jeder zweite Ausbildungsbetrieb konnte im Vorjahr nicht alle Azubi-Plätze besetzen. Das ergab die aktuelle Umfrage der DIHK, an der sich mehr als 13.000 Unternehmen beteiligt haben. Der Handlungsdruck wird für sie immer größer. Dabei gilt es auch, neue Wege in der Ansprache junger Menschen zu gehen, wie Vera Kraft schreibt.
Passend dazu hat sich meine Kollegin Anna Parrisius in ihrer Analyse “Berufswahl-Tinder: Was neue Matching-Apps bringen” mit dem Markt an Apps beschäftigt, die Jugendlichen eine unkomplizierte Ausbildungssuche versprechen. Warum es Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Anwendungen gibt, lesen Sie in ihrem Beitrag.
Große Zweifel begleiten auch die Umsetzung der Inklusion an Deutschlands Schulen von Beginn an. In seinem Gastbeitrag für Bildung.Table schreibt Rolf Werning, Professor für inklusive Schulentwicklung, “dass im Durchschnitt im Gymnasium ein/e von 200 Schüler:innen einen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf hat”. An der Hauptschule seien es mehr als sieben von 100. Was Werning fordert und unter “positive Pressure” versteht, lesen Sie in seinem Standpunkt.
Keine Zweifel haben wir hingegen daran, dass wir Ihnen in unserer Liste Top 100+10 in der heutigen Rubrik “Thinktanks” wieder eine Auswahl an Personen präsentieren können, die mit großem Engagement für ein besseres Bildungsumfeld in Deutschland arbeiten. Seien Sie gespannt, wer in dieser Ausgabe dabei ist.
Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht
Am Ausbildungsmarkt gibt es große Matching-Probleme und viele Jugendliche klagen über berufliche Orientierungslosigkeit. Digitalisierung und KI werden da zuweilen als mögliche Heilsbringer ins Feld geführt. Die Unions-Fraktion im Bundestag forderte neulich, “KI-basierte Berufsorientierungssysteme” zu stärken, Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zeichnete im vergangenen Herbst in einem eigens dafür ins Leben gerufenen Wettbewerb digitale Angebote zur Berufsorientierung aus.
Ab diesem Schuljahr gibt es in sechs Bundesländern außerdem die “berufswahlapp”, in der Schüler Praktikumseindrücke sammeln, Bewerbungsunterlagen erstellen oder künftige Schritte planen können. Private Anbieter sind da schon einen Schritt weiter: Sie matchen Jugendliche mit Berufen und Unternehmen und haben teils ambitionierte Ziele. Alle Probleme lösen können sie allein aber wohl nicht.
Ein beispielhafter Blick in den Markt:
Alle drei Anbieter wollen Betriebe und Schüler schneller als sonst in Kontakt bringen. AzubMe hat dafür eine Chatfunktion, Jugendliche können Betriebe, die sie interessieren, direkt anschreiben. Jobflow ermöglicht noch in der Applikation Bewerbungen. Mithilfe einer KI können die Nutzer sich sogar ein personalisiertes Anschreiben erstellen lassen. Damit reagiert das Unternehmen auf eine eigene Abfrage unter 50 Schülerinnen und Schüler: Ihr zufolge haben viele nur ein Smartphone, was ein strukturiertes Anschreiben erschwert. Und auch sonst bereite das Anschreiben den Jugendlichen oft Probleme, sagte Geschäftsführer Steffen Allesch dem Tagesspiegel.
Auch StickTo arbeitet an einer Blitzbewerbung, die direkt an die Unternehmen geht. Schon jetzt können Schüler anonym Fragen in der App stellen. “Die landen dann bei uns und wir schöpfen aus einem Grundschatz an Antworten oder wenden uns an das Unternehmen”, sagt Julian Risse.
Risse hat StickTo nach dem Abitur mit einem Freund gegründet – weil sie selbst Lücken in der Berufsorientierung sahen. Heute gehen er und sein Team regelmäßig mit der App in Schulen. Zusätzlich entwickeln sie gerade Schulmaterialien. “StickTo soll den Jugendlichen mehr Orientierung verschaffen”, sagt Risse. Das kann die App in seinen Augen als Ergänzung zu einer persönlichen Begleitung, aber auch schon allein.
Felicia Ullrich, Geschäftsführerin von U-Form, einem Unternehmen, das Betriebe beim Azubi-Recruiting unterstützt und jährlich die größte regelmäßige Befragung von Schülerinnen, Schülern, Auszubildenden und Ausbildungsverantwortlichen durchführt, sieht hingegen Grenzen der neuen Apps. “Es ist super, wenn Jugendliche über sie auf einen Beruf stoßen, den sie noch nicht kennen.” Dann müssten die Jugendlichen aber eigene Erfahrungen machen, KI könne hier nur begrenzt helfen. “Nach wie vor sind außerdem persönliche Empfehlungen wichtig von jemandem, der einen gut kennt, den Eltern oder einem Lehrer.”
Ullrich sieht die Matching-Apps insgesamt eher kritisch. “Google ist der Suchkanal Nr. 1 bei jungen Menschen, darüber kommen sie auf Stellenbörsen. Ich bezweifle, dass viele sich eine extra App für die Berufswahl herunterladen, außer die Schule leitet es an.” Ähnlichkeiten zu Tinder hält sie für keinen Vorteil. “Tinder hat ja eher einen zweifelhaften Ruf. Wenn es um die Berufswahl geht, wünschen viele sich eine gewisse Ernsthaftigkeit.” Daher spreche es Jugendliche auch nur bedingt an, wenn Betriebe in den Social Media aktiv werden.
StickTo selbst hat auf Instagram und TikTok aber gute Erfahrungen gemacht. “Darüber erreichen wir schonmal Schüler im sechsstelligen Bereich”, sagt Julian Risse. Nur so hätte sein Start-up, das aktuell vor allem in Norddeutschland aktiv ist und hier bisher Verträge mit rund 20 Unternehmen geschlossen, junge Menschen in ganz Deutschland erreicht. Circa 20.000 seien es inzwischen.
Das Berliner Start-up Jobflow gibt an, die Nutzer fänden hier aktuell über 10.000 Ausbildungsstellen deutschlandweit. AzubMe versucht Deutschland regionenweise zu erschließen: Hier können nicht einzelne Betriebe Lizenzen kaufen, sondern Wirtschaftsförderungen, Kammern und Verbände, über 10 sind es bisher. Sie können das Web-Dashboard für ihre Region anpassen, erhalten Leitfäden für den Einsatz in der Schule und können einsehen, wie die Anwendung vor Ort genutzt wird.
Relevant werden könnte künftig auch Fujour, ein Unternehmen aus Dortmund. In seiner App können Schüler bisher Berufswahl- und Persönlichkeitstests absolvieren, davon ausgehend erhalten sie ein Ranking passender Berufe, das sich kontinuierlich anpasst. Rund 75 Schulen setzen die App bisher ein. “Die Schüler:innen erhalten zu den Vorschlägen bereits Praktikums- und Ausbildungsangebote, die unser Portal über öffentliche Stellenbörsen online findet”, sagt Geert-Jan Gorter, Leiter der Geschäftsentwicklung, Table.Briefings. “Zum neuen Schuljahr soll es auch einen Zugang für Unternehmen geben, die dann – neben andere Funktionalitäten – die passenden Schüler:innen kontaktieren können, um sie auf ein Praktikum, eine Ausbildung, einen Ferienjob oder ein Event aufmerksam zu machen.” Starten will Fujour damit im östlichen Ruhrgebiet.
Die Umsetzung der inklusiven Bildung – verstanden als Minimierung von Diskriminierung und Maximierung von sozialer Partizipation und Bildungschancen für alle Schüler:innen – stellt die strukturell selektiv aufgestellte Sekundarstufe in Deutschland vor erhebliche Herausforderungen. Bereits nach der 4. beziehungsweise 6. Klasse werden die Schüler:innen nach Schulformen aufgeteilt, die ihrem Leistungsvermögen und den Erwartungen an ihre zukünftigen Leistungen entsprechen sollen. Es geht um Selektion (Auslese) und Homogenisierung. Die zieldifferente gemeinsame Unterrichtung als ein wesentlicher Baustein einer inklusiven Bildung ist in einem solchen (vorgeblich) nach Leistung differenzierten System eine eklatante Provokation (vgl. Werning & Lütje-Klose 2016, 226).
Dies zeigt sich deutlich in der sehr unterschiedlichen Verteilung der 164.132 inklusiv unterrichteten Schüler:innen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in den verschiedenen Schulformen der Sekundarstufe I: Im Schuljahr 2022/23 wurden 6,2 Prozent in Gymnasien und 8,9 Prozent in Realschulen unterrichtet. In integrierten Gesamtschulen waren es 44 Prozent, in Schulformen mit mehreren Bildungsgängen (zum Beispiel Oberschulen) 20 Prozent und in Hauptschulen 15 Prozent.
Bezogen auf die unterschiedlichen Schulformen, in denen unterschiedlich viele Schüler:innen unterrichtet werden, bedeutet dies bundesweit, dass im Durchschnitt im Gymnasium ein/e von 200 Schüler:innen einen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf hat. In der Hauptschule haben mehr als sieben von 100 Schüler:innen, in Schularten mit mehreren Bildungsgängen und in Integrierten Gesamtschulen mehr als sechs von 100 Schüler:innen einen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf (eigene Berechnungen auf der Grundlage der statistischen Veröffentlichungen der KMK 2024).
Die Situation spitzt sich dramatisch in Schulen in herausfordernder Lage zu. So hatte zum Beispiel im Schuljahr 2022/23 an den Oberschulen der Stadt Hannover jede/r dritte Schüler:in (29 Prozent) einen sonderpädagogischen Förderbedarf. An Gymnasien waren es lediglich 1,5 Prozent. Wenn die Schulformen, die sowieso schon leistungsschwächere Schüler:innen und solche mit multiplen Belastungen aufnehmen, dann auch die überwiegende Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf unterrichten sollen, entstehen hier “maskierte Förderschulen”, allerdings ausgestattet mit weniger Ressourcen. Dies führt zu einer eklatanten Bildungsbenachteiligung.
