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Erscheinungsdatum: 19. Juni 2024

Warum eine falsche Gesellschaftspolitik den Populismus befördert

Die Erfolge der AfD und des BSW führt der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor auf eine linksliberale Gesellschaftspolitik und die fehlenden Antworten der Bundesregierung auf die Perspektivlosigkeit breiter Schichten zurück. Sinnstiftend könnte eine allgemeine Dienstpflicht sein, findet der CDU-Mitgliederbeauftragte.

Die Europa- und Kommunalwahlen haben es belegt: Populistische Parteien gewinnen in Deutschland an Zulauf. Das ist Grund zur Sorge, weil Populismus unsere freiheitliche Demokratie zersetzt. In der demokratischen Öffentlichkeit ist der Wille groß, ein Mittel gegen die Populisten zu finden. Regelmäßig hört man in diesem Zusammenhang den Ruf nach einer „besseren Politik“. Konkret gemeint sind damit meist Maßnahmen zur materiellen Besserstellung von Bürgern, weil Einkommens- und Vermögensungleichheit gemeinhin als maßgebliche Populismusursachen gelten.

Ich bin jedoch davon überzeugt: Um unsere Demokratie nachhaltig gegen Populismus zu sichern, braucht es eine umfassendere Antwort. So plausibel es ist, dass Gefühle der Zurücksetzung und mangelnden Teilhabe für populistische Parolen empfänglich machen: Diese Gefühle primär oder ausschließlich auf wirtschaftliche Ungleichheit zurückzuführen, ist unterkomplex – das belegt aktuell etwa der Umstand, dass populistische Parteien bei der letzten Europawahl durchaus auch in der Gruppe von Wählern mit hoher Bildung und guter oder gar sehr guter wirtschaftlicher Lage hinzugewonnen haben.

Um zu einem umfassenderen Verständnis der Ursachen von Populismus zu kommen – und in der Folge zu einer wirksameren Strategie gegen Populismus zu finden –, hilft ein Blick in die Ideengeschichte. Er schützt vor der Voreiligkeit, mit der wir heute – insbesondere linke, aber auch wirtschaftsliberale Betrachter – dazu neigen, die Gesellschaft und den Menschen primär von wirtschaftlichen und materiellen Fragen her zu verstehen. Und er eröffnet neue Erkenntnisperspektiven. Der US-amerikanische Intellektuelle Francis Fukuyama hat es kürzlich vorgemacht.

Francis Fukuyama steht synonym für seine viel zitierte These vom „Ende der Geschichte“ (The End of History and the Last Man, 1992), nach der mit dem Ende des Kalten Krieges der Siegeszug der liberalen Demokratien zu erwarten gewesen wäre. Angesichts des globalen Erstarkens illiberaler und populistischer Strömungen wird diese „Fukuyama-These“ heute, dreißig Jahre später, oft als ein realitätsferner Wunschtraum abqualifiziert. In einer aktuellen Abhandlung (Boredom at the End of History, 2024) entgegnet Fukuyama seinen Kritikern jedoch, dass er stets auf ein Instabilitätspotential liberaler Demokratien hingewiesen habe: die politische Vernachlässigung von menschlichen Bedürfnissen jenseits des materiellen Komforts, konkret nach Wertschätzung und Anerkennung. Dieses menschliche Bedürfnis benennt Fukuyama – in Anknüpfung an Platon (Politeia, 375 v. Chr.) – mit Thymós, einer altgriechischen Vokabel, die mit „Lebenskraft“, „Stolz“ oder auch „Zorn“ übersetzt werden kann und im deutschen Intellektuellendiskurs etwa durch Peter Sloterdijk (Zorn und Zeit, 2006) populär wurde.

Überzeugend schlussfolgert Fukuyama in seiner Abhandlung, dass die menschliche Grundmotivation des Thymos einerseits die Form von Zorn annehmen kann, wenn sich Menschen innerhalb der Gesellschaft nicht respektiert und wertgeschätzt fühlen, aber zugleich andererseits auch in eine (positive) Form von Stolz umschlagen kann, wenn Menschen sich als respektierter Teil der Gesellschaft fühlen. Mir scheint, dass der Thymos-Begriff Schlüssel einer Strategie gegen den Populismus sein kann: Er weist darauf hin, dass sich „bessere Politik“ zum Zurückdrängen populistischer Kräfte nicht nur auf Fragen der materiellen Situiertheit beziehen darf, sondern auch Gesellschaftspolitik umfassen muss. Um den Populismus erfolgreich zu bekämpfen, braucht es in Deutschland wieder eine Gesellschaftspolitik der republikanischen und – im besten Sinne – konservativen Prägung.

Die Politik der aktuellen Bundesregierung liefert ein besonders mahnendes Beispiel dafür, wie falsche (Gesellschafts-)Politik zum Brandbeschleuniger für die Ausbreitung populistischer Parteien werden kann. Die Ampel findet zum einen kein Gegenmittel für die sich ausbreitende Perspektivlosigkeitsperzeption innerhalb der Gesellschaft und verschärft Zukunftsängste sogar. Zum anderen schadet sie dem demokratischen Miteinander durch linke Identitätspolitik. Zum Ersten: Wenn das (nicht nur ökonomische, sondern auch intellektuelle) Aufstiegsversprechen der Bundesrepublik immer häufiger scheitert und stattdessen zunehmend Perspektivlosigkeit einzieht, wenn gegenwärtige (wirtschaftliche und gesellschaftliche) Verlusterfahrungen neue Abstiegsängste schüren und wenn die zunehmende Ökonomisierung sozialer Beziehungen den gesellschaftlichen „Loser“ als Figur der Moderne etabliert, dann wird der gesellschaftliche Zorn insbesondere in ökonomisch-schwächeren Milieus wachsen. Mit ihrer Politik einer Kombination von pseudo-antielitärer Meritokratie-Feindlichkeit und gleichzeitiger subventionierter Leistungslosigkeit befeuert die Ampel diese Probleme, anstatt sie zu lösen.

Zum Zweiten: Wenn gewählte Volksvertreter ihre Aufgabe der Repräsentation immer häufiger mit einem verfehlten Anspruch an Repräsentativität verwechseln und eine Politik für die gesellschaftliche Mehrheit nicht mehr in Anknüpfung an deren Lebensrealität, sondern nur noch aus dem zum Scheitern verurteilten Versuch einer Destillation des Mehrheitswillens aus einer Summation gesellschaftlicher Minderheiten ableiten – man denke an Sprachbevormundung, Drogenlegalisierung, Geschlechtsidentität, den Abbau von Lebensschutz sowie an eine De-facto-Förderung von Sozialleistungsmissbrauch –, dann werden sich immer mehr Wähler aller Milieus mit in Zorn umschwenkender Skepsis von diesem klientelorientierten Politikansatz abwenden.

Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt: Die Überbetonung von Identität ersetzt nicht die wünschenswerte und wertschätzenden Anerkennung von verschiedenen Lebensrealitäten; sie adressiert den Bürger in einer überindividualisierten Rolle statt als Teil des Gesellschaftsganzen und spaltet in der Folge das Miteinander.

Die erstrebenswerte und nach eigenem Bekunden erstrebte „bessere (Gesellschafts-)Politik“ zur Bekämpfung des Populismus lässt sich bei der Ampel also nicht erblicken. Die Populisten danken es. Es braucht jetzt dringend eine republikanische und konservative Gesellschaftspolitik. Für uns als Christdemokraten ist dabei klar: Der freie Bürger ist nicht Untertan des Staates, sondern sollte sich unter Zugrundelegung eines positiven Bürgerbegriffes immer auch als gestaltender und wertschätzend-adressierter Teil desselben begreifen können – wobei ihm oder ihr jedoch klar sein muss, dass das republikanische Gesellschaftsganze immer mehr ist als die Summe seiner Teile. Und so braucht es jetzt nicht Rufe nach immer mehr Berücksichtigung von Individualität, sondern nach mehr Einsatz für das Gemeinwohl. Es braucht mehr immaterielle Anerkennung von Lebensleistungen und mehr Betonung von und mehr Anreize für Gemeinsinn.

Ich denke in diesem Zusammenhang etwa an die gesellschaftlichen Integrationspotentiale der Wehrpflicht und eines allgemeinen Gesellschaftsjahres, an mehr Förderung und Wertschätzung für bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt – gern auch Extremismusprävention und Flüchtlingsarbeit, aber eben auch für Schützen- und Brauchtumsvereine oder für die Freiwillige Feuerwehr – oder auch an unser den Gemeinsinn stärkendes „Bundesprogramm Patriotismus“. In diesem Sinne muss unser Staat republikanischer werden. Unsere Gesellschaftspolitik muss aber auch wieder im besten Sinne konservativer werden. Konservativ muss sie zumindest so weit sein, dass sie legitime Ängste der Menschen nicht als Schwächen versteht, sondern sie auch als eine gesunde Skepsis gegenüber unreflektierter Zukunfts- und Fortschrittsbesoffenheit begreift. So ist es etwa legitim, statt vorschnelle Technologiegläubigkeit auch eine gesunde Technologieskepsis an den Tag zu legen – etwa im Hinblick auf die vermeintlichen Verheißungen der Digitalisierung der Arbeitswelt oder des Alltagslebens.

Und so muss es gelten, traditionelle Familienmodelle nicht nur zu dulden, sondern sie als besonders stabilisierendes und bevölkerungspolitisch wünschenswertes Modell zu würdigen. Tut man all dies nicht und begegnet man der Skepsis nicht mit konservativer Toleranz, dann werden gesunde Skepsis und der Wunsch nach einem ausreichenden Verständnis für Lebensrealität immer mehr in Angst und am Ende – auch getrieben durch falsche linke Politik – in solchen Zorn umschlagen, den Populisten ihrerseits befeuern wollen. Statt einer solchen thymotischen Wendung zum Zorn und zum Nutzen der Populisten braucht es eine thymotische Wendung zu positivem Stolz und zu verständiger Wertschätzung. Zum Nutzen der Republik.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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