sagt Zorn. “Gleichzeitig zeigen die Berechnungen die personellen Spielräume für Verbesserungen.” Die Politik könne jetzt die Weichen dafür stellen, dass zusätzliche Lehrkräfte sinnvoll an den Grundschulen eingesetzt werden.
Die Verhandlungen zum Startchancen-Programm stehen kurz vor dem Abschluss. Auch wenn den Termin noch niemand offiziell bestätigen möchte, stellen sich alle Beteiligten darauf ein, dass am Freitag (2. Februar) eine Sonder-KMK stattfindet. Die Länder zögern noch mit der Bestätigung, da sie zunächst die am heutigen Mittwoch auf Staatssekretär-Ebene stattfindende Klausurtagung zwischen Bund und Ländern zum Digitalpakt II abwarten wollen. Die Gespräche dazu hatten am Dienstag bereits auf Arbeitsebene begonnen.
Nach der Sonder-KMK wird sich auch der Bundestag noch einmal mit dem Startchancen-Programm befassen. Wie Table.Media aus Koalitionskreisen erfuhr, wollen die drei Ampel-Fraktionen einen Entschließungsantrag stellen. Damit erklärt das Parlament gegenüber der Regierung, zu welchem Zweck die vorgesehenen Mittel eingesetzt werden sollen. Für das Inkrafttreten des Programms ist ein solcher Antrag zwar nicht erforderlich; SPD, Grünen und FDP geht es aber vor allem darum, öffentlich noch einmal auf den Erfolg aufmerksam zu machen. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger tat dies am Dienstagabend bereits in der Bundestagsdebatte zu ihrem Etat: “Der Bund hat geliefert. Der Bund steht bereit: Eine Milliarde Euro pro Jahr für die nächsten zehn Jahre.”
Einige unionsgeführte Länder hatten ihre Zustimmung zum Startchancen-Programm bislang mit einer verbindlichen Zusage des Bundes für den Digitalpakt II verknüpft. “Wenn über das Startchancen-Programm entschieden wird und es gibt keine klare Zusage des Bundes zum Digitalpakt, wird Sachsen nicht zustimmen können”, hatte Wilfried Kühner, Amtschef im sächsischen Kultusministerium, kurz vor dem Jahreswechsel gesagt. Zumindest was den finanziellen Umfang betrifft, ist diese Zusage bislang jedoch ausgeblieben. Stark-Watzinger hat sich zwar klar zum Digitalpakt II bekannt, will aber noch nicht über konkrete Summen reden. Maximilian Stascheit
Nach der Kritik von Andreas Schleicher an Lehrern in Deutschland wird der Ton der Lehrerverbände schärfer. Inzwischen gibt es sogar Forderungen, Deutschland solle bei Pisa aussetzen, solange der OECD-Bildungsdirektor für die internationale Schulleistungsvergleichsstudie die Verantwortung trägt.
KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot kommentierte den Streit am Montag nicht direkt. Sie wies aber auf Anfrage von Table.Media noch einmal auf die große Bedeutung der vergangenen Schulleistungsstudie hin und ließ leise Kritik an Schleichers Äußerungen, aber auch an der Reaktion der Verbände anklingen: “Pisa hat uns einen ganz klaren Auftrag mitgegeben: Wir müssen den Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft reduzieren.” Wenn dieses Ziel erreicht werden solle, “brauchen wir ein mutiges Miteinander, statt mit Vorurteilen Lösungsprozesse zu hemmen.” Jeder im System Bildung müsse sich fragen: “Werde ich mit meinem Tun den Anforderungen an Transformation gerecht, die derzeit an unser Bildungssystem gestellt werden?” Sie sehe eine hohe Motivation für Veränderungen. Diese gelte es aufzunehmen.
Vor zehn Tagen hatte Andreas Schleicher, der auch gern “Mr. Pisa” genannt wird, in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten geäußert, dass der Lehrerberuf in Deutschland noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sei: “Zu viele Lehrer sehen sich in erster Linie als Befehlsempfänger, die im Klassenzimmer statisch einen Lehrplan abarbeiten müssen.” Und er legte noch nach: “Ich habe, ganz ehrlich, wenig Verständnis für Lehrer, die nur darauf pochen, dass sie überlastet seien.”
Wenig verwunderlich, haben Gewerkschaften und Verbände darauf mit großem Unverständnis reagiert. Von Vertrauensverlust ist gar die Rede. “Mit seinen Äußerungen, dass der Lehrerberuf intellektuell nicht anspruchsvoll sei, Lehrkräfte ,Befehlsempfänger’ seien und sich ein Beispiel an China nehmen sollten, wird er seiner Verantwortung nicht gerecht”, so Susanne Lin-Klitzing, die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands. Und Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sagte im Spiegel: “Die Mär von den wehleidigen Lehrkräften klingt wie Stammtischparolen.”
Bildungsforscher Olaf Köller vom IPN Leipniz-Institut verteidigte wiederum den OECD-Bildungsdirektor gegen die harsche Kritik der Lehrerverbände. Auch wenn dessen Aussagen im Ton manchmal überzogen und provokant formuliert seien, “in der Substanz liegt er oft gar nicht so falsch”, sagte der Ko-Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz im Blog des Bildungsjournalisten Jan-Martin Wiarda. Köller sieht in der OECD-Studie auch kein Auslaufmodell: “Pisa spielt in der Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz (KMK) eine zentrale Rolle, weil diese Studie über die Jahre hinweg immer wieder verlässliche Information über die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems liefert.”
Es ist nicht das erste Mal, dass Schleicher Kritik an Lehrkräften und dem deutschen Schulsystem äußert. Vor einigen Jahren hatte er Lehrer in Deutschland zum Beispiel als “Fließbandarbeiter” bezeichnet und gesagt, in deutschen Schulen fehle eine Kultur, die Lehrer zur Selbstständigkeit ermutigen würde. Annette Kuhn
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) befürwortet zum ersten Mal ausdrücklich duale Masterstudiengänge als gleichwertige Ausbildung für alle Lehrämter. Der traditionell folgende Vorbereitungsdienst soll dabei ins Studium integriert werden. In ihrem Eckpunktpapier für eine “Lehrer:innenbildung in Zeiten des Fachkräftemangels” knüpft die Bildungsgewerkschaft die Umsetzung solcher Modellversuche gleichzeitig an klar definierte Voraussetzungen.
Sie sollten nur gestartet werden, “wenn die Qualität und die Wissenschaftlichkeit des Studiums gesichert, Theorie- und Praxisanteile systematisch verzahnt sind und die Gleichwertigkeit der Abschlüsse mit den herkömmlichen Staatsexamina gewährleistet ist”, sagt Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied für Berufliche Bildung und Weiterbildung.
Die GEW, die dieses Studienmodell bisher nur für das berufsbildende Lehramt empfohlen hatte, weitet damit ihre Forderungen aus. “Für das allgemeinbildende Schulwesen sind wir als GEW aber etwas vorsichtiger”, sagte der stellvertretende Vorsitzende Andreas Keller bei der Vorstellung des Papiers am Montag. “Deswegen empfehlen wir vorerst nur wissenschaftlich begleitete Modellversuche.”
Ein blinder Fleck in der bisherigen Diskussion ist die Frage nach der Entlohnung der Studierenden. Die GEW fordert eine “existenzsichernde Vergütung nach Tarifvertrag oder entsprechend der Vergütungen für den Vorbereitungsdienst”, die ebenfalls angehoben werden sollen. Die KMK hatte das als Merkmal dualer Studiengänge bisher gar nicht auf dem Zettel. Dabei sei die unzureichende Bezahlung von Praxisphasen schon jetzt ein Hauptgrund für viele Studienabbrüche, betonte Niklas Röpke, Vorstandsmitglied vom Freien Zusammenschluss von Student:innenschaften, anlässlich der Vorstellung des Papiers.
Mit den veröffentlichten Empfehlungen positioniert sich die GEW konträr zur SWK. Diese hatte in ihrem Gutachten Mitte Dezember gegen ein duales Lehramtsstudium votiert und dafür unter anderem Zustimmung vom Deutschen Philologenverband bekommen. Der KMK, die im März eine Stellungnahme zur Reform der Lehrkräftebildung abgeben möchte, liegt nun also ein weiterer Impuls vor.
Ihre zweite Vizepräsidentin Katharina Günther-Wünsch kündigte bei einer Podiumsdiskussion nach der Vorstellung des GEW-Papiers erneut Verhandlungen an, drückte aber gleichzeitig auf die Erwartungsbremse. “Wir werden in der KMK stark über den dualen Master reden. Aber wir müssen auch schauen, was länderübergreifend möglich ist”, sagte sie. Torben Bennink
Schulleitung, Schulträger und Schulaufsicht – sie alle kümmern sich auf ihre Weise um die Digitalisierung an Schulen. Die Zusammenarbeit ist allerdings noch ausbaufähig, heißt es vom Forum Bildung Digitalisierung. In einem Impulspapier gibt die Stiftung Empfehlungen, um den Austausch zu verbessern. Dabei geht es auch darum, ärmere Schulen besser zu unterstützen.
Wie die Rolle der Bildungsverwaltungen historisch gewachsen ist, lässt sich im ersten Teil des Papiers nachlesen. Spätestens der darauffolgende Praxischeck zeigt aber: Insbesondere die strikt getrennten Zuständigkeiten kollidieren oft mit den Herausforderungen des Schulalltags. Der Grund dafür ist einfach, sagt Ralph Müller-Eiselt, Vorsitzender des Forum Bildung Digitalisierung, im Gespräch mit Table.Media. “Infrastruktur und Pädagogik lassen sich für die digitale Schulentwicklung nicht mehr voneinander trennen.”
Schaffe man beispielsweise eine Software an, brauche es dafür eine gewisse digitale Infrastruktur, sagt Müller-Eiselt. Gleichzeitig entstehe durch die digitale Infrastruktur ein gewisser Rahmen, in dem dann die Pädagogik stattfinden könne. “Früher betrafen äußere Schulangelegenheiten rein bauliche Fragen, die mit der Pädagogik nichts zu tun hatten.”
Damit die Bildungsverwaltungen besser mit dieser Veränderung umgehen könne, empfiehlt die Stiftung den Bildungsakteuren sich häufig und in festem Rahmen auszutauschen. Oder wie es Müller-Eiselt formuliert: “Es braucht eine Kultur der Kooperation.” Dadurch könnten “regionale Bildungslandschaften” entstehen und Kommunikationswege, die flexibler und weniger an hierarchische Organisationslogik gebunden sind. In manchen Ländern, wie Bayern und NRW, sei der Austausch bereits recht weit fortgeschritten, sagt Müller-Eiselt, andere Länder seinen eher noch am Anfang.
Damit dieser Austausch möglichst effektiv ist, braucht es klare Zielvereinbarungen, sagt Müller-Eiselt. “Das schafft Verlässlichkeit und Vertrauen zwischen den Akteuren.” Für die Kooperation zwischen den Schulaufsichten und Schulträgern sollten laut dem Impulspapier möglichst bundesweit einheitliche Standards gelten. Ein länder- und kommunenübergreifender Dialog könnte zudem dabei helfen, die unterschiedliche finanzielle Ausstattung von Schulen stärker in den Fokus zu rücken. So könne man Konzepte entwickeln, wie man Schulen mit weniger Geld besser unterstützen kann – etwa mit “zweckgebundenen Budgets für Schulträger und Schulaufsichten”. Vera Kraft
Die Bundesländer laborieren seit einiger Zeit an smarten Schulclouds, in denen Schüler mit Künstlicher Intelligenz lernen können. Nun sollen nach Informationen von Table.Media überraschend zwei dieser Projekte verschmelzen. Das “Intelligente Tutorielle System” (ITS) und die “Adaptive Learning Cloud” werden kommende Woche fusionieren. Inhaltlich waren die Projekte bisher schon kaum zu unterscheiden – sie wollen möglichst individuelle Lernerlebnisse für Schüler bieten, und Lehrkräfte sollen jederzeit erkennen können, wie der Lernstand ihrer Schützlinge ist.