Aus verschiedenen Studien ist bekannt, dass die Schulstruktur in nach Leistung gegliederten Systemen die Entwicklung unterschiedlicher Lern- und Entwicklungsumwelten massiv beeinflusst (vgl. Baumert et al. 2009). Lerngruppen, die mehrheitlich aus Schüler:innen aus benachteiligten sozialen Milieus zusammengesetzt sind und/oder lernschwächer sind, haben deutlich negative Effekte auf die individuelle Lernleistung (vgl. Schümer 2004, 96ff.).
Die Zusammenführung lern- und leistungsschwächerer Regelschüler:innen mit lern- und leistungsschwachen Schüler:innen mit Förderbedarf ist sicherlich keine Inklusion im Sinne der Behindertenrechtskonvention. Sondern so werden Lerngruppen erzeugt, die sich durch ihre Zusammensetzung negativ auf die Lernentwicklung der Schülerinnen und Schüler auswirken. Solche “low tracks” sind keine anregungsreichen und fordernden, sondern langweilige und abstumpfende Lernmilieus.
Neben den “maskierten Förderschulen” gibt es die selektive Inklusion: Während viele Schüler:innen aufgrund nicht hinreichender Leistungen Gymnasien und Realschulen nicht besuchen dürfen, gilt dies nicht für Schüler:innen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf. Sie werden dort trotz zieldifferenter Unterrichtung im Rahmen von Inklusiver Bildung aufgenommen. So können zum Beispiel auch Schüler:innen mit Förderbedarf Lernen oder Geistige Entwicklung dort “inklusiv” gefördert werden. Sollten sie ihren Förderbedarf jedoch verlieren, weil sie gut gefördert wurden und nun nach dem Curriculum der Hauptschule unterrichtet werden könnten, müssten sie das Gymnasium oder die Realschule wieder verlassen.
Ferner findet diese selektive Inklusion auch häufig nur räumlich statt. Wenn Schüler:innen zieldifferent in externen Kleingruppen (Pull-out-System) gefördert werden, wird ein zentraler Aspekt der inklusiven Bildung, die soziale Partizipation im und außerhalb des Unterrichts, nicht umgesetzt.
Die Lehrkräfte erleben diese Widersprüche zwischen der strukturellen Selektivität und der Herausforderung von inklusiver Bildung jeden Tag. Die Bearbeitung dieser Widersprüche und die Umsetzung von Inklusion wird dann an die Schulen und an die Lehrkräfte durchgereicht. Sie sollen in der Praxis die Probleme lösen, die die bildungspolitische Ebene nicht oder nur sehr langsam bearbeitet. Zudem ist die gegenwärtige Inklusionsdebatte durch eine Entwicklung von “negative Pressure” (Fullan, 2009) gekennzeichnet.
Hier wird ohne die sorgfältige Analyse der Gesamtbedingungen Handlungsdruck aufgebaut, der zu unproduktivem Aktionismus führt, begleitet von Angst, Ärger und Frustration (maskierte Förderschulen und selektive Inklusion sind hier Beispiele). Zudem ist eine konkrete theoretische Fundierung sowie eine klare Strategie, wie die definierten Ziele erreicht werden können, nicht vorhanden (Bislang liegen zum Beispiel keine klaren Qualitätskriterien für inklusive Schulen vor).
Dies bedeutet: Die Umsetzung von inklusiver Bildung lässt sich nicht realisieren, wenn es nur um die politische Erwartung geht, in kurzer Zeit irgendwie inklusive Schulen zu schaffen, ohne die strukturelle Selektivität des Schulsystems zu verändern. Die nachhaltige Entwicklung inklusiver Schulen beginnt mit der Reflexion darüber, welche konkreten und unter den gegebenen Bedingungen realisierbaren Maßnahmen dazu beitragen können, Schritte hin zu mehr sozialer Partizipation und zum Abbau von Bildungsbenachteiligungen machen zu können.
Positive pressure – als entwicklungsförderlicher Zustand für Schulentwicklungsprozesse – lässt sich nur aufbauen, wenn die beteiligten Akteur:innen – und hier besonders die Lehrkräfte, die Schulleitungen, die Eltern und die Schüler:innen selbst – positive, konkrete und erreichbare Ziele vor Augen haben, deren Umsetzung unter den jeweils spezifischen Bedingungen möglich erscheinen (vgl. Werning & Avci-Werning 2026).
Rolf Werning ist seit 1997 Professor für inklusive Schulentwicklung am Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover. Er forscht seit vielen Jahren zum Thema inklusive Bildung und Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lernbeeinträchtigungen.
Literaturhinweise:
Ein neu entwickelter Kriterienkatalog soll künftig vorgeben, welche Lernplattformen, Chatprogramme oder Videotools ohne datenschutzrechtliche Bedenken im Unterricht eingesetzt werden können. Mithilfe einer solchen Datenschutzzertifizierung wollen Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Kassel im Projekt DIRECTIONS für mehr Sicherheit bei Informationssystemen in der Schule sorgen. Das KIT informierte am Mittwoch über die Veröffentlichung der Kriterien.
Für eine erfolgreiche Zertifizierung müssen die Anwendungen unter anderem folgende Kriterien erfüllen:
“Die DIRECTIONS-Zertifizierung ist die erste Datenschutzzertifizierung im Bildungswesen, die nachweisen kann, dass alle Anforderungen der Systeme der DSGVO entsprechen”, sagt Ali Sunyaev. Er arbeitet als Informatikprofessor am KIT. Die beteiligten Forschenden planen, den DIRECTIONS-Katalog in naher Zukunft bei ausgewählten Anbietern schulischer Informationssysteme in der Praxis zu erproben.
Wie Sebastian Lins vom KIT Table.Briefings mitteilte, soll eine Zertifizierungsstelle, also “ein unabhängiges Unternehmen mit entsprechender Expertise” die Prüfung durchführen. Aktuell rechnen die beteiligten damit, dass die DIRECTIONS Zertifizierung ab 2026 auf dem Markt verfügbar ist. Eine Selbstverpflichtungserklärung, die System-Anbieter anhand der Kriterien abgeben können, existiert seit Juli diesen Jahres.
Erklärtes Ziel ist es, die DIRECTIONS-Zertifizierung als zuverlässigen Standard für Schulprogramme zu etablieren. Das soll es erleichtern, neue IT-Programme sicher in den Schulalltag zu integrieren. Neben den DSGVO-Vorgaben berücksichtigt der Kriterienkatalog auch “die heterogenen Regelungen der Landesschulgesetze“, sagt Gerrit Hornung, Leiter des Fachgebiets für Öffentliches Recht, IT-Recht und Umweltrecht an der Universität Kassel. Dafür bekommt das Projekt auch Zuspruch aus den Datenaufsichtsbehörden.
Auch Ralph Müller-Eiselt, Vorsitzender vom Forum Bildung Digitalisierung, sieht in dem Projekt eine “wertvolle Grundlage für ein zentrales Datenschutz-Prüf- und Empfehlungssystem”. Um die Unsicherheit in Schulen jedoch effektiv zu überwinden, brauche es noch eine Reihe weiterer Maßnahmen, sagte er Table.Briefings. Insbesondere eine stärkere Koordination der Datenschutzbeauftragten der Länder sowie ein gezielter Kompetenzaufbau bei Schulträgern, Schulleitungen und Lehrkräften seien wichtig.
Das Bundesbildungsministerium fördert das Projekt von 2021 bis 2027 mit rund 6,4 Millionen Euro. Neben dem KIT und der Universität Kassel sind an dem Projekt auch die datenschutz cert GmbH sowie Trusted Cloud e.V. beteiligt. Vera Kraft
Rund jeder zweite Ausbildungsbetrieb (49 Prozent) konnte im vergangenen Jahr nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Dies zeigt eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Der Befund sei “ein alarmierendes Allzeithoch”. Bei den Betrieben mit Besetzungsschwierigkeiten gibt sogar mehr als ein Drittel (35 Prozent) an, keine einzige Bewerbung erhalten zu haben. Damit konnten hochgerechnet knapp 30.000 Ausbildungsbetriebe keine neuen Azubis einstellen. An der Umfrage haben sich insgesamt etwa 13.000 Unternehmen beteiligt.
“Die kleinen Betriebe haben am meisten zu kämpfen”, sagt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Besonders betroffen sind die Branchen Gastgewerbe, Industrie, Handel, die Verkehrsbranche und das Baugewerbe. Die größten Schwierigkeiten Stellen zu besetzen, hat das Gastgewerbe, wobei sich zumindest eine leichte Erholung im Vergleich zu den Corona-Jahren abzeichnet. Seit 2020 konnte hier die Zahl der Ausbildungsverträge um 37 Prozent gesteigert werden. Dies liegt insbesondere auch daran, dass Betriebe stärker internationale Azubis rekrutiert haben.
Auch sonst federn junge Menschen anderer Herkunftsländer den Fachkräftemangel ab. Bereits jeder zweite Betrieb hat ausländische Azubis ausgebildet oder versucht, diese zu gewinnen (48 Prozent). 2019 lag dieser Anteil noch bei 41 Prozent. Vor allem kleinere Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitenden haben stark an Erfahrung gewonnen, sich internationaler aufzustellen. 2019 hatte ein Drittel der kleinen Unternehmen ausländische Azubis, 2024 sind es bereits 42 Prozent.
