Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 01. April 2025

Bastian Gierull: „Der deutsche Sonderweg – teuer, bürokratisch, ineffizient"

Seit Anfang 2025 ist die Installation von Smart Metern bei höheren Stromverbräuchen Pflicht, Kleinverbraucher können sich die Geräte freiwillig installieren lassen. Warum das Rollout nicht vorankommt, erklärt Bastian Gierull in einem Standpunkt.

Der Smart-Meter-Rollout in Deutschland ist eine Farce. Während Länder wie Frankreich, Großbritannien oder Schweden ihre Netze längst mit intelligenter Messtechnik digitalisiert haben, leistet sich Deutschland einen Sonderweg – teuer, bürokratisch und ineffizient. Die Folge: Die Energiewende wird ausgebremst, Verbraucher zahlen drauf, und die dringend benötigte Digitalisierung der Stromnetze bleibt Stückwerk.

Die Lösung liegt auf der Hand: Ein „Smart Meter light“ mit schlanken Anforderungen, das sich an internationalen Best Practices orientiert. Denn der aktuelle deutsche Ansatz ist ein Paradebeispiel für technokratischen Overkill: Statt ein simples, günstiges Messsystem für den Massenmarkt einzuführen, wurden ausufernde regulatorische Anforderungen geschaffen. Diese verteuern den Rollout massiv und verhindern eine breite Einführung.

Was wir wirklich brauchen, ist ein Smart Meter, das eine zentrale Funktion erfüllt: die Live-Übermittlung des Stromverbrauchs. Das reicht aus, um Verbrauchern mehr Transparenz zu bieten, innovative Tarife zu ermöglichen und Netzbetreibern zu helfen, ihr Netz zu überwachen. Alles andere – die komplexen und teuren Anforderungen an das „intelligente Messsystem“ (iMSys) – kostet Milliarden, ohne dass der Nutzen gerechtfertigt wäre.

Besonders deutlich wird das bei der kürzlich eingeführten Steuerbox, die Haushalte mit Wärmepumpen oder E-Autos zusätzlich zur Smart-Meter-Pflicht noch einmal 100 Euro pro Jahr kostet. Diese Box ist nicht nur teuer, sondern auch völlig unnötig. Steuerung funktioniert längst digital über die Cloud, in vielen Ländern heute schon sehr erfolgreich und sicher. Der deutsche Sonderweg dagegen stellt die Netzbetreiber noch vor ein Rätsel: Während wir Verbraucher heute schon bezahlen, weiß noch niemand so genau, wie die Steuerung praktisch umgesetzt werden soll.

Dafür ist sie umso teurer: In Deutschland kostet ein Smart Meter 230 Euro pro Jahr und Haushalt – 100 Euro bezahlen die Verbraucher direkt, 130 Euro werden über die Netzentgelte auf die Stromkosten umgelegt. In Frankreich sind es überschaubare 22 Euro. Dort leisten einfache Smart Meter in Kombination mit einer Steuerung über die Cloud das gleiche, was unser deutscher Sonderweg leistet, vorausgesetzt, man bekommt überhaupt ein Smart Meter. Dabei hat Frankreich keineswegs bei der Sicherheit gespart – das Land nimmt die aktuelle geopolitische Bedrohung mindestens genauso ernst wie wir. Nur wurde dort schon lange mit dem Vorurteil der unsicheren Cloud aufgeräumt.

Ein weiteres Problem: In Deutschland soll der Rollout weiterhin selektiv bleiben. Nur Haushalte mit einem Jahresverbrauch von über 6000 Kilowattstunden bekommen standardmäßig ein Smart Meter. Das ist bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein, denn auch normale Haushalte würden enorm von mehr Transparenz und intelligenten Stromtarifen profitieren. Aber die meisten Messstellenbetreiber sind schlichtweg nicht in der Lage, Haushalte kostengünstig und flächendeckend mit Smart Metern auszustatten. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass Smart Meter hierzulande ein Nischenprodukt bleiben. In Großbritannien installieren wir alle 30 Sekunden ein Smart Meter. Wie schaffen wir das? Mit einem Full-Rollout, Straße für Straße, effizient und kostengünstig.

Egal ob mit jährlichen Kosten oder indirekt über die Netzentgelte: Am Ende des Tages bezahlen die Verbraucher die Energiewende. Deshalb sollten wir alle teilhaben lassen. Genau deshalb müssen wir eine kosteneffiziente Lösung für den Rollout finden.

Es ist Zeit für einen echten Neuanfang. Deutschland muss sich an erfolgreichen internationalen Modellen orientieren und den Smart-Meter-Rollout neu aufsetzen: Mit Smart Meter light, Cloud-basiert und für alle.

Bastian Gierull, 42, ist Deutschland-Chef des britischen Unternehmens Octopus Energy. Als ehemaliger Director of Product, Marketing und Technology begleitet er Octopus seit dem deutschen Markteintritt im Jahr 2020. Davor war er als Gründer in Start-ups aktiv und betreute als Marketing- und Product Manager Unternehmen in der eCommerce- und Telekommunikationsbranche.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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