Finanziell entsteht ein Großprojekt mit einem Volumen von über 60 Millionen Euro für Entwicklung und Programmierung. Beteiligt sind dann nicht mehr jeweils acht Bundesländer für das ITS und die Lerncloud, sondern insgesamt zwölf – ob das ein Vorteil für den Fortgang des Projektes ist, wird man sehen. Das Intelligente Tutorielle System unter Federführung Sachsens sollte längst ausgeschrieben sein, ist es aber bisher nicht. Und die Adaptive Learning Cloud mit Hamburg als Projektleitung ist noch weit davon entfernt. Interessant ist auch, dass die Gelder aus dem Digitalpakt stammen und also bis spätestens 2026 ausgegeben sein müssen. Wenn man bedenkt, dass der formelle Startschuss für das ITS bereits 2021 fiel, ist das ein sportliches Unterfangen.
Die größte Herausforderung für das Projekt ist, halbwegs mit der Geschwindigkeit mitzuhalten, die Sprachmodelle wie ChatGPT entfacht haben. Die Bewerber um den Prototypen des ITS waren erfahrene EdTechs wie Bettermarks, das Tübinger Feedbook oder Area9 Lyceum, das am Ende das Rennen machte. Allerdings ermöglicht es OpenAI inzwischen, dass sich Projekte an ChatGPT andocken.
Nach Kenntnis von Table.Media soll das neue Super-ITS den Schülern einen Chat-Partner für Lerndialoge bieten, zudem soll es eine Art Klausur-Vorbereitungstool geben. Das bedeutet, dass die KI bei den Lernenden vor einer Arbeit die geforderten Lerninhalte abfragt. Außerdem ist es wichtig, dass die Lehrkräfte ein Monitoring ihrer Schüler vornehmen können. Und natürlich sollen die Datenschutzauflagen der DSGVO eingehalten werden. Christian Füller
Die Kinder-Suchmaschine Blinde Kuh ist einer Umorganisation des Familienministeriums zum Opfer gefallen. Neben der – privat organisierten – Suchmaschine FragFinn war das aus einer Initiative in Hamburg entstandene “Google für Kinder” eines der beiden Standbeine einer kindgerechten digitalen Infrastruktur. Über das Aus der Suchmaschine gab es keine Presseöffentlichkeit – deswegen dürften Tausende von Grundschulen in Deutschland nun von dem Banner auf der Website überrascht sein, dass das Angebot endet.
“Wenn jemand in den letzten 25 Jahren etwas davon verstand, was das Internet für Kinder bedeutet und wie man ihnen den Weg zu guten Angeboten weist – dann war es die Blinde Kuh”, beschreibt die Professorin für Medienforschung, Friederike Siller, die Bedeutung der Suchmaschine. “Gerade in diesen Zeiten ist es notwendig, dass sich die klugen Köpfe der Bildungsrepublik zusammentun, um Strategien für eine kindgerechte digitale Infrastruktur aufzusetzen.” Die Prinzipien eines Internets für Kinder heißen: Schützen, Teilhaben lassen, Befähigen. Blinde Kuh erfüllte alle diese Prinzipien. Und sie war damit für Lehrer wie den Medienbeauftragten der Michael-Grundschule Wachtendonk, Johannes Hellenbrand, eine wichtige Quelle. “Kinder konnten sich mit der Kuh die brennenden Fragen beantworten, die sie tatsächlich haben – und wurden nicht ständig durch das abgelenkt, was ihnen der Algorithmus zuspielt, sagte er Table.Media. “Es kamen allerdings wenige handverlesene Sachen dabei rum.”
Die händische Kuratierung der Suchmaschine war der Vorteil von Blinde Kuh – und zugleich ihr Nachteil. Denn Kinder benutzen natürlich längst die gängigen Suchmaschinen, die auf den Smartphones ihrer Eltern eingestellt sind – oder sie fragen KI-Sprachroboter. Mit der Intuitivität und der Geschwindigkeit von Chat-KIs konnte Blinde Kuh nicht mithalten. Allerdings war sie dadurch auch viel sicherer und kindgerechter.
Blinde Kuh wird seit 2004 vom Bundesfamilienministerium gefördert. Dabei ging es pro Jahr um rund 300.000 Euro. Das Ministerium erklärte auf Anfrage, verantwortlich sei nicht Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), sondern die “Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz” (BzKJ). “Die Zuständigkeiten sind vom BMFSFJ im Bereich der Förderung von Angebotsformen, die für Kinder unbedenklich und besonders empfehlenswert sind, an die BzKJ übertragen worden.” Und die Bundeszentrale habe der Blinden Kuh frühzeitig mitgeteilt, dass es keine Förderung mehr für sie gebe. Die Medienforscherin Siller sagte: “Mit der Blinden Kuh verschwindet eine wichtige Bastion des offenen Internets für Kinder.” Christian Füller
Die im Jahr 2011 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtete Förderlinie “Forschung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten” wird Ende 2024 abgeschlossen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervor.
In einem offenen Brief hatten Universitäts- und Hochschulprofessoren im Oktober 2023 die Weiterführung und den Ausbau dieses Forschungsbereichs gefordert. Nun steht fest: Das BMBF plant keine vierte Förderrunde. Aufgrund des erreichten Forschungsstands seien keine weiteren Fördermaßnahmen vorgesehen.
In dem Förderschwerpunkt seien insgesamt 45 Forschungs- und Entwicklungsprojekte, fünf Juniorprofessuren und zwei Nachwuchsforschungsgruppen mit einem Gesamtvolumen von 32 Millionen Euro gefördert worden. Damit habe das BMBF einen wichtigen Beitrag geleistet, um wissenschaftlich fundierte Präventions- und Interventionsmaßnahmen entwickeln zu können. abg
Die Zahl der Kinder in Niedersachsen, die bei den Schuleingangsuntersuchungen (SEU) keine oder nur rudimentäre Deutschkenntnisse aufweisen, ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Waren es 2018 noch 5,2 Prozent der Mädchen und Jungen, stieg der Anteil 2022 auf 6,6 Prozent.
Die Zahlen stammen aus einer aktuellen Antwort des niedersächsischen Kultusministeriums auf eine Kleine Anfrage zur frühkindlichen Förderung in Niedersachsen. Gestellt hatten sie die CDU-Landtagsabgeordneten Sophie Ramdor und Anna Bauseneick. Beide sind Mitglied im Kultusausschuss.
Als einen Grund für die Entwicklung nennt Ramdor den großen Zuzug von Familien nach Deutschland. “Hier müssen wir uns fragen: Wie schaffen wir es, dass Kinder mit weniger Deutschkenntnissen gut ins System kommen?” Bauseneick betont zudem die Corona-Nachwirkungen. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass die Pandemie auch im sprachlichen Bereich deutliche Defizite verursacht habe.
Als Reaktion auf die Ergebnisse sprechen sich beide Politikerinnen im Gespräch mit Table.Media dafür aus, das Hamburger Sprachförderkonzept als Vorbild zu nehmen. Im Stadtstaat gibt es eine Sprachstandsfeststellung für alle Viereinhalbjährigen. Wird ein Unterstützungsbedarf festgestellt, folgt eine verpflichtende Förderung.
In Niedersachsen ist spätestens mit Beginn des letzten Kindergartenjahres die Sprachkompetenz zu erfassen. Diese Aufgabe liegt bei den Kitas. Sie sollen, so geht es aus der Antwort des Kultusministeriums hervor, pädagogische Konzepte erarbeiten, die “auch Ausführungen zur Sprachbildung aller Kinder sowie zur individuellen und differenzierten Sprachförderung enthalten”. Die Qualität dieser Konzepte ist allerdings sehr unterschiedlich. Das konstatiert ein im Vorjahr veröffentlichter Evaluationsbericht.
Bei Kindern, die keine Kita besuchen, führen die Schulen bei der Schulanmeldung die Sprachstandsfeststellung durch. Erkennen sie einen Förderbedarf, erfolgt eine verpflichtende Förderung durch Grundschullehrkräfte. Dieses Aufgabenfeld dürfte gewachsen sein. Zumindest zeigen die Zahlen des Kultusministeriums, dass der Anteil der Drei- bis Unter-Sechsjährigen, die in keiner Kindertagesbetreuung waren, zwischen 2019 und 2023 von 6,8 auf knapp 8,7 Prozent gewachsen ist.
Ramdor macht sich darüber hinaus für frühere Schuleingangsuntersuchungen und Bildungsstandards im vorschulischen Bereich stark. “An dieses Thema wollte das Kultusministerium in seiner Antwort aber nicht rangehen”, moniert sie. Das Ministerium schreibt, dass zu erreichende Bildungsstandards im Zuge der vorschulischen Förderung “weder durch den Bund noch durch das Land Niedersachsen geregelt” seien. Holger Schleper
Jeder zehnte Auszubildende in Schleswig-Holstein könnte künftig auf eine andere Berufsschule gehen müssen als bisher. Das geht aus einem Plan des Schleswig-Holsteinischen Instituts für Berufliche Bildung (SHIBB) hervor, der ab kommendem Schuljahr bis etwa 2030 sukzessive in Kraft treten könnte (zum Download).
Hintergrund ist, dass die Zahl der Azubis im Land stark gesunken ist: von 62.000 im Ausbildungsjahr 2019/2020 auf rund 45.000 im vergangenen Schuljahr. Das führt dazu, dass in manchen Klassen nur noch eine Handvoll Berufsschüler sitzen oder manche Berufe zusammen unterrichtet werden, was “Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität” haben könne.
Von insgesamt 250 dualen Ausbildungsberufen in Schleswig-Holstein wären nach aktuellem Vorschlag rund 50 von Änderungen betroffen. Besonders starke Einschnitte könnte es für angehende Bäcker, Bäckerei-Fachverkäufer, Fleischer und Fleischerei-Fachverkäufer geben. Für Bäcker-Azubis soll es zum Beispiel nur noch drei statt bisher neun Berufsschulen geben. Aber auch in Berufen wie Bankkauffrau, Rechtsanwaltsfachangestellter oder Land- und Baumaschinenmechatroniker sind Einschnitte geplant. Daneben sollen künftig mehr Azubis aus unterschiedlichen Berufen gemeinsam lernen. 15 Metallberufe sollen so im ersten Ausbildungsjahr zu einem Cluster zusammengelegt werden.
Stephan Cosmus, Vorsitzender des Verbands der Lehrerinnen und Lehrer an Berufsbildenden Schulen in Schleswig-Holstein und Leiter einer Berufsschule in Lübeck, sagte Table.Media: “Die Änderungen sind für bestimmte Berufe einfach notwendig. Ich fürchte aber, dass gerade minderjährige Azubis sich bei langen Fahrtzeiten oder Blockunterricht mit Unterbringung im Internat künftig gegen bestimmte Berufe entscheiden.” Generell fehlt ihm in den Plänen des SHIBB eine qualitative Untersuchung der Frage, wie junge Menschen darauf reagieren, wenn der Weg zur Berufsschule weiter wird. Ulrich Keller, Direktor des Berufsbildungszentrums Mölln, äußerte im NDR die Sorge, dass Azubis nach Hamburg abwandern.
Bis 2035 rechnet Schleswig-Holstein bereits mit einer Lücke von mindestens 180.000 Fachkräften, das ergab eine von der Landesregierung beauftragte Studie. Ausdrücklich nicht antasten will das Land laut aktuellem Plan daher auch Berufe, die “für die regionale Wirtschaft von Bedeutung und für die Energiewende erforderlich” sind. Genannt werden etwa: Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Friseure, Tischler und Verkäufer.
Eine Lösung könnte laut Papier des SHIBB mehr Hybridunterricht sein. Spätestens bis Ende März will das Kabinett dem Landtag dafür eine Novellierung des Schulgesetzes vorlegen. Dem Papier vorangegangen waren eine datengestützte Evaluation der Situation an den Berufsschulen und rund 80 Treffen mit Schulträgern, Schulen, Azubis, Kammern, Landesinnungen und Fachverbänden. Jetzt soll es weitere Feedback-Runden geben. Anna Parrisius
“Unzureichend”, “befriedigend”, “gut”, “hervorragend” – das sind die vier Prädikate, die die Ofsted bislang bei Schulinspektionen vergeben hat. Die Ofsted ist die Schulinspektionsbehörde in England (Office for Standards in Education, Children’s Services and Skills). Die Behörde gehört zum Bildungsministerium, sie untersteht aber dem Parlament. Das hat nun beschlossen, dass mit solchen Ein-Wort-Bewertungen in Zukunft Schluss sein soll. Am Montag wurde ein entsprechender Bericht veröffentlicht (zum Download).