Doch auch in der Ansprache von Jugendlichen und jungen Erwachsenen müssen sich Unternehmen mittlerweile breiter aufstellen. Am erfolgreichsten rekrutieren Betriebe über persönliche Kontakte und Ansprachen. Um auf sich aufmerksam zu machen, nutzen Unternehmen aber auch verstärkt digitale Plattformen. “Junge Menschen nutzen die Social-Media- und Berufs-Plattformen sehr intensiv. Für Betriebe lohnt es sich, dort aktiv zu sein”, sagt Dercks. Mehr als die Hälfte der Unternehmen betreibt mittlerweile aktives Marketing über Social Media.
Lesen Sie auch: Berufswahl-Tinder – Was neue Matching-Apps bringen
Warum es dennoch einen Mangel an Auszubildenden gibt, hat mehrere Gründe. Primär liegt es am demografischen Wandel. Zudem fehle den jungen Menschen der DIHK zufolge eine effiziente und zielgerichtete Berufsorientierung. “Wirtschafts-, Finanz- oder MINT-Themen müssen im Unterricht eine größere Rolle spielen”, fordert Dercks.
Und noch eine Hürde gibt es: Viele Jugendliche bringen keine ausreichenden Mathematik- und Deutschkenntnisse mit. Immer mehr Unternehmen bieten ihren Auszubildenden daher fachliche Nachhilfe an, aber auch Coachingprogramme, etwa zur Verbesserung von Selbstmanagement. Vera Kraft
Die umstrittenen Abordnungen von Lehrkräften an unterversorgte Schulen in Nordrhein-Westfalen hat das Verwaltungsgericht Münster nun in zwei Fällen gestoppt. Somit waren die Eilanträge einer Grundschullehrerin und eines Gymnasiallehrers erfolgreich. Beide sollten nach den Sommerferien vorübergehend an eine andere Schule versetzt werden. Aufgrund des starken Lehrermangels sind derzeit knapp 9.300 Lehrkräfte in NRW von ihrer Stammschule abgeordnet.
Um den Unterricht an allen Schulen zu sichern, könnten Abordnungen grundsätzlich legitim sein, teilte das Gericht mit. Bei der Auswahl der zu versetzenden Lehrkräfte habe es allerdings einen “Ermessensfehler” gegeben. Denn statt eines Losverfahrens hätte die Bezirksregierung Münster, die für die klagende Grundschullehrerin zuständig ist, “eine auf gleichmäßigen Maßstäben beruhende Ermessensentscheidung” treffen müssen – und zwar unter allen Grundschullehrern, die im Münsterland tätig seien. Voraussetzung müsse dabei immer sein, dass die bisherige Schule auch bei einer Abordnung funktionieren könne.
Das erfolgte Losverfahren, kritisiert das Gericht, sei allerdings “schon im Ansatz kein sachgerechtes Auswahlkriterium“. Eine ähnliche Begründung erfolgte auch im Fall des Gymnasiallehrers.
Das nordrhein-westfälische Schulministerium sieht in dem noch nicht rechtskräftigen Beschluss des Verwaltungsgerichts in Münster dennoch keinen Grund, die Praxis der Lehrerabordnungen zu ändern. Im Gegenteil: Im Grundsatz habe das Gericht das Instrument schließlich bestätigt. Und um “faire Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen zu sichern”, seien solche Abordnungen auf Zeit “bis auf Weiteres unverzichtbar”, heißt es aus dem Schulministerium. Entscheidungen, die “im Einzelfall ermessensfehlerhaft getroffen wurden” müsste die Bezirksregierung entsprechend aufarbeiten.
2022 hatte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ein umfangreiches Handlungskonzept zur Unterrichtsversorgung vorgestellt. Neben vielen weiteren Maßnahmen erleichtert das Konzept, Lehrkräfte befristet an Schulen mit Personalmangel zu entsenden. Lehrerverbände haben diese Maßnahme von Anfang an als demotivierende Zwangsmaßnahme abgelehnt. Das aktuelle Urteil verstärkt auch bei der Opposition die Ablehnung gegen diese Praxis. “Offenbar haben Panik und Hektik zur reinen Willkür bei den Abordnungen geführt”, kritisierte etwa Dilek Engin, schulpolitische Sprecherin der SPD. dpa/vkr
An den allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen unterrichten derzeit im Quereinstieg acht Personen als Fachpraxislehrer mit Meister- oder Fachschulabschluss. Das geht aus einer Antwort des Kultusministeriums von Ministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) auf eine Kleine Anfrage der CDU hervor.
Die Oppositions-Partei bemängelt die Zahl. Dass seit Inkrafttreten des Erlasses im Juni 2022 nur acht Personen für den besonderen Quereinstieg gewonnen werden konnten, werfe kritische Fragen auf. “Der geringe Erfolg könnte auf eine unzureichende Informationskampagne, fehlende Anreize beispielsweise durch Befristung oder zu hohe Hürden im Bewerbungsprozess zurückzuführen sein”, sagte Christian Fühner, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Table Briefings.
In Niedersachsen können Quereinsteiger ohne Hochschulstudium an den allgemeinbildenden Schulen des nichtgymnasialen Sekundarbereichs I in Fächern mit hohem Praxisanteil unterrichten. Das geschieht, wie das Kultusministerium schreibt, “gemeinsam mit erfahrenen Lehrkräften”. Der planmäßige Einsatz einer Praxislehrkraft betrage im Schulhalbjahr oder -jahr pro Fach und Klasse maximal 50 Prozent des insgesamt zu erteilenden Unterrichts.
Zu den Fächern zählen Hauswirtschaft, Technik, Informatik, Gestaltendes Werken und Textiles Gestalten. Zudem nennt das Ministerium den “Unterricht in den Profilen Gesundheit und Soziales sowie Technik für Stellen des Lehramtes an Haupt- und Realschulen und in dem Fachbereich Arbeit-Wirtschaft-Technik an Gesamtschulen”.
Die Voraussetzungen für die Einstellung von Praxislehrkräften sind folgende:
Die GEW Niedersachsen zeigte sich wenig überrascht von der geringen Zahl der Praxislehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen. Da insgesamt ein akuter Fachkräftemangel vorliegt, sei es nicht verwunderlich, dass bisher nur ein sehr kleiner geeigneter Personenkreis gefunden und eingesetzt werden konnte. Holger Schleper
Dieter Dohmen – Gründer und Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS)
Dieter Dohmen hätte in viele Kategorien unserer Top 100 gepasst – schließlich beschreibt er sich selbst als “Unternehmer, Vordenker, Wissenschaftler, Berater, Analyst und Visionär”. All das versucht er in dem von ihm gegründeten Forschungsinstitut zu vereinen. Das FiBS befasst sich unter anderem mit Fragen der Bildungssteuerung, der Bildungsfinanzierung und der Bildungsplanung. Einen besonderen Blick hat Dohmen dabei auf der Rolle der Schulleitungen. 2023 hat das FiBS erstmalig den Cornelsen Bildungsindex erstellt und damit ein wichtiges Stimmungsbild zum deutschen Bildungssystem gegeben. Angetrieben wird Dohmen in seinen Analysen und Empfehlungen von der Idee, Bildungssysteme innovativer zu machen. Mehr über Dieter Dohmen lesen Sie in diesem Porträt.
Stephan Dorgerloh – Gründer des Nationalen Bildungsforums
Von 2011 bis 2016 war Dorgerloh Kultusminister in Sachsen-Anhalt, 2013 Präsident der Kultusministerkonferenz. Der studierte Theologe ist in der Bildungsszene bundesweit bestens vernetzt. Dazu hat auch seine Tätigkeit als Leiter der Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt (2000-2008) beigetragen. Sie bringt Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Bildung und Religion zusammen. Aktuell ist Dorgerloh Geschäftsführer von Wider Sense, einer Strategieberatung für Stiftungen, Firmen, die öffentliche Hand und NGOs. 2018 gründete er das Nationale Bildungsforum und schuf damit einen einflussreichen Impulsgeber für das deutsche Bildungssystem. Einmal im Jahr treffen sich rund 70 Fachleute aus Wissenschaft und Praxis, Verwaltung und Politik, Stiftungen und Gesellschaft zu einem aktuellen Bildungsthema. In diesem Herbst: Was für eine Schulaufsicht braucht die Schule und das Land?
Detmar Meurers – Leiter der Arbeitsgruppe “Sprache und KI in der Bildung” am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM)
Um Schülerinnen und Schülern individuelles Lernen zu ermöglichen, braucht es mehr systematische Unterstützung – davon ist der Professor für Computerlinguistik an der Universität Tübingen überzeugt. Detmar Meurers forscht an der Schnittstelle von Computerlinguistik und empirischer Bildungsforschung. Dabei widmet er sich sowohl dem Fremd- und Bildungsspracherwerb als auch der Rolle von Sprache beim fachlichen Lernen. Seit April leitet er die Arbeitsgruppe “Sprache und KI in der Bildung” des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM). Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es unter anderem, Grundlagenforschung und fachdidaktische Erkenntnisse zu verbinden und intelligente Systeme zu entwickeln, die individuelles Lernen im Schulalltag erleichtern.
Ralph Müller-Eiselt – Vorstand Forum Bildung Digitalisierung
Digitalkompetenzen zählen für Ralph Müller-Eiselt zu den Basiskompetenzen. Als geschäftsführender Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung wirbt er seit November 2023 für eine teilhabeförderliche Digitalisierung. Dabei ist ihm wichtig, Kindern und Jugendlichen einen besseren Zugang zu digitalen Bildungsangeboten zu ermöglichen sowie ihre individuellen Bedingungen zu berücksichtigen. Müller-Eiselt war bereits in unterschiedlichen Positionen bei der Bertelsmann Stiftung tätig, zuletzt als Direktor der Programme Megatrends sowie Digitalisierung und Gemeinwohl. Außerdem hat er zuvor für das Präsidium der Leuphana Universität Lüneburg und das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur gearbeitet. Dabei beschäftigte ihn in den vergangenen Jahren insbesondere die Frage, welche Auswirkungen Algorithmen und Künstliche Intelligenz auf Bildung und Gesellschaft haben. Ralph Müller-Eiselts Standpunkt zur digitalen Bildung lesen Sie hier.
