Es war keine Überraschung. Seit über zwei Jahren führte die AfD die Wahlumfragen in Thüringen an. Nun ist es geschehen: Die rechtsextreme Partei ist mit 32,8 % erstmals stärkste Kraft geworden und hat mit 32 Sitzen deutlich mehr als ein Drittel der Sitze im Thüringer Landtag. Diese Sperrminorität könnte den politischen Betrieb einschränken.
Rot-Rot-Grün beendete gerade erst fünf Jahre zähen Regierens aus einer Minderheit heraus. Der Bedarf an einem weiteren Regieren aus der Minderheit heraus war bei Noch-Ministerpräsident Ramelow gedeckt. Selbst seinen Gegnern wünschte er nicht solche Verhältnisse. Doch sie deuten sich wieder an. Die Mehrheiten lassen nicht einmal ein Bündnis zwischen CDU, SPD und BSW zu.
Apropos BSW: Angetreten mit dem Ziel, die Stimmen der AfD zu dezimieren, hat sie nun die Linke in Thüringen zerstört. Fast achtmal mehr Wähler wechselten von der Linken zur BSW. Zumindest bleibt die Thüringer Spitzenkandidatin Katja Wolf, die selbst mehrfach Opfer rechtsextremer Angriffe in Eisenach war, auf Distanz zum Wahlsieger, rückt dafür aber näher an die CDU.
Deren Spitzenkandidat Mario Voigt lässt sich als demokratischer Wahlgewinner feiern, obwohl viele ihn als das kleinere Übel wählten. 55 % gaben an, dass sie die CDU nur wählten, um der AfD nicht zu viel Einfluss zu geben. Voigt, der in die direkte Konfrontation mit Bernd Höcke ging, versuchte, dessen geringe Sympathiewerte als Hebel zu nutzen. Doch wie viele Ansätze gegen die AfD gingen auch diese Angriffe ins Leere.
Die AfD hat in den vergangenen Jahren eine Stammklientel aufgebaut, die immun gegen Argumente außerhalb des eigenen Lagers scheint. So verstetigte sich ihre Macht in allen Wahlkreisen, in denen sie bereits 2019 gute Ergebnisse erzielte; flächendeckend keine Verluste. Auch im Vergleich zur Europawahl konnte sie noch einmal 2,1 % zulegen. 29 von 44 Direktmandaten gingen an Höckes Landesverband. Die Landkarte färbt sich blau.
Besonders erfolgreich war die AfD bei den Erstwählern (38 %). Hier spielen die von der AfD dominierten sozialen Medien eine Rolle, die die Präferenzen junger Menschen beeinflussen. Rechtsextreme Einstellungen können bei ihnen bereits verfestigt sein. Von TikToks, Reels und filmischen Inszenierungen bis zu Höckes Moped-Spritztour durch seinen Wahlkreis in Ostthüringen – die AfD mobilisierte Jungwähler erfolgreicher als alle anderen Parteien. Dabei konnte sie sich auf ihr faschistoides Vorfeld verlassen, das den Wahlkampf unterstützte.
Eine weitere Auffälligkeit ist die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Lage im Freistaat. 79 % der Thüringer schätzen ihre persönliche wirtschaftliche Lage positiv ein. Zugleich urteilten 66 %, dass die wirtschaftliche Lage in Thüringen schlecht sei, was einen Unterschied von 35 % im Vergleich zu 2019 ausmacht. Tatsächlich ist die Wirtschaftskraft in Thüringen im bundesdeutschen Vergleich geringer, was allerdings nur bedingt an der letzten Landesregierung liegt, sondern an jahrzehntelangen Verwerfungen und den typischen Problemlagen der ostdeutschen Transformationsgesellschaft.
Doch solche Diskrepanzen schlagen sich in niedrigen Zufriedenheitswerten und geringem Regierungsvertrauen nieder. Seit geraumer Zeit lassen sie sich an einer eingeübten Fundamentalopposition festmachen, die sich am stärksten in der Ablehnung des Zuzugs von Fachkräften ausdrückt. Als Kapitän des Abschiebeflugzeugs ließ sich Höcke auf Plakaten darstellen. Dass er nicht nur straffällige Ausländer abschieben will, daran ließ er keinen Zweifel.
Zugleich hat die Partei keine Lösungen, wie die alternde Bevölkerung versorgt werden soll. Es ist das Thüringer Paradox : Die benötigten Fachkräfte aus dem Ausland werden durch rassistische Politik vergrault und die Wirtschaft leidet, weil sie ihre Stellen nicht besetzen kann und einen Imageschaden befürchtet. Es droht ein wirtschaftlicher und sozialer Kahlschlag – und eine gesteigerte Bedrohungslage für die Menschen in Thüringen, die von Rassismus und anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen betroffen sind.
Unversöhnliche TV-Duelle, Handgreiflichkeiten, Ausschlüsse der Öffentlichkeit: Der Thüringer Wahlkampf war wohl der polarisierteste seit der Wiedervereinigung. In vielen Gegenden hielten Menschen aus der Zivilgesellschaft dagegen. Erste Berechnungen des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) zeigen, dass dort, wo die Wahlbeteiligung besonders hoch war, demokratische Parteien tendenziell mehr Boden gutmachen konnten.
Doch es gibt wenig Grund für Optimismus. In 56 Gemeinden in Thüringen wählten mehr als 50 % der Einwohner die AfD, was die lokale Dominanz und die dahinterliegende Spaltung erahnen lässt. Gefragt, ob er nachvollziehen könne, dass seine politischen Gegner Angst vor einer Machtübernahme der AfD haben, konnte Höcke nur lächeln. Es deutet an, dass auf Menschen, die die AfD nicht unterstützen, schwere Zeiten zukommen.
Umso mehr lässt es viele Menschen in der Thüringer Zivilgesellschaft erschaudern, dass sich nun Stimmen aus der CDU mehren, mit der AfD Zweckbündnisse einzugehen, ein Umstand, der bisher zumindest auf Landesebene deutlich abgelehnt wurde. Für die kommenden Jahre gilt es, jene zu stärken, die vor Ort die Demokratie verteidigen und sie mit Leben füllen. Dies wird viel Kraft und Mühe kosten. Aber Aufgeben ist keine Option.
Maik Fielitz ist Bereichsleiter für Demokratie- und Rechtsextremismusforschung am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.