Die Untersuchung hat eine tragische Vorgeschichte. Nach einer Schulinspektion hatte sich Schulleiterin Ruth Perry das Leben genommen. Eine daraufhin eingeleitete Untersuchung gab Ofsted eine maßgebliche Mitschuld an dem Selbstmord. Perry hatte die Caversham Primary School in Reading, westlich von London, 13 Jahre geleitet. Im November 2022 wurde die Schule von Ofsted-Mitarbeitern besucht und bewertet. Die Prüfer gaben der Grundschule, die bis dahin das Etikett “hervorragend” getragen hatte, nun das Prädikat “unzureichend”, die schlechteste Bewertung überhaupt. Grund war nicht etwa eine schlechte Pädagogik, sondern Kritik an der Verwaltungsarbeit: Der Schutz der Schüler sei zwar gewährleistet, würde aber nicht ausreichend dokumentiert. Das reichte für die radikale Abwertung.
Medienberichten zufolge habe Ofsted über Jahre eine Atmosphäre der Angst und Verunsicherung verbreitet. Dabei war die Grundidee der 1992 eingeführten Behörde eine andere. Während bis dahin Schulen von lokalen Bildungsbehörden beurteilt wurden, sollte die nationale Behörde Ofsted für mehr Transparenz und einheitliche Bildungsstandards sorgen.
Ofsted hat nach Perrys Selbstmord inzwischen eine neue Leitung bekommen. Während seine Vorgängerin noch jede Mitschuld am Tod der Schulleiterin von sich wies, hat sich der neue Leiter, Sir Martyn Oliver, für seine Behörde öffentlich entschuldigt. Und er führte bei Ofsted neue Regeln ein: Ein-Wort-Beurteilungen soll es in Zukunft nicht mehr geben. Außerdem soll eine Einstufung als “unzureichend” aufgrund geringfügiger Sicherheitsbedenken in Zukunft nicht mehr möglich sein. Alle Inspekteure der Ofsted müssen darüber hinaus ein psychologisches Training durchlaufen. Und auch ein besseres Fachwissen wurde im Bericht angemahnt. Das lässt erstaunen, denn in der Regel waren die Inspekteure zuvor selbst Schulleiter. Sie sollten also wissen, wie Schule läuft. aku
Für Politik begann Lina Seitzl sich zu interessieren, als sie als erste in ihrer Familie ein Studium anfing. Geboren in Lörrach, entschied sie sich nach ihrem Abitur 2008 für ein Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Uni Konstanz. Und auch wenn ihre Eltern sie unterstützten, stieß Seitzl dabei auf etliche Herausforderungen: etwa die Finanzierung des Studiums oder fehlendes Wissen ihrer Eltern darüber, was an der Uni passiert. Dass es anderen einmal besser ergeht, dafür arbeitet Seitzl heute als SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Bildungsausschuss.
Schon während ihres Studiums trat Seitzl der SPD bei und engagierte sich bei den Jusos. Sie wurde stellvertretende Landesvorsitzende der Jusos Baden-Württemberg und war vor ihrem Einzug in den Bundestag 2021 Vorsitzende der SPD Konstanz. Seit 2019 ist sie Kreisrätin im Landkreis Konstanz. Neben ihrem politischen Engagement promovierte Seitzl und gehört damit zu den wenigen – etwa einem von 100 Kindern – die dies aus einem nicht-akademischen Umfeld schaffen.
Ihr Promotionsthema an der Uni St. Gallen: die Relevanz dualer Berufsbildungssysteme und welchen Beitrag diese in Zeiten der Transformation noch leisten werden. Daneben war Seitzl wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Politische Ökonomie und betreute mehrere Forschungsprojekte zu Bildungsthemen. Bei der OECD arbeitete sie als Research Consultant im Projekt “Strengthening the Governance of Skills Systems”, das Ratschläge zur politischen Steuerung von Qualifikationssystemen gibt.
In der SPD-Bundestagsfraktion ist die 34-Jährige heute zuständig für Hochschulpolitik. Und sie beschäftigt sich generell mit der Frage, wie Bildungsungerechtigkeiten abgebaut werden können, damit Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer familiären Herkunft gleiche Startchancen haben.
Gerade vor dem Hintergrund der schlechten Pisa-Ergebnisse sieht sie gute Bildungspolitik immer auch als Prävention. Sie fordert, insbesondere die frühkindliche Bildung stärker zu priorisieren. Kitas sollten als Bildungseinrichtungen angesehen werden, die Kinder individuell fördern – damit alle Kinder beim Schuleintritt über ausreichende sprachliche Fähigkeiten verfügen.
Ganztagsschulen sieht sie als weitere Chance, Nachteile aus dem Elternhaus ausgleichen. Und sie spricht sich dafür aus, gezielt dort zu investieren, wo die sozioökonomischen Herausforderungen besonders groß sind: “Wir benötigen die besten und digital weitesten Schulen sowie die motiviertesten Lehrkräfte vor allem da, wo die Schülerschaft divers ist und Eltern nicht die nötige Unterstützung geben können.” Hoffnung setzt Seitzl daher in das Startchancen-Programm. Es sei zwar nicht die Lösung aller Probleme, aber ein bedeutender Fortschritt.
Der Alltag von Seitzl besteht aus strukturierten Sitzungswochen in Berlin und abwechslungsreichen Wahlkreiswochen in ihrer Heimat Konstanz. Dort besuche sie regelmäßig Schulen und sei beeindruckt vom politischen Interesse der Jugendlichen. Die Diskussionen mit jungen Menschen unterschieden sich kaum von denen mit Älteren.
Allerdings bereitet Seitzl Sorge, dass Kindern oft der Raum für politische Diskussionen fehle. Ihr sei das gerade mit Blick auf den Nahost-Krieg aufgefallen: Hier müssten Schüler sich frei äußern können, ohne gleich Angst zu haben, dass sie zu stark polarisieren. Die Schaffung dieses Raums durch Schulen sei entscheidend für eine demokratische Gesellschaft. Schüler wünschten sich zudem oft praxisnahe Lehrpläne, die auf ihre zukünftigen Bedürfnisse abgestimmt sind, habe sie festgestellt. Der Umgang mit Excel und Word ist für viele wichtiger als noch eine Differenzialgleichung. Sarah Birkhäuser
Research.Table: Wissenschaftsrat trifft Empfehlungen zu sinkenden Studierendenzahlen. Der Wissenschaftsrat hat am Montag Empfehlungen zum Hochschulsystem in Brandenburg und zum Umgang mit stagnierenden Studierendenzahlen veröffentlicht. Das Gremium zeigt sich in beiden Fällen besorgt über die Entwicklung bei internationalen Studierenden. Mehr
Research.Table: German University of Digital Science will IT-Fachkräfte ausbilden. Mit der privaten Digital-Universität wollen die Gründer und Informatikprofessoren Mike Friedrichsen und Christoph Meinel ein Leuchtturmprojekt ins Leben rufen. Experten sehen darin ein Konzept mit Zukunft. Mehr
Österreich | Eine bi- oder multilinguale Schule in jedem Bundesland. Das sieht das Bildungskapitel des “Österreichplans” von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor. Zudem sollen an Mittelschulen wieder die alten Leistungsgruppen eingeführt werden. Kleine Zeitung
Schule | Immer öfter springen freiwillige Helfer im Schulsystem ein. Ob als Lese-Paten oder Hausaufgabenbetreuung, die Zivilbevölkerung wird laut einer neuen Studie von sich aus immer aktiver. Darum geht es in dieser Campus & Karriere-Folge ab Minute 8. Dlf
Schulabbruch | Die Bundesagentur für Arbeit erhält nur von Bremen, Hamburg und Bayern die nötigen Daten. Andrea Nahles fordert die restlichen Länder auf, diesen Missstand zu beheben. Zudem solle die Berufsorientierung bereits in der fünften Klasse beginnen. Spiegel
Azubis | “Wenn wir in Deutschland über Begabtenförderung sprechen, werden Auszubildende meist nicht gemeint.” Das schreibt Alexandra Gestner, die Leiterin des Programmbereiches Persönlichkeitsbildung der Joachim Herz Stiftung in Hamburg. Und stellt ein neues Projekt in der Hansestadt vor, das genau dort ansetzt. Zeit
Lehrkräftemangel | Wieso eine junge Frau ihren Traumjob aufgibt. Viele Lehrkräfte brechen bereits im Referendariat oder in den ersten Berufsjahren ab. Kaliopi ist eine davon und erzählt, was dafür gesorgt hat. Und wie ihr ein Coaching von Isabell Probst hilft. ZDF
21. Februar 2024, Bremen
Forum Mehr Lehrkräfte, neue Kompetenzen: Wege aus der Bildungskrise
Wie kann Bremen es schaffen, erfolgreich gegen den Lehrkräftemangel vorzugehen? Und wie können Lehrkräften die nötigen Zukunftskompetenzen schnell vermittelt werden? Der Stifterverband lädt ein, zu diesem Thema zu diskutieren. Mit einem Impuls von Senatorin Sascha Karolin Aulepp. INFOS & ANMELDUNG
21. Februar 2024, 11.30 bis 12.55 Uhr, Berlin und digital
Sitzung des Bundestags 65. Sitzung
Bei der öffentlichen Ausschussberatung wird es ein Expertengespräch zum Thema BAföG geben. Zudem diskutieren die Abgeordneten über den Bericht über die Wirkungen des Vierten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes. INFOS
23. Februar 2024, Bonn und digital
Tagung Abschlusstagung des Projektes KoprA
Das Projekt “Entwicklung (digital-gestützter) kompetenzorientierter praktischer Abschlussprüfungen” diente dazu, ein Konzept für eine kompetenzorientierte praktische Prüfung in der Pflegeausbildung zu erstellen. Hierfür wurde mit Pflegeschulen kooperiert. Das Bundesinstitut für Berufsbildung lädt zu einer Abschlusstagung mit Fachvorträgen und Workshops zu den Ergebnissen des Projekts ein.
INFOS & ANMELDUNG
27. Feburar bis 01. März 2024, Berlin
Akademie FDZ Frühjahrsakademie 2024
Das Forschungsdatenzentrum lädt zu der Frühjahrsakademie zum Thema “Methoden der empirischen Bildungsforschung” ein. In verschiedenen Workshops werden Methoden wie die integrative Datenanalyse von Large-Scale Assessments behandelt. Anmeldefrist ist der 04. Februar. INFOS & ANMELDUNG
10. April 2024 bis 11. April 2024, Berlin
Train-the-Trainer-Qualifizierung Schulleitungsqualifizierung BD: “Digital Leadership und die Gestaltung schulischer Transformationsprozesse”
Das Forum Bildung Digitalisierung will Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ein tiefes Verständnis für die Konzeption und Arbeitsweise der Schulleitungsqualifizierung BD vermitteln. Die Teilnehmenden bekommen die Möglichkeit, das Konzept auszuprobieren und sich damit vertraut zu machen. Eine Anmeldung ist bis zum 16. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG
es dauert ja noch eine Ewigkeit, bis der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen beginnt. Zweieinhalb Jahre sind es noch, bis er für Erstklässler gilt. Bis dahin müssen Schulen noch viele akute Fragen klären: Kommt der Digitalpakt II? Wie lässt sich das Startchancen-Programm umsetzen? Wie lassen sich Basiskompetenzen besser vermitteln – und das beim derzeitigen Lehrermangel?
Wer denkt bei so viel Tagesaktualität an das Jahr 2026? Helmut Dedy auf jeden Fall. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags ist sehr skeptisch, was den Start anbelangt. Im Interview, das mein Kollege Holger Schleper und ich mit ihm geführt haben, sagt er: “Ich glaube nicht, dass es zum Stichtag ein flächendeckendes Angebot geben wird.” Das Hauptproblem sieht er vor allem in der Struktur der Zusammenarbeit von Bund, Land und Kommunen. Ideen, wie sie besser laufen könnte, hat er natürlich auch.