Axel Plünnecke – Leiter des Bildungsclusters beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft leitet Axel Plünnecke das Cluster Bildung, Innovation und Migration. In dieser Funktion verantwortet der Bildungsökonom unter anderem den halbjährlich erscheinenden MINT-Report, der zeigt, wie groß die Lücke in diesem für die Transformation essenziellen Wirtschaftsbereich ist. Eine These von Plünnecke: Ohne Erfolge bei der Zuwanderung würden Deutschland viel mehr MINT-Fachkräfte fehlen (zusätzlich rund 442.000). Geht es nach ihm, sollte die Politik gezielt Schüler aus bildungsfernen Schichten, Geringqualifizierte und Analphabeten in den Blick nehmen.
Katharina Scheiter – Professorin für digitale Bildung an der Universität Potsdam
Es ist eines der größten Weiterbildungsprojekte, die Katharina Scheiter maßgeblich koordiniert: den Komptenzverbund “lernen:digital”. In dem vom BMBF geförderten Projekt sollen Lehrkräfte für das Unterrichten im Digitalbereich fitgemacht werden. Zusammen mit Dirk Richter ist Katharina Scheiter in der Transferstelle dafür zuständig, Wissenschaft und Praxis bei der Digitalisierung von Schule zusammenzubringen. Mit digitalem Lernen befasst sich Scheiter schon seit ihrem Psychologiestudium in den 90er Jahren. Hier geht es zum ausführlichen Porträt, das Scheiters Wirken bis 2022 beschreibt.
Andreas Schleicher – Bildungsdirektor bei der OECD und Chefkoordinator der Pisa-Studie
Wenn von Mr. Pisa die Rede ist, dann ist klar, wer gemeint ist: Andreas Schleicher verantwortet als Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Pisa-Studie. Sie gilt als größte internationale Leistungsvergleichsstudie und erfasst alle drei Jahre die Kompetenzen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern. Die erste Pisa-Studie im Jahr 2000 führte in Deutschland zum legendären PISA-Schock. Schleicher veröffentlicht außerdem jedes Jahr den Bericht “Bildung auf einen Blick” zum Stand der Bildung weltweit. Für Deutschland machte Schleicher zuletzt einen Anstieg der Bildungsverlierer aus. Schleicher ist auch Kolumnist bei Table.Briefings und gibt dort Impulse, die er aus seiner großen Kenntnis der verschiedenen Bildungssysteme weltweit ableitet.
Ekkehard Thümler – Gründer des Non-Profit-Bildungsunternehmens Tutoring for All
Neue digitale Lernwege erschließen und Kinder beim Lesenlernen individueller fördern – das ist Ziel von “Tutoring for All”. Gegründet hat er sein Bildungs-Start-up zusammen mit der Universität Hamburg kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, der Zeitpunkt hätte kaum passender sein können. Thümler war für verschiedene Stiftungen tätig und ist Senior Fellow am Centre for Social Investment (CSI) der Universität Heidelberg. Zusammen mit anderen Bildungsexperten verfolgt er die Idee von 100-Prozent-Schulen – Schulen, in denen alle Kinder die nötigen Basiskompetenzen erlangen und kein Kind durchs Raster fällt. Thümler ist auch Initiator der “Weimarer Gespräche”, bei denen einmal im Jahr konkrete Ideen der Transformation von Schule diskutiert werden. Ein ausführliches Porträt gibt es hier.
Ludger Wößmann – Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik
“Die Bildungskrise braucht mehr öffentliche Aufmerksamkeit”, sagte Ludger Wößmann Table.Briefings im Vorjahr. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München setzt sich engagiert und beharrlich dafür ein. Seit mehr als 20 Jahren leitet er das ifo Zentrum. Der Mitgründer des Aktionsrats Bildung forscht insbesondere zur Bedeutung von Bildung für wirtschaftlichen Wohlstand und dazu, welche Auswirkungen Schulsysteme auf Schülerleistungen und Chancengerechtigkeit haben. In Deutschland zählt der auch international renommierte Wissenschaftler zu den meistgehörten Stimmen, wenn es um den Zustand der Bildungsrepublik geht. Zu beobachten war das einmal mehr im Mai, als Wößmanns Institut eine Studie veröffentlichte, wie ungleich die Bildungschancen in den Bundesländern verteilt sind – der Auftakt für eine große Debatte.
Michael Wrase – Jurist und Bildungsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
“Deutschlands gefragtester Schuljurist”: So beginnt das jüngst in Table.Briefings erschienene Porträt über Wrase. Er leitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die Forschungsgruppe “Recht und Steuerung im Kontext sozialer Ungleichheiten”. Zudem ist er Professor für Öffentliches Recht mit den Schwerpunkten Sozial- und Bildungsrecht an der Universität Hildesheim. Wrase ist in den aktuellen bildungspolitischen Debatten eine viel gehörte und auch prägende Stimme. So leitete er ein Projekt zur Umsetzung des Digitalpakts Schule und ist auch führender Kopf im “Expert:innenforum Startchancen”. Bei der Umsetzung der schulischen Inklusion in Deutschland zählt Wrase ebenfalls zu den kenntnisreichsten Forschern – nachzulesen unter anderem in einer gemeinsamen Studie mit dem Bildungsforscher Marcel Helbig.
Research.Table. Warum das BMBF-Papier zur Technologieoffenheit wenig innovativ ist. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat den Forschungsorganisationen eine Offensive für Technologieoffenheit vorgeschlagen. Warum das Impulspapier Experten verwundert, manche Passagen sogar paradox erscheinen, lesen Sie hier.
Research.Table. Präsident der Max-Planck-Gesellschaft: “Die Wissenschaft muss jünger, weiblicher und internationaler werden”: Patrick Cramer ist seit einem Jahr Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Was er im Sommerinterview zur Anfälligkeit des Wissenschaftssystems für Machtmissbrauch sagt, lesen Sie hier.
Deutschlandfunk: Im Blick auf die Medaillenausbeute bleiben die deutschen Athletinnen und Athleten bei den Olympischen Spielen in Paris hinter den Erwartungen zurück, heißt es im Dlf. Der Sportwissenschaftler Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln sieht Zusammenhänge mit dem Schulsport. Unter anderem bemängelt er zu wenig Talentsichtung in den Schulen. Grundsätzlich urteilt Froböse: “Wir brauchen Wettkämpfe, wir brauchen Leistungsmessen, insbesondere im Kindes und Jugendalter. Und das wollen wir offensichtlich nicht mehr.” Kritisch sieht er daher, dass die Bundesjugendspiele in diesem Sinne weniger leistungsorientiert seien. (Sportwissenschaftler: Wert des Sports für die Gesellschaft werde nicht erkannt)
Zeit: Mehr Praxis ins Studium, mehr Wissenschaft in die Ausbildung. Das duale Studium erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Denn dieses vereint sowohl praktische als auch theoretische Komponenten. Diese Kombination ist daher besonders für die spannend, die vor dem klassischen, rein theoretischen Studium zurückschrecken. Claus Leggewie, Professor an der Universität Gießen, hält die strikte Trennung in Disziplinen, praktische Ausbildung und theoretisches Studium für überholt. Um die Polykrisen unserer modernen Gesellschaft zu lösen, solle die Jugend auch “polytechnisch” ausgebildet werden. (Mehr Praxis auf den Stundenplan!)
FAZ: Mental Health Coaches für Schüler. Seit der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Jugendlichen, mit psychischen Auffälligkeiten wie Depressionen, Angst- oder Essstörungen. Um über diese Erkrankungen und Stress aufzuklären, stellte das Familienministerium 100 Mental Health Coaches ein. Doch diese sind zu wenige für alle Schulen. Auch an Schulpsychologen fehlt es. Es gibt zudem in Deutschland keine Vorschriften oder Datenerhebungen, ob und wie solche Aufklärung an Schulen stattfindet – und wie erfolgreich sie ist. (Wie werden Kinder wieder glücklich?)
FAZ: Ist die frühe Selektion von Schülern ein Nullsummenspiel? Eine neue Studie zeigt, dass die frühe Trennung von Schülern nach Leistungsniveau helfen kann, die Klassenheterogenität zu reduzieren – im Gegensatz zu einer späteren Trennung. Doch diese Aufteilung auf verschieden Schultypen verstärke die soziale Segregation der Schüler. Das, was das Bildungssystem also an Verbesserungen für die Leistungsstärken gewinne, verliere es also wieder bei den Leistungsschwächeren. (Also doch Gesamtschule?)
Carls Zukunft: Wie sollte Schule auf die Zukunft vorbereiten? Der Schulleiter Micha Pallesche berichtet davon, wie er seine Schule zeitgemäßer gestaltet. An dieser Schule agieren Lehrkräfte als Lernbegleiter. Die Schüler arbeiten dort in Selbstlernphasen an Aufgaben, auf die auch der Lehrer keine klare Antwort geben kann. Der Zukunftsforscher Michael Carl hat vor kurzem ein Whitepaper veröffentlicht, das feststellt: Selbständigkeit ist eine zentrale Kompetenz für die Erwachsenen der Zukunft – denn diese ist ungewiss und anders als bisher. (#217 Micha Pallesche – Was bedeutet Zukunft für Schule?)
Journal of Economic Behavior & Organization: Zusammenhang zwischen Attraktivität und Schulnoten. Eine Studie des ZEW Mannheim und der Universität Cardiff zeigt: Körperliche Attraktivität beeinflusst die schulischen Noten von Jungen. Sind diese in einer attraktiven sozialen Gruppe, sinkt ihr Selbstbewusstsein. Dies wirkt sich auf ihre schulischen Leistungen aus. Bei Mädchen hat die körperliche Attraktivität keinen solchen Einfluss. Charakterliche Attraktivität, also sympathische Charakterzüge, können sowohl bei Mädchen als auch Jungen einen positiven Effekt haben. (Beautiful inside and out: Peer characteristics and academic performance)
jeder zweite Ausbildungsbetrieb konnte im Vorjahr nicht alle Azubi-Plätze besetzen. Das ergab die aktuelle Umfrage der DIHK, an der sich mehr als 13.000 Unternehmen beteiligt haben. Der Handlungsdruck wird für sie immer größer. Dabei gilt es auch, neue Wege in der Ansprache junger Menschen zu gehen, wie Vera Kraft schreibt.
