Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 27. Juni 2024

Sie spielen ein ganz anderes Spiel!

Nach dem Potsdamer Treffen von Rechtsextremisten mit der AfD sind viele aufgewacht. In den Umsiedlungsphantasien steckt ein Angriff auf unser Gemeinwesen, argumentieren die Strategieberater Christian Blum und Dominik Meier. In ihrem Standpunkt fordern sie, konsequenter zwischen politischen Gegnern, mit denen sich die Auseinandersetzung lohnt, und Feinden unserer Grundordnung, die außerhalb des Diskurses stehen, zu unterscheiden. Mit der Serie „Hacking Populism“ zeigt Table.Briefings Wege auf, wie dem Populismus begegnet werden kann.

Der Erfolg der Alternative für Deutschland und anderer rechtsextremer Parteien in Europa, den die Wahlen zum Europäischen Parlament eindrucksvoll belegen, führt die Demokratie scheinbar in ein Dilemma: Einerseits muss sie alle Interessen – auch solche, die illiberal und menschenfeindlich sind – zulassen, um die Freiheit der politischen Willensbildung nicht zu tangieren. Andererseits muss sie der Abschaffung der Demokratie auf demokratischem Wege vorbeugen.

Zahlreiche Intellektuelle, so etwa die Philosophen Rainer Forst und Stefan Gosepath, haben sich für ein Horn des Dilemmas entschieden und favorisieren die weitestmögliche Offenheit des demokratischen Verfahrens. Schließlich liege das Wesen der Politik in Dialog und Widerspruch. Es gelte auch Meinungen zu ertragen, die einem zuwider seien. Zudem bietet das Böckenförde-Diktum Schützenhilfe, wonach der liberale Staat seine eigenen Grundlagen nicht garantieren könne.

Dieser Ansatz ist ebenso weltfern wie gefährlich. Denn: Das Wesen der Politik ist nicht der Dialog, sondern die institutionalisierte Ausübung von Macht. Diese ist in der repräsentativen Demokratie an die Kontrollfunktion der Bürger rückgekoppelt. Es gibt keine Pflicht, sich mit den Meinungen anderer auseinanderzusetzen, erst recht nicht, wenn es sich um grundrechtswidrige Umsiedelungsfantasien, wie jene vom November 2023 in Potsdam, handelt. Das Potsdamer Treffen hat die rote Linie zwischen einem politischen Gegner, mit dem andere demokratische Akteure im fairen, regelbasierten Wettbewerb stehen und einem Feind, der mit seinen Zielen und der Bereitschaft zum Regelbruch außerhalb des Wettbewerbs steht, klar definiert.

Wer Millionen Deutschen, die nach einer ebenso wirren wie bösartigen Doktrin nicht „deutsch genug sind“, die Staatsbürgerschaft entreißen will, beabsichtigt die Schädigung des Gemeinwesens. Denn: Die Grenzziehung eines Gemeinwesens erfolgt immer nach außen, zu anderen Staaten hin; sie erfolgt nicht nach innen. Eine Grenzziehung nach innen bedeutet Spaltung, die finale Folge heißt Bürgerkrieg.

Zweitens ist das Potsdamer Treffen eine Attacke auf die Gleichheit als Prinzip demokratischer Willensbildung. Dass unzählige deutsche Wähler daraus bei den Europawahlen keine Schlüsse gezogen haben, sagt viel über den Zustand unserer Demokratie aus. Demokratische Willensbildung bedeutet, dass jeder Bürger dieselbe Chance haben muss, seine Interessen in der Politikgestaltung geltend zu machen – ohne Ansehung seiner ethnischen Wurzeln, seines Glaubens oder seiner Sexualität. Wer diesen Gleichheitsgrundsatz aufheben will, negiert das Wesen der Demokratie.