Ein großes Problem beim Ganztagsausbau ist auch das Personal. Umso überraschender ist, dass eine neue Prognose der Bertelsmann Stiftung in der vergangenen Woche hier Entwarnung gegeben hat. Schon im kommenden Schuljahr könnte es nicht mehr zu wenige, sondern zu viele (!) Lehrkräfte an Grundschulen geben. Meine Kollegin Vera Kraft ist dem nachgegangen und hat interessante Erkenntnisse gewonnen. Auch dazu, wieso es immer wieder neue Lehrerbedarfsprognosen mit immer wieder neuen Zahlen gibt.
Und noch ein Thema beschäftigt uns in diesen Tagen: Dürfen Lehrkräfte eigentlich demonstrieren? Das Bedürfnis, sich politisch klar gegen rechts zu positionieren, ist bei vielen Lehrern groß. Umso erstaunlicher ist die Mail, die die Bezirksregierung Köln vor Kurzem an Schulen geschickt hat. Christian Füller hat die Geschichte recherchiert. Sie ist zum Kopfschütteln.
Viele Themen, viele Hintergründe – ich hoffe, Sie finden genug Zeit zum Lesen!
Herr Dedy, ab 2026 gilt der Rechtsanspruch auf den Ganztag an Grundschulen. Wird die Umsetzung zu diesem Zeitpunkt funktionieren?
Ich glaube nicht, dass es zum Stichtag ein flächendeckendes Angebot geben wird. Dafür haben Bund und Länder in der Vergangenheit zu viel Zeit vertan. Erst eineinhalb Jahre, nachdem der Rechtsanspruch auf Bundesebene beschlossen wurde, stand die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern. Wenn man es aus unserer Sicht beschreibt: Wir werden nicht halten können, was andere versprochen haben.
Warum sind Sie so skeptisch?
Wir haben drei limitierende Faktoren. Einmal das Geld, aber das ist nicht das Wichtigste. Auch wenn wir jede Menge Geld hätten, hätten wir nicht überall bereits die passenden Räume. Aber der entscheidende Faktor ist das fehlende Personal. Wir haben Knappheit im Bereich der Kita, in der Schulsozialarbeit, im Bereich von Inklusionshelferinnen und -helfern. Das wird sich auch auf den Rechtsanspruch im Ganztag auswirken.
Der Rechtsanspruch ist verkündet. Gleichzeitig zweifeln Sie als einer der Hauptakteure in der Praxis an der Umsetzbarkeit. Wie kann es zu solch einer Konstellation überhaupt kommen?
Wir zweifeln nicht an der Umsetzbarkeit. Aber der Zeitplan bis 2026 ist kaum machbar. Das ist ein Grundproblem der Struktur zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Wir erhalten häufig Aufgaben aus Verfahren, an denen wir nicht beteiligt sind. Es ist immer der Klassiker: Es gibt eine Pressekonferenz von Bund und Ländern, auf der ein Plan verkündet wird. Dann kommt Verwaltungsvereinbarung, Verwaltungsvereinbarung, Verwaltungsvereinbarung, danach dreht die KMK drei Runden, und irgendwann kommt die tatsächliche Umsetzung. Bis dahin hat mit den Kommunen dann meist noch niemand gesprochen. Das ist oft absurd.
Was muss anders werden?
Ich wünsche mir eine gemeinsame Diskussion der Ebenen Bund, Länder und Kommunen, wie es funktionieren kann. Konkret: Ich hatte ein Gespräch im Bundesfamilienministerium zum Ganztag. Dort hieß es, wir sehen das anders als ihr, wir schaffen das mit dem Personal. Wenn alle ihre eigenen Wahrheiten haben, hilft das nichts.
Und was könnte das Ergebnis einer Verständigung sein?
Wir müssen auf der Bundesebene nochmal die Debatte führen, wie ein ehrliches Erwartungsmanagement zum Rechtsanspruch gegenüber den Eltern aussehen soll. Eine schrittweise Einführung, beginnend mit den Erstklässlerinnen und Erstklässlern zum Schuljahr 2026/2027 und den dann nachfolgenden Jahrgängen, sieht das Gesetz ja ohnehin vor. Aber wie gesagt: Flächendeckend wird der Rechtsanspruch nicht für alle Grundschüler ab Sommer 2026 zu halten sein. Wir dürfen nicht bei den Eltern eine Erwartungshaltung wecken, die – je näher der Stichtag rückt – zerbröselt.
Grundsätzlich zweifeln Sie aber nicht am Ausbau des Ganztags?
Ganz und gar nicht, wir wollen den Ausbau. Wir glauben, dass der schulische Ganztag eine große Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit bietet, wenn man ihn gut macht. Dabei ist ein zentraler Punkt, wie man den Ganztag definiert. Bekommen wir einen gebundenen Ganztag, bei dem es eine Teilnahmeverpflichtung gibt? Einen rhythmisierten Ganztag, mit verteilten Unterrichtszeiten auf den Vor- und Nachmittag und einem pädagogisch sinnvollen Wechsel zwischen Lernen und Entspannung? Dann ist der Gestaltungsrahmen ein anderer, als wenn wir im bisherigen System bleiben: morgens Schule, nachmittags eher Betreuung. Nach unseren Vorstellungen hat der gebundene Ganztag viele Vorteile. Schulträger sollten ihn einführen können, wenn sie sich gemeinsam mit den Eltern dafür entscheiden.
Wer koordiniert die Kooperation mit den vielen außerschulischen Partnern?
Das ist im Kern unser Job. Jugendhilfe ist eine städtische Aufgabe, jedenfalls in den großen Städten. Bei den kleineren Städten ist es die Aufgabe der Landkreise. Dazu kommen freie Träger oder die Vereine, zu denen wir auch schon jetzt die Kontakte haben. Und das alles muss natürlich immer in Abstimmung mit den Schulen geschehen.
Sie sprechen die Vereine an. Wird es bei den Kooperationen zu einem Verdrängungswettbewerb kommen, bei dem kleine Vereine chancenlos sind?
Es gibt Städte, die davon berichten. Hier öffnet sich ein großer Markt, auf dem sich gerade die tummeln, die gut aufgestellt sind, die mit Bürokratie umgehen können. Die Großen können das besser als die kleinen Initiativen. Man wird die großen Vereine brauchen, weil es auch um Quantität geht. Aber wir brauchen auch die Vielfalt von Großen und Kleinen.
Gibt es Qualitätskriterien, nach denen die außerschulischen Partner ausgewählt werden?
Das hängt auch von der Konzeption des Ganztags ab. Der Umsetzungsstand in den Ländern ist unterschiedlich. Wenn es eine Betriebserlaubnispflicht für den Ganztag in Ländern gibt, können damit auch Auflagen hinsichtlich der Qualifikation des Personals verbunden sein, die der außerschulische Partner erfüllen muss.
Aber wäre es nicht wichtig, dass es bundesweite Qualitätskriterien gibt?
Die Sicherung der Qualität im Ganztag ist Aufgabe der Länder. Wir sehen ohnehin die Länder in der konzeptionellen Ausgestaltung des Ganztags stark in der Pflicht. Am besten kommen die Länder ihrer Verantwortung nach, wenn sie in den Schulgesetzen verankern, wie der Ganztag gestaltet wird. Bei der Frage der Qualitätskriterien beißt sich aber die Katze auch in den Schwanz. Es gibt zu wenig Personal. Gleichzeitig fordern wir Qualität in den Angeboten. Das ist das Dilemma, das wir derzeit schon in der Kita haben.
Noch mehr als der Ganztag muss Sie aktuell der Digitalpakt umtreiben. Der Digitalpakt Schule läuft im Mai 2024 aus. Im Bundeshaushalt 2024 ist kein Cent für eine Fortsetzung eingestellt. Frühestens kommt der Digitalpakt II ab 2025 …
Dieses mehr als halbe Jahr Finanzierungslücke, das sich abzeichnet, ist für uns Schulträger bundesweit ein echtes Problem. Wenn in der Zeit ein Gerät kaputtgeht, werden wir es nicht ohne Weiteres ersetzen können. Wenn der Arbeitsvertrag eines IT-Administrators oder einer -Administratorin verlängert werden muss, werden wir das nicht unbedingt tun können.
Und was ist, wenn es keinen Digitalpakt II gibt, der Bund also kein weiteres Geld für die Schulen bereitstellt?
Wenn es so käme, dann muss die Schulfinanzierung der Länder greifen. Die Länder sehen sich aber nicht immer in der Pflicht, für Digitalisierungskosten aufzukommen. Das hieße dann auch, dass die unterschiedliche Finanzausstattung der Städte über die Spielräume in der Bildung bestimmen würde. Das wären Bildung und Schuldigitalisierung nach Kassenlage.
Also fordern Sie eine neue Art der Schulfinanzierung?
Ja, wir brauchen eine durchgehende, verlässliche Finanzierung. Förderprogramme sind gut, dauerhafte Finanzierung ist besser. Wenn die Ergebnisse der jüngsten Bildungsstudien so alarmierend sind, wenn wir eine andere Bildung wollen und eine Schule, die nicht um 14 Uhr schließt, ist es notwendig, dass wir zukünftige Anforderungen an Schule auch verlässlich finanzieren.
Was fordern Sie konkret?
Wir haben immer noch die Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten. Das ist nicht mehr in allen Fällen zeitgemäß. Die Schulträger sind als “Hausmeister” für Gebäude und Ausstattung zuständig, die Länder für Lehrer und Lehrplan. Aber blicken Sie zum Beispiel auf die Inklusion. Sie benötigen andere Räume, das macht der Schulträger. Ich brauche aber auch Inklusionshelferinnen und -helfer. Wer macht das? Da geht der Streit los. Oder die Digitalisierung: Sobald der Digitalpakt I ausläuft, beginnt der Streit über Zuständigkeiten auch hier.
Was wäre der erste Schritt in Richtung einer neuen Schulfinanzierung?
Man muss sich die Geldflüsse anschauen. Wir benötigen bildungsökonomische Gutachten. Und dann werden wir eine Struktur für eine sachgerechte Aufteilung finden müssen. Wo das Land Einfluss nehmen kann, trägt es die Finanzierungsverantwortung, wo die Stadt Einfluss nehmen kann, gilt dasselbe für sie. In einigen Bundesländern gibt es bereits erste Gutachtenaufträge. Klar, das ist konfliktträchtig. Aber dann sind wir vielleicht in einer anderen bildungspolitischen Zukunft, in der wir nicht über jedes Förderprogramm zwischen Ländern und Kommunen oder zwischen Bund und Ländern streiten. Das ist zermürbend.
Die perfekte Überleitung zum Startchancen-Programm. Wenn alles gut läuft, werden Bund und Länder das Programm nach zähen Verhandlungen in den kommenden Tagen beschließen. Was kommt dann auf die Kommunen zu?
Etliche Länder haben noch keinen Sozialindex, nach denen die Schulen ausgewählt werden können. Die Frage, welche Schulen profitieren sollen, muss gemeinsam zwischen Land und Schulträgern entschieden werden. Wir brauchen jetzt das klare “Go” von den Ländern, dass sie mit uns die Startchancen-Schulen gemeinsam festlegen wollen. Die Schulträger sollten zudem den Umgang mit den Schulbudgets mitgestalten können.
Wer bestimmt letztendlich, welche Schule zur Startchancen-Schule wird?
Formal entscheidet das Land. Die Landesperspektive kann aber nicht so genau sein wie unsere. Deshalb biete ich an – aber fordere es auch ein – die Städte zu beteiligen. Wenn die Länder einen Sozialindex entwickeln müssen, brauchen sie Daten wie den SGB-II-Bezug. Die Städte haben diese und weitere Sozialdaten. Daher ist es klug, uns einzubeziehen.
Im Koalitionsvertrag der Ampel wurde für die Bildung eine Arbeitsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen angekündigt. Noch hat sich hier dem Vernehmen nach nichts getan. Wie hoffnungsfroh sind Sie, dass das in dieser Legislaturperiode noch kommt?
