Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 06. Juni 2024

Politologe Moini: Kein Schutzraum für Rechtsextremismus! 

Die AfD ist ein rechtsextremistischer Verdachtsfall, das hat das Oberverwaltungsgericht gerade bestätigt. Aber das hindert sie nicht daran, öffentlich für ihre Ziele zu werben. Damit trägt die AfD dazu bei, dass rechtsextreme Positionen salonfähig werden, meint der Jurist und Politologe Dr. Bijan Moini. In seinem Standpunkt wirbt er für ein Verbot der Partei. Mit der Serie „Hacking Populism“ will Table.Briefings Wege aufzeigen, wie dem Populismus begegnet werden kann.

In der Diskussion um ein Verbotsverfahren gegen die Alternative für Deutschland (AfD) lautet ein häufiges Gegenargument, ein Verbot der Partei sei sinnlos, weil man rechtsextreme Einstellungen nicht verbieten könne; die Menschen würden auf diese Weise nicht weniger rechtsextrem, im Gegenteil. Dieses Argument überzeugt jedoch schon deshalb nicht, weil ein Parteiverbot keine Meinungen verbieten kann und will, sondern allein darauf abzielt, Verfassungsfeinde von Regierungsmacht fernzuhalten. Es spricht allerdings auch viel dafür – und darum soll es hier gehen –, dass ein Verbot der AfD als Nebeneffekt durchaus rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung zurückdrängen könnte.

Es wäre äußerst ungewöhnlich, wenn eine erfolgreiche Themenpartei wie die AfD rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung nicht fördern würde. Wer das abstreitet, müsste auch über die Grünen sagen, sie hätten umwelt- und klimafreundliche Einstellungen in Deutschland nicht gefördert. Einstellungen ändern sich zwar langsam, aber sie ändern sich durchaus, und manchmal schneller, als man denkt. Die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung erhebt seit 2014 rechtsextreme Einstellungen in Deutschland und hat festgestellt, dass im Zeitraum 2022/23 gegenüber 2020/21 ganze 21 statt elf Prozent den Nationalsozialismus stark oder teilweise verharmlosen, dass 47 statt 25 Prozent stark oder teilweise fremdenfeindlich und 21 statt 12 Prozent antisemitisch eingestellt sind. Insgesamt wiesen acht statt zwei Prozent ein manifest rechtsextremes Weltbild auf.

Eine Reihe von Gründen spricht für einen entscheidenden Anteil der AfD an dieser Entwicklung. Da ist zunächst der Beitrag der Partei zur Verbreitung rechtsextremer Positionen. Es ist bislang nicht klar, ob die AfD als Ganzes rechtsextrem ist. Das OVG Münster hat aber Mitte Mai bestätigt, dass die Einstufung der Bundespartei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall begründet war. Entscheidend für sein Urteil war eine große Anzahl von Äußerungen aus AfD-Kreisen gegenüber Migranten, mit denen diese systematisch ausgegrenzt werden und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk infrage gestellt wird. Das Gericht stellte auch fest, dass in der AfD in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet werden. Dass die AfD diese Überzeugungen über Pressemitteilungen, Twitter-Accounts, TikTok-Videos und Reden in Parlamenten, auf Volksfesten oder auf Parteiveranstaltungen verbreitet, hat Einfluss auf den öffentlichen Diskurs und geht nicht spurlos an der Bevölkerung vorüber.

Die Partei bietet daneben ein Forum, auf dem rechtsextreme Positionen geschärft und weiterentwickelt werden können, inhaltlich und rhetorisch. Dank des Parteienprivilegs – wonach der Staat die politische Betätigung einer Partei nicht behindern darf, solange das Bundesverfassungsgericht sie nicht verboten hat – bietet die AfD einen Schutzraum eben dafür, der auch noch zu großen Teilen getragen wird durch staatliche Parteienfinanzierung.

Zudem fördert die AfD auch dank dieser Finanzierung andere Rechtsextreme. Sie stellt sie in Fraktionen, Parteizentralen oder Abgeordnetenbüros an, zahlt ihnen Rednerhonorare und fördert den Absatz ihrer Bücher und Zeitschriften. Wer aber von Berufs wegen und nicht nur in seiner Freizeit politisch arbeitet, kann seine Positionen effektiver unters Volk bringen. Es macht einen Unterschied, ob jemand im Bundestag oder auf einer Pegida-Demo spricht.