Passend dazu hat sich meine Kollegin Anna Parrisius in ihrer Analyse “Berufswahl-Tinder: Was neue Matching-Apps bringen” mit dem Markt an Apps beschäftigt, die Jugendlichen eine unkomplizierte Ausbildungssuche versprechen. Warum es Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Anwendungen gibt, lesen Sie in ihrem Beitrag.
Große Zweifel begleiten auch die Umsetzung der Inklusion an Deutschlands Schulen von Beginn an. In seinem Gastbeitrag für Bildung.Table schreibt Rolf Werning, Professor für inklusive Schulentwicklung, “dass im Durchschnitt im Gymnasium ein/e von 200 Schüler:innen einen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf hat”. An der Hauptschule seien es mehr als sieben von 100. Was Werning fordert und unter “positive Pressure” versteht, lesen Sie in seinem Standpunkt.
Keine Zweifel haben wir hingegen daran, dass wir Ihnen in unserer Liste Top 100+10 in der heutigen Rubrik “Thinktanks” wieder eine Auswahl an Personen präsentieren können, die mit großem Engagement für ein besseres Bildungsumfeld in Deutschland arbeiten. Seien Sie gespannt, wer in dieser Ausgabe dabei ist.
Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht
Am Ausbildungsmarkt gibt es große Matching-Probleme und viele Jugendliche klagen über berufliche Orientierungslosigkeit. Digitalisierung und KI werden da zuweilen als mögliche Heilsbringer ins Feld geführt. Die Unions-Fraktion im Bundestag forderte neulich, “KI-basierte Berufsorientierungssysteme” zu stärken, Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zeichnete im vergangenen Herbst in einem eigens dafür ins Leben gerufenen Wettbewerb digitale Angebote zur Berufsorientierung aus.
Ab diesem Schuljahr gibt es in sechs Bundesländern außerdem die “berufswahlapp”, in der Schüler Praktikumseindrücke sammeln, Bewerbungsunterlagen erstellen oder künftige Schritte planen können. Private Anbieter sind da schon einen Schritt weiter: Sie matchen Jugendliche mit Berufen und Unternehmen und haben teils ambitionierte Ziele. Alle Probleme lösen können sie allein aber wohl nicht.
Ein beispielhafter Blick in den Markt:
Alle drei Anbieter wollen Betriebe und Schüler schneller als sonst in Kontakt bringen. AzubMe hat dafür eine Chatfunktion, Jugendliche können Betriebe, die sie interessieren, direkt anschreiben. Jobflow ermöglicht noch in der Applikation Bewerbungen. Mithilfe einer KI können die Nutzer sich sogar ein personalisiertes Anschreiben erstellen lassen. Damit reagiert das Unternehmen auf eine eigene Abfrage unter 50 Schülerinnen und Schüler: Ihr zufolge haben viele nur ein Smartphone, was ein strukturiertes Anschreiben erschwert. Und auch sonst bereite das Anschreiben den Jugendlichen oft Probleme, sagte Geschäftsführer Steffen Allesch dem Tagesspiegel.
Auch StickTo arbeitet an einer Blitzbewerbung, die direkt an die Unternehmen geht. Schon jetzt können Schüler anonym Fragen in der App stellen. “Die landen dann bei uns und wir schöpfen aus einem Grundschatz an Antworten oder wenden uns an das Unternehmen”, sagt Julian Risse.
Risse hat StickTo nach dem Abitur mit einem Freund gegründet – weil sie selbst Lücken in der Berufsorientierung sahen. Heute gehen er und sein Team regelmäßig mit der App in Schulen. Zusätzlich entwickeln sie gerade Schulmaterialien. “StickTo soll den Jugendlichen mehr Orientierung verschaffen”, sagt Risse. Das kann die App in seinen Augen als Ergänzung zu einer persönlichen Begleitung, aber auch schon allein.
Felicia Ullrich, Geschäftsführerin von U-Form, einem Unternehmen, das Betriebe beim Azubi-Recruiting unterstützt und jährlich die größte regelmäßige Befragung von Schülerinnen, Schülern, Auszubildenden und Ausbildungsverantwortlichen durchführt, sieht hingegen Grenzen der neuen Apps. “Es ist super, wenn Jugendliche über sie auf einen Beruf stoßen, den sie noch nicht kennen.” Dann müssten die Jugendlichen aber eigene Erfahrungen machen, KI könne hier nur begrenzt helfen. “Nach wie vor sind außerdem persönliche Empfehlungen wichtig von jemandem, der einen gut kennt, den Eltern oder einem Lehrer.”
Ullrich sieht die Matching-Apps insgesamt eher kritisch. “Google ist der Suchkanal Nr. 1 bei jungen Menschen, darüber kommen sie auf Stellenbörsen. Ich bezweifle, dass viele sich eine extra App für die Berufswahl herunterladen, außer die Schule leitet es an.” Ähnlichkeiten zu Tinder hält sie für keinen Vorteil. “Tinder hat ja eher einen zweifelhaften Ruf. Wenn es um die Berufswahl geht, wünschen viele sich eine gewisse Ernsthaftigkeit.” Daher spreche es Jugendliche auch nur bedingt an, wenn Betriebe in den Social Media aktiv werden.
StickTo selbst hat auf Instagram und TikTok aber gute Erfahrungen gemacht. “Darüber erreichen wir schonmal Schüler im sechsstelligen Bereich”, sagt Julian Risse. Nur so hätte sein Start-up, das aktuell vor allem in Norddeutschland aktiv ist und hier bisher Verträge mit rund 20 Unternehmen geschlossen, junge Menschen in ganz Deutschland erreicht. Circa 20.000 seien es inzwischen.
Das Berliner Start-up Jobflow gibt an, die Nutzer fänden hier aktuell über 10.000 Ausbildungsstellen deutschlandweit. AzubMe versucht Deutschland regionenweise zu erschließen: Hier können nicht einzelne Betriebe Lizenzen kaufen, sondern Wirtschaftsförderungen, Kammern und Verbände, über 10 sind es bisher. Sie können das Web-Dashboard für ihre Region anpassen, erhalten Leitfäden für den Einsatz in der Schule und können einsehen, wie die Anwendung vor Ort genutzt wird.
Relevant werden könnte künftig auch Fujour, ein Unternehmen aus Dortmund. In seiner App können Schüler bisher Berufswahl- und Persönlichkeitstests absolvieren, davon ausgehend erhalten sie ein Ranking passender Berufe, das sich kontinuierlich anpasst. Rund 75 Schulen setzen die App bisher ein. “Die Schüler:innen erhalten zu den Vorschlägen bereits Praktikums- und Ausbildungsangebote, die unser Portal über öffentliche Stellenbörsen online findet”, sagt Geert-Jan Gorter, Leiter der Geschäftsentwicklung, Table.Briefings. “Zum neuen Schuljahr soll es auch einen Zugang für Unternehmen geben, die dann – neben andere Funktionalitäten – die passenden Schüler:innen kontaktieren können, um sie auf ein Praktikum, eine Ausbildung, einen Ferienjob oder ein Event aufmerksam zu machen.” Starten will Fujour damit im östlichen Ruhrgebiet.
Die Umsetzung der inklusiven Bildung – verstanden als Minimierung von Diskriminierung und Maximierung von sozialer Partizipation und Bildungschancen für alle Schüler:innen – stellt die strukturell selektiv aufgestellte Sekundarstufe in Deutschland vor erhebliche Herausforderungen. Bereits nach der 4. beziehungsweise 6. Klasse werden die Schüler:innen nach Schulformen aufgeteilt, die ihrem Leistungsvermögen und den Erwartungen an ihre zukünftigen Leistungen entsprechen sollen. Es geht um Selektion (Auslese) und Homogenisierung. Die zieldifferente gemeinsame Unterrichtung als ein wesentlicher Baustein einer inklusiven Bildung ist in einem solchen (vorgeblich) nach Leistung differenzierten System eine eklatante Provokation (vgl. Werning & Lütje-Klose 2016, 226).
Dies zeigt sich deutlich in der sehr unterschiedlichen Verteilung der 164.132 inklusiv unterrichteten Schüler:innen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in den verschiedenen Schulformen der Sekundarstufe I: Im Schuljahr 2022/23 wurden 6,2 Prozent in Gymnasien und 8,9 Prozent in Realschulen unterrichtet. In integrierten Gesamtschulen waren es 44 Prozent, in Schulformen mit mehreren Bildungsgängen (zum Beispiel Oberschulen) 20 Prozent und in Hauptschulen 15 Prozent.
Bezogen auf die unterschiedlichen Schulformen, in denen unterschiedlich viele Schüler:innen unterrichtet werden, bedeutet dies bundesweit, dass im Durchschnitt im Gymnasium ein/e von 200 Schüler:innen einen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf hat. In der Hauptschule haben mehr als sieben von 100 Schüler:innen, in Schularten mit mehreren Bildungsgängen und in Integrierten Gesamtschulen mehr als sechs von 100 Schüler:innen einen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf (eigene Berechnungen auf der Grundlage der statistischen Veröffentlichungen der KMK 2024).
Die Situation spitzt sich dramatisch in Schulen in herausfordernder Lage zu. So hatte zum Beispiel im Schuljahr 2022/23 an den Oberschulen der Stadt Hannover jede/r dritte Schüler:in (29 Prozent) einen sonderpädagogischen Förderbedarf. An Gymnasien waren es lediglich 1,5 Prozent. Wenn die Schulformen, die sowieso schon leistungsschwächere Schüler:innen und solche mit multiplen Belastungen aufnehmen, dann auch die überwiegende Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf unterrichten sollen, entstehen hier “maskierte Förderschulen”, allerdings ausgestattet mit weniger Ressourcen. Dies führt zu einer eklatanten Bildungsbenachteiligung.