Ich glaube nicht, dass da etwas kommt. Wir hatten vor einiger Zeit einen Briefwechsel mit dem BMBF. Der war nett, rausgekommen ist nichts. Es wäre schon schön, wenn man die Städte als Mitgestalter von örtlicher Bildungspolitik mehr respektieren würde. Ob wir dazu eine ständige Arbeitsgruppe brauchen oder uns mehrmals im Jahr themenbezogen treffen, ist zweitrangig. Bildungspolitik geht nur gemeinsam, mit allen drei Ebenen.
Hunderttausende gehen seit der Enthüllung eines Geheimtreffens Rechtsextremer auf die Straße. Am 16. Januar fand die erste Großdemonstration in Köln mit rund 30.000 Menschen statt, darunter viele Lehrkräfte. Aber schon wenige Tage später fanden Kölner Lehrkräfte ein Schreiben der Bezirksregierung in ihrem Postfach, das für manche wie eine Ohrfeige wirkte. Als Beschäftigte des Landes hätten sie ihre Neutralitätspflicht sowie das Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot des Beamtengesetzes einzuhalten, heißt es darin. Die Mail aus dem Regierungspräsidium bezog sich formell auf die Europawahlen im Juni. Sie löste dennoch Verunsicherung, Empörung – und scharfe juristische Kritik aus.
Lehrer Stefan Behlau, der mit seiner Tochter auf der Kölner Demonstration war, kritisierte die Unsensibilität des Kölner Regierungspräsidiums. Behlau ist Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung in Nordrhein-Westfalen. Er weiß, dass das Schreiben regelmäßig vor Wahlen verschickt wird. Dennoch beharrt er darauf, “dass Lehrer natürlich nicht meinungsfrei agieren müssten”.
Genau das suggerierte aber ein Anhang an der Schulmail mit dem Titel “Hinweise zur Aufgabenerfüllung im öffentlichen Dienst des Landes NRW”. Das PDF ist neun Punkte lang und attestiert Lehrern ein eingeschränktes Recht auf freie Meinungsäußerung (Dokument als PDF). Die Bezirksregierung Köln verwies auf Anfrage von Table.Media auf das Innenministerium. Das Innenministerium wiederum äußerte sich bis Redaktionsschluss trotz Anfrage nicht.
Behlaus Kollegin Jana Koch hatte nach der E-Mail aus der Bezirksregierung viel zu tun. Viele – vor allem junge – Lehrkräfte und Schulleitungen meldeten sich bei der Kölner Schulberaterin. “Die Lehrerinnen und Lehrer waren verunsichert”, erzählt Koch, die bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist. “Sie wollten nach dieser Schulmail wissen: Darf ich denn nicht demonstrieren?” Koch stellte klar: Streiken dürften Lehrer nicht, aber sehr wohl demonstrieren.
“Ich finde das Timing dieser Mail an alle Lehrer:innen sehr unglücklich”, sagt auch die Kölner Lehrerin Inga Feuser, die bei “Teachers for Future” aktiv ist. Das Schreiben hätte unbedingt einer Einordnung bedurft, dass sich das Mäßigungs- und Neutralitätsgebot nicht auf die Teilnahme an Demonstrationen erstrecke. “So, wie es jetzt rausgegeben wurde, schürt dieses Schreiben Unsicherheit unter den Lehrkräften – und das zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt”, sagte Feuser Table.Media.
Während Lehrer und Gewerkschafter sich an Timing und Tonlage des Anschreibens störten, geht der Verfassungsrechtler und Experte für Schulfragen, Michael Wrase, viel weiter. Er hinterfragt grundsätzlich die “Hinweise zur Aufgabenerfüllung im öffentlichen Dienst des Landes NRW”. Diese wirkten, so Wrase zu Table.Media, wie ein “Maulkorberlass” für die Lehrkräfte. Die Hinweise sollten nicht mehr verwendet werden, sagte Wrase, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung arbeitet.
Nach Recherche von Table.Media stammen die am Montag vergangener Woche verschickten Hinweise aus dem Jahr 1991. Sie wurden von dem 2004 verstorbenen Wissenschaftsminister und späteren Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) erstmals verwendet. Die Schranken für die politische Meinungsäußerung außerhalb des Schuldienstes seien in den Hinweisen “viel zu eng gezogen”, schreibt Wrase in einer juristischen Einschätzung. Es erwecke den Eindruck, “als würden die Hinweise noch auf dem überkommenen Verständnis des Beamtenverhältnisses als ‘besonderes Gewaltverhältnis’ beruhen. Das ist schon lange nicht mehr vertretbar”.
Jene Stelle in den Hinweisen des Innenministeriums, wo es um die politische Meinungsäußerung von Beamten geht, nennt Wrase sogar irreführend. “Hier differenziert das Schreiben nicht ausreichend klar, um deutlich zu machen, dass außerhalb des Dienstes selbstverständlich das Recht auf freie Meinungsäußerung und zur politischen Betätigung gilt und nur äußersten Grenzen unterliegt.” Mit anderen Worten: Das schlechte Gefühl vieler Lehrkräfte, nach der Demonstration gegen rechts eingeschüchtert worden zu sein, entspricht auch der verfassungsrechtlichen Einordnung.
Der Leiter der Kölner Heliosschule, Andreas Niessen, fand die Aussendung fragwürdig. Er vermisste in der Mail “einen Hinweis auf die Notwendigkeit, dass Landesbeamt:innen und somit auch Lehrer:innen nicht schweigen, wenn Grundgesetz oder Landesverfassung gefährdet erscheinen”. Niessen sagte Table.Media, dass man den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund die Ängste anmerke – nachdem ein Geheimtreffen von AfD-Politikern mit dem Neonazi Martin Sellner bekannt wurde, die Abschiebungen von Millionen Menschen besprachen. Er klärte deshalb in einer Videobotschaft seine Schulgemeinschaft “über die menschenverachtenden Pläne” auf.
Inga Feuser von Teachers for Future geht noch einen Schritt weiter. Sie sagte, Lehrerinnen und Lehrer hätten sogar die Pflicht, für die Verfassung einzustehen. Das Schreiben der Bezirksregierung Köln sei besonders problematisch, weil es die Sätze des Beamtenstatusgesetzes zu Mäßigung und Neutralität hervorhebe, “die wie eine Einschüchterung wirken. Weggelassen wurde hingegen der dritte Satz, der Beamte und auch Lehrkräfte dazu verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen – und für ihren Erhalt einzutreten”.
Ob das Innenministerium und die anderen Regierungspräsidien in NRW auf die Kritik eingehen, wird man bald sehen. Denn die “Hinweise zur Aufgabenerfüllung im öffentlichen Dienst des Landes NRW” stehen gerade in ganz NRW zum Versand an.
Sie sorgen für politischen Druck – aber auch für Verwirrung. Die Prognosen, wie viele Lehrkräfte in Zukunft fehlen, fallen teils sehr unterschiedlich aus. Die wissenschaftlichen Berater der Kultusministerkonferenz raten daher, Berechnungen auf vergleichbaren Standards aufzubauen. Dass das gar nicht so einfach ist, zeigt die aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung. Die darin vorgestellte Aussicht auf einen baldigen “Lehrerüberschuss” an Grundschulen löst nicht nur Erleichterung aus. Bildungsexperten kritisieren die Machart der Studie und diskutieren, was sich aufgrund dieser neuen Prognose für die Schulen ändert.
Der momentan akute Lehrermangel an Grundschulen soll schon bald überwunden sein. Zu diesem Schluss kam vor ein paar Monaten bereits die Kultusministerkonferenz (KMK), als sie einen Überschuss von 6.300 Absolventinnen und Absolventen bis zum Jahr 2035 prognostizierte (zum Download). Neuen Schätzungen zufolge könnte diese Zahl jedoch um ein Siebenfaches größer sein.
Das Muster hat sich in den vergangenen Jahren häufig wiederholt: Die KMK legt eine Bedarfsprognose vor und wenige Wochen später rechnen Bildungsforscher, meist Klaus Klemm und Dirk Zorn, nach und kommen auf andere Ergebnisse. Dieses Mal liegt der Grund für die unterschiedlichen Werte in erster Linie an der Geburtenrate. Die KMK hat für ihre Berechnung die Zahl der Geburten für 2022 und 2023 geschätzt und daraus die Schülerzahlen für die kommenden Jahre abgeleitet. Doch diese Schätzung war zu hoch, denn in diesen Jahren kamen in Deutschland weniger Kinder zur Welt als in den Jahren zuvor. Diese Erkenntnis haben Klaus Klemm, emeritierter Professor für Bildungsforschung, und Dirk Zorn, bei der Bertelsmann Stiftung zuständig für den Bereich Bildung, nun in ihrer eigenen Berechnung berücksichtigt.
Dennoch erklären die veränderten Geburtenzahlen nur rund die Hälfte der Differenz zur KMK-Prognose, sagt Zorn im Gespräch mit Table.Media. Die KMK lege nicht alle Faktoren, die sie für ihre Prognose verwendet, offen. “Während wir zunächst darlegen, wie viele Lehrkräfte zur Fortschreibung des gegenwärtigen Personalschlüssels nötig wären, haben die Länder geplante Reformvorhaben bereits mit einbezogen”, erklärt Zorn. Dies haben die Autoren Klemm und Zorn bei dieser Studie bewusst nicht getan. “Natürlich gibt es enormen Handlungsbedarf, die Qualität des Lernens zu verbessern”, sagt Zorn und nennt als Beispiele das Startchancen-Programm und eine intensivere Förderung der Basiskompetenzen in Reaktion auf die letzten IQB- und Pisa-Ergebnisse.
“Wenn wir in früheren Studien solche Reformbedarfe in die Rechnungen einbezogen haben, wurde das politisch oft als reines ‘Wünsch-Dir-Was’ kritisiert”, sagt Zorn. In den Prognosen der Bundesländer, auf die sich wiederum die Prognose der KMK stützt, sind solche Vorhaben dagegen oft berücksichtigt. Die KMK kommt daher in Summe auf einen deutlich höheren Bedarf an Lehrkräften als Klemm und Zorn. “Das erklärt, warum der Überschuss der KMK nicht größer ausfällt”, sagt Zorn.
Ein zentraler Grund, warum die Prognosen sich so stark unterscheiden, sind daher schlicht die unterschiedlichen zugrundeliegenden Zahlen. Die Berechnungen von Stiftungen und Forschungsinstituten greifen häufig auf deutschlandweite Statistiken zurück und können schneller auf Veränderungen reagieren. Die KMK addiert dagegen die Bedarfsprognosen der Länder. Das gibt zwar Einblicke in regionale Entwicklungen, dauert aber länger. Zudem verwenden auch nicht alle Länder die gleichen Kriterien, was zu weiteren Unstimmigkeiten führt.
Dieter Dohmen sieht die Berechnungen der Bertelsmann Stiftung aber noch aus anderen Gründen kritisch. Denn Klemm und Zorn gehen davon aus, dass die Geburtenzahlen in den kommenden Jahren auf dem sehr niedrigen Niveau von 2023 bleiben. “Das ist zwar eine legitime Annahme“, sagt der Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). “Aber sie ist hochspekulativ.” Noch dazu hält Dohmen die Zahlen der ausscheidenden Lehrkräfte – sei es wegen Ruhestand oder aus anderen Gründen – für zu niedrig angesetzt. Das Neuangebot an Lehrkräften sei dagegen sowohl bei der KMK als auch der Bertelsmann Studie “sehr optimistisch”. “In unseren Berechnungen kommen wir auf solch hohe Zahlen nur dann, wenn wir davon ausgehen, dass rund 20 Prozent der Neueinstellungen Personen sind, die kein Lehramt studiert haben”, sagt der FiBS-Direktor.
Damit die Prognosen in Zukunft einheitlicher und besser nachvollziehbar werden, haben sich vor einigen Tagen Mitglieder der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) mit Bildungsforscher Klaus Klemm bei einem “SWK Talk” beraten. Ziel sei laut SWK-Vorsitzendem Olaf Köller “ein besseres Frühwarnsystem”. Dafür müssten insbesondere die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung schneller in die Schülerprognostik einfließen, sagt Klemm. “Das funktioniere zum Teil bereits mit der vorhandenen Datenbasis.”
