Ein Parteienverbot ist immer die Ultima Ratio. Nicht umsonst kennt unsere Verfassung dieses Instrument, weil die Mütter und Väter des Grundgesetzes davon überzeugt waren, dass eine Demokratie das Recht auf Selbstverteidigung haben muss. Die Hürden in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht sind zu Recht hoch, die Risiken eines Verbotsantrages müssen ernsthaft mit seinem Nutzen abgewogen werden. Aber irgendwann muss eine Entscheidung fallen. Und dieser Moment ist jetzt. Warum?
Die AfD ist nicht einfach eine antidemokratische Partei, sie ist nicht einfach eine Partei, die Hass auf Geflohene und Migrantinnen und Migranten wählbar macht. Die AfD ist eine rechtsextreme Partei, deren Ziel der autoritäre Umbau von Staat und Gesellschaft ist, und sie ist gefährlich. Dies ist der Grund, warum sie jetzt gestoppt werden muss. Nicht weil man sie politisch ablehnt oder ihre Wähler und Wählerinnen maßregeln will, sondern weil die AfD eine praktische Gefahr für Minderheiten, für engagierte Demokraten und Demokratinnen, für den Rechtsstaat, das Parlament und die Presse darstellt.
„Rassismus tötet“ war die Losung, die im Zuge der Aufklärung des NSU-Komplexes stark gemacht wurde. Rassismus als Ideologie der Ungleichheit ist Wesenskern der extremen Rechten, nicht nur als weltanschauliche Klammer, sondern als politische Praxis. Diese Praxis ist Gewalt und Terror. Die AfD ist nicht nur der parlamentarische Arm einer rassistischen extremen Rechten, sie ist auch Katalysator und bietet den zentralen Agitatoren einen Schutz- und Aktionsraum. Schaut man auf die Fraktionen der AfD und ihrer Mitarbeiterschaft, sieht man ein Heer von Berufsnazis, rechten Medienaktivisten und Influencern. Deren rassistische Vertreibungspläne sind nicht nur größenwahnsinnige Fantasien. Sie bereiten die tatsächliche Deportation und Ermordung von Menschen vor.
Das Treffen im Landhaus Adlon in Potsdam war nur das symbolische Bild für eine Entwicklung, die älter und größer ist als dieses Treffen am See. Ohne die AfD, ihre Ressourcen, aber auch ohne den Schutz, den sie durch das Parteiengesetz und den Status der Fraktionen genießt, würde das zentrale Bindeglied zwischen Neonazischlägern und finanzstarken autoritären Konservativen entfallen. Mehr noch: Dort wo die AfD stark ist, dort wo sie formale Macht erlangt hat oder erlangen will, steigen die Zahlen rechter Gewalt. Im Landkreis Sonneberg, wo die AfD den Landrat stellt, verfünffachten sich 2023 im Vorjahresvergleich rechte Gewalttaten. Die AfD lehnt Artikel 1 unserer Verfassung – die Menschenwürdegarantie – nicht nur ab, sondern verfolgt ideologisch und praktisch das Ziel einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Diese Gefahr ist nicht abstrakt, sondern eine tägliche Bedrohung. Wenn die Demokratie die „Beschützerin der Minderheit“ (Camus) ist, dann muss die Debatte um ein AfD-Verbot mit der Perspektive der Minderheiten geführt werden.
Die AfD ist eine Umsturzpartei. Dies ist die zweite existenzielle Gefahr. Sie will die Demokratie abschaffen und einen autoritären Führerstaat errichten. Ihr historisches Vorbild ist der deutsche Faschismus. Weder ihre Mimikry als demokratische Partei, noch ihre geschickte Inszenierung als Opfer kann darüber hinwegtäuschen. Das zeigen auch aktuelle Gerichtsurteile.
Und während die rechten Putschpläne der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Malsack-Winkemann im Terrorkomplex „Reuss-Gruppe“ das derzeit wohl prominenteste Beispiel der Verknüpfung der AfD mit dem Rechtsterror ist, so ist es keineswegs das einzige.
In kaum einem Verfahren des Generalbundesanwalts im rechtsterroristischen Bereich spielt die AfD keine Rolle. Ihre Anhänger sind Propagandisten, Unterstützer und Akteure rechter Putschpläne und Mordkomplotte. Hinzu kommen vielfältige Verbindungen im Kreise extrem rechter (Ex)-Soldaten und (ehemaliger) Polizisten, die sich als Schattensoldaten für den Tag X bereit machen. Die AfD ist keineswegs eine Ansammlung von Einzelfällen, sondern eine Partei, deren beständige Radikalisierung auch dazu führt, dass sich immer wieder Leute dazu berufen fühlen werden, nun endlich zur Tat zu schreiten. Der Durchmarsch des „Flügel“ und der Aufbau eines entsprechenden aktivistischen Vorfeldes durch Junge Alternative (JA) und Identitäre Bewegung (IB) bestätigen das.
Beide Gefahren, die des gewalttätigen Rassismus und die des Angriffs auf die Demokratie, stehen in historischer Tradition. Terror auf der Straße, Putschversuche und autoritärer Umbau der Staatsapparate gehören zum klassischen Repertoire der extremen Rechten auf ihrem Weg zur Macht. Die AfD ist mit ihrem Apparat, ihrem Personal, ihren Mandaten, ihrem Geld, ihren Thinktanks, ihren eigenen Kanälen und ihrem Zugang zu journalistischen Medien eine Bedrohung. Es ist Zeit, dass demokratische Abgeordnete ihre Verantwortung wahrnehmen und den Bedrohten, den Angehörigen der Minderheiten, den Engagierten der Zivilgesellschaft und all denen, die morgen und übermorgen in den Fokus der neuen Nazis geraten werden, an die Seite treten. Wenn die Losung „Nie wieder ist jetzt“ eine Bedeutung haben soll, dann muss sie der Maßstab des Handelns sein. Für die demokratischen Abgeordneten bedeutet dies, das höchste Gericht der Republik zu ersuchen, ein Verbot der AfD zu prüfen.
Martina Renner ist Politikerin der Partei Die Linke, 2018 bis 2022 war sie stellvertretende Parteivorsitzende. Seit 2013 ist sie Mitglied im Bundestag, zuvor saß sie im thüringischen Landtag und war dort Obfrau und stellvertretende Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses.
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