Aus verschiedenen Studien ist bekannt, dass die Schulstruktur in nach Leistung gegliederten Systemen die Entwicklung unterschiedlicher Lern- und Entwicklungsumwelten massiv beeinflusst (vgl. Baumert et al. 2009). Lerngruppen, die mehrheitlich aus Schüler:innen aus benachteiligten sozialen Milieus zusammengesetzt sind und/oder lernschwächer sind, haben deutlich negative Effekte auf die individuelle Lernleistung (vgl. Schümer 2004, 96ff.).
Die Zusammenführung lern- und leistungsschwächerer Regelschüler:innen mit lern- und leistungsschwachen Schüler:innen mit Förderbedarf ist sicherlich keine Inklusion im Sinne der Behindertenrechtskonvention. Sondern so werden Lerngruppen erzeugt, die sich durch ihre Zusammensetzung negativ auf die Lernentwicklung der Schülerinnen und Schüler auswirken. Solche “low tracks” sind keine anregungsreichen und fordernden, sondern langweilige und abstumpfende Lernmilieus.
Neben den “maskierten Förderschulen” gibt es die selektive Inklusion: Während viele Schüler:innen aufgrund nicht hinreichender Leistungen Gymnasien und Realschulen nicht besuchen dürfen, gilt dies nicht für Schüler:innen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf. Sie werden dort trotz zieldifferenter Unterrichtung im Rahmen von Inklusiver Bildung aufgenommen. So können zum Beispiel auch Schüler:innen mit Förderbedarf Lernen oder Geistige Entwicklung dort “inklusiv” gefördert werden. Sollten sie ihren Förderbedarf jedoch verlieren, weil sie gut gefördert wurden und nun nach dem Curriculum der Hauptschule unterrichtet werden könnten, müssten sie das Gymnasium oder die Realschule wieder verlassen.
Ferner findet diese selektive Inklusion auch häufig nur räumlich statt. Wenn Schüler:innen zieldifferent in externen Kleingruppen (Pull-out-System) gefördert werden, wird ein zentraler Aspekt der inklusiven Bildung, die soziale Partizipation im und außerhalb des Unterrichts, nicht umgesetzt.
Die Lehrkräfte erleben diese Widersprüche zwischen der strukturellen Selektivität und der Herausforderung von inklusiver Bildung jeden Tag. Die Bearbeitung dieser Widersprüche und die Umsetzung von Inklusion wird dann an die Schulen und an die Lehrkräfte durchgereicht. Sie sollen in der Praxis die Probleme lösen, die die bildungspolitische Ebene nicht oder nur sehr langsam bearbeitet. Zudem ist die gegenwärtige Inklusionsdebatte durch eine Entwicklung von “negative Pressure” (Fullan, 2009) gekennzeichnet.
Hier wird ohne die sorgfältige Analyse der Gesamtbedingungen Handlungsdruck aufgebaut, der zu unproduktivem Aktionismus führt, begleitet von Angst, Ärger und Frustration (maskierte Förderschulen und selektive Inklusion sind hier Beispiele). Zudem ist eine konkrete theoretische Fundierung sowie eine klare Strategie, wie die definierten Ziele erreicht werden können, nicht vorhanden (Bislang liegen zum Beispiel keine klaren Qualitätskriterien für inklusive Schulen vor).
Dies bedeutet: Die Umsetzung von inklusiver Bildung lässt sich nicht realisieren, wenn es nur um die politische Erwartung geht, in kurzer Zeit irgendwie inklusive Schulen zu schaffen, ohne die strukturelle Selektivität des Schulsystems zu verändern. Die nachhaltige Entwicklung inklusiver Schulen beginnt mit der Reflexion darüber, welche konkreten und unter den gegebenen Bedingungen realisierbaren Maßnahmen dazu beitragen können, Schritte hin zu mehr sozialer Partizipation und zum Abbau von Bildungsbenachteiligungen machen zu können.
Positive pressure – als entwicklungsförderlicher Zustand für Schulentwicklungsprozesse – lässt sich nur aufbauen, wenn die beteiligten Akteur:innen – und hier besonders die Lehrkräfte, die Schulleitungen, die Eltern und die Schüler:innen selbst – positive, konkrete und erreichbare Ziele vor Augen haben, deren Umsetzung unter den jeweils spezifischen Bedingungen möglich erscheinen (vgl. Werning & Avci-Werning 2026).
Rolf Werning ist seit 1997 Professor für inklusive Schulentwicklung am Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover. Er forscht seit vielen Jahren zum Thema inklusive Bildung und Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lernbeeinträchtigungen.
Literaturhinweise:
Ein neu entwickelter Kriterienkatalog soll künftig vorgeben, welche Lernplattformen, Chatprogramme oder Videotools ohne datenschutzrechtliche Bedenken im Unterricht eingesetzt werden können. Mithilfe einer solchen Datenschutzzertifizierung wollen Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Kassel im Projekt DIRECTIONS für mehr Sicherheit bei Informationssystemen in der Schule sorgen. Das KIT informierte am Mittwoch über die Veröffentlichung der Kriterien.
Für eine erfolgreiche Zertifizierung müssen die Anwendungen unter anderem folgende Kriterien erfüllen:
“Die DIRECTIONS-Zertifizierung ist die erste Datenschutzzertifizierung im Bildungswesen, die nachweisen kann, dass alle Anforderungen der Systeme der DSGVO entsprechen”, sagt Ali Sunyaev. Er arbeitet als Informatikprofessor am KIT. Die beteiligten Forschenden planen, den DIRECTIONS-Katalog in naher Zukunft bei ausgewählten Anbietern schulischer Informationssysteme in der Praxis zu erproben.
Wie Sebastian Lins vom KIT Table.Briefings mitteilte, soll eine Zertifizierungsstelle, also “ein unabhängiges Unternehmen mit entsprechender Expertise” die Prüfung durchführen. Aktuell rechnen die beteiligten damit, dass die DIRECTIONS Zertifizierung ab 2026 auf dem Markt verfügbar ist. Eine Selbstverpflichtungserklärung, die System-Anbieter anhand der Kriterien abgeben können, existiert seit Juli diesen Jahres.
Erklärtes Ziel ist es, die DIRECTIONS-Zertifizierung als zuverlässigen Standard für Schulprogramme zu etablieren. Das soll es erleichtern, neue IT-Programme sicher in den Schulalltag zu integrieren. Neben den DSGVO-Vorgaben berücksichtigt der Kriterienkatalog auch “die heterogenen Regelungen der Landesschulgesetze“, sagt Gerrit Hornung, Leiter des Fachgebiets für Öffentliches Recht, IT-Recht und Umweltrecht an der Universität Kassel. Dafür bekommt das Projekt auch Zuspruch aus den Datenaufsichtsbehörden.
Auch Ralph Müller-Eiselt, Vorsitzender vom Forum Bildung Digitalisierung, sieht in dem Projekt eine “wertvolle Grundlage für ein zentrales Datenschutz-Prüf- und Empfehlungssystem”. Um die Unsicherheit in Schulen jedoch effektiv zu überwinden, brauche es noch eine Reihe weiterer Maßnahmen, sagte er Table.Briefings. Insbesondere eine stärkere Koordination der Datenschutzbeauftragten der Länder sowie ein gezielter Kompetenzaufbau bei Schulträgern, Schulleitungen und Lehrkräften seien wichtig.
Das Bundesbildungsministerium fördert das Projekt von 2021 bis 2027 mit rund 6,4 Millionen Euro. Neben dem KIT und der Universität Kassel sind an dem Projekt auch die datenschutz cert GmbH sowie Trusted Cloud e.V. beteiligt. Vera Kraft
Rund jeder zweite Ausbildungsbetrieb (49 Prozent) konnte im vergangenen Jahr nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Dies zeigt eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Der Befund sei “ein alarmierendes Allzeithoch”. Bei den Betrieben mit Besetzungsschwierigkeiten gibt sogar mehr als ein Drittel (35 Prozent) an, keine einzige Bewerbung erhalten zu haben. Damit konnten hochgerechnet knapp 30.000 Ausbildungsbetriebe keine neuen Azubis einstellen. An der Umfrage haben sich insgesamt etwa 13.000 Unternehmen beteiligt.
“Die kleinen Betriebe haben am meisten zu kämpfen”, sagt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Besonders betroffen sind die Branchen Gastgewerbe, Industrie, Handel, die Verkehrsbranche und das Baugewerbe. Die größten Schwierigkeiten Stellen zu besetzen, hat das Gastgewerbe, wobei sich zumindest eine leichte Erholung im Vergleich zu den Corona-Jahren abzeichnet. Seit 2020 konnte hier die Zahl der Ausbildungsverträge um 37 Prozent gesteigert werden. Dies liegt insbesondere auch daran, dass Betriebe stärker internationale Azubis rekrutiert haben.
Auch sonst federn junge Menschen anderer Herkunftsländer den Fachkräftemangel ab. Bereits jeder zweite Betrieb hat ausländische Azubis ausgebildet oder versucht, diese zu gewinnen (48 Prozent). 2019 lag dieser Anteil noch bei 41 Prozent. Vor allem kleinere Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitenden haben stark an Erfahrung gewonnen, sich internationaler aufzustellen. 2019 hatte ein Drittel der kleinen Unternehmen ausländische Azubis, 2024 sind es bereits 42 Prozent.