Letztendlich sind es aber nicht nur die Datenlage oder die Methodik, die die Berechnungen beeinflussen. “Man darf nicht vergessen, dass die Prognosen der Länder häufig politischem Einfluss ausgesetzt sind”, sagt FiBS-Direktor Dohmen. Was genau berücksichtigt wird – da müssten die Prognosen der Länder noch transparenter werden, fordert Dohmen.
Die Länder selbst reagieren auf die Bertelsmann-Studie eher zurückhaltend. Die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Dorothee Feller etwa sagte Table.Media: “Über die von der Bertelsmann Stiftung vorgelegten Zahlen sollten wir uns nicht zu früh freuen.” Die Grundannahmen der Studie – zu Geburtenrückgang und einer sinkenden Zahl an zugewanderten Schülerinnen und Schülern – würden nicht der landeseigenen Prognose entsprechen. Doch selbst wenn diese Annahmen eintreffen sollten, werde es in NRW “noch Jahre dauern, bis der Lehrkräftemangel im Grundschulbereich überwunden ist”, so Feller.
In Bayern verlässt man sich auch lieber auf die eigenen Berechnungen. “Selbst wenn der Überhang stärker ausfällt als ursprünglich angenommen, ist vollkommen klar, dass jede Lehrkraft ein Einstellungsangebot erhalten wird”, versichert ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums im Gespräch mit Table.Media. An der bisherigen Planung, etwa mehr Stellen zu schaffen, ändere sich nichts. Durch den Ganztagsausbau und die zusätzlichen Fördermaßnahmen für Lesen, Schreiben und Rechnen im Zuge der Pisa-Offensive würden die Fachkräfte an Grundschulen dringend benötigt.
Die Sorge mancher Bildungsverbände, die Studie der Bertelsmann Stiftung würde das falsche Signal an die Politik senden, teilt Studienautor Zorn nicht. “Die Fortschreibung des Status quo dient lediglich dazu, den Grundbedarf an Lehrkräften zu bestimmen”, sagt Zorn. “Gleichzeitig zeigen die Berechnungen die personellen Spielräume für Verbesserungen.” Die Politik könne jetzt die Weichen dafür stellen, dass zusätzliche Lehrkräfte sinnvoll an den Grundschulen eingesetzt werden.
Die Verhandlungen zum Startchancen-Programm stehen kurz vor dem Abschluss. Auch wenn den Termin noch niemand offiziell bestätigen möchte, stellen sich alle Beteiligten darauf ein, dass am Freitag (2. Februar) eine Sonder-KMK stattfindet. Die Länder zögern noch mit der Bestätigung, da sie zunächst die am heutigen Mittwoch auf Staatssekretär-Ebene stattfindende Klausurtagung zwischen Bund und Ländern zum Digitalpakt II abwarten wollen. Die Gespräche dazu hatten am Dienstag bereits auf Arbeitsebene begonnen.
Nach der Sonder-KMK wird sich auch der Bundestag noch einmal mit dem Startchancen-Programm befassen. Wie Table.Media aus Koalitionskreisen erfuhr, wollen die drei Ampel-Fraktionen einen Entschließungsantrag stellen. Damit erklärt das Parlament gegenüber der Regierung, zu welchem Zweck die vorgesehenen Mittel eingesetzt werden sollen. Für das Inkrafttreten des Programms ist ein solcher Antrag zwar nicht erforderlich; SPD, Grünen und FDP geht es aber vor allem darum, öffentlich noch einmal auf den Erfolg aufmerksam zu machen. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger tat dies am Dienstagabend bereits in der Bundestagsdebatte zu ihrem Etat: “Der Bund hat geliefert. Der Bund steht bereit: Eine Milliarde Euro pro Jahr für die nächsten zehn Jahre.”
Einige unionsgeführte Länder hatten ihre Zustimmung zum Startchancen-Programm bislang mit einer verbindlichen Zusage des Bundes für den Digitalpakt II verknüpft. “Wenn über das Startchancen-Programm entschieden wird und es gibt keine klare Zusage des Bundes zum Digitalpakt, wird Sachsen nicht zustimmen können”, hatte Wilfried Kühner, Amtschef im sächsischen Kultusministerium, kurz vor dem Jahreswechsel gesagt. Zumindest was den finanziellen Umfang betrifft, ist diese Zusage bislang jedoch ausgeblieben. Stark-Watzinger hat sich zwar klar zum Digitalpakt II bekannt, will aber noch nicht über konkrete Summen reden. Maximilian Stascheit
Nach der Kritik von Andreas Schleicher an Lehrern in Deutschland wird der Ton der Lehrerverbände schärfer. Inzwischen gibt es sogar Forderungen, Deutschland solle bei Pisa aussetzen, solange der OECD-Bildungsdirektor für die internationale Schulleistungsvergleichsstudie die Verantwortung trägt.
KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot kommentierte den Streit am Montag nicht direkt. Sie wies aber auf Anfrage von Table.Media noch einmal auf die große Bedeutung der vergangenen Schulleistungsstudie hin und ließ leise Kritik an Schleichers Äußerungen, aber auch an der Reaktion der Verbände anklingen: “Pisa hat uns einen ganz klaren Auftrag mitgegeben: Wir müssen den Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft reduzieren.” Wenn dieses Ziel erreicht werden solle, “brauchen wir ein mutiges Miteinander, statt mit Vorurteilen Lösungsprozesse zu hemmen.” Jeder im System Bildung müsse sich fragen: “Werde ich mit meinem Tun den Anforderungen an Transformation gerecht, die derzeit an unser Bildungssystem gestellt werden?” Sie sehe eine hohe Motivation für Veränderungen. Diese gelte es aufzunehmen.
Vor zehn Tagen hatte Andreas Schleicher, der auch gern “Mr. Pisa” genannt wird, in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten geäußert, dass der Lehrerberuf in Deutschland noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sei: “Zu viele Lehrer sehen sich in erster Linie als Befehlsempfänger, die im Klassenzimmer statisch einen Lehrplan abarbeiten müssen.” Und er legte noch nach: “Ich habe, ganz ehrlich, wenig Verständnis für Lehrer, die nur darauf pochen, dass sie überlastet seien.”
Wenig verwunderlich, haben Gewerkschaften und Verbände darauf mit großem Unverständnis reagiert. Von Vertrauensverlust ist gar die Rede. “Mit seinen Äußerungen, dass der Lehrerberuf intellektuell nicht anspruchsvoll sei, Lehrkräfte ,Befehlsempfänger’ seien und sich ein Beispiel an China nehmen sollten, wird er seiner Verantwortung nicht gerecht”, so Susanne Lin-Klitzing, die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands. Und Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sagte im Spiegel: “Die Mär von den wehleidigen Lehrkräften klingt wie Stammtischparolen.”
Bildungsforscher Olaf Köller vom IPN Leipniz-Institut verteidigte wiederum den OECD-Bildungsdirektor gegen die harsche Kritik der Lehrerverbände. Auch wenn dessen Aussagen im Ton manchmal überzogen und provokant formuliert seien, “in der Substanz liegt er oft gar nicht so falsch”, sagte der Ko-Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz im Blog des Bildungsjournalisten Jan-Martin Wiarda. Köller sieht in der OECD-Studie auch kein Auslaufmodell: “Pisa spielt in der Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz (KMK) eine zentrale Rolle, weil diese Studie über die Jahre hinweg immer wieder verlässliche Information über die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems liefert.”
Es ist nicht das erste Mal, dass Schleicher Kritik an Lehrkräften und dem deutschen Schulsystem äußert. Vor einigen Jahren hatte er Lehrer in Deutschland zum Beispiel als “Fließbandarbeiter” bezeichnet und gesagt, in deutschen Schulen fehle eine Kultur, die Lehrer zur Selbstständigkeit ermutigen würde. Annette Kuhn
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) befürwortet zum ersten Mal ausdrücklich duale Masterstudiengänge als gleichwertige Ausbildung für alle Lehrämter. Der traditionell folgende Vorbereitungsdienst soll dabei ins Studium integriert werden. In ihrem Eckpunktpapier für eine “Lehrer:innenbildung in Zeiten des Fachkräftemangels” knüpft die Bildungsgewerkschaft die Umsetzung solcher Modellversuche gleichzeitig an klar definierte Voraussetzungen.
Sie sollten nur gestartet werden, “wenn die Qualität und die Wissenschaftlichkeit des Studiums gesichert, Theorie- und Praxisanteile systematisch verzahnt sind und die Gleichwertigkeit der Abschlüsse mit den herkömmlichen Staatsexamina gewährleistet ist”, sagt Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied für Berufliche Bildung und Weiterbildung.
Die GEW, die dieses Studienmodell bisher nur für das berufsbildende Lehramt empfohlen hatte, weitet damit ihre Forderungen aus. “Für das allgemeinbildende Schulwesen sind wir als GEW aber etwas vorsichtiger”, sagte der stellvertretende Vorsitzende Andreas Keller bei der Vorstellung des Papiers am Montag. “Deswegen empfehlen wir vorerst nur wissenschaftlich begleitete Modellversuche.”
Ein blinder Fleck in der bisherigen Diskussion ist die Frage nach der Entlohnung der Studierenden. Die GEW fordert eine “existenzsichernde Vergütung nach Tarifvertrag oder entsprechend der Vergütungen für den Vorbereitungsdienst”, die ebenfalls angehoben werden sollen. Die KMK hatte das als Merkmal dualer Studiengänge bisher gar nicht auf dem Zettel. Dabei sei die unzureichende Bezahlung von Praxisphasen schon jetzt ein Hauptgrund für viele Studienabbrüche, betonte Niklas Röpke, Vorstandsmitglied vom Freien Zusammenschluss von Student:innenschaften, anlässlich der Vorstellung des Papiers.
Mit den veröffentlichten Empfehlungen positioniert sich die GEW konträr zur SWK. Diese hatte in ihrem Gutachten Mitte Dezember gegen ein duales Lehramtsstudium votiert und dafür unter anderem Zustimmung vom Deutschen Philologenverband bekommen. Der KMK, die im März eine Stellungnahme zur Reform der Lehrkräftebildung abgeben möchte, liegt nun also ein weiterer Impuls vor.
Ihre zweite Vizepräsidentin Katharina Günther-Wünsch kündigte bei einer Podiumsdiskussion nach der Vorstellung des GEW-Papiers erneut Verhandlungen an, drückte aber gleichzeitig auf die Erwartungsbremse. “Wir werden in der KMK stark über den dualen Master reden. Aber wir müssen auch schauen, was länderübergreifend möglich ist”, sagte sie. Torben Bennink
Schulleitung, Schulträger und Schulaufsicht – sie alle kümmern sich auf ihre Weise um die Digitalisierung an Schulen. Die Zusammenarbeit ist allerdings noch ausbaufähig, heißt es vom Forum Bildung Digitalisierung. In einem Impulspapier gibt die Stiftung Empfehlungen, um den Austausch zu verbessern. Dabei geht es auch darum, ärmere Schulen besser zu unterstützen.
Wie die Rolle der Bildungsverwaltungen historisch gewachsen ist, lässt sich im ersten Teil des Papiers nachlesen. Spätestens der darauffolgende Praxischeck zeigt aber: Insbesondere die strikt getrennten Zuständigkeiten kollidieren oft mit den Herausforderungen des Schulalltags. Der Grund dafür ist einfach, sagt Ralph Müller-Eiselt, Vorsitzender des Forum Bildung Digitalisierung, im Gespräch mit Table.Media. “Infrastruktur und Pädagogik lassen sich für die digitale Schulentwicklung nicht mehr voneinander trennen.”
Schaffe man beispielsweise eine Software an, brauche es dafür eine gewisse digitale Infrastruktur, sagt Müller-Eiselt. Gleichzeitig entstehe durch die digitale Infrastruktur ein gewisser Rahmen, in dem dann die Pädagogik stattfinden könne. “Früher betrafen äußere Schulangelegenheiten rein bauliche Fragen, die mit der Pädagogik nichts zu tun hatten.”
