Analyse
Erscheinungsdatum: 16. August 2022

Berlin stellt Lehrerfortbildung auf den Kopf

Die Hauptstadt will aus dem gemeinsamen Landesinstitut mit Brandenburg aussteigen und die Maßnahmen zur Lehrerfortbildung neu zusammenpuzzeln. Die Idee hat Potenzial, kommt aber womöglich zu spät für die große Herausforderung der Zukunft: die Digitalisierung.

Die Jahreszahl heißt 2024. So lange verbleibt ein Teil der Berliner Lehrerfortbildungen noch in dem gemeinsamen Landesinstitut mit dem Land Brandenburg (LISUM). Dann aber will sich die Hauptstadt befreien von der Umklammerung. Berlin will die Einzelmaßnahmen zur Fortbildung von Lehrern und Führungskräften in einem neuen, eigenen Institut fusionieren. Über die zersplitterten Lehrkräftetrainings an der Spree sagt die zuständige Referentin Berlins, Anja Herpell, zu Bildung.Table: „Es macht keinen Sinn, hier getrennt vorzugehen.“

Experten bescheinigen der Integration der Lehrerfortbildungen die „Chance für einen echten Neuanfang". Sie weisen aber gleichzeitig auf etwas anderes hin. Es geht nicht mehr um kleine Veränderungen, sondern um eine Transformation von Schule und Lernen für das digitale Zeitalter. Darauf kann man mit Fortbildungen eigentlich nicht jahrelang warten.

Die Schaffung eines eigenen Berliner Instituts hatte eine Expertenkommission vorgeschlagen. Dies erlaube eine bessere Abstimmung „der vielen, teilweise inkohärenten Maßnahmen.“ So hieß der Leitsatz des Gutachtens im Jahr 2020. Im Jahr 2025 soll nun die Einrichtung ihren Betrieb aufnehmen. Wichtigste Themen: Kernkompetenzen, politische Bildung und Digitalisierung.

Die Lehrerfortbildung gilt als die wunde Stelle für die Zukunft des Schulsystems. Während des Corona-Fernunterrichts etwa hat sich gezeigt, dass ein Großteil der Lehrerschaft nicht mit digitalen Lehr- und Lernformen vertraut ist. Bund und Länder versuchen verzweifelt, sogenannte Kompetenzzentren für die Lehrerfortbildung zu errichten – und sind damit bisher gescheitert. Nun überraschte das Land Berlin mit der Kündigung des gemeinsamen „Landesinstituts für Schule und Medien“, kurz LISUM. 15 Millionen Euro will die Hauptstadt zum Start in eine neue Einrichtung investieren. Der Betrieb soll jährlich zehn Millionen Euro kosten. Allerdings dürfte es Jahre dauern, bis damit die Lehrerfortbildung an der Spree reformiert ist. Erst wollen die disparaten Verwaltungseinheiten neu sortiert sein.

„Es gibt bisher in Berlin über 100 einzelne Maßnahmen für die Fortbildung von Lehrkräften“, sagt Anja Herpell. Diese seien obendrein nicht immer mit dem Referat Lehrkräftebildung abgestimmt, das sie leitet. Freilich ist noch offen, wie die Neuorganisation am Ende aussehen wird. Die einzelnen Elemente würden „möglicherweise zu einer Einrichtung zusammengeführt“, heißt es aus der Senatsverwaltung für Schule. Es klingt vage, wie Schulsenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) über das alte LISUM und das neue Institut spricht. Sie könne das alte Institut aufgeben, solange sie „nichts Neues habe“, sagte sie dem Tagesspiegel.

