Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 11. November 2025

Die CDU weiß, was sie will – sie zeigt es nur nicht

Baha Jamous: „Wir glauben, dass Deutschland diese Partei braucht. Aber nicht als Verwalterin des Status quo.“ (Solaris)

Mit der Regierungsübernahme sei die anfängliche Aufbruchsstimmung in der CDU verblasst, schreiben Baha Jamous und Daniel Eck in ihrem Gastbeitrag. Anstatt klare Führung zu zeigen, flüchte sich die Partei nun in die Komfortzone des Machterhalts. Welche fünf Veränderungen sie für nötig halten.

Die Bundestagswahl 2021 war ein Desaster für die Union. Inhaltlich entkernt, zerstritten, kopflos. Im Wahlkampf stand der Gegner da wie Frazier im „Fight of the Century“ gegen Ali. Gedemütigt, deprimiert und planlos lag die Union nach dem K.O. im Ring – und man fragte sich, ob ein Comeback angesichts der Entwicklung der europäischen Christdemokraten überhaupt noch möglich war.

Und dann war er da, dieser Moment, in dem die CDU wieder an sich glaubte. Als Friedrich Merz im Winter 2021 per Mitgliederentscheid zum Vorsitzenden gewählt wurde, lag Zuversicht in der Luft. Zum ersten Mal durften die Mitglieder selbst entscheiden. Und sie entschieden sich für Aufbruch. Merz stand für eine erkennbare, klare Richtung und für den Mut, die Partei neu zu denken. Nach Jahren der Müdigkeit kehrte Energie zurück: eine CDU, die gestalten, nicht nur regieren wollte. Es war mehr als ein Personalwechsel. Es war das Versprechen, die Christdemokratie im 21. Jahrhundert neu zu erfinden – und den Anspruch, die Republik wieder zu prägen.

Doch diese Aufbruchsstimmung hielt nicht lange. Der Bruch der Ampel und der vorgezogene Wahlkampf raubten der Partei die Zeit, das neue Grundsatzprogramm wirklich zu verinnerlichen. Ein hastig formuliertes Wahlprogramm, eine zusammengewürfelte Kampagne und ein Führungsteam aus Einzelkämpfern öffnete eine Flanke, die Gegner nur zu gern nutzten. Im Verlauf des Wahlkampfs wurde zu oft deutlich, dass viele Positionen nur in Abgrenzung und als Reaktion gehalten wurden.

Dabei weiß die CDU, was sie will. Sie hat es diskutiert, aufgeschrieben und beschlossen. Aber sie spürte es nicht und hatte kaum Gelegenheit, es zu verinnerlichen. Oder um die früher häufige Frage des Generalsekretärs einmal aufzugreifen: Wissen wir heute, wenn man uns um 3 Uhr nachts weckt, wofür die Partei steht?

Mit Übernahme der Regierungsverantwortung scheint sich die ehemals vorhandene Aufbruchsstimmung ins Gegenteil verkehrt zu haben. Aus Angst, Wähler zu verlieren, verliert man lieber erkennbare Positionen. Die CDU flüchtet sich in die Komfortzone des Regierens und damit in die zweifelhafte Beliebigkeit des Machterhalts. Eine Haltung, die man eigentlich überwunden hatte.

Deutschland steckt fest zwischen Anspruch und Ausrede. Die Wirtschaft stagniert, die Infrastruktur bröckelt, die Schulen verlieren den Anschluss, und die Verteidigungsfähigkeit bleibt lückenhaft. Während andere Staaten investieren und modernisieren, diskutiert die Politik hier über Verfahren. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme. Sie führt zu einer einfachen Wahrheit: Dieses Land braucht keine oberste Bundesverwaltung, es braucht Führung. Jemanden, der die Richtung vorgibt, auch auf die Gefahr hin, Fehler zu machen. Aber die Partei, die eigentlich führen müsste, lähmt sich selbst.

Die Verantwortung ist immens. Aber wer führen will, darf sich davon nicht lähmen lassen. Nur weil der Anspruch groß ist, muss man davor nicht zurückschrecken und die eigene Positionierung als unerreichbar verwerfen. Eine ambitionierte, glaubwürdige und pragmatische Partei, sagt, was sie will, was sie tun könnte und was möglich ist. Vieles in der Regierung ist Handwerk, aber ohne Kommunikation und Erwartungsmanagement kassiert man nur Schläge.

Fünf Dinge müssen sich sofort für die Partei ändern:

1. Eigene Agenda statt Dauerreaktion
Zu oft kommentiert die CDU, was andere treiben. Die Grünen reden über Klima, die SPD über Bürgergeld, die AfD über Migration – und die CDU? Reagiert. Führung bedeutet aber, Themen zu setzen, bevor sie brennen, und die Taktfrequenz der Republik selbst zu bestimmen. Dafür braucht es ein strategisches Team, das Monate vorausdenkt, statt Stunden oder Tage zurückzublicken. Spiegelreferate in der Parteizentrale, die Debatten antizipiert, Narrative entwickelt und Kommunikation orchestriert, bevor andere überhaupt wissen, dass das Spiel begonnen hat.