Damit die Bildungsverwaltungen besser mit dieser Veränderung umgehen könne, empfiehlt die Stiftung den Bildungsakteuren sich häufig und in festem Rahmen auszutauschen. Oder wie es Müller-Eiselt formuliert: “Es braucht eine Kultur der Kooperation.” Dadurch könnten “regionale Bildungslandschaften” entstehen und Kommunikationswege, die flexibler und weniger an hierarchische Organisationslogik gebunden sind. In manchen Ländern, wie Bayern und NRW, sei der Austausch bereits recht weit fortgeschritten, sagt Müller-Eiselt, andere Länder seinen eher noch am Anfang.
Damit dieser Austausch möglichst effektiv ist, braucht es klare Zielvereinbarungen, sagt Müller-Eiselt. “Das schafft Verlässlichkeit und Vertrauen zwischen den Akteuren.” Für die Kooperation zwischen den Schulaufsichten und Schulträgern sollten laut dem Impulspapier möglichst bundesweit einheitliche Standards gelten. Ein länder- und kommunenübergreifender Dialog könnte zudem dabei helfen, die unterschiedliche finanzielle Ausstattung von Schulen stärker in den Fokus zu rücken. So könne man Konzepte entwickeln, wie man Schulen mit weniger Geld besser unterstützen kann – etwa mit “zweckgebundenen Budgets für Schulträger und Schulaufsichten”. Vera Kraft
Die Bundesländer laborieren seit einiger Zeit an smarten Schulclouds, in denen Schüler mit Künstlicher Intelligenz lernen können. Nun sollen nach Informationen von Table.Media überraschend zwei dieser Projekte verschmelzen. Das “Intelligente Tutorielle System” (ITS) und die “Adaptive Learning Cloud” werden kommende Woche fusionieren. Inhaltlich waren die Projekte bisher schon kaum zu unterscheiden – sie wollen möglichst individuelle Lernerlebnisse für Schüler bieten, und Lehrkräfte sollen jederzeit erkennen können, wie der Lernstand ihrer Schützlinge ist.
Finanziell entsteht ein Großprojekt mit einem Volumen von über 60 Millionen Euro für Entwicklung und Programmierung. Beteiligt sind dann nicht mehr jeweils acht Bundesländer für das ITS und die Lerncloud, sondern insgesamt zwölf – ob das ein Vorteil für den Fortgang des Projektes ist, wird man sehen. Das Intelligente Tutorielle System unter Federführung Sachsens sollte längst ausgeschrieben sein, ist es aber bisher nicht. Und die Adaptive Learning Cloud mit Hamburg als Projektleitung ist noch weit davon entfernt. Interessant ist auch, dass die Gelder aus dem Digitalpakt stammen und also bis spätestens 2026 ausgegeben sein müssen. Wenn man bedenkt, dass der formelle Startschuss für das ITS bereits 2021 fiel, ist das ein sportliches Unterfangen.
Die größte Herausforderung für das Projekt ist, halbwegs mit der Geschwindigkeit mitzuhalten, die Sprachmodelle wie ChatGPT entfacht haben. Die Bewerber um den Prototypen des ITS waren erfahrene EdTechs wie Bettermarks, das Tübinger Feedbook oder Area9 Lyceum, das am Ende das Rennen machte. Allerdings ermöglicht es OpenAI inzwischen, dass sich Projekte an ChatGPT andocken.
Nach Kenntnis von Table.Media soll das neue Super-ITS den Schülern einen Chat-Partner für Lerndialoge bieten, zudem soll es eine Art Klausur-Vorbereitungstool geben. Das bedeutet, dass die KI bei den Lernenden vor einer Arbeit die geforderten Lerninhalte abfragt. Außerdem ist es wichtig, dass die Lehrkräfte ein Monitoring ihrer Schüler vornehmen können. Und natürlich sollen die Datenschutzauflagen der DSGVO eingehalten werden. Christian Füller
Die Kinder-Suchmaschine Blinde Kuh ist einer Umorganisation des Familienministeriums zum Opfer gefallen. Neben der – privat organisierten – Suchmaschine FragFinn war das aus einer Initiative in Hamburg entstandene “Google für Kinder” eines der beiden Standbeine einer kindgerechten digitalen Infrastruktur. Über das Aus der Suchmaschine gab es keine Presseöffentlichkeit – deswegen dürften Tausende von Grundschulen in Deutschland nun von dem Banner auf der Website überrascht sein, dass das Angebot endet.
“Wenn jemand in den letzten 25 Jahren etwas davon verstand, was das Internet für Kinder bedeutet und wie man ihnen den Weg zu guten Angeboten weist – dann war es die Blinde Kuh”, beschreibt die Professorin für Medienforschung, Friederike Siller, die Bedeutung der Suchmaschine. “Gerade in diesen Zeiten ist es notwendig, dass sich die klugen Köpfe der Bildungsrepublik zusammentun, um Strategien für eine kindgerechte digitale Infrastruktur aufzusetzen.” Die Prinzipien eines Internets für Kinder heißen: Schützen, Teilhaben lassen, Befähigen. Blinde Kuh erfüllte alle diese Prinzipien. Und sie war damit für Lehrer wie den Medienbeauftragten der Michael-Grundschule Wachtendonk, Johannes Hellenbrand, eine wichtige Quelle. “Kinder konnten sich mit der Kuh die brennenden Fragen beantworten, die sie tatsächlich haben – und wurden nicht ständig durch das abgelenkt, was ihnen der Algorithmus zuspielt, sagte er Table.Media. “Es kamen allerdings wenige handverlesene Sachen dabei rum.”
Die händische Kuratierung der Suchmaschine war der Vorteil von Blinde Kuh – und zugleich ihr Nachteil. Denn Kinder benutzen natürlich längst die gängigen Suchmaschinen, die auf den Smartphones ihrer Eltern eingestellt sind – oder sie fragen KI-Sprachroboter. Mit der Intuitivität und der Geschwindigkeit von Chat-KIs konnte Blinde Kuh nicht mithalten. Allerdings war sie dadurch auch viel sicherer und kindgerechter.
Blinde Kuh wird seit 2004 vom Bundesfamilienministerium gefördert. Dabei ging es pro Jahr um rund 300.000 Euro. Das Ministerium erklärte auf Anfrage, verantwortlich sei nicht Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), sondern die “Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz” (BzKJ). “Die Zuständigkeiten sind vom BMFSFJ im Bereich der Förderung von Angebotsformen, die für Kinder unbedenklich und besonders empfehlenswert sind, an die BzKJ übertragen worden.” Und die Bundeszentrale habe der Blinden Kuh frühzeitig mitgeteilt, dass es keine Förderung mehr für sie gebe. Die Medienforscherin Siller sagte: “Mit der Blinden Kuh verschwindet eine wichtige Bastion des offenen Internets für Kinder.” Christian Füller
Die im Jahr 2011 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtete Förderlinie “Forschung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten” wird Ende 2024 abgeschlossen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervor.
In einem offenen Brief hatten Universitäts- und Hochschulprofessoren im Oktober 2023 die Weiterführung und den Ausbau dieses Forschungsbereichs gefordert. Nun steht fest: Das BMBF plant keine vierte Förderrunde. Aufgrund des erreichten Forschungsstands seien keine weiteren Fördermaßnahmen vorgesehen.
In dem Förderschwerpunkt seien insgesamt 45 Forschungs- und Entwicklungsprojekte, fünf Juniorprofessuren und zwei Nachwuchsforschungsgruppen mit einem Gesamtvolumen von 32 Millionen Euro gefördert worden. Damit habe das BMBF einen wichtigen Beitrag geleistet, um wissenschaftlich fundierte Präventions- und Interventionsmaßnahmen entwickeln zu können. abg
Die Zahl der Kinder in Niedersachsen, die bei den Schuleingangsuntersuchungen (SEU) keine oder nur rudimentäre Deutschkenntnisse aufweisen, ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Waren es 2018 noch 5,2 Prozent der Mädchen und Jungen, stieg der Anteil 2022 auf 6,6 Prozent.
Die Zahlen stammen aus einer aktuellen Antwort des niedersächsischen Kultusministeriums auf eine Kleine Anfrage zur frühkindlichen Förderung in Niedersachsen. Gestellt hatten sie die CDU-Landtagsabgeordneten Sophie Ramdor und Anna Bauseneick. Beide sind Mitglied im Kultusausschuss.
Als einen Grund für die Entwicklung nennt Ramdor den großen Zuzug von Familien nach Deutschland. “Hier müssen wir uns fragen: Wie schaffen wir es, dass Kinder mit weniger Deutschkenntnissen gut ins System kommen?” Bauseneick betont zudem die Corona-Nachwirkungen. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass die Pandemie auch im sprachlichen Bereich deutliche Defizite verursacht habe.
Als Reaktion auf die Ergebnisse sprechen sich beide Politikerinnen im Gespräch mit Table.Media dafür aus, das Hamburger Sprachförderkonzept als Vorbild zu nehmen. Im Stadtstaat gibt es eine Sprachstandsfeststellung für alle Viereinhalbjährigen. Wird ein Unterstützungsbedarf festgestellt, folgt eine verpflichtende Förderung.
In Niedersachsen ist spätestens mit Beginn des letzten Kindergartenjahres die Sprachkompetenz zu erfassen. Diese Aufgabe liegt bei den Kitas. Sie sollen, so geht es aus der Antwort des Kultusministeriums hervor, pädagogische Konzepte erarbeiten, die “auch Ausführungen zur Sprachbildung aller Kinder sowie zur individuellen und differenzierten Sprachförderung enthalten”. Die Qualität dieser Konzepte ist allerdings sehr unterschiedlich. Das konstatiert ein im Vorjahr veröffentlichter Evaluationsbericht.
Bei Kindern, die keine Kita besuchen, führen die Schulen bei der Schulanmeldung die Sprachstandsfeststellung durch. Erkennen sie einen Förderbedarf, erfolgt eine verpflichtende Förderung durch Grundschullehrkräfte. Dieses Aufgabenfeld dürfte gewachsen sein. Zumindest zeigen die Zahlen des Kultusministeriums, dass der Anteil der Drei- bis Unter-Sechsjährigen, die in keiner Kindertagesbetreuung waren, zwischen 2019 und 2023 von 6,8 auf knapp 8,7 Prozent gewachsen ist.
Ramdor macht sich darüber hinaus für frühere Schuleingangsuntersuchungen und Bildungsstandards im vorschulischen Bereich stark. “An dieses Thema wollte das Kultusministerium in seiner Antwort aber nicht rangehen”, moniert sie. Das Ministerium schreibt, dass zu erreichende Bildungsstandards im Zuge der vorschulischen Förderung “weder durch den Bund noch durch das Land Niedersachsen geregelt” seien. Holger Schleper
Jeder zehnte Auszubildende in Schleswig-Holstein könnte künftig auf eine andere Berufsschule gehen müssen als bisher. Das geht aus einem Plan des Schleswig-Holsteinischen Instituts für Berufliche Bildung (SHIBB) hervor, der ab kommendem Schuljahr bis etwa 2030 sukzessive in Kraft treten könnte (zum Download).
Hintergrund ist, dass die Zahl der Azubis im Land stark gesunken ist: von 62.000 im Ausbildungsjahr 2019/2020 auf rund 45.000 im vergangenen Schuljahr. Das führt dazu, dass in manchen Klassen nur noch eine Handvoll Berufsschüler sitzen oder manche Berufe zusammen unterrichtet werden, was “Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität” haben könne.
Von insgesamt 250 dualen Ausbildungsberufen in Schleswig-Holstein wären nach aktuellem Vorschlag rund 50 von Änderungen betroffen. Besonders starke Einschnitte könnte es für angehende Bäcker, Bäckerei-Fachverkäufer, Fleischer und Fleischerei-Fachverkäufer geben. Für Bäcker-Azubis soll es zum Beispiel nur noch drei statt bisher neun Berufsschulen geben. Aber auch in Berufen wie Bankkauffrau, Rechtsanwaltsfachangestellter oder Land- und Baumaschinenmechatroniker sind Einschnitte geplant. Daneben sollen künftig mehr Azubis aus unterschiedlichen Berufen gemeinsam lernen. 15 Metallberufe sollen so im ersten Ausbildungsjahr zu einem Cluster zusammengelegt werden.