In ihrem Haus wird die Trennung vom LISUM detailliert beschrieben. „Wichtige Themen, mit denen sich die Führungskräfte im LISUM befassen, finden in der Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in Berlin nicht statt.“ So begründet Referatsleiterin Herpell den Ausstieg aus dem gemeinsamen Institut mit Brandenburg. „Umgekehrt ist die Fortbildung am LISUM für Führungskräfte zum Teil eher abstrakt.“ Nun gehe es darum, sich die Berliner Einrichtungen für Aus-, Fort- und Weiterbildung genau anzuschauen. Dazu gehöre das „Institut für Schulqualität“, das „Studienzentrum für Erziehung, Pädagogik und Schule“ oder das Leadership-Lab.

Der entscheidende Faktor bei der Fortbildung von Lehrkräften heißt allerdings: Zeit. Die Schulen stecken mitten in der Transformation für die Digitalisierung. Kurzfristige Herausforderungen wie Corona, der Zusatzunterricht für ukrainische Zuwandererkinder oder der akute Lehrermangel kommen hinzu. Das Schulsystem und seine Lehrkräfte können also nicht jahrelang warten, bis sich Verwaltungsstrukturen verändert haben. Da sind sich Fachleute länderübergreifend einig.

„Ich glaube, wir haben überhaupt keine Zeit, wir sollten jetzt in die Veränderung gehen“, sagt Romy Möller, die Fortbildungen anbietet und in Kooperation mit Bundesländern moderne Führungskräftetrainings organisiert. Sie kritisiert, dass Fortbildungsprogramme der Länder in der Regel auf das gute Management der Schulen gerichtet sind und noch nicht die Transformation des Schulsystems und die dafür nötigen Leadership-Qualifikationen im Auge haben.

Möller unterscheidet dabei grundsätzlich zwischen Transformation und Change. „Transformation bedeutet einen großen Veränderungsprozess, bei dem das Ziel noch nicht ganz klar ist.“ Es existiere eine Vision: das Lernen in einer digitalen Welt. Aber wie die digitale Schule von morgen konkret aussieht und wie der Weg dahin ist, das sei noch nicht bestimmt. Das Besondere an der Führungskräftefortbildung für die Transformation sei daher Agilität. „Wenn wir den Weg nicht wissen, weil wir auf keinen Erfahrungsschatz zugreifen können, dann hilft Agilität“, sagt Möller. „Das bedeutet, wir entwickeln etwas, wir probieren es aus, setzen sofort um – und evaluieren es auch zeitnah.“

Was sich ein bisschen abstrakt anhört, wird sehr konkret, wenn man die Situation von Leitungskräften an Schulen ansieht. Es gibt in den Bundesländern Tausende Schulleitungspositionen, die nicht besetzt sind. Umfragen zeigen, dass eine große Zahl von Schulleitern erschöpft ist. Die überarbeiteten Schulleiter forderten Unterstützung von den für sie zuständigen Ländern, berichtet Romy Möller. „Aber gleichzeitig haben wir sehr lange Wartezeiten für Fortbildungen.“

Auch Ines Bieler, die in Sachsen-Anhalt Fortbildungen für Führungskräfte anbietet, betont, dass es sofort kontinuierliche Fortbildung für Lehrkräfte braucht. „Diese Angebote müssen ausbildungsorientiert und wertschätzend sein – und an die Stärken der Teilnehmerinnen und Teilnehmer anknüpfen. Da können wir keine Pause machen und ewig warten.“ Berlin sollte seine Fortbildungen während des Umbaus aufrechterhalten – und als Reichtum begreifen.

Sie warnt davor, das neue Aufgabengebiet schleifen zu lassen. „Eine Führungskräfte-Fortbildung für Schulleitungen war schon immer wichtig. Sie ist es jetzt umso mehr, weil wir durch die Kultur der Digitalität ganz neue Herausforderungen haben“, sagt sie. Es gehe heute nicht mehr so sehr um Lehrinhalte. Die Fragen seien: „Wie lerne ich? Wie recherchiere ich? Wie präsentiere ich? Und wie nutze ich die digitalen Möglichkeiten, mit anderen zusammenzuarbeiten?“

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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