Dieser doppelte Angriff ist ein politischer Ernstfall, der die Wehrhaftigkeit der Demokratie – gerade im Kontext aktueller politischer Entwicklungen – herausfordert. Denn der Staat muss, pace Böckenförde, natürlich seine Grundlagen garantieren: indem er Volksverhetzer verfolgt, Terroristen dingfest macht und, ja, indem er Parteien verbietet.

De facto erzeugen die AfD, andere Extremisten oder Neonazis kein Dilemma. Es ist richtig, dass die Demokratie blind gegenüber dem moralischen Gehalt ist, der in den Willensbildungsprozess eingespeist wird – aber der Rechtsstaat als ihr Hüter ist es nicht. Er muss Sorge tragen, dass die demokratischen Verfahren keine undemokratischen Ergebnisse zeitigen, dass sie sich vermöge ihrer Blindheit nicht selbst abschaffen. Zu diesem Zwecke muss er ihre Feinde bekämpfen können. Hierin liegt die Klassifikation der AfD: Sie ist in ihrer völkischen Radikalität, die demokratische Gleichheit und Zugehörigkeit zum Gemeinwesen negiert, kein politischer Gegner, den man „stellen“ sollte oder dem man Rechtfertigungen für die eigene Position schuldig wäre. Sie ist ein Feind der Demokratie, und also solcher muss sie auch behandelt werden.

Das bedeutet nicht, die Ängste der Menschen, die sich extremistischen Parteien zuwenden, nicht ernst zu nehmen. Brandmauern zu errichten, ist keine politische Lösung. Die AfD ist keine kommunikative, sondern eine inhaltliche Herausforderung. Dazu gehört auch die selbstkritische Einsicht, dass Politik und Zivilgesellschaft in den vergangenen 20 Jahren vielen Reformen und Zustandsdiskussionen über unser Gemeinwesen ausgewichen sind. Diese Versäumnisse lasten nun umso schwerer auf unseren Schultern. Die Menschen erwarten pragmatische Lösungen für ihre dringendsten Herausforderungen. Wenn selbst das Alarmsignal Europawahl zu keiner ehrlichen Diskussion über Lösungen führt, sondern eine Vogel-Strauß-Haltung nach sich zieht, braucht sich die Politik nicht zu wundern, dass die Menschen sich angewidert von Arroganz der Macht abwenden.

Die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie zeigt sich auch darin, den Mut aufzubringen, überholte Strukturen zu reformieren. Wir brauchen dringend eine radikale Reform des Föderalismus: Wer ist für welche Aufgaben zuständig? Wer hat welche Kompetenzen und, daraus abgeleitet, wie organisieren wir die öffentlichen Zahlungsströme? Wer den nicht Mut hat, diese Fragen zu beantworten, sollte sich über ein rasant steigendes Protestwählertum nicht wundern.

Die zivilisatorisch verwöhnten Demokraten der Bundesrepublik haben verlernt, dass es neben politischen Gegnern – mit denen man sich nach klaren Spielregeln die Macht teilt, mit denen man sich einigt, die man zivilisiert mit Argumenten beharkt – auch starke Feinde gibt. Diese missachten nicht nur die Spielregeln der Demokratie, indem sie ganzen Bevölkerungsgruppen Grundrechte absprechen; sie spielen ein gänzlich anderes Spiel. Und dieses Spiel ist umso gefährlicher, weil wir unsere rechtsstaatlichen Hausaufgaben vernachlässigt haben. Dessen Ziel, das inhärent rassistisch und illiberal ist, kann unmöglich mit unserer politischen Ordnung vereinbar sein.

Dominik Meier ist Vorsitzender der de’ge’pol – Deutsche Gesellschaft für Politikberatung. Dr. Christian Blum ist Professor für Kommunikation und Unternehmensethik an der AMD Akademie Berlin.

Lesen Sie hier alle bisher erschienen Beiträge der Serie „Hacking Populism“.

Briefings wie Berlin.Table per E-Mail erhalten

Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

Anmelden

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

Teilen
Kopiert!