Stephan Cosmus, Vorsitzender des Verbands der Lehrerinnen und Lehrer an Berufsbildenden Schulen in Schleswig-Holstein und Leiter einer Berufsschule in Lübeck, sagte Table.Media: “Die Änderungen sind für bestimmte Berufe einfach notwendig. Ich fürchte aber, dass gerade minderjährige Azubis sich bei langen Fahrtzeiten oder Blockunterricht mit Unterbringung im Internat künftig gegen bestimmte Berufe entscheiden.” Generell fehlt ihm in den Plänen des SHIBB eine qualitative Untersuchung der Frage, wie junge Menschen darauf reagieren, wenn der Weg zur Berufsschule weiter wird. Ulrich Keller, Direktor des Berufsbildungszentrums Mölln, äußerte im NDR die Sorge, dass Azubis nach Hamburg abwandern.
Bis 2035 rechnet Schleswig-Holstein bereits mit einer Lücke von mindestens 180.000 Fachkräften, das ergab eine von der Landesregierung beauftragte Studie. Ausdrücklich nicht antasten will das Land laut aktuellem Plan daher auch Berufe, die “für die regionale Wirtschaft von Bedeutung und für die Energiewende erforderlich” sind. Genannt werden etwa: Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Friseure, Tischler und Verkäufer.
Eine Lösung könnte laut Papier des SHIBB mehr Hybridunterricht sein. Spätestens bis Ende März will das Kabinett dem Landtag dafür eine Novellierung des Schulgesetzes vorlegen. Dem Papier vorangegangen waren eine datengestützte Evaluation der Situation an den Berufsschulen und rund 80 Treffen mit Schulträgern, Schulen, Azubis, Kammern, Landesinnungen und Fachverbänden. Jetzt soll es weitere Feedback-Runden geben. Anna Parrisius
“Unzureichend”, “befriedigend”, “gut”, “hervorragend” – das sind die vier Prädikate, die die Ofsted bislang bei Schulinspektionen vergeben hat. Die Ofsted ist die Schulinspektionsbehörde in England (Office for Standards in Education, Children’s Services and Skills). Die Behörde gehört zum Bildungsministerium, sie untersteht aber dem Parlament. Das hat nun beschlossen, dass mit solchen Ein-Wort-Bewertungen in Zukunft Schluss sein soll. Am Montag wurde ein entsprechender Bericht veröffentlicht (zum Download).
Die Untersuchung hat eine tragische Vorgeschichte. Nach einer Schulinspektion hatte sich Schulleiterin Ruth Perry das Leben genommen. Eine daraufhin eingeleitete Untersuchung gab Ofsted eine maßgebliche Mitschuld an dem Selbstmord. Perry hatte die Caversham Primary School in Reading, westlich von London, 13 Jahre geleitet. Im November 2022 wurde die Schule von Ofsted-Mitarbeitern besucht und bewertet. Die Prüfer gaben der Grundschule, die bis dahin das Etikett “hervorragend” getragen hatte, nun das Prädikat “unzureichend”, die schlechteste Bewertung überhaupt. Grund war nicht etwa eine schlechte Pädagogik, sondern Kritik an der Verwaltungsarbeit: Der Schutz der Schüler sei zwar gewährleistet, würde aber nicht ausreichend dokumentiert. Das reichte für die radikale Abwertung.
Medienberichten zufolge habe Ofsted über Jahre eine Atmosphäre der Angst und Verunsicherung verbreitet. Dabei war die Grundidee der 1992 eingeführten Behörde eine andere. Während bis dahin Schulen von lokalen Bildungsbehörden beurteilt wurden, sollte die nationale Behörde Ofsted für mehr Transparenz und einheitliche Bildungsstandards sorgen.
Ofsted hat nach Perrys Selbstmord inzwischen eine neue Leitung bekommen. Während seine Vorgängerin noch jede Mitschuld am Tod der Schulleiterin von sich wies, hat sich der neue Leiter, Sir Martyn Oliver, für seine Behörde öffentlich entschuldigt. Und er führte bei Ofsted neue Regeln ein: Ein-Wort-Beurteilungen soll es in Zukunft nicht mehr geben. Außerdem soll eine Einstufung als “unzureichend” aufgrund geringfügiger Sicherheitsbedenken in Zukunft nicht mehr möglich sein. Alle Inspekteure der Ofsted müssen darüber hinaus ein psychologisches Training durchlaufen. Und auch ein besseres Fachwissen wurde im Bericht angemahnt. Das lässt erstaunen, denn in der Regel waren die Inspekteure zuvor selbst Schulleiter. Sie sollten also wissen, wie Schule läuft. aku
Für Politik begann Lina Seitzl sich zu interessieren, als sie als erste in ihrer Familie ein Studium anfing. Geboren in Lörrach, entschied sie sich nach ihrem Abitur 2008 für ein Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Uni Konstanz. Und auch wenn ihre Eltern sie unterstützten, stieß Seitzl dabei auf etliche Herausforderungen: etwa die Finanzierung des Studiums oder fehlendes Wissen ihrer Eltern darüber, was an der Uni passiert. Dass es anderen einmal besser ergeht, dafür arbeitet Seitzl heute als SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Bildungsausschuss.
Schon während ihres Studiums trat Seitzl der SPD bei und engagierte sich bei den Jusos. Sie wurde stellvertretende Landesvorsitzende der Jusos Baden-Württemberg und war vor ihrem Einzug in den Bundestag 2021 Vorsitzende der SPD Konstanz. Seit 2019 ist sie Kreisrätin im Landkreis Konstanz. Neben ihrem politischen Engagement promovierte Seitzl und gehört damit zu den wenigen – etwa einem von 100 Kindern – die dies aus einem nicht-akademischen Umfeld schaffen.
Ihr Promotionsthema an der Uni St. Gallen: die Relevanz dualer Berufsbildungssysteme und welchen Beitrag diese in Zeiten der Transformation noch leisten werden. Daneben war Seitzl wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Politische Ökonomie und betreute mehrere Forschungsprojekte zu Bildungsthemen. Bei der OECD arbeitete sie als Research Consultant im Projekt “Strengthening the Governance of Skills Systems”, das Ratschläge zur politischen Steuerung von Qualifikationssystemen gibt.
In der SPD-Bundestagsfraktion ist die 34-Jährige heute zuständig für Hochschulpolitik. Und sie beschäftigt sich generell mit der Frage, wie Bildungsungerechtigkeiten abgebaut werden können, damit Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer familiären Herkunft gleiche Startchancen haben.
Gerade vor dem Hintergrund der schlechten Pisa-Ergebnisse sieht sie gute Bildungspolitik immer auch als Prävention. Sie fordert, insbesondere die frühkindliche Bildung stärker zu priorisieren. Kitas sollten als Bildungseinrichtungen angesehen werden, die Kinder individuell fördern – damit alle Kinder beim Schuleintritt über ausreichende sprachliche Fähigkeiten verfügen.
Ganztagsschulen sieht sie als weitere Chance, Nachteile aus dem Elternhaus ausgleichen. Und sie spricht sich dafür aus, gezielt dort zu investieren, wo die sozioökonomischen Herausforderungen besonders groß sind: “Wir benötigen die besten und digital weitesten Schulen sowie die motiviertesten Lehrkräfte vor allem da, wo die Schülerschaft divers ist und Eltern nicht die nötige Unterstützung geben können.” Hoffnung setzt Seitzl daher in das Startchancen-Programm. Es sei zwar nicht die Lösung aller Probleme, aber ein bedeutender Fortschritt.
Der Alltag von Seitzl besteht aus strukturierten Sitzungswochen in Berlin und abwechslungsreichen Wahlkreiswochen in ihrer Heimat Konstanz. Dort besuche sie regelmäßig Schulen und sei beeindruckt vom politischen Interesse der Jugendlichen. Die Diskussionen mit jungen Menschen unterschieden sich kaum von denen mit Älteren.
Allerdings bereitet Seitzl Sorge, dass Kindern oft der Raum für politische Diskussionen fehle. Ihr sei das gerade mit Blick auf den Nahost-Krieg aufgefallen: Hier müssten Schüler sich frei äußern können, ohne gleich Angst zu haben, dass sie zu stark polarisieren. Die Schaffung dieses Raums durch Schulen sei entscheidend für eine demokratische Gesellschaft. Schüler wünschten sich zudem oft praxisnahe Lehrpläne, die auf ihre zukünftigen Bedürfnisse abgestimmt sind, habe sie festgestellt. Der Umgang mit Excel und Word ist für viele wichtiger als noch eine Differenzialgleichung. Sarah Birkhäuser
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Schule | Immer öfter springen freiwillige Helfer im Schulsystem ein. Ob als Lese-Paten oder Hausaufgabenbetreuung, die Zivilbevölkerung wird laut einer neuen Studie von sich aus immer aktiver. Darum geht es in dieser Campus & Karriere-Folge ab Minute 8. Dlf
Schulabbruch | Die Bundesagentur für Arbeit erhält nur von Bremen, Hamburg und Bayern die nötigen Daten. Andrea Nahles fordert die restlichen Länder auf, diesen Missstand zu beheben. Zudem solle die Berufsorientierung bereits in der fünften Klasse beginnen. Spiegel
Azubis | “Wenn wir in Deutschland über Begabtenförderung sprechen, werden Auszubildende meist nicht gemeint.” Das schreibt Alexandra Gestner, die Leiterin des Programmbereiches Persönlichkeitsbildung der Joachim Herz Stiftung in Hamburg. Und stellt ein neues Projekt in der Hansestadt vor, das genau dort ansetzt. Zeit
Lehrkräftemangel | Wieso eine junge Frau ihren Traumjob aufgibt. Viele Lehrkräfte brechen bereits im Referendariat oder in den ersten Berufsjahren ab. Kaliopi ist eine davon und erzählt, was dafür gesorgt hat. Und wie ihr ein Coaching von Isabell Probst hilft. ZDF
21. Februar 2024, Bremen
Forum Mehr Lehrkräfte, neue Kompetenzen: Wege aus der Bildungskrise
Wie kann Bremen es schaffen, erfolgreich gegen den Lehrkräftemangel vorzugehen? Und wie können Lehrkräften die nötigen Zukunftskompetenzen schnell vermittelt werden? Der Stifterverband lädt ein, zu diesem Thema zu diskutieren. Mit einem Impuls von Senatorin Sascha Karolin Aulepp. INFOS & ANMELDUNG
21. Februar 2024, 11.30 bis 12.55 Uhr, Berlin und digital
Sitzung des Bundestags 65. Sitzung
Bei der öffentlichen Ausschussberatung wird es ein Expertengespräch zum Thema BAföG geben. Zudem diskutieren die Abgeordneten über den Bericht über die Wirkungen des Vierten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes. INFOS
23. Februar 2024, Bonn und digital
Tagung Abschlusstagung des Projektes KoprA
Das Projekt “Entwicklung (digital-gestützter) kompetenzorientierter praktischer Abschlussprüfungen” diente dazu, ein Konzept für eine kompetenzorientierte praktische Prüfung in der Pflegeausbildung zu erstellen. Hierfür wurde mit Pflegeschulen kooperiert. Das Bundesinstitut für Berufsbildung lädt zu einer Abschlusstagung mit Fachvorträgen und Workshops zu den Ergebnissen des Projekts ein.
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27. Feburar bis 01. März 2024, Berlin
Akademie FDZ Frühjahrsakademie 2024
Das Forschungsdatenzentrum lädt zu der Frühjahrsakademie zum Thema “Methoden der empirischen Bildungsforschung” ein. In verschiedenen Workshops werden Methoden wie die integrative Datenanalyse von Large-Scale Assessments behandelt. Anmeldefrist ist der 04. Februar. INFOS & ANMELDUNG
10. April 2024 bis 11. April 2024, Berlin
Train-the-Trainer-Qualifizierung Schulleitungsqualifizierung BD: “Digital Leadership und die Gestaltung schulischer Transformationsprozesse”
Das Forum Bildung Digitalisierung will Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ein tiefes Verständnis für die Konzeption und Arbeitsweise der Schulleitungsqualifizierung BD vermitteln. Die Teilnehmenden bekommen die Möglichkeit, das Konzept auszuprobieren und sich damit vertraut zu machen. Eine Anmeldung ist bis zum 16. Februar möglich. INFOS & ANMELDUNG