2. Kommunikation aus 2025, nicht aus 2000
Digitale Kommunikation ist keine Kür, sondern Kern politischer Führung. Doch während andere Geschichten erzählen, postet die CDU PDFs, aufgehübscht mit ein paar Emojis. Social Media aber ist kein Versandkanal, sondern ein Begegnungsraum. Menschen wollen Nahbarkeit und Dialog, Identifikation und Emotion. Die Partei braucht eine vollkommen neue, agile Kommunikationsstruktur, die arbeitet wie eine Kampagne, nicht wie ein Amt: professionell, konsistent, permanent und vor allem schnell. Eine Partei in einer Gesellschaft der politischen Dauererregung braucht eine politische Dauerkampagne. Es geht nicht um die zu oft bemühte „bessere Kommunikation“, sondern um das Verständnis, dass Kommunikation selbst Politik ist. Denn wer nichts erzählt, über den reden andere. Und nein, ehrenamtliche Parteisoldaten auf Twitter sind kein Ersatz.

3. Strukturen erneuern und über Themen verknüpfen
Der Dienstagabend im Vereinsheim ist kein Zukunftsmodell. Die CDU verliert keine Generation wegen ihrer Inhalte, sondern wegen ihrer Formen. Junge Menschen wollen gestalten, nicht protokollieren, mitreden, auch ohne Beisitzer-Amt. Themen-Communities statt Ortszwang, digitale Mitarbeit statt Pflichtsitzungen, projektbasiertes Engagement statt lebenslanger Parteikarriere – das wäre der Anschluss an die Lebensrealität des 21. Jahrhunderts. Politik muss wieder zugänglich werden, dort, wo Menschen sind und nicht dort, wo sie vor 30 Jahren waren. Und bei aller Wertschätzung für den Föderalismus der Landesverbände – es muss auch darüber nachgedacht werden, wo gleiche Probleme zentraler angegangen werden. Ob Mitgliederwerbung oder Wahlkampagnen, es muss nicht immer das Rad neu erfunden werden.

4. Akademie für Funktionsträger und jene, die es werden wollen
Wir bilden niemanden systematisch aus. Kandidaten werden ins kalte Wasser geworfen. Mandatsträger zu sein bedeutet meist: learning by doing. Kreisverbände wählen Vorsitzende, die noch nie eine Strategie entwickelt haben. Fraktionen wählen Sprecher, die noch nie ein Interview gegeben haben. Die CDU braucht eine Akademie, die drei Dinge lehrt: strategisches Denken, moderne Kommunikation und demokratische Resilienz. Wer führen will, muss verstehen, wie man überzeugt, standhält und reflektiert. Es gibt gute Nachwuchsförderung mit Mentoringprogrammen in einigen Bundesländern. Auch hier gilt: kopieren, weiterentwickeln und flächendeckend implementieren.

5. Der Koalitionsvertrag ist nicht das Ende der Politik
Der Koalitionsvertrag ist kein Evangelium. Er ist ein Fundament, kein Maulkorb. Adenauer hat die Westbindung nicht beantragt – er hat sie durchgesetzt. Kohl hat die Einheit nicht verhandelt – er hat sie erkämpft. Große Politik entsteht nicht aus der sklavischen Abarbeitung von Vertragsinhalten. Sie entsteht aus Mut. Aus der Bereitschaft, mehr zu wollen als das Vereinbarte. Natürlich muss man den Partner respektieren. Natürlich braucht es Kompromisse. Aber Respekt bedeutet nicht Lähmung. Kompromiss bedeutet nicht Kapitulation. Wer Angst hat, den Koalitionspartner zu fordern, zu überzeugen und mitzureißen, der hat die Führung bereits aufgegeben. Die Partei hat das Recht und die Pflicht, die Öffentlichkeit und damit auch die eigenen Mitglieder daran zu erinnern, was „CDU pur“ bedeutet. Die CDU muss nicht permanent den Erwachsenen im Raum geben, wenn alle anderen ständig um die Förmchen streiten.

Wir schreiben das nicht, weil wir die CDU schlecht reden wollen. Wir schreiben es, weil wir sie lieben. Weil wir glauben, dass Deutschland diese Partei braucht. Aber nicht so. Nicht als Verwalterin des Status quo. Auch nicht zum Kanzlerwahlverein. Sondern als das, was sie mit dem Grundsatzprogramm beschlossen hat: Eine politische Kraft, die Disruption durch Weitsicht und Entschlossenheit ermöglicht. Die Mut hat. Die führt.

Wir wollen, dass die Union 2029 nicht wieder müde und angeschlagen im Ring steht, sondern gewinnen will – und kann. Wie Ali im „Thrilla in Manila“.

Baha Jamous ist CDU-Mitglied und Director People Corporate Affairs bei Fintech Solaris. Er war Referent, Wahlkampfmanager und Geschäftsführer der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU Sachsen.

Daniel Eck ist CDU-Mitglied und Kommunikationsberater.

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Letzte Aktualisierung: 12. November 2025

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