Doch auch in der Ansprache von Jugendlichen und jungen Erwachsenen müssen sich Unternehmen mittlerweile breiter aufstellen. Am erfolgreichsten rekrutieren Betriebe über persönliche Kontakte und Ansprachen. Um auf sich aufmerksam zu machen, nutzen Unternehmen aber auch verstärkt digitale Plattformen. “Junge Menschen nutzen die Social-Media- und Berufs-Plattformen sehr intensiv. Für Betriebe lohnt es sich, dort aktiv zu sein”, sagt Dercks. Mehr als die Hälfte der Unternehmen betreibt mittlerweile aktives Marketing über Social Media.
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Warum es dennoch einen Mangel an Auszubildenden gibt, hat mehrere Gründe. Primär liegt es am demografischen Wandel. Zudem fehle den jungen Menschen der DIHK zufolge eine effiziente und zielgerichtete Berufsorientierung. “Wirtschafts-, Finanz- oder MINT-Themen müssen im Unterricht eine größere Rolle spielen”, fordert Dercks.
Und noch eine Hürde gibt es: Viele Jugendliche bringen keine ausreichenden Mathematik- und Deutschkenntnisse mit. Immer mehr Unternehmen bieten ihren Auszubildenden daher fachliche Nachhilfe an, aber auch Coachingprogramme, etwa zur Verbesserung von Selbstmanagement. Vera Kraft
Die umstrittenen Abordnungen von Lehrkräften an unterversorgte Schulen in Nordrhein-Westfalen hat das Verwaltungsgericht Münster nun in zwei Fällen gestoppt. Somit waren die Eilanträge einer Grundschullehrerin und eines Gymnasiallehrers erfolgreich. Beide sollten nach den Sommerferien vorübergehend an eine andere Schule versetzt werden. Aufgrund des starken Lehrermangels sind derzeit knapp 9.300 Lehrkräfte in NRW von ihrer Stammschule abgeordnet.
Um den Unterricht an allen Schulen zu sichern, könnten Abordnungen grundsätzlich legitim sein, teilte das Gericht mit. Bei der Auswahl der zu versetzenden Lehrkräfte habe es allerdings einen “Ermessensfehler” gegeben. Denn statt eines Losverfahrens hätte die Bezirksregierung Münster, die für die klagende Grundschullehrerin zuständig ist, “eine auf gleichmäßigen Maßstäben beruhende Ermessensentscheidung” treffen müssen – und zwar unter allen Grundschullehrern, die im Münsterland tätig seien. Voraussetzung müsse dabei immer sein, dass die bisherige Schule auch bei einer Abordnung funktionieren könne.
Das erfolgte Losverfahren, kritisiert das Gericht, sei allerdings “schon im Ansatz kein sachgerechtes Auswahlkriterium“. Eine ähnliche Begründung erfolgte auch im Fall des Gymnasiallehrers.
Das nordrhein-westfälische Schulministerium sieht in dem noch nicht rechtskräftigen Beschluss des Verwaltungsgerichts in Münster dennoch keinen Grund, die Praxis der Lehrerabordnungen zu ändern. Im Gegenteil: Im Grundsatz habe das Gericht das Instrument schließlich bestätigt. Und um “faire Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen zu sichern”, seien solche Abordnungen auf Zeit “bis auf Weiteres unverzichtbar”, heißt es aus dem Schulministerium. Entscheidungen, die “im Einzelfall ermessensfehlerhaft getroffen wurden” müsste die Bezirksregierung entsprechend aufarbeiten.
2022 hatte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ein umfangreiches Handlungskonzept zur Unterrichtsversorgung vorgestellt. Neben vielen weiteren Maßnahmen erleichtert das Konzept, Lehrkräfte befristet an Schulen mit Personalmangel zu entsenden. Lehrerverbände haben diese Maßnahme von Anfang an als demotivierende Zwangsmaßnahme abgelehnt. Das aktuelle Urteil verstärkt auch bei der Opposition die Ablehnung gegen diese Praxis. “Offenbar haben Panik und Hektik zur reinen Willkür bei den Abordnungen geführt”, kritisierte etwa Dilek Engin, schulpolitische Sprecherin der SPD. dpa/vkr
An den allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen unterrichten derzeit im Quereinstieg acht Personen als Fachpraxislehrer mit Meister- oder Fachschulabschluss. Das geht aus einer Antwort des Kultusministeriums von Ministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) auf eine Kleine Anfrage der CDU hervor.
Die Oppositions-Partei bemängelt die Zahl. Dass seit Inkrafttreten des Erlasses im Juni 2022 nur acht Personen für den besonderen Quereinstieg gewonnen werden konnten, werfe kritische Fragen auf. “Der geringe Erfolg könnte auf eine unzureichende Informationskampagne, fehlende Anreize beispielsweise durch Befristung oder zu hohe Hürden im Bewerbungsprozess zurückzuführen sein”, sagte Christian Fühner, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Table Briefings.
In Niedersachsen können Quereinsteiger ohne Hochschulstudium an den allgemeinbildenden Schulen des nichtgymnasialen Sekundarbereichs I in Fächern mit hohem Praxisanteil unterrichten. Das geschieht, wie das Kultusministerium schreibt, “gemeinsam mit erfahrenen Lehrkräften”. Der planmäßige Einsatz einer Praxislehrkraft betrage im Schulhalbjahr oder -jahr pro Fach und Klasse maximal 50 Prozent des insgesamt zu erteilenden Unterrichts.
Zu den Fächern zählen Hauswirtschaft, Technik, Informatik, Gestaltendes Werken und Textiles Gestalten. Zudem nennt das Ministerium den “Unterricht in den Profilen Gesundheit und Soziales sowie Technik für Stellen des Lehramtes an Haupt- und Realschulen und in dem Fachbereich Arbeit-Wirtschaft-Technik an Gesamtschulen”.
Die Voraussetzungen für die Einstellung von Praxislehrkräften sind folgende:
Die GEW Niedersachsen zeigte sich wenig überrascht von der geringen Zahl der Praxislehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen. Da insgesamt ein akuter Fachkräftemangel vorliegt, sei es nicht verwunderlich, dass bisher nur ein sehr kleiner geeigneter Personenkreis gefunden und eingesetzt werden konnte. Holger Schleper
Dieter Dohmen – Gründer und Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS)
Dieter Dohmen hätte in viele Kategorien unserer Top 100 gepasst – schließlich beschreibt er sich selbst als “Unternehmer, Vordenker, Wissenschaftler, Berater, Analyst und Visionär”. All das versucht er in dem von ihm gegründeten Forschungsinstitut zu vereinen. Das FiBS befasst sich unter anderem mit Fragen der Bildungssteuerung, der Bildungsfinanzierung und der Bildungsplanung. Einen besonderen Blick hat Dohmen dabei auf der Rolle der Schulleitungen. 2023 hat das FiBS erstmalig den Cornelsen Bildungsindex erstellt und damit ein wichtiges Stimmungsbild zum deutschen Bildungssystem gegeben. Angetrieben wird Dohmen in seinen Analysen und Empfehlungen von der Idee, Bildungssysteme innovativer zu machen. Mehr über Dieter Dohmen lesen Sie in diesem Porträt.
Stephan Dorgerloh – Gründer des Nationalen Bildungsforums
Von 2011 bis 2016 war Dorgerloh Kultusminister in Sachsen-Anhalt, 2013 Präsident der Kultusministerkonferenz. Der studierte Theologe ist in der Bildungsszene bundesweit bestens vernetzt. Dazu hat auch seine Tätigkeit als Leiter der Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt (2000-2008) beigetragen. Sie bringt Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Bildung und Religion zusammen. Aktuell ist Dorgerloh Geschäftsführer von Wider Sense, einer Strategieberatung für Stiftungen, Firmen, die öffentliche Hand und NGOs. 2018 gründete er das Nationale Bildungsforum und schuf damit einen einflussreichen Impulsgeber für das deutsche Bildungssystem. Einmal im Jahr treffen sich rund 70 Fachleute aus Wissenschaft und Praxis, Verwaltung und Politik, Stiftungen und Gesellschaft zu einem aktuellen Bildungsthema. In diesem Herbst: Was für eine Schulaufsicht braucht die Schule und das Land?
Detmar Meurers – Leiter der Arbeitsgruppe “Sprache und KI in der Bildung” am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM)
Um Schülerinnen und Schülern individuelles Lernen zu ermöglichen, braucht es mehr systematische Unterstützung – davon ist der Professor für Computerlinguistik an der Universität Tübingen überzeugt. Detmar Meurers forscht an der Schnittstelle von Computerlinguistik und empirischer Bildungsforschung. Dabei widmet er sich sowohl dem Fremd- und Bildungsspracherwerb als auch der Rolle von Sprache beim fachlichen Lernen. Seit April leitet er die Arbeitsgruppe “Sprache und KI in der Bildung” des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM). Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es unter anderem, Grundlagenforschung und fachdidaktische Erkenntnisse zu verbinden und intelligente Systeme zu entwickeln, die individuelles Lernen im Schulalltag erleichtern.
Ralph Müller-Eiselt – Vorstand Forum Bildung Digitalisierung
Digitalkompetenzen zählen für Ralph Müller-Eiselt zu den Basiskompetenzen. Als geschäftsführender Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung wirbt er seit November 2023 für eine teilhabeförderliche Digitalisierung. Dabei ist ihm wichtig, Kindern und Jugendlichen einen besseren Zugang zu digitalen Bildungsangeboten zu ermöglichen sowie ihre individuellen Bedingungen zu berücksichtigen. Müller-Eiselt war bereits in unterschiedlichen Positionen bei der Bertelsmann Stiftung tätig, zuletzt als Direktor der Programme Megatrends sowie Digitalisierung und Gemeinwohl. Außerdem hat er zuvor für das Präsidium der Leuphana Universität Lüneburg und das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur gearbeitet. Dabei beschäftigte ihn in den vergangenen Jahren insbesondere die Frage, welche Auswirkungen Algorithmen und Künstliche Intelligenz auf Bildung und Gesellschaft haben. Ralph Müller-Eiselts Standpunkt zur digitalen Bildung lesen Sie hier.
Axel Plünnecke – Leiter des Bildungsclusters beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft leitet Axel Plünnecke das Cluster Bildung, Innovation und Migration. In dieser Funktion verantwortet der Bildungsökonom unter anderem den halbjährlich erscheinenden MINT-Report, der zeigt, wie groß die Lücke in diesem für die Transformation essenziellen Wirtschaftsbereich ist. Eine These von Plünnecke: Ohne Erfolge bei der Zuwanderung würden Deutschland viel mehr MINT-Fachkräfte fehlen (zusätzlich rund 442.000). Geht es nach ihm, sollte die Politik gezielt Schüler aus bildungsfernen Schichten, Geringqualifizierte und Analphabeten in den Blick nehmen.
Katharina Scheiter – Professorin für digitale Bildung an der Universität Potsdam
Es ist eines der größten Weiterbildungsprojekte, die Katharina Scheiter maßgeblich koordiniert: den Komptenzverbund “lernen:digital”. In dem vom BMBF geförderten Projekt sollen Lehrkräfte für das Unterrichten im Digitalbereich fitgemacht werden. Zusammen mit Dirk Richter ist Katharina Scheiter in der Transferstelle dafür zuständig, Wissenschaft und Praxis bei der Digitalisierung von Schule zusammenzubringen. Mit digitalem Lernen befasst sich Scheiter schon seit ihrem Psychologiestudium in den 90er Jahren. Hier geht es zum ausführlichen Porträt, das Scheiters Wirken bis 2022 beschreibt.
Andreas Schleicher – Bildungsdirektor bei der OECD und Chefkoordinator der Pisa-Studie
Wenn von Mr. Pisa die Rede ist, dann ist klar, wer gemeint ist: Andreas Schleicher verantwortet als Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Pisa-Studie. Sie gilt als größte internationale Leistungsvergleichsstudie und erfasst alle drei Jahre die Kompetenzen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern. Die erste Pisa-Studie im Jahr 2000 führte in Deutschland zum legendären PISA-Schock. Schleicher veröffentlicht außerdem jedes Jahr den Bericht “Bildung auf einen Blick” zum Stand der Bildung weltweit. Für Deutschland machte Schleicher zuletzt einen Anstieg der Bildungsverlierer aus. Schleicher ist auch Kolumnist bei Table.Briefings und gibt dort Impulse, die er aus seiner großen Kenntnis der verschiedenen Bildungssysteme weltweit ableitet.
Ekkehard Thümler – Gründer des Non-Profit-Bildungsunternehmens Tutoring for All
Neue digitale Lernwege erschließen und Kinder beim Lesenlernen individueller fördern – das ist Ziel von “Tutoring for All”. Gegründet hat er sein Bildungs-Start-up zusammen mit der Universität Hamburg kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, der Zeitpunkt hätte kaum passender sein können. Thümler war für verschiedene Stiftungen tätig und ist Senior Fellow am Centre for Social Investment (CSI) der Universität Heidelberg. Zusammen mit anderen Bildungsexperten verfolgt er die Idee von 100-Prozent-Schulen – Schulen, in denen alle Kinder die nötigen Basiskompetenzen erlangen und kein Kind durchs Raster fällt. Thümler ist auch Initiator der “Weimarer Gespräche”, bei denen einmal im Jahr konkrete Ideen der Transformation von Schule diskutiert werden. Ein ausführliches Porträt gibt es hier.
Ludger Wößmann – Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik
“Die Bildungskrise braucht mehr öffentliche Aufmerksamkeit”, sagte Ludger Wößmann Table.Briefings im Vorjahr. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München setzt sich engagiert und beharrlich dafür ein. Seit mehr als 20 Jahren leitet er das ifo Zentrum. Der Mitgründer des Aktionsrats Bildung forscht insbesondere zur Bedeutung von Bildung für wirtschaftlichen Wohlstand und dazu, welche Auswirkungen Schulsysteme auf Schülerleistungen und Chancengerechtigkeit haben. In Deutschland zählt der auch international renommierte Wissenschaftler zu den meistgehörten Stimmen, wenn es um den Zustand der Bildungsrepublik geht. Zu beobachten war das einmal mehr im Mai, als Wößmanns Institut eine Studie veröffentlichte, wie ungleich die Bildungschancen in den Bundesländern verteilt sind – der Auftakt für eine große Debatte.
Michael Wrase – Jurist und Bildungsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
“Deutschlands gefragtester Schuljurist”: So beginnt das jüngst in Table.Briefings erschienene Porträt über Wrase. Er leitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die Forschungsgruppe “Recht und Steuerung im Kontext sozialer Ungleichheiten”. Zudem ist er Professor für Öffentliches Recht mit den Schwerpunkten Sozial- und Bildungsrecht an der Universität Hildesheim. Wrase ist in den aktuellen bildungspolitischen Debatten eine viel gehörte und auch prägende Stimme. So leitete er ein Projekt zur Umsetzung des Digitalpakts Schule und ist auch führender Kopf im “Expert:innenforum Startchancen”. Bei der Umsetzung der schulischen Inklusion in Deutschland zählt Wrase ebenfalls zu den kenntnisreichsten Forschern – nachzulesen unter anderem in einer gemeinsamen Studie mit dem Bildungsforscher Marcel Helbig.
Research.Table. Warum das BMBF-Papier zur Technologieoffenheit wenig innovativ ist. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat den Forschungsorganisationen eine Offensive für Technologieoffenheit vorgeschlagen. Warum das Impulspapier Experten verwundert, manche Passagen sogar paradox erscheinen, lesen Sie hier.
Research.Table. Präsident der Max-Planck-Gesellschaft: “Die Wissenschaft muss jünger, weiblicher und internationaler werden”: Patrick Cramer ist seit einem Jahr Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Was er im Sommerinterview zur Anfälligkeit des Wissenschaftssystems für Machtmissbrauch sagt, lesen Sie hier.
Deutschlandfunk: Im Blick auf die Medaillenausbeute bleiben die deutschen Athletinnen und Athleten bei den Olympischen Spielen in Paris hinter den Erwartungen zurück, heißt es im Dlf. Der Sportwissenschaftler Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln sieht Zusammenhänge mit dem Schulsport. Unter anderem bemängelt er zu wenig Talentsichtung in den Schulen. Grundsätzlich urteilt Froböse: “Wir brauchen Wettkämpfe, wir brauchen Leistungsmessen, insbesondere im Kindes und Jugendalter. Und das wollen wir offensichtlich nicht mehr.” Kritisch sieht er daher, dass die Bundesjugendspiele in diesem Sinne weniger leistungsorientiert seien. (Sportwissenschaftler: Wert des Sports für die Gesellschaft werde nicht erkannt)
Zeit: Mehr Praxis ins Studium, mehr Wissenschaft in die Ausbildung. Das duale Studium erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Denn dieses vereint sowohl praktische als auch theoretische Komponenten. Diese Kombination ist daher besonders für die spannend, die vor dem klassischen, rein theoretischen Studium zurückschrecken. Claus Leggewie, Professor an der Universität Gießen, hält die strikte Trennung in Disziplinen, praktische Ausbildung und theoretisches Studium für überholt. Um die Polykrisen unserer modernen Gesellschaft zu lösen, solle die Jugend auch “polytechnisch” ausgebildet werden. (Mehr Praxis auf den Stundenplan!)
FAZ: Mental Health Coaches für Schüler. Seit der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Jugendlichen, mit psychischen Auffälligkeiten wie Depressionen, Angst- oder Essstörungen. Um über diese Erkrankungen und Stress aufzuklären, stellte das Familienministerium 100 Mental Health Coaches ein. Doch diese sind zu wenige für alle Schulen. Auch an Schulpsychologen fehlt es. Es gibt zudem in Deutschland keine Vorschriften oder Datenerhebungen, ob und wie solche Aufklärung an Schulen stattfindet – und wie erfolgreich sie ist. (Wie werden Kinder wieder glücklich?)
FAZ: Ist die frühe Selektion von Schülern ein Nullsummenspiel? Eine neue Studie zeigt, dass die frühe Trennung von Schülern nach Leistungsniveau helfen kann, die Klassenheterogenität zu reduzieren – im Gegensatz zu einer späteren Trennung. Doch diese Aufteilung auf verschieden Schultypen verstärke die soziale Segregation der Schüler. Das, was das Bildungssystem also an Verbesserungen für die Leistungsstärken gewinne, verliere es also wieder bei den Leistungsschwächeren. (Also doch Gesamtschule?)
Carls Zukunft: Wie sollte Schule auf die Zukunft vorbereiten? Der Schulleiter Micha Pallesche berichtet davon, wie er seine Schule zeitgemäßer gestaltet. An dieser Schule agieren Lehrkräfte als Lernbegleiter. Die Schüler arbeiten dort in Selbstlernphasen an Aufgaben, auf die auch der Lehrer keine klare Antwort geben kann. Der Zukunftsforscher Michael Carl hat vor kurzem ein Whitepaper veröffentlicht, das feststellt: Selbständigkeit ist eine zentrale Kompetenz für die Erwachsenen der Zukunft – denn diese ist ungewiss und anders als bisher. (#217 Micha Pallesche – Was bedeutet Zukunft für Schule?)
Journal of Economic Behavior & Organization: Zusammenhang zwischen Attraktivität und Schulnoten. Eine Studie des ZEW Mannheim und der Universität Cardiff zeigt: Körperliche Attraktivität beeinflusst die schulischen Noten von Jungen. Sind diese in einer attraktiven sozialen Gruppe, sinkt ihr Selbstbewusstsein. Dies wirkt sich auf ihre schulischen Leistungen aus. Bei Mädchen hat die körperliche Attraktivität keinen solchen Einfluss. Charakterliche Attraktivität, also sympathische Charakterzüge, können sowohl bei Mädchen als auch Jungen einen positiven Effekt haben. (Beautiful inside and out: Peer characteristics and academic performance)