Die Verbundenheit zur AfD wiederum konzentriert und diszipliniert das rechtsextreme Vorfeld der Partei. Die AfD öffnet Rechtsextremen zum ersten Mal seit der NS-Zeit einen realistischen Weg an die Macht. Wer Einfluss haben möchte, stellt sich besser gut mit der Partei. Das begünstigt wiederum, dass Botschaften aus rechtsextremen Kreisen synchroner schwingen und höhere Wellen schlagen. Die Erfolgsaussichten der Partei motivieren Rechtsextreme auch ganz allgemein dazu, aktiv und laut zu werden, Farbe zu bekennen sowie weitere Ressourcen für die Durchsetzung der gemeinsamen Überzeugungen aufzuwenden. Der Erfolg zieht auch Opportunisten an, die – auch ohne Überzeugungen – rechtsextreme Botschaften weiter verstärken. Und sollte die AfD dereinst nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf Landesebene regieren, ist denkbar, dass sie rechtsextreme Äußerungen und Taten ihrer Anhänger mit Exekutivmacht deckt und so zusätzlich zu ihnen einlädt.

Mit dem hohen Zuspruch für die Partei gehen auch häufige Besuche in quotenstarken Talkshows einher. Reden von und Interviews mit AfD-Abgeordneten werden in Nachrichtensendungen ausgestrahlt und auch von ihren Gegnern im Netz verbreitet, weil die Partei relevant ist. Und die formalen Ämter ihrer wichtigsten Vertreter verleihen dem, was sie sagen, eine gewisse Autorität. Denn es macht einen Unterschied, ob jemand im Anzug und in bestem Licht vom Rednerpult des Deutschen Bundestages spricht oder mit Wintermantel und schlechtem Ton auf einer Pegida-Demo.

Durch alles Vorgenannte trägt die AfD dazu bei, dass rechtsextreme Positionen normalisiert werden. Das ebnet diesen Positionen den Weg in die Mitte der Gesellschaft. Außerdem hat die AfD Einfluss auf die Prioritäten im öffentlichen Diskurs: Indem sie Probleme in der Zuwanderungspolitik exzessiv aufbauscht und überspitzt, prägt sie, worüber gesprochen wird – was im Falle der Migrationspolitik wiederum allzu oft rechtsextreme Positionen sind.

Würde die AfD verboten – also die Partei aufgelöst, gingen all ihre Abgeordnetenmandate verloren und würde ihr Vermögen eingezogen –, dann könnten sich rechtsextreme Einstellungen in dem Maße zurückentwickeln, in dem die AfD sie gefördert hat; nicht sofort, aber mit der Zeit. Es würden auch junge Menschen nicht so schnell und häufig mit professionell aufbereitetem rechtsextremem Gedankengut bombardiert werden. Und die übrigen Parteien könnten wieder stärker den Diskurs prägen, mit anderen Themen als Migration.

Das alles bedeutet nicht, dass allein die AfD für den Rechtsruck in Deutschland verantwortlich wäre; die Gründe dafür sind deutlich vielschichtiger und reichen teils weit zurück. Es bedeutet auch nicht, dass die AfD allein deshalb verboten werden sollte, weil das rechtsextreme Einstellungen zurückdrängen könnte. Ein Verbotsverfahren verfolgt wie gesagt einen anderen Zweck, ist mit rechtlichen Unwägbarkeiten behaftet und sieht sich mit einer Reihe weiterer – ihrerseits diskutabler – politischer Gegenargumente konfrontiert. Aber es wäre falsch, den Einfluss der AfD auf die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen gänzlich in Abrede zu stellen – und damit auch diese mögliche Nebenwirkung eines Parteiverbots.

Dr. Bijan Moini ist Jurist, Politologe und Autor. Er ist Legal Director und Syndikus der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Lesen Sie hier alle bisher erschienen Beiträge der Serie „Hacking Populism“.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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