Forderungen nach grundlegenden Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung sind nicht neu, aber die Dringlichkeit wächst gefühlt jede Woche. Alle spüren, dass die staatlichen Strukturen den Anforderungen unserer Zeit immer weniger gewachsen sind – und das setzt unser demokratische System zusätzlich unter Druck.
Ganz gleich, welche Koalition sich nach den Wahlen im Februar 2025 ergibt: Die neue Regierung ist gefordert, sich mit Mut und Führungswillen in der nächsten Legislaturperiode der Weiterentwicklung des Staates als zentrales Projekt anzunehmen. Es braucht eine Neugestaltung, die mehr ist als Papier und Kommissionen. Die von innen kommt – von den Menschen in der Verwaltung, die staatliches Handeln tagtäglich mit Leben füllen und dabei vielversprechende Ansätze bereits erproben.
Wesentliches Element einer Neustrukturierung ist das missionsorientierte Regieren. Die Idee: Der Staat setzt sich verbindliche und messbare Wirkungsziele für eine Legislaturperiode. Ziele wie bezahlbarer Wohnraum oder die Mobilitätswende werden ressortübergreifend verfolgt, kontinuierlich überprüft und angepasst. Die Ergebnisse aus der Praxis bestimmen damit jeweils neu, was Politik wird. So entsteht ein dynamischer, wirkungsvoller, nachvollziehbarer Prozess demokratischen Handelns.
Gute Entscheidungen brauchen in der Umsetzung intelligente Bürokratie, etwa Verwaltungsprozesse, die sich an den Lebenslagen der Bürger:innen orientieren. Beispielsweise bei der Genehmigungsfiktion: Ein Antrag gilt als genehmigt, sobald die Behörde innerhalb einer festgelegten Frist nicht reagiert. Jährliche Bürokratie-Checks helfen, veraltete Vorschriften abzuschaffen. Derart beschleunigte Verwaltungsprozesse entlasten und stärken das Vertrauen der Menschen in den Staat.
Auch die wirkungsgesteuerte Finanzierung gehört zur Staatsreform.Gelder werden an klare Ziele geknüpft, und die Ressorts müssen im Parlament darlegen, wie sie ihre Programme auf diese Ziele ausrichten. Das Konzept Outcome-basierter Finanzierung orientiert sich statt an der Durchführung an den Ergebnissen. Beispiel: Mittel werden dem Ziel der Treibhausgasreduktion im Mobilitätsbereich und nicht zwangsläufig dem Bundesverkehrs- oder Bundesumweltministerium zugewiesen. Für den Erhalt der Mittel müssen die Ressorts zusammenarbeiten. Das sorgt für einen verantwortungsvolleren Einsatz öffentlicher Mittel und ermöglicht Investitionen in Innovation.
Wichtigste Ressource sind die Menschen. Der Staat braucht Menschen, die flexibel denken und handeln – kreatives Personal. Das Laufbahnrecht wird durchlässiger, Personalrotation zur Norm. Ein einheitliches Personalwesen fördert den dynamischen Austausch und bringt frische Perspektiven in die Verwaltung. Schulungen und methodische Unterstützung festigen Kompetenzen.
Genauso wichtig sind bessere Gesetze, die realitätsnah und alltagstauglich gestaltet werden. Sie entstehen durch die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams, die Gesetze in kommunalen Reallaboren testen. Die Erkenntnisse dieser Tests fließen wiederum zurück in den Gesetzgebungsprozess. Das bedeutet: Gesetze entstehen nicht mehr nur am Schreibtisch, sondern direkt in der Praxis. Der Gesetzgebungsprozess wird anpassungsfähig.
„Projektministerien“, also temporäre und durchsetzungsstarke Einheiten innerhalb der Regierung, brechen dabei alte Strukturen auf. Ein:e Projektminister:in koordiniert Expert:innen und Ressourcen aus anderen Ministerien und sorgt für eine fokussierte Umsetzung. So bleibt kein Ziel nur ein Versprechen. Missionsräte, besetzt mit Fachexpert:innen aus allen relevanten Bereichen, begleiten und evaluieren die Umsetzung kontinuierlich. Das schafft Transparenz und fördert das Vertrauen.
Starke Kommunen bilden das Rückgrat einer handlungsfähigen Gesellschaft. Sie sind der Ort, an dem der Staat erlebbar wird. Daher ist es entscheidend, sie zu entlasten und zu stärken. Die Erfahrungen der Kommunen sind ständiger Gegenstand zur Überprüfung und Anpassung der Entscheidungen. Das reine Top-Down wird ersetzt durch echte Kooperation der politischen Ebenen. Kompetenzbündelungen nach dem Prinzip „einer für viele“ fördern außerdem die Zusammenarbeit zwischen Bundesländern. Experimentierklauseln ermöglichen es Kommunen, innovative Wege zu gehen und gesetzliche Regelungen zu testen. Das schafft Spielräume und neue Perspektiven.
Die skizzierten Vorschläge sind wichtige Schritte – doch es braucht mehr als einzelne Maßnahmen, um den Staat zukunftsfähig zu machen: Staatsreform ist kein abstraktes Konzept, sondern eine Notwendigkeit für eine zukunftsfähige Demokratie. Damit das gelingt, müssen möglichst viele mitwirken: Politik, öffentliche Verwaltung und die Zivilgesellschaft. Die Initiative des Bundespräsidenten ist ein wichtiger Impuls. Gleichzeitig gilt: Veränderung entsteht in der Praxis – dort, wo Menschen mit Engagement und Überzeugung den Wandel längst vorantreiben.
Ralph Brinkhaus ist Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU). Doreen Denstädt ist Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz in Thüringen (Grüne). Maral Koohestanian ist Stadträtin und Dezernentin für Smart City, Europa und Ordnung bei der Landeshauptstadt Wiesbaden (Volt). Peter Kurz ist ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Mannheim (SPD) – von ihm erschien im August 2024 das Buch „Gute Politik“. Arne Treves ist Mission Lead Re:Form bei der Organisation